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44 Thioharnstoff-Komplexsalze des Bleies und Thalliums ; von C. Mahr. (Mitbearbeitet von Bertha Ohle.) [Aus dem chemischen Institut der Technischen Hochschulc Karlsruhe.! (Eingelaufcn am 23. August 1939.) Wie in einer Reihe von Arbeiten gezeigt werden konnte’), haben einige Metall-Thioharnstoff-Komplexverbindungen Be- deutung fur die analytische Bestimmung dieser Metalle. Bei der Durchsicht der zahlreichen in der Literatur beschriebenen Thioharnstoff-Komplexsalze fie1 auf, das trotz der ihnlich- keit des Harnstoffes und des Thioharnstoffes in chemischer und physikalischer Beziehung die Zusammensetzung der Komplexsalze, die diese beiden Stoffe bilden, erhebliche Unterschiede aufweist. Wahrend vom Harnstoff eine groBe Anzahl von Komplexverbindnngen bekannt ist, in denen 6 Molekule gebunden werden, sind bisher nur drei Salze mit 6 Thioharnstoffmolekulen beschrieben worden, niimlich ein CsThi,Cl(Thi = CS(NH,),) ,), ein [OsThi,]CI,OH 3, und ein CaThi,J, ”). Dabei sollte man in Anbetracht der leichteren Polarisierbarkeit beim Thioharnstoff an sich eine starkere NeigungzurKomplexbildungerwarten. Thioharnstoffkomplex- salze mit einer geringeren Anzahl von Thioharnstoffmolekiilen als Liganden sind allerdings in grolier Anzahl bekannt, und auch die Unterscheidung einzelner dieser Sake als Anlage- rungs- oder Einlagerungsverbindungen im Sinne der We r ne r - schen Auffassung wurde durch Leitfahigkeitsmessungen 5, sichergestellt. Besondcrs schon sieht man diesen Unterschied an den Quecksilber- Thioharnstoff-chloriden, die als @XgThi,CI,] und [HgThi,]CI, zu formulieren I) C. Mahr u. H. Ohle, Fr. 115,254 (1938), Z. a. Ch. 234,224 (1937); 2, A.Rosenheim u. W.Lowenstamm, Z. a. Ch. 34, 75 (1903). s, L.Tschugajew, Z. a. Ch. 148, 65 (1925). 3 F. R. Greenbaum, Journ. Amer. pharmac. Assoc. 18, 774. 5, u. a. A. R o s c n h e i m u. V. J. Meyer, Z. a. Ch. 49, 13 (1906). C. Mahr, Mikroch. 26, 67.

Thioharnstoff-Komplexsalze des Bleies und Thalliums

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Page 1: Thioharnstoff-Komplexsalze des Bleies und Thalliums

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Thioharnstoff-Komplexsalze des Bleies und Thalliums ;

von C. Mahr. (Mitbearbeitet von Bertha Ohle.) [Aus dem chemischen Institut der Technischen Hochschulc Karlsruhe.!

(Eingelaufcn am 23. August 1939.)

Wie in einer Reihe von Arbeiten gezeigt werden konnte’), haben einige Metall-Thioharnstoff-Komplexverbindungen Be- deutung fur die analytische Bestimmung dieser Metalle. Bei der Durchsicht der zahlreichen in der Literatur beschriebenen Thioharnstoff-Komplexsalze fie1 auf, das trotz der ihnlich- keit des Harnstoffes und des Thioharnstoffes in chemischer und physikalischer Beziehung die Zusammensetzung der Komplexsalze, die diese beiden Stoffe bilden, erhebliche Unterschiede aufweist. Wahrend vom Harnstoff eine groBe Anzahl von Komplexverbindnngen bekannt ist, in denen 6 Molekule gebunden werden, sind bisher nur drei Salze mit 6 Thioharnstoffmolekulen beschrieben worden, niimlich ein CsThi,Cl(Thi = CS(NH,),) ,), ein [OsThi,]CI,OH 3, und ein CaThi,J, ”). Dabei sollte man in Anbetracht der leichteren Polarisierbarkeit beim Thioharnstoff an sich eine starkere NeigungzurKomplexbildungerwarten. Thioharnstoffkomplex- salze mit einer geringeren Anzahl von Thioharnstoffmolekiilen als Liganden sind allerdings in grolier Anzahl bekannt, und auch die Unterscheidung einzelner dieser Sake als Anlage- rungs- oder Einlagerungsverbindungen im Sinne der We r ne r - schen Auffassung wurde durch Leitfahigkeitsmessungen 5,

sichergestellt. Besondcrs schon sieht man diesen Unterschied an den Quecksilber-

Thioharnstoff-chloriden, die als @XgThi,CI,] und [HgThi,]CI, zu formulieren

I) C. M a h r u. H. O h l e , Fr. 115,254 (1938), Z. a. Ch. 234,224 (1937);

