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"Phantastische Literatur" Ein Abend mit Gustav Meyrink, Alfred Kubin und Franz Sedlacek Es lasen: Bettina Gmoser, Horst Dinges und Tom Burger im read!!ing room am 09. Juni 2017 in Wien Zusammenstellung der Lesung: Peter Miniböck Einleitung: Thierry Elsen

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"Phantastische Literatur" Ein Abend mit Gustav Meyrink, Alfred Kubin und Franz Sedlacek

Es lasen: Bettina Gmoser, Horst Dinges und Tom Burger

im read!!ing room am 09. Juni 2017 in Wien

Zusammenstellung der Lesung: Peter Miniböck

Einleitung: Thierry Elsen

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Einleitung vor der Einleitung:

ie drei Künstler, die wir Ihnen heute Abend vorstellen

wollen, könnten unterschiedlicher nicht sein: Gustav

Meyrink, der Schriftsteller mit einem Faible für das

Esoterische, Alfred Kubin, der begnadete Illustrator mit

dem sehr expressionistischen Strich und Franz Sedlacek,

der bürgerliche Chemiker und phantastische Maler, der in zwei

parallelen Welten zu Hause ist.

Die Aufgabe dieser kleinen Einleitung ist es, das Gemeinsame und die

Verbindungen zwischen diesen drei Herren aufzuzeigen. Dabei wird

natürlich kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Neben den

intertextuellen Bezügen, die wir lediglich anreißen wollen und den

Gemeinsamkeiten in künstlerischen Themen- und Fragestellungen,

steht ein altmodisch positivistisch-biografischer Zugang im Zentrum

dieser Betrachtungen. Dieser Zugang, so öde er auch sein mag, ist eine

wichtige Basis um mögliche Aussagen über Werk, Intertextualität und

Interpretation abzusichern.

Ich habe während meiner Recherchen nur sehr wenige Belege

gefunden, die unser Triumvirat gemeinsam verorten. In einem Artikel

zu einer "Internationalen Karikaturausstellung im [Wiener]

Künstlerhaus" wird Alfred Kubin und Franz Sedlacek bescheinigt

"höchst originelle, groteske Kompositionen" zu schaffen, während

Gustav Meyrink mit seinem "Lieber Augustin" - dem Versuch einer

Satireschrift, die nur von kurzer Dauer war, erwähnt wird. Alle drei

werden also vom Rezensenten Dr. Hans Antwicz-Kleehoven in ein und

demselben Artikel auf Seite 6 in der Wiener Zeitung vom 17. April 1932

erwähnt. Dies ist allerdings der einzige Beleg, den ich gefunden habe,

der unsere drei Protagonisten des heutigen Abends in einem Atemzug

nennt.

Die Satire ist das eigentlich einende Band zwischen den drei Herren -

zumindest vor dem Ersten Weltkrieg. Kubin, Sedlacek und Meyrink

waren Beiträger für die Satirezeitschriften "Simplicissismus" und

"Jugend" (München). Für Alfred Kubin ist die Mitarbeit im

"Simplicissimus" eine wichtige Aufgabe. Laut digitalisiertem Archiv

(http://www.simplicissimus.info) finden sich von ihm 234 Beiträge und

Nennungen (meist Illustrationen), von Gustav Meyrink sind es

immerhin noch 52 (das meiste sind eigene Texte) und von Franz

Sedlacek immerhin noch 15 (alles Illustrierungen). Auch dies ist eine

Gemeinsamkeit, die nicht unerwähnt bleiben soll. Die Nähe ist sogar in

einigen Heften mehr als räumlich. In der Ausgabe vom 10.05.1926 (Jg.

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31, Heft 6) finden wir Gustav Meyrink Erzählung "Der Astrolog" auf Seite 79.

Auf Seite 78 befindet sich Alfred Kubins Grafik "Die heiligen Schlangen". Abgesehen von dieser

"räumlichen" Nähe haben die beiden Arbeiten keinen Bezug zueinander.

Die Beiträge im "Simplicissismus" und in anderen satirischen Organen sind eine Konstante bei

allen drei Künstlern. "Lieber Augustin" sollte sogar eine Wiener Dépendance des Münchner

"Simplicissimus" werden. Da alle drei über Jahre hinweg im Simplicissimus publizierten, ließen

sich auch Entwicklungen von Meyrink, Sedlacek und Kubin feststellen, auf die wir an dieser

Stelle nicht eingehen können.

