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Thomas Metscher · Mimesis bilden einen materiellen Zusammenhang, der im ontolo- gischen Sinn als eine kategoriale Reihe begriffen werden muss. Das bedeutet aber, dass die Begriffe

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Thomas Metscher | Mimesis

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Bibliothek dialektischer Grundbegriffe

Bisher erschienene BändeChristoph Hubig | MittelRenate Wahsner | NaturwissenschaftWerner Rügemer | arm und reichMichael Weingarten | Leben (bio-ethisch)Jörg Zimmer | MetapherHans Heinz Holz | WiderspiegelungVolker Schürmann | MußeAngelica Nuzzo | SystemMichael Weingarten | WahrnehmenJörg Zimmer | Reflexion

In VorbereitungHermann Klenner | Recht und UnrechtMichael Weingarten | Sterben (bio-ethisch)Gerhard Pasternack | DekonstruktionGerhard Stuby/Norman Paech | VölkerrechtAndreas Arndt | UnmittelbarkeitWerner Rügemer | EthikMichael Weingarten | Tod (bio-ethisch)Thomas Metscher | Literatur

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π�ντα �ειEdition panta rei |

Bibliothek dialektischer Grundbegriffeherausgegeben von Andreas Hüllinghorst

Band 10 | Thomas Metscher | Mimesis

2., durchgesehene Auflage

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Die Bibliothek dialektischer Grundbegriffe ist eine Einführungs-reihe in verschiedene Ansätze dialektischen Philosophierens.Weitere Informationen zur Reihe insgesamt als auch zu Autorenund einzelnen Bänden erhalten Sie auf der Internetseite www.transcript-verlag.de/prg_pan_edi.htm. Dort haben Sie auch dieMöglichkeit, Fragen, die Ihnen bei der Lektüre kommen, an denHerausgeber bzw. an den jeweiligen Autor zu stellen.

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© 2004 transcript Verlag, Bielefeld1. Auflage 2001 Aisthesis Verlag, BielefeldSatz: Digitron GmbH, BielefeldDruck: Majuskel Medienproduktion GmbH, WetzlarISBN 3-89942-165-5

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Inhalt

6 | Naturontologie und Anthropologie alsGrundlage einer Ästhetik

7 | Mimesis und Ontologie

8 | Mimesis und Anthropologie

9 | Zur Geschichte des Mimesis-Begriffs

13 | Resümee

17 | Die kategoriale Grundlegung der Mimesisin den Künsten

29 | Bedeutungskonstitution:Der Weltbildcharakter der Künste

48 | Weiterführende Literatur

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Naturontologie und Anthropologie als Grundlage einer Ästhe-tik | Worin ich einführen möchte, ist Teil eines Vorhabens, dassich zweierlei zum Ziel gesetzt hat: 1. die ontologische Rehabili-tierung der Begriffe ›Widerspiegelung‹ und ›Mimesis‹ als Grund-begriffe dialektischer Theorie und 2. die Ausarbeitung einer dia-lektischen Ästhetik am Leitfaden dieser Begriffe. Die Begrün-dung für den Rückgriff auf beide Begriffe liegt in der Einsichtbeschlossen, dass das Widerspiegelungstheorem wie das ihm

1zugeordnete Mimesis-Konzept trotz großer theoriegeschichtli-cher und politischer Belastung eine noch unausgelotete Leis-tungsfähigkeit besitzt. Hat der Mimesis-Begriff im zeitgenössischen Denken, vorbe-reitet durch Theodor W. Adorno (1903–1969), eine gewisse Auf-wertung erfahren, so lässt sich dies vom Widerspiegelungsbegriffnicht behaupten. Auch innerhalb der marxistischen Theoriebil-dung war sein Status zuletzt nicht unbestritten. Sofern er über-haupt Verwendung findet, lassen sich drei Gebrauchsformen vonWiderspiegelung unterscheiden: 1. die restriktive Verwendungdes Begriffs im Rahmen einer sozialfunktional-kommunikativenästhetischen Theorie, wie sie am luzidesten von Dieter Schlen-stedt vorgetragen wird, 2. der traditionell dominante erkenntnis-theoretische Gebrauch des Begriffs und 3. sein ontologischer Ge-brauch. Dieser wird heute am überzeugendsten von Hans Heinz

2Holz vertreten. Meine eigenen Überlegungen ordnen sich der Position vonHolz zu, wobei ein Weg über eigenständige Begründungen undArgumentationen gesucht wird. ›Widerspiegelung‹ und ›Mimesis‹gelten mir als Begriffe von ontologisch-anthropologischem Sta-tus, sodass von einem einander zugeordneten Begriffspaar ge-sprochen werden kann. Mimesis hat nach diesem Verständnis ih-ren genetischen Ort in Seinsverhältnissen. Sie ist Modus materi-eller Reflexivität (= Widerspiegelung), damit letztinstanzlichQualität der Materie (= Natur) selbst. Materie – Widerspiegelung –Mimesis bilden einen materiellen Zusammenhang, der im ontolo-gischen Sinn als eine kategoriale Reihe begriffen werden muss.Das bedeutet aber, dass die Begriffe ›Widerspiegelung‹ und ›Mi-

1 | Das Verhältnis beider ist bis dato wenig geklärt. Seine Aufklärunggehört mit zu den Zielen dieses Unternehmens.2 | Vgl. dazu Hans Heinz Holz, Widerspiegelung, in: Bibliothek dialekti-scher Grundbegriffe, Band 6, Bielefeld 2003

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mesis‹ adäquat nur im Rahmen einer differenzierten ontolo-gisch-anthropologischen Ausarbeitung verstanden werden kön-nen, die hier nur angedeutet wird. Aus diesem Grund kann dieintendierte ästhetische Theorie ohne das Fundament einer Onto-logie und Anthropologie nicht auskommen. Die Ausarbeitung ei-ner Ontologie des gesellschaftlichen Seins (= Anthropologie) kannmaterialistisch nur als Teildisziplin einer Ontologie des Seins (=Naturontologie) verstanden werden. Darum grenzt Anthropologiean eine Naturontologie und baut auf ihr auf. Von der Sache herist es deshalb unumgänglich, den Überlegungen zur Ästhetik dieSkizze einer Ontologie und Anthropologie vorauszuschicken, wasauch zur Aufgabe des Gesamtprojekts gehört.

Mimesis und Ontologie | ›Widerspiegelung‹ fungiert im Rah-men des anvisierten Projekts als fundamentalster und umfas-sendster Begriff, als Kategorie von grundlegend ontologischem,anthropologischem und erkenntnistheoretischem Status, alsGrundbegriff des dialektischen Materialismus selbst. Des Weite-ren hat ›Widerspiegelung‹ eine kultur- und ästhetiktheoretischeBedeutung. In diesem modifizierten Sinn ist ›Widerspiegelung‹Grundbegriff eines Teilbereichs materialistischer Theorie. Diefundamentale Bedeutung der Widerspiegelungskategorie grün-det in der Reflexivität als Struktureigenschaft dialektisch aufge-fasster Materie, in der objektiven Verfasstheit des materiellenSeins selbst. Diese Struktur von Reflexivität tritt im kognitivenAkt – in menschlicher Erkenntnistätigkeit wie in psychischenProzessen überhaupt – prägnant hervor, ist aber nicht auf Er-kenntnistätigkeit und das Verhältnis Sein – Psyche – Bewusstseinbeschränkt. Vielmehr erscheinen aus dialektisch-materialisti-scher Sicht Psyche und Bewusstsein als organisch verbundeneQualitäten des Seins selbst: Sie partizipieren an der reflexivenVerfasstheit von Materie. Reflexivität und Widerspiegelung wer-den von mir in der Sache synonym verwendet – mit der einenDifferenz: Ausdrücklich artikuliert der Widerspiegelungsbegriffdie materialistische Wendung der ursprünglich idealistisch ge-

3fassten Reflexivitätskategorie. Mimesis ist so ein Modus dieses grundlegenden materiellenReflexionsverhältnisses bzw. Modus von Widerspiegelung, bezo-

3 | Zum Reflexionsbegriff siehe Jörg Zimmer, Reflexion, in: Bibliothek2dialektischer Grundbegriffe, Band 11, Bielefeld 2003.

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gen auf höhere Formen materiellen Seins, nämlich als Qualitätentwickelten organischen Lebens, das sich im biotischen Verhal-ten natürlicher Organismen universal äußert und im »mimeti-

4schen Vermögen« des Menschen seine entwickeltste und kom-plexeste Gestalt erhält. Empirische Begriffe wie ›Mimikry‹, ›An-passung‹, ›Assimilation‹, ›Identifikation‹ usw. haben ihren Ort indiesem ontologisch-biologisch-anthropologischen Zusammen-hang. ›Imitation/Nachahmung‹ und ›Darstellung/Ausdruck‹ sindZuordnungen oder Modi des Mimesis-Begriffs.

Mimesis und Anthropologie | Mimetisches Verhalten – sagenwir zunächst Nachahmung, Assimilation – ist ein Grundcharakte-ristikum menschlicher Lebenstätigkeit, ja, des organischen Le-bens überhaupt: Angleichung an eine Umwelt zum Zweck der Le-benssicherung. Organismen assimilieren sich. Sie machen sichähnlich, um sich ihrer Umwelt anzugleichen. Wir begegnen ihmgleichfalls in bio-chemischen Prozessen (z. B. in der Umwand-lung von Nährstoffen in Assimilate). Auch als sprachliches Phä-nomen ist Assimilation bekannt: die Angleichung eines Mitlauts

5an den anderen. Psychologisch meint Assimilation die Ver-schmelzung einer neuen Vorstellung mit einer bereits vorhan-denen. Allen Beispielen ist gemeinsam, dass ein in einem Um-weltbereich neu Hinzukommendes sich diesem Umweltbereichgleich macht, mit ihm verschmilzt oder durch Angleichung ei-nem Muster sich einfügt. Ein solches Sich-Einfügen ist in einemfundamentalen ontologischen Sinn Bedingung des Überlebens,Voraussetzung von Reproduktion, organischer Bestandteil derSelbstreproduktion des Lebensprozesses. Es gehorcht den Zwän-gen der Selbsterhaltung. So scheint es berechtigt, hier verallge-meinernd – bezogen auf organisches, insbesondere animalischesund menschliches Leben – von einem mimetischen Verhalten zusprechen, dem ein Vermögen, eine ursprüngliche biotische Kraftzugrunde liegt. Für den Menschen ist dieses Verhalten das Grundcharakteris-tikum seiner Lebenstätigkeit, ontologicum par excellence, ist esdie Form der Adaption an gegebene Seinsverhältnisse, die aller-erst das Überleben sichert, ist es Bedingung menschlicher Repro-

4 | Walter Benjamin, Über das mimetische Vermögen, in: GesammelteSchriften, Band 1, Frankfurt/Main 1980, S. 507 ff.5 | So wird ›Lamm‹ aus mittelhochdeutsch ›lamb‹.

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duktion auf allen Stufen gesellschaftlicher Entwicklung, ist es alsbiotisches Vermögen auch die elementare Bedingung kulturellerBildung, nämlich der Kraftentfaltung des menschlichen Subjekts.

AristotelesZur Geschichte des Mimesis-Begriffs | Die besondere Rolleder Mimesis ist sehr früh in der Philosophie erkannt worden.Aristoteles (384–322 v. u. Z.) sah das mimetische Vermögen alsFundament der Künste. Er betrachtete es als in der menschlichenNatur verankert; wie er »die Freude, die jedermann an Nachah-

6mungen hat«, als das zweite Fundament der Künste verstand.Dem mimetischen Vermögen kommt nach Aristoteles nicht alleindie zentrale Rolle bei der Genesis der Künste zu, es besitzt da-rüber hinaus eine grundlegende Rolle im Bau der menschlichenKultur. So verstehen wir die Stelle in der Physik, an der es heißt,dass »menschliches Herstellen […] die Gebilde der Natur teilszum Abschluß [bringt], nämlich dort, wo sie die Natur selbstnicht zum Abschluß zu bringen vermag; teils […] die Gebilde der

7Natur nach[bildet]«. Aristoteles hat also alles menschlicheHerstellen, das gesamte Werk der Zivilisation im Blick, sofern esProduktion des Menschen ist. Alles zivilisatorische Tun ist einHerstellen, das auf zwei Weisen erfolgen kann: auf der eines Zu-Ende-Bringens von etwas, das die Natur selbst nicht zum Ab-schluss gebracht hat, und auf der eines mimetischen Handelns,das nach Maßgabe des in der Natur vorhandenen, doch verbor-genen τ�λ�ς (telos, Ziel) schafft, ein Handeln also, das mentaleKoinzidenz mit Erscheinungen und Strukturgesetzen der Natureinschließt und damit die in der Natur enthaltenen Potenzen,

8 9ihre entelechischen Formen, erst entbindet. An diese, moderngesprochen, zugleich anthropologische und kulturtheoretischeAuffassung von Mimesis haben im Denken des 20. Jahrhundertseine Reihe von Theoretikern angeknüpft.

WalterBenjamin

So versteht Walter Benjamin (1892–1940) das mimetischeVermögen als Produktivkraft, die ihren genetischen Ort in derÄhnlichkeiten erzeugenden Natur hat. Ja, die Struktur »natürli-cher Korrespondenzen« durchwaltet die gesamte Natur in einem

6 | Vgl. Aristoteles, Poetik, Kap. 47 | Aristoteles, Physik, II,8,199a8 | �ντελ�εια, entelecheia, Zur-Wirklichkeit-Kommen, Wirksamkeit9 | Vgl. Ernst Bloch, Das Materialismusproblem, seine Geschichte undSubstanz, in: ders. Gesamtausgabe, Band 7, Frankfurt/Main 1972, S. 479 ff.

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Maß, dass hier von einem naturontologischen Prinzip geredetwerden kann. Im Menschen erreicht die natürliche Fähigkeit,Ähnlichkeiten zu erzeugen, ihre komplexeste Form: Mimesis istfür Benjamin, wie außer ihm vielleicht nur noch für Lukács, sozentral in der Geschichte menschlicher Kultur, dass diese gera-dezu als ›Geschichte des mimetischen Vermögens‹ gelesen wer-den kann. Alle Kultur, vor allem Schrift und Sprache, ist ein Ar-chiv historischer Erfahrung. Benjamin gewinnt diesen äußerstfolgenreichen Gedanken kraft des Begriffs der unsinnlichen Ähn-lichkeit. Unsinnliche Ähnlichkeit verweist auf die, der sinnlichenErscheinungsform nicht ablesbaren strukturellen Korresponden-zen (Homologien und Isomorphien), die Dingen und Zeicheneingeschrieben sind (die Reflexionsstruktur solcher Dinge undZeichen). Sprache und Schrift nun sind ein Archiv geschichtli-cher Erfahrung, weil sie »ein Archiv unsinnlicher Ähnlichkeiten,unsinnlicher Korrespondenzen« sind. In der Sprache sind ganzeGeschichtsstufen sedimentiert – sie ist das »vollkommenste Ar-

10chiv der unsinnlichen Ähnlichkeit«.Theodor W.

Adorno Adorno, dem Ansatz Benjamins folgend, fügt der mimesis-theoretischen Argumentation eine neue Komponente hinzu: denGedanken einer antizipatorischen Kraft, die aus der mimetischenPraxis hervorgeht. Sie muss als Teil des mimetischen Vermögensgedacht werden. Sie korrespondiert mit einem materialistischenUtopiebegriff, wie er für das Denken Ernst Blochs (1885–1977)zentral ist, in einer Weise, die es gestattet, von einer auf mimeti-schen Vermögen fußenden utopischen Rationalität zu sprechen.

GeorgLukács

11 Auch im Denken des späten Georg Lukács (1885–1971) er-hält Mimesis den Charakter eines ontologischen und anthropolo-gischen Grundbegriffs. Mimesis ist eine allgemeine Fähigkeitmenschlichen Seins. Motor der zivilisatorischen Entwicklung undder Herausbildung der Formen der Mimesis ist die im Prozess ma-terieller Reproduktion verankerte, auf dem Fundament menschli-cher Arbeit fußende Entwicklung der Sinne, in deren arbeitstei-ligen Vollzug sich die Grundformen menschlicher Zivilisation he-rausbilden und mit ihnen die Formen der Mimesis. Bereits im Ar-beitsprozess ist Mimesis als Elementartatsache menschlichen Le-

10 | Alle Zitate dieses Absatzes: Walter Benjamin, Über das mimetischeVermögen, a. a. O., S. 509 f.11 | Hier ist an seine Schriften Die Eigenart des Ästhetischen und Ontolo-gie des gesellschaftlichen Seins zu denken.