2, A . R o s e n h e i m u. W . L o w e n s t a m m , Z. a. Ch. 34, 75 (1903). s, L . T s c h u g a j e w , Z. a. Ch. 148, 65 (1925). 3 F. R. G r e e n b a u m , Journ. Amer. pharmac. Assoc. 18, 774. 5, u. a. A. R o s c n h e i m u. V. J. M e y e r , Z. a. Ch. 49, 13 (1906).

C. Mahr , Mikroch. 26, 67.

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sind. Die meisten anderen Thioharnstoff-Iiomplexe sind jedoch weniger bestandig und in wiissriger Liisung weitgehend in die Metall-aquo-Ionen und freien Thioharnstoff zerfallen. Sogar in den stark komplexen Kupfer(1)-Thioharnstoff-Salzen, die in thioharnstofialtiger Liisung nicht einmal mit Schwefelwasserstoff einen Sulfidniederschlag geben *), spaltet sich in verdunnter Liisung ein Thioharnstoff-Molekul ab und es entsteht das Ion [C~Thi,H,01~). Dadurch wird das Bild der Thioharnstoff-Komlex- salze sehr mannigfaltig. Betrachtet man jedoch eine ganze Salzreihe, z. B. die Reihe der bis jetzt bekannten Zink-Thioharnstoffsalze Zn(SCN),Thi, (I), ZnCl,Thi, (11), ZnSO,Thi, (111), Zn(NO,),Thi, (IV),

so wird deren Zusammensetzung am besten wohl so dargestellt, daB man die Salze 1-111 als Anlagerungsverbindungen, das Salz IV jedoch als Einlagerungsverbindung ansieht. Zink ist also hier stets vierbindig,), nur besetzen in den Salzen 1-111 die Anionen je eine Koordinations- stelle. Der Unterschied gegen die sonst ublichen Komplexformeln fiir gelijste Ionen ist hier der, daB diese Formulierungen nur fiir die festen Salze gelten, denn, wie bereits erwlhnt, liegen in waSriger Liisung die Thioharnstoffkomplexe nicht mehr unverandert vor. 3 Wenn auch fur den Aufbau der festen Phase in Komplexverbindungen raumliche Verhalt- nisse mit maBgebend sind, so ist doch die Annahme einer uber die reine Ionenbeziehung hinausgehende Bindungsweise zwischen C1, SCN oder SO, und Zink, die zwischen NO, und Zink nicht vorhanden oder vie1 schwacher ist, durchaus mit den Erfahrungen bei anderen Komplex- verbindungen und mit den Krystallstrukturverhaltnissen 5, in Einklang. Dabei werden nicht nur Dipol-, sondern auch Austauschkrafte auftreten. Auf Grund dieser Auffassung wird eine groBe Amah1 der Komplex- salze, die nur Thioharnstoff als Neutralteil enthalten, im Aufbau ver- standlich. Fur das in diesem Falle vierbindige Cadmium gelten folgende Formeln : [CdCl,Thi,], [Cd(SCN),Thi,], [CdThi,SO,], beim vierbindigen Quecksilber ergibt sich: [HgCl,Thi,], (?Hg(CN),Thi,], [Hg(SCN),Thi,], [HgThi,SO,], [I-IgThi,]Cl,. Vom sechsbindigen Chrom leitet sich ab : [CrThi,Cl,], wahrend vom sechsbindigen Wismut die Salze [BiCl,Thi,] und [BiOHThi,J(NO,), bekannt sind.

Wegen ihrer analytischen Verwendbarkeit interessierten uns Tor allem die Blei- und Thallium-Thioharnstoff-Komplex-

i, C. M a h r , Z. Ang. 65, 412 (1937). %) V. K o h l s c h u t t e r , A. 349, 232 (1906). 8, Bezeichnungcn uach 23. E i s t e r t , Tautomerie und Mesomerie,

Stuttgart 1938. 3 Beim ZnCl,Thi, wurde der vollstiindige Zerfall in waBriger

Lijsung durch G. W a l t e r , M. A d l e r und G. R e i m e r [M. 66, 59 (1934)] nachgewiesen.