Es gibt keine künstlerische und biographische Ménage-à-trois der Herren Meyrink, Sedlacek und

Kubin. Deshalb geziemt es sich die Beziehungen "paarweise" zu präsentieren.

Gustav Meyrink und Alfred Kubin

eyrink und Kubin verband eine jahrelange Freundschaft, die sich auch direkt im

Werk der beiden manifestierte. Als Beispiel sei nur die Erzählung "Sonnenspuk"

genannt, die Meyrink 1928 veröffentlichte. Gustav Meyrink nahm direkten Bezug

auf Kubin. Der erste Satz lautet:

"Mein Freund, der Maler Alfred Kubin, behauptet immer, wenn wir bei einem Glase Schilcher

zusammen sitzen, (was leider nur mehr selten geschieht), es gebe den Teufel; wieso könne er ihn

denn sonst zeichnen oder gar malen?!" (http://literatten.bplaced.net/ap/m/Sonnenspuk.php)

Dieses Spiel finden wir auch in anderen Erzählungen. Es war eine Eigenheit Meyrinks Bekannte,

Freunde, aber auch Feinde in seinen Geschichten aufscheinen zu lassen. In der Erzählung: "Die

vier Mondbrüder", die in Wernstein am Inn spielt, wird der "wilde Maler Kubin" erwähnt, der im

Kreis seiner Söhne rauschende Orgien feiern soll. Die Darstellung ist wohl kalkuliert und

unterstreicht den satirischen Charakter von Meyrinks Schreibweise. Die Geschichte erschien

1915 in einem Sammelband mit dem Titel "Der Gespensterkrieg. Mit Illustrationen von Alfred

Kubin." Herausgegeben wurde der Band von Herbert Eulenberg; Meyrink steuerte besagte

Geschichte bei und befand sich in guter Gesellschaft. Auch das von Felix Schloemp

herausgegebene "Das unheimliche Buch" enthält einen Text von Gustav Meyrink (neben Texten

von Poe, Busson etc.) Alfred Kubin steuerte auch hier 15 Illustrationen bei. Der Band wurde

1914 bei Georg Müller in München aufgelegt. Wahrscheinlich lassen sich noch X andere

Anthologien aus dieser Zeit auftreiben, in denen sowohl Kubin als auch Meyrink aufscheinen. Sie

sollen nur ein Beleg dafür sein, dass ihr Werk sich ergänzte.

Kubin und Meyrink lernten sich Ende Februar 1905 kennen. Beide trafen sich im Hotel Panhans

am Semmering. Kubin befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer Schaffenskrise. Er nutzte einen

Aufenthalt in Wien und die Sammlung des Kunsthistorischen Museums (insbesondere die Bilder

Pieter Brueghels) als Inspirationsquelle. Kubin führte die Erkrankung seiner Frau und

auftretende Visionen an, die ihn in eine "trübe Stimmung" versetzten. Es war die Zeit als Gustav

Meyrink wieder in Wien wohnte und das ambitionierte Projekt einer eigenen Satirezeitschrift -

quasi als Ableger des Münchner Simplicissimus - in Angriff nahm. Der "Lieber Augustin" wurde

eine Zeitschrift, die "Nichts Gezwungenes, nichts Plumpes oder Triviales; größte

künstlerische Freiheit allen Mitarbeitern." gewähren sollte und auch entsprechende

Honorare versprach, was schlussendlich zum Untergang führte. Meyrink bot seinem Freund

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Alfred Kubin eine wichtige Publikationsmöglichkeit. Kubin war damals noch relativ unbekannt -

er war im "Lieber Augustin" mit insgesamt 13 Arbeiten vertreten. Meyrink betätigte sich auch

als "Makler" für Kubin. Angebote für die Originale der Abbildungen wurden vom Herausgeber an

den Mitarbeiter Kubin weiter geleitet.

Eine jahrelang währende Arbeitsbeziehung und Freundschaft nahm 1905 ihren Lauf. Wie bereits

angedeutet illustrierte Kubin etliche Texte von Gustav Meyrink. Laut Veronika Schmeer sei es

wohl kein Zufall, dass Alfred Kubin jene Illustrationen, die er für Gustav Meyrinks bekanntesten

Roman, "Der Golem" vorgesehen hatte, in sein eigenes Werk einfließen ließ.