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bens gegeben, und zwar im Sinne eines ontologischen Verhält-nisses, in dem Bewusstsein als Seinsverhältnis aufgefasst wird.Vom Prozess materieller Reproduktion ausgehend, konzipiert Lu-kács die Entwicklung der menschlichen Sinne als Arbeit der gan-zen bisherigen Weltgeschichte. In diesem Zusammenhang kommtder Mimesis als allgemeiner Fähigkeit des menschlichen Bewusst-seins eine Schlüsselrolle zu: als elementare Mimesis in Alltagund Arbeit, als theoretische Mimesis in der Wissenschaft und alsästhetische Mimesis in der Kunst. Magie, Mythos und Religionbilden Zwischenstufen in der Herausbildung dieser fundamenta-len Mimesisformen. Ästhetische Mimesis ist für Lukács weltschaffende Mimesis:Produktion von Wirklichkeitsmodellen in der ästhetischen Formje individueller Werkwelten; Form, in der historische Welt, d.i.menschliches Leben, seiner selbst ansichtig wird, der Menschsich als »Mensch ganz« erfährt, erfühlt und erkennt. Gegenstandder Kunst ist das gesellschaftliche Subjekt im Verhältnis zu sichselbst, zur Geschichte, zur Natur und zur Kunst selbst. Es ist dasMedium, in dem sich in einem paradigmatischen Sinn das Selbst-bewusstsein der menschlichen Gattung ausbildet. Die in sichselbstständige, durch sich selbst wirkende Totalität der Kunststeht in einem Korrespondenzverhältnis zur »gattungsgeschicht-lichen Wirklichkeitserfahrung«, und zwar in einem je »gegebe-

12nen historischen Entwicklungsstadium der Menschheit«. Kunstbezieht sich auf den realen Geschichtsprozess, der außerhalb derKunst seine materielle Existenz hat, der ohne Kunst freilich umdie Dimension des humanen Selbstbewusstseins verkürzt wäre. Ausdrücklich spricht Lukács vom »universalistischen Huma-nismus« der Kunst, dem »die schärfste klassenmäßige Entschei-dung zugrunde liegen kann«. Kunst ist vox humana. Sie »sprichtdie Wahrheit des historischen Moments für das Leben der Men-

13schen aus«. In der »Universalität des Ästhetischen«, demweltgeschichtlichen »Pluralismus der Künste und Werke« bildetsich das Selbstbewusstsein der Menschheit allererst heraus.

Hans HeinzHolz

In der ontologisch fundierten ästhetischen Theorie von HansHeinz Holz ist ›Mimesis‹, in einer dem Denken Lukács analogen

12 | Gerhard Pasternack, Georg Lukács. Späte Ästhetik und Literaturthe-orie, Königstein 1985, S. 12013 | Georg Lukács, Die Eigenart des Ästhetischen, Neuwied, Berlin 1963,1. Halbband, S. 849

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14Weise, eine anthropologisch verzahnte Grundkategorie. Mime-sis als Nachahmung von Wirklichkeit heißt Produktion einer, ge-gebenenfalls auch unsinnlichen Ähnlichkeit. Die Subjektvermit-teltheit des Objektiven wird im ästhetischen Gegenstand erfass-bar. Ihm kommt, die subjektive Auffassung inhärierend, Objekti-vität und Allgemeinheit zu. Das Einzelne erweist sich in derKunst als Allgemeines. So schafft die Kunst mit Hilfe der Mimesisein objektives Gegenbild zur wirklichen Welt, das sich selbst zueiner Welt abrundet. In ihm werden Universalien von Situations-strukturen erfahrbar, die selbst zum tradierbaren Bestand vonKulturwissen gehören, in denen Grundmuster allgemeinster Da-seinsformen manifest werden.

PaulRicœur

Im Grenzbereich von Anthropologie und ästhetischer Theo-rie, hier speziell der Texttheorie, ist auch die Mimesis-Theorie

15von Paul Ricœur angesiedelt. Kern von Ricœurs anthropologi-scher Grundauffassuung ist die Einsicht, dass der Mensch nurüber den deutenden Umweg durch Symbol, Mythos, Traum, Spra-che und Kunst sich selbst verstehen kann. Diese sind Medien imKontext menschlicher Handlungsvollzüge, durch die der Menscheinen Zugang zur Welt und zu sich selbst gewinnt. In diesem Zusammenhang rückt die Kategorie ›Mimesis‹ ineine zentrale Position. Sie erscheint dreifach: Mimesis alssprachlich vermittelte Lebenswelt menschlichen Handelns, Mi-mesis als Text, d. h. als Welt einer Erzählung, und Mimesis als In-stanz des Lesers, durch den die geschlossene Welt des Textes aufdie Welt jenseits des Textes hin, d.i. die Lebenswelt menschli-chen Handelns, überschritten wird. In dieser Kreisbewegungvollzieht sich der Gewinn einer Konsonanz aus der Dissonanz derZeiterfahrung, »ein Hervortreten des Intelligiblen aus dem Akzi-dentiellen, des Universellen aus dem Vereinzelten. [Mimesis]

16läßt das Allgemeine hervortreten«.

14 | Vgl. Hans Heinz Holz, Philosophische Theorie der bildenden Künste,3 Bände, Bielefeld 1996/1997; siehe dazu auch: Thomas Metscher, HeewonLee, Marxistische Philosophie und ontologische Ästhetik, in: Z. Zeitschriftfür marxistische Erneuerung 1 (2001)15 | Vgl. Paul Ricœur, Zeit und Erfahrung, 3 Bände, München 1988–1991; dazu auch: Jörg Villwock, Zerstreute Einheit, Eine humanistischeKonzeption des Mimesis-Begriffs, in: Philosophische Rundschau 1/2 (1992),S. 111–12516 | Paul Ricœur, Zeit und Erfahrung, a. a. O., Band I, S. 71

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RenéGirard

Den anthropologisch-genetischen Zugriff auf den Mimesis-Begriff teilt René Girard mit Benjamin, Adorno und Lukács. Andie Stelle komplexer kultureller Vermittlungen, in die eine Viel-zahl psychisch-kultureller und historisch-sozialer Komponenteneingehen, tritt in die Mitte der girardschen Mimesis-Theorie, wieim Poststrukturalismus foucaultscher Prägung insgesamt, eineinziges Phänomen: Gewalt. In höchst gewalttätiger Reduktionwird das komplexe historische Menschenbild materialistischenDenkens in ein unhistorisch-essenzialistisches eingeschmolzen,das den Menschen, alle seine kulturellen Handlungen und For-men, auf die einfache Konstellation von ›désire‹ und ›appropria-tion‹ reduziert. In dieser erhält die mimetische Rivalität den Sta-tus eines Motors sozialer Organisation. Die Vielfalt mimetischerFormen wird durch eine Form antagonistischer Mimesis ersetzt.Eine solche Theorie verdeckt nur mühsam ihre Herkunft auseiner Gesellschaft, in der der Kampf aller gegen alle (ThomasHobbes’ [1588–1679] bellum omnium contra omnes) das Grund-prinzip gesellschaftlichen Handelns ist: der bürgerlich-kapita-listischen. Deren historisches Weltprinzip wird im girardschenDenken ontologisiert, d. h. als zeitlos geltendes genommen, undanthropologisiert, d. h., das Weltprinzip wird zum Prinzip derconditio humana gemacht. Dies ist eine ideologische Gestalt vonOntologie und Anthropologie, die der materialistischen Denkensoppositionell entgegensteht. Doch liegt in der Sensibilisierungder Erkenntnis gegenüber dem Verhältnis von Mimesis und Machtein Verdienst des girardschen Ansatzes wie des foucaultschenDenkens insgesamt, auf dem das girardsche beruht. In eine his-torische Kategorialität transformiert und als ein Moment inner-halb eines Ensembles von Momenten begriffen, ist die Dimensionder Macht in den dialektischen Begriff von Mimesis einzuarbei-ten.

Resümee | Diesen skizzierten Ansätzen ist bei allen Unter-schieden in der anthropologisch-kulturtheoretischen wie ge-schichtsphilosophischen Grundauffassung gemein, dass sie Mi-mesis – mimetisches Verhalten, mimetische Praxis – als anthro-pologischen Begriff verwenden: Mimesis gehört wesensmäßigdem �νϑρωπ�ς (anthropos, Mensch) als Bedingung seinesÜberlebens, als Faktor sozialer Organisation und als Motor kultu-reller Bildung zu.

Ontologie 1. Mimesis ist grundlegende Bedingung menschlichen Da-

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seins, der Reproduktion und der Produktion menschlichen Le-bens. In diesem Sinn hat Mimesis den Charakter eines Existen-zials. Ontologisch ist sie an die Reflexivitätsstruktur materiel-len Seins (= Widerspiegelung) im eingangs angezeigten Sinn zubinden. Mimesis ist ein Modus von Reflexivität (als der Strukturvon Analogien, Ähnlichkeiten, Korrespondenzen). Auf der Ebenemenschlichen Seins ist Mimesis zugleich die Bedingung von Be-wusstsein, genauer, Bedingung bewusster Reflexivität (Selbstre-flexivität), die menschliches Sein auszeichnet. Sie ist Bedingungfür die Bildung von Selbstbewusstsein im phylogenetischen wieim ontogenetischen Sinn – des Individuums wie der Gattung.Mimesis bezieht sich ontologisch also auf sekundäre Bildungen,die auf der Grundlage primärer Reflexionsbildungen aufbauen.Die ontologische Bestimmung der Mimesis ist somit auf die onto-logische Bestimmung von Reflexivität bezogen, insofern der an-thropos einer umfassenden materiellen Seinsordnung (= ›Natur‹)zugehört, in der er eine ›zweite Seinsordnung‹, die menschli-che Welt, herausbildet. Mimesis ist einer der Motoren im Prozessder Herausbildung dieser zweiten Wirklichkeit innerhalb der ers-ten, grundlegenden. In diesem Sinn ist Mimesis primäre Kraftkultureller Bildung, sie ist menschliche Produktivkraft par excel-lence.

Anthropologie 2. Mimesis ist Produktivkraft in Konjunktion mit π�ιησις(poiesis), dem Vermögen des Herstellens, Machens und Erfindens.Diese Konjunktion spielt in jede kulturelle Bildung hinein. Sieist in unmittelbarer Weise im Prozess materieller Arbeit präsent.Sie konstituiert alle Ebenen menschlichen Seins: die körperliche,die psychische, die kognitive und die ökonomische. Ohne dieFähigkeit des Ein- und Nachbildens sind psychische Prozesse sowenig denkbar wie körperliche Bildung (Körperkultur, Sport),wie die Fähigkeit des Neubildens und der Konstruktion über-haupt. In den Begriffen ›Abbild‹ und ›Konstruktion‹ kehrt dieseKonjunktion auf erkenntnistheoretischer Ebene wieder. Im Äs-thetischen tritt diese allgemeine Struktur kultureller Bildungprägnant hervor. Sie kommt zu sich selbst. Ja, Poiesis und Mime-sis spielen im ästhetischen Bereich eine solch entscheidendeRolle, dass hier von ersten ästhetischen Prinzipien gesprochenwerden muss.

Bewusstseins-theorie

3. Mimesis ist Vermögen der Psyche, und sie ist eine demλ�γ�ς (logos, Vernunft) eignende Kraft – hier wie anderenortserweist es sich als sinnvoll, mit Aristoteles Psyche und logos als

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17Einheit (als Einheit in der Differenz) zu denken. Mimesiskommt dem imaginativen wie dem theoretischen logos zu. Wenndem nicht so wäre, könnte von einer antizipatorischen Mimesis –der Bindung der Mimesis an utopische Phantasie und utopischeVernunft – gar nicht gesprochen werden.

Komplexität 4. Das mimetische Vermögen gewinnt seine Komplexität imProzess menschheitsgeschichtlicher Entwicklungen. Es bildetsich zu einer Vielschichtigkeit und Differenz von Formen heraus,und zwar auf allen historischen Stufen und in allen kulturellenBereichen: im Alltag, in Wissenschaft und Kunst, in der Magie,im Mythos und in der Religion. Die von Lukács vorgeschlagenenUnterscheidungen von elementarer, wissenschaftlicher und äs-thetischer Mimesis sind für jede weitere Ausarbeitung der Mime-sis-Theorie grundlegend.

Anwesend-Machenvon Abwesendem

5. Auf der Ebene ästhetischer Praxis besitzt Mimesis dieKernbedeutung sinnlicher Vergegenwärtigung, d.i. ein Anwe-send-Machen von Abwesendem oder Verborgenem, das sich derAlltagserfahrung entzieht. In diesem Sinn gilt Hegels (1770–1831) Definition der Kunst auch für Mimesis: Kunst ist das sinn-liche Scheinen der Idee. Der sinnliche Schein, d.i. die fiktive Weltder Kunst, macht gegenwärtig, bringt zur gegenwärtigen An-schauung, was sich der gewöhnlichen Anschauung entzieht, wasdie sinnliche Erscheinung verbirgt und in dieser aber verborgenanwesend ist: ihr verborgenes Wesen, ihr ›Begriff‹, ihre ›Idee‹.›Sinnlicher Schein‹ meint gerade die gestalthafte (= ästhetische)Vergegenwärtigung dessen, was als Kern (ε�δ�ς [eidos], forma,Idee) der unmittelbaren Erfahrung unzugänglich ist, was abwe-send in den Dingen haust; aristotelisch gesprochen: die entele-chische Form in der bewegten Materie.

Tradition 6. Ein Grundmotiv kultureller Bildung ist Mimesis als imitatiovon Überliefertem, nicht nur als intertextuelles Verhältnis, son-dern auch als Verhältnis zu Überliefertem überhaupt: bereits aufder Ebene der materiellen Reproduktion (Arbeit) als Verhältniszu tradierten Fertigkeiten (Wissen, Können), auf der sozialenund kulturellen Ebene als Verhältnis zu Konvention, Sitte,Brauchtum, auf der literarischen und ästhetischen Ebene alsVerhältnis zu tradierten Texten, Werken, Verfahren – als Verhält-nis zum ästhetischen Material insgesamt. Mimesis kann in die-

17 | Vgl. Aristoteles, Psychologie, in: ders., Hauptwerke, hg. von Wil-4helm Nestle, Stuttgart 1953, S. 150–208

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sem Sinn als kulturinterne Relation angemessen in der Katego-rialität mimetischer Aneignung beschrieben werden, auf deren

18Grundlage sich jede kulturelle Bildung vollzieht. In diesemSinn ist die Mimesis von Überliefertem Bedingung kulturellerEntwicklung und des historischen Progresses überhaupt: Nur aufder Grundlage mimetischer Aneignung eines gegebenen Niveausdes Könnens und Wissens kann kulturelle Weiterbildung, d.i.Transformation und Neuformung, vor sich gehen.

Herrschafts-funktion

7. An dieser Stelle zeigt sich in scharfen Konturen, was dieDoppelnatur der Mimesis genannt werden kann. Ihr eignet im-mer, als Erbe genetischer Mimikry, die Anpassung an ein Gege-benes. Diese ist Bedingung der Reproduktion und des Überle-bens, doch zugleich ist sie auch Bedingung der Unterwerfungunter eine herrschende Macht, sei sie natürlich oder sozial, derUnterwerfung auch unter Konvention, Überlieferung und Sitte.In diesen Zusammenhang gehören Akzeptanz von Herrschaft,Eingliederung in existente Machtformationen, gehören Phäno-mene wie Gleichmacherei, Herdenmentalität, Opportunismus. Ichspreche hier, bezogen auf soziale Herrschaft, von der ideologi-schen Funktion der Mimesis. Teil dieser Funktion ist ihr Einsatz inFormen sozialer und politischer Repräsentation. Die Dialektik derMimesis besteht nun präzise darin, dass in dem Gleichen, wasBedingung des Überlebens, der Bildung und Selbstwerdung, Be-dingung schließlich der Befreiung ist, auch das Potenzial derUnterwerfung und Selbstentfremdung steckt – Mimesis ist Be-dingung der Freiheit wie der Unfreiheit. Nur eine Theorie, diesich dieses Doppelcharakters der Mimesis bewusst ist, kann ihrehistorische Komplexität und Funktion angemessen begreifen.

