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Thomas Kron · Thomas Grund (Hrsg.) Die Analytische Soziologie in der Diskussion

Thomas Kron · Thomas Grund (Hrsg.) Die Analytische ......Thomas Kron / Thomas Grund Einführung indie Diskussion zur Analytischen Soziologie 1. Einleitung DieAnalytische Soziologie

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  • Thomas Kron · Thomas Grund (Hrsg.)

    Die Analytische Soziologie in der Diskussion

  • Thomas Kron Thomas Grund (Hrsg.)

    Die AnalytischeSoziologie in der Diskussion

  • .

    .1. Auflage 2010

    Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

    Lektorat: Frank Engelhardt

    VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media.www.vs-verlag.de

    Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes istohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbeson derefür Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei-cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesemWerk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solcheNamen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachtenwären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

    Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in Germany

    ISBN 978-3-531-16914-9

    Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

  • Inhalt

    Thomos Kron (Aachen)/ Thomos Grund (Oxford):Einführung in die Diskussion zur Analytischen Soziologie 7

    Sozialtheorie

    MichaelSchmid (München):Mechanismische Erklärungen und die ,,Anatomie des Sozialen".Bemerkungen zum Forschungsprogramm der Analytischen Soziologie 31

    Rainer Greshl!ff(Oldenburg):Wie aussage- und erklärungskräftig sind die sozialtheoretischenKonzepte Peter Hedströms? 67

    Jürgen Macker! (potsdam)Auf den Schultern von Robert Merton?Zu Peter Hedströms Analytischer Soziologie 91

    Christofer Edling (Bremen) / Jens Rydgren (Stockholm)Auf der Suche nach Identität.Analytische Soziologie und die Makro-Mikro-Verbindung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 115

    Markus BaHm (Aachen):Der soziale Wandel der Analytischen Soziologie im Lichtekritischer Reflexion.................................................................. 133

    Handlungstheorie

    Gunn Elisabeth Birkelund (Oslo):Die Kontextualisierung von Akteuren und ihren Präferenzen 153

    Andrea Maurer (München):Die Analytische Soziologie Peter Hedströms und die Traditionder rationalen Sozialtheorie 165

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  • Andreas Diekmann (Zürich):Analytische Soziologie und Rational Choice 193

    Methodologie

    PeterAbell (London):Singuläre Mechanismen und Bayessche Narrative. . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . .. 207

    PerArne Trifte (Oslo):Kritik der Analytischen Soziologie.Zur Kombination von quantitativen und qualitativen Methodenzur Erklärung durch Mechanismen. . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 225

    Riccardo Boero (Turin)/ Flaminio Squa~oni (Brescia):Agentenbasierte Modelle in der Soziologie.Über eine Integration von Empirie und ModelIierung . 243

    Gianluca Manzo (paris):Populationsbasierte versus nachbarschaftsbasierte soziale Vergleiche.Ein agentenbasiertes Modell für das Ausmaß und die Gefühlerelativer Deprivation .. . . . . .. . .. . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . 265

    Autoren................................................................................. 295

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  • Thomas Kron / Thomas Grund

    Einführung in die Diskussion zurAnalytischen Soziologie

    1. Einleitung

    Die Analytische Soziologie ist eine sich "herauskristallisietende" (Barbara 2006) Be-wegung, die sich die Aufgabe gestellt hat, ein neues Forschungsprogramm zu ent-wickeln, "eine Strategie, die soziale Welt zu verstehen" (Hedström/Bearman 2009:4). Auch wenn zentrale Anstöße bereits in "Social Mechanisms" (Hedström/Swed-berg 1998) formuliert worden sind, gilt Hedströms ,,Anatomie des So~/en" (2008[zuerst 2005]) als Manifest dieses Programms, das nun allmählich geschärft werdensoll, indem die systematische Verwendung von Mechanismen in den Sozialwissen-schaften diskutiert (siehe Hedström/Bearman 2009) und zentrale Elemente desForschungsprogramms zusammengestellt werden (siehe Hedström/Ylikoski 2010).Mit dem vorliegenden Sammelband wird dieser Diskurs aufgegriffen, indem ver-schiedene Konzepte und Modelle innerhalb der Analytischen Soziologie kritischdiskutiert werden. Ganz bewusst wird dabei keine "intellektuelle Lobpreisung" vor-genommen - wie dies so häufig passiert, wenn ein Forschungsprogramm verbreitetwerden soll -, sondern es soll nach Möglichkeiten und Notwendigkeiten Ausschaugehalten werden, die Analytische Soziologie fortzuentwickeln. In der Metapher des"soziologischen Werkzeugkastens" (Schimank 2010: 349ff.) formuliert, liegt mitder Analytischen Soziologie eine Gebrauchsanweisung zur Erklärung sozialer Phä-nomene vor, die auf ganz bestimmte soziologische Werkzeuge rekurriert. An dieserStelle sollen nun sowohl die Gebrauchsanweisung als auch die einzelnen Werkzeu-ge auf ihre Leistungsfähigkeit hin befragt werden: Was kann die Analytische Sozio-logie und - noch wichtiger - was kann sie eventuell nichP. Und damit verbunden:Was für eine Art von Soziologie betreiben wir, wenn wir der Analytischen Soziolo-gie folgen? Was geht mit der Analytischen Soziologie verloren? Welche sozialtheo-retischen Grundlagen werden benötigt? Welche Art von Handlungstheorie musseingesetzt werden? Wie relevant sind methodische Verfahren wie die Netzwerkana-lyse oder die Sozialsimulation? Usw.

    Zum einen wird mit dieser kritischen Diskussion an die Entstehungsgeschichtedieses "anafytical turn" (Elster 2007: 455) angeschlossen. Die Analytische Soziologiespeist sich aus verschieden philosophischen und soziologischen Traditionen undreicht in ihrer theoretischen Fundierung bis zu den Anfängen soziologischen Den-kens zurück. Dementsprechend beruht die zeitgenössische Analytische Soziologie

    7T. Kron, T. Grund (Hrsg.), Die Analytische Soziologie in der Diskussion,DOI 10.1007/978-3-531-92510-3_1,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

  • Eiriführung in die Diskussion zurAna!Jtischen Soifologie

    auch auf jenen Konfrontationen, die die Soziologie von Beginn an in Auseinander-setzung mit ihren Grundlagen begleitet hat. Nicht zuHillig erscheint die AnalytischeSoziologie heute als eine Art Mittelweg oder Brücke zwischen verschiedenen sozio-logischen Postionen. Und auch die jüngsten Publikationen zum Mechanismen-Konzept in den Sozialwissenschaften, aber auch zu anderen Elementen der Analy-tischen Soziologie, dokumentieren nicht nur die große Aufmerksamkeit, die diesemAnsatz geschenkt wird, sondern verweisen auf die insgesamt sehr lebendige Debat-te (siehe z.B. Ballarino 2005; Barbano 2005; Barbara 2004, 2005, 2006; Bunge 1997;Cherkaoui 2005; Demeulenaere 2010; Gross 2009; Hedström 2005; Hedström/Bearman 2009; Hedström/Swedberg 1998; Hedström/Ylikoski 20lOb; Kron 2005,2006; Lucchini 2007; Malsch 2006; Manzo 2007a, 20007b, 2007c, 2009, 2010;McAdam/Tarrow/Tilly 2001; Maurer 2009; Mayntz 2002, 2003; Tilly 2001; Schmid2006, 2010; 0sterberg 2009; Steel 2004). Trotz der Fundierung des analytischenAnsatzes in lange geführten Debatten und Theorietraditionen ist die AnalytischeSoziologie folglich ad initium.

    Parallel zu diesem Diskurs institutionalisiert sich die Analytische Soziologie zu-sehends. Forschungsnetzwerke sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebe-ne haben sich mittlerweile gebildet. Ein wichtiger Knoten in diesem Netzwerk istdas "European Network 0/Ana!Jtical Sociologists" - gegründet 2007 von Peter Hed-ström, Thomas Kron, Thomas Grund und Anderen, in dessen Rahmen alljährlichKonferenzen zur Analytischen Soziologie organisiert werden1 und in dem For-schergruppen aus den USA, Großbritannien, Schweden, Deutschland, Norwegen,Italien, Spanien und Frankreich aktiv sind.

    2. Erklären als Kern der Analytischen Soziologie

    Dreh- und Angelpunkt dieses internationalen Netzwerkes ist die Frage nach denMöglichkeiten des Erklärens von sozialen Phänomenen. Auch wenn der Erklärungindividuellen Handelns dabei eine wichtige Bedeutung zukommt, sind es doch vorallem soziale Muster, die von Interesse sind und diese lassen sich eben nicht direktauf individuelle Eigenschaften der Akteure reduzieren. Im Gegensatz zum deduk-tiv-nomologischen Versuch, ein Explanandum mit empirisch validierten Gesetzenzu erfassen und dieses als erklärt zu betrachten, wenn es durch ein Explanans (sta-tistisch) erwartbar ist, betont der analytische Ansatz die Notwendigkeit der Eifas-sung des Prozesses der Genese des Explanandums. Zur Entschlüsselung dieser Pro-zesse greift die Analytische Soziologie auf Mechanismen zurück, um diese Entste-

    Die erste Konferenz hat 2008 in Oxford stattgefunden, gefolgt von Turin 2009 und Barcelona2010. Für 2011 ist ein Treffen in Aachen in Planung. Das ,,European Network ofAlIa!JlicalSociologists"ist erreichbar über http://www.analytical-sociology.org.

