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Med Klin Intensivmed 2011 · 106:166–170 DOI 10.1007/s00063-011-0013-x Eingegangen: 17. September 2011 Angenommen: 19. September 2011 Online publiziert: 21. Oktober 2011 © Springer-Verlag 2011 S. Petros · R. Siegemund Interdisziplinäre Internistische Intensivmedizin, Universitätsklinikum Leipzig AöR, Leipzig Thrombingenerierung bei kritischer Erkrankung Leitthema Das Thrombin ist das zentrale Enzym in der Gerinnungskaskade. Paul Morawitz stellte bereits Anfang des 20. Jahrhundertes das sog. klassi- sche Gerinnungsmodel vor, in dem die zentrale Bedeutung des Throm- bins in der Gestaltung der Gerinnung demonstriert wurde. Thrombin ist eine Serinprotease mit einem Mole- kulargewicht von 30.000 Dalton. Es kommt im Blut in freier Form nicht vor, sondern wird erst im Rahmen der Gerinnungsaktivierung durch FXa durch die Abspaltung der Prothrom- binfragmente 1 und 2 aus Prothrom- bin in die aktive Form umgewandelt. Das Prothrombin wird hauptsächlich in der Leber in einem Vitamin-K-abhän- gigen Stoffwechsel synthetisiert. Sobald das Thrombin abgespalten ist, wird es sofort gebunden, insbesondere an Anti- thrombin, α 2 -Makroglobulin, Fibrin und Thrombomodulin. Hämostaseologische Effekte des Thrombins Thrombin hat sowohl direkte proko- agulatorische als auch indirekte antiko- agulatorische Effekte. Es ist der stärkste Plättchenaktivator; über diesen Mecha- nismus tragen aktivierte Plättchen wie- derum zur Thrombinbildung bei. Unter physiologischen Bedingungen führt die Endothelschädigung zur Freisetzung von „tissue factor“ (TF), der zusammen mit FVIIa eine kleine Menge FX akti- viert, der wiederum zusammen mit FVa eine geringe Menge Thrombin generiert. Diese Thrombinmenge reicht aus, um Thrombozyten zu aktivieren. Somit ist die Grundlage für die Propagierung der Gerinnung geschaffen. Auf der Oberflä- che der aktivierten Thrombozyten bilden FIXa und FVIIIa einen Komplex („tenase complex“), der eine große Menge FX ak- tiviert. Der FXa bildet zusammen mit sei- nem Kofaktor FVa den „prothrombinase complex“, der zur Bildung großer Mengen Thrombin führt („thrombin burst“). Die- ses Thrombin aktiviert Fibrinogen zu Fib- rin. Das wiederum führt zur Bildung eines Fibringerinnsels [12, 17]. > Die Auswirkungen des Thrombins auf die Hämostase sind komplex Thrombin aktiviert weiterhin den FXIII, der über kovalente Quervernetzungen die Festigkeit des Fibringerinnsels steigert und so die vorzeitige Fibrinolyse verhin- dert. Thrombin aktiviert außerdem FXI, der über die Aktivierung von FIX zur wei- teren Thrombingenerierung beiträgt [23]. Des Weiteren kommt es zur Aktivierung des „thrombin-activatable fibrinolysis in- hibitor“ (TAFI), der in der Hemmung der physiologischen Fibrinolyse eine wichti- ge Rolle spielt. Andererseits aktiviert Thrombin das Protein-C-System durch Bindung an Thrombomodulin. Der „endothelial cell protein C receptor“ (EPCR) verstärkt die Protein-C-Aktivierung durch Bin- dung an Protein C und dessen Präsenta- tion am Thrombin-Thrombomodulin- Aktivierungskomplex. Das aktivierte Protein C (APC) hemmt die aktivierten Gerinnungsfaktoren V (FVa) und VIII (FVIIIa). Dies führt zur Herunterregulie- rung der Gerinnung und Verminderung der weiteren Thrombinbildung [8]. Durch die Hemmung von FVa und FVIIIa redu- ziert das APC auch indirekt die Aktivie- rung von TAFI. Darüber hinaus hemmt es den Plasminogenaktivator-Inhibitor-1 (PAI-1). Dadurch wird die physiologische Fibrinolyse aufrechterhalten. Somit trägt das Thrombin sowohl zu seiner Produk- tion als auch Zerstörung bei (. Abb. 1). Die Komplexität der Auswirkungen des Thrombins auf die Hämostase macht die Einschätzung der Balance und der Dy- namik zwischen seinen pro- und antiko- agulatorischen, sowie den pro- und antifi- brinolytischen Effekten schwierig. Inflammatorische Effekte Hämostase und Inflammation sind zwei eng miteinander vernetzte Systeme der Wirtsantwort auf eine Verletzung [1, 3, 11, 26]. Die systemische inflammatorische Reaktion ist Bestandteil der Wirtsantwort auf eine Infektion, Trauma sowie toxi- sche Einwirkungen oder sonstige Verlet- zungen des Organismus. Toxine und Zy- tokine führen zur TF-Expression auf der Oberfläche des beschädigten Endothels und auf Monozyten, aber auch auf dend- ritischen Zellen, Thrombozyten und vas- kulären glatten Muskelzellen. Die TF-Ex- presssion setzt die Gerinnungskaskade in Gang und führt schließlich zur Throm- binbildung. > Thrombin beeinflusst auch immunologische Reaktionen Thrombin induziert nicht nur die Zyto- kinexpression auf Monozyten und Endo- thelzellen, sondern beeinflusst auch die Leukozytenproliferation und immunolo- gische Reaktionen [5, 7, 13, 20, 21]. C-ter- 166 | Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 3 · 2011

