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M. Haustein 1  · N. Terai 1  · J. Pablik 2  · L.E. Pillunat 1  · F. Sommer 1 1  Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde, Universitätsaugenklinik der  medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden  2  Pathologisches Institut der medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden  Therapieresistente  Oberlidschwellung  im Kindesalter Fallbeschreibung Anamnese Wir präsentieren den Fall eines 4 Jahre al- ten Mädchens, das uns mit einer schmerz- losen, seit 3 Wochen intermittierenden Oberlidschwellung auf der rechten Seite vorgestellt wurde. Von der Mutter wur- de berichtet, dass das Auge auch zeitwei- se komplett geschlossen sei. Ein Trau- ma, Fieber oder Infekte seien in unmit- telbarem Zusammenhang nicht aufgetre- ten. Ebenso war die Familie in den letzten 12 Monaten nicht im Ausland gewesen. Befund Die Sehschärfe am rechten Auge (RA) war auf 0,5 und die Levatorfunktion auf 2 mm reduziert. Das gerötete Oberlid war nicht überwärmt oder druckdolent. In der Mit- te des Oberlides war eine derbe Resistenz zu tasten (. Abb. 1). Aufgrund der Pto- sis wurde eine geringe Kopfzwangshal- tung (Reklination des Kopfes) eingenom- men. Ansonsten waren alle ophthalmolo- gischen Befunde (inklusive Pupillenaffe- renz und orthoptischer Status) an beiden Augen unauffällig. Es erfolgte umgehend zur Ursachen- klärung die stationäre Aufnahme. Die Magnetresonanztomographie des Kop- fes bestätigte einen intraorbitalen Tumor, der sich auf die vordere Orbita beschränk- te, aber nach Kontrastmittelgabe eine Ir- ritation des Os frontale und der angren- zenden Dura mater der vorderen Schädel- grube aufwies (. Abb. 2). Der Radiologe äußerte anhand der Bilder den Verdacht auf eine Langerhans-Zell-Histiozytose (LCH). Differenzialdiagnostisch musste an ein Rhabdomyosarkom gedacht wer- den. Nach interdisziplinärer Planung der or- bitalen Gewebeentnahme erfolgte die Bi- opsie (einschließlich Knochenbiopsie aus dem Orbitadach) am Folgetag. Intraope- rativ stellte sich der Befund eher granulär und bröckelig dar (. Abb. 3). Somit war differenzialdiagnostisch eine LCH wahr- scheinlicher als ein Rhabdomyosarkom und die Prognose wesentlich besser. Mit dem histologischen Nachweis von Langerhans-Histiozyten, eosinophilen Granuloyzten und multinukleären Rie- senzellen (. Abb. 4) sowie auch dem im- munhistochemischen Nachweis der Ober- flächenproteine s100 und CD1a konnte die Verdachtsdiagnose bestätigt werden. Durch die Kinderonkologen wurde die LCH-Standarddiagnostik eingeleitet. Da- bei konnte mittels Ganzkörper-MRT eine multilokuläre LCH-Erkrankung ausge- schlossen werden. Die Therapie wurde nach den aktuel- len Leitlinien der internationalen LCH- Studiengruppe der Histiozytose Gesell- schaft durchgeführt [1, 2, 19]. Aufgrund der relativ zentralen Lokalisation des Be- fundes („Special-site-Läsion“) erfolgte eine kombinierte, systemische Chemothe- rapie mit Vinblastin und Prednisolon, da die Gefahr einer Hypophysenbeteiligung (z. B. Diabetes insipidus) bestand [1, 8, 9]. In der initialen Therapiephase von 6 Wochen erfolgten die wöchentliche, in- travenöse Gabe von Vinblastin (6 mg/m 2 Körperoberfläche) und die tägliche Gabe von Prednisolon (40 mg/m 2 Körperober- fläche). Nach 6 Wochen wurde der Be- fund durch eine MRT mit Kontrastmittel erneut evaluiert. Der Befund zeigte sich gebessert, aber aufgrund des noch erheb- lichen Aktivitätsnachweises wurde groß- zügig die „weiche“ Indikation zur Wieder- holung der Initialtherapie gestellt. Nach weiteren 6 Wochen konnte die Thera- pie auf das Erhaltungsschema (1-wöchige Vinblastin/Prednisolon-Pulse alle 3 Wo- chen) umgestellt werden. Im Verlauf muss der Befund mittels MRT weiter kontrol- Kasuistiken Abb. 17 Klinischer  Befund bei Erstvor- stellung Ophthalmologe 2013  DOI 10.1007/s00347-013-2844-8 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 1 Der Ophthalmologe 2013|