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  • Thomas Kron / Thomas Grund

    hungsprozesse präzise formulieren und modellieren zu können. Größter Wert wirddabei auf die Notwendigkeit von Präzision und Klarheit gelegt. In den Worten vonElster (2007: 455): Der "anafytical turn" in den Sozialwissenschaften beruht "auf ei-ner nahezu besessenen Betonung von Klarheit und Präzision". Durch das Sei/erensoi/aler Prozesse2 wird versucht, die "Zahnräder" der sozialen Maschinerie offenzule-gen. Trotz aller Unklarheiten über die genaue Definition eines Mechanismus istallen Variationen dabei die Vorstellung der "Generierung" oder "Erzeugung" vonErgebnissen gemein (vgl. Epstein 2006; Boudon 1979). Das Credo lautet: Umetwas zu erklären, muss man zeigen, wie es zustande kommt, es also generierenoder erzeugen (siehe Boudon 1979; Harre 1970; Kron 2006; Manzo 2010).3

    2.1 Die Rolle von Akteuren

    Der Forderung, für eine soziologische Erklärung den generativen Prozess einessozialen Phänomens zu sezieren, führt dazu, dass die relevanten Akteure in diesemProzess identiftziert werden müssen. Sofern Hedström Akteure in ihrem handeln-den Zusammenwirken als energetische Einheiten erforderlich zur Konstruktioneines Mechanismus erachtet, greift seine Analytische Soziologie methodologisch aufdas Modell soziologischer Erklärung von Coleman (1990) zurück - die bekannte"Badewanne". Dieses Modell schreibt u.a. vor, dass man sowohl die Situationslogikals auch die Selektionslogik des Handelns von Akteuren speziftsch darzulegenhabe. Hedström schlägt dazu vor, als Handlungstheorie die DBO-Theorie zu ver-wenden. Opportunitäten, Bedürfnisse und Überzeugen erklären dann, worauf einAkteur in einer Situation achtet und weshalb er dann die Handlung auswählt undvollzieht.4 Wenn Akteure von anderen Akteuren beeinflusst werden, dann ebenfallsüber Opportunitäten, Bedürfnisse und Überzeugungen.

    Wenngleich die DBO-Theorie durch ihre Einfachheit besticht, so sehr lässt siesich sicherlich in vielerlei Hinsichten kritisieren, und auch in diesem Band gibt esEiniges dazu zu lesen. Was eine Handlungstheorie im Vergleich zum empirischenHandeln von Menschen tatsächlich abdecken und erklären muss oder anders for-muliert: Wie unvollständig die Handlungstheorie sein darf, ist abhängig von ganz

    2 Nicht umsonst nennt Hedström sein Buch im englischen Original "Dissecling the Social' und zeigt imTitelbild einen Anatomiesaal.

    3 In der Analytischen Soziologie schließt das Sezieren eines zu erklärenden Phänomens mittels derFormulierung von Mechanismen konttafaktische Gedankene:xperimente mit ein, d.h., der mecha-nismenbasierte Ansatz lässt sich im Sinne von Woodwatds (2002, 2003; siehe auch Morgan/Win-ship 2007) Verständnis von Kausalität verstehen, nach dem die erklärende Kraft einer Generalisie-rung in ihrer Fähigkeit liegt, zu erfassen, was unter anderen Umständen geschehen würde.

    4 Die Selektion und der Vollzug der Handlung sind bei Hedsttäm (wie auch bei Coleman) ein (Mo-dellierungs-)Schritt. Vor allem der Pragmatismus verweist darauf, dass diese (In der Regel still-schweigend getroffene) Annahme möglicherweise nicht angemessen ist (siehe etwa Grass 2009;Joas 1992).

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  • Eiriführung in die Diskussion zurAnalYtischen Soifologie

    unterschiedlichen Bedingungen, vor allem aber von der Antwort auf die Frage, wasdenn als "Soziales" gilt. Gleich wie man diese Frage zu beantworten geneigt ist, un-abdingbar ist für jedes handlungstheoretisch fundierte Forschungsprogramm anzu-geben, warum nicht mehr Eigenschaften des Akteurs, gemessen an der Realitätmenschlichen Handelns, modelliert werden. Mit anderen Worten: Man benötigteine Modeilierungsstoppregel Hedström verzichtet beispielsweise darauf, mit seinerHandlungstheorie jene komplexen Vorgänge im Gehirn des Akteurs zu modellie-ren, mit denen dieser bei der Situationsdefmition zu einer Antwort auf die Fragekommt, "was geht hier eigentlich vor?" (Goffman 1977: 16) - im Gegensatz etwazum in DeutscWand viel diskutierten Frame-Selection-Model von Hartrnut Esser(2001,2003,2004; vgl. zusammenfassend Greshoff/Schimank 2005; Kron 2005b:52ff.), der diese Modellierung für unabdingbar hält (vgl. dazu kritisch zusammen-fassend Kron 2004). Ohne die Angabe einer derartigen Modellierungsstoppregelwird man zum einen die Diskussion um die Angemessenheit der HandlungstheoriewoW niemals zu einem wenigstens vorläufig gut begründeten Ende bringen kön-nen. Zum anderen kann die Analytische Soziologie sich ohne die begmndete Darle-gung der Modellierungsstoppregel kaum des Vorwurfs der Beliebigkeit erwehren,sofern sie darauf Wert legt, die DBO-Theorie nicht als definierendes Element derAnalytischen Soziologie zu betrachten und sich nicht auf diese eine Handlungsthe-orie festzulegen, sondern stattdessen dadurch auszeichnen möchte, offen für undanscWussfihig an weitere Handlungstheorien zu sein (siehe Hedström/Ylikoski2010: 60f.). Zudem ist drittens der Beliebigkeiten bzw. der Offenheit in der hand-lungstheoretischen Frage eine faktische Grenze innerhalb der Analytischen Sozio-logie gesetzt, weil eine Artformaie Selektionsregel angegeben werden muss!5 Wenigeraus epistemologischen (vgl. Esser 1999) als vielmehr aus methodischen Gründen,wenn nämlich Sozialsimulationen eingesetzt werden sollen. Dazu gleich mehr.

    Hedströms Argument ist an dieser Stelle, dass Akteure notwendig sind, damit So-ziales erzeugt werden kann, da sich das Soziale auflösen würde, wenn es keine Ak-teure mehr gäbe (siehe Hedström 2008: 16). Dies ist allerdings kein allzu klar for-muliertes Argument. Denn erstens hängt die Notwendigkeit für das Soziale davonab, was man unter "dem Sozialen" zu verstehen geneigt ist - hier bleibt Hedströmsehr vage, so dass man an dieser Stelle einen Präzisierungsbedarf anmelden kann.Doch selbst wenn die sozialen Phänomene, die Hedström erklären will, "sozial"genannt werden können und Akteure zu deren Entstehung, Erhaltung oder Wan-del notwendig sind, dann trifft dieses Merkmal der Notwendigkeit Akteure vermut-lich nicht alleine. Hier kann man das Gegenargument von Luhmann (2009: 36) auf-greifen, dass man für diese Phänomene auch weitere notwendige Bedingungen be-

    5 Insofern eignet sich etwa die pragmatistische Handlungstheorie genauso wie alle Praxistheotien ge-genwärtig nicht, solange sie keine formalisierbaren Selektionsalgotithmen angeben können.

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  • Thomas Kron / Thomas Grund

    nötigt: Luft, Erdmagnetismus, Sonnenstrahlung... Eine Möglichkeit, Akteure alsNotwendigkeitsbedingung argumentativ zu stützen, führt Michael Schmid (1998)an, der auf eine problemorientierte Perspektive des Sozialen verweist: Wenn die zu er-klärenden sozialen Phänomene als Problemlösungsmuster betrachtet werden, dannist erstens die Frage, auf welche Probleme diese Lösungen reagieren. Eine Antwortist, dass es generell Koordinationsprobleme, Kooperationsprobleme und (Vertei-lungs-)Konflikte sind, die als Probleme solche Lösungen provozieren, wie die So-ziologie sie etwa als Markt, Herrschaft oder Moral thematisiert. Wenn man bis hier-hin folgen möchte, ist die anschließende Frage, wie, d.h. unter welchen Bedingun-gen solche Probleme überhaupt entstehen können. Konkreter bezogen auf dieHandlungstheorie: Welche Eigenschaften müssen Akteure aufweisen, damit sieüberhaupt die genannten Probleme erzeugen können? Offensichtlich ist z.B., dassAkteure in einem gewissen Maße eigennützlich an Ressourcen interessiert seinmüssen, um in Verteilungskonflikte hinein zu geraten. Offensichtlich ist eine ge-wisse Zweck-Rationalität des Akteurs also notwendig, um derartige Probleme ent-stehen zu lassen. Die Spieltheorie hat an dieser Stelle darüber hinaus überzeugenddargelegt, dass diese Rationalität des Akteurs auch hinreichend ist, denn wennrationale Akteure es miteinander zu tun bekommen, dann entstehen celeris paribusdie genannten Probleme. Hinreichend ist die Rationalannahme aber nur unterbestimmten Bedingungen, nämlich wenn die Akteure interagieren und dann in "In-tentionsinterferenzen" (Schimank 2010: 186ff.) geraten. Und zu einem Zusammen-wirken des Handelns bzw. Interaktionen wird es nur dann kommen, wenn dieRessourcen knapp sind. Man muss sich nur koordinieren, miteinander kooperierenoder Ressourcen verteilen, wenn man nicht so viele und genau die Art von Res-sourcen zur Verfügung hat, wie jeder einzelne Akteur benötigt. Im ScWaraffen1andgäbe es diese Probleme nicht, weil jeder individuelle Akteur genau die Art und An-zahl von Ressourcen vorftndet, die er gerade meint zu benötigen. Knappheit ist fürviele Ressourcen als empirische Tatsache vermutlich eine plausible und faktischrichtige Annahme - weshalb die meisten Sozialtheorien dieses Miteinander-zu-tun-bekommen ontologisch setzen.