6, Vgl. z. U. W. K l e m m , E. C l a u s e n , H. J a c o b i , Z. a. Ch. 2 0 , 367 (1931).

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salze. Beim Blei konnte man auf Grund der Formel PbCl,Thi, des Blei-Thioharnstoffchlorids das zweiwertige Blei hier als vierbindig ansehen. Die von ULIS zur quantitativen Ab- scheidung des Bleis benutzte und durch neue Analysen in ihrer Zusammensetzung sichergestellte Verbindung 2Pb(NO,), X T h i paat jedoch dann nicht in cliese Reihe. Man konnte das Salz zweikernig als [Thi,PbThiPbThi,](N03)2 mit sechsbindigem Blei auffassen, wodurch dann die Salze PbCl, .4Thi und Pb(SCN), .4Thi ebenfalls rnit sechsbindigem Blei als Anlagerungsverbindungen : [PbC1,Thi4] zu formulieren waren. I n diesem Fall war zu erwarten, dal3 man komplexe Bleisalze mit 6 Molekiilen Thioharnstoff erhalten wiirde, wenn man von Salzen ausging, deren Anionen keine Xeigung haben, iiber die reine Ionenbeziehung hinaus mit dem betr. Metallion in Bindungszwischenzustande einzutreten. Wir wahlten daher das Bleiperchlorat und das BkichZorat, dieses, nm dem Einwand zu begegnen, daD das groBe Perchloration zur Steigernng der Koordinationszahl beigetragen habe.

Obwohl bisher zweiwertig-sechsbindiges Blei nur in dem vun E. Wi lke -Dor fu r t und 0. Schl iephakel) hergestellten [Pb(Antipyrin),](ClO,), bekannt war (die bis zum Oktammin hergestellten Verbindungen mit NH, sind hier wohl nicht ohne weiteres vergleichbar), erhielten wir in der Tat sowohl das Bleichlorat wie das Bleiperchlorat rnit 6 Molekiilen Thioharnstoff, also in der Zusammensetzung [PbThi,](ClO,), und [PbThi,](ClO,), .

Andere Metalle, bei denen die Bindung zwischen Metall und Thioharnstoff starker ist und sich mehr dem Charakter von Durchdringungskomplexen nahern diirfte, haben gegen- iiber Thioharnstoff unabhangig vom Anion bevorzugt eine Koordinationszahl. Das ist z. B. der Fall bei allen Palladium- und Platinsalzen (Nitrat, Sulfat und Chlorid), die stets 4 Thioharnstoffmolekiile eingelagert enthalten. Ahnlich liegen auch die Verhaltnisse beim ThaZlium. In Erganzung zu den schon bekannten Salzen T1Thi4C1, T1Thi4N0, und TI,Thi,CO, stellten wir auch beim Thallium das Perchlorat und das

I) Z. a. Ch. 183, 301 (1929).

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Thioharnstoff-Kompbxsalxe des Bleies und ThaZZiums. 47

Chlorat her. Die Formeln beider Salze ergaben sich er- wartungsgemLB ebenfalls mit 4 Thioharnstoffmolekulen zu [T1Thi4]C10, und LTlThi,]ClO,.

D a r s t e l l u n g u n d A n a l y s e d e r n e u e n Thioharns tof f -Kompexsa lze .

Zur Analyse wurden Blei und Thallium aus der waBrigen Losung als Chromat gefallt. Der Stickstoffgehalt dieser leicht verbrennbaren Sdze wurde durch Halbmikroverbrennung nach Dumas bestimmt. Um den Schwefel der Thalliumsalze als Bariumsulfat auswagen zu kannen, wurde das Thalliumsalz in 2 n-Salzsaure gelijst und durch 5 Minuten langes Kochen mit Brom oxydiert. In den Bleisalzen war der Schwefel nicht in dieser Weise zu bcstimmen, auch Destillationen im Broinstroni fiihrten nicht zum Ziel. Ubrigens geben auch Rosenheim und Mitarbeiter keine Schwefelwerte ihrer analysierten Bleisalze an. Nach Auffindung der an anderer Stelle l) beschriebenen Chromat- titration mittels Thioharnstoff ergab sich jedoch ein einfacher Weg zur Bestimmung des Thioharnstoffgehaltes der Salze: Man verwendet zur Titration bekannter Chromatmengen eine waSrige Losung eingewogener Meugen der Bleithioharnstoffverbindung.