Anforderung aneine dialektischeMimesis-Theorie

8. Diese Dialektik nicht begriffen zu haben, ist Mangel einesgroßen Teils der bis heute entwickelten Theorien. Haben huma-nistisch inspirierte Konzeptionen (bis in den Marxismus hinein)den Aspekt produktiver Bildung im mimetischen Vorgang einsei-tig hervorgehoben, so haben im Zuge der antihumanistischenWende der Kulturtheorie poststrukturalistisch orientierte Theo-rien einseitig den Zusammenhang von Mimesis und Macht in denMittelpunkt gestellt. Mimesis erscheint hier ausschließlich alsAusdruck oder Medium im Konstitutionsprozess von Herrschaftund Autorität oder auch als Form und Agens von Gewalt imKampf der Individuen und Geschlechter. So unstrittig es ist, dass

18 | Siehe dazu meine Überlegungen weiter unten auf S. 19 ff.

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Mimesis historisch soziale Macht konstituiert hat und konstituie-ren kann, dass sie als Mittel ihrer Inszenierung dienlich war undist – also als ideologische Form fungiert –, so einseitig bleibteine Theorie, die das Phänomen auf diesen einen Aspekt be-schränkt. Es zeigt sich, dass allein eine dialektische Theorie dieWirklichkeit als ein Widerspruchsfeld – hier die Mimesis in ihrerZwienatur – beschreiben und in der Beschreibung auf den Begriffzu bringen vermag.

OrganisierendeThesen,terminologischeKlärungen

Die kategoriale Grundlegung der Mimesis in den Künsten |Die folgenden sieben Thesen formulieren einige für die Mimesis-Theorie grundlegende Gesichtspunkte. Sie haben den Zweck derÜberleitung und Orientierung. Sie greifen auf den begriffsge-schichtlichen Teil zurück und wollen zugleich einen Rahmen fürdie folgenden Ausführungen abstecken. Sie schließen eine Reiheterminologischer Klärungen ein. 1. Der kunstästhetische Begriff der Mimesis bezieht sich inallgemeinster Bestimmung auf die konkrete Welthaftigkeit derKünste im Sinne eines fundamentalen Verhältnisses zur Praxisund lebensweltlichen Erfahrung von Menschen. 2. Die Grundstruktur ästhetischer Mimesis besteht aus denKomponenten mimetische Form, mimetischer Gegenstand undmimetische Funktion. Mimetische Form meint das besondere äs-thetische Werk, mimetischer Gegenstand das Praxissegment, aufdas sich das besondere Werk reflektierend bezieht, mimetischeFunktion die Wirkung des Werks im Hinblick auf Rezipienten. 3. Mimesis gilt mir, im Verbund mit Poiesis, als Erstes ästhe-tisches Prinzip. Denn Mimesis betrifft alle überlieferten künstle-rischen Arten, Gattungen und Formen. Sie liegt allen Symbolsys-temen menschlicher Kommunikation zugrunde – den sprach-lich-diskursiven, bildlich-ikonischen, musikalisch-akustischenund gestisch-mimischen –, wenn auch in hochgradig diverserQuantität, Qualität, Gestalt und Funktion. Auf phänomenalerEbene ist Mimesis in Dichtung, Malerei, Musik und Theater sehrVerschiedenes. 4. Nur als mimetische Form vermag Kunst den Charakter ei-nes Weltbilds zu besitzen. Mimesis ist die Voraussetzung für dieKonstitution ästhetischer Weltbilder und Weltanschauungsfor-men – und nur als Weltbild und als Weltanschauungsform kannvon ästhetischer Episteme – ›Erkennen‹, ›Wissen‹ und ›Wahrheit‹in den Künsten – gesprochen werden.

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5. Ästhetische Mimesis meint, wie der Blick auf älteste Ge-brauchsformen lehrt, die Vergegenwärtigung eines Abwesenden.Im ursprünglichen Sinn als Wiedervergegenwärtigung eines ab-

19wesenden Gottes der rituellen Mimesis entstammend, tritt dasMoment der Vergegenwärtigung in unterschiedlichen Formenund mit unterschiedlichem Gegenstandsbezug in die ästhetischeMimesis ein. Auf der Ebene der aristotelischen Poetik beziehtsich die im mimetischen Akt vollzogene Vergegenwärtigung aufMöglichkeiten menschlichen Handelns in einem vorrangig ethi-schen Sinn. 6. Vergegenwärtigung von Abwesendem bedeutet: Dieseswird als Akt der α�σϑησις (aisthesis, Wahrnehmen) durch das

20ästhetische Werk in die sinnliche Erfahrung gehoben. Es wirdzur ästhetischen Anschauung gebracht. Nichtgesehenes wirdsichtbar, Nichtgehörtes hörbar, Sprachloses sprechbar – ein Un-bekanntes uns bekannt gemacht, Mögliches als Wirkliches vorge-stellt, ein verborgenes Wesen ansichtig und in diesem Ansich-tigwerden begriffen. Denn auch der ästhetische logos ist Begriff,und zwar ein Begriff, der in der Geschichte der Weltkulturen mitdem (später entstehenden) theoretischen Begriff zusammentritt. 7. Ästhetische Mimesis also meint welthafte (weltartige undweltgestaltende) Kunst: Kunst als Weltentdeckung und Weltent-wurf. Zugleich repräsentiert solche Kunst den Akt eines Sinn-verstehens. Dieses Sinnverstehen geht aus der existenziellenVerbindung, dem Zusammenstoß zwischen rezipiertem Werk undder lebensweltlichen Praxis von Rezipienten hervor. Kunst istSinnkonstitution, doch in doppelter Weise, in der Affirmationwie der Negation von Sinn. Am Ende dieser Erfahrung, als Resul-tat des Zusammenstoßes von Werk und Ich, steht die Sinnstif-tung, die Sinnskepsis oder auch die Sinnverneinung.

Grundbedeutungder Mimesis:Darstellung,

Ausdruck,Nachahmung

Der kunstästhetische Begriff der Mimesis bezeichnet ein imontologischen Sinn fundamentales Wirklichkeitsverhältnis, dasden Künsten strukturell inhäriert und auf dem sie aufbauen. DieGrundbedeutungen der Mimesis, Darstellung, Ausdruck undNachahmung, verweisen auf ihre primären Modi und bringen sol-che Unterschiede auf den Begriff. Es sind Unterschiede der

19 | Vgl. Arthur C. Danto, Die Verklärung des Gewöhnlichen, Frankfurt/2Main 1993

20 | Siehe zum Wahrnehmens-Begriff Michael Weingarten, Wahrnehmen,2in: Bibliothek dialektischer Grundbegriffe, Band 9, Bielefeld 2003

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strukturellen Beziehungen von mimetischem Gegenstand, mime-tischer Form und mimetischer Funktion. So ist die Wirklichkeitdes mimetischen Ausdrucks eine andere als die der Darstellungund der Nachahmung. Ausdruck meint Hervorbringen der ›inne-ren Welt‹ eines individuellen oder kollektiven Subjekts, die sichin den Künsten artikulierende und mitteilende Psyche. Nachah-mung (imitatio) kann zweierlei bedeuten: zum einen, im Sinnedes Prinzips ontischer Mimesis, die Reproduktion externer Reali-tät in Spielarten, die von Leonardo da Vinci (1452–1519) bis zumNaturalismus reichen, zum anderen aber auch, im Sinne desPrinzips ontologischer Mimesis, die Nachgestaltung des innerenFormgesetzes, der entelechischen Gestalt von Natur oder Kos-mos, Nachvollzug also eines im Externen (der physis) wirkendenPrinzips. Umschließt Nachahmung mit ihrer ontisch-ontologi-schen Bedeutung die größten Polaritäten unter den Grundbegrif-fen ästhetischer Mimesis, so hat Darstellung den umfassendstenSinn. ›Darstellung‹ meint die fiktive Vergegenwärtigung (ästheti-sche Modellierung) historisch-gesellschaftlicher Welt; wobei›Welt‹ handelnde Individuen ebenso umfasst wie vorhandene Ge-genstände. Der Weltbegriff zielt auf den strukturierten Zusam-menhang sinnlich realer, agierender, reagierender und interagie-render Individuen in einem gegenständlichen Raum-Zeit-Gefüge.Darstellung ist Grundprinzip des künstlerischen Realismus imSinne eines kunsttypologischen Begriffs. Zu unterscheiden ist

21dabei zwischen extensiver und intensiver Darstellung. Die ex-22tensive Darstellung leistet vor allem die Literatur , die intensi-

ve die bildende Kunst und im bestimmten Umfang auch die Mu-sik. Dabei ist festzuhalten, dass die Unterschiede in den Gegen-standsbestimmungen des mimetischen Verhältnisses nach unter-schiedlichen formalen Ausprägungen drängen. Ausdruck einesInneren, d.i. affektive Modellierung, verlangt eine andere Form,ja, ein anderes Medium der Artikulation und Gestaltung als esNachahmung und Darstellung tun. So sind Musik, Tanz, Lyrikprimär Modi des mimetischen Ausdrucks, die bildenden Künste,

21 | Für Beispiele siehe Thomas Metscher, Ästhetik und Mimesis, in: ders.et al., Mimesis und Ausdruck, Köln 1999, S. 9–109; hier S. 68 f.22 | Hier in erster Linie die Epik. Man denke allein an die Odyssee, dieGöttliche Komödie, an Tom Jones, die Comédie Humaine, an Krieg und Frie-den, an Ulysses, den Doktor Faustus und an die Ästhetik des Widerstands.

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Theater und Epik primär Modi mimetischer Darstellung. In derMusik ist die externe imitatio nur begrenzt möglich, während siein bildender Kunst und Literatur eine zentrale, freilich historischbegrenzte Funktion besitzt. Die interne imitatio ist, jedenfallsin begriffsgeschichtlicher Hinsicht, im Prinzip in allen Künstenmöglich.

MimetischeAneignung

Darstellung, Ausdruck und Nachahmung sind also mimeti-sche Modi vergegenwärtigenden Gestaltens in den Künsten: Dar-stellung eines Weltganzen, Ausdruck eines psychisch Inneren,Nachahmung, sei es eines extern Gegebenen oder eines im Ex-ternen wirkenden Prinzips. Ein weiterer Begriff bietet sich an,mit dessen Hilfe ein den drei Grundmodi des Mimetischen nochvorausliegendes, in ihnen wirkendes Prinzip beschrieben werdenkann: Aneignung. Der Begriff orientiert sich an Marx’ Unter-scheidung zwischen begrifflicher (»Verarbeitung von Anschauungund Vorstellung in Begriffe«), künstlerischer, religiöser und prak-tisch-geistiger Aneignung der Welt. »Das Ganze, wie es im Kopfals Gedankenganzes erscheint«, heißt es in seinen Grundrissenzur Kritik der politischen Ökonomie, »ist ein Produkt des denken-den Kopfes, der sich die Welt in der ihm einzig möglichen Weiseaneignet, einer Weise, die verschieden ist von der künstleri-

23schen, religiösen, praktisch-geistigen Aneignung der Welt.«Marx’ Aneignungsbegriff geht auf Hegels Begriff der Assimilationzurück, wie er im zweiten Teil der Enzyklopädie der philosophi-

24schen Wissenschaften im Grundrisse entwickelt wird. Unter ›As-similation‹ versteht Hegel alle Prozesse, in denen ein Organis-mus das ihm Äußerliche, Unorganische (nicht Anorganische)»als subjektiv setzt«, es »sich zu eigen macht«, »mit sich identi-

25fiziert« , wobei drei Formen der Assimilation unterschiedenwerden: »erstens der theoretische Prozeß; zweitens der realepraktische Prozeß; drittens die Einheit beider, der ideell-reelle

23 | Karl Marx, Grundrisse zur Kritik der politischen Ökonomie, in:Marx-Engels-Werke, Band 42, S. 35 f.24 | Siehe Peter Keiler, Stichwort ›Aneignung‹, in: Hans Jörg Sandkühler(Hg.), Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Band1, Hamburg 1990, S. 118–12825 | Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischenWissenschaften im Grundrisse (1830) II, in: ders., Werke, hg. von Eva Mol-denhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt/Main 1970, Band 9, § 357, 1.Zusatz

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Prozeß, die Umbildung des Unorganischen zum Zweck des Le-26bendigen«.

Der marxsche Aneignungsbegriff bezieht sich nach Keiler aufalle drei Formen der Assimilation. Aneignung meint dann, dassein Äußeres in die Verfügungskraft eines Subjekts tritt, von die-sem als sein Eigenes theoretisch erfasst und praktisch besessenwird, wodurch es als ›Eigentum‹ diesem Subjekt zugehört. An-eignung, so verstanden, ist ein Vorgang von zentraler anthropo-logischer Bedeutung, und zwar in dem Sinn, dass erst im Prozessder Aneignung der ›äußeren Welt‹ menschliche Subjektivität zusich selbst kommt, dass sich der Mensch phylo- wie ontogene-tisch in seinem Selbstsein als Gattung und als Individualitätkonstituiert. Aneignung äußerer Welt und Bildung einer menschli-chen Welt sind zwei Seiten des gleichen Prozesses. Kulturelle Bil-dung, so lässt sich nun sagen, vollzieht sich in keiner anderenWeise als in einer fundamentalen Aneignung äußerer Welt. Kul-turelle Bildung ist die in Form dieser Aneignungen sich vollzie-hende Konstitution menschlicher Welt im Sinn einer Formierungvon Subjekt und Objekt. Aneignung wird so als vielgliedriger,vermittelter, intern strukturierter Prozess aufgefasst. Zu diesemgehört, dass der sich kraft der Aneignung vollziehende Bildungs-prozess stets Subjekt und Objekt in gleichem Maß betrifft: DerBildung des Subjekts entspricht die des Objekts (des Ich die sei-ner Welt) und umgekehrt, dergestalt, dass die Bildung des EinenBedingung des Anderen ist. Was auf der einen Seite als ›Humani-sierung der Natur‹ erscheint, erscheint auf der anderen als die›Naturalisierung des Menschen‹. Ergo: Es gibt keine Bildung desIch ohne Bildung von Welt, und es gibt keine Bildung von Weltohne Bildung des Ich. Der Mensch ist die konkrete Einheit vonIch und Welt – nie das Ich allein. Nur in der Form menschlicherWeltaneignung vollzieht sich das Werden menschlicher Subjekti-

27vität. Dieser Aneignungsvorgang von der materiellen Praxis zumtheoretischen Weltbegreifen umfasst alle Seiten des kulturellenBildungsprozesses. Er unterliegt damit auch von tierischer Mimi-kry bis zur ästhetischen Mimesis allen mimetischen Ebenen und

26 | Peter Keiler, Stichwort ›Aneignung‹, a. a. O., S. 11927 | Zum Verhältnis von Individuum und Gesellschaft siehe MichaelWeingarten, Leben (bio-ethisch), in: Bibliothek dialektischer Grundbegriffe,Band 4, Bielefeld 2003.

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Formen. Ästhetische Mimesis steht mit allen ihren Modi in denZusammenhängen der Prozesse kultureller Aneignung. Auch undgerade in den Künsten – dies ist ihre fundamentale ontologischeFunktion – wird ›Welt‹, äußeres und inneres Sein, dem Subjektzu eigen gemacht, tritt diese in seine geistige Verfügung undmacht sich der Mensch Wirklichkeit zu seinem Eigentum. Dieser Aneignungsprozess im Bereich der Künste hat psychi-sche und epistemische Dimensionen. Auf die Seite des Psychi-schen, auf Identifikation und Erlebbarkeit nämlich, verweist be-reits der aristotelische Begriff der κ�ϑαρσις (katharsis, Reini-gung). Er bezeichnet den Punkt, an dem das vergegenwärtigen-de Nacherleben von Jammer und Schrecken (Mitleid und Furcht)in das Moment psychischer Bildung umschlägt. Die Seele konsti-tuiert sich zum Selbst – das Es wird Ich im Prozess des katharti-schen Erlebens. Das ist der Sinn der psychotherapeutischen Be-deutung des Begriffs. Auf der Seite des Epistemischen ist einEntdecken gemeint. Aneignen und Entdecken rücken hier enganeinander. Was heißt das? Entdeckung wirklicher Welt meint, dass ein Wirklichkeitsbe-reich durchdrungen, erklärt und verstehbar gemacht wird. Be-kannte Welt tritt in ein neues Licht, unbekannte Welt wird er-kannt. Aneignung heißt hier: Im Prozess künstlerischer Weltent-deckung wird Wirklichkeit als menschliche Welt begriffen, als Ortindividueller Schicksale, Handlungen und Taten, als Stätte vonLeiden, von Widerstand und von Glück. Wirklichkeit wird zumEigentum des Menschen, sie wird für uns als unsere Welt überJahrtausende hinweg. In der Kunst ist Phantasie mit der Mimesis im Bunde. Welt –Subjekt und Objekt, innere und äußere Welt – bricht sich in derKunst im Fokus der Phantasie. Diese kann als Kraft ästhetischerEinbildung nicht unbegrenzt genug gedacht werden. Als Opus-Phantasie ist sie Vermögen der Poiesis und konstituiert die äs-thetische Welt als autochthone Sphäre des Kunstwerks. In dieserDialektik hat ästhetische Phantasie ihr Dasein.