    Wenn dies aber die einzige ontologisch plausible Annahme wäre, da ein Schla-raffenland zur Zeit6 nicht in Aussicht steht, wäre der homo oeconomicus folglich einangemessenes, da zur Problemerzeugung notwendiges und hinreichendes Akteur-modell - wenn es nicht empirisch falsch wäre, Letztes ist Hedströms Argument.Teilt man diese Behauptung, dass der homo oeconomicus nicht nur unvollständig, son-dern auch in unkontrollierter Art und Weise falsch ist, dann muss man ein anderesModell anbringen. Leider ist ein solches alternatives, adäquates und empirisch

    6 Da man nicht weiß, wie die zukünftige Gegenwart aussieht, können wir allerdings nur auf eine ge-genwärtige Zukunft rekurrieren.

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  • Eiriführung in die Diskussion zurAnalYtischen Soifologie

    innerhalb bestimmter Genauigkeitsgrenzen gültiges Handlungs- oder Akteurmo-delF bislang nicht entdeckt worden - ob die DBO-Theorie diese Alternativtheorieist, steht aktuell zur Diskussion.

    Man kann insgesamt festha1ten, dass die Argumentation über Notwendigkeiten,wie Hedström sie einbringt, alleine nicht weiterführt, sondern auch die hinreichendenBedingungen einbezogen werden müssen. Dementsprechend hält Luhmann einzigKommunikation - ohne Akteure gedacht - für hinreichend, was allerdings ledig-lich, aber immerhin, per dejinitionem (vgl. Münch 1992) richtig ist, da Luhmann nurdas für Sozial hält, was kommunikativ ist.

    Nun sind Akteure alleine nicht hinreichend für das Soziale, aber interagierendeAkteure sind es möglicherweise. Die Bedingung, die bei Hedström die für dasSoziale notwendige Bedingung der Akteure hinreichend ergänzt, ist die Interaktion.Kurz: Hedström nimmt schlicht an, dass die mit Bedürfnissen, Überzeugungenund in bestimmten, knappe Ressourcen einschließenden Opportunitätsstrukturenhandelnden Akteure es miteinander zu tun bekommen und in ihrem Handelnwechselwirken. Dies ist schließlich auch Georg Simmels (1989: 115ff., 1992: 13ff.)sozialtheoretisches Argument gewesen, die aus den wechselwirkenden Akteuren(die Inhalte) hervorgehenden Formen zu untersuchen und nicht wie etwa MaxWeber oder später Talcott Parsons spezifische Akteur-Eigenschaften (sinnhaftesVerhalten, gemessen am Maßstab der Zweckrationa1ität bzw. normative Orientie-rung des Handelns) vorauszusetzen - was Simmel u.a. den Ausschluss aus Parsons'Integrationsversuch in "The Structure rif Soda! Action" eingebracht hat (siehe Kron2010: 189ff.). Ohne es zu explizieren, folgt Hedström hier eher Simmel als Weber,da es in der Analytischen Soziologie streng genommen nicht immer Akteure seinmüssen, die den erklärenden Mechanismus tragen, sondern dies können verschie-dene (mit Simmel gesprochen) Inhalte sein - hier öffnet sich die Analytische Sozio-logie z.B. für die Möglichkeit, Hybride aller Art zu inkludieren (vgl. Latour 2007;Schulz-Schaeffer 1998; Weyer 2006). Nicht die Art der Eigenschaften von Akteu-ren erscheint der Analytischen Soziologie relevant (solange diese notwendig undhinreichend zur Problemerzeugung sowie empirisch bestätigt sind). Entscheidendist vielmehr, dass ein zu erklärendes Phänomen in seine Bestandteile zerlegt, daswechse!wirkende Verhalten dieser Bestandteile genau beleuchtet und letztendlichwieder zusammengeführt wird. Und nur dann, wenn dieser Vorgang das beobach-tete Phänomen reproduziert, wird von einer "Erklärung" gesprochen.

    Das legt nahe, die Handlungstheorie unter diesen Vorgaben so einfach hand-habbar wie möglich zu halten. Dieses Aufforderung zur Einfachheit wird noch da-

    7 Die Unterscheidung von HandIungs- und Akteurtheorie bezieht sich darauf, dass nicht alle Hand-lungstheorien automatisch Akteurtheorien sein müssen. Parsons' systemische HanclIungstheorieetwa war keine Akteurtheorie.

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  • Thomas Kron / Thomas Grund

    durch gestützt, dass Hedström die chaostheoretische Einsicht mitführt, dass sozialeProzesse sensibel gegenüber den Anfangsbedingungen sind - kleine Veränderun-gen am Anfang können zu unterschiedlichen sozialen Verläufen mit völlig unter-schiedlichen Resultaten führen. Krieg oder Frieden in der Welt kann so gesehenmanchmal von einem kurzfristig desorientierten Kutscher abhängen...

    Wenn aber soziale Prozesse derart "chaotisch" ablaufen können, dann emp-fiehlt es sich, zur Modellierung dieser komplexen Abläufe die Kompliziertheit deraufeinander wirkenden Elemente so gering wie möglich zu halten, um jene Regel-sätze formulieren zu können, mit denen komplexe Muster erzeugt werden können,was nur in einem geringen Parameterraum überhaupt möglich ist.B Dies ist nichtnur die Empfehlung von Coleman, sondern wird auch innerhalb der Forschung zurKomplexitätstheorie erhoben. Wird die Kompliziertheit der Entitäten an sich zugroß, explodiert der zu analysierende Parameterraum, so dass man letztlich nurnoch zu dem Ergebnis kommt, dass alles mit allem (oder nichts mit nichts) zu-sammenhängt und es irgendwie auf mannigfaltigen Wegen - Stichwort: Äquifmali-tät bzw. Multifinalität - zu dem beobachteten Sozialmuster kommt. Kurz: Wenndie Analytische Soziologie auf generative Erklärungen komplexer sozialer Phänome-ne setzt - und es gibt gute Gründe dies zu tun - und dabei von handelnd-wechsel-wirkenden Akteuren ausgeht, dann muss das zugrundeliegende Akteurmodell mög-lichst einfach sein - so das gemeine Motto.

    Leider gibt es kein Maß für die Einfachheit und die Kompliziertheit bzw. fürdie pragmatische Handhabung von Akteurmodellen - genau dies hat die Suchenach einer Modellierungsstoppregel bislang erschwert. Die üblicherweise vorgetra-gene Antwort, es hänge ganz von dem empirischen Fall ab, den man zu analysierengedenkt, wie reichhaltig man den Akteur modelliert9, ist unbefriedigend, weil damitkeine Regel formuliert ist, aus der man folgern könnte, dass in dem einen Fall einkompliziert-reichhaltiges Akteurmodell und in dem anderen Fall ein einfaches

    8 Wir verwenden hier den Begriff der "Komplexität" (oder ,,komplex"), um auf die Eigenschafteneines Systems zu verweisen, die sich aus dem Zusammenspiel der Entitäten ergeben, und den Be-griff der ,,Kompliziertheit" (oder "kompliziert''), um eine Eigenschaft einer Entität zu erfassen.Folglich könnte man vielleicht sagen, dass soziologische Bezugsrahmen und Theorien durchauskompli'(jert sein können oder dürfen, was bedeutet, dass diese zwar schwierig zu überblicken sind,aber eine Zerlegung in Untereinbeiten erlauben, was zu einer Auflösung der "Verwicklung" führt.Mit Hilfe der übersichtlichen Teile wird ein Verständnis des Gesamtsystems möglich. Für einenkomplexen Bezugsrahmen oder eine komplexe Theorie ist die Unterteilbarkeit nicht möglich bzw.tragen die Untereinbeiten ftir sich nicht zu einer "Entwirrung" bei, denn gerade die Vernet:lJmg dervermeintlichen Einzelteile prägen die wesentlichen Eigenschaften des Gesamten, die mit Hilfe dergetrennten Teile kaum erfassbar sind oder u.U. gar nicht existieren (vgl. Richter/Rost 2002: 3ff.;Vester 1983; 1999: 26ff.). Umgangssprachlich (und auch innerhalb der Sozialwissenschaften) ist die-se Unterscheidung oft nicht klar.