Meyrink beauftragte Kubin wahrscheinlich bereits 1905 mit Illustrationen für seinen

Hauptroman. Allerdings sollte das Projekt sich nicht so schnell realisieren lassen. Meyrink litt

angeblich an einer Schreibblockade. Fakt ist, dass er in dieser Zeit einige Übersetzungen aus der

englischen Literatur schuf. Da der ehemalige Bankier keine neuen Texte mehr lieferte, hörte

Kubin auch mit den Illustrationen auf. Fest steht, dass Meyrink "Der Golem" erst 1915

veröffentlichte und böse Zungen behaupten, dass Kubins Roman auf Meyrinks Entwurf aufbaut.

Tatsächlich war es komplexer.

Der Literaturwissenschaftler Hartmut Binder, der neben seinen vielen Arbeiten zu Franz Kafka,

auch eine Gustav Meyrink-Monografie schrieb, wies 2009 eine wechselseitige Beeinflussung

zwischen Alfred Kubin und Gustav Meyrink nach. Anfang 1907 besuchte Kubin - laut Binder -

Meyrink in München. Bei einem Gespräch soll Meyrink erwähnt haben, dass der Roman bereits

zur Hälfte fertig sei und Kubin solle das Werk weiter illustrieren (Binder; 2009; 429). Dass es

sich bei besagtem Werk um "Der Golem" handelte, wird in späteren Briefen suggeriert. Kubin

habe 11 Blätter für das Hauptwerk Gustav Meyrinks geschaffen. Binder verdeutlicht, dass Kubin

die Blätter für seinen eigenen Roman "Die andere Seite" einsetzte. Ob "Der Golem" nun

tatsächlich bereits 1905 oder erst 1907 begonnen wurde, ist für unser Unterfangen nicht

wichtig, da Kubins "Die andere Seite" 1909 erschien und Kubin angibt, den Roman sehr schnell

abgefasst zu haben.

Man kann also davon ausgehen, dass Kubin das Werk Meyrinks zumindest in Auszügen kannte,

bevor er seinen eigenen Roman schrieb. Auch besaß Meyrink Zeit seines Lebens einige Originale

Kubins, die im Stiegenhaus seines Hauses in Starnberg hingen. Eines dieser Originale war eine

Zeichnung für "Der Golem".

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch Peter Cersowskys Hinweis auf den Einfluss von

"Die andere Seite" auf "Der Golem". Zitat: "Nach der Überwindung von Meyrinks

Schaffenskrise kam es dann, wie Kubin in einem Brief mitteilt, zur gegenläufigen

Anregung der späteren 'Der Golem'-Kapitel durch Kubins eigenen Roman". (Cersowsky;

1989; 27)

Kubin erwähnte in seinem kurzen autobiografischen Text "Dämonen und Nachtgesichte" die

Zusammenarbeit mit Gustav Meyrink mit keinem Wort. Allerdings gab er interessante Einblicke

in die Entstehungsgeschichte seines Werks - und in seine Welt. Kubin führte den Ursprung von

"Die andere Seite" auf eine Reise mit Fritz von Herzmanovsky-Orlando zurück: "Ich gab mich

allen Reiseeindrücken wahllos hin, und schon auf dem Heimweg - am Gardasee - spürte ich ein

zitterndes Verlangen, mich wieder zeichnerisch zu betätigen; was es werden sollte, wußte ich

selbst noch nicht, wollte auch noch gar nicht daran denken. Aber deutlich merkte ich, wie ich die

ganze Umwelt mit neuen Augen ansah, wie ein innerer Glanz, in mir lebendig wurde. Voll Eile

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und Sehnsucht kam ich zu Hause an. Als ich dann eine Zeichnung anfangen wollte, ging es

absolut nicht. Ich war nicht imstande, zusammenhängende, sinnvolle Striche zu zeichnen.

Diesem neuen Phänomen stand ich erschrocken gegenüber; denn, ich muß es wiederholen, ich

war innerlich ganz und gar mit Arbeitsdrang gefüllt. Um nur etwas zu tun und mich zu entlasten,

fing ich nun an, selbst eine abenteuerliche Geschichte auszudenken und niederzuschreiben. Und

nun strömten mir die Ideen in Überfülle zu, peitschten mich Tag und Nacht zur Arbeit, so daß

bereits in zwölf Wochen mein phantastischer Roman 'Die andere Seite' geschrieben war."