Mimesis undPhantasie

Das Phantastische verstehen wir als Verselbstständigung derPhantasie, ihre Loslösung von den Strukturen objektiv gegebe-ner Gegenständlichkeit, die sich die Phantasie gleichwohl in de-ren Abwesenheit vorstellt. Das Phantastische ist legitimes Mittelder Künste, nicht zuletzt auch im Rahmen explizit mimetischer(= ›realistischer‹) Kunstformen, wie ein Blick auf die Komödie,den Faust oder die moderne Epik lehren kann.

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Die Phantasie in den Künsten ist somit eine genuin und ur-sprünglich mimetische Kraft. Sie bezieht sich mimetisch auf dieinnere Welt der Psyche, insofern gerade die Phantasie es ist, diedas sprach- und bilderlose Unbewusste artikuliert und ins Be-wusstsein rückt. In diesem Sinn fungiert die Phantasie mime-tisch als Ausdruck des Vor- und Unbewussten, Vorsprachlichenund Sprachlosen, der vorlogischen Dimensionen der Psyche.Phantasie fungiert aber auch bezogen auf ›äußere Welt‹: Kraftder Phantasie wird Wirklichkeit entdeckt, Möglichkeiten mensch-licher Handlung werden durchgespielt, Wirklichkeitsmodelle bishin zur Konstruktion utopischer Welten erkundet. Phantasie hatdie Schlüsselfunktion in der Erschließung der Möglichkeitsdi-mension historisch gegebener Wirklichkeit (im Sinne der Dialek-tik des Wirklichkeitsbegriffs). So spreche ich von der Erkundungvon Wirklichkeit im Medium der ästhetischen Phantasie. Ja wennMimesis sich primär auf die Möglichkeitsformen des Wirklichenbezieht und erst sekundär auf ihre Faktizitätsformen, dann istPhantasie die Kraft, die ästhetische Welterkundung ermöglicht.

Totalität dermimetischeangeeignetenWelt

Als mimetische Formen sind die Künste auf sinnlich-gegen-ständliche Praxis bezogen, d.i. menschliche Erfahrung und Tätig-keit: soziales Handeln in einer gegenständlichen Welt. Menschli-ches In-der-Welt-Sein, das geschichtlich-gesellschaftliche Daseinvon Individuen, bildet die Grundlage der Künste. Wirklichkeit ›ansich‹ kann nie Gegenstand der Kunst sein. Gegenstand der Kunstist stets eine Wirklichkeit, die durch Erfahrung gegangen ist. Ichspreche deshalb vom experientiellen Gegenstand der Künste. Wei-ter spreche ich mit Blick auf das, was in den Künsten existenziell(›erlebensförmig‹) geschieht, von Erfahrungsmodellierung. Modellierung umfasst Nachbildung und Konstitution, d.i.Konturierung, Umprägung und Neuschaffung (= Konstruktion),als einen einheitlichen Vorgang. Der Erfahrungsbegriff beziehtsich dabei auf die Totalität menschlicher Erfahrung – kein Aspektmenschlicher Praxis und Lebenswelt bleibt in der Geschichte derKünste ausgespart. Es ist die ganze menschliche Welt und derMensch ganz, die bzw. der im Prisma eines besonderen histori-schen Moments durch letzteren gebrochen und perspektiviert inden Künsten in die Form der Anschauung tritt – in den Aktenkünstlerischer Kommunikation vermittelt, in der Überlieferungder Künste tradiert wird: »Wirklichkeit in Bezug auf den Men-schen«, mit Goethe gesprochen, Wirklichkeit also historisch ge-dacht. Der Begriff der Totalität menschlicher Welt und Erfahrung

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besitzt in diesem Zusammenhang eine Schlüsselfunktion. Ohneihn bliebe die ästhetische Theorie Stückwerk und würde ihrenGegenstand nur in Teilen, einseitig und fragmentarisch, erfas-sen. So wäre es unzulässig, die Kunst auf die Vermittlung vonGefühlen (affektive Kommunikation) zu reduzieren. Genauso istes unzulässig, allein ihre bildhaft darstellende und kognitiv epis-temische Seite hervorzuheben. Die Grundbedeutungen der Mi-mesis-Theorie, Darstellung, Nachahmung und Ausdruck, bezie-hen sich auf das ganze Spektrum ästhetischer Totalität, auf dasGanze der Kunst-Welten, die uns in der Geschichte der Künsteentgegentreten. Kunst ist Nachbildung, d.i. vergegenwärtigende

28Darstellung lebenspraktischer Handlung und Erfahrung , sowieAusdruck, d.i. Artikulation und Kommunikation von Psyche, alsovon affektiver Modellierung, wie auch gesagt werden kann. Der Begriff der Totalität menschlicher Erfahrung hat aller-dings nur dann einen Sinn, wenn wir ihn auf das System derKünste, auf die symbolischen Welten der Künste insgesamt undnicht auf einzelne Kunstgattungen, -formen und -werke bezie-hen. Sicher mag es einzelnen Werken gelingen, sich einer sol-chen Totalität kraft einer Synthesis ästhetischer Modi anzunä-

29hern. In ausgeführter, extensiver Form ist der Begriff ästheti-scher Totalität nur auf die Künste im Ganzen – systematisch undhistorisch – applizierbar. Das synthetische Werk, das als Einzel-nes ästhetische Totalität erstrebt, kann diese nur intensiv, punk-tuell und partiell verwirklichen.

Sinnlichkeitder Künste

Die Künste arbeiten mit dem Material menschlicher Sinne. Inihrem System ist eine Arbeitsteilung der Sinne ausgebildet. Sobleibt es nicht aus, dass sich die einzelnen Kunstgattungen und-arten auf besondere menschliche Sinne spezialisieren. Die visu-elle Welt wird primär in den bildenden Künsten ausgearbeitet,

30die akustische in der Musik, die sprachliche in der Literatur.

28 | Der Praxis-Begriff, wie er hier verstanden wird, umschließt die Ein-heit von Handlung und Erfahrung.29 | Dem Musiktheater Richard Wagners liegt mit dem Konzept des Ge-samtkunstwerks ein solches totalisierendes Programm zugrunde; im Begriffprogressiver Universalpoesie, wie ihn der junge Friedrich Schlegel entwarf,ist es vorgebildet.30 | Sprache ist eine Synthesis von Sinnlichkeit und Bewusstsein (lo-gos). Im ästhetischen Sinn gehört sie zum Material menschlicher Sinnlich-keit und fungiert als ein solches.

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Desgleichen spezialisieren sich die Künste auf bestimmte ›Sei-ten‹, das sind Vermögen, Fähigkeiten, Anlagen, des ›Menschenganz‹: Die Musik hat ihr Zentrum im Bereich von Gefühl und Af-fekt, die bildenden Künste in der ›äußeren‹, optisch und hap-tisch wahrgenommenen Welt. Der Literatur kommt kraft des syn-thetischen Vermögens der Sprache im bestimmten Sinn eine›Sonderrolle‹ zu: Als bildhaftes Sprechen evoziert sie die visuelleWelt, als begriffliches Sprechen integriert sie die logische Welt

31(Wissenschaft und Philosophie) , als musikalisches Sprechendie Welt der Töne. Zumindest von Angrenzungen und Grenzüber-schreitungen kann hier gesprochen werden. So ist die Literaturin exzeptioneller Weise geeignet, die Extreme von Affekt undBegriff zu synthetisieren. Das Drama ist die synthetische Kunst-form par excellence, da in ihm sprachlich-begriffliche, optisch-haptische und in der Gestalt des Musiktheaters musikalischeFormen nicht nur konnotativ, sondern in direkter sinnlicherWahrnehmung vereinigt sind – ein Tatbestand, dem bereits diearistotelische Poetik Rechnung trägt und Theoretiker höchstenRangs, so auch Hegel, veranlasst hat, die Vorrangstellung derDichtung vor den anderen Künsten zu behaupten.

OntologischeTransformationund ästhetischesBewusstsein

Zur Besonderheit der Künste gehört es freilich, dass in ihnenkeine dieser sinnlichen Qualitäten, auf denen sie aufbauen, inunmittelbarer Form reproduziert und kommuniziert werden.Sinnliche Unmittelbarkeit wird in den Künsten im Medium derkompositorischen Gestaltung gebrochen. Diese Gestaltung be-wirkt eine ontologische Transformation – eine Veränderung vonQuantität und Qualität – sämtlicher einem Kunstwerk zugrundeliegender Eigenschaften und Vermögen. Diese Transformationbetrifft Form und Inhalt des Werks. Affekte und Begriffe in derKunst sind nie dasselbe, was sie außerhalb der Kunst sind. Siewerden durch die Kunst modelliert, verändert und damit auchgedeutet, ist doch der mimetische Akt als interpretativer Akt zubegreifen. Gefühle im Vorgang ästhetischer Mimesis sind nie Ge-fühle ›pur‹. Die ästhetische Mimesis modelliert sie in einem Zu-sammenhang von semantischen Bezügen, durch die sie gewertet,gedeutet, d. h. intensiviert oder relativiert, auch persifliert wer-den können. In den Künsten gibt es keine Unmittelbarkeit

31 | Siehe zu bildhaftem und begrifflichem Sprechen auch Jörg Zimmer,Metapher, in: Bibliothek dialektischer Grundbegriffe, Band 5, Bielefeld22003.

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(höchstens den Schein einer solchen in trivialen Kunstformen).Auch Gefühle treten als ästhetisch modellierte in Vermittlungs-zusammenhänge ein, die mit der Struktur der Selbstreflexivitätzusammenhängen. Der Zustand der ›Unschuld‹ ist in den Küns-ten unbekannt. Auch Gefühle also treten, sobald sie in den Kreis der Künsteeingehen, in die Form der Reflexivität und werden zum Teil des-sen, was ästhetisches Bewusstsein heißen soll. Der Affekt ist als›reiner‹ Affekt seines Daseins nicht bewusst. Er wird seiner selbstaber im Medium der Künste bewusst. Zum ästhetischen Bewusst-sein gehört das sich selbst wissende Gefühl, das gleichwohl nicht,wie in der Wissenschaft, abstraktiv in ein System theoretischerSätze aufgelöst wird, sondern den Charakter der Erfahrungsform,der sinnlichen Unmittelbarkeit und des sinnlichen Erlebens, be-wahrt. Es ist dies ein Prinzip der Steigerung. Affektive Form undepistemische Form bilden in den Künsten eine Einheit – und nurin den Künsten ist diese Einheit möglich. Dies gehört zur Einzig-artigkeit ihrer Leistung.

MimetischeEinstellungen

Kraft der Mimesis ist für die Kunst ein fundamentaler Wirk-lichkeitsbezug konstitutiv: das binäre Verhältnis einer Referenz.Darstellung, Ausdruck und Nachahmung bezeichnen die grund-legenden Weisen, in denen dieses Verhältnis in der Geschichteder Künste auftritt. Damit aber ist noch nichts über die Einstel-lungen oder Haltungen gesagt, die ein Kunstwerk gegenüber dergestalteten Wirklichkeit einnimmt bzw. einnehmen kann. Ich

32unterscheide zwischen folgenden solcher Einstellungen: mi-metische Affirmation, Negation, Antizipation, Didaktik/Propagan-da/ Agitation und Elegik. Wird im Modus mimetischer Affirmationeine gestaltete Wirklichkeit als sinnhafter Lebenszusammenhangbejaht, so wird in der Negation diese Wirklichkeit der Kritik un-terzogen oder insgesamt als falsch verworfen. Antizipation be-deutet den Vorgriff auf eine andere, in der Regel alternative Welt(positiv in der Utopie, negativ in der Dystopie), auch auf eineWeltkatastrophe. Mit Elegik ist die Haltung von Klage und Trauergemeint, die wir in der Kunst aller Epochen und Kulturen finden.Elegische Kunst ist Ausdruck des Verlusts einer geliebten oderverehrten Person, eines ideell oder affektiv besetzten Gegen-stands, einer als sinnhaft empfundenen Welt. Mit Didaktik/Pro-

32 | Vgl. Thomas Metscher, Kunst, Kultur, Humanität, Fischerhude 1982,S. 209–214

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paganda/Agitation bezeichne ich zweckbestimmte Einstellungenin der Produktion und im Umgang mit Künsten, das sind solcheEinstellungen, die Kunst in den Dienst von Weltanschauung,Ideologie und Politik stellen, die mit Kunst einen Eingriff in le-benspraktische Zusammenhänge intendieren (von der Illustra-tion religiöser Ideologie bis zum kulturrevolutionären Konzeptder ›Kunst als Waffe‹). Auch von ›angewandter Kunst‹ ließe sich

33für diesen Zusammenhang reden. Der Begriff der zweckbe-stimmten Einstellung entspricht der oben erläuterten pragmati-schen Grundmodalität des Kunstästhetischen. Entgegen gegen-wärtigen theoretischen Tendenzen ist auf die Legitimität solcherKunst zu bestehen. Ästhetischer Wert ist von dem spezifischenModus künstlerischer Einstellungen unabhängig – auch inner-halb eines pragmatischen Modus gibt es gute und schlechte, au-thentische und nichtauthentische Kunst und viel Mittelmaß. Mit den vorgeschlagenen Begriffen ist die Liste grundlegen-der Einstellungen, die in der Geschichte der Künste zu findensind, sicher nicht erschöpft. So wäre zu prüfen, ob man auch bei

34Begriffen wie ›Widerstand‹ , ›Angst und Erschrecken‹, ›Prophe-tie und Verheißung‹ von grundlegenden Einstellungen sprechenkann, die Kunst gegenüber Wirklichkeit einnimmt bzw. im Um-gang mit ihr als Haltung vermittelt.

Einheit vonWelt-Wertungund Welt-Deutung

Kunst ist welthaft und Welt erschließend nie in der Weise,dass ›Welt‹, in der Gestalt eines direkten Abdrucks, unvermitteltin ihr Eingang fände, nie auch in der objektiven Form, wie sie

35den Wissenschaften zumindest als Ideal voransteht , sondernimmer in der Brechung durch ein individuelles oder kollektivesmenschliches Subjekt. Kunst ist also mit Notwendigkeit auf Men-schen bezogen, die sich Stellung nehmend in der Welt und zuder Welt verhalten, und diese Stellungnahme schließt notwendigAkte der Wertung und Deutung ein. Kunst ist welthaft und Welterschließend in der Einheit von Welt-Wertung und Welt-Deutung.Das meint, dass Welt in der Kunst stets in perspektivischer Bre-

33 | Vgl. zuletzt Jost Hermand, Angewendete Literatur. Politische Stra-tegien in den Massenmedien, Berlin 199634 | Ich denke an Peter Weiss’ Ästhetik des Widerstands.35 | Lukács spricht von der ›anthropomorphisierenden‹ Widerspiegelungder Kunst, die er der ›desanthropomorphisierenden‹ Widerspiegelung derWissenschaft entgegenstellt; vgl. Georg Lukács, Die Eigenart des Ästheti-schen, Neuwied, Berlin 1963, 1. Halbband, 2. Kapitel.