    9 Dies ist auch die Auffassung von Hedström: "the explanatory task thus detertnines how rich thepsychological assumptions must be." (Hedström/Ylikoski 2010: 60)

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  • Eiriführung in die Diskussion zurAnalYtischen 50ifologie

    Akteunnodell zum Zuge kommt.IO Aus dem bisher Gesagten können wir aberfolgern, dass es nützlich wäre, wenn wir über einen akteurtheoretischen Bezugs-rahmen verfügen könnten, der sowohl sehr einfach Akteurmodelle - z.B. rein öko-nomisch orientiertes Handeln - als auch sehr kompliziert orientiertes Handeln zumodellieren in der Lage ist. Dann nämlich kann man die Vollständigkeit, Reichhal-tigkeit und damit die Kompliziertheit experimentell bis zu dem Punkt steigern, andem man mit einem möglichst vollständigen und reichhaltigen (und damit kompli-zierten) Akteurmodell genau jene Muster erzeugt, die man zu erklären beabsichtigt:50 vollständig wie möglich und so einfach} d.h. so unvollständig wie nölig - dies ist die ent-sprechende Modellierungsregel.ll Man beginnt z.B. mit einem rationalen Akteur-modell, wechselt dann zu einem normorientierten Akteurmodell (homo sociologicus),dann zu einem Akteur, der affektua1 orientiert ist (emotional Man) usw. Die nächsteSteigerung der Vollständigkeit/Reichhaltigkeit ist dann die Mischung dieser Akteur-typen, z.B. zu einem Modell eines rationalen und emotionalen und vielleicht zudemnormativ-orientierten Akteurs. Auf diese Weise wird man vermutlich mit steigen-der Reichhaltigkeit des Akteunnodells immer mehr äqui- und multifinale Wege zudem zu erklärenden sozialen Muster erhalten, da mit steigender Parameterkomple-xität der Möglichkeitsraum für die Unterschiedlichkeit der weiteren Verläufe immergrößer wird. Derart die Vollständigkeit des Akteunnodells steigernd kann manfortfahren, bis eine Grenze der Handhabbarkeit erreicht ist - was dem soziologischsensiblen Bedürfnis entgegenkommt, so nah wie möglich an das tatsächliche Han-deln von Menschen heranzutreten, ohne ein bestimmtes Generalisierungsniveauder Erklärung zu unterschreiten (siehe Schimank 2002).12

    Wo die Grenze der Handhabbarkeit liegt, sollte dann aber nicht ausschließlichvon dem Einsatz der eingesetzten Analysetechnik abhängen, sondern von der Er-k/iirungsperformanz. Das bedeutet, zum einen sollte man im Sinne des Erklärensdurch Mechanismen in der Lage sein darzulegen, warum und wie genau ein bestimm-ter Weg zu dem sozialer Muster führt, d.h. man sollte in der Lage sein, die gefun-denen Wege anhand des Ineinandergreifens bestimmter Entitäten (Körper, z.B.Akteure) und Aktivitäten (Kräfte, z.B. äußere Kräfte wie Normen, Werte, Akteur-konstellationen des handelnden Zusammenwirkens, Systeme usw. sowie innere

    10 Es überrascht dann auch nicht, wenn jene Forscher, die vorgeben, das Akteunnodell dem empiri-schen Fall anpassen zu wollen, de facto zumeist die (z.B. durch Fragebögen oder Interviews) einge-fangene Wirklichkeit nach dem gerade bereitstehenden Akteunnodell ausrichten.

    11 Es wird nicht überraschen, wenn wir an dieser Stelle auf den akteurtheoretischen Bezugsrabmenverweisen, den Kron (2005a) entwickelt hat.

    12 Diese Modellierungsstopprege1 ist ganz im Sinne von Bunge (1963: 83f.) formuliert, der anmerkt:"If some rule has to be proposed, let it be the following: ,SimplifY in some respect as long as simpli-ficarion does not elirninate interesring problems and does not carry a serve loss of generality, test-ability, or depth'."

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  • Thomas Kron / Thomas Grund

    Kräfte, die durch den Sinnzusammenhang des Akteurs konstituiert werden) kon-kret nachzuvollziehen.13 Dies wird besonders wichtig an jenen, in komplexen Pro-zessen möglicherweise mehrfach vorhandenen kritischen Verzweigungspunkten(CriticalJunctures), an denen sich der weitere Verlauf entscheidet: "Wenn historischeProzesse durch Multikausalität, Nichtlinearität und Interferenz geprägt sind, dannsind ihre Ergebnisse pfadabhängig, d.h. sie fallen unterschiedlich aus, je nachdemwelchen Fortgang der Prozess an bestimmten Verzweigungspunkten nimmt, an de-nen alternative Wege offen stehen, ein bestimmter Schritt mithin möglich, abernicht zwangsläufig ist." (Mayntz 1997d: 336).14 Zum anderen sollten alle gewonnenWege empirisch plausibel sein, d.h., logisch mögliche, aber empirisch nicht vor-kommende Pfade kann man (zunächst) ausschließen. Dieser empirische Abgleichsollte sich, wenn möglich, auf alle Teile des Mechanismus beziehen, also auf dieEntitäten (Körper), die Aktivitäten (Kräfte) sowie auf die Art der Verlaufsform. Istdies geleistet, dürfte die Gesamterklärung der Anforderung an eine Wirklichkeits-wissenschaft entsprechen: "Wir wollen die uns umgebende Wirklichkeit des Lebens[...] verstehen, [...] die Gründe ihres geschichtlichen So-und nicht anders-Gewor-denseins." (Weber 1951a: 170f.)

    13 ,,Mechanisms are composed of both entities (with their properties) and activities. Activities are theproducers of change. Entities are the things that engage in activities. Activities usually require thatentities have specific types of properties. [...] The organization of these entities and activities de-termines the ways in which they produce the phenomenon. Mechanisms are regular in that theywork a1ways or for the most part in the same way under the same conditions [...]; what makes itregular is the protluctive continuity between stages." (Macharner/Darden/Craver 2000: 2)

    14 Die Konzentration auf kritische Verbindungspunkte ist vor allem deshalb wichtig, weil somit in derhistorischen Analyse das Problem des infiniten Erlclärongsregresses in die Vergangenheit vermiedenwerden kann. Dieses Problem entsteht dann, wenn die Forschenden keine Kriterien zur Hand ha-ben, die einen sinnvollen Startpunkt der Analyse von Pfadabhängigkeiten begründen könnten. Kri-tische Verbindungspunkte helfen, das Problem zu lösen, indem die Aufmerksamkeit auf Schlüssel-ereignisse gelenkt wird, die jene historischen Punkte markieren, die die Bandbreite möglicher Er-gebnisse substanziell begrenzen. Auf diese Weise wird dem Subjektivismus der Identiflkation desBeginns eines historischen Pfades ein Stück weit Vorschub geleistet, dem etwa Popper (2000: 134)das Wort gesprochen hat: ,,Der Versuch, Kausalketten bis weit in die Vergangenheit zu verfolgen,würde nicht im geringsten helfen, denn jeder konktete Effekt, mit dem wir beginnen könnten, hateine große Zahl verschiedener Teilursachen, d.h. die Randbedingungen sind sehr komplex und diemeisten von ihnen interessieren uns nur wenig. Der einzige Ausweg aus dieser Schwierigkeit ist un-serer Auffassung nach die bewusste Einführung eines vorgefassten selektiven 5tandpunkJs in die histori-sche Forschung, d.h., wir schreiben die Geschichte, die uns intmssierl.". So gesehen begünstigen kriti-sche Verbindungspunkte im Rahmen von Pfadabhängigkeiten strukturelle Selektionen (siehe Ma-honey/Snyder 1999: 17; vgl. Schmid 1998a). Allerdings heißt das nicht, dass das Handeln aller an-deren Akteure, die nicht dem aktuell eingeschlagenen Pfad folgen, nicht zu einem später Zeitpunktwieder wichtig werden könnten, da, wie Thelen (2003: 231) es fonnuliert, "losers do not necessatilydisappear".