Thrombingenerierung bei kritischer Erkrankung

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Page 1: Thrombingenerierung bei kritischer Erkrankung

Med Klin Intensivmed 2011 · 106:166–170DOI 10.1007/s00063-011-0013-xEingegangen: 17. September 2011Angenommen: 19. September 2011Online publiziert: 21. Oktober 2011© Springer-Verlag 2011

S. Petros · R. SiegemundInterdisziplinäre Internistische Intensivmedizin, Universitätsklinikum Leipzig AöR, Leipzig

Thrombingenerierung bei kritischer Erkrankung

Leitthema

Das Thrombin ist das zentrale Enzym in der Gerinnungskaskade. Paul Morawitz stellte bereits Anfang des 20. Jahrhundertes das sog. klassi-sche Gerinnungsmodel vor, in dem die zentrale Bedeutung des Throm-bins in der Gestaltung der Gerinnung demonstriert wurde. Thrombin ist eine Serinprotease mit einem Mole-kulargewicht von 30.000 Dalton. Es kommt im Blut in freier Form nicht vor, sondern wird erst im Rahmen der Gerinnungsaktivierung durch FXa durch die Abspaltung der Prothrom-binfragmente 1 und 2 aus Prothrom-bin in die aktive Form umgewandelt.

Das Prothrombin wird hauptsächlich in der Leber in einem Vitamin-K-abhän-gigen Stoffwechsel synthetisiert. Sobald das Thrombin abgespalten ist, wird es sofort gebunden, insbesondere an Anti-thrombin, α2-Makroglobulin, Fibrin und Thrombomodulin.

Hämostaseologische Effekte des Thrombins

Thrombin hat sowohl direkte proko-agulatorische als auch indirekte antiko-agulatorische Effekte. Es ist der stärkste Plättchenaktivator; über diesen Mecha-nismus tragen aktivierte Plättchen wie-derum zur Thrombinbildung bei. Unter physiologischen Bedingungen führt die Endothelschädigung zur Freisetzung von „tissue factor“ (TF), der zusammen mit FVIIa eine kleine Menge FX akti-viert, der wiederum zusammen mit FVa eine geringe Menge Thrombin generiert. Diese Thrombinmenge reicht aus, um Thrombozyten zu aktivieren. Somit ist

die Grundlage für die Propagierung der Gerinnung geschaffen. Auf der Oberflä-che der aktivierten Thrombozyten bilden FIXa und FVIIIa einen Komplex („tenase complex“), der eine große Menge FX ak-tiviert. Der FXa bildet zusammen mit sei-nem Kofaktor FVa den „prothrombinase complex“, der zur Bildung großer Mengen Thrombin führt („thrombin burst“). Die-ses Thrombin aktiviert Fibrinogen zu Fib-rin. Das wiederum führt zur Bildung eines Fibringerinnsels [12, 17].

> Die Auswirkungen des Thrombins auf die Hämostase sind komplex

Thrombin aktiviert weiterhin den FXIII, der über kovalente Quervernetzungen die Festigkeit des Fibringerinnsels steigert und so die vorzeitige Fibrinolyse verhin-dert. Thrombin aktiviert außerdem FXI, der über die Aktivierung von FIX zur wei-teren Thrombingenerierung beiträgt [23]. Des Weiteren kommt es zur Aktivierung des „thrombin-activatable fibrinolysis in-hibitor“ (TAFI), der in der Hemmung der physiologischen Fibrinolyse eine wichti-ge Rolle spielt.

Andererseits aktiviert Thrombin das Protein-C-System durch Bindung an Thrombomodulin. Der „endothelial cell protein C receptor“ (EPCR) verstärkt die Protein-C-Aktivierung durch Bin-dung an Protein C und dessen Präsenta-tion am Thrombin-Thrombomodulin-Aktivierungskomplex. Das aktivierte Protein C (APC) hemmt die aktivierten Gerinnungsfaktoren V (FVa) und VIII (FVIIIa). Dies führt zur Herunterregulie-rung der Gerinnung und Verminderung der weiteren Thrombinbildung [8]. Durch

die Hemmung von FVa und FVIIIa redu-ziert das APC auch indirekt die Aktivie-rung von TAFI. Darüber hinaus hemmt es den Plasminogenaktivator-Inhibitor-1 (PAI-1). Dadurch wird die physiologische Fibrinolyse aufrechterhalten. Somit trägt das Thrombin sowohl zu seiner Produk-tion als auch Zerstörung bei (. Abb. 1).

Die Komplexität der Auswirkungen des Thrombins auf die Hämostase macht die Einschätzung der Balance und der Dy-namik zwischen seinen pro- und antiko-agulatorischen, sowie den pro- und antifi-brinolytischen Effekten schwierig.

Inflammatorische Effekte

Hämostase und Inflammation sind zwei eng miteinander vernetzte Systeme der Wirtsantwort auf eine Verletzung [1, 3, 11, 26]. Die systemische inflammatorische Reaktion ist Bestandteil der Wirtsantwort auf eine Infektion, Trauma sowie toxi-sche Einwirkungen oder sonstige Verlet-zungen des Organismus. Toxine und Zy-tokine führen zur TF-Expression auf der Oberfläche des beschädigten Endothels und auf Monozyten, aber auch auf dend-ritischen Zellen, Thrombozyten und vas-kulären glatten Muskelzellen. Die TF-Ex-presssion setzt die Gerinnungskaskade in Gang und führt schließlich zur Throm-binbildung.

> Thrombin beeinflusst auch immunologische Reaktionen

Thrombin induziert nicht nur die Zyto-kinexpression auf Monozyten und Endo-thelzellen, sondern beeinflusst auch die Leukozytenproliferation und immunolo-gische Reaktionen [5, 7, 13, 20, 21]. C-ter-

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minale Peptide, die während seiner Pro-teolyse aus Thrombin freigesetzt wer-den, haben antimikrobielle Effekte gegen grampositive und gramnegative Bakte-rien sowie eine immunmodulatorische Wirkung [24].

Auch im Bereich der Komplement-reaktion hat Thrombin eine aktivierende Wirkung. In-vitro-Studien konnten zei-gen, dass Thrombin durch proteolytische Spaltung die Komplementfaktoren C3 und C5 aktiviert [2]. Durch proteolyti-sche Aktivierung des „protease-activated receptor-1“ (PAR-1) besitzt Thrombin so-wohl proinflammatorische als auch pro-fibrotische Effekte [4]. So führt z. B. die PAR-1-Aktivierung auf Monozyten zur Induktion von Interleukin-1, -6 und -10, sowie von TNF. Thrombin aktiviert auch PAR-3 und PAR-4, die in der Modulation der inflammatorischen Reaktion eine wichtige Rolle spielen. Diese Effekte des Thrombins sind in der Inflammations-kaskade wahrscheinlich wichtiger als die über Fibrinpolymerisierung und Gerinn-selbildung.

Neutrophile Granulozyten induzie-ren die Gerinnung durch lokale Proteo-lyse des „tissue factor pathway inhibi-tor“ (TFPI). Diese Gerinnungsaktivie-rung trägt zur Kompartmentalisierung von Bakterien in der hepatischen Mikro-zirkulation und folglich zur Eindämmung einer bakteriellen Invasion bei [19]. Ande-rerseits hemmen Neutrophile die Gerin-nung, z. B. hemmt das Enzym humane neutrophile Elastase (HNE) sowohl FVIII als auch FVIIIa [22]. HNE kann außer-dem in der Fibrinolyse bei sepsisinduzier-ter disseminierter intravasaler Gerinnung (DIC) eine Rolle spielen [16].

Auf der anderen Seite kommt es wäh-rend einer systemischen Inflammation zur Herabsetzung der physiologischen Antikoagulation und der endogenen Fi-brinolyse. Diese Vorgänge führen in der Summe zur diffusen mikrovaskulären Gerinnselbildung und Abregulierung der antiinflammatorischen Gegenregulation [14, 15].

E Somit besitzt das Thrombin sowohl schädigende als auch protektive Eigenschaften.

Unter normalen physiologischen Bedin-gungen sind diese Wirkungen ausbalan-ciert. Bei inflammatorischen Zuständen ist es allerdings aktuell schwierig oder gar unmöglich, gemessene Werte dem dyna-mischen Geschehen in diesem Balanceakt adäquat zuzuordnen.

Thrombingenerierung

Seit der Entdeckung des Thrombins wur-den große Anstrengungen unternommen, die Thrombinbildung zu messen. Armand Quick, der Vater der Prothrombinzeit, ging davon aus, dass die Menge des ge-bildeten Thrombins ein Maß des Hämo-stasepotenzials des Organismus darstellen würde. Da Thrombin das zentrale Enzym in der Hämostase ist, kann die Bestim-mung seiner Kinetik neue wissenschaftli-che und klinische Möglichkeiten eröffnen.

Dennoch blieb eine genaue Messung der Thrombingenerierung (TG) schwie-rig und ist bis heute im Routinelabor kaum möglich. Zahlreiche wissenschaft-liche Arbeiten aus verschiedenen Arbeits-gruppen, insbesondere denen von Mann et al. [18] und Hemker et al. [8, 10], tru-gen dazu bei, Möglichkeiten der TG-Mes-sung zu entwickeln. Allerdings konzent-rierten sich diese Untersuchungen haupt-sächlich auf die Auswirkung des Throm-bins auf die Gerinnung.

Die Vorstellung, anhand der Messung der TG das Hämostasepotenzial abbilden zu können, hat sich im klinischen Alltag allerdings noch nicht etabliert.

Messung der Thrombingenerierung

In den letzten 20 Jahren sind zahlreiche Publikationen über die TG bei verschie-denen Syndromen erschienen. Aus der TG-Kurve (. Abb. 2) können die Ge-schwindigkeit, die Menge des gebildeten Thrombins und die Zeiten bis zum Be-ginn bzw. bis zum Maximum der Throm-binbildung abgeleitet werden. Allerdings sind die Ergebnisse dieser Messungen auf-grund der fehlenden Standardisierung der Methoden kaum vergleichbar.

Die Konzentrationen und die Art von TF und Phospholipiden in den Testkits sowie die Mischverhältnisse sind unter-schiedlich. Hinzu kommt das Problem,

Zusammenfassung · Abstract

Med Klin Intensivmed 2011 · 106:166–170DOI 10.1007/s00063-011-0013-x© Springer-Verlag 2011

S. Petros · R. Siegemund

Thrombingenerierung bei kritischer Erkrankung

ZusammenfassungDie Hämostase ist ein wichtiger Bestand-teil der Wirtsabwehr und Wundheilung. Die Interaktion zwischen Hämostase und Inflam-mation ist erst in den letzten Jahrzehnten ins Zentrum der Forschung gerückt. Im Mit-telpunkt dieser Untersuchungen steht das Thrombin, das als das zentrale Enzym des Hä-mostasesystems gilt. Immunmodulatorische Therapiestrategien, wie die supraphysiologi-schen Gaben von Antithrombin und aktivier-tem Protein C bei Sepsis, basierten auf den Grundlagen der wissenschaftlichen Untersu-chungen über Thrombingenerierung und de-ren Rolle in der inflammatorischen Reaktion. Die komplexe Funktion des Thrombins ist al-lerdings noch nicht vollständig geklärt wor-den.

SchlüsselwörterThrombin · Entzündung · Sepsis · Thrombingenerierung

Thrombin generation in critical illnesses

AbstractHemostasis is an important component of host defense and wound healing. During the last few decades, the interaction between he-mostasis and inflammation has moved in-to the center of research. Thrombin, which is considered the central enzyme of the he-mostatic system, plays a key role in these in-vestigations. Immune modulatory treatment strategies, such as the supraphysiological doses of antithrombin and activated protein C in sepsis, were based on scientific investiga-tions of thrombin generation and its role in inflammatory reactions. However, the com-plex function of thrombin has not yet been fully elucidated.

KeywordsThrombin · Inflammation · Sepsis · Thrombin generation

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ob man in Vollblut, plättchenreichem (PRP) oder plättchenarmem (PPP) Plas-ma messen sollte. Während die Messung in PPP in der Handhabung einfacher ist (Probe kann einfacher transportiert und eingefroren werden), bleibt die Rolle der Thrombozyten in der TG wenig berück-sichtigt. Vollblut und PRP wären zwar für eine optimale Einschätzung der Hämo-stase besser, sie können jedoch weder ein-gefroren noch über längere Strecken oh-ne weiteres transportiert werden. Je länger das Zeitfenster zwischen Blutentnahme und Messung, desto niedriger die Wer-te. Auch die Zentrifugationsbedingun-gen beeinflussen die Resultate. Schließ-

lich sind die Testansätze für verschiedene Fragestellungen (Suche nach Blutungsdia-these vs. Thrombophilie) unterschiedlich.

Es gibt noch zu wenige Untersuchun-gen zur Rolle der TG-Messung bei inflam-matorischen Zuständen, z. B. bei Sepsis, um umfassende Aussagen treffen zu kön-nen. Wenn man die komplexe Rolle des Thrombins berücksichtigt, könnte diese Messung ein gutes Instrument zum bes-seren Verständnis der Interaktion zwi-schen Hämostase und Inflammation sein. Untersuchungen an Patienten mit Sepsis haben gezeigt, dass die Geschwindigkeit und der Peak der TG eine prognostische Bedeutung haben können [6, 25]. Aller-

dings kann das Ausmaß der TG je nach Verlauf einer Sepsis unterschiedlich sein (. Abb. 2).

Eigene Untersuchungen konnten zei-gen, dass mittels Messung der TG die Wir-kung der Thrombinhemmung besser ab-gebildet werden kann als das mit den Wer-ten aus der Routinediagnostik. Aktiviertes Protein C verkürzt konzentrationsabhän-gig den Start der TG, senkt das Maximum der Thrombinbildung (Thrombinpeak) und reduziert das endogene Thrombin-potenzial. Dieser Effekt ist auch von der Thrombozytenzahl abhängig (. Abb. 3). Noch weitere und größere Studien sind erforderlich, um die Rolle der Throm-binbildung in der Interaktion mit einer Inflammation besser zu verstehen.

Klinische Konsequenz

Bisher konzentrierten sich die wissen-schaftlichen Bemühungen auf die Hem-mung der Thrombingenerierung als ein Therapieprinzip bei inflammatorischen Zuständen. Betrachtet man die komple-xe Auswirkung des Thrombins auf die in-flammatorische Wirtsantwort, wäre ein solches Vorgehen einseitig.

Nach den Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte sind die Auswirkungen des Thrombins, aber auch die der anderen sog. Gerinnungseiweiße, auf die Homöo-stase des Organismus weit größer als die ihnen traditionell zugedachte Rolle in der Blutgerinnung. Hinzu kommt, dass die Hämostase ein dynamischer Vorgang ist

TAFIPAI-1

THROMBIN

Protein C

Plättchen

Fibrinogen

FXI

FXIII

aPC

Thrombomodulin

FIXa

FVa

FVIIIa

FXa

Fibrinolyse

Abb. 1 8 Wirkung von Thrombin auf die Hämostase. Durchgehende Linien Aktivierung; unterbrochene Linien Hemmung; APC aktiviertes Protein C; PAI-1 Plasminogenaktivator-Inhibitor-1; TAFI thrombinaktivier-barer Fibrinolyse-Inhibitor

Thrombin

Messzeit

SepsisHyperkoagulationSepsisKontrolle

Abb. 2 8 Verlauf der Thrombingenerierung bei unterschiedlichen Zuständen

Thro

mbi

npea

k

sinkende rhAPC Konzentration

steig

ende T

hrom

bozyte

nzahl

Abb. 3 9 Einfluss von rekombinantem humanem aktiviertem Protein C (rhAPC) und der Thrombozytenzahl auf den Thrombinpeak

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Leitthema

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und sich im Laufe der inflammatorischen Reaktion ständig anpasst.

Unsere Analyseverfahren sind jedoch unzureichend, um eine Anpassungs-reaktion des Systems von prognostisch relevanten und behandlungsbedürfti-gen Veränderungen unterscheiden zu können. Um diesen Aspekt besser ver-stehen zu können, brauchen wir weitere Studien über die Rolle und den Verlauf der Thrombingenerierung bei kritischen Krankheitszuständen, um daraus eine sinnvolle Behandlungskonsequenz ablei-ten zu können.

Fazit für die Praxis

F  Die Interaktion zwischen  Hämostase und Inflammation hat eine  zentrale Bedeutung in der Wirtsreaktion. Unsere Vorstellung über die Hämo-stase muss daher über die Routine-bestimmung sog. globaler Gerin-nungsparameter oder einzelner  Gerinnungsfaktoren hinausgehen.

F  Das Thrombin spielt in der Interaktion zwischen Hämostase und Inflamma-tion eine zentrale Rolle. Die Messung der Thrombingenerierung kann daher zu unserem Verständnis dieser Inter-aktion viel beitragen.

F  Verfügbare Messmethoden  müssen noch standardisiert werden, um sie wissenschaftlich in einem großen Ausmaß valide einsetzen und die Er-gebnisse zur Ableitung von Therapie-konsequenzen nutzen zu können.

KorrespondenzadressePD Dr. S. Petros

Interdisziplinäre Internistische Intensivmedizin, Universitätsklinikum Leipzig AöRLiebigstr. 20, 04103 Leipzigsirak.petros@ medizin.uni-leipzig.de

Interessenkonflikt. Der Erstautor erhielt von CSL Behring eine finanzielle Unterstützung für ein unab-hängiges wissenschaftliches Projekt.

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