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PerspektivischeBrechung alsontologicum

chung Eingang findet, in einer perspektivischen Sicht, die Welt-Wertungen und Welt-Deutungen impliziert, d. h. Akte der Affir-mation und Negation der gestalteten Welt – in letzter Instanz ih-rer Sinnbestätigung und Sinnverneinung beinhaltet. So verstan-den, besitzt alle Kunst normative Implikate, grenzt häufig an ex-plizite (begrifflich formulierte) Normensysteme an, ja vermag,zumindest in der Literatur, die zugrunde liegenden Normensys-teme auch begrifflich zu reflektieren. In der Regel freilich sinddie Normen der Wertung und Deutung in den Künsten implizierteNormen, Implikate der ästhetischen Gestaltung. Imitative Kunst-formen geben sich oft den Anschein, Wirklichkeit wertfrei zu re-produzieren (Dokumentaristik, Photorealismus, pop art, Sach-lichkeit), doch können auch solche Formen sich dem Erfordernisperspektivischer Gestaltung und der damit verbundenen implizi-ten Wertakten nicht völlig entziehen. Allein die nicht zu umge-hende Anforderung, aus der schieren Unendlichkeit der Sach-verhalte auswählen zu müssen, verweist darauf. Die Perspektivi-tät ästhetischer Formierung gilt mir daher als ontologicum derwelthaften Künste.

Sinnliche undunsinnlicheÄhnlichkeit

Ästhetische Mimesis bildet das ihr immanente Weltverhältnisin höchst unterschiedlichen Modi ab. Diese liegen zwischen denExtremen rein struktureller Isomorphie und naturalistischerimitatio, mit anderen Worten, zwischen den Polen unsinnlicherund sinnlicher Ähnlichkeit. Unsinnliche Ähnlichkeit bezieht sichauf strukturelle Analogien und Isomorphien, sinnliche Ähnlich-keit darauf, dass die ästhetische Anschauungsform unserer all-täglich-empirischen Wahrnehmung entspricht.

Mimesis undRealismus

In diesem Zusammenhang ist zwischen welthafter Kunst imAllgemeinen und Realismus im Besonderen zu unterscheiden,zwischen nicht-realistischer und realistischer Mimesis – undzwar in dem Sinn, dass Realismus als Modus welthafter Kunst

36verstanden wird. Grundlage des künstlerischen Realismus istdie Anschauungsform alltäglicher raum-zeitlicher Wahrnehmung,die empirische Anschauung der Welt – unser aller sinnlicheWahrnehmung. Auf der Basis nun der Empirizität ästhetischerWahrnehmung vermag realistische Kunst eine Vielzahl abstrakti-ver Kompositionsformen zu integrieren, die Verfremdung undVerzerrung, Phantastik und Groteske, Abstraktion und formaleDekomposition einschließen. Realismus ist also nicht mit Natu-

36 | Vgl. Thomas Metscher, Kunst, Kultur, Humanität, a. a. O., S. 177–214

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ralismus zu verwechseln, der innerhalb der Formen empirischerAnschauung verbleibt. Realismus bedeutet auch keineswegs dieorganisch geschlossene Werkgestalt, die vielmehr nur eine seinerhistorischen Erscheinungsformen ist. Realismus kann sich durch-aus in offenen, auch fragmentarischen Formen äußern. Kriteri-um für Realismus ist also keine besondere Werkgestalt, sonderndas Merkmal sinnlicher Ähnlichkeit – die Empirizität der sinnli-chen Anschauungsform als Basis, die eine Kunstform trägt.

Dialektik vonInhalt und Form

Bedeutungskonstitution: Der Weltbildcharakter der Künste |Das Zusammentreten von Poiesis und Mimesis manifestiert sichin der Dialektik von Inhalt und Form. Diese Dialektik ist einKernstück materialistischer Kunsttheorie. Sie bedeutet nicht,dass ein theoretisch vorformulierter oder lebensweltlich bekann-ter Bewusstseinsinhalt, gar eine bestimmte Ideologie, im Medi-um der ästhetischen Form ausgedrückt oder veranschaulichtwird; wie überhaupt der Begriff des ästhetischen Inhalts nichtauf Bewusstseinsinhalte einzuschränken ist. Die philosophisch fundierteste und differenzierteste Ausar-beitung der Form-Inhalt-Dialektik hat Hegel in seiner Ästhetik

37vorgetragen. Ein Blick auf diese ist notwendig, wollen wir unsder Grundzüge auch einer materialistischen Problemlösung ver-

38gewissern. Bereits die grundlegende Bestimmung des Schönen, dieHegel gibt, »das Schöne bestimmt sich […] als das sinnliche

39Scheinen der Idee« , konstituiert das Form-Inhalt-Verhältnisfür den Seinscharakter der Kunst. Kunst ist die Idee im Modus

40der »konkreten Anschauung« , also in der Erscheinungsweisesinnlicher Fiktion. Sie ist, wie sich auch formulieren lässt, sinnli-che Form als eidetische Realität: Wirklichkeit der Form und der inihr sich artikulierenden Idee.

37 | Vgl. Georg Lukács, Hegels Ästhetik, in: Georg Wilhelm Friedrich He-gel, Ästhetik, hg. von Friedrich Bassenge, Berlin 1955, S. 21 f.38 | Dazu des Näheren Thomas Metscher, Kunst und sozialer Prozeß.Studien zu einer Theorie der ästhetischen Erkenntnis, Köln 1977, S. 49–12539 | Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, in:Werke, a. a. O., Band 13, S. 15140 | Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischenWissenschaften im Grundrisse (1830) III, in: Werke, a. a. O., Band 10, §556; ders., Vorlesungen über die Ästhetik I, a. a. O., S. 140 und 243

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Idee nun meint die Inhaltlichkeit der Kunst. Was aber heißtbei Hegel Idee? Der Begriff umfasst die materielle menschlicheWelt wie auch das Bewusstsein, das Menschen über diese Weltbesitzen. Idee nennt Hegel die Einheit von Wirklichkeit und Be-

41 42griff. Die Idee ist »objektiver oder realer Begriff« , »die ab-43solute Einheit des Begriffs und der Objektivität« : »der Begriff,

die Realität des Begriffs und die Einheit beider. […] nur der inseiner Realität gegenwärtige und mit derselben in Einheit ge-

44setzte Begriff ist Idee«. Daraus folgt: Die in der Kunst sich ar-tikulierende Idee repräsentiert die Identität des subjektiven undobjektiven Geistes. Diese Identität nennt Hegel den »absolutenGeist«. Zu ihm gehört neben Religion und Philosophie die Kunst.Als Gestalt des absoluten Geistes schließt Kunst den objektivenGeist ein, dessen Anschauung sie ist. Und objektiver Geist um-fasst die Gesamtheit der ökonomischen, sozialen, juristischen,politischen und kulturellen Formen einer gegebenen geschichtli-chen Welt, umgreift, marxistisch betrachtet, Basis und Überbau,Lebensweise und Lebenswelt. Eine solche Welt, zu der die Stel-lung der Individuen in ihr organisch gehört, kann hier basalerInhalt der Kunst genannt werden. In der ›lebendigen Individua-lität‹ der künstlerischen Form wird somit zur sinnlichen Erfah-rung, was als ›Inneres‹ gesellschaftliche Erfahrung und ge-schichtliche Prozesse konstituiert.

Umschlagen vonForm und Inhalt

ineinander

Die Idee als konkreter Gehalt des Kunstwerks umschließtalso die drei Momente ›Begriff‹, ›Realität‹ und ›Erkenntnisakt/Wissen‹. ›Erkenntnis/Wissen‹ ist das Wesen des absoluten Geis-tes. Die Kunst in der Gestalt des absoluten Geistes ist Erkennt-nis/Wissen im Medium des sinnlichen Scheins. Kunst ist ästheti-scher logos und als Gestalt erkannter Wirklichkeit von dem theo-retischen logos zugleich unterschieden und mit ihm verwandt.Der Kern unter der bunten Schale der Tatsachen, die Praxis vonSubjekt und Objekt als konkrete Geschichtsdialektik, wird im

41 | Vgl. auch Helmut Kuhn, Die Vollendung der klassischen deutschen Äs-thetik durch Hegel, Berlin 1931, S. 12 ff.42 | Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik II, in: Werke,a. a. O., Band 6, S. 46343 | Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischenWissenschaften im Grundrisse (1830) I, a. a. O., § 21344 | Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I,a. a. O., S. 145

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45Medium der künstlerischen Form ästhetische Anschauung. DieForm ist das Medium, das den Inhalt zur Anschauung bringt. Sie

46ist als »Schein« »dem Wesen wesentlich«. Kraft ihrer erst wirdder Inhalt für uns. Sie erst macht den Inhalt ästhetisch erfahr-bar, macht Kunst als Kommunikation und Erkenntnismodus mög-lich. Aus diesem Grund kann Hegel sagen, so sehr er auf der ge-netischen Priorität des Inhalts besteht, dass in der Kunst Formund Inhalt identisch sind. In der Enzyklopädie von 1830 polemi-siert er ausdrücklich gegen die Auffassung des »reflektierendenVerstandes«, »dass der Inhalt als das Wesentliche und Selbstän-dige, die Form dagegen als das Unwesentliche und Unselbstän-

47dige« zu betrachten sei. In Wahrheit sei »der Inhalt nichts[…] als das Umschlagen der Form in Inhalt, und die Form nichts

48als Umschlagen des Inhalts in Form«. Im Bereich der Kunstkonkretisiert sich diese Einheit im »ästhetischen Ideal« der Werk-gestalt, also im Kunstwerk. Dieses ist die im Modus der An-schauung ins Bewusstsein tretende sinnliche Synthesis der Formals das Medium ästhetisch-geistiger Weltaneignung mit dem In-halt als substanzielles Wesen der objektiven Welt: dargestellteund in der Weise der Darstellung erfahrbar gemachte, ins Be-wusstsein gehobene, geistig angeeignete Wirklichkeit. Es istkein Widerspruch zum Gedanken der Form-Inhalt-Identität derWerkgestalt, wenn Hegel zugleich von der Priorität des Inhaltsvor der Form spricht. Gemeint ist die Priorität in genetischerHinsicht. Die Identität von Inhalt und Form erschließt sich derstrukturanalytischen Betrachtung des fertigen Produkts. Die ge-netische Reflexion geht jedoch auf den Prozess seiner Erzeugungzurück. Ihr erschließt sich die Herkunft der Form aus dem In-halt, der Inhalt als bestimmender Grund der Form. »Im Kunst-werk ist nichts vorhanden, als was wesentliche Beziehung auf

49den Inhalt hat und ihn ausdrückt.« Die Darstellungsweise derKunst leitet sich aus dem Inhalt her, denn »der Gehalt ist es, der,

45 | Zum Begriff ›Medium‹ siehe auch bei Christoph Hubig, Mittel, in:Bibliothek dialektischer Grundbegriffe, Band 1, Bielefeld 2002.46 | Ebd., S. 2147 | Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischenWissenschaften im Grundrisse (1830) I, a. a. O., § 13348 | Ebd.49 | Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I,a. a. O., S. 132

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50wie in allem Menschenwerk, so auch in der Kunst entscheidet«.Die Unterschiede ästhetischer Formen werden damit aus dem Un-terschied der Inhalte der Kunst – damit letztlich aus den struk-turellen Differenzen gesellschaftlicher Wirklichkeit – erklärt. Ein weiterführender Gedanke findet sich in der Enzyklopädievon 1830, in der zwischen der Form als Moment des Inhalts undder Form als Äußerlichkeit unterschieden wird. »Bei dem Gegen-satz von Form und Inhalt ist wesentlich festzuhalten, daß derInhalt nicht formlos ist, sondern ebensowohl die Form in ihm

51selbst hat, als sie ihm ein Äußerliches ist.« Hier wird die Formals dem Inhalt immanent gedacht. Sie ist entelechischer Grunddes Inhalts, ästhetische Entelechie, die im Werk hervortritt, sichin der äußeren Werkform der konkreten Werkindividualität reali-siert. Zur näheren Charakterisierung dieses Vorgangs führt Hegelden Begriff des Themas ein. »Was wir den Inhalt, die Bedeutungnannten, ist das in sich Einfache, die Sache selbst auf ihre ein-fachsten, wenn auch umfassenden Bestimmungen zurückge-bracht, im Unterschiede der Ausführung. […] Dies Einfache, diesThema gleichsam, das die Grundlage für die Ausführung bildet,

52ist das Abstrakte, die Ausführung dagegen erst das Konkrete.«Mit dieser Auffassung vindiziert Hegel die formale Individualitätdes Werks, ohne sie formalistisch zu hypostasieren. Die Indivi-dualität der Form ist durch die besondere innere Verfasstheit ih-res jeweiligen Inhalts bestimmt, der vor seiner formalen Ausar-beitung nur einen abstrakten, ›thematischen‹ Charakter hat.Zwar ist der Inhalt die genetische Bedingung der Form, zugleichjedoch ist erst die Form die Konkretion des Inhalts, sofern sichdieser allein in seiner formalen Ausarbeitung ästhetisch konkre-tisiert.

Kunstbegriff Kunst hat für Hegel die fiktive Darstellung des Konflikts ge-sellschaftlicher Mächte, repräsentiert durch agierende und re-agierende Individuen, zu ihrem Kern. Die ästhetische Handlungist gesellschaftliche Handlung in formaler Autonomie. Damit löstHegel die Frage nach Autonomie oder Heteronomie der Kunst:

50 | Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik II,in: Werke, a. a. O., Band 14, S. 24251 | Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischenWissenschaften im Grundrisse (1830) I, a. a. O., § 13352 | Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I,a. a. O., S. 132

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Sie ist beides. Als sinnlicher Schein besitzt Kunst formale Auto-nomie. Die Fiktion selbstzweckhafter Selbstständigkeit gehörtnotwendig zum Charakter des ästhetischen Konstrukts. Zugleichorganisiert die Formenwelt der Kunst gesellschaftliche Erfahrungund Handlung. Indem sie diese zur Anschauung aufarbeitet,macht sich die Form zur Funktion des Inhalts. Der sinnlicheSchein der Kunst hat seinen Sinn nicht in sich selbst, sondernnur in Bezug auf Anderes. Kunst ist inhaltlich heteronom. So istForm Funktion des Inhalts innerhalb der Fiktion, dass der InhaltFunktion der Form sei. In diesem scheinbaren Paradox formuliertsich die dialektische Struktur des Kunstschönen. Was in den Künsten auf diese Weise ins Bild tritt, ist aufkeine besondere Sphäre menschlicher Lebenswirklichkeit be-schränkt, es ist »der totale Inhalt unseres Daseins«: »Zunächstdas weite System der physischen Bedürfnisse, für welche diegroßen Kreise der Gewerbe in ihrem breiten Betrieb und Zusam-menhang, Handel, Schiffahrt und die technischen Künste arbei-ten; höher hinauf die Welt des Rechts, der Gesetze, das Leben inder Familie, die Sonderung der Stände, das ganze umfassendeGebiet des Staats; sodann das Bedürfnis der Religion, das […] indem kirchlichen Leben sein Genügen erhält; endlich die […] Tä-tigkeit in der Wissenschaft, die Gesamtheit der Kenntnis und Er-

53kenntnis« – die Welt der Künste selbst wäre dieser Aufzählungnoch hinzuzufügen. Was Hegel mit dem Begriff des ›totalen In-halts‹ meint, ist der strukturierte Zusammenhang einer ganzenGesellschaft, die Totalität, marxistisch gesprochen, der Zusam-menhang von Basis, Überbau, Zivilgesellschaft und Lebensweise.Nicht, dass diese Totalität in einem einzelnen Werk extensiv Dar-stellung fände, dem einzelnen Werk ist die Darstellung von Tota-lität nur in intensiver Form möglich. Aber dies ist nicht der Ge-sichtspunkt, auf den es hier ankommt. Der ›totale Inhalt‹ ist dasReservoir, aus dem die Künste ihre besonderen Inhalte schöpfen.Er ist die reale Basis, das materielle Substrat der Künste, demihre spezifischen Inhalte und Formen entstammen. Dieses mate-rielle Substrat nun ist kein amorphes Etwas, sondern es existiert

54jeweils in einer bestimmten gesellschaftlichen Form , es ist ansich selbst formbestimmt und besitzt ästhetisch formbestimmen-de Qualitäten. Es ist, mit Bloch gesprochen, »aktive Materie […],

53 | Ebd., S. 13154 | Vgl. die Kategorie ›Weltzustand‹ in Hegels Theorie der Handlung.