Nicht ohne Stolz berichtete Kubin, dass sein 1909 bei Georg Müller erschienener einziger Roman

ihm einige Anerkennung eingebrachte. Er sah den Roman auch als Markstein in seiner eigenen

Entwicklung: "Ich gewann während ihrer Verfassung (=Verfassen von 'Die andere Seite': Anm:

the) die gereifte Erkenntnis, daß nicht nur in den bizarren, erhabenen und komischen

Augenblicken des Daseins höchste Werte liegen, sondern daß das Peinliche, Gleichgültige und

Alltäglich-Nebensächliche dieselben Geheimnisse enthält. Daß ich schrieb, anstatt zu zeichnen,

lag in der Natur der Sache, das Mittel war gerade passend, mich rascher der drängenden Ideen

zu entledigen, als es anders möglich gewesen wäre." (Kubin; 1959; 40) Kubin sah sich also in

erster Linie als bildender Künstler und nicht als Schriftsteller.

Auch über "Der Golem" hinaus zeigte Alfred Kubin ein kontinuierliches Interesse am Schaffen

von Gustav Meyrink. In der Bibliothek von Kubin seien zahlreiche Schriften des Prager

Schriftstellers erhalten. Außerdem standen die beiden Persönlichkeiten in einem regen

Briefwechsel bis in das Jahr 1930. Mehrere Besuche Kubins bei Meyrink am Starnberger See

werden in der Literatur ebenso erwähnt. (Luger;2012; 99)

Die Zusammenarbeit ging jedoch weiter. Kubin illustrierte später noch Geschichten von Gustav

Meyrink - Binder nennt "Pflanzen des Doktor Cinderella", und die bereits erwähnten "Vier

Mondbrüder" und "Sonnenspuk". Auch die späteren Werke Meyrinks, wie "Das Grüne Gesicht"

oder "Die Walpurgisnacht" las Kubin sofort nach ihrem Erscheinen und besprach diese meist

kurz in Briefen an Fritz von Herzmanovsky-Orlando. Die letzte Zusammenarbeit zwischen

Meyrink und Kubin war "Sonnenspuk". Die Geschichte erschien im Februar 1929 in der

Zeitschrift "Sport im Bild" mit zwei Zeichnungen von Kubin.

Bei einer ersten Recherche entsteht der Eindruck, dass Kubin und Meyrink erst durch die

Rezeption in den 80ern und 90ern als Gespann wahrgenommen wurden. Tatsache ist, dass auch

bereits zu Lebzeiten die beiden Künstler in Verbindung gebracht wurden. Der Schriftsteller

Kasimir Edschmid publizierte bereits 1920 eine Aufsatzsammlung zur damals zeitgenössischen

Literatur. "Dennoch ist er [Meyrink: Anm.] schwer verkannt. Sein Wesentliches wird effektiv

lange währen, wenn auch die Signale und Symbole, die er um sein Starnberger Haus gesteckt hat,

mit manchen Winden nach der Zugspitze flattern werden. Aber aus Kolportage, Bordell und

heiliger Handlung richten sich gleich Fahnenspitzen die Dinge immer ins Gespenstige und das

Entscheidende tritt ein, daß es hieraus genauso sicher ins Symbolische geht. Also ist Größe oft

nicht fern. Auch ist die Sprache oft von dichterisch gezähmter Kraft. Manchmal kommt er von

Kubin bis Ensor und zu Munch." (Edschmid; 1920; 146)

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Gustav Meyrink und Franz Sedlacek

ranz Sedlacek, seines Zeichen studierter Chemiker, Beamter und autodidaktischer

Maler ließ sich von Gustav Meyrinks Texten für seine Malerei inspirieren. Dies ist

gewiss. Aber auch Gustav Meyrink kannte das Oeuvre von Franz Sedlacek und nahm

das eine oder andere Bild des Wiener Malers als Inspiration. Man vermutet, dass

etwa Meyrinks "Das Wachsfigurenkabinett" als Vorlage für Sedlaceks 1932 gemaltes

Bild "Beim Moulagenbilder" diente (Spindler/Storch; 2014; 50). Meyrink kannte jedoch auch das

Werk von Franz Sedlacek. Auch das ist gewiss und eindeutig belgbar. So wie er Alfred Kubin ein

literarisches Denkmal setzte, so tat er dies auch im Falle von Franz Sedlacek in der Erzählung

"Dr. Haselmayers weißer Kakadu".