Therapieresistente Oberlidschwellung im Kindesalter

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M. Haustein1 · N. Terai1 · J. Pablik2 · L.E. Pillunat1 · F. Sommer1

1 Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde, Universitätsaugenklinik der 

medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden 2 Pathologisches Institut der medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden 

Therapieresistente Oberlidschwellung im Kindesalter

Fallbeschreibung

Anamnese

Wir präsentieren den Fall eines 4 Jahre al-ten Mädchens, das uns mit einer schmerz-losen, seit 3 Wochen intermittierenden Oberlidschwellung auf der rechten Seite vorgestellt wurde. Von der Mutter wur-de berichtet, dass das Auge auch zeitwei-se komplett geschlossen sei. Ein Trau-ma, Fieber oder Infekte seien in unmit-telbarem Zusammenhang nicht aufgetre-ten. Ebenso war die Familie in den letzten 12 Monaten nicht im Ausland gewesen.

Befund

Die Sehschärfe am rechten Auge (RA) war auf 0,5 und die Levatorfunktion auf 2 mm reduziert. Das gerötete Oberlid war nicht überwärmt oder druckdolent. In der Mit-te des Oberlides war eine derbe Resistenz zu tasten (. Abb. 1). Aufgrund der Pto-sis wurde eine geringe Kopfzwangshal-tung (Reklination des Kopfes) eingenom-men. Ansonsten waren alle ophthalmolo-gischen Befunde (inklusive Pupillenaffe-renz und orthoptischer Status) an beiden Augen unauffällig.

Es erfolgte umgehend zur Ursachen-klärung die stationäre Aufnahme. Die Magnetresonanztomographie des Kop-fes bestätigte einen intraorbitalen Tumor, der sich auf die vordere Orbita beschränk-te, aber nach Kontrastmittelgabe eine Ir-ritation des Os frontale und der angren-zenden Dura mater der vorderen Schädel-

grube aufwies (. Abb. 2). Der Radiologe äußerte anhand der Bilder den Verdacht auf eine Langerhans-Zell-Histiozytose (LCH). Differenzialdiagnostisch musste an ein Rhabdomyosarkom gedacht wer-den.

Nach interdisziplinärer Planung der or-bitalen Gewebeentnahme erfolgte die Bi-opsie (einschließlich Knochenbiopsie aus dem Orbitadach) am Folgetag. Intraope-rativ stellte sich der Befund eher granulär und bröckelig dar (. Abb. 3). Somit war differenzialdiagnostisch eine LCH wahr-scheinlicher als ein Rhabdomyosarkom und die Prognose wesentlich besser.

Mit dem histologischen Nachweis von Langerhans-Histiozyten, eosinophilen Granuloyzten und multinukleären Rie-senzellen (. Abb. 4) sowie auch dem im-munhistochemischen Nachweis der Ober-flächenproteine s100 und CD1a konnte die Verdachtsdiagnose bestätigt werden.

Durch die Kinderonkologen wurde die LCH-Standarddiagnostik eingeleitet. Da-bei konnte mittels Ganzkörper-MRT eine multilokuläre LCH-Erkrankung ausge-schlossen werden.

Die Therapie wurde nach den aktuel-len Leitlinien der internationalen LCH-Studiengruppe der Histiozytose Gesell-schaft durchgeführt [1, 2, 19]. Aufgrund der relativ zentralen Lokalisation des Be-fundes („Special-site-Läsion“) erfolgte eine kombinierte, systemische Chemothe-rapie mit Vinblastin und Prednisolon, da die Gefahr einer Hypophysenbeteiligung (z. B. Diabetes insipidus) bestand [1, 8, 9].