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die […] ihre eigene Potenz-Potentialität im Künstler […] aktua-55lisiert«. Es enthält entelechische Formen, die sich in der For-

menwelt der Künste herausarbeiten.Bertolt Brecht zuInhalt und Form

Die materialistische Kunsttheorie hat mit ihren besten Ver-tretern an die hegelsche Erörterung angeknüpft. So konstatiertBertolt Brecht (1898–1956) die genetische Priorität des Inhaltsvor der Form, wenn er schreibt: »Die Form eines Kunstwerks istnichts als die vollkommene Organisierung seines Inhalts, ihr

56Wert daher völlig abhängig von diesem.« Zugleich spricht erder Form, verstanden als Synthesis der ästhetischen Produktiv-kräfte, die entscheidende Rolle in der Konturierung und Kom-munikation des Inhalts zu. Was ›Inhalt der Kunst‹ bei Brechtmeint, erschließt sich seiner Aufgabenbeschreibung realistischerSchreibweise: »den gesellschaftlichen Kausalkomplex aufde-ckend / die herrschenden Gesichtspunkte als die Gesichtspunkteder Herrschenden entlarvend / vom Standpunkt der Klasse ausschreibend, welche für die dringendsten Schwierigkeiten, in de-nen die menschliche Gesellschaft steckt, die breitesten Lösungenbereithält / das Moment der Entwicklung betonend / konkret

57und das Abstrahieren ermöglichend«.Georg

Lukács In der Bestimmung der inhaltlichen Seite des Kunstprozessesist Lukács der Position Brechts näher, als es eine gängige Mei-nung über beide wahrgenommen hat. Denn mit dem Begriff ›ge-sellschaftlicher Kausalkomplex‹ meint Brecht im Prinzip dasGleiche wie Lukács mit dem Begriff ›künstlerischer Realismus‹:die Erfassung des »objektiven Wesens der Wirklichkeit, des Ge-

58samtprozesses« , die »künstlerische Einheit von Wesen und Er-59scheinung«. Auch Lukács postuliert im genetischen wie pro-

duktionsästhetischen Sinn eine Priorität des Inhalts vor der

55 | Ernst Bloch, Das Materialismusproblem, seine Geschichte und Subs-tanz, a. a. O., S. 52256 | Bertolt Brecht, Über Formalismus und neue Formen, in: ders., Ge-sammelte Werke, hg. vom Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1967, Band 19,S. 526–527, hier: S. 52757 | Bertolt Brecht, Volkstümlichkeit und Realismus, in: ders., Gesam-melte Werke, a. a. .O., Band 19, S. 322–331; hier: S. 32658 | Georg Lukács, Essays über Realismus, in: ders., Werke, hg. vonFrank Benseler, Neuwied, Berlin 1971, Band 4, S. 32559 | Ebd., S. 324; vgl. Thomas Metscher, Kunst und sozialer Prozeß, a. a.O., S. 192–199

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Form. Zugleich besteht er nachdrücklich auf dem von Hegel he-rausgearbeiteten Prinzip der Identität von Inhalt und Form fürden Kunstprozess im Ganzen, was die Historisierung gerade auchder Formkategorie notwendig zur Folge hat. Wenn Lukács denBegriff der Besonderheit zur Bezeichnung des Spezifischen desKunstästhetischen als »sinnlich unmittelbare Einheit des Einzel-

60nen und des Allgemeinen« einführt , durch die der ästhetischnotwendige »Schein des Lebens« allererst erzeugt wird, so findetder Begriff sein Konkretum in der künstlerischen Form. Diese ist»die höchste Abstraktion, die höchste Art der Kondensierung des

61Inhalts«. D. h., die Kunst hat ihre Spezifik in der Form und wä-re nicht ohne diese. Zugleich aber ist die Form nichts anderes alsästhetisch ›geronnener‹, ›kristallisierter‹, konzentrierter Inhalt.

MoissejKagan

Auch Moissej Kagan folgt dem Postulat der Priorität des In-halts in produktionsästhetischer Hinsicht. »Die Ausprägung des

62Inhalts wird zum Ziel des schöpferischen Akts.« Zugleich ar-beitet er die Notwendigkeit der Form als conditio sine qua nondes künstlerischen Prozesses durch Einführung des Begriffs derkünstlerischen Idee heraus. In der Form erst artikuliert diesesich konkret, wie auch die Form erst Kunst als kommunikativenVorgang ermöglicht. Wenn der Inhalt »ohne die Mithilfe derForm existieren und anderen Menschen übermittelt werdenkönnte, dann bräuchte die Kunst überhaupt keine Form. DieEinheit von Form und Inhalt in der Kunst ist deshalb notwendig,weil außerhalb oder neben der Form die Idee lebensunfähig, ver-schwommen, unbestimmt wäre und selbst dem Künstler in ihrer

63sozusagen absoluten Amorphie nicht faßbar bliebe.« Vom Be-griff der Idee her begründet Kagan die »dienende Rolle derForm« und die »dominierende Rolle des Inhalts«: »dass die Form

64dem Inhalt unterworfen ist und nicht der Inhalt der Form«.Die Idee bestimmt er als »geistiges Gebilde«, das »in der Vorstel-lung des Künstlers entsteht und lebt«, die »Vorstellung vom

65künftigen Werk« im Bewusstsein des Schöpfers.

60 | Georg Lukács, Essays über Realismus, a. a. O., S. 62061 | Ebd., S. 63262 | Moissej Kagan, Vorlesungen zur marxistisch-leninistischen Ästhetik,München 1974, S. 45063 | Ebd.64 | Ebd.65 | Ebd.

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Eine dialektische Fassung des Verhältnisses von Inhalt undForm schließt ein, dass in der Geschichte der Künste beide in einSpannungsverhältnis treten können, sei es, dass ein neuer Inhaltmit überlieferten Formen kollidiert, sei es, dass neue Formenauftreten, die dem behandelten Inhalt nicht kongruent sind.Für die Geschichte des modernen Dramas hat dies Peter Szondi(1929–1971) unter dem Stichwort des ›Problematisch-Werdens‹überlieferter dramatischer Form in einer Modellanalyse heraus-

66gearbeitet. Kagan behandelt das gleiche Problem, wenn er von»ungleichen Entwicklungsmöglichkeiten« der Idee spricht sowieder Möglichkeit, dass »die Form hinter dem Inhalt ›zurückblei-

67ben‹« kann.HannsEisler

Hanns Eisler (1898–1962) hat sich dieser Frage im Zusam-menhang mit seinem am Materialbegriff orientierten kunstästhe-tischen Erörterungen angenommen. So beschreibt er den Über-gang von der polyphonen zur homophonen Musizierweise als ei-nen Akt, bei dem sich »Fortschritt und Zurücknahme in der Mu-sik in Einem vollzieht«, und zwar in der Gestalt der »Zurücknah-me« komplizierter Strukturen durch vergleichsweise simple Ge-bilde, in denen sich jedoch das historisch neue Selbstbewusst-

68sein des bürgerlichen Individuums ausdrückt. Den umgekehr-ten Vorgang inhaltlicher Zurücknahme bei großem technischenFortschritt erläutert Eisler am Beispiel spätbürgerlicher Musik

69und Malerei. In der Form sei ein »enormer Fortschritt« zu ver-zeichnen, während im Inhalt der Rückschritt »ungeheuerlich«

70sei. Hier zeigt sich die analytische Bedeutung der Form-Inhalt-Kategorie, ihre Fähigkeit, kunstgeschichtliche Prozesse analy-tisch zu durchdringen. Zugleich gelingt Eisler auf dieser Grund-lage eine weiterführende Fassung des Begriffs ›künstlerischerFortschritt‹.

Das materielleSubstrat

In systematischer Hinsicht hat ein materialistisches Durch-denken der Dialektik von Form und Inhalt in den Künsten anHegels Begriff des ›totalen Inhalts‹ als des materiellen Substrats

66 | Vgl. Peter Szondi, Theorie des modernen Dramas, Frankfurt/Main 195667 | Moissej Kagan, Vorlesungen zur marxistisch-leninistischen Ästhetik,a. a. O., S. 45168 | Vgl. ebd.69 | Ebd., S. 62370 | Hanns Eisler, Materialien zu einer Dialektik der Musik, hg. von Man-fred Grabs, Leipzig 1973, S. 315

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künstlerischer Gestaltung anzuknüpfen – und zwar im Sinne en-telechischen, d. h. hier formfähigen, auf ästhetische Gestaltunghin angelegten Materials. Als solches ist das materielle Substrateines bestimmten historischen Zeitpunkts der allgemeine Gegen-stand der Künste, aus dem heraus die einzelnen Künste undKunstproduzenten ihre besonderen Gegenstände, Stoffe undThemen auswählen. Diese dann bilden die konkrete Basis derkünstlerischen Werkform; eine Basis, die sich im Verlauf derkünstlerischen Produktion in das Werk hinein transformiert – ineiner Weise, die mit dem oben eingeführten Begriff der ontologi-

71schen Transformation zu bezeichnen ist, eine Transformationder Seinsweise, die eine Transformation von Bedeutungen ein-schließt.

Die gegen-ständlicheWerkschöpfung

In diesem Vorgang lässt sich in einem ersten theoretischenZugriff folgende kategoriale Reihe festmachen: materielles Subs-trat – allgemeiner Gegenstand/besonderer Gegenstand – Stoff –Thema – ästhetische Idee. Meine These lautet, dass in dieser ka-tegorialen Reihe der Vorgang der Kunstproduktion in seiner ob-jektiven Seite, als Vorgang gegenständlicher Werkschöpfung,ausgedrückt werden kann; wobei an dieser Stelle die formendeRolle des Künstlers (imaginativer logos und Opus-Phantasie) ausmethodischen Gründen ausgeblendet ist. Dieser Vorgang ist mitBloch zugleich als Herausarbeiten der entelechischen Gestalt desInhalts zu begreifen. Im Folgenden soll diesem Vorgang derWerkproduktion in einigen Schritten nachgegangen werden. Ausgangspunkt ist die Einsicht, dass ›Inhalt‹ sich zunächstauf den allgemeinen Gegenstand der Künste bzw. eines Kunst-werks bezieht. Aus dem ›totalen Inhalt‹ eines bestimmten histo-rischen Moments sondert der Künstler einen besonderen Gegen-stand heraus, aus dem sich eine besondere Inhaltlichkeit he-rausbildet. Einzelne Kunstwerke beziehen sich also stets auf be-stimmte Aspekte der ganzen Gesellschaft eines historischen Mo-ments. Die konkreten Gegenstände der individuellen Kunstpro-duktion besitzen dabei den Charakter gesellschaftlicher Materia-lien, die im Kunstproduzieren bearbeitet werden. Damit bildetder Inhalt als konkreter Gegenstand das gesellschaftliche Subs-trat der individuellen Werkproduktion. Dieses Gegenstands- undStoffsubstrat enthält eine Werk-Potenzialität, die die künstleri-sche Bearbeitung erst ermöglicht. Es ist also eine Form prägende

71 | Siehe S. 25

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Kraft, die als Konstitutivum in das gestaltete Werk eingeht.Formprägung hat eine objektive Seite, wie sie auch eine subjek-tive Seite, d.i. der imaginative logos und die Opus-Phantasie,hat. Im ontologischen Sinn sind die Werk-Potenzialität von Ge-genstand/Inhalt/Stoff und die ästhetische Produktivkraft desimaginativen logos primäre formbestimmende Faktoren. Damit istnicht gesagt, dass in der Kunst sich die Inhalte quasi selbsttätigdie angemessenen Formen schaffen. Als weitere formbestimmen-de Faktoren treten hinzu: Autorenstandpunkt, Autorenintentionund Zweckbestimmung des Werks, soziokulturelle Struktur desintendierten Publikums, die dem Autor zur Verfügung stehendenüberlieferten Techniken (der Entwicklungsstand der ästhetischenProduktionsmittel), der allgemeine Bewusstseinshorizont derZeit (der Stand des Wissens, der Weltanschauung und Ideologie).Alle diese Faktoren sind als formprägende Momente der Kunst-produktion einzubeziehen. Im Hinblick auf das elementare Modell künstlerischer Pro-duktion und Kommunikation Künstler/Wirklichkeit – Werk – Re-

72zipient/Wirklichkeit ist der Inhalt auf die Seite ›Künstler/Wirklichkeit – Werk‹ zu beziehen. Ein Künstler bearbeitet einenbestimmten Inhalt bzw. einen Komplex von Inhalten in einemWerk. Dieser Bearbeitungsprozess ist der Produktionsprozess derästhetischen Gestalt. Zusätzlich zur Unterscheidung zwischenallgemeinem und besonderem Inhalt ist als weiterer Begriff dasThema hinzuzuziehen. ›Thema‹ bezeichnet ein kategoriales Zwi-schenglied im Vorgang der Werkproduktion. Es bildet »dieGrundlage für die Ausführung […], ist das Abstrakte, die Aus-

73führung dagegen erst das Konkrete«. Das Thema konzentriertdie spezifische Inhaltlichkeit, fasst diese damit unter einem be-sonderen Aspekt. Der Begriff impliziert die konzeptive Behand-

74lung des Inhalts durch den Künstler. Am Vorgang des Transformationsprozesses gesellschaftlicherWirklichkeit, wie wir Kunstproduktion hier begreifen, sind fol-gende Stufen zu unterscheiden: 1. der allgemeine Gegenstand

72 | Vgl. Thomas Metscher, Kunst, Kultur, Humanität, a. a. O., S. 135–14373 | Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I,a. a. O., S. 13274 | Vgl. dazu Peter Szondi, Theorie des modernen Dramas, Frankfurt/Main 1956

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als Teil einer gegebenen soziokulturellen Lebenswelt; 2. die Aus-sonderung des besonderen Gegenstands/Inhalts aus dem Flussder Erfahrung; 3. die konzeptive Bearbeitung dieses Gegen-stands: Stoffwahl, Entwicklung einer ideellen Grundkonzeption,Konzentration des Inhalts in Grundthema und zugeordnete The-menkomplexe nach Maßgabe bestimmter Kriterien (Standpunkt,Interesse, Zweck, Perspektive), wobei weltanschaulich-ideologi-sche Momente, nicht zuletzt die private Weltanschauung desKunstproduzenten, eine nicht zu unterschätzende Rolle spie-

75len ; 4. die imaginative Entfaltung und Ausgestaltung vonHauptthema und Themenkomplexen nach Maßgabe der Zweckbe-stimmung (Intention), der gewählten Kunstart und der zur Ver-fügung stehenden künstlerischen Mittel; zentrale Rolle des ima-ginativen logos; 5. im Verlauf dieser Ausgestaltung konstituiertsich das, was ich die ›ästhetische‹ Idee nenne. Das Kunstwerkbildet sich zum Weltbild heraus, es konstituiert sich als Weltan-schauungsform. Der Gehalt dieses Weltbilds – die konkrete Bedeutung, diedas fertige Werk besitzt – ist zwar stets auf dessen gegenständli-chen Inhalt bezogen, nie jedoch identisch mit ihm; geschweigedenn identisch mit einem der bestimmenden Faktoren, die imVerlauf der Werkformation ins Spiel treten. Was oben ontologi-sche Transformation genannt wurde, ist ein Prinzip des Kunstäs-thetischen, eine conditio sine qua non seines Daseins. Die ontolo-gische Transformation fungiert hier in einem genauen semanti-schen Sinn: Sie prägt die Bedeutungskonfiguration des Werks,die mit seiner ästhetischen Konfiguration identisch ist. IhrenKern hat diese Bedeutungskonfiguration in der ästhetischen Idee

76bzw. in einem Komplex ästhetischer Ideen. Dieser Gedankebedarf einer genaueren Erläuterung. Für die weiteren Überlegungen möchte ich festhalten: DieKünste entstehen, auf ihren gegenständlichen Inhalt hin be-trachtet, im Rahmen menschlicher Erfahrung und Tätigkeit. Le-bensweltliche Erfahrung ist ihre Grundlage, die geschichtlich-ge-

75 | Ich verwende für diesen Zusammenhang den Begriff des ideologi-schen Materials als Teil des gesellschaftlichen Substrats der Kunstproduk-tion.76 | Die schwierigsten Werke der Weltliteratur – ich erinnere allein andie Göttliche Komödie, Hamlet und Faust – sind aus einem Komplex ästheti-scher Ideen organisiert.