Gustav Meyrink schrieb die letzten Jahre seines Lebens im Wesentlichen für die Berliner

Wochenzeitschrift "Sport im Bild". Die erste Erzählung, die er in diesem Medium veröffentlichte,

war "Dr. Haselmeyers weißer Kakadu" (30. März 1928), deren Titelfigur uns schon in den "Vier

Mondbrüdern" begegnete. Die Geschichte dreht sich um den angeblichen Tod des

achtzigjährigen Protagonisten Dr. Haselmayer. Dieser Dr. Haselmeyer ist eine wichtige Figur in

Meyrinks Spätwerk, sollte er doch die zentrale Figur eines Romans werden, der die esoterischen

Lebensideale von Gustav Meyrink - wie Harmut Binder es ausdrückt "beispielsweise

verwirklichen sollte" (Binder; 2009; 663).

Ausgangspunkt und Inspiration für die Erzählung war, wie bereits angedeutet, Franz Sedlaceks

Ölbild "Die Bibliothek" (entstanden 1926), das einen älteren bebrillten Herrn vor einer

Bücherwand zeigt und einen weißen Kakadu auf der anderen Seite des Zimmers. Sedlaceks Bild

wurde der veröffentlichten Erzählung als Illustration beigegeben. "Der greise Maler Sedlacek"

wird namentlich erwähnt. Nebenbei sei angemerkt, dass Franz Sedlacek zu diesem Zeitpunkt

gerade einmal 37 Jahre alt war.

Dies ist der bestdokumentierteste Bezug zwischen Gustav Meyrink und Franz Sedlacek. Der Text

wurde sogar in der großen Franz-Sedlacek-Monografie von Spindler und Strohhammer zur

Gänze abgedruckt.

Andere Bezüge gibt es sicherlich: Zufall oder nicht. 1916 erschien Meyrinks Band "Fledermäuse"

mit 7 Kurzgeschichten. 1931 schuf Sedlacek sein Werk "Lied in der Dämmerung", das eine

Fledermaus als zentrales Motiv zeigt. Allerdings sind diese Bezüge mehr als hypothetisch und

bedürfen einer Absicherung durch die Biographie. Erstaunlicherweise gibt es selbst in der über

700-seitigen Monographie zu Gustav Meyrink, die Hartmut Binder 2009 vorlegte, keine

unmittelbaren biographischen Bezüge zwischen Meyrink und Sedlacek. Es könnte also ein

Desiderat an die Literaturwissenschaft sein, die Beziehungen zwischen Gustav Meyrink und

Franz Sedlacek zu verdeutlichen.

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Franz Sedlacek und Alfred Kubin

lfred Kubin und Franz Sedlacek werden sehr oft in einem Atemzug genannt, wenn

es um den "Phantastischen Realismus" geht. Dies hat vor allem thematische

Gründe. So schreibt die Tageszeitung "Der Standard" anlässlich einer Auktion:

"Gemeinsam mit Alfred Kubin und Fritz v. Herzmanovsky-Orlando gilt Sedlacek

als Urvater des österreichischen Phantastischen Realismus. (...) Sein Oeuvre unterteilt sich in

Früh- (1919–25) und Spätwerk (1925–39, danach Kriegsdienst). Unter der glatten Oberfläche

seiner strengen, akribisch durchdachten Kompositionen lauert entweder beißende Ironie oder

Furchterregendes, womit das Typische seiner Arbeiten charakterisiert ist. (...) Während Kubins

Grauen schockierend ist, bleibt Sedlaceks hintergründig, womit er eine unvergleichbare

fantastische Dimension schuf, wie das aktuell im Kinsky angebotene "Beim Moulagenmacher"

(1932) zeigt. Eine Moulage (frz.: etwas formen) wurde bis in die 1930er-Jahre vor der

Entwicklung der Farbfotografie in der Medizin verwendet, um besondere Krankheiten als

Dokumentation plastisch nachzuformen, in Wachs zu gießen und zu bemalen. Sedlacek nimmt so

Bezug auf Deformationen des Körpers und konnte dabei ganz sein fantastisches Repertoire

ausleben." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.6.2007).