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  • Eiriführung in die Diskussion zurAna!Jtischen Soifologie

    2.2 Interaktionsprozesse

    Wie oben bereits angedeutet, ist der Kern des analytischen Ansatzes die (vielleichtwenig originelle, aber nichtsdestotrotz wichtige) Erkenntnis der Relevanz des Inter-aktionsprozesses. Soziale Mechanismen haben die Resultate der Dynamik des han-delnden Zusammenwirkens von Akteuren zu entschlüsseln, indem sie diese Inter-aktionsprozesse nachbauen und am Computer durchspielen, bis das zu erklärendePhänomen erzeugt worden ist. Wenn wir die von Epstein (2006) und Kron (2005:312) eingebrachte Mechanik-Analogie der "Zahnräder" bzw. "Zahnradkette" wie-der aufnehmen, wird deutlich, dass nicht nur die Bestandteile an sich, sondern vorallem die Art und Weise, wie sie ineinandergreifen, von Bedeutung ist. Selbstver-ständlich hängt die Dynamik von sozialen wie nicht-sozialen Verlaufsformen auchvon der Art der Bestandteile ab; Sand erzeugt z.B. schneller eine Lawine als Reis-körner. 15 Aber gleich welche Art von Bestandteilen wir annehmen: Eine Erklärungerhalten wir nur dann, wenn wir den Prozess des Zusammenwirkens beobachten. Umbeispielsweise die Funktionsweise einer Uhr zu verstehen, genügt es nicht, wennwir die "Zahnräder" ausgebreitet vor uns auf dem Tisch betrachten und uns viel-leicht zusätzlich noch streiten, welche Eigenschaften der Zahnräder nun wirklich indie Analyse einbezogen werden müssen oder nicht. Erst durch das Arrangement dereinzelnen Teile und durch die Darlegung der Verlaufsfigur im Ineinandergreifenkönnen wir erklären, wie eine Uhr funktioniert.

    Selbstverständlich behauptet die Analytische Soziologie nicht, dass sich sozialeProzesse als Uhrwerke betrachten ließen. Soziale Prozesse sind nicht (immer) de-terministisch, sondern stellen sich oftmals als komplex dar. Wie gesagt, dies bedeu-tet nicht, dass etwas kompliziert ist, sondern dass die Interaktionsprozesse zwi-schen den Entitäten selbst bei einfachen Mechanismen kaum ermöglichen vorher-zusagen, in welchen Mustern diese resultieren werden und welche Art von Regel-mäßigkeit dahintersteckt. Die Analytische Soziologie berücksichtigt derartige Kom-plexitäten explizit. Man könnte sagen, dass der "ana!Jticai turn" auch ein Versuchdarstellt, auf den noch viel zu wenig beachteten "compJexiry turn" CUrry 2005) in denSozialwissenschaften zu reagieren.16 Damit folgt die Analytische Soziologie derAuffassung sowohl von der Nicht-Reduzierbarkeit der spezifisch sozialen Eigen-schaften auf die Akteure als auch der Ablehnung eines reinen Holismus und damitdem bekannten Schlagwort der "Dualität von Handeln und Strukturen" (siehe

    15 Siehe zur Relevanz für selbstorganisiert-kritikale soziale Systeme (Bak 1996; Kron 2007; Kron/Grund 2009).

    16 In den zeitgenössischen deutschen soziologischen Theorien lässt sich allerdings ablesen, dass dieseauf eine "soziologische Komplexitätstheorie" hin konvergieren; siehe dazu Kron (2010: 189ff.).Dies macht die deutsche Soziologie für die Fortentwicklung der Analytischen Soziologie besondersinteressant.

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  • Thomas Kron / Thomas Grund

    Giddens 1984; Schimank 2000).J7 In diesem Sinne fordern Hedström und Ylikoski(2010: 63) die "Kollektivität als Ganzes, nicht aber als kollektive Entität [zu] unter-suchen".

    2.3 Computersimulation

    Eine äußerst geeignete Methode, komplexe, pfadabhängige soziale Prozesse zu ana-lysieren, ist die Computersimulation (vgl. Flache/Maey 2006; Gilbert 1994, 1996,2000, 2008; Gilbert/Troitzsch 2005; Maey/Flache 2009; Troitzsch 1997, 1999,2000, 2009). Da die Computer-Analyse darin besteht, Phänomene künstlich zu er-zeugen, liegt es nahe, Computersimulationen für soziologische Erklärung im Sinneeiner "generativen Soziologie" einzusetzen. Im Gegensatz zu dem in der Soziologieüblichen ex-postjacto-Design der Erklärung setzt man hier auf ein experimentelles De-sign, das eine hohe interne Validität, d.h. vor allem: die Kontrolle von Störvariablengewährleistet - eine notwendige Bedingung für die Analytische Soziologie unter"chaotischen" Rahmenbedingungen. In Kombination mit der oben zur Modellie-rungsstopprege1 beschriebenen Vorgehensweise wird zudem die externe Validitätkontrolliert.

    Computersimulationen sind ganz grundsätzlich notwendig, weil man die kom-plexen sozialen Prozesse schlichtweg nicht durchdenken kann, wie bereits der Blickz.B. auf das Schachspiel zeigt, bei dem man in der Regel vor allem in der Mitte desSpiels kaum über besonders viele Züge hinweg die möglichen Verlaufsformendurchdenken kann - und das im Vergleich zur sozialen Wirklichkeit im Rahmeneiner sehr begrenzten Topologie mit einer sehr begrenzten Anzahl von Akteuren,die sogar immer weniger werden. Schimank (1999) hat in Anlehnung an diese Ana-logie empfohlen, sich auf jene Situationen zu konzentrieren, die leichter durch-denkbar sind, wie im Schach die Anfangs- und Endsituationen, sich also auf dieAnalyse von theoretischen Pattialmustern für bestimmte Episoden sozialer Vor-gänge zu konzentrieren. Die Analytische Soziologie mit ihrem generativen Erklär-ungsziel würde zusätzlich anraten, die dabei nicht durchdenkbaren Verläufe zu si-mulieren und zu analysieren.

    Dass die Sozialsimulation noch kein Standard in der Soziologie ist, liegt u.a. andem noch unbefriedigenden Anschluss der Comrnunity der Sozialsimulation an dieSoziologie. Sehr häufig werden im Rahmen von Sozialsimulationen willkürlich,

    17 Damit soll nicht gesagt werden, dass Hedström sich an der Soziologie von Giddens (oder Schimank)orientieren würde. Gemeint ist vielmehr, dass jene (oft genug impliziten und diffusen) ontologi-schen, epistemologischen und methodologischen Annahmen, die unter dem Schlagwort der "Duali-tät" subsummierr werden, auch für die Analytische Soziologie gelten. Zu überlegen wäre allerdings,ob man auf dieses Sprachspiel zugunsten der in der Analytischen Soziologie geforderten Präzisionund aufgrund der Vagheit des gemeinsam-soziologischen Verständnisses dieser Dualität nicht bes-ser verzichten sollte.

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  • Eiriführung in die Diskussion zurAna!Jtischen Soifologie

    ohne weitere Kenntnisnahme soziologischer Handlungs- und Akteurtheorien, aufder Basis der uns ja allen zugänglichen Alltagserfahrungen über das SozialeG,schließlich leben wir doch alle in der sozialen Welt!'') Agenten gebastelt, so dassdas in Frage stehende Problem gelöst werden kann. Ein empirischer Abgleich vonAgent-Akteur-Mensch, wie er oben angesprochen wurde, fmdet dabei zumeistnicht statt. Diese Art der ad-hoc-Modellierung führt in der Regel nicht nur zu Er-gebnissen mit sehr geringem Generalisierungspotential, sondern basiert zudem aufeinem - für das generativ-epistemologische Anliegen der Analytischen Soziologiekontra-produktiven - Prozessdeterminismus: Wenn man nur irgendwie qua Simulationeinen einigermaßen plausiblen Weg zum Explanandum generiert hat, sei Letzteresauch erklärt - womöglich noch soziologisch befriedigend.

    Hedström verdient an dieser Stelle außerordentlich Anerkennung dafür, dass erzum einen der Soziologie die Computersimulation als Analysemethode anträgt undzum anderen - vor allem - die angewandten Simulationsanalysen von Beginn ansoifotogisch gerahmt wissen möchte. Das bedeutet, dass erstens die verwendetenAgentenmodelle möglichst mit den Erkenntnissen der soziologischen Handlungs-und Akteurtheorien kompatibel sind. Zweitens setzt Hedström (2008: 188ff.) auf"empirisch kalibrierte Simulafionen". Es besteht vermutlich noch Bedarf an Klärung, anwelchen Stellen des erklärenden Mechanismus eine empirische Kalibrierung anset-zen soll oder sogar muss. Dass es eine solche empirische Kalibrierung, wenn mög-lich1s, geben sollte, ist unbestritten.19

    Dass sich Soziologie und Sozialsimulation aufeinander zubewegen können,wird etwa anhand der Ne/i!Perkana!Jse deutlich, die als eine weitere Analysemethodegerne von der Analytischen Soziologie genutzt wird. Zum einen hat die sozialeNetzwerkanalyse (vgl. Jansen 2006) längst erkannt, dass sie sich in Richtung derAnalyse dynamischer Netzwerke fortentwickeln muss, denn soziale Beziehungenentstehen und verschwinden wieder. Inwieweit sodat fies von den Attributen derAkteure abhängig sind (selection), oder aber diese Attribute verändern (influence),steht im Zentrum dieser Debatte (z.B. Aral et al. 2009; Christakis/Fowler 2007;Snijders et al. 2010). Analytisch betrachtet sind beides höchst unterschiedliche Me-chanismen, die zum selben Ergebnis führen können (z.B. dass jugendliche Raucher

    18 Nicht alle die Soziologie interessierenden Situationen sind der Empirie zugänglich, z.B. nicht die"Ur-Situation" doppelter Kontingenz: ",Reine' doppelte Kontingenz, also eine sozial vollständigunbestimmte Situation, kommt in unserer sozialen Wirklichkeit zwar nie vor. Trotzdem eignet sichdieser Ausgangspunkt, wn bestimmte Fragen weiter zu verfolgen." (Lubmann 1984: 168; vgl. Ditt-rich/Kron 2002; Kron/Lasarczyk/Schirnank 2003; Lepperhoff2000).