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sellschaftliche Erfahrung von Individuen als Teil der menschli-chen Lebenstätigkeit. Aus dieser Wirklichkeit wachsen die Werkeheraus. In ihr haben sie ihren Ort, in sie wirken sie hinein. Nieaber kann Wirklichkeit ›an sich‹ Gegenstand der Kunst sein. Ge-genstand der Kunst ist allein die durch menschliche Erfahrunggegangene Wirklichkeit – Wirklichkeit in der Form von Erfah-rung. Ich spreche deshalb von experientieller Wirklichkeit undvom experientiellen Gegenstand der Kunst.

SemantischeTransformation

›Ästhetische Idee‹ bezeichnet den Bedeutungskern, aus demheraus ein individuelles Werk – ich sage jetzt: als ästhetischesWeltbild – konstruiert wird. Ästhetische Idee und ästhetischesWeltbild sind Resultat eines Vorgangs, der mit dem Begriff dersemantischen Transformation bezeichnet wird. Im Prozess werkhaften Vergegenständlichens vollzieht sicheine qualitative Veränderung von Bedeutungen des der Kunst-produktion voraus und zugrunde liegenden materiellen Subs-trats, unter Einschluss der psychischen Tatbestände, Bewusst-seinstatsachen, Weltanschauungen und Ideologien, in derenKraftfeld sich ein bestimmtes Werk bewegt und aus dem es her-vorgeht, sowie der normativen Einstellungen, Vorurteile, Wer-tungen eines Kunstproduzentens. In jeder künstlerischen Pro-duktion vollzieht sich also eine Transformation von Bedeutungenzwischen dem dem Werk zugrunde liegenden Substrat und derBedeutung des fertigen Kunstprodukts (dessen semantischen Pro-fils), und zwar im Ganzen wie im Detail. D. h. aber, dass zwischendiesen beiden Polen eine Differenz besteht: Die ontologische Dif-ferenz zwischen Wirklichkeit und Werk ist semantisch. Diese Be-deutungsveränderung geschieht kraft der ästhetischen Form. Sieverdankt sich der Poiesis und ist die Bedingung dafür, dass über-haupt von einer eigenständigen ästhetischen Welt und von au-tochthonen ästhetischen Bedeutungen gesprochen werden kann.Sie ist der Grund, warum der Gehalt eines Kunstwerks nie auf dasihm zugrunde liegende Material – auch nicht die Intention desKunstproduzenten – reduziert werden kann. Semantische Transformation ist Bedingung dafür, dass etwasKunst ist. Nur wo sie vorliegt, kann von Kunst geredet werden.Die Verdoppelung bzw. Wiederholung von Bedeutungen machtnie eine Sache zu einem Kunstwerk. Semantische Transformationist apriorische Bedingung ästhetischer Weltkonstitution. Was sich nun als Resultat des Akts ästhetischer Vergegen-ständlichung und im Vollzug semantischer Transformation in der

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Kunstproduktion herstellt, ist das ästhetische Weltbild. Es konsti-tuiert sich im Zusammentreten der werkschaffenden Poiesis mitder Welthaltigkeit der Mimesis, in der Synthesis von Form undInhalt, und es konstituiert sich kraft der durch diese Synthesisbewirkten Transformation und Neukonstitution von Bedeutun-gen.

Weltbildcharakterder Künste

Kein Kunstwerk, kein authentisches Werk, ist dem anderengleich. Diese Singularität der Werke ist keine der formalen Ge-staltung allein, sondern zugleich eine der ästhetischen Bedeu-tung, eine des ästhetischen Weltbilds. Sie beruht im Kern auf derDifferenz der Wirklichkeitsansichten, die verschiedene Werke ver-mitteln. Als Grund für die Differenz zwischen den singulären Werkenist auf den komplexen Bedingungsrahmen zu verweisen. Folgen-de Faktoren sind die entscheidenden: Biographie und psychischeDisposition des Kunstproduzenten; die Besonderheit der Situa-tion und Erfahrung, aus der ein bestimmtes Werk hervorgeht;sein spezifischer Gegenstand und Stoff; die gewählte Gattung,die Form und der historische Stand ästhetischer Produktivkräfte;die mit der Kunstproduktion verbundene Intention des Kunst-produzenten; die psychosoziale wie kulturelle Verfasstheit derAdressaten; die gegebenen Institutionen der künstlerischen Pro-duktion, Distribution und Konsumtion; der allgemeine Entwick-lungsstand gesellschaftlichen Bewusstseins und Wissens; die ge-sellschaftliche Gefühlskultur als Teil der vorliegenden kulturellenVerhältnisse; nicht zuletzt der besondere soziale Ort, die Motiveund Interessen, von denen her ein Künstler ein Stück Wirklich-keit der Bearbeitung unterwirft und ein Kunstwerk schafft. Das in einem Werk entworfene Weltbild existiert in diesemimmer in der Form eines Potenzials von Bedeutungen, die in Ak-ten rezeptiver Aneignung realisiert werden und einen (variablen)Spielraum von Interpretationen zulassen. Weiter können in ei-nem einzelnen Werk oder einer Gruppe von Werken verschiedenesoziale Standpunkte und historische Perspektiven zusammentre-ten, was stets eine hochgradige Komplexität, oft Ambiguität desideellen Profils solcher Werke zur Folge hat. Die Weltbilder der Kunst sind damit auch in einem herme-neutischen Sinn variabel. Eine Pluralität des Verstehens, derkonsumtiven Aneignung wie der wissenschaftlichen Deutung,gehört konstitutiv zum Kunstästhetischen. Den Kern der assimilierten Bedeutungen, die in einem Kunst-

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ÄsthetischeIdee

werk als Resultat der semantischen Transformation präsent sindund dem von ihm kommunizierten Weltbild inhärieren, nenneich ästhetische Idee. Die ästhetische Idee also ist eine Synthesisvon Bedeutungen. Rückgreifend auf den dialektischen Begriffvon Inhalt und Form kann auch gesagt werden: Die ästhetischeIdee ist der Punkt in einem Werk, an dem Inhalt und Form zu-sammenstoßen und ›verschmelzen‹ – scharfsinnig hat Thomas S.Eliot (1888–1965) den Vorgang einer solchen Werkformation mit

77einer Metapher aus der Chemie beschrieben. Die Synthesis vonInhalt und Form schlägt sich in der ästhetischen Idee nieder. Jedes ästhetische Weltbild ist von einer ästhetischen Ideeoder einem Komplex (einem Ensemble) ästhetischer Ideen herorganisiert. Die Komplexität, Polysemie oder gar Ambiguität vonBedeutungen, die ein Kunstwerk aufweist, ist hochgradig vonder Komplexität der in ihm organisierten ästhetischen Ideen ab-hängig – und auf einer zweiten Ebene erst von den »Leerstel-

78len« , die es besitzt. Polysemien und Ambiguitäten sind Resultateiner Nicht-Homogenität der in einem Werk assimilierten ästhe-

79tischen Ideen. Ein weiterer, wesentlicher Gesichtspunkt ist die Geschicht-lichkeit der ästhetischen Idee. Sie erst konstituiert das, was dieinterne Historizität der Kunst genannt werden kann. Dies ver-wundert nicht, wenn bedacht wird, dass die Geschichtlichkeitder Künste sich kraft der Dialektik von Inhalt und Form konstitu-iert. Die Geschichtlichkeit des ästhetischen Inhalts prägt die His-torizität der Formen – wie diese selbst, als tradierte, sedimen-tierter geschichtlicher Inhalt sind –, sodass die Form kristallisier-te Geschichtserfahrung ist.

InterneHistorizitätder Künste

Die Geschichte ist also kein den Künsten Äußeres, das alleinals externes Datum in ihre Betrachtung eingebracht werdenkann, sondern ein ihnen Inneres: Geschichte ist das Innere derästhetischen Form, die innere Welt des Werks. Dieses Geschicht-lich-Innere der ästhetischen Form ist identisch mit der ästheti-schen Idee. Geschichte als innere Welt der Form artikuliert sichin dieser immer nur als begriffene, als Begriff geschichtlicherWelt und Erfahrung. Ist, mit Ernst Cassirer (1874–1945) gesagt,

77 | Vgl. Thomas S. Eliot, Selected Prose, Harmondsworth 1953, S. 26 f.78 | Das Konzept solcher ›Leerstellen‹ geht auf Wolfgang Iser zurück; vgl.von ihm insbesondere Der Akt des Lesens, München 1976.79 | Shakespeares Hamlet ist ein klassisches Beispiel.

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80bereits der Mythos eine Gestalt des logos , so können es dieKünste nicht minder sein. ›Idee‹ verweist auf den im mimeti-schen Akt formulierten Begriff von Welt als dem ideellen Gehaltdes ästhetischen Vorgangs. Die Idee erst konstituiert diesen alsGestalt des logos, als Form menschlichen Bewusstseins. Zum ide-ellen Gehalt des ästhetischen Vorgangs gehören die Wertung vonWelt ebenso wie ihre Deutung. ›Begriff von Welt‹ schließt Welt-deutung und Weltwertung ein. Begriffen ist eine Welt nur als in-terpretierte, und jede Interpretation involviert Wertakte. Kunstist ein hermeneutisches Phänomen sui generis. Ideen gehören zur lebensweltlichen Praxis von Menschen.Sie werden im Zusammenhang von Äußerungen, Wertungen undEntscheidungen artikuliert, und zwar implizit wie explizit. Ideensind als Regulativa lebensweltlicher Orientierungen, Wertungenund Entscheidungen dem unmittelbaren Lebensprozess imma-nent. In ihnen artikuliert sich das Selbstbewusstsein dieses Pro-zesses. Sie sind Regulativa menschlichen Wissens und Bewusst-seins (reflexive Regulativa), und zwar nicht erst als elaborierteRegulativa existenzieller Orientierung, Sinngebung und Weltdeu-tung (als politische, soziale, ontologische und metaphysischeIdeen: Freiheit, Menschenrecht, Frieden, Glück, Unendlichkeit,Gott, Unsterblichkeit usf.), sondern bereits auf der elementarenEbene alltäglicher Lebenspraxis: als Regulativa unmittelbarer Le-bensgestaltung. Als ästhetische hat die Idee eine doppelte Existenzweise.Ideen existieren in den Künsten, vor allem natürlich in der Li-teratur, als epistemische Entitäten in einer Form, die auch außer-halb eines ästhetischen Werks Dasein haben kann bzw. begriff-

81lich artikulierbar ist. In diesem Sinne sind Ideen ein Momentder kompositorischen Werkgestalt neben anderen Momenten, diezwar aufeinander und zusammen wirken, jedoch zugleich auchunterscheidbar sind. So nennt die Poetik des Aristoteles δι�ν�ια(dianoia, Denkkraft) neben µυ�ϑ�ς (mythos, Fabel), �ϑ�ς (ethos,Charakter), λ�ξις (lexis, Sprache), µ�λωπ�ι�α (melopoiia, Melo-dik) und �πσις (opsis, Inszenierung) als Bestandteile des kom-positorischen Aufbaus der dramatischen Form. Zwar werden auch

80 | Vgl. Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Darm-9stadt 1994, Band II

81 | Dies gilt für die große Literatur in allen Gattungen von Homer bis indie Gegenwart.

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82Ideen dieses Typs intertextuell konturiert , in ihrem semanti-schen Kernbestand sind sie jedoch durchaus ›übersetzbar‹, wir-ken auch außerhalb des Texts und sind außerhalb desselben alsvolle Äquivalente philosophischer und wissenschaftlicher Ideendiskutierbar. So verdanken die Ideen von Frieden und Arbeit,Liebe und Glück ihre universale Artikulation der Dichtung min-

83destens ebenso wie der Philosophie. Die Artikulation solcherIdeen erfolgt in der Literatur häufig dialogisch, im Drama auch

84monologisch, oft metaphorisch, seltener begrifflich , häufigauch in Relation von metaphorischem und begrifflichem Spre-chen. Nach Lionel Trilling (1905–1975) hat gerade die Literatur dieFunktion, Ideen von universaler Bedeutung – also solche, dieauch außerhalb der Literatur existieren, ›Ideen im transzenden-talen Verstand‹ – zum Selbstbewusstsein zu bringen, sie explizit

85zu machen. Trilling erläutert dies mit Blick auf Aischylos’ Ores-tie und argumentiert, dass alles bedeutende Drama aus der Op-position artikulierbarer Ideen besteht, die im Verlauf des Dramasexponiert und debattiert werden. Ideen können freilich auchdurch das Zusammentreffen gegensätzlicher Emotionen ausge-löst werden, die weitere Ideen hervorrufen; hier sind die Ideenselbst in ihrem Gehalt und ihrer Überzeugungsstärke von derKraft der Emotionen abhängig. Ideen gehören, wenn auch mitanderen verbunden, als distinkter Teil der Werkgestalt nicht nurzu ihrem kompositorischen Bestand, sondern werden durch denformalen Akt des Werkgestaltens selbst erst hervorgebracht, also

82 | Sie haben ihre Existenzweise als ästhetische Singularia und stehenals solche immer auch in Differenz zu ihrer Artikulation außerhalb des jegegebenen Textes. Eine allgemeine Idee wird in einem konkreten Kunstwerkimmer neu moduliert und verändert; vgl. Thomas Metscher, Shakespeareund die Tradition des Friedensgedankens, in: Shakespeares Spiegel, Band1, Hamburg 199583 | Erinnert sei an Vergils »Amor vincit omnia,« Hamlets »To be or notto be«, Lears »That each man hath enough«, Fausts »So bleibe denn dieSonne mir im Rücken«, Thomas Manns »In Endes Zeichen steht die Welt«,Thomas S. Eliots »Time present and time past« und William B. Yeats’»Chestnuttree, great-rooted blossomer«.84 | Obwohl auch die begriffliche Form ideeller Artikulation in der Lite-ratur zu finden ist und keineswegs so selten ist wie oft behauptet wird.85 | Vgl. Lionel Trilling, The Liberal Imagination, London 1961, S. 282

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ästhetisch produziert – ein Vorgang, der in aller großen Kunst zufinden ist. Dann besitzen also auch solche Werke eine Idee oderIdeen, in denen, was häufig genug der Fall ist, Ideen im trans-zendentalen Verstand gar nicht explizit vorkommen. Idee in die-sem Sinn ist der Kern des semantischen Konstitutions- und Arti-kulationsprozesses eines ästhetischen Vorgangs. Die Form desKunstwerks selbst hat den Charakter einer Idee, in den emotionaleund rationale Elemente zusammenschießen. Diese dem ästhetischen Vorgang selbst entspringende Idee,

2die Idee als Resultat formaler Gestaltung – ich spreche von Idee– steht in korrelativer Beziehung zu den expliziten oder trans-

1zendentalen Ideen – das ist Idee –, die im Text selbst formuliertwerden. Die Einsicht in diese Wechselbeziehung hebt Trilling alsgroße Leistung der aristotelischen Poetik hervor. »Aristotle un-derstood […] that the form of drama was of itself an idea whichcontrolled and brought to a particular issue the subordinateideas it contained. The form of drama is its idea and its idea is

86its form«. In diesem Sinn gibt es in den Künsten keine Formohne Idee. Ja, ›Form‹ in den Künsten ist der übergreifende Be-griff, der alle Momente des ästhetischen Werks – mit Aristotelesgesprochen, alle sechs Bestandteile des Dramas – umschließtund als ein geistiges Ganzes begreifbar macht.