Da ist es wieder: Bei allem Grauen in den Darstellungen finden wir die Ironie und die Satire - bei

Kubin mag sich dieses Element ein wenig verflüchtigt haben oder nur ein Teil seiner Kunst

abzudecken. Bei Sedlacek ist die Satire - sobald Menschen dargestellt werden - ein wichtiges

Element, das sich wie ein roter Faden durch sein Werk zieht.

Aber es gibt natürlich auch direkte Bezüge. Beate Schlöglhofer verwies in Ihrer Diplomarbeit zu

Alfred Kubin nicht nur darauf, dass Sedlacek und Kubin in der Linzer Künstlergruppe MAERZ

arbeiteten. Sie zitierte auch eine Dissertation von Elisabeth Hinter-Weinlich. Beide hätten Edgar

Allan Poe illustriert. Georg Müller gab 1920 einen Poe-Band unter dem Titel "Nebelmeer" heraus

- mit 29 Illustrationen von Alfred Kubin. 1923 wurden Sedlaceks Illustrationen zu Poe

veröffentlicht allerdings als Einzelblätter. Laut Schlöglhofer weise Sedlaceks Illustration „Der

rote Tod“ starke Ähnlichkeiten zu Kubins Frühwerk auf. Allerdings verfolgten die Illustrationen

Kubins einen expressiveren Stil. (Schlöglhofer; 2011; 84).

Auch bearbeiteten beide ähnliche Themen. Stellvertretend sind zwei Zeichnungen aus dem

"Simplicissismus". Die erste Zeichnung (siehe Seite 8) zeigt Franz Sedlaceks "Der Baum des

Lebens und der Baum der Erkenntnis" (Simpicissismus, 17. Juni 1917). Die zweite Zeichnung

zeigt "Der Lebensbaum" von Alfred Kubin und wurde ein Jahr später am 03. 12. 1918 ebenso im

"Simplicissimus" abgedruckt. Bei Sedlacek lässt sich der ausgeprägte Hang zur Satire sofort

erkennen. Auch stilistisch sind die beiden Zeichnungen sehr unterschiedlich - obwohl beide in

einem sehr nahen Zeitraum dasselbe Thema bearbeiten.

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Auch literarische Bezüge gibt es. Beide

schrieben mehr oder weniger nur jeweils ein

größeres Werk. Kubins Roman "Die andere

Seite" wurde 1909 veröffentlicht, Sedlaceks

"Die Stadt", ein Fragment, erst posthum.

Interessanterweise wurde in der Literatur

kein Bezug zwischen Sedlaceks "Die Stadt"

und dem Oeuvre von Gustav Meyrink

hergestellt. Martin Lichtmesz kommentierte in der Ausgabe 60 der Zeitschrift "Sezession" (Juni

2014). "Die Stadt schildert ähnlich wie Kubins 'Die andere Seite' eine Reise in ein Zwischenreich,

in dem die Logik des Traumes herrscht, angelegt als Wanderung durch mehrere Sedlacek-

Gemälde, die detailliert beschrieben werden. Die titelgebende 'Stadt' bleibt ungenannt, ist aber

unverkennbar das dämonisch-gemütliche Wien, in dem der Erzähler gefangen ist wie die

Figuren in Kafkas Erzählungen..."

Und noch expliziter...

"Kubins Roman 'Die andere Seite', seine fantastische Literatur- und Kunstsammlung, die

Sedlacek kannte, seine Vorliebe für das Unheimliche, Zwielichtige, Gespenstische, das

Somnambule, beeinflussten Sedlacek ebenso, wie die Filme von Fritz Lang (Metropolis, 1926)

oder Robert Wiener (Das Kabinett des Doktor Caligari, 1920)." (Elisabeth Nowak-Thaller;

Kunstgeschichte aktuell 1/12).

Über das Werk hinaus gab es - wie bereits angedeutet - eine persönliche Interaktion der beiden

Künstler. Franz Sedlacek war Mitglied der ersten Stunde bei MAERZ, als sich der Verein 1913

vom Oberösterreichischen Kunstverein abspaltete. Kubin soll angeblich erst 1923 dem Verein

beigetreten sein. Die beiden standen auch im Briefwechsel: In der Monografie von Spindler /

Strohhammer wird ein Brief aus dem Jahre 1941 von Franz Sedlacek an Alfred Kubin erwähnt.