    19 Wobei anzumerken ist, dass manche Soziologen die Bedeutung von Computersimulationen fürtheoretische Gedankenexperimente betonen, die nicht versuchen, die reale Welt abzubilden (vgl.Fn. 17) (siebe Axeltod 1997: 25; Maey/Willer 2002: 147). Das heißt aber nicht, dass "empirisch ka-librierte Simulationen" in Frage gestellt werden.

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  • Thomas Kron / Thomas Grund

    oft mit anderen Rauchern befreundet sind, siehe hierzu Mercken et al. 2009). Zumanderen haben jene Netzwerkforscher, die sich aus der Physik kommend der Ana-lyse sozialer Phänomene widmen, verstanden, dass sie sowohl soziologische Er-kenntnisse integrieren als auch ihre oftmals abstrakten Modelle empirisch untersu-chen müssen. Ein gutes Beispiel dafür sind die small-world-network-Untersuchungenvon Duncan J. Watts, der zunächst einen allgemeinen Mechanismus für das Phä-nomen der "six-degrees" (siehe Watts 1999) gefunden, diesen dann soziologischzugänglich gemacht (siehe Watts 2003, 2004) und empirisch geprüft (sieheKossinets/Watts 2006; Lopez-Pintado/Watts 2008) hat. Die Analytische Soziolo-gie ist aufgefordert, ebenfalls diese noch oft getrennten Wissenswelten - Soziolo-gie, Sozialsimulation und Netzwerkanalyse - miteinander ins Gespräch und synthe-tisiert zur Anwendung zu bringen.

    3. Beiträge zur Diskussion

    Mit dieser kurzen Einführung wird einerseits das Innovationspotential der Analyti-schen Soziologie, andererseits der sicherlich vorhandene Diskussionsbedarf deut-lich. Selbstverständlich ist damit kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Wei-tere Diskussionspunkte schließen z.B. an die von Manzo (2010) identifizierten sie-ben Einwände gegen die Analytische Soziologie an. Diese sind:1) Die Analytische Soziologie beruht auf dem Mechanismen-Konzept, das an sich

    nur ungenügend definiert ist (vgl. Bunge 2007: 259; Gross 2009).2) Mechanismen haben einen mehrdeutigen erkenntnistheoretischen Status inner-

    halb der Analytischen Soziologie (siehe Brante 2008: 276; Reiss 2007: 166).3) Die in der Analytischen Soziologie verwendete Handlungstheorie ist zu unter-

    komplex (siehe Abbott 2007a; Gross 2009; Lucchini 2008; Pisati 2008; Sawyer2007: 257).

    4) Die Relevanz von Beschreibungen wird vernachlässigt (siehe Bernardi 2007;Opp 2005, 2007; Pisati 2007; Reiss 2007: 164).

    5) Die Analytische Soziologie lehnt einen nomologischen Ansatz von Erklärungab (Norkus 2005: 352ff.; Opp 2005: 174ff., 2007: 117f.; Sawyer 2007: 259).

    6) Mechanismenbasierte Erklärungen bleiben immer unvollständig, da Mechanis-men immer auch weitere Mechanismen enthalten (vgl. Opp 2005: 169; Pisati2007: 7; vgl. Steel2004: 61ff.).

    7) Die Verwendung von agentenbasierter ModelIierung wird überbetont (so Ab-bott 2007b; Lucchini 2007: 236ff., 2008: 9ff.; Sawyer 2007: 260).

    Man wird in diesem Sammelband nicht auf alle Einwände, Kritiken, Anregungeneingehen können. Aber das Ziel ist es, die Diskussion zum "ana!Jtical turn" zu be-reichern und einen kleinen weiteren Schritt zur Präzisierung der Analytischen Sozi-

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  • Eiriführung in die Diskussion zurAnalYtischen Soifologie

    ologie zu machen. Denn nur wenn die analytische Soziologie ein besseres Ver-ständnis von sozialen Phänomenen als alternative Ansätze liefert, ist die Verwen-dung dieser Forschungsstrategie gerechtfertigt.

    In diesem Sinne werden in den folgenden Beiträgen zentrale theoretische Be-griffe verfeinert, erweitert und überdacht. Daneben gilt es, methodische Entwick-lungen voranzutreiben und in empirischen Studien den analytischen Ansatz anzu-wenden. Konkret erwartet den Leser folgende Beiträge:

    Michael Schmid legt ausführlich die entscheidungstheoretischen Grundlagen desvon Hedström vorgelegten Ansatzes dar und plädiert dafür, die DBO Theorie alsSpezialfall einer weiter gefassten Rationaltheorie zu sehen und nicht umgekehrt.Mit der Verwendung der DBO Theorie zur Erklärung individuellen Verhaltensbegrenzt sich die Analytische Soziologie auf ein Forschungsfeld, das nur bestimmteInterdependenzverhältnisse (Koordinationsprobleme) bearbeiten kann. Vor diesemHintergrund sieht Schmid den Nutzen einer Rationaltheorie des Handelns darin,andere Interdependenzgeflechte modellieren zu können (z.B. Verteilungskonflikte).Im Weiteren hält Schmid dem Hedströmschen Verständnis sozialer Mechanismenentgegen, dass für eine realistischere Deutung von Theorien und Modellen wenigerauf deren induktive Bestätigung als auf deren Widerlegung Wert zu legen sei.

    Rainer Greshoffunterstreicht in seinem Beitrag, dass es notwendig ist, genauer alsbisher die Grundbegrifflichkeiten der Analytischen Soziologie herauszuarbeiten,um die mechanismische Methodologie fruchtbar zu machen. In seiner Perspektivebeeinflussen Akteure sich nicht einfach gegenseitig durch ouverte Handlungen inihren Bedürfnissen, Überzeugungen und Opportunitäten, sondern auch durchwechselseitige Erwartungserwartungen. Greshoffargumentiert, dass folglich eine ge-nauere Fassung der "Mikro-Prozesse" notwendig ist, um zu verstehen, wie sozialeKollektivitäten entstehen. Das Modell der Frame-Selection-Theory (FST) wird vonihm als eine Möglichkeit gesehen, um die Situations- und Selektionslogik des Han-delns der Akteure zu entschlüsseln. Dabei wird die FST nicht als Gegenentwurf zuHedström verstanden, sondern als ein Konzept, das genauer angeben kann, wie derEntscheidungshorizont (Bedürfnissen, Überzeugungen, Opportunitäten) im Ent-scheidungshandeln der Akteure definiert wird und darin auch das Handeln und dieErwartungen anderer Akteure berücksichtigt.

    Jiirgen Macker! diskutiert kritisch die Auseinandersetzung mit Mertons Theorienmittlerer Reichweite in der Analytischen Soziologie. Seiner Ansicht nach sind dieAbgrenzungsbestrebungen von Hedström gegenüber Merton unbegründet undfalsch. Stattdessen werden von Macker! Gemeinsamkeiten hervorgehoben, aberauch aufgezeigt, welche Elemente des Mertonschen Denkens stärkere Verwendungin der Analytischen Soziologie finden sollten. Für Macker! ist die Bedeutung jenerZwänge entscheidend, die Opportunitätsstrukturen dem Handeln der Akteure auf-

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  • Thomas Kron / Thomas Grund

    erlegen, sowie die Bedeutung sozialer Mechanismen im Sinne von Mertons Theo-rien mittlerer Reichweite.

    Christopher Edling und Jens Rydgren stellen die Notwendigkeit der Intentionalitätdes Handelns in der Analytischen Soziologie in Frage. Eine Beschränkung auf der-artiges Handeln grenze den Erklärungsbereich unnötig ein. Stattdessen plädierensie dafür, Interessen als eine von vielen Triebfedern für Handlungen zu verstehen.Die Analytische Soziologie täte gut daran, sich ernsthaft auch mit Sozialisations-prozessen und "weichen" Ideen wie "Kultur" und "Identität" auseinanderzusetzen.Nur mit derartigen Bezügen sei zu verstehen, warum Individuen das tun, was sietun. Inwieweit diese Forderungen umzusetzen sind, ohne den analytischen An-spruch aufzugeben, zeigen sie exemplarisch an der Rolle von sozialer Identität.

    Markus Baum weist in seinem Beitrag auf den in der Diskussion um die Analyti-sche Soziologie bislang kaum beachteten Punkt bin, dass es innerhalb der Analyti-schen Soziologie keine systematische Berücksichtigung und Darlegung des eigenennormativen Standpunkts gibt. Die Berücksichtigung der eigenen, oft genug implizi-ten Normativität müsse auch für die Analytische Soziologie eingefordert werden,besonders da sie für sozialpolitische Implementationsmaßnahmen offen ist. ZurBegründung dieser Forderung rekonstruiert Baum aus der Sicht der KritischenTheorie die Theorie Hedströms und verortet dessen empirisches Beispiel schwedi-scher Arbeitsloser machttheoretisch im Anschluss an Foucault. An dieser Stellewird Hedström als Vertreter einer neoliberalen Wirtschaftspolitik entlarvt, so dasssein entdeckter erklärender Mechanismus implizit dem hegemonialen Diskurs ent-spreche. Daraus resultiert die Forderung nach einer integrativen Theoriebildung,die die Reflexion des eigenen Standpunkts umfasst.