In der initialen Therapiephase von 6 Wochen erfolgten die wöchentliche, in-travenöse Gabe von Vinblastin (6 mg/m2 Körperoberfläche) und die tägliche Gabe von Prednisolon (40 mg/m2 Körperober-fläche). Nach 6 Wochen wurde der Be-fund durch eine MRT mit Kontrastmittel erneut evaluiert. Der Befund zeigte sich gebessert, aber aufgrund des noch erheb-lichen Aktivitätsnachweises wurde groß-zügig die „weiche“ Indikation zur Wieder-holung der Initialtherapie gestellt. Nach weiteren 6 Wochen konnte die Thera-pie auf das Erhaltungsschema (1-wöchige Vinblastin/Prednisolon-Pulse alle 3 Wo-chen) umgestellt werden. Im Verlauf muss der Befund mittels MRT weiter kontrol-

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Abb. 1 7 Klinischer Befund bei Erstvor-

stellung

Ophthalmologe 2013 DOI 10.1007/s00347-013-2844-8© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

1Der Ophthalmologe 2013  | 

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liert werden. Die Erhaltungsdosis ist für 1 Jahr vorgesehen.

Aus augenärztlicher Sicht wurde auf-grund der bestehenden deprivierenden Ptosis und der daraus bereits resultieren-den Amblyopie am Tag der Erstvorstel-lung mit der Vollokklusionstherapie des linken Auges (LA; 1–2 h pro Tag) begon-nen. Innerhalb von 4 Wochen nach Erst-diagnose besserten sich am RA die Leva-torfunktion (4–5 mm) und der Visus (0,7; . Abb. 5a). Anschließend wurde die Ok-klusionstherapie leicht reduziert (1 h/Tag), und 4 Wochen später konnte wieder ein seitengleicher, voller Visus nachgewiesen werden. Ebenso war eine weitere Besse-rung der Levatorfunktion zu verzeichnen (. Abb. 5b). Daraufhin wurde die Okklu-sionstherapie beendet und eine nochmali-ge Kontrolle vereinbart. Drei Monate nach Erstvorstellung waren der Visus mit 1,25 als auch die Levatorfunktion mit 12 mm seitengleich (. Abb. 5c).

Diskussion

Oberlidschwellungen sind ein sehr un-spezifisches Symptom und können mit vielen verschiedenen Erkrankungen ver-gesellschaftet sein. Falls die Beschwer-den längere Zeit therapieresistent sind, rezidivieren oder andere Symptome hin-zutreten (wie z. B. eine Ptosis), muss an einen intraorbitalen Tumor gedacht wer-den.

Orbitale Tumore (egal welcher Di-gnität) machen ein Drittel aller orbita-len Erkrankungen bei Kindern aus und sind nach den orbitalen Entzündungen die zweithäufigsten Orbitaerkrankungen. Mädchen sind häufiger betroffen als Jun-gen [12, 13].

Die klinischen Symptome werden maß-geblich durch die Lokalisation des Tumors beeinflusst. Wenn die vordere Orbita be-troffen ist, stehen klinisch hauptsächlich eine Bulbusverlagerung, eine Lidschwel-lung, eine Ptosis und/oder eine Motilität-seinschränkung im Vordergrund.

Im Kindesalter sind die häufigsten or-bitalen Tumore Dermoidzysten (35%), Gliome (16%), Hämangiome (15%), Lym-phangiome (6%), Rhabdomyosarkome (6%) und Lymphome (4%; [12, 13]). Die LCH ist eine wesentlich seltenere Erkran-kung, deren Inzidenz zwischen 1/200.000

Abb. 2 8 MRT-Befund (T1-gewichtet) vom ersten stationären Aufenthalt

Abb. 3 9 Intraoperati-ver Befund: supraorbi-taler transkutaner Zu-gang mittels komplet-ter Blepharotomie in der Lidfalte. In der  Tiefe des Operations-gebietes: Bräunlich im-ponierendes Gewebe  entspricht dem Tumor (von Pfeilen umgeben)

Abb. 4 9 Histologi-scher Befund (HE-Fär-bung): Nachweis von Langerhans-Histiozy-ten, eosinophilen Gra-nuloyzten, multinuk-leären Riesenzellen so-wie einem gemischten entzündlichen Begleit-infiltrat

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und 1/2.000.000 angegeben wird [1, 2, 11]. Der Altersgipfel der LCH liegt in den ersten 4 Lebensjahren, und Jungen er-kranken häufiger als Mädchen (Verhält-nis 1,6:1; [11]). Sie stellt daher hauptsäch-lich eine Erkrankung des Kindesalters dar, kann aber auch bei Erwachsenen erstdi-agnostiziert werden [10].