Der Anlass des Briefes war traurig genug. Sedlaceks erst 16-jährige Tochter verstarb im Jänner

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1941. In einem Brief aus dem Februar 1941 gab Sedlacek Einblicke in seine

Trauer. Ebenfalls in Briefen an Kubin beklagte sich Sedlacek über seinen

Kriegsdienst und die verlorenen Jahre.

Genauso wie bei Sedlacek und Meyrink wurden die Details der Beziehung

zwischen Franz Sedlacek und Alfred Kubin alles andere als umfassend

aufgearbeitet. Dies liegt auch daran, dass man Franz Sedlacek erst in den letzten

Jahren wieder entdeckte.

Ein Wort noch zu Franz Sedlaceks politischer Positionierung: Sedlacek war

Mitglied der NSdAP und war bereits 1937 Mitglied der Nationalsozialistischen

Betriebsorganisation im Technischen Museum. Er wurde weitgehend

deutschnational erzogen. Es gibt Hinweise, die zeigen, dass Sedlacek politische

Meinungen innerhalb und außerhalb seines Werks vertrat. Abgesehen von seinem

zweifachen Militärdienst sind einige Zeichnungen von Sedlacek, die im

Simplicissimus während des ersten Weltkrieges erschienen, Teil der

antibritischen Propaganda.

azit: Dieser Abend soll ein Impuls für eine Wiederentdeckung sein. Die

Bezüge zwischen Malerei und Schreiben sind evident. Es ist kein Zufall,

dass Peter Miniböck diese Auswahl traf, sind die Bilder von Franz

Sedlacek und Autoren wie Kafka, Musil uam. doch wichtige

Impulsquellen für den Schriftsteller Miniböck. Eine erste kursorische

Beschäftigung mit den Herren Meyrink, Sedlacek und Kubin zeigt, dass hier noch

viel Stoff für die Forschung sowohl aus literaturwissenschaftlicher, als auch aus

kunstgeschichtlicher Sicht vorhanden ist.

Literatur: Antwicz-Kleehoven, Hans. Die internationale Karikaturenausstellung im Künstlerhaus. Wiener Zeitung, Sonntag, 17. April 1932. Binder, Hartmut. Gustav Meyrink. Ein Leben im Bann der Magie. Mit 303 Abbildungen und zwei Stadtplänen. Vitalis, Prag 2009. Cersowsky, Peter. Phantastische Literatur im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Untersuchungen zum Strukturwandel des Genres, seinen geistesgeschichtlichen Voraussetzungen und zur Tradition der 'schwarzen Romantik' inbesondere bei Gustav Meyrink, Alfred Kubin und Franz Kafka; Wilhelm Fink Verlag, München 1989. Edschmid, Kasimir. Die doppelköpfige Nymphe. Aufsätze über die Literatur und die Gegenwart. P. Cassirer, Berlin 1920. Lichtmesz, Martin. Im Zwischenreich – Sedlaceks »Stadt«. In: Sezession 60 / Juni 2014 Luger, Katleen Jasmin „Studien zur esoterischen Dimension in Leben und Werk von Alfred Kubin“. Diplomarbeit Universität Wien, 2012. Nowak-Thaller, Elisabeth. Niemand wusste bisher, dass er nebenbei noch ein Maler war: Der Maler Franz Sedlacek. In: Kunstgeschichte aktuell. Mitteilungen des Verbandes österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker. Ausgabe 1/2012,

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Thierry Elsen: "Phantastische Literatur". Franz Sedlacek, Gustav Meyrink und Alfred Kubin im Vergleich 10

Ruthner, Clemens. TRAUMREICH. Die fantastische Allegorie der Habsburger Monarchie in Alfred Kubins Roman "Die andere Seite" (1908/09). Kakanienrevisted, 29. 10. 2004. Schlöglhofer, Beate.„Der Graphiker Alfred Kubin als Impulsgeber der Illustrationskunst des 20. Jahrhunderts“ Diplomarbeit, Universität Wien, Mai 2011. Schmeer, Veronika. Inszenierung des Unheimlichen: Prag als Topos – Buchillustrationen der deutschsprachigen Prager Moderne (1914–1925). V&R Unipress, 2015.