    Gunn Elisabeth Birke/und betont, dass Akteure kontextualisiert betrachtet werdenmüssen. Ein gutes analytisches Modell sollte die Effekte von Eigenschaften einessozialen Aggregats, vor allem von Opportunitätsstrukturen, auf die Beschränkun-gen und Orientierungen der Akteure explizieren. Dies macht sie für Präferenzendeutlich. Verschiedene Kontexte und strukturelle Positionen führen dazu, dassAkteure als Träger multipler Präferenzen angesehen werden können. Damit einher-gehend, so Birke/und, sind multiple Präferenzordnungen zu erwarten. Sozial Kon-texte sind folglich nicht nur dahingehend wichtig, dass sie Möglichkeiten für Hand-lungen bieten, sondern auch die Wahl der geltenden Präferenzordnung bestimmen.

    Andrea Maurer bezieht sich in ihrem Beitrag auf das Verhältnis der AnalytischenSoziologie zur Rational-Choice-Theorie. Sie kritisiert, dass die von Hedström ver-wendete DBO-Theorie im Gegensatz zu Rationaltheorien keine deduktiv belastba-re Ableitungen zulässt, sondern aufgrund der vielfältigen möglichen Kombinatio-nen von Bedürfnissen, Überzeugungen und Opportunitäten auf der Handlungs-und Interaktionsebene theoretisch unbestimmt bleibt. Die von Hedström einge-setzten "elementaren Mechanismen" seien somit nichts weiter als ad-hoc-Hypothe-

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  • Eiriführung in die Diskussion zurAnalYtischen Soifologie

    sen, die nicht systematisch erweitert werden können, weshalb Rationaltheorien vor-zuziehen seien, die dies systematisch und theoretisch angeleitet leisten können.

    Andreas Diekmann sieht die von Hedström vorgelegten Konzepte sehr eng mitder Rational-Choice-Theorie verbunden. Hedströms Instrumentalismus-Vorwurfgegenüber der Rational-Choice-Theorie ist, so Diekmann, letztlich genauso unhalt-bar wie die Unterscheidung von "deskriptiv unvollständigen" und "deskriptiv fal-schen" Theorieansätzen. Zudem sei die von Hedström verwendete DBO-Theoriegar keine Theorie, da sie im Sinne Poppers nicht falsifizierbar sei. Erst mit derAnnahme einer Entscheidungsregel, wie z.B. der Maximierung des Erwartungsnut-zens, wird die von Hedström gewählte DBO-Perspektive zu einer erklärendenTheorie. Diekmann betont die Allgegenwärtigkeit von strategischen - zukunftsge-richteten - Interaktionen (z.B. Kollektivgutprobleme, soziale Dilemmata und sozia-le Bewegungen) und die Notwendigkeit, die Analytische Soziologie um spieltheore-tische Konzepte zu ergänzen. Die Spieltheorie ist präzise, auf viele Fälle anwendbarund hält eine formale Sprache bereit, die man benötigt, wenn man zeigen möchte,dass eine kleine Ursachenänderung eine große Wirkung haben kann. Im Weiterensieht Diekmann Forschungsbedarf bei der Weiterentwicklung von evolutionärenModellen sowohl für das Forschungsprogramm des rationalen Handelns als auchfür die von Hedström vorgelegte Analytische Soziologie.

    Peter Abell zeigt systematisch auf, wie kausale Schlüsse in Situationen mit nurwenigen Fällen oder gänzlich auf Fallstudien beruhend gezogen werden können.Hierfür bedient er sich des Konzepts Bayesscher Narrative. Sokhe Erzählungenlassen sich als Verknüpfungen von Handlungsketten und Einzelbelegen verstehen.Oftmals ist nur für Einzelfälle bekannt, wie eine bestimmte Handlung zu einer an-deren führt. Mittels des Bayesschen-Theorems zeigt Abell, wie derartige singuläreBelege oder Mechanismen zusammengeführt werden können, um allgemeingültigeAussagen zu treffen. Damit bietet Abell eine wichtige Ergänzung zur AnalytischenSoziologie, die ja gerade davon ausgeht, dass Mechanismen nicht immer determi-nistisch sind und auf singulärer Ebene (der einzelnen Individuen) nicht immer zugleichen sozialen Ergebnissen führen. Das Konzept der Bayesschen Narrative istauch dahingehend attraktiv, da es sich nicht nur bei kleinen Fallzahlen anwendenlässt, sondern eben auch dynamische Prozesse implizit berücksichtigt.

    Per Arne Trifte argumentiert, dass die Analytische Soziologie der Relevanz vonSinnverstehen und Interpretation noch nicht gerecht wird. Seiner Ansicht nachsind sowohl Beschreiben als auch Verstehen als Grundvoraussetzungen für adä-quates Erklären zu begreifen. Soziale Phänomene können folglich nur durch dasEntschlüsseln des individuellen und kollektiven Sinns verstanden werden, derihnen beigemessen wird. Für diese Zwecke erachtet Trifte ein Zusammenspiel vonsowohl quantitativen als auch qualitativen Methoden in der Analytischen Soziologieals angebracht.

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    Riccardo Boero und Flaminio Squa~oni unterstreichen die Rolle, die Computer-simulationen in der Analytischen Soziologie spielen. Agentenbasiertes Modellierenerlaubt eine explizite Abbildung von Akteuren, deren Interaktionen und relevantenMechanismen. Auf diese Weise 1J.ssen sich generative Prozesse direkt beobachtenund untersuchen. Im Weiteren können oftmals Muster und d.h. auch: unvorher-sehbare soziale Konsequenzen individuellen Handelns nachgebildet werden. Wenndie Analytische Soziologie Wert auf das Soziale erzeugende Prozesse legt, gehörenComputersimulationen zum Standard-Werkzeug dieser Forschungsgemeinde. Boeround Squa~oni zeigen verschiedene Typen von Computersimulationen auf und le-gen dar, wo die Herausforderungen für den Einsatz von agentenbasierten Modellenin der Soziologie liegen.

    Gianluca Manzo demonstriert eine konkrete Anwendung solcher Computersimu-1J.tionen und beschäftigt sich mit dem Phänomen, dass Akteure objektive Bedin-gungen und Chancen oftmals als schlechter empfmden, je besser diese "objektiv"sind. Am Beispiel re1J.tiver Deprivation - der Tendenz, sich als benachteiligt imVergleich zu Anderen zu fühlen - zeigt Manzo auf, wie allgemeine Bezüge zu ver-schiedenen lokalen und globalen Bezugsgruppen zu höchst unterschiedlichen Er-gebnissen führen. Einen weiteren Beitrag liefert er mit der systematischen Unter-scheidung zwischen dem Vorhandensein von re1J.tiver Deprivation und der Intensi-tät eines dadurch verursachten Gefühls.

    Wir hoffen sehr, dass diese Beiträge Anregungen zur Fortentwicklung der Analyti-schen Soziologie geben können. Dass dies in einem Sammelband möglich ist, istnicht alleine uns zuzuschreiben, sondern der Hilfe verschiedener mithandelnderAkteure geschuldet: Unser Dank gilt Kulbarsch & Partner für die Übersetzungen derenglischen Beiträge (zudem wurden alle Passagen aus "Dissecting the Social" über-all dort der deutschen Übersetzung angepasst, wo es auf die sprachlichen Differen-zen offensichtlich nicht ankommt); Timur Ergen und Pascal Berger danken wir für dieunermüdliche Unterstützung bei Formatierungs- und sonstigen Arbeiten, die nahe-zu mit detektivischem Geschick ausgeführt werden mussten, sowie für das Korrek-turlesen, an dem auch Andreas Braun sehr hilfreich mitgewirkt hat. Dem VerlagftirSoiJalwissenschqften ist für die geduldige Kooperationsbereitschaft zu danken, nichtzuletzt auch in der Vertragsgestaltung, wofür Cori A. Mackrodt in diesem Fall einbesonderer Dank gebührt. Nicht zuletzt hat uns Peter Hedströ", bei Rückfragen stetsbereitwillig Auskünfte über Details seiner Analytischen Soziologie verraten - auchdiese Diskussionen tragen die Hoffnung, dass die Analytische Soziologie noch1J.nge nicht an ihrem Ende angekommen ist.