Die LCH – früher auch als Histiozyto-se X bezeichnet – gehört zur Gruppe der Histiozytosen, die durch die Proliferation histiozytärer Zellen charakterisiert ist [6]. Weitere Formen sind der Morbus Rosai-Dorfman, die Erdheim-Chester-Erkran-kung (ECE) sowie das juvenile Xantho-granulom. Besonders wichtig ist die dia-gnostische Abgrenzung zur ECE, da diese eines anderen Therapiemanagements be-darf und meist eine infauste Prognose be-steht. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Unterschied im immunhistochemischen Nachweis von Zelloberflächenproteinen (CD1a). Bei der ECE ist dieser im Gegen-satz zur LCH negativ [23].

Bei der LCH können 3 verschiede-ne Verlaufsformen unterschieden wer-den. Am häufigsten ist das eosinophi-le Granulom (ca. 70% der Fälle, Gipfel zwischen 5. und 20. Lebensjahr), gefolgt vom Abt-Letterer-Siwe-Syndrom (Alter-gipfel zwischen 3. und 5. Lebensjahr) und dem Hand-Schüller-Christian-Syndrom (Altersgipfel zwischen 1. und 3. Lebens-jahr). In dieser Reihenfolge steigt auch das Chronifizierungs- und Mortalitäts-risiko [15]. Aufgrund des häufig fließen-den Übergangs zwischen den einzelnen Verlaufsformen wird die LCH sinnvoller nach der bestehenden Lokalisation unter-teilt – in einen monosystemischen und einen multisystemischen Typ. Etwa 37% der Kinder leiden an einem multisyste-mischen Typ [10]. Die Einteilung in Ri-sikogruppen und die daraus resultieren-de Therapieindikation erfolgt heute nach dem sog. Lipton-Score [4].

Die Ätiologie ist bisher noch nicht ge-klärt. Es gibt Hinweise, dass ein interzel-lulärer Kommunikationsdefekt mit Zyto-kin-Ungleichgewicht zwischen den T-Zel-len und den Langerhans-Zellen ursäch-lich sein könnte. Ob es sich aber um eine maligne oder immunologische Erkran-kung handelt, wird zurzeit noch kontro-vers diskutiert [3].

Die klinische Manifestation der Er-krankung ist sehr variabel. Sie kann von Symptomlosigkeit über diskrete lokali-sierte Beschwerden bis zu generalisierten Symptomen (Gewichtsverlust, Gedeih-störung, Unruhe und Fieber) reichen. Am häufigsten sind die Knochen (ca. 80%, Schädel ca. 34%) und die Haut (et-wa 60%) betroffen [5, 14]. Bei einem ZNS-Befall wird oftmals ein chronischer Ver-lauf beobachtet [7].

Besteht der Verdacht auf LCH, ist eine Biopsie zur Diagnosesicherung auch in

„typischen“ Fällen erforderlich. Mittels elektronenmikroskopischem Nachweis von Birbeck-Granula oder einem posi-tiven immunhistochemischen Nachweis von CD1a- und s100-Antigen auf der Zell-oberfläche lässt sich eine definitive Diag-nose stellen [6].

Nach der histologischen Sicherung ist es obligat, anhand eines strukturierten Untersuchungsprogramms nach weite-ren Granulomen der LCH zu suchen. Das Ganzkörper-MRT oder die Positronen-emissionstomographie spielt dabei eine

Zusammenfassung · Abstract

Ophthalmologe 2013 · [jvn]:[afp]–[alp]   DOI 10.1007/s00347-013-2844-8© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

M. Haustein · N. Terai · J. Pablik · L.E. Pillunat · F. Sommer

Therapieresistente Oberlidschwellung im Kindesalter

ZusammenfassungHintergrund.  Oberlidschwellungen im Kin-desalter können vielfältige Ursachen haben. Neben primär entzündlichen Veränderungen sind orbitale Tumore differenzialdiagnostisch zu bedenken.Methoden.  Wir berichten über ein 4-jähriges Mädchen, das sich mit einer rechtsseitigen, seit 2 Wochen rezidivierenden, therapieresis-tenten Oberlidschwellung/Ptosis vorstellte. Es wird der Weg von der ersten klinischen Be-urteilung bis zur Diagnosesicherung und Be-handlung dargestellt.Ergebnisse.  Nach Magnetresonanztomogra-phie und der diagnostischen Exzision konnte eine Langerhans-Zell-Histiozytose (LCH) his-tologisch bestätigt werden. Unter immunsup-pressiver Therapie und Amblyopieprophylaxe besserten sich Visus und Levatorfunktion im Verlauf von 0,5 auf 1,25 und von 2 auf 12 mm.