Charakteristikader ästhetischenBedeutung

Die Kunst, sagt Aristoteles in der Poetik, sei »philosophi-scher« als die Geschichtsschreibung, da diese das Individuelleund Partikulare, jene aber »das Allgemeine« mitteile: nicht das,was »geschehen ist«, sondern »was geschehen könnte«, »dasnach den Regeln der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit

87Mögliche« – Wirklichkeit im Modus der Möglichkeit. Die in derKunst artikulierten und kommunizierten Bedeutungen sind alsoim angezeigten Sinn universal: Ein Allgemeines und Geltendeswird in den Künsten in erlebnishafter Form vermittelt, ein All-gemeines freilich, wie Lukács schreibt, im »Modus der Besonder-

88heit« (oder des Typischen) als die Weise, in der Individuellesund Allgemeines zusammentreten. Ich spreche daher von derKonkretion und Universalität (= der ›Singularität‹ des Allgemei-nen) der ästhetischen Bedeutungen. Weitere Merkmale der äs-

86 | Ebd., S. 28487 | Aristoteles, Poetik, C.988 | Georg Lukács, Über die Besonderheit als Kategorie der Ästhetik,Neuwied 1967

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thetischen Bedeutung sind Luzidität (Klarheit der ästhetischenWerkgestalt), Plastizität und Prägnanz (der geformten Schärfedes ästhetisch Gestalteten), Komplexität (Multi-Dimensionalität,das Kaleidoskopartige der ästhetischen Bedeutung), Polysemieund Ambiguität. Komplexität, ›Polysemie‹ und ›Ambiguität‹ be-zeichnen Stufen semantischer Vielschichtigkeit. ›Ambiguität‹meint einen Zustand, der widersprüchliche Bedeutungen (unddamit auch sich widersprechende ästhetische Ideen) in einem

89Werk organisiert. Ein Gegenbegriff zur Ambiguität heißt Homogenität oderKonsonanz der Bedeutung – neben dem ambigen Werk steht mitgleichem Recht das semantisch homogene. Um es entgegen herr-schenden Tendenzen in aller Deutlichkeit zu sagen: Neben Wer-ken hochgradiger Ambiguität bis hin zum Extrem einer Absenzvon homogenen Bedeutungen, d. h. eines strukturbildenden Be-deutungskerns, stehen solche, deren Bedeutungen relativ homo-gen, weil von einem festen Kern her organisiert sind – ohne dasshier Fragen des ästhetischen Werts involviert wären. Das vieldeu-tige ist nicht notwendig das ästhetisch ›bessere‹, das eindeutigenicht ohne Weiteres das schlechtere Werk. Alles, was sich hiersagen lässt, ist, dass die bedeutendsten Werke die zu sein schei-nen, in denen sich Ambiguität und Konsonanz der Bedeutungen

90in einem extrem ausbalancierten Verhältnis befinden. Es istdies die Idee des klassischen Werks. Die genannten Begriffe sind solche der Werkkonstitution. Siebetreffen den semantischen Aufbau, die objektive Verfasstheitoder die interne Struktur der Werke selbst, der Artefakte. DieGründe dafür wurden unter den Stichworten ›semantische Trans-

91formation‹ und ›ästhetische Idee‹ angesprochen. Ich rede vonder Universalität, Singularität, Prägnanz und Komplexität derWerkbedeutung und damit auch des ästhetischen Weltbilds. DiePluralität des Kunstverstehens freilich (wie die unabschließbarePluralität der Kunstinterpretationen), die als Tatbestand zukonstatieren und als Programm zu verteidigen ist, gründet nichtin der Komplexität der Werkbedeutung allein, sondern hat alsHermeneutikum eine weitere Ursache in der Instanz des Rezi-

89 | Richtung gebend dafür ist William Empson, Seven Types of Ambigui-ty, Harmondsworth 196190 | Man denke an Shakespeare, Mozart, Goethe und Thomas Mann.91 | Siehe S. 37 und 42

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pienten, in der Rolle nämlich, die der rezeptive Akt bei der Kons-titution ästhetischer Bedeutungen spielt. Die Pluralität des Kunstverstehens hat ihren Grund in derStruktur ästhetischer Bedeutungskonstitution selbst. DieseStruktur ist binär. Auf der einen Seite steht das Werk mit sei-nem inhärenten, weil kompositorisch gestalteten Bedeutungs-potenzial, auf der anderen der Rezipient (Leser, Betrachter,Hörer, Interpret), der die Bedeutungen des Werks selbst vonseiner Sichtweise her selektiert und zusätzlich Bedeutungendem Werk einfügt, wobei die »Leerstellen«, über die Werke inunterschiedlichem Maß verfügen, eine besondere Rolle spielen.Der Rezipient, seine Urteile, Vorurteile und Interessen – die re-zeptive Perspektive also – ist der variable Faktor im Ensembleästhetischer Bedeutungen, die in der semantischen Werkkon-stitution wie in jedem Verstehensprozess zusammentreten. Ausdiesem ontologisch fundierten kunstästhetischen Tatbestandbegründet sich die Möglichkeit, ja Notwendigkeit einer Herme-neutik auch im Rahmen materialistisch-dialektischer Theorie-bildung. Diesem Gesichtspunkt sei noch einige, kurze Schrittenachzugehen.

Pluralität desKunstverstehensund Unabschließ-barkeit derInterpretation

Der mimetische Weltbezug besitzt zwei Relationen: 1. als Be-zug von Kunst zur Lebenswirklichkeit der Zeit ihrer Entstehung –zu dem ihr zugrunde liegenden Erfahrungssubstrat – und 2. alsWeltbezug des rezeptiven Akts. Ist der erstgenannte Weltbezugein einmaliger Akt, dem Werk gleichwohl in allen seinen Gliederneingeschrieben, so ist der Weltbezug des rezeptiven Akts ein un-abgeschlossener (›unendlicher‹) Vorgang in der Zeit. Er verän-dert sich in jedem gegebenen Fall einer Rezeption. Die Wirklich-keit dieses zweiten Weltbezugs ist unendlich variabel und nichtfestgelegt. Kunst als Mimesis soll als Vorgang gedacht werden, der ausdrei Gliedern besteht: 1. aus dem Akt der Produktion, 2. aus demWerk als dem vergegenständlichten Resultat seiner Herstellung,3. aus dem Akt der Rezeption dieses Werks. Der im Werk gespeicherte Erfahrungsgehalt, seine Werkbe-deutung, resultierend aus dem mimetischen Bezug zu einer be-sonderen erfahrenen Lebenswelt, ist ein Allgemeines, das im re-zeptiven Akt spezifiziert, individualisiert, konkretisiert wird. Imrezeptiven Akt erst bildet sich die Besonderheit der ästhetischenBedeutung heraus, konstituiert sich ein ästhetisches Weltbild in

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Page 49: Thomas Metscher · Mimesis bilden einen materiellen Zusammenhang, der im ontolo- gischen Sinn als eine kategoriale Reihe begriffen werden muss. Das bedeutet aber, dass die Begriffe

92seiner Singularität. Das, für sich selbst genommen, abstrakteWerk-Potenzial wird also erst im rezeptiven Akt konkret. Dieserist für ästhetische Bedeutung und damit auch für den Gehalt vonKunstwerken konstitutiv. Aus dem Angebot eines Kunstwerks wird durch Bedeutungs-zuordnung im rezeptiven Akt ein bestimmter Teil aktualisiert.Das Bedeutungspotenzial eines Werks ist immer mehr als das,was im einzelnen rezeptiven Akt realisiert werden kann – wie esauch mehr ist als die Summe vorliegender Rezeptionen. In die-sem Sinne spreche ich von einer grundsätzlichen Pluralität undUnabschließbarkeit der Interpretationen. Pluralität und Unabschließbarkeit der Interpretationen meintkeine Beliebigkeit, doch aber eine Relativität im Hinblick aufsich stets verändernde Rezeptionssituationen – das hermeneuti-sche Relativitätsprinzip. Qua kompositorisches Modell ist das se-mantische Werk-Potenzial ein Fixum, das sich jeder Beliebigkeitentzieht. Qua Wechsel der Rezeptionssituation ist die Konkretiondieses Potenzials relativ, variabel und offen.

93 Ein solches Modell von Hermeneutik vermag die Antinomi-en aufzulösen, die die Kunstwissenschaften gegenwärtig heim-suchen. Es vermeidet den Interpretationsdogmatismus ebensowie postmoderne Beliebigkeit. Der vorgeschlagene Begriff ›her-meneutische Relativität‹, das hermeneutische Relativitätsprin-zip, begründet die Pluralität von Interpretationen, ohne den Be-griff der Interpretation subjektivistisch aufzulösen. Er verteidigtden Wahrheitsanspruch von Interpretationen und wendet sichzugleich gegen jeden Interpretationsdogmatismus.

Weiterführende Literatur

Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie, Frankfurt/Main 1970Auerbach, Erich: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abend-

4ländischen Literatur, Bern 1967Barck, Karlheinz et al. (Hg.): Historisches Wörterbuch ästheti-

scher Grundbegriffe, Stuttgart 1998 ff.

92 | Vgl. Thomas Metscher, Pariser Meditationen. Zu einer Ästhetik derBefreiung, Wien 1992, S. 326–32893 | Vgl. des Näheren Thomas Metscher, Grundlagen und Probleme einermaterialistischen Heremeneutik, in: Gerhard Pasternack (Hg.), Erklären,Verstehen, Begründen, Bremen 1985, S. 196–222.

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Page 50: Thomas Metscher · Mimesis bilden einen materiellen Zusammenhang, der im ontolo- gischen Sinn als eine kategoriale Reihe begriffen werden muss. Das bedeutet aber, dass die Begriffe

Benjamin, Walter: »Über das mimetische Vermögen«, in: ders.,Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann und HermannSchweppenhäuser, Band I, Frankfurt/Main 1980, S. 507–510

Derrida, Jacques: Mimésis des Articulations, Paris 1975Girnus, Wilhelm: Wozu Literatur?, Leipzig 1976Heise, Wolfgang: Bild und Begriff. Studien über die Beziehun-

gen zwischen Kunst und Wissenschaft, mit Jürgen Kuczynski,Berlin, Weimar 1975

— »Zur Grundlage der Realismustheorie durch Karl Marx undFriedrich Engels«, in: Ästhetik der Kunst, Berlin 1987, S.500–522

Holz, Hans Heinz: Philosophische Theorie der bildenden Künste,3 Bände, Bielefeld 1996 f.

— Artikel ›Widerspiegelung‹ und ›Spiegel‹ (mit Thomas Met-scher), in: Karlheinz Barck et al., Historisches Wörterbuch äs-thetischer Grundbegriffe, a. a. O.

Jauß, Hans Robert, (Hg.): Nachahmung und Illusion, München21983

Kohl, Stephan: Realismus. Theorie und Geschichte, München 1977Koller, Hermann: Die Mimesis in der Antike. Nachahmung, Dar-

stellung, Ausdruck, Bern 1954— Stichwort ›Mimesis‹, in: Historisches Wörterbuch der Philoso-

phie, hg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Band 5,Basel 1980, Spalte 1396–1399

Krueger, Joachim (Hg.): Ästhetik der Antike, Berlin, Weimar1983

Lukács, Georg: »Hegels Ästhetik«, in: Georg Wilhelm FriedrichHegel, Vorlesungen über die Ästhetik, hg. von Friedrich Bas-senge, Berlin 1955

— Die Eigenart des Ästhetischen, 2 Halbbände, Neuwied, Berlin1963

Metscher, Thomas: Pariser Meditationen. Zu einer Ästhetik derBefreiung, Wien 1992

— »Ästhetik und Mimesis«, in: ders. et al., Mimesis und Aus-druck, Köln 1999, S. 9–104

Recki, Birgit: »Mimesis: Nachahmung der Natur. Kleine Apologieeines mißverstandenen Leitbegriffs«, in: Kunstforum 114,S. 116–126

Schlenstedt, Dieter et al.: Literarische Widerspiegelung. Ge-schichtliche und theoretische Dimension eines Problems,Berlin 1981

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2003-11-02 15-43-51 --- Projekt: transcript.pantarei.bdg.mimesis / Dokument: FAX ID 017535972470338|(S. 6- 49) T01_00 text.p 35972470458

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Einsichten. Themen der Soziologie

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2003-11-02 15-43-51 --- Projekt: transcript.pantarei.bdg.mimesis / Dokument: FAX ID 017535972470338|(S. 50- 51) anzeige einsichten in bdg frühjahr 2003.p 35972

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Einsichten. Themen der Soziologie

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2002, 110 Seiten, Oktober 2003, ca. 100 Seiten,

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ISBN: 3-933127-78-5 ISBN: 3-933127-29-7

Jörg Dürrschmidt Ansgar Thiel

Globalisierung Soziale Konflikte

2002, 132 Seiten, März 2003, 102 Seiten,

kart., 12,00 €, kart., 10,50 €,

ISBN: 3-933127-10-6 ISBN: 3-933127-21-1

Stefanie Eifler Hannelore Bublitz

Kriminalsoziologie Diskurs

2002, 108 Seiten, Mai 2003, 122 Seiten,

kart., 10,50 €, kart., 11,50 €,

ISBN: 3-933127-62-9 ISBN: 3-89942-128-0

Thomas Kurtz transcript Verlag (Hg.)

Berufssoziologie CD-ROM Einsichten -

Vielsichten2002, 92 Seiten,

Lesewege und Interviews zukart., 10,50 €,

Themen der SoziologieISBN: 3-933127-50-5

2001, 150 Seiten,

Beate Krais, Gunter Gebauer CD, 2,50 €,

Habitus ISBN: 3-933127-79-3

2002, 94 Seiten,

kart., 10,50 €,

ISBN: 3-933127-17-3

Peter Weingart

Wissenschaftssoziologie

März 2003, 172 Seiten,

kart., 13,80 €,

ISBN: 3-933127-37-8

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www.transcript-verlag.de

2003-11-02 15-43-51 --- Projekt: transcript.pantarei.bdg.mimesis / Dokument: FAX ID 017535972470338|(S. 50- 51) anzeige einsichten in bdg frühjahr 2003.p 35972

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Bibliothek dialektischerGrundbegriffe

Christoph Hubig Hans Heinz Holz

Mittel Widerspiegelung

2002, 48 Seiten, März 2003, 82 Seiten,

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ISBN: 3-933127-91-2 ISBN: 3-89942-122-1

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Wahrnehmen Muße

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werden. Der Preis pro Band reduziert sich dann auf 5,50 € (mit

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geschichtlichen Bildung ist, in einer zweiten Dimensionder Prozeß der europäischen Zivilisation von seinenarchaischen Ursprüngen bis in die historische Konstel-lation der Moderne. Die Hauptstudien werden voneiner Reihe ergänzender Texte begleitet. Sie betreffenGoethes Weltanschauung, das Zeitalter Goethes alsEpochenprofil, Tragödie, Komödie und Tragikomödieals Gattungsbegriffe, Positionen der Forschung, denStreit um Faust. Methodisch versuchen diese Arbeiten,das Instrumentarium philologischer Analyse mit demgeschichtlicher Deutung zu verbinden. Zugleich folgensie einem theoretischen Interesse: der Frage nach derbesonderen Erkenntnisart von Literatur.

Aus dem Inhalt: Faust und die bürgerliche Gesell-schaft · Natur und Geschichte in Goethes klassischerWalpurgisnacht · Die Revolution in der Form derKunst. Zur ästhetischen Kultur in Europa, 1760–1830 ·Klassik, Revolution und utopisches Bewußtsein · DerBegriff der Geschichte in Goethes Faust · Dialektikund Welttheater

Thomas Metscher

Welttheater undGeschichtsprozeßZu Goethes FaustFrankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York,Oxford, Wien, 2003. 394 S.Bremer Beiträge zur Literatur- und IdeengeschichteBd. 40. Herausgegeben von Thomas Metscher undWolfgang BeutinISBN 3-631-39659-7 · br. € 39.80

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Edition panta rei

Neuerscheinung Herbst 2003

Hans Heinz Holz Hans Heinz Holz promovierte bei

Mensch – Natur Ernst Bloch. Er war Professor für

Helmuth Plessner und das Konzept Philosophie an der Universität

einer dialektischen Anthropologie Marburg und an der Rijksuniversi-

teit Groningen/NL. Von

1981–1988 stand er als PräsidentOktober 2003, 191 Seiten,der »Internationalen Gesellschaftkart., 24,80 €,für dialektische Philosophie« vor,ISBN: 3-89942-126-4deren Ehrenpräsident er heute ist.

Die moderne Philosophie hat seit

Descartes und Kant und vollends

seit dem Ausgang des 19.

Jahrhunderts ihre Grundlegung in

der Subjekttheorie gesucht. Unter

Verdrängung von Metaphysik und

Ontologie hat bevorzugt die

Anthropologie den Platz der

»ersten Philosophie« eingenom-

men. Hans Heinz Holz möchte

demgegenüber die Anthropologie

in den Rahmen einer allgemeinen

Ontologie und Naturphilosophie

zurückführen. Er greift dabei

Ansätze auf, die sich aus dem

Werk Helmuth Plessners ergeben,

und die er im Sinne einer Dialektik

der Natur weiterentwickelt.

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter:

www.transcript-verlag.de

2003-10-23 09-08-44 --- Projekt: transcript.pantarei.bdg.widerspiegelung / Dokument: FAX ID 017535081171114|(S. 80 ) holz.werbung.p 35081171178