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  • Eiriführung in die Diskussion zurAnalYtischen Soifologie

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  • Sozialtheorie

  • MichaelSchmid

    Mechanismische Erklärungen und die,,Anatomie des Sozialen"Bemerkungen zum Forschungsprogramm derAnalytischen Soziologie

    1. Einleitung

    Peter Hedström hat vor wenigen Jahren ein mitderweile auch ins Deutsche (undItalienische) übersetztes Buch! vorgelegt, in dem er sich für eine Neuorientierungder soziologischen (aber auch der "interdisziplinären" (Hedström/Swedberg 1996a:282)) Theoriebildung einsetzt, die verspricht, wenigstens einige der überkommenen(sowohl erklärungslogischen als auch prüfungstheoretischen) Unzulänglichkeitenund zudem die "Fragmentarisierungen" (Hedström 2008: 25, 46) bzw. den (in denAugen Hedströms unhaltbaren) "theoretischen Pluralismus" (Hedström 2008: 59)der Disziplin zu meiden. Betrachtet man den genaueren Argumentationsgang desTraktats, der in den Augen seiner Anhänger als eine Art "Manifest der Analyti-schen Soziologie" gilt (Barbera 2006: 32), dann kann man ihn auch als den Versuchbewerten, ein "neues" Theorieparadigma zu begründen, das mit dem Ehrgeiz auf-tritt, marktgängige Theorieüberlieferungen ignorieren (Hedström 2008: 11, Fn. 2)2und den immer wieder beklagten Hiatus zwischen theoretischer und empirischerForschung überwinden zu können.3

    Vgl. Hedström (2005, 2006, 200B). Ich halte mich an die deutsche Übersetzung, verwende abetdort, wo mir wichtig ist, dass der Leser dieses Kommentars die englischen Begriffskonnotationenkennt, die originale englische Nomenklatur.

    2 Freilich werden auch Max Weber (Hedström 2006c: 73, 200B: 17), Georg Simmel (Hedström/Swedberg 199B: 5) und det frühe (Hedström 200B: 13, 17), wegen seiner funktionalistischen Be-handlung sozialer Mechanismen aber nicht der späte Parsons (Hedström/Swedbetg 199B: 6, Fn. B)verschiedentlich erwähnt, und auch de Tocqueville findet sich in die Ahnenreihe der "analytischenSoziologen" aufgenommen (vgl. Hedström 2006c: 73, 2005; Edling/Hedström 2005). Barbera(2006: 34f.) und Nogueta (2006: 10) enthalten erweitette Listen von Autoren, die sie als (detzeitige)Vertreter der ,,Analytischen Soziologie" einstufen.

    3 Dem dienen offenbar auch weitete Vetöffentlichungen, in denen det Autor seinen ,,Ansatz" theo-riepolitisch zum Durchbruch verhelfen möchte, vgl. Hedström/Witrrock (2009) und Hedström/Bearman (2009).

    31T. Kron, T. Grund (Hrsg.), Die Analytische Soziologie in der Diskussion,DOI 10.1007/978-3-531-92510-3_2,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

  • Mechanismische Erklärungen und die ,,Anatomie des SoiJalen"

    Ich möchte in einem ersten Schritt diese programmatischen Vorschläge zur Etab-lierung einer integrativen "Analytischen Soziologie" bewerten4, um sie daraufhineiner - wie ich hoffe - teils klärenden, teils weiterführenden Kritik zu unterziehen.

    2. Bewertung der Analytischen Soziologie

    Ich möchte zunächst diejenigen Überzeugungen des Hedströmschen Forschungs-programms herauszustellen, die durchweg zu verteidigen sind. Wenn ich seine Auf-fassung nicht verfälsche, so möchte Hedström die Soziologie aus ihrer (theoreti-schen und zumal erkenntnistheoretischen) "Krise", die Raymond Boudon bereitsvor über drei Jahrzehnten ausgemacht hatte (vgl. Boudon 1980: Hf.), befreien, in-dem er sie drängt, sich vom überkommenen Ballast metaphysischer, normativerund typologisch-narrativer Theorieauffassungen zu trennen und davon abzusehen,sich vornehmlich in empiriefernen "metatheoretischen" (Hedström 2008: 11) und"exegetischen Exkursen" (Hedström 2008: 26) zu ergehen. An die Stelle der "far-benfrohen" (Hedström 2008: 66) oder "holistischen" Begrifilichkeit (Hedström2008: 210) und der "oft nichtssagenden Schriften der ,großen' soziologischen The-oretiker" (Hedström 2008: 11) soll eine kompromisslos wissenschaftliche und d.h.für den Autor vor allem: eine theorie- wie empiriegeleitete Soziologie treten, die dazu inder Lage ist, die "operative Logik" (Hedström 2008: 210) der sozialen Realität zuerklären, und sich den wissenschaftslogischen Anforderungen, die an ein derartigesUnternehmen zu stellen sind, unterwirft.5 Dabei hängt der Erfolg des zu diesemZweck entwickelten "explanatory framework" (Hedström 2005: 11) in der Tat vonder Identifikation und formalen ModelIierung "generativer sozialer Mechanismen"(vgl. Hedström 2008: 25, 41 u.a.) ab, die logisch abzuleiten erlauben, wie sich "so-ziale Tatsachen" (Hedström 2008: 68) aus den jeweiligen Motiven und Handlungs-orientierungen einzelner Akteure und ihren Interaktionsregimes zwangsläufig erge-ben. Zur Bestimmung dieser Motive (Hedström 2008: 62) und deren "causal po-wers" (Hedström 2005: 105)6 wiederum benötigt der Forscher eine Theorie des

    4 Ich beschränke mich (weitgehend) auf die Ideen, die Hedström vorgelegt hat. Barbera (2006) undNoguera (2006) verbinden mit dem Begriff der ,,Analytischen Soziologie" offenbar unifikatorischeund einheitsparadigmatische Ansprüche, die sich derart expressis verbis bei Hedström nicht findenlassen.

    5 Eine Implikarion dieser Anlehnung muss sein, dass die Soziologie darauf verzichten sollte, sich zurmethodologischen Deckung ihrer luftigen Begriffsübungen und definitorischen Mystifikationen(Hedström 2008: 14) eine eigenständige Methoden- und Erkennmislehre zuzulegen, die sich vonder Wissenschaftstheorie, die die Naturwissenschaften für verbindlich halten, unterscheiden müss-te. Auf eine solche alternative Theorie der Wissenschaft sind vor allem jene Soziologen angewiesen,die weder Erklärungen geben noch ein realistisches Forschungsprogramm verfolgen wollen.

    6 Damit entfernt sich Hedström mit Nachdruck von allen Handlungsauffassungen, die auf (kausale)Handlungserklärungen glauben verzichten zu sollen, und steckt damit zugleich den Bereich ab, in-nerhalb dessen eine Zusammenarbeit mit der Handlungspsychologie naheliegt. Die Arbeiten von

    32

  • MichaelSchmid

    individuellen Handelns (vgl. Hedström 2008: 56), die zugleich plausibel macht, wie"causal agents" (Hedström/Swedberg 1996a: 290) Interaktionsstrukturen undderen Kollektiveffekte vermittels ihrer (aufeinander bezogenen) Handlungen "ge-nerieren" (Hedström 2005: 111) oder "erzeugen" (Hedström 2008: 159). Soziologi-sche Erklärungen verpflichten sich auf diese Weise einem kompromisslosen, aberkeinesfalls (ontologisch) "extremen" Methodologischen Individualismus (Hed-ström 2008: 16, Fn. 4), der reduktionistische7 und strukturalistische Erklärungs-praktiken zugunsten mehrstufiger und mikrofundierender ErklärungenB gleicher-maßen vermeiden möchte.

    Auf der damit festgelegten Basis kann in der Tat ein heuristisch fruchtbringen-des soziologisches Theorieprogramm entworfen werden, das - wie Hedströmmehrfach zeigt - auf empirische Bestätigungen (oder fortschreitende Korrekturen9)nicht zu verzichten braucht. Die Leistungskraft dieser Heuristik lässt sich insoferngenau abschätzen, als jedes Erklärungsargument im Ralunen eines handlungstheo-retisch basierten Modells formalisiert werden muss, um die erwünschte Ableitungs-genauigkeit und damit eine, mit Hilfe empirischer Daten kontrollierbare, Vorhersa-gekraft zu garantieren. Insoweit der Modelleur die jeweils vorausgesetzten, in ganzunterschiedliche Richtungen weisenden Anwendungsbedingungen genau angebenkann, lassen sich im Rahmen eines derartigen Forschungsprogramms unterschiedli-che Erklärungsszenarien (oder "Strukturmodelle", vgl. Esser 2002: 142ff.) vonei-nander unterscheiden, die Hedström - in Anlehnung an seinen Mentor Robert K.Merton - an verschiedenen Stellen als "Theorien mittlerer Reichweite" bezeichnet(Hedström 2008: 20f., 199; Hedström/Swedberg 1998: 5f.; Hedström/Swedberg/Udehn 1998: 353).10 Da diese Kennzeichnung indessen niemanden daran hindernkann, zu fragen, wie sich diese Einze1modelle auseinander ableiten, miteinanderverbinden und auch ausbauen lassen, braucht sich die Analytische Soziologie keine

    Jon Elster, der genau besehen keine "sozialen", sondern - in kritischer Auseinandersetzung mit derRational Choice-Tradition - "psychische Mechanismen" untersucht (vgL Elster 1989: 9 u.a.), sindihm dabei verbindliches Vorbiki.

    7 Vgl. für ein solches Missverständnis Pickel (2006), das aber insoweit konsequent ist, als