Schlussfolgerung.  Persistierende Oberlidschwellungen sind auch im Kleinkindalter dringend malignomverdächtig. Magnetresonanzto-mographisch lässt sich dabei der Verdacht auf die seltenen orbitalen Tumore des Kin-des häufig erhärten. Eine Biopsie zur Diagno-sesicherung und Behandlungsplanung ist in der Regel erforderlich. Insbesondere bei der LCH sind seit etwa 10 Jahren spezifische im-munhistochemische Verfahren die Metho-de der Wahl (positiver Nachweis von Protein s100 und CD1a).

SchlüsselwörterLangerhans-Zell-Histiozytose · Ptosis · Kind · Immunhistochemischer Nachweis ·  Amblyopie

Therapy-resistant swelling of the upper eyelid in childhood

AbstractHistory.  Swelling of the upper eyelid in childhood is caused by a variety of diseases and is very often generated by inflammation but orbital tumors should always be consid-ered in the differential diagnostics.Methods.  We report about a 4-year-old girl with a drug-resistant swelling of the upper eyelid and ptosis of the right eye. This case re-port demonstrates the route from initial clin-ical examination to diagnosis and addition-ally reviews the current status of therapeu-tic options.Results.  After magnetic resonance imaging (MRI) and diagnostic excision, Langerhans cell histiocytosis (LCH) could be histological-ly proven. Visual acuity and levator muscle function improved from 0.5 to 1.25 and from 

2 mm to 12 mm, respectively, by amblyopic prophylaxis and immunosuppressive therapy.Conclusions.  Persistent and drug-resistant swelling of the upper eyelid in childhood is also strongly suspicious for tumors. The sus-picion of rare orbital tumors in children can be frequently substantiated by MRI. Biop-sy and histological diagnosis are essential to plan adequate treatment and to estimate the prognosis. Particularly in Langerhans cell his-tiocytosis the methods of choice for over 10 years are specific immunochemical proce-dures (detection of protein s100 and CD1a).

KeywordsLangerhans cell histiocytosis · Ptosis · Child · Immunohistological detection · Amblyopia

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zentrale Rolle. Dies ist für das weitere the-rapeutische Vorgehen als auch für die Pro-gnose der Erkrankung von Bedeutung.

Für die unterschiedlichen LCH-For-men gibt es keine einheitliche Therapie, daher sollten die Therapiestrategien indi-viduell angepasst werden [2, 19]. Bei einer fokalen LCH ist im Regelfall eine Lokal-therapie ausreichend, z. B. Kortisonsalbe bei isoliertem Hautbefall und die chirur-gische Entfernung bei isoliertem Lymph-knotenbefall. Sogar die alleinige diagnos-tische Biopsie kann in bis zu 60% der Fäl-le zur Spontanremission führen, daher ist bei einfachen LCH-Fällen die abwartende und beobachtende Haltung eine Alterna-tive [10, 21, 23].

Bei multifokalem Befall oder „Special-site-Läsion“ kann eine systemische Thera-pie den Krankheitsverlauf (Reaktivierun-gen und Spätfolgen) günstig beeinflus-sen [10, 22]. Dabei kommen systemische Steroide in Kombination mit Zytostatika (vor allem Vinblastin) zum Einsatz. Die-se Chemotherapie reduziert bei multipler LCH die Reaktivierungsrate (von ca. 65 auf 30%), die Mortalitätsrate (von ca. 50 auf ca. 20%) und die krankheitsbedingten Residuen (von 50 auf ca. 30%; [19]).