Pb(C1 O,), .b'Thi. Zur Darstellung dieses Salzes wurde Bleicarbonat in Uberchlorsaure gelost und die sehr konzentrierte, 20 Proc. freie Uber- chlorsaure enthaltende Lijsung mit dem gleichen Volumen kalt ge- sattigter Thioharnstofflosung versetzt. Nach kurzem Stehen krystallisiert das Salz in weiBen, kompakten Krystallnadeln, die in Wasser leicht lijslich sind.

Ber. Pb 24,02 N 19,48 Thi 52,83 Gef. ,, 24,2, 24,5 ,, 19,6, 19,65 ,, 52,4, 52,5.

Pb(CZ O,), .GThi. Wegen der reduzierenden Wirkung des Thioharn- stoffes auf aaure Chloratlosung muB in neutraler Losung gearbeitet werden. Man lost deshalb Bleicarbonat in einer unzureichenden Menge Chlor- saure auf und versetzt die Liisung naeh dem Abfiltrieren des iiber- schiissigen Bleicarbonates mit dem gleiehen Volumen kalt gesiittigter Thioharnstofflosung. Nach kurzem Stehen scheidet sich ein schwach gelblicher, krystalliner Niederschlag aus, der in Wasser 1Sslich ist.

Ber. P b 24,94 N 20,23 Gef. ,, 25,l, 25,25 ,, 20,17, 20,lO.

nCZ0, .4Thi. Uberchlorsaure ThalliumsalzlGsungen ergeben mit Thioharnstoff die sehr spezifische Fiilluug des Thallium-Thioharnstoff- perchlorats. Der Niedcrschlag bcsteht aus feinen weiBen Krystallnadeln, aus Wasser laBt sich das Salz unzersetzt umkrystallisieren.

l) C. M a h r und H. O h l e , Z. Ang. 62, 238 (1939).

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48 Fr ies uncl Brandas,

Ber. T1 33,60 S 21,09 N 18,42 Thi 50,05 Gef. ,, 33,9, 33,85 ,, 20,8, 21,4 ,, 18,6 ,, 49,8

TlClO, .41’hi. Es wurde eine wlBrige ThalliumacetatlSsung mit dem gleichen Volunien 5 proc. ThioharnstofflGsung versetzt, von einer event. ausfallcnden Acetatverbiudung abfiltriert, nochmals mit des Vol. Wasser verdunnt und die so erhaltene LGsung tropfenweise mit 20 proc. Natriumchloratlosung versetzt. Es fie1 sofort ein wciBer kry- stalliner Niederschlag aus.

Ber. TI 34,51 S 21,65 N 18,96 Gef. ,, 34,2, 34,l ,, 21,3 ,, 18,8, 18,85

Zur Kenntnis der Chinonmethide; von K. Fries und E. Brandes.

[Aus dem Chemisehen Institut der Techn. Hochsehule Bmunsehweig.]

(Eingelaufen am 31. August 1939.)

Unsere Kenntnisse uber die Chemie der von ortho- und para - Phenolalkoholen sich ableitenden, sogenannten Pseudophenolhaloide verdanken wir hauptsachlich K. v. A u w e r s und Th. Zincke . Von beiden ist dieses (rebiet so grundlich durchforscht worden, daS Wesentliches wohl kaum iibersehen ist. Auch iiber den Reaktionsmechanismus der meisten Umwandlungen dieser auSerst reaktionsfahigen Verbindungen und die Rolle, welche dabei die zuerst von Z i n c k e vermuteten und spater auch gefundeneii Chinon- methide (Methylenchinone) spielen, durften Zweifel nicht mehr vorhanden sein ’).

Was aber den beiden Forsehern und auch dem einen von uns, den das Studium der o-Pseudophenolhaloide langere Zeit beschaftigte, nicht gelang, das war die Gewinnung eines Chinonmethids mit einer unsubstituierten Methylen- gruppe. Der eine von uns und auch Z i n c k e haben wohl einmal geglaubt, solche einfachen Chinonmethide in Handen

*) Vgl. hierzu B. 62, A, 41 (1929).