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Architektur
Fenster bieten Durchblick und Einblick,stehen für Offenheit und Transparenz,für eine Einladung zum Dialog. Genau-so wie der weitläufige Campus desThyssenKrupp Quartiers, der hierdurch das ausgestanzte „Landschafts-fenster“ des neuen Verwaltungssitzeserschlossen wird.Der neue Hauptsitz von ThyssenKruppin Essen ist Identifikationssymbol und Ausdruck der gelebten Unter-nehmenskultur in einem. Architekturund städtebauliches Konzept desQuartiers stehen gleichermaßen fürInnovation und Zukunftsorientierung,Nachhaltigkeit und gesellschaftlicheVerantwortung.
Gelebte OffenheitMit dem neuen Quartier erwacht einlange brachliegendes, 230 Hektar großes Areal mitten im Herzen Essenszum Leben. Als Kernstück eines neuentstandenen Stadtteils verkörpert der offene Campus das dynamischeWechselspiel zwischen historischerStandortverbundenheit und gelebterInternationalität genauso wie denWunsch nach Dialog und Bewegung.Die Gebäude des Quartiers sind rund um eine zentrale Wasserachseangelegt und laden – ebenso wie derneu entstandene Krupp-Park – zurBegegnung ein.Lesen Sie mehr zum Hintergrund undzur Bedeutung des Quartier-Neubausauf den Seiten 46–65.
In Brasília konnten die Corbusier-Schüler Lúcio Costa und Oscar Nie-meyer Ende der fünfziger Jahre einenTraum in Stahlbeton gießen: die Uto-pie einer funktionalen Stadt. Die inner-halb von nicht einmal vier Jahren aus dem Steppenboden gestampfteneue Hauptstadt Brasiliens verkörper-te ein hehres Ziel: den klaren Bruch mit den chaotischen Zuständen undprägenden Klassenunterschieden in anderen brasilianischen Städten.Der französische Schriftsteller André Malraux nannte Brasília die „Haupt-stadt der Hoffnung“. Die Stadt wurdenach dem Campus-Prinzip angelegt,
Hauptstadt der Hoffnungmit getrennten Quartieren für Wohnen,Arbeiten und Freizeit, zwischen denendie Stadtbewohner auf breiten Auto-bahnen pendeln sollten. Aus der Luftbetrachtet, gleichen die Umrisse Brasílias einem Flugzeug. Den Rumpfbildet die sogenannte monumentaleAchse, an der die wichtigsten öffent-lichen Gebäude stehen. Die beidenFlügel setzen sich aus über 100 soge-nannten Superquadras zusammen, in sich geschlossenen Einheiten vonelf bis zwölf Wohnblöcken, in denenjeweils bis zu 5.000 Personen lebenkönnen. Als architektonisches Projektzählt Brasília heute zum Weltkultur-
erbe der Unesco. Als urbaner Lebens-raum ist es häufig kritisiert worden.Auf das explosive Wachstum Brasíliaswaren zumindest die öffentlichenWege und Verkehrsmittel nicht aus-gerichtet. Seit ihrer Einweihung vorfast genau 50 Jahren, am 21. April1960, ist die ursprünglich für 500.000Menschen geplante Stadt auf inzwi-schen 2,6 Millionen Einwohner ange-wachsen. Diese aber schätzen Brasíliafür seine im Landesvergleich hoheLebensqualität und vor allem seinesaubere Luft, die auch eine Folge desvergleichsweise geringen Verkehrs-aufkommens ist.
»Erst die Möglichkeit, einen Traum zu verwirklichen,macht unser Leben lebenswert.«Paulo Coelho, Schriftsteller
Ohne Licht ist alles nichtsLicht interpretiert Körper und Räume, macht sie erlebbar und verleiht ihnen Farbe. Es fügt der Architektur eine vierte Dimensionhinzu. James Turrell verwandelt Licht in Form. In seinen Werken setzt sich der einflussreichste Lichtkünstler der Gegenwart mit den vielfältigen Erscheinungsformen des natürlichen und künstlichen Lichts auseinander. Weltweit hat Turrell sogenannte„Skyspaces“ geschaffen, in denen er sich intensiv mit der Beziehung zwischen Licht und Raum beschäftigt. Für den amerikani-schen Künstler ist Licht ein Werkstoff, den er formen und erfahrbar machen kann. Dass ihm dies gelingt, zeigen die häufigenVersuche von Betrachtern, das Licht seiner Installationen anzufassen.
»Lichter und Schatten enthüllen die Formen.«Le Corbusier, schweizerisch-französischer
Architekt (1887–1965)
Entwurf einer humanistischen WeltsichtDie toskanische Stadt Pienza, die der Humanist Enea Silvio Piccolomini als Papst Pius II. (1458–1464) an seinem Geburtsort errichten ließ, gilt als die erste Idealstadt der Renaissance. Zum ersten Mal öffnetsich hier der städtische Binnenraum einer Piazza zur offenen Landschaft, zum ersten Mal in derGeschichte der neueren Baukunst werden hier Architektur und Natur als ein gegensätzliches undzugleich komplementäres Gegenüber begriffen. Ausgehend von Pienza, verbreitete sich die sogenanntehumanistische Stadtplanung in andere italienische Städte und schließlich über ganz Europa.
»Die Qualität von Städten und Plätzen lässt sich am Reißbrett entwerfen, ihre Schönheit kommt durch die Zeit.«Renzo Piano, italienischer Architekt
»Wir wollten einen Raum schaffen, der Bewegung stimuliert, den Austausch von Wissen
fördert und neue, immer wieder auch überraschende Möglichkeiten für den Einsatz
innovativer Werkstoffe und Technologien aufzeigt.«
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Fast alles, was wir tun, tun wir in Räumen, die von Menschen geschaffen wurden. Wer
Bauten und Städte gestaltet, gibt Menschen Raum für Begegnung und Austausch, für Entwicklung
und Zukunft. Architektur ist damit im besonderen Maße vom Wesen der Gesellschaft bestimmt, in
der sie entsteht: Architekten und Raumplaner gestalten Umwelt aus unseren Erwartungen heraus.
Sie können uns aber auch mit neuen Ideen inspirieren und damit verändern.
Angesichts dieser Herausforderung kann sich niemand dem weltweiten Wandel entziehen. Heute
schlagen sich neue globale Entwicklungen und ein neues Verständnis von nachhaltiger Architektur,
Städte- und Landschaftsplanung in vielfältigen und komplexen Anforderungen an Architekten
und Raumplaner nieder. So wird weltweit um eine nachhaltige Nutzung der begrenzten räumlichen
Kapazität und Energieressourcen unseres Planeten gerungen, arbeiten Architekten und Stadt-
planer an der Lösung der drängendsten räumlichen Herausforderungen unserer Zeit.
Wie finden wachsende Bevölkerungen in Zukunft genug Platz zum Leben und Arbeiten? Wie lässt
sich eine Zersiedelung verlassener Landstriche vermeiden? Können wir
das Bedürfnis nach einem Leben im Einklang mit der Natur auch in der
Stadt verwirklichen? Architektur muss sich dem demographischen Wandel
und einschneidenden Umweltveränderungen stellen und neue Konzepte
entwickeln, die auch unter diesen Bedingungen Raum für Zukunft schaffen. Zugleich eröffnet der
rapide technologische Fortschritt aber auch ungeahnte Möglichkeiten.
Dass technologischen Innovationen bei der Bewältigung der globalen Herausforderungen eine
entscheidende Bedeutung zukommt, ist längst klar. Auch in der Architektur unterstützen sinnvolle,
innovative Technologien das Streben nach Lebensqualität, Wirtschaftlichkeit und Zukunftsfähigkeit.
Das neue Quartier des ThyssenKrupp Konzerns in Essen, das unsere Mitarbeiter in diesen Tagen
beziehen, soll hier bewusst Zeichen setzen. Mit diesem für uns einzigartigen Bauprojekt haben
wir einen Raum geschaffen, der Bewegung stimuliert, den Austausch von Wissen fördert und
neue, immer wieder auch überraschende Möglichkeiten für den Einsatz innovativer Werkstoffe
und Technologien aufzeigt. Wir haben damit einen Ort für Menschen und Ideen geschaffen. Als
Herz unseres global vernetzten Unternehmens ist unser neuer Campus so Ausdruck des Selbst-
verständnisses unseres Konzerns genauso wie der Ansprüche, die wir an uns selbst stellen:
Innovation und Nachhaltigkeit, Offenheit und Dialog.
Es ist – und das spricht den Ingenieur in mir besonders an – ein Stück gebaute Technik. Der
Philosoph Martin Heidegger sagte einmal: „In unserem Bauen und in der Weise, wie wir den
gebauten Raum beleben, spiegelt sich unser Verständnis von Wirklichkeit.“ Die beste Architektur
aber findet die richtige Balance zwischen Wirklichkeit und Vision, zwischen dem, was ist, und dem
Mut, neue Wege zu beschreiten. Wie diese aussehen könnten, zeigen Ihnen einige der Beispiele in
diesem Magazin. Wir laden Sie herzlich ein: Entdecken Sie mit uns die Lebensräume der Zukunft.
Dr.-Ing. Ekkehard D. Schulz,
Vorsitzender des Vorstands der ThyssenKrupp AG
Raum für Zukunft
editorial
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
inhalt
ansichten
30 Wie sehen Sie Architektur?
Ansichten von Kazuyo Sejima und Alain Robert
46Das ThyssenKrupp Quartier in Essen ist das neue Herz des Konzernsund Symbol für dessen Entwicklung. Architektur und städtebaulichesKonzept stehen gleichermaßen für Innovation und Zukunftsorientierung,Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung. Ein Sonderteil zum neuen Hauptsitz.
forum
14 Schönheit hängt nicht von Geld ab
Ein Gespräch mit Alain de Botton, Autor und Philosoph
22 Welt in Zahlen
Globale Metropolen gestern, heute und morgen
24 Achtung Fußgänger
Mit dem freiberuflichen Spaziergangsforscher Bertram Weisshaar
unterwegs durch Leipzig
projekte
34 Was kommt vor der Stadt?
Ohne die richtige Infrastruktur läuft gar nichts
40 Stoffe, aus denen Träume sind
Neue Werkstoffe machen viele Ideen erst möglich
74 Aufbruch in Amerika
2010 eröffnet ThyssenKrupp zwei neue Produktionsstätten
in Brasilien und in den USA
28 wissens_wert
66 projekte_aktuell
101 kreuz & quer
102 rückblick
Architektur
TK Magazin | 1 | 2010
92App-City: Verändert die erweiterte Realität unseren Blick auf neue Räume?
quartier
46 Von der Brache zum neuen Campus
Eine Geschichte in Bildern
48 „Bewegung und Aufbruch“
Ein Gespräch über das neue ThyssenKrupp Quartier
mit Ralph Labonte, Mitglied der Vorstands der ThyssenKrupp AG
55 Raum der Stille
Ein Andachtsraum als Rückzugsort
56 Die Macher
Drei Beteiligte mit ihrem Blick auf das Projekt
58 Auf eigene Stärken bauen
Im neuen Quartier kommen einige der innovativsten Produkte
des Konzerns zum Einsatz
60 Eine „grüne Bühne“
Bereits vor Fertigstellung erhielt das Quartier eines
der renommiertesten Zertifikate für nachhaltiges Bauen
62 Die Stadt in der Stadt
Am Standort des neuen Quartiers wird bereits seit
1818 Firmengeschichte geschrieben
40Neue Werkstoffe lassen Architektenträume
Wirklichkeit werden.
84Für die Mobilität der Zukunft spielt Autofahren
wie bei „Blade Runner“ eine immer geringere Rolle.
96Ameisen sind wahre Baumeister – ihre Erforschung bietetfaszinierende Einsichten auch für uns.
24Spaziergangsforscher Bertram Weisshaarlehrt uns das Wahrnehmen.
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
perspektiven
76 Megacitys und Schrumpfstädte
Wie lassen sich Fläche, Verkehr, Energie und Wohnqualität
in wachsenden und schrumpfenden Städten sichern und
verbessern?
80 Kinder sehen ihre Umwelt
Schüler eines Essener Gymnasiums fotografieren ihre Umgebung
84 Unterwegs im Jahr 2050
Wie bewegen wir uns in der Stadt der Zukunft?
90 Reale und virtuelle Räume
Warum der Wunsch nach echter Begegnung bleibt – ein Essay
92 Augmented Reality
Neue Technologien verändern den Blick auf unsere Umwelt
96 Faszinierende Bauten
Ein Gespräch mit dem Insektenforscher Bert Hölldobler
forum_gespräch
HÄNGT
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
NICHT VON GELD AB«»SCHÖNHEIT
Architektur ist mehr als nur Funktion. Die Art, wie ein Haus gestaltet ist, sagt viel über Charakter und Sehnsüchte des Besitzers.Ein Gespräch mit Alain de Botton, Autor und Philosoph.
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
forum_gespräch
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
»Architekten sollten Experten darin sein,wie sich Gebäude auf unsere Psyche auswirken.«Alain de Botton
Indem sie unsere Gebäude gestalten, nehmen Architekten also Ein-
fluss auf uns persönlich?
Architektur beeinflusst uns – obwohl wir meistens so tun, als sei das
nicht der Fall. Die Menschen erfreuen sich an schönen Gebäuden, aber
kein Politiker führt eine politische Kampagne unter dem Motto „Ich will
die Welt schöner machen“. Architektur gilt immer als nachrangiges
Thema.
Liegt das nicht auch daran, dass es keine universell anerkannte
Definition des Schönheitsbegriffs gibt?
Dass sich Schönheit nicht definieren lässt, wird immer wieder behaup-
tet, ist aber völlig falsch. Die vorherrschende Meinung, Schönheit sei
eine Frage des Geschmacks, ist ein willkommenes intellektuelles Gerüst
für Immobilienentwickler. Tatsächlich ist es nicht schwieriger zu definie-
ren, was schön ist, als festzustellen, ob ein Buch gut ist. Im Idealfall soll-
te einem die Architektur natürlich nicht nur Schönheit, sondern auch
Herr de Botton, eins Ihrer Bücher heißt „Glück und Architektur“.
Kann ein Gebäude glücklich machen?
Architektur ist keine Medizin. Von Medizin mag man wenig halten, und
sie wirkt trotzdem. Anders verhält es sich mit der Architektur: Sie be-
günstigt eine Stimmung, aber zwingt sie uns nicht auf. Mit der Archi-
tektur ist es ein bisschen wie mit dem Wetter: Das Wetter hat einen er-
heblichen Einfluss auf unsere Stimmung, und viele Menschen ziehen
aufgrund des Wetters in andere Länder. Wenn uns aber etwas Schlim-
mes passiert, hilft auch das schönste Wetter nicht – wir sind trotzdem
bedrückt. Genauso können wir im siebten Himmel schweben, obwohl es
in Strömen regnet. Meistens aber befinden wir uns auf der Stimmungs-
skala irgendwo zwischen diesen beiden Extremen, und dann kann das
Wetter den Ausschlag für die eine oder die andere Richtung geben. In
ähnlicher Weise kann uns die Architektur, die uns umgibt, optimistischer
oder pessimistischer machen. Architekten sollten deshalb auch Exper-
ten darin sein, wie sich Gebäude auf unsere Psyche auswirken.
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
forum_gespräch
»Die Idee des leeren Raumsist die große Faszinationunserer Zeit.«
„Living Architecture“: Das„In-Between House“ (Jarmund/Vigsnaes Archi-tects, Norwegen) fügt sichnahtlos in eine traditionelleHäuserreihe einer englischenKüstenlandschaft ein.
Das „Long House“ von Michael und Patty Hopkins – moderner Ausdruck britischerIndustrie- und Handwerkstradition
Renaissance- und Barockbauten …). Heute ist die religiöse Archi-
tektur – zumindest in der westlichen Welt – in den Hintergrund
gerückt. Was treibt die große Architektur jetzt an?
Die religiöse Architektur hat den Architekten zu allen Zeiten besonders
viel Freiraum geboten, weil Kirchen oder Tempel als reine Orte der Zu-
sammenkunft frei von vielen praktischen Zwängen der Architektur sind.
Neben vielen interessanten Formen wie dem Schrein oder der Tauf-
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Komfort bieten – und vielen Architekten gelingt das auch. Architektur ist
eine praktische Kunst. Die Kunst der Architektur liegt darin, Schönheit
und Nutzwert zu bieten.
Aber ist Schönheit in der Architektur nicht ein elitäres Konzept?
Dass Schönheit ein teurer Luxus ist, den wir uns nicht leisten können,
ist ein gefährliches Argument. Man muss sich nur einmal die aus Stein
gebauten toskanischen Bauernhäuser anschauen, um zu erkennen,
dass Schönheit sich auch mit einfachen Mitteln erreichen lässt. Umge-
kehrt sieht man zum Beispiel in Teilen Saudi-Arabiens oder in Moskau
sofort, dass Reichtum keine Garantie für Schönheit ist. Derartige Bei-
spiele zeigen, dass tatsächlich kein Zusammenhang zwischen Geld und
Schönheit besteht. Geld eröffnet die Möglichkeit, Schönes zu gestalten,
aber Schönheit hängt nicht von Geld ab. Letztlich zählen das Geschick
und die Phantasie des Architekten. Schöne Architektur für alle sollte
möglich sein. Ein schönes Haus zu bauen kostet nicht mehr, als ein
hässliches Haus zu bauen.
Warum fühlen sich Menschen zu bestimmten architektonischen
Stilen hingezogen, zu anderen hingegen nicht?
Tendenziell brauchen wir eine Architektur, die für Dinge steht, zu denen
wir uns hingezogen fühlen, die aber in unserem Leben fehlen. Im Grun-
de genommen gibt es gegenwärtig nur zwei bedeutende architektoni-
sche Phantasien: die Ruhe und das Natürliche. Der Minimalismus – die
Idee des leeren Raums – ist die große Faszination unserer Zeit. Und
zwar einfach deshalb, weil unser Leben so kompliziert und überladen
mit Dingen und Aktivitäten ist, dass wir uns nach Ruhe sehnen. Nach
der Natur wiederum sehnen sich die Menschen, weil sie einen Gegen-
pol zu unserer technologisierten und industrialisierten Welt bildet.
Es gibt mehr hochqualifizierte Architekten als je zuvor und heraus-
ragende Gegenwartsarchitektur. Trotzdem ist die Architektur im
Alltag häufig alles andere als „schön“. Warum?
Zum einen spielen Architekten bei der Gestaltung von Gebäuden eine
immer geringere Rolle. Viele Immobilienentwickler greifen überhaupt
nicht mehr auf Architekten zurück. Dort, wo es eine besonders attrakti-
ve Architektur gibt, ist das gesellschaftliche Engagement häufig sehr
stark ausgeprägt. Zum Beispiel bedurfte es einer enormen kollektiven
Anstrengung und einer Unmenge von Regeln etwa zur Größe und Plat-
zierung von Gebäuden, damit Manhattan zu dem wurde, was es heute
ist. Da war das politische Engagement vieler gefragt. Ähnlich ist es in
den Niederlanden, wo es viel ansprechende Architektur gibt, weil den
Holländern ihre Umwelt sehr wichtig ist. Auch hier gibt es viele Bestim-
mungen, wie und wo man bauen darf. Am schlimmsten hingegen sieht
es oft dort aus, wo es gar keine Regeln gibt und die Gestaltung allein
dem Markt überlassen wird. Architekten stehen jedoch auch der Gesell-
schaft gegenüber in der Verantwortung. Die Architektur ist kein privates
Geschäft, sondern betrifft jeden von uns.
Ohne den Einfluss der Religion gäbe es viele der großen architek-
tonischen Meisterwerke der Welt nicht (die Pyramiden in Ägypten
und Mexiko, die griechischen Tempel, die gotischen Kathedralen,
Alain de BottonVon der Kunst des Reisens über Glück und Architektur bis zum Freud
und Leid der Arbeit – in seinen Büchern versucht Alain de Botton,
philosophische Ideen, von der griechischen Philosophie bis zur
Moderne, auf Probleme des Alltags und gesellschaftspolitische Fragen
anzuwenden und allgemeinverständlich auf den Punkt zu bringen.
Der gebürtige Schweizer lebt und arbeitet in London. 7
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
überall auf der Welt geradezu explosionsartig gewachsen. Beun-
ruhigt Sie diese Entwicklung?
Sogar sehr. Das Leben in Gruppen liegt in der menschlichen Natur –
aber nicht das Leben in riesigen Gruppen. Wird eine bestimmte Grup-
pengröße überschritten, setzen alle möglichen Dynamiken ein. Die zwi-
schenmenschlichen Bindungen lassen nach, und die Menschen werden
unsozialer. Ich glaube, es gibt so etwas wie eine ideale Größe für eine
Stadt, und verschiedene Leute haben auch schon versucht, diese zu de-
finieren: Zum Beispiel könnte eine Stadt gerade die richtige Größe
haben, wenn man sie an einem Tag zu Fuß durchqueren kann oder
wenn man von einem hohen Punkt innerhalb der Stadt den Blick über
die umliegenden Hügel und Landschaften schweifen lassen kann. Die
beste Möglichkeit, eine Megacity zu bewältigen, könnte sein, sie in meh-
rere kleine Städte zu unterteilen. In gewisser Weise trifft das schon jetzt
auf Städte wie Los Angeles oder Tokio zu. Tatsächlich sind das eher
Ansammlungen von Nachbarschaften.
kapelle hat die Religion den Architekten zudem die Aufgabe gegeben,
Emotionen zu wecken. Das ist etwas ganz anderes als die Gestaltung
eines Bahnhofs. Manche meinen, dass die Zukunft der Architektur im
Bau von Galerien und Museen liege. Ein großer Unterschied besteht al-
lerdings darin, dass Galerien als Ausstellungsorte für Kunstwerke die-
nen. Wo aber die Kunst das wirklich Besondere ist, wird selbst das
schönste Gebäude auf die Funktion eines Behältnisses reduziert, das es
uns ermöglicht, uns an der dort ausgestellten Kunst zu erfreuen. Es ist,
als ob wir heutzutage eine Rechtfertigung bräuchten, um schöne Ge-
bäude zu errichten. Wir sollten bestimmte Formen neu erfinden und Ar-
chitekten die Möglichkeit geben, großartige öffentliche Räume zu
bauen, die keinem anderen Zweck dienen als dem, darin zu flanieren
und die Gedanken wandern zu lassen. So weit sind wir aber noch nicht.
In einem Interview vor etwa zehn Jahren sagten Sie, Städte
könnten „sich mit ihrer Größe erdrosseln“. Seither sind die Städte
forum_gespräch
»Einsamkeit gehört zum Stadtleben.«
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
„Living Architecture“:Das „Shingle House“des Glasgower Architek-tenbüros NORD bestehtaus recycelten Mate-rialien und kann sich –je nach Wunsch desBewohners – der Außen-welt gegenüber öffnenoder verschließen.
Der „Balancing Barn“ des holländischen Architekturbüros MVRDV
„A Secular Retreat“ (weltliches Refugium) von Peter Zumthor
Niemand weiß, wie unser Arbeits- und Lebensumfeld in 50 oder
100 Jahren aussehen wird. Doch die meisten heute errichteten
Gebäude werden dann noch stehen. Werden sie einem möglicher-
weise drastisch veränderten Umfeld noch gerecht werden?
Sicher nicht alle. Aber die besten Gebäude sind flexibel. Einige der
Industriebauten des 19. Jahrhunderts zum Beispiel dienten zunächst
als Lagerhäuser, dann als Bürogebäude und schließlich als Wohnungen
oder Kunstgalerien. Außerdem hat sich unsere Lebensweise bislang
gar nicht so sehr verändert. Das Schlafzimmer, das Badezimmer, die
Küche – das sind feste und seit langem bewährte Einheiten.
Im Alter von 101 Jahren sagte der berühmte Architekt Oscar Nie-
meyer, ein Architekt müsse „überzeugt davon sein, die Welt zu einem
besseren Ort machen zu können“. Würden Sie dem zustimmen?
Absolut. Die Gestaltung eines Gebäudes sollte ein positiver Schritt sein,
und als Architekt sollte man das Gefühl haben, seine Umwelt ver-
schönern zu können. Seit jeher sind die besten Architekten Utopisten
gewesen.7
DAS INTERVIEW FÜHRTE ANKE BRYSON. | FOTOS (PORTRAITS): PHIL FISK
„Eine neue Art, Architektur zu erleben“
Alain de Botton gehört zu den Begründern der Initiative „Living Archi-
tecture“. Living Architecture hat außergewöhnliche – bekannte und
weniger bekannte – Architekten mit dem Bau ungewöhnlicher Häuser
an verschiedenen Orten in Großbritannien beauftragt, die als Ferien-
häuser gemietet werden können. Living Architecture will „normalen“
Menschen so ermöglichen, einen Eindruck davon zu bekommen, wie
sich herausragende Architektur im Alltag anfühlt. „In Großbritannien
hat es die Gegenwartsarchitektur sehr schwer“, sagt Alain de Botton.
„Bei den großen modernen Bauwerken, die es hierzulande gibt, han-
delt es sich zumeist um Durchgangsorte, wie zum Beispiel Flughäfen,
Museen und Bürogebäude. Die wenigen modernen Häuser, die es
gibt, sind fast alle in Privatbesitz und der Öffentlichkeit nicht zugäng-
lich. Wir hoffen, mit dieser Initiative einen kleinen Beitrag zur öffent-
lichen Debatte in diesem Bereich zu leisten und Bauherren zu etwas
mehr Abenteuerlust zu ermutigen.“ Die „Living Architecture“-Häuser
können ab Juni 2010 gemietet werden. 7
Hilft Urbanisierung gegen Einsamkeit?
Ganz und gar nicht. Wo viele Menschen auf einem Haufen leben, wer-
den andere Menschen tendenziell eher als Bedrohung angesehen. Wo
weniger Menschen zusammenleben, ist der Einzelne weniger bedrohlich
und wird eher als potentieller Freund angesehen. Jemanden, dem man
in der Stadt begegnet, begrüßt man eher nicht. Auf dem Land schon.
Einsamkeit gehört zum Stadtleben. Manchmal kann diese Einsamkeit
natürlich auch positiv sein, weil sie dem Einzelnen Anonymität und
Schutz vor Gerede gibt. Wer aber Gemeinschaft sucht, findet diese eher
im Dorf.
RomRömisches Reich
450.000
CordobaKalifat von Cordoba450.000
LagosNigeria21,5 Mio
Mexico CityMexiko21,8 Mio21,2 Mio
São PauloBrasilien21,6 Mio 19,9 Mio
New York City USA20,4 Mio
AlexandriaRömisches Reich
250.000
KarthagoRömisches Reich100.000
KairoÄgypten135.000Jakarta
Indonesien24,1 Mio20,8 Mio
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
forum_welt_in_zahlen
Globale Metropolen gestern, heute und morgenDie Stadt ist ein nahezu universales Phäno-
men. Städtische Kulturen sind unabhängig
voneinander auf fast allen Kontinenten
entstanden. Mit etwa 1 Million Einwohnern
im Jahr 330 n. Chr. gilt Rom als erste
Großstadt der Welt. Im Zuge der Verlegung
bedeutender Hauptstadtfunktionen nach
Konstantinopel im 4. Jahrhundert sowie
des Zerfalls des Weströmischen Reiches im
5. Jahrhundert sank die Bevölkerung bis
zum Jahr 530 auf etwa 100.000. 350
Jahre dümpelte Rom vor sich hin, bis es
wieder erwachte, 1936 war die Million
wieder überschritten, heute ist Rom mit
seinen 2,6 Millionen Einwohnern zwar
eine veritable Metropole, aber eine Klein-
stadt im Vergleich mit Städten wie New
York oder Mexico City – oder der Metro-
polregion Tokio, in der mehr als 31 Millio-
nen Menschen leben, über ein Viertel der
japanischen Gesamtbevölkerung. Mit
Peking war bereits im 15. Jahrhundert eine
asiatische Stadt größte Stadt der Welt.
Folgt man den – leider auf uneinheitlichen
Statistiken basierenden – Schätzungen,
wird das 21. Jahrhundert das Jahrhundert
des asiatischen Städtebooms sein.
AntiochiaRömisches Reich150.000
KonstantinopelByzanz300.000
Bagdad Irak
250.000
NeyshaburPersien
125.000
AnuradhapuraSri Lanka130.000
PeshawarPakistan120.000
DelhiIndien25,8 Mio
MumbaiIndien26 Mio21,2 Mio
DhakaBangladesch22 Mio
AngkorKambodscha200.000
LuoyangChina420.000
KaifengChina400.000
ShanghaiChina19,2 Mio
KyotoJapan175.000
Seoul Südkorea24,5 Mio
Tokio Japan37,3 Mio31 Mio
100 n. Chr. 1000 n. Chr. 2010 2020
100 n. Chr. 1000 n. Chr. 2010 2020
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Quellen: IDC, Emporis, Worldmapper.org.
Immer höher hinausIm Skyline-Ranking von Emporis erhalten Städte je nach Anzahl und Geschossanzahlihrer Hochhäuser Punkte. Die Faustformel: Je höher die Punktzahl, desto eindrucksvollerdie Skyline. Mit 7.682 Hochhäusern und 128.548 Punkten liegt Hongkong hier ganz klarvor New York mit 5.845 Hochhäusern und gerade einmal 38.898 Punkten. Durch denBauboom der letzten Jahre hat sich Dubai inzwischen Platz 10 gesichert. Sieben der Top10 Skylines befinden sich in Asien, keine in Europa.
Stadtluft, LandluftMehr als die Hälfte der weltweiten Bevölkerung drängtsich in den Städten dieser Welt – bei deutlichen Unter-schieden von Land zu Land. Stadtstaaten wie Singapurnicht eingerechnet, hält Belgien mit 97 Prozent denaktuellen Urbanisierungsrekord, gefolgt von Kuwaitund Island. Aber auch in Australien und Uruguay istder Anteil der Stadtbewohner mit 92 Prozent hoch. Mit ebenfalls 92 Prozent haben Ost-Timor und Bhutandie relativ größte ländliche Bevölkerung; in Ugandaund Äthiopien leben immerhin noch 85 Prozent derMenschen auf dem Land.
Unten durchIn vielen heutigen Metropolregio-nen ist das schnellste Verkehrs-mittel die U-Bahn oder Metro.Das mit 408 Kilometern längste – und älteste – Streckennetz derWelt durchzieht das Erdreichunter London. New Yorks Sub-way folgt mit 386 Kilometern.Um den Nutzerrekord streitensich die Moskauer und die Tokio-ter U-Bahn mit jeweils knapp 8 Millionen Fahrgästen pro Tag. In Tokio sorgen sogenannte „U-Bahn-Stopfer“ dafür, dass diePendler zu Stoßzeiten auf Tuch-fühlung gehen. Aktuell betreibenrund 140 Städte weltweit eineMetro.
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
forum_reportage
Unter den Sohlen knirscht der Splitt. Bertram Weisshaar
schlendert von Parkdeck 10 zu Parkdeck 11 und wieder zurück zu Park-
deck 10. Er fahndet dort nicht nach einem Auto, nein, er sucht nach
Ruhe. Das Parkhaus liegt bloß wenige Schritte neben dem Hauptbahn-
hof. Doch niemand hetzt mit einem rumpelnden Rollkoffer, niemand
bremst mit quietschenden Reifen. Weisshaar beugt sich über das
Geländer. Er blickt auf die Dächer von Leipzig, auf die blauen Lettern der
Stadtwerke, die rote Schrift der Sparkasse. Der Wind zerzaust seine
Locken. In der Ferne rattern die Schnellzüge, bimmeln die Straßenbah-
nen, rumpeln die Lastwagen. Plötzlich hat das Parkhaus etwas von
einer Ferieninsel. Wenigstens ein bisschen.
Wer am Leipziger Hauptbahnhof zu einem Spaziergang aufbricht, steuert
wahrscheinlich zuerst die Nikolaikirche an, dann vielleicht das Alte Rat-
haus, die Alte Börse und die Alte Waage. Allerdings kein Parkhaus.
Doch Weisshaar ist kein gewöhnlicher Spaziergänger, sondern frei-
beruflicher Spaziergangsforscher. Leipzig ist ebenso sehr seine Wahl-
Bertram Weisshaar ist freiberuflicher Spaziergangsforscher. Er flaniert nicht durch die Landschaft, sondern inspiziert seine Umgebung. Seine These: Auf einem Spaziergang sieht man mehr als durcheine Windschutzscheibe.
25
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
heimat wie sein Forschungsfeld: „Überall gibt es Mikrolandschaften.“
Damit meint er Parks und Kanäle, aber auch Industriebrachen und Leer-
flächen. Eine Frage treibt ihn an: „Wie kommen wir – in unseren eige-
nen Städten, nicht auf fernen Kontinenten – zu neuen Landschaften?“
Dazu muss er eine neue Sicht auf die Stadt gewinnen. Etwa von einem
Parkhaus aus.
Für Georg Simmel wäre er wahrscheinlich ein Flaneur gewesen, für
Marcel Proust ein Passant, für Oscar Wilde ein Dandy. Bertram Weiss-
haar jedoch nennt sich: Promenadologe. Anfang der neunziger Jahre
hat er in Kassel bei Lucius Burckhardt studiert, dem Begründer der so-
genannten Promenadologie. Der Soziologe Burckhardt erforschte, wie
Menschen ihre Umwelt entdecken und durchmessen. Menschliche Wahr-
nehmung und Fortbewegung – daran sollte Stadtplanung sich ausrich-
ten, fand er. Stadtentwicklung dürfe nicht allein die Autofahrer berück-
sichtigen. Weisshaar verbreitet Burckhardts Thesen in Vorträgen, bei
Kongressen, in Seminaren. Er ist in Burckhardts Fußstapfen getreten.
ACHTUNGFUSSGÄNGER
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
forum_reportage
Unter den Sohlen knacken die Dornen. Brombeerran-
ken überwuchern die Pflastersteine. Zum Verladebahnhof neben dem
Parkhaus gelangt nur, wer ein Absperrgitter beiseiteschiebt. Die Anlage
ist verwaist: Die Fensterscheiben sind zerbrochen, die Backsteinmauern
bemalt. „See sunrise with no sleep at all“, hat jemand in schwarzer
Schrift auf weißen Grund gesprüht. Das Vogelgezwitscher wird lauter,
das Verkehrsrauschen leiser. Ist das schon eine Landschaft? Früher war
die Definition nicht allzu schwierig – die Landschaft lag vor den Stadt-
toren. „Jetzt wissen wir nicht mehr, wo die Stadt aufhört und wo das
Land anfängt“, sagt Weisshaar. In der Stadt breiten sich Grünanlagen
aus, auf dem Land Gewerbegebiete.
In der Stadt hält sich die Landschaft bisweilen verborgen, hinter dem
Verladebahnhof zum Beispiel. Da spaziert Bertram Weisshaar gerne an
einem Flussufer entlang. Dazu muss er sich allerdings durch Brombee-
ren kämpfen, auf einem Holzbrett balancieren und über ein Matschstück
rutschen. Erst dann stößt er auf die Parthe, einen winzigen Fluss, der im
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27
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Glastener Forst entspringt und in die Weiße Elster mündet. Planer haben
die Parthe nicht nur versteckt, sondern auch begradigt; das Wasser
wälzt sich durch ein Bett aus Beton. Trotzdem findet Weisshaar dort ein
Merkmal von Landschaft: Sogar in einer solchen Rinne kann er Natur
entdecken, die sich nicht gänzlich bändigen lässt.
Eigentlich hat der Verladebahnhof nichts mit dem Tiergarten flussab-
wärts zu tun. Das einzige Bindeglied zwischen ihnen ist das Wasser:
Beide Orte liegen an der Parthe. Damit gehören sie zu einer Landschaft.
Bertram Weisshaarerforscht und entwickelt Spaziergänge, um die Wahrneh-mung der Menschen für ihre Umwelt zu schärfen.
Solche Zusammenhänge so herauszuarbeiten, dass sie sich jedem
Spaziergänger sogleich erschließen – darin sieht Weisshaar die Aufga-
be von Landschaftsarchitekten. Die Landschaft entsteht erst in den
Köpfen. Das allerdings war schon immer so. Wer früher vor die Tore der
Stadt trat, durchquerte einen Bach, kletterte auf einen Hügel, wanderte
durch einen Wald. Auch diese Orte standen für sich. Erst der Spazier-
gänger verknüpfte all die verschiedenen Eindrücke zu einem Gesamt-
bild, nämlich der Landschaft.
Unter den Sohlen splittert das Glas. Auf den Pflaster-
steinen am Flussufer sind ein paar Bierflaschen zersprungen. Andere
Spaziergänger würden die Scherben womöglich ausblenden und sich
lieber etwas Schönerem zuwenden, zum Beispiel der Basilikumpflanze,
die im Terrakottatopf auf dem Fenstersims auf der anderen Flussseite
wächst. Die fügt sich besser ins Bild. Bertram Weisshaar hingegen
filtert seine Umgebung nicht. Wie gehen die Stadtplaner mit Flüssen
um? Wie mit Fußgängern, mit Radfahrern und mit Autobesitzern? Mit
solchen Fragen im Kopf streift Bertram Weisshaar nicht nur durch
Leipzig, sondern auch durch Frankfurt, Hannover oder Lübeck. Häufig
heuern die Städte ihn an. Dann führt er Gruppen zum Beispiel durch
historische Altstädte – von Parkplatz zu Parkplatz. Dadurch kann er zwei-
erlei zeigen: Zum einen beweist er, wie viel Platz Autos beanspruchen,
zum anderen, wie sehr Autos die Sicht einschränken. Durch eine Wind-
schutzscheibe können wir bloß Ausschnitte wahrnehmen, auf einem
Spaziergang hingegen Einblicke bekommen. Manchmal kann Bertram
Weisshaar keine Landschaft finden. Als er das Flussufer hinter sich
lässt, biegt er in eine Hauptstraße ein. Auf acht Spuren brausen die
Autos vorbei. Ein paar Schritte weiter zuckeln drei Straßenbahnen zur
Haltestelle, Stoßstange an Stoßstange. Ein Spaziergänger könnte den
Platz nicht kreuzen. Wer die Stadt zu Fuß erkunden möchte, muss sich
auf Umwege gefasst machen. Dass Fußgänger aus den Innenstädten
verdrängt werden, beobachtet Weisshaar oft. Neben der großzügigen
Hauptstraße etwa verläuft ein bescheidener Bürgersteig.
Unter den Sohlen zerplatzen zwei Hagebutten. Ber-
tram Weisshaar zieht den Reißverschluss am Rollkragen hoch, vergräbt
die Hände in den Manteltaschen. Er hat noch ein bisschen Weg vor sich:
„In jeder Stadt stecken hunderttausend Bilder.“ Davon will er noch eini-
ge ausfindig machen. 7
TEXT: INKA WICHMANN | FOTOS: JÖRG GLÄSCHER
»Jetzt wissen wir nicht mehr, wo die Stadt aufhört und wo das Land anfängt.«
28
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Raum und KlangMusik und Architektur sind
eng miteinander verbunden.
Ideengeschichtlich spielen
mathematische und geometri-
sche Überlegungen in beiden
Traditionen eine wichtige
Rolle: Intervall und Takt in der
Musik, Grundriss und Raum-
verhältnisse in der Architektur.
Goethe nannte die Architektur
eine „stumme Musik“. Für
den Philosophen Friedrich
Wilhelm Schelling glich die
Architektur einer „erstarrten“
Musik.
Tatsächlich ist Musik fast
immer auch ein räumliches
Erlebnis. In der Tradition der
venezianischen Mehrchörigkeit
nutzte beispielsweise der Komponist Karlheinz Stockhausen die Klangbewegung
im Raum als kompositorisches Mittel. Als erster Konzertsaal überhaupt wurde
die 1951 fertiggestellte Royal Festival Hall in London (Foto) nach akustischen
Berechnungen errichtet. Seit den sechziger Jahren setzten sich zunehmend
Säle mit variabler Akustik für unterschiedliche Arten von Musik durch. Seit
der Erfindung des Walkman – und seines Nachfolgers MP3-Player – kann jeder
eigene „mobile Innenräume“ schaffen und mit sich tragen, um sich gegen
(lästige) Außenräume abzuschirmen. 7
forum_wissens_wert
Baumeister gibt es schon immer: Im Römischen
Reich waren dies vor allem Militäringenieure, im
Frühmittelalter Kleriker, im Spätmittelalter Handwerker
und in der Renaissance Künstler, Bildhauer oder
Wissenschaftler. Zu einer eigenen akademischen
Disziplin wurde die Architektur erst im Zuge der
Industrialisierung und der damit einhergehenden
Fortschritte in der Bautechnologie sowie immer kom-
plexeren Bauaufgaben.
Die UnvollendetenIn der Geschichte der Architektur hat es immer
wieder markante Bauwerke gegeben, die nicht
fertiggestellt wurden – weil das Geld ausging,
der Bauherr verstarb, eine Pestepidemie
ausbrach oder sonst etwas Unerwartetes da-
zwischenkam. Manche dieser Bauwerke lassen
sich auch im rudimentären Zustand nutzen,
andere bleiben Mahnmalen gleich ungenutzt
stehen. So zum Beispiel das 330 Meter hohe
Ryugyong-Hotel in Pjöngjang, Nordkorea,
das das höchste Hotel der Welt sein könnte,
aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten und
Konstruktionsfehlern bislang aber nicht fertig-
gestellt wurde und aktuell unbewohnbar ist.
Andere Gebäude befinden sich dauerhaft im
Bau. An Gaudís berühmter Sagrada Família
in Barcelona, Spanien, wird seit den 1880er
Jahren gebaut. Und wenn sich die Spanier ein
Beispiel an den Deutschen nehmen, könnte
es mit der Fertigstellung auch noch dauern:
Bis zur Fertigstellung des Kölner Doms im Jahr
1880 vergingen 632 Jahre. 7
Gaudís berühmteSagrada Família in Barcelona
29„Der Mensch braucht vor allem Raumund Licht und Ordnung“, sagte der Sohn
eines Emaillierers von Uhrengehäusen und einer
Musiklehrerin, den es nach einer Lehre zum Graveur
und Goldschmied zur Malerei und Architektur zog.
Als logische Konsequenz der rasanten technischen
Entwicklung und des damit einhergehenden Wandels
der Lebensgewohnheiten im frühen 20. Jahrhundert
fordert der später aufgrund seiner radikalen Vorstel-
lungen vielfach kontrovers diskutierte Architekt „eine
fundamental neue Ästhetik“. In seinen „Fünf Punkten
einer neuen Architektur“ erklärt er: „Es bleibt uns nichts
mehr von der Architektur früherer Epochen, sowenig
wie uns der literarisch-historische Unterricht an den
Schulen noch etwas geben kann.“
Die Aufgabe des Architekten sieht er im Erstellen von
zweckmäßigen und wirtschaftlichen Entwürfen. Er
nimmt die reine Funktionalität der Maschine zum Vorbild
für die Gebäudegestaltung und orientiert sich an den
Formen von Flugzeugen, Lokomotiven, Ozeandampfern
und Automobilen. Dabei bekennt er sich umfassend zu
den technischen Möglichkeiten der Zeit und setzt auf neue Baumateri-
alien wie Eisenbeton und Stahl. Von Ornamenten, die den Selbstzweck
über die Funktion stellen, hält er nichts. Das Ergebnis seiner Architek-
turlehre sind klare und einfache Körper, die sich aus den geometri-
schen Grundformen des Rechtecks, Kreises und Quaders zusammen-
setzen.
Als Stadtplaner setzt er auf strenge Funktionenteilung. In seinem Kon-
zept einer „zeitgenössischen Stadt für drei Millionen Einwohner“ sollen
die Menschen in riesi-
gen Hochhäusern auf
Stelzen inmitten weiter
Grünanlagen wohnen,
in anderen Stadtteilen
in Bürotürmen arbei-
ten, in wieder anderen
einkaufen und sich
amüsieren. In die
Realität umsetzen kann
er seine städtebau-
lichen Vorstellungen,
als ihn die Regierung
des indischen Bundes-
staates Punjab 1951
als Berater für die
Planung der neuen
Hauptstadt Chandigarh
beruft, die heute als
Vorbild für indische
Stadtplaner gilt. 7
AUFLÖSUNG: SEITE 101
WER
WA
R’S
?Die Architektendichte variiert weltweitstark: Japan hat einen fünfmal höherenAnteil von Architekten als Großbritannien,in Dänemark gibt es knapp doppelt so viele Architekten pro Einwohner wie inDeutschland. Wer als Architekt noch Auf-gaben sucht, dürfte in Ländern wie Chinaoder Indien noch viele Möglichkeiten haben.
Der Drang nach obenHochhäuser beflügeln Gefühle von Ohnmacht und Allmacht, je
nachdem, ob man den schwindelerregenden Blick aus den Tiefen
enger Wolkenkratzerschluchten in die Höhe wagt oder von ganz oben
auf das Flirren der Menschenmassen und des Verkehrs herabschaut.
Wann genau die Menschen auf die Idee kamen, Türme zu bauen, ist
unklar. Beim ältesten archäologischen Turmfund handelt es sich um
die Überreste des Turms von Jericho, datiert auf eine Zeit um 7.500
v.Chr. Die Hochkulturen Mesopotamiens bauten ihre Tempelanlagen
auf künstliche Stufenberge, um ihren Göttern besonders nah zu sein
– zum Beispiel den „Turm zu Babel“, der 77 Meter maß
und 600 v.Chr. fertiggestellt wurde. Gut 300 Jahre später
wurde vor dem Hafen von Alexandria auf der Insel Pharos
ein 140 Meter hoher Leuchtturm errichtet.
Die nächsten hohen Türme wurden dann
erst wieder im Mittelalter in Angriff genom-
men, als man mit hohen Kirchenbauten
Gott ehren und Macht demonstrieren
wollte. Der Beginn der heutigen
„Wolkenkratzer-Rally“ geht auf
das Ende des 19. Jahrhunderts
zurück, als die Entwicklung
des Stahlskelettbaus und die
Erfindung des elektrischen
Aufzugs den Bauherren
völlig neue Möglichkeiten
eröffneten. Angefangen
mit New York und Chicago,
schossen allerorten
Wohn- und Bürotürme aus
dem Boden. 7
»Bislang mussten Architekten sich mit vielen unterschiedlichen Aspekten des Stand-orts auseinandersetzen, konzentrierten sich dabei aber immer auf reale Problemewie etwa Werkstoffe oder die Form. Ich schätze, dass wir nun fast die Hälfte unseresAlltags in der Informationsgesellschaft verbringen. Und obwohl die Informations-gesellschaft unsichtbar ist, denke ich, dass Architektur sich darauf beziehen muss.«Kazuyo Sejima
30
ansichten
Kazuyo Sejima führt gemeinsam mitRyue Nishizawa das ArchitekturbüroSANAA in Tokio. Das Büro erhielt imMai mit dem Pritzker-Preis 2010 diebedeutendste Auszeichnung für Archi-tekten. Sejima ist außerdem Kuratorinder Architektur-Biennale 2010 in Vene-dig. Zu den bekanntesten Werken desBüros zählen das New Museum ofContemporary Art in New York und dieZollverein School of Management andDesign in Essen.
ansichten
32
»Ich hielt es für unmöglich, Hochhausfassaden mit bloßen Händen zu erklettern.Aber ich habe erkannt, dass das Unmögliche nur so lange unmöglich bleibt, bis man es möglich macht.«Alain Robert, französischer Fassadenkletterer
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
WAS KOMMT VOR DER
projekte_infrastruktur
och sieht man nur Straßen, Sand und Geröll. Am
Horizont, kaum zu erkennen im Flirren der Hitze,
ragen ein paar weiße Hallen auf. Etliche Kilometer
ziehen sich die schwarzen Asphaltbänder durch
den hellen Sand, durch die Einöde. Unter den
Straßen aber ist schon alles vorbereitet für den An-
sturm, den sich das Emirat Dubai im Wüstensand
erhofft: Einen Steinwurf vom neuen Al Maktoum International
Airport, der nach seiner Fertigstellung der größte der Welt sein
wird, entsteht ein rund 30 Quadratkilometer großes Wirtschafts-
areal, in dem Hunderte internationaler Unternehmen ein neues
Zuhause finden oder eine arabische Dependance gründen sollen:
das Dubai World Central. Noch steht hier nicht einmal eine Gara-
ge, aber längst hat man Wasser-, Abwasserrohre sowie Strom-
und Kühlleitungen verlegt. Glasfaserkabel wurden gleich paarweise
im Boden versenkt, auf dass die Daten später ungestört in alle Welt
fließen mögen. Bevor die Stadt wächst, ist die Infrastruktur schon
da. In dem neuen Logistik- und Wirtschaftszentrum werden rund
150.000 Menschen arbeiten, Bürogebäude mit 45 Etagen und
25 Hotels errichtet. Und alle müssen mit Wasser, Strom und Kälte
versorgt werden. Ohne eine leistungsfähige Infrastruktur ist das
undenkbar. 3
N
Entstehung und Wachstum von Städten hängen nicht nur von der baulichen Entwicklung über,sondern auch von der unter der Erde ab. Besonders für die infrastrukturelle Versorgung undMobilität spielt die Stadt unter der Stadt eine entscheidende Rolle.
STADT?
35
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Wo heute noch Wüste ist, könnte morgen einefuturistische Ökostadt stehen (siehe S. 38) – aber erst braucht es eine funktionsfähige Versorgungsinfrastruktur.
36
projekte_infrastruktur
Das neue Finanzquartier vor den Toren Dubais ist eines der welt-
weit wohl imposantesten Bauvorhaben, aber längst nicht das ein-
zige. Vor allem in China und Indien, aber auch in Afrika wachsen
die Städte. In China wird heute ein Stadtquartier für 50.000 Men-
schen in nur drei Jahren aus dem Boden gestampft, oftmals dort,
wo sich Großkonzerne ansiedeln. Im Jahr 2025 werden nach
Schätzung der Unesco bereits 60 Prozent der Menschheit in
Städten leben. All diese Menschen mit Strom oder sauberem Trink-
wasser zu versorgen ist eine Herausforderung. Mehr denn je sind
dafür intelligente und leistungsfähige Infrastrukturlösungen ge-
fragt.
Die beste Lösung für die Stromversorgung wäre die Nutzung rege-
nerativer Energien. Doch Sonne und Wind werden die Metropolen
der Welt mittelfristig nur zu einem Teil damit versorgen können. Bis
dahin ist Erdgas eine ideale Alternative, denn es verbrennt deutlich
sauberer als Kohle und lässt sich effizient in kleinen Kraftwerken in
der Stadt zur gekoppelten Strom- und Wärmeerzeugung einsetzen.
Was Deutschland betrifft, muss das Gas von weit her aus Russland
und anderen asiatischen Regionen per Pipeline herbeigeschafft
3
Mit Opus Caemen-titium, einem Vorgänger undNamensgeber des heutigenZements, bautenschon die Römerihre Aquädukte.
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
37
verkehr zu reduzieren, wurden eine Expressfährverbindung und
neue Buslinien eingerichtet. Auch die österreichische Stadt Linz will
mit ihrem neuen Stadtteil solarCity Kohlendioxid einsparen. Etwa
die Hälfte des Warmwassers soll durch Solarkollektoren im Stadt-
teil erzeugt werden, der Rest wird über Fernwärmeleitungen ange-
liefert.
Der Trend beim Städtebau und der Infrastruktur ist also klar: Es gilt,
die Stadtgebiete möglichst dezentral und mitunter sogar autark zu
versorgen. „Die Zeiten der großen Kanalisationen und Ausfall-
straßen ist vorbei“, sagt Alexander Rieck, der in der Fraunhofer-Ge-
sellschaft entsprechende Forschungs- und Entwicklungsergebnis-
se zusammenführt und in internationalen Großprojekten anwendet.
„Die Zukunft ist eine kleinräumige Gliederung der Stadt in viele
Zentren, die sich zum Teil selbst versorgen und in denen Menschen
wohnen, einkaufen und arbeiten.“ Die Fraunhofer-Gesellschaft hat
beispielsweise erforscht, wie sich ein solches Areal mit Wasser ver-
sorgen und vom Abwasser befreien lässt. Eine Lösung sind dünne
Vakuumröhren, die fast ohne Wasser auskommen und die Fäkalien
wie in der Zugtoilette absaugen. Feststoffe können dann vor Ort 3
»Die Zukunft ist eine kleinräumige
Gliederung der Stadt in viele Zentren,
die sich zum Teil selbst versorgen.«
werden. ThyssenKrupp hat dafür Spezialstähle entwickelt, die mit
mehr als 2 Zentimetern Wandstärke besonders haltbar sind. Das
Gas kann daher mit höheren Drücken durch die Pipeline gepumpt
werden. So lässt sich mehr transportieren. Und noch etwas macht
die Rohre besonders. Sie widerstehen hohen Konzentrationen an
Schwefelwasserstoff im Erdgas, der ansonsten zu Rissen und
Leckagen führen könnte.
Infrastruktur, die mitwächst
Eine der zurzeit drängendsten Fragen ist, wie sich die wachsende
Weltbevölkerung und insbesondere die Menschen in den Städten
künftig umweltfreundlich versorgen lassen. Eine Patentlösung, die
noch dazu wirtschaftlich ist, gibt es zurzeit nicht. Doch haben For-
scher in verschiedenen Ländern inzwischen ganz unterschiedliche
Ansätze für die künftige Infrastruktur entwickelt. So entsteht in
Stockholm mit Hammarby Sjöstad ein neuer Stadtteil für 25.000
Menschen direkt am Wasser. Ein Großteil der für Heizung und
Warmwasser benötigten Wärme wird aus der Vergasung von Klär-
schlamm und der Verbrennung von Müll gewonnen. Um den Auto-
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
38 leicht abgetrennt, getrocknet und verbrannt oder zu Biogas ver-
goren werden. Für die Toilettenspülung wird Regenwasser genutzt,
das in riesigen unterirdischen Tanks gesammelt wird – einer Art
kommunaler Zisterne.
Auch Alexandra Lux vom Institut für sozial-ökologische Forschung
in Frankfurt am Main glaubt daran, dass die Infrastruktur künftig
eher kleinräumig strukturiert sein wird. „Niemand weiß genau, wie
sich das Wachstum der Städte in Jahrzehnten fortsetzen wird. Statt
große Versorgungsnetze zu bauen, ist es sinnvoller, ein System zu
entwickeln, das mitwachsen kann und aus kleinen Versorgungs-
inseln besteht.“ Lux arbeitet unter anderem an Verfahren, mit
denen sich der Wasserbedarf prognostizieren lässt. Was die
Wasserversorgung selbst angeht, hat die staatliche australische
Forschungsorganisation Csiro unlängst eine eindrucksvolle Lösung
präsentiert: Sie will künftig während der Regenzeit das Wasser in
wasserführende Schichten tief in der Erde, sogenannte Aquifere,
pumpen, um damit bei Trockenheit den Bedarf zu decken.
Autarkie auf kleinem Raum
Einen kleinräumigen Autarkieansatz verfolgt auch das Emirat Abu
Dhabi, Dubais Nachbar. Bis zum Jahr 2020 soll dort die erste
Ökoretortenstadt der Welt, „Masdar City“, aus dem Wüstensand
gestampft werden. Die von Stararchitekt Sir Norman Foster
konzipierte 50.000-Einwohner-Gemeinde soll die erste CO2-freie
Metropole der Welt sein, die erste, die sich die Energie für Strom,
Klimakälte oder den Verkehr selbst aus Sonne und Wind erzeugt.
Autos gibt es nicht. Stattdessen gleiten fahrerlose elektrische Fahr-
kokons im Kellergeschoss unter den Straßen entlang. Sie bringen
die Bewohner und Arbeiter automatisch von A nach B. Einzig die
Hochhäuser fehlen. Statt der heute auch in Abu Dhabi üblichen rie-
sigen Wohn- und Bürokomplexe, zwischen denen die Temperatu-
ren mittags auf 50 Grad steigen, sind für Masdar beschauliche,
zwei-, dreigeschossige Häuser und enge schattige Gassen ge-
plant, die kühl bleiben. Bei aller Fortschrittlichkeit findet Masdar
damit zurück zum traditionellen Baustil der arabischen Wüstenre-
gionen. Zwar hat die Wirtschaftskrise die Pläne der Scheichs
durcheinandergewirbelt, so dass derzeit ein neuer Masterplan auf-
gestellt wird. Doch bislang gibt es keine andere Stadt weltweit, die
die umweltfreundliche Versorgung derart weit treiben wird.
Im 19. Jahrhundert begannen die europäischen Städte mit dem
Bau moderner Kanalisationen, Anfang des 20. folgten Wasserlei-
tungen und Stromnetze. Infrastruktur war lange Zeit Versorgung in
großen Dimensionen. Natürlich ist das auch heute noch der Fall.
Doch eines ist sicher: Für die Versorgung der Städte wird man
künftig zunehmend verschiedene Technologien miteinander kom-
binieren. Die Infrastruktur diversifiziert sich und wird sich damit
perfekt an die jeweiligen Bedingungen anpassen lassen – in Euro-
pa, in Asien, in einer neuen Stadt oder beim Umbau eines alten
Zentrums. „Welche Ideen sich durchsetzen, wissen wir heute noch
nicht“, sagt Alexander Rieck, „aber es werden viele sein, denn das
Bevölkerungswachstum schafft einen riesigen Bedarf.“ 7
TEXT: TIM SCHRÖDER
Grundsolides Fundament
Grundlage einer jeden Stadtinfrastruktur ist
heute vor allem eines: Beton. Aus Beton
werden Straßen gegossen, Gerippe von
Hochhäusern errichtet, Eisenbahnbrücken
geformt oder Tunnel unter der Stadt aus-
gekleidet. Kein anderer Baustoff wird welt-
weit so häufig eingesetzt wie dieser – die
klassische Mischung aus Zement, Wasser
und Sand. Allein in Deutschland verbaut
man jährlich 35 Millionen Tonnen Zement.
Zement wird in turmhohen Anlagen her-
gestellt, die mitunter höher als der Kölner
Dom sind. Manche liefern täglich bis zu
15.000 Tonnen.
Die ThyssenKrupp Tochter Polysius ist auf
den Bau dieser großen Werke spezialisiert
und hat etliche Anlagen in den wachsen-
den Nationen dieser Welt errichtet. Sie
liefern die Essenz für neue Infrastrukturen
wie etwa Bahn- oder Metrostrecken, die
verstopfte Straßen entlasten – oder auch
für unterirdische Shoppingmalls, wie sie
niederländische Architekten in Amsterdam
planen, um die Grachten- und Giebelkultur
über der Erde unangetastet zu lassen.
Dank spezieller bauchemischer Zusätze
sind Beton und Zement heute wahre Hoch-
leistungsstoffe.
Beim Tunnelbau vermengt man Zement
mit Erstarrungsbeschleunigern. Damit
verfestigt sich der Beton innerhalb von
Sekunden, sobald ihn die Spritzmaschine
an die Tunnelwand geschleudert hat. Man
weiß, dass Zementwerke ungeheure Men-
gen an Brennstoff benötigen. Um wertvolle
Rohstoffe wie Öl, Gas oder Kohle zu spa-
ren, werden die Anlagen deshalb so aus-
gelegt, dass sie sich auch mit Reststoffen
befeuern lassen – mit Abfall oder auch
Altreifen. Und auch bei den Zementroh-
stoffen wird im Sinne der Umwelt gespart.
Vielfach setzt man heute Hochofenschlacke
aus der Eisenherstellung ein. Wie sich
zeigte, verbessern diese Abfallstoffe die
Eigenschaften des Zements sogar. Auch
beim Straßenbau, zum Beispiel in schall-
schluckenden Flüsterasphalten, kommen
Schlacken heute zum Einsatz. 7
projekte_infrastruktur
3
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
39
Marode Wasserleitungen im Westen, fehlendeInfrastruktur in den Entwicklungsländern – die Wasserversorgung bleibt eine der großen globalen Herausforderungen.
»Statt große Versorgungsnetze zu bauen, ist es sinnvoller,
ein System zu entwickeln, das mitwachsen kann.«
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
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projekte_werkstoffe
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
AUS STOFFE,
Ob spektakuläre Bauprojekte oder der Schutz berühmter Denkmäler – erst dank moderner Werkstoffe wie neu entwickelter Stahlsorten, Titan und Stahl-Sandwichelementen können Architektenviele ihrer Ideen verwirklichen.
41
DENEN TRÄUME SIND
Effektvoll: Der Eingangsbereich des Porsche-Museums in Stuttgart, das in 16 Metern Höhe auf dreimassiven Betonpfeilern ruht und vom Wiener Architekturbüro Delugan Meissl entworfen wurde. Der hier verwendete korrosionsbeständige Edelstahl von ThyssenKrupp „steigert räumlich die groß-zügige Öffnung des Eingangsbereichs und verstärkt die Interaktion von Besuchern und Gebäude“, wie Architekt Roman Delugan erklärt.
ls der Burj Khalifa Bin Zayed, kurz auch Burj-Tower ge-
nannt, am 4. Januar 2010 offiziell in Dubai eingeweiht
wurde, hatte auch ThyssenKrupp Nirosta einen Grund
zu feiern. Denn für die Fassade des 828 Meter hohen
Turms griffen die Bauherren auf rund 400 Tonnen
rostfreien Edelstahl aus dem Werk in Dillenburg
zurück, der von der deutschen Partnerfirma Struk-
turmetall bearbeitet und ausgeliefert wurde. Das in sechsjähriger
Bauzeit nach den Plänen des US-Architekten Adrian Smith errich-
tete Gebäude ist aber nicht nur das höchste der Welt, sondern es
ist auch besonders widerstandsfähig – rostfreier Edelstahl trotzt
den Umwelteinflüssen, denen der Burj-Tower durch die gleichzeiti-
ge Nähe von Meer und Wüste und die dadurch hervorgerufenen
Temperaturschwankungen ausgesetzt ist. Zudem wurde die Ober-
fläche so bearbeitet, dass Gewicht eingespart wird und die Fassa-
de nicht spiegelt, um die den Airport in Dubai anfliegenden Piloten
nicht zu irritieren.
Neue Werkstoffe verändern die Architektur
Der Burj-Tower beweist wie zahlreiche andere spektakuläre Bau-
werke vor ihm, wie die Entwicklung neuer oder die Verbesserung
bekannter Werkstoffe die Möglichkeiten der Architektur immer wie-
der erweitern. Beton war so ein Baustoff, und zwar schon in der
Antike. Die Römer versetzten ihn mit Travertin, Tuff- und Ziegelsplitt
und konnten so vor 2.000 Jahren beim Bau des Pantheons die für
die damalige Zeit gewaltige Spannweite von 43 Metern stützenfrei
überwölben. Glas und Eisen sorgten dagegen Mitte des 19. Jahr-
hunderts für Aufsehen, als der britische Architekt Joseph Paxton
das Ausstellungsgebäude für die erste Weltausstellung 1851 in
London – den sogenannten Crystal Palace – im Wesentlichen mit
diesen beiden Werkstoffen bauen ließ. Schon bald darauf trat dann
der Stahl seinen weltweiten Siegeszug an. Beim Bau des nach
seinem Erbauer Gustave Eiffel benannten Stahlfachwerkturms an-
lässlich der Hundertjahrfeier der Französischen Revolution und der
damit verbundenen Weltausstellung von 1889 ging es erneut
um die Zurschaustellung eines modernen Baumaterials. Am ein-
drucksvollsten symbolisiert allerdings der Bau des Empire State
A
42
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
projekte_werkstoffe
3
Buildings 1930/31 in New York in einer Rekordzeit von 18 Monaten,
wie sehr Stahl die Architektur in den Metropolen in aller Welt revo-
lutioniert hat. Mit 381 Metern Höhe war das Empire State Building
bis zum Bau des World Trade Centers mehr als 40 Jahre lang das
höchste Gebäude der Welt.
Stahl bleibt zukunftsfähig
Zwar wurde mittlerweile schon mehrfach das Ende des Stahlzeital-
ters vorausgesagt, doch konstante Investitionen in dreistelliger Mil-
lionenhöhe allein durch die deutsche Stahlindustrie sorgen dafür,
dass Stahl gegenüber neu entwickelten Verbundwerkstoffen wie
glasfaserverstärktem Kunststoff oder Metallschäumen
sowohl im Preis als auch bei den Materialeigenschaften
konkurrenzfähig bleibt. So stieg die Zahl der in der
Europäischen Stahlregistratur gelisteten Stahlsorten in
den letzten Jahren kontinuierlich auf 2.379 marktrele-
vante Sorten. „Allein im Jahr 2009 kamen 86 neue
Stahlsorten hinzu und damit fünf mehr als in den vor-
angegangenen vier Jahren zusammen“, so Wolfgang
Schmitz von der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Hinzu
kommen weitere nicht registrierte Werkssondermarken
und nichteuropäische Stähle. Neue Sorten sollen dabei
entweder Gewichtseinsparungen bei gleichen Material-
eigenschaften oder verbesserte Eigenschaften bei glei-
chem Gewicht erzielen. Das Wechselspiel von Material-
forschung und -entwicklung und der Anpassung an die
ständig steigenden Wünsche von Bauherren und Archi-
tekten haben über Jahrzehnte hinweg dafür gesorgt, dass immer
höher gebaut wurde und immer gewagtere Entwürfe letztlich reali-
siert werden konnten.
Vor allem die Kombination von Stahl und Beton hat dafür gesorgt,
dass wie beim Bau des Burj-Towers in immer neue Dimensionen
vorgestoßen werden konnte. Die jüngste Entwicklung beim Beton
ist sogenannter transluzenter, also bis zu einem gewissen Grad
lichtdurchlässiger, Beton. Durch das Einlegen von optischen Fasern
gelang es dem Ungarn Áron Losonczi, diese neuartigen Betonele-
mente herzustellen. Selbst bei bis zu 20 Metern Wanddicke sind
»Neue Werkstoffe sorgen dafür, dass immer gewagtere Entwürfe
realisiert werden können.«
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Beton | Bereits von den Römern beeindruckend im Pantheon in Romeingesetzt, entwickelt sich auch die-ser Werkstoff weiter und ermöglichtheute kühne Konstruktionen wie die Juscelino-Kubitschek-Brücke inBrasília.
Edelstahl | Ob in der Fassade des neuerbauten Burj-Towers in Dubai oder zurStabilisierung der Dresdner Frauenkir-che – Architekten setzen das Materialvon ThyssenKrupp Nirosta für viele ver-schiedene Zwecke ein.
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
projekte_werkstoffe
Titan | Unverwüstlich: Titan verwittert auch unter ungünstigen Witterungsbedingungenkaum und wird immer häufiger in Fassaden genutzt. So besteht die Kuppel des neuenNationaltheaters in Peking (Bild Mitte rechts) teilweise aus dem Werkstoff. Und schonvor 20 Jahren lieferte ThyssenKrupp Titanium 30 Tonnen des Werkstoffs für die Türen der Hassan-II.-Moschee in Casablanca, die so perfekt vor Korrosion durch dieaggressive Meeresluft geschützt sind.
Glas | Nichts anFaszination ver-loren hat für Archi-tekten das trans-parente MaterialGlas – wie hier in der berühmtenPyramide von Ieoh Ming Pei vordem Louvre (Bildlinks) oder als Dach des um1900 errichtetenGrand Palais,ebenfalls in Paris(Bild Mitte links).
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
dabei noch Licht und Schatten zu erkennen. In Mexiko-Stadt wird
dieser Baustoff zurzeit das erste Mal im großen Stil von den Archi-
tekten Ebner + Sánchez beim Erweiterungsbau der Firmenzentrale
des mexikanischen Bauunternehmens ICA eingesetzt. Das 120
Meter lange, auf wenigen Stützen ruhende Gebäude soll eine um-
laufende Fassade mit Lamellen aus dem transluzenten Beton er-
halten. Neben Stahl und Beton ist vor allem Titan ein Werkstoff, der
hervorragende mechanische Eigenschaften besitzt, zudem sehr
korrosionsbeständig ist und in der modernen Architektur den Bau
aufsehenerregender Bauwerke ermöglicht.
Das 1997 fertiggestellte und mit einer Titan-
beschichtung versehene Guggenheim-Muse-
um in Bilbao ist das bekannteste, aber bei
weitem nicht einzige Bauwerk, das auf diese
Weise glänzen kann. So verwendete der japa-
nische Architekt Kisho Kurokawa beim zwei
Jahre später eröffneten Erweiterungsbau des
Van Gogh Museums in Amsterdam ebenfalls
Titan in Verbund mit Aluminium, um dem
elliptisch geformten Baukörper mehr Glanz
gegenüber dem nüchternen, viereckigen
Hauptgebäude zu verleihen. Neben Exklusi-
vität und Glanz punktet Titan bei Bauherren
und Architekten vor allem mit seiner Un-
verwüstlichkeit: Weil es sich bei Kontakt mit
Sauerstoff mit einer dünnen, transparenten
Oxidschicht umgibt, die fast gar nicht mehr
reagiert, verwittert es auch unter ungünstigen
klimatischen Verhältnissen kaum. Ein Um-
stand, der auch die Bauherren des Glasgower
Museums der Wissenschaft bewogen hat, für
den Bau inklusive des angegliederten IMAX-Kinos eine Titan-
ummantelung für Dach und Fassade zu wählen.
Rostfreier Edelstahl und Titan kommen aber nicht nur für moderne
Bauvorhaben in Betracht, sondern auch an ganz unerwarteter Stel-
le zum Einsatz. Dort wo Hitze, Kälte und Korrosion über Jahre die
Bausubstanz von antiken, mittelalterlichen oder Gebäuden aus jün-
geren Epochen zerstören, bieten die modernen Werkstoffe die
Chance, dem Verfall entgegenzuwirken. „Normalerweise wird Edel-
stahl nur mit moderner Architektur in Verbindung gebracht“, sagt
Gert Weiß, Leiter Produktservice bei ThyssenKrupp Nirosta. „Dabei
kann er auch alte Gebäude auf Vordermann bringen, ohne ihnen
einen völlig neuen Charakter zu verleihen.“ Wie etwa den Kölner
Dom, bei dem für einen auf 100 Metern Höhe liegenden Be-
sucherrundgang die alten und stark korrodierten Eisenträger durch
Träger aus Edelstahl ersetzt wurden. Auch die Konstruktion der
Dresdner Frauenkirche und das Reiterstandbild vor dem Bremer
Rathaus wurden durch Befestigungselemente aus Nirosta-Stählen
stabilisiert. „Bei diesen Anwendungsbeispielen sticht nicht die
technische Ästhetik des Materials hervor, sondern seine Funktio-
nalität“, so Weiß weiter.
Moderner Denkmalschutz aus Stahl und Titan
Das gilt auch für den verborgenen Einsatz von Titan auf der Akro-
polis in Athen. Dort wurde schon vor Jahren der ursprünglich für
die Restauration eingesetzte Stahl durch Titanstäbe von Thyssen
Krupp Titanium ersetzt, um die korrosionsbedingte Zerstörung des
Marmors in den weltberühmten Tempelsäulen zu verhindern. Auch
an der Rettung des Wahrzeichens von Venedig, des Campanile di
San Marco, vor dem Verfall ist ThyssenKrupp Titanium beteiligt.
Der Campanile, ein freistehender Glockenturm des Markusdoms auf
der gegenüberliegenden Seite des Markusplatzes, wurde erstmals
im 10. Jahrhundert errichtet, stürzte 1902 ein und wurde an-
schließend wiederaufgebaut. Das Fundament des fast 100 Meter
hohen Turms besteht jedoch aus Holzpfählen, die im Laufe der Zeit
durch das Salzwasser marode wurden. Außerdem greifen aufgrund
des steigenden Meeresspiegels Hochwasser und Überschwem-
mungen die Bausubstanz an. Dadurch können Risse entstehen,
und der Markus-Turm könnte sich seitlich neigen oder erneut ein-
stürzen. In einem aufwendigen Verfahren wird in einer Bauzeit von
zwei Jahren bis Ende 2011 eine Titankonstruktion in dreieinhalb
Metern Tiefe unter Wasser um das bisherige Fundament herum
gespannt, die das Bauwerk langfristig stabilhalten soll. 7
TEXT: CHRISTOPH NEUSCHÄFFER
»Ob Kölner Dom, Akropolis oder Markuskirche: Stahl und Titan können
auch alte Gebäude wieder auf Vordermann bringen.«
3
46
projekte_quartier2007
2008
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
2009
2010
Aus Träumen wird Wirklichkeit: Im Zeitraffer zeigen 52 Bilder,wie in rund zweieinhalb Jahren aus einer Industriebrache amRande der Essener Innenstadt der weitläufige Campus desneuen ThyssenKrupp Quartiers entstanden ist. Im Sommer2010 ziehen die Mitarbeiter in die neue Konzernzentrale vonThyssenKrupp ein. Das markante, zentrale Gebäude Q1 etwaslinks von der Blickachse steht mit seinem großen Panorama-fenster ebenso wie der Campus insgesamt für Offenheit unddie Einladung zum Dialog. Welche Besonderheiten das Quartieraußerdem noch aufweist, wie sich Innovation und Zukunfts-orientierung des Konzerns darin widerspiegeln und warum das230 Hektar große Areal auch aus historischer Sicht so interes-sant ist, steht auf den folgenden Seiten.
47
»BEWEGUNG
48
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
quartier_interview
Ein Gespräch über das neue ThyssenKrupp Quartier in Essen mit Ralph Labonte, Personalvorstand der ThyssenKrupp AG, der das Projekt federführend betreut hat.
UND AUFBRUCH«
49
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Herr Labonte, 2006 startete ThyssenKrupp einen internationalen
Architektenwettbewerb für das neue ThyssenKrupp Quartier, Mitte
2007 war der erste Spatenstich. Nun ziehen die Mitarbeiter des
Konzerns ein. Was bedeutet ein derart großes Projekt, das Tausen-
de von Menschen an einem neuen Standort versammelt, für Thys-
senKrupp?
Um es gleich zu Beginn zu sagen: Wir sind froh und stolz, nun in ein ar-
chitektonisch so gelungenes Quartier einzuziehen, das genau auf unse-
re Anforderungen zugeschnitten ist. Es macht auf vielfältige Weise deut-
lich, wie wir uns sehen und was uns wichtig ist. Es ist somit Ausdruck
unseres Selbstverständnisses. Mit der Rückkehr ins Ruhrgebiet beken-
nen wir uns klar zu der Region, in der ThyssenKrupp und seine beiden
Nach zwei Jahren Bauzeit fand am 17. Juli 2009 das Richtfest derKonzernzentrale im neuen ThyssenKrupp Quartier statt. Im Namendes Vorstands dankte Ralph Labonte all jenen, die mit viel Know-how dazu beigetragen haben, dass hier ein Stadtteil undalter Industriestandort zu neuem Leben erweckt wurde.
3
Vorgängerunternehmen ihre Wurzeln haben. In Essen hat 1811 die Kon-
zerngeschichte mit einer kleinen Gussstahlfabrik namens Krupp begon-
nen und hier wird sie jetzt fortgeschrieben. Das ist etwas Besonderes.
Denken Sie nur an die Standortverlagerungen anderer Unternehmen,
auch ins Ausland. Außerdem steht ein Umzug immer auch für Bewe-
gung, für Aufbruch. Ich denke, ich spreche für alle Konzernmitarbeiter,
wenn ich sage, dass wir uns dieser historischen Dimension bewusst
sind. Ich bin gespannt, welche Dynamik das bei uns allen bewirkt.
Welche Bedeutung hat der Standort einer Konzernzentrale heute
überhaupt noch?
Ein Standort ist immer auch ein Signal der Verbundenheit mit einer
Stadt, einer Region. Wo sich ein Unternehmen ansiedelt, ist gerade in
einer globalisierten Welt von großer Bedeutung und hohem symboli-
schen Wert – für das Unternehmen selbst, für seine Mitarbeiter und
natürlich für den jeweiligen Ort. Auch ein international vernetzter Kon-
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
50
quartier_interview
Ein Quartier für 2.000 MitarbeiterIm neuen Quartier in Essen konzentriert Thys-
senKrupp seine Verwaltungsstandorte – neben
dem zweiten Firmensitz in Duisburg. Der ge-
samte Krupp-Gürtel umfasst 230 Hektar. Er
grenzt an die westliche Essener Innenstadt und
erstreckt sich auf 7 Kilometer Länge bis nach
Norden. Auf dem Campus des ThyssenKrupp
Quartiers arbeiten seit Juni 2010 etwa 2.000
Mitarbeiter. Gestaltet wurde das Quartier nach
einem Entwurf von Chaix & Morel et associés,
Paris /JSWD Architekten und Planer, Köln.
Das Bürokonzept wurde in Zusammenarbeit
mit dem Fraunhofer Institut entwickelt, wobei
die Wünsche der Mitarbeiter berücksichtigt
wurden. 7
Das „Schale-Kern“-Prinzip
Die Grundkonzeption aller Campus-Gebäude
folgt der „Architektur der räumlich erlebbaren
Mitte“ als Zeichen für Dialog und Kommunika-
tion. Dabei gilt das Prinzip „Schale – Kern“:
Alle Gebäude bestehen aus mindestens zwei
L-förmigen Einzelbaukörpern, die jeweils eine
gemeinsame Mitte umschließen. Damit entste-
hen zwei Fassadentypen – ein in die Mitte,
in Richtung der Höfe und Atrien, orientierter
Fassadentypus (der „Kern“) und einer, der
Bezug zu den äußeren Freianlagen aufnimmt
(die „Schale“). Dabei bilden die mit warmen,
sonnigen Farbtönen gestalteten Bleche des
„Kerns“, die in den Abend- und Nachtstunden
illuminiert werden, einen starken Kontrast
zur rauen, metallischen äußeren „Schale“. 7
Baudimensionen_1
Baustelle
über 300 am Bau beteiligte Unternehmen
max. rund 1.600 Beschäftigte auf der Baustelle
mehrere hundert Baufahrzeuge pro Tag
13 Kräne (max. zeitgleicher Einsatz)
450.000 m3 bewegte Bodenmassen
ca. 3 km Bauzaun
3
Ein neuer, grüner Stadtteil: links der neue Krupp-Gürtel, rechts die Essener Innen-stadt, verbunden durch den neuen Berthold-Beitz-Boulevard.
zern wie ThyssenKrupp mit Standorten auf fünf Kontinenten braucht
eine solche zentrale Verwaltung – als Herz des Konzerns und Symbol für
dessen Entwicklung.
Das städtebauliche Campus-Konzept soll auch – zumindest teil-
weise – eine Öffnung nach außen bringen. Ist es nicht trotzdem
eher wahrscheinlich, dass sich das Quartier zu einem Mikrokosmos
für die dort Beschäftigten entwickelt?
Nein, das denke ich nicht – das Quartier ist ja eingebettet in eine sehr
umfassende städtebauliche Entwicklung. Vor elf Jahren schon entstand
der Rahmenplan für den sogenannten Krupp-Gürtel, das Entwicklungs-
areal, das zwischen der Essener Innenstadt und dem Stadtteil Altendorf
in weiten Teilen über Jahrzehnte brach lag. Mit der schieren Größe von
rund 230 Hektar handelt es sich dabei um das größte innenstadtnahe
Entwicklungsareal in Deutschland. Ziel damals wie heute war es, die
Innenstadt zu erweitern und diese mit dem Stadtteil Altendorf zu ver-
knüpfen. Mit der Entscheidung, die Verwaltungseinheiten von Thyssen
Krupp im Herzen dieses Entwicklungsareals zu konzentrieren, haben wir
in Essen eine städtebauliche Dynamik in Gang gesetzt. So hat die Stadt
parallel den ersten Bauabschnitt des Berthold-Beitz-Boulevards und
des Nordteils des Krupp-Parks in Angriff genommen und bereits den
Bürgern der Stadt übergeben. Ich bin sehr zuversichtlich, dass auch die
Öffentlichkeit unseren Campus entdecken wird – und so ein lebendiger
Austausch des Konzerns mit seiner Umgebung entsteht. Indem wir
den Campus so offen gestalten, wollen wir ein Zeichen setzen,
gerade in einer Zeit, in der Sicherheitskontrollen schon fast überhand-
nehmen. Wir haben keinen Zaun und keine Mauer gebaut, damit diese
immense Fläche nicht nur den Mitarbeitern zur Verfügung steht. Dass
51
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Unter der Erde
Auch unter dem „grünen Teppich“ des Thys-
senKrupp Campus ist allerhand los: Unter
Tage ist ein raffiniertes Logistiksystem entstan-
den. Großzügig dimensionierte unterirdische
Garagen verbinden alle Gebäude in einem
ausgeklügelten Verkehrssystem und sorgen
so dafür, dass der gesamte Campus autofrei
bleibt – Ver- und Entsorgung, Anlieferung
und Abholung finden unter der Erde statt,
Müllfahrzeuge oder Küchenwagen werden auf
dem Campus nicht zu sehen sein. Jedes Ge-
bäude lässt sich unterirdisch einzeln anfahren.
Niemand muss also bei schlechtem Wetter
oberirdisch über den Campus laufen. 7
3
Ein Ort zum Arbeiten und zum Verweilen: der neue Campus
52
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
quartier_interview
wir die Einladung zum Dialog ernst meinen, zeigt auch die Gestaltung
des Forums: Es soll ein Ort der Gespräche und des Austauschs sein.
Welchen Blick bzw. welche Einschätzung erhoffen Sie sich von
Ihren Gästen und Nachbarn in Essen? Erwarten Sie eine städte-
bauliche Entwicklung wie wir sie in den letzten Jahren in Deutsch-
land beispielsweise am Potsdamer Platz in Berlin oder in der Ham-
burger HafenCity erlebt haben?
Das wird die Zukunft zeigen. Vergleiche dieser Art sind immer mit ge-
wissen Unwägbarkeiten verbunden, weil die Gegebenheiten in jeder
Stadt andere sind. Essen und das Ruhrgebiet haben in den vergange-
nen Jahrzehnten einen umfassenden Strukturwandel durchgemacht,
der bis heute anhält – und sich übrigens auch in der Wahl zur diesjähri-
gen Kulturhauptstadt Europas widerspiegelt. Der Entwicklungsprozess,
mit dem die Zukunft dieser Region gesichert werden sollte, war alles
andere als einfach und vielerorts mit schmerzhaften Entscheidungen
verbunden. In diesem Zusammenhang ist unsere Standortentschei-
dung auch ein Signal, dass wir an die Zukunft der Region glauben. Eine
solche Einschätzung erhoffe ich mir auch von unseren Gästen und
Nachbarn. Die Grundlagen für eine lebendige städtebauliche Entwick-
lung – die man nie ganz genau steuern kann und die sich deshalb auch
nicht genau vorhersagen lässt – sind mit dem Rahmenplan und dem
ThyssenKrupp Quartier gelegt. Jetzt kommt es darauf an, was wir und
alle anderen daraus machen. Das wird spannend.
Architektur ist immer auch ein Selbstbild dessen, der sie „be-
wohnt“. Was sagt der Quartierneubau über ThyssenKrupp aus?
Welche Botschaft soll das Quartier nach außen vermitteln, welche
Zeichen setzen?
Wir sind in erster Linie ein Technologiekonzern: Wir leben von den Ideen
hochqualifizierter Ingenieure, die unsere Produkte und unser Know-how
in die Welt tragen. Dafür sind Wissensaustausch und Dialog essentiell –
das zeigen wir etwa mit der Campusstruktur und der Öffnung nach
außen. Wir wollen grundsätzlich Transparenz und Offenheit signali-
sieren. Das beweisen unter anderem die Fassaden. Das zentrale
Q1-Gebäude zum Beispiel hat große fensterartige Öffnungen, die
„Landschaftsfenster“. Darüber hinaus spiegelt das Quartier die gelebte
Eine starke Gemeinschaft
Den Wettbewerb zum ThyssenKrupp Quartier
hat eine Arbeitsgemeinschaft des Pariser Ar-
chitekturbüros Chaix & Morel et associés und
des Kölner Architekturbüros JSWD Architekten
gewonnen. Die Büros sind freundschaftlich
miteinander verbunden; eine Reihe von Vorha-
ben sind bereits aus gemeinsamen Entwürfen
entstanden, darunter der neue Hauptbahnhof
von Luxemburg.
Das Kölner Architekturbüro JSWD besteht
seit dem Jahr 2000. Die vier Partner Jürgen
Steffens, Olaf Drehsen sowie Konstantin und
Frederik Jaspert leiten ein Büro mit rund 50
Mitarbeitern. Als eine seiner besonderen Stär-
ken sieht JSWD den „ausgeprägten Sinn für
das Planen in stadträumlichen Dimensionen“.
Mit wenigen, aber klar definierten Elementen
schaffen die Architekten eindeutige Gebäude-
und Freiraumhierarchien. Das charakterisiert
auch das ThyssenKrupp Quartier: Gebäude
und umgebende Landschaft sind gleichbe-
rechtigte Teile eines räumlichen Ganzen; erst
eingebettet in die Grün- und Platzräume des
Campus entfalten die einzelnen Bausteine ihre
volle Wirkung.
Das Atelier d’architecture Chaix & Morel et
associés, gegründet 1983, umfasst zurzeit ein
Team von acht Partnern (Philippe Chaix, Jean-
Paul Morel, Rémy Van Nieuwenhove, Walter
Grasmug, Anabel Sergent, Denis Germond,
Benoit Sigros und Rémi Lichnerowicz) und
30 Mitarbeitern. Als Entwurfsprioritäten gelten
für das Büro das ökologisch nachhaltige
Bauen und Planen, die Suche nach architekto-
nischen Ausdrucksformen mit starker Identität
sowie die Anwendung innovativer Techniken
in der Planung und Entwicklung von Gebäu-
den. Zu seinen Gestaltungsprinzipien zählt
Chaix & Morel eine Architektur von nüchterner
Eleganz, eine kontextuelle Formensprache und
einen subtilen Umgang mit natürlichem Licht.
Das Atelier engagiert sich derzeit verstärkt
außerhalb Frankreichs, nicht zuletzt dank der
intensiven Zusammenarbeit mit anderen Archi-
tekten im Ausland. Mit dem ThyssenKrupp
Quartier hat Chaix & Morel et associés erst-
mals im Rahmen einer solchen Konstellation
ein Projekt großen Maßstabs verwirklicht. 7
3
Baudimensionen_2
Baustoffe
90.000 m3 Beton
23.000 t Stahl
28.600 m2 Teppich
16.300 m2 Glasflächen
»Die Einladung zum Dialog meinen wir ernst.«
Allee der Welten
In der Allee der Welten vor dem Forum spiegelt
sich die Internationalität und globale Ausrich-
tung der ThyssenKrupp AG. Die 68 hier ge-
pflanzten Bäume stammen aus fünf Kontinen-
ten. Beim der Auswahl wurde bewusst darauf
geachtet, ein bezüglich Wuchs und Belaubung
möglichst vielfältiges Ensemble entstehen
zu lassen. Ähnlich wie seinerzeit im Essener
Hügel-Park, wo die Familie Krupp ebenfalls
Bäume aus aller Herren Länder pflanzte,
wurden keine Baumschösslinge eingepflanzt,
sondern bereits größere Exemplare, um
zeitgleich mit dem Einzug die gewünschte Ge-
samtwirkung zu erzielen. 7
53
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Innovationskultur unseres Konzerns wider. Das zeigt sich auf den ersten
Blick in Dingen wie der Feinblechfassade oder der weltweit einmaligen
Sonnenschutzkonstruktion, die wir im eigenen Hause entwickelt haben.
Aber auch auf den zweiten und dritten Blick werden Mitarbeiter und
Gäste hier viele Innovationen entdecken. Als globaler Technologiekon-
zern sieht sich ThyssenKrupp außerdem in der Pflicht, an der Gestal-
tung eines nachhaltigen Lebensumfelds für die heutige und kommende
Generationen mitzuwirken – und das fängt natürlich im eigenen Hause
an. Die besonders nachhaltige Bauweise des Quartiers ist mit einem
renommierten Vorzertifikat bereits bestätigt worden.
Wie werden die Nutzer das Quartier erleben? Welche Arbeits- und
Lebensumgebung finden sie vor?
Auch hier sind wieder die Stichworte Transparenz und Offenheit zu nen-
nen. Die geschosshohen Verglasungen vermitteln Großzügigkeit: Sie
sorgen für höchstmöglichen natürlichen Lichteinfall und damit ein hel-
les, freundliches Arbeitsambiente. Die Böden, Decken und Büromöbel
aus hellen Materialien verstärken die Wirkung des Lichts im Inneren der
Gebäude. Die Wasserachse, der Flanier-Boulevard und die offene Cam-
pus-Struktur schaffen ein inspirierendes Arbeitsumfeld. Hierzu tragen
auch die Grünflächen bei, auf denen man ebenso arbeiten wie verwei-
len kann. Mit dem nicht religiös orientierten „Raum der Stille“ bieten wir
unseren Mitarbeitern zudem eine Rückzugsmöglichkeit aus dem hekti-
schen Arbeitsalltag. Das alles drückt unsere Vorstellung von zukunfts-
orientierten Arbeitsplätzen aus. Sicher wird die Konzentration von bis-
lang getrennten Standorten für einige zu Veränderungen im bisherigen
Tagesablauf führen. Aber wir haben auch in der Vergangenheit schon
den einen oder anderen Umzug gemeistert und werden das auch dies-
mal tun.
Symbol einer neuen Zukunft von ThyssenKrupp in Essen: Mit dem Spatenstich am 12. Juni 2007begannen die Bauarbeiten für das Quartier. Von links: Dr. Gerhard Cromme, Vorsitzender des ThyssenKrupp Aufsichtsrats, Dr. Wolfgang Reiniger, Oberbürgermeister der Stadt Essen, Prof. Dr. Berthold Beitz, Ehrenvorsitzender des ThyssenKrupp Aufsichtsrats, Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, Dr. Ekkehard Schulz, Vorsitzender des Vorstands der ThyssenKrupp AG, und Ralph Labonte, Mitglied des Vorstands der ThyssenKrupp AG.
3
Neuland in der Stadt
Mit dem langfristig angelegten Projekt Krupp-
Gürtel entsteht mitten in der Essener Innen-
stadt ein neues urbanes Viertel, das Räume für
Arbeiten, Freizeit und Kultur bieten soll. Dabei
spielen die Bedürfnisse und Potentiale der
bestehenden Nachbarschaften eine zentrale
Rolle: Anbindungen und Verknüpfungen
werden aufgegriffen, Übergänge geschaffen
und mit den Qualitäten des Krupp-Gürtels die
umliegenden Quartiere gestärkt. Der nach Fer-
tigstellung des Südabschnitts rund 22 Hektar
große, vom Landschaftsarchitekten Andreas
Kipar gemeinsam mit den Bürgern der angren-
zenden Stadtteile gestaltete Krupp-Park bietet
viel Platz für Freizeit und Erholung. 7
Welches waren die größten Herausforderungen im Zusammenhang
mit dem Neubau? Was hat Sie in der Projektphase am meisten
überrascht?
Das Bauprojekt insgesamt war eine logistische Herausforderung. Wir
haben etwa eine Hochspannungsleitung verlegt, die das Gelände
durchschnitt – ein in Deutschland einzigartiger Vorgang. Außerdem
haben wir das gesamte Gebiet mit Brecheranlagen durchpflügt, um
Fundamente der Gussstahlfabrik abzuräumen und den Boden für die
Umsetzung der Wasserachse absolut glatt einzuebnen. Gut bewältigt
haben wir auch andere kleinere und größere Überraschungen, wie zum
Beispiel die Notlandung eines Kleinflugzeugs auf unserem Baugelände.
Welche Elemente des Quartiers empfinden Sie als besonders
ungewöhnlich im Vergleich mit anderen, ähnlich gelagerten Projek-
ten?
Zum einen ist das der architektonische Gesamtauftritt: Unsere Struktur
ist nun so flexibel, dass wir auf dynamische Veränderungsprozesse in-
nerhalb des Konzerns reagieren können. Ungewöhnlich ist sicher auch
das Gesamtkonzept mit einem Drittel befestigter Fläche und einem
Anteil von zwei Dritteln unversiegelter Grünflächen. Die tragen mit rund
700 Bäumen und der großzügig angelegten Wasserfläche dazu bei, das
Kleinklima des gesamten Geländes erheblich zu verbessern. Vielleicht
einzigartig ist der Einsatz eigener Produkte, die wir zum Teil speziell für
das Quartier entwickelt haben. Auf diese Weise haben wir eine Corpo-
rate Architecture geschaffen, eine identitätsstiftende Baukultur, die die
neue Konzernzentrale in Essen unverwechselbar macht.
Abschließend Ihre ganz persönliche Einschätzung: Angenommen,
wir sind im Jahre 2030. Wird Ihnen der Umzug ins Quartier als ein
Epochenwechsel für den Konzern erscheinen?
Ein Epochenwechsel wäre sicher zu viel gesagt. Mit dem Umzug wird
aus ThyssenKrupp kein grundlegend anderes Unternehmen. Aber wenn
man Gewohntes auf den Prüfstand stellt, wie wir das mit diesem
Bauprojekt getan haben, entstehen immer auch neue Ideen. Mit dem
Quartier haben wir die Unternehmensidentität und die Ansprüche, die
wir an uns selbst haben – Innovation und Nachhaltigkeit, Offenheit und
Wissensvernetzung – baulich umgesetzt. Das sorgt auch für neue Im-
pulse und Aufbruchstimmung. Insofern meine ich schon, dass wir auf
diesen Umzug als eine wichtige Wegmarke, vielleicht sogar den Beginn
eines neuen Kapitels der Konzerngeschichte zurückblicken werden. 7
54
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Baudimensionen_3
Infrastruktur
320.000 laufende Meter elektrische Leitungen
9.000 laufende Meter Wasserrohre
29 Aufzüge, Fahrtreppen und Hebebühnen
ca. 3 km Erdsonden (Geothermie)
Panoramafenster
Das Atrium des zentralen Q1-Gebäudes ist das
Herz des ThyssenKrupp Campus – und wer
den Campus betritt, kann sehen, wie es
schlägt. Denn zwei gut 25 Meter breite und
28 Meter hohe Fenster öffnen von Süden und
Norden den Blick in den Innenraum. Da es
weder Fensterrahmen noch -sprossen gibt, er-
gibt sich zunächst der Eindruck, als bestünden
die Landschaftsfenster aus einer einzigen,
riesigen Glasscheibe. Wie wurde diese maxi-
male Transparenz erreicht? Ziel musste unter
anderem sein, so wenig einzelne Glasscheiben
wie möglich zu verwenden, um die Fenster
mit möglichst wenig Silikonfugen zu unter-
brechen. Ergebnis dieser Überlegungen sind
Isolierglasscheiben, die je 2,15 Meter breit und
3,60 Meter hoch sind. Eine entscheidende
Rolle spielte außerdem eine möglichst schlan-
ke Tragkonstruktion für die Fenster, so dass
die Ingenieure eine vertikal und horizontal vor-
gespannte Seilfassade wählten. Daran sind
die Scheiben mittels Klemmhalter punktförmig
gelagert. Die Landschaftsfenster sorgen so
nicht nur für Transparenz, sondern wirken
zugleich als technische Meisterleistung aus
Stahl und Glas und somit als Zeichen der Inno-
vationskraft von ThyssenKrupp. 7
quartier_interview
3
55
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
3 Mit diesen Worten könnte man einen Andachtsraum im Thyssen
Krupp Quartier in Essen beschreiben. Ein Konzern versucht, zukunfts-
fähige Strukturen zu schaffen und eröffnet seinen visionären Grund-
lagen Räume. Fundament jeder Unternehmung sind die Menschen.
Jene, für die ein Unternehmen da ist – die Zielgruppe sozusagen – und
jene, mit denen ein Unternehmen da ist – die Handelnden. Ein Raum
der Stille und der Andacht sollte beide Gruppen einladen, innezuhalten,
sich zu stärken und dann die Wege des Alltags und des Geschäfts
weiterzugehen. Die kleine Rast in der Hetze des Betriebs – das war und
ist die Funktion der Wegekapellen. Diese kleinen Bauwerke sind für alle
sichtbar da, laden ein, aber man kann sie auch liegen lassen und
vorbeigehen. Vielleicht kann das ein Akzent des Raumes der Stille sein.
Ein Andachtsraum kann im Kontext einer Verwaltungszentrale nur
Akzent sein, sollte nicht mit einem Schwerpunkt verwechselt werden.
Ein „Raum im Raum“ also – in diesem Sinne ein Symbol, das Zusam-
menhänge anklingen lässt, aber nicht ausformuliert. Wo sollte im Kon-
text des Bauwerks ein solcher Raum liegen? Für Suchende müsste er
sichtbar und auffindbar sein, für Einkehrende (ver-)bergend.
Der Mensch wird in den Worten Angelus Silesius verstanden als je-
mand, der bezogen ist. Der Mensch strebt über sich hinaus. Seiner
Sehnsucht nach dem Größeren, nach dem Anderen wird Raum ge-
schenkt. Was überdauert den Zufall und bleibt? Manchmal stellt sich ja
die Frage inmitten aller geschäftigen Vergänglichkeit. Ein Raum der
Stille sollte den Besucher aufrichten zu seiner wahren Fähigkeit und
Kraft, müsste dafür also eine Richtung und Höhe nach oben haben.
Angesichts der vielfältigen Formen menschlicher Suche kann ein
„Raum der Mitte“ im Kontext eines weltweit verzweigten Konzerns keine
für alle gültigen Antworten anbieten. Seine Funktion kann es lediglich
sein, die Frage des Menschen nach sich selbst und seiner Zukunft offen
zu halten. Ein solcher Raum sollte neutral sein – nichts vorgeben an
verfasster Religion –, zugleich aber den Besucher ganz persönlich
ansprechen. Die Frage des Menschen nach sich selbst wäre das
Thema. Eine wie auch immer geartete
Gottesvorstellung kann daraus erwachsen
– oder aber auch nicht. Der Raum sollte
also in höchsten Maß befreien und nie-
manden in seiner Innerlichkeit bestimmen.
Gleichfalls sollte der Ort gestaltet sein,
aber darin freilassen und nicht bevormun-
den. Allein die Existenz eines solchen
Raumes hat eine Bedeutung, gibt Hinwei-
se über das Menschenbild eines Bauherrn.
Ein Raum der Stille sieht den Menschen
nicht nur als Wirtschaftsfaktor. Diese Sicht
hat etwas Nachhaltiges und stellt die Frage
nach der Zukunft eines deutschen Kon-
zerns. Einst wurden aus Rohstoffen Halb-
zeuge gefertigt, dann Produkte, schließlich
Innovationen und Technik. Vielleicht in
Zukunft auch Visionen „für das Wesen, das
besteht“? 7
TEXT: PATER ABRAHAM FISCHER OSB
Raum der StilleMensch werde wesentlich: denn wenn die Welt vergeht, so fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht.Angelus Silesius
Pater Abraham Fischeraus der Abtei Königs-münster beriet ThyssenKrupp bei der Einrich-tung des „Raums derStille“.
Ein Raum für Rückzug und Austausch
Der „Raum der Stille“ lädt alle Mitarbeiter und Gäste des
ThyssenKrupp Quartiers zum friedlichen Verweilen ein. Er
dient der Meditation, der Sammlung und dem Rückzug, aber
auch dem interkulturellen, überkonfessionellen Austausch.
Tatsächlich besteht der Raum der Stille aus einer Raumfolge
mit einem Vorraum und einem daran angrenzenden Haupt-
raum, in dem ein großer quadratischer Kubus zu schweben
scheint. Wände und Boden des Raums sind in einem
weißen, leicht marmorierenden, glatten mineralischen Putz
gehalten. Das Innere des schwebenden Kubus hingegen ist
mit Titanspindeln verkleidet, die erst dann wahrzunehmen
sind, wenn man unter den Kubus tritt. So entsteht ein span-
nungsvoller Gegensatz zu den glatt verputzten Wänden. 7
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
56
quartier_menschen
Jürgen Nageldick Projektleiter Fördertechnik
3 Jürgen Nageldick bringt Menschen hoch hinaus: Er kümmert sich
als Projektleiter um die Aufzüge und Fahrtreppen im ThyssenKrupp
Quartier. Er ist von Anfang bis Ende in das Projekt eingebunden, von der
ersten Technikbesprechung bis zur abschließenden Bauherrenabnah-
me. Seit 2002 arbeitet der Maschinenbautechniker aus dem Münster-
land für ThyssenKrupp Elevator. Er hat schon viele Projekte betreut, hat
in Walldorf einen Softwarehersteller, in Mannheim ein Bekleidungshaus
und in Essen ein Einkaufszentrum mit Aufzügen und Fahrtreppen aus-
gestattet. Diesmal ist Nageldick für 22
Aufzüge zuständig – und außerdem
für drei