Die systemische Therapie erfolgt in 2 Phasen: Einer intensivierten Initial-therapie über 6 Wochen folgt eine mil-de Dauertherapie. Die Erhaltungsthera-pie wird bis zu einer Gesamttherapiedau-er von 12 Monaten durchgeführt. Thera-pien von Niedrigrisikopatienten werden im Fall eines sehr guten initialen Thera-pieansprechens bereits nach 6 Monaten beendet [1, 2]. Falls der Befund schlecht

auf die Initialtherapie anspricht, kann die-se nach den ersten 6 Wochen nochmals wiederholt werden. Eine Chemothera-pie mit Cladribin/Cytarabin oder eine al-logene Stammzelltransplantation kommt meist nur bei multisystemischem Befund zum Einsatz. Diese sollte aber nur in ent-sprechenden Zentren mit entsprechender Expertise durchgeführt werden [1].

Die Prognose ist bei lokalisierter LCH sehr gut [22], aber bei multisystemischer LCH sehr variabel. Dabei ist die Progno-se bei Kindern unter 2 Jahren und vor al-lem bei der Beteiligung von Risikoorga-nen eher schlecht. Ein positives Progno-sekriterium stellt ein gutes initiales An-sprechen (6 Wochen) auf eine systemische Chemotherapie dar [16, 17, 19]. Chroni-sche Verläufe mit Entwicklung von Spät-folgen als auch Reaktivierungen nach über 10 Jahren sind prinzipiell möglich. Die meisten Reaktivierungen treten aber innerhalb der ersten 3 Jahre nach Erstdia-gnose auf [18].

Die Kinder sollten mindestens 5 Jahre lang in Hinblick auf Reaktivierungen und verbleibende Beschwerden nachbetreut werden. Dabei ist zwischen krankheits- und therapiebedingten Schäden (z. B. Zweitmalignome) zu unterscheiden. Bei chronischen Verläufen liegt die Rate für Spätfolgen bei 30–50% [5, 20].

Hauptsächlich handelt es sich um en-dokrinologische Spätfolgen wie Diabe-tes insipidus (bis zu 50%) und Wachs-tumshormonmangel [8, 20]. Daher soll-te bei allen Patienten, egal ob monosys-temische oder multisystemische Erkran-kung, bei der klinischen Verlaufskontrol-

le besonderes Augenmerk auf Zeichen eines Diabetes insipidus (Polyurie, Poly-dipsie) und auf Hinweise für andere Hor-monstörungen gelegt werden (Wachs-tums- und Gewichtskontrollen, Sexual-entwicklung). Dabei sind jährliche Schä-del-MRT-, endokrinologische, neurologi-sche und neuropsychologische Untersu-chungen indiziert [7, 8].

In . Abb. 5 sieht man die Verände-rungen, die unter Prednisolon auftreten können, daher sollten parallel zur Che-motherapie die psychosozialen und reha-bilitativen Maßnahmen nicht vernachläs-sigt werden. Die Gesamtsituation, die Be-handlung und die häufigen Arztbesuche belasten meist die gesamte Familie.

Fazit für die Praxis

F  Die Langerhans-Zell-Histiozytose ist eine seltene raumfordernde Erkran-kung, die sich systemisch, aber auch ausschließlich im Bereich der Orbita manifestieren kann. 

F  Im Fall progredienter Lidschwel-lungen bei Kindern muss die LCH dif-ferenzialdiagnostisch bedacht wer-den, da sie ein spezifisches diagnosti-sches und therapeutisches Vorgehen erfordert. 

F  Ein MRT und eine Biopsie werden zur Diagnosesicherung als auch für die Prognoseabschätzung benötigt. Da-bei helfen auch die relativ neu etab-lierten immunhistochemischen Ver-fahren.

Abb. 5 8 a 4 Wochen, b 8 Wochen und c 12 Wochen nach der Erstvorstellung. (Mit freundl. Genehmigung)

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Korrespondenzadresse

Dr. M. HausteinKlinik und Poliklinik für  Augenheilkunde,  Universitätsaugenklinik der medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus, TU DresdenFetscher Str. 74, 01307 Dresdenmichael.haustein@ uniklinikum-dresden.de

Interessenkonflikt.  Der korrespondierende Autor gibt für sich und seine Koautoren an, dass kein Interes-senkonflikt besteht.

Literatur

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5Der Ophthalmologe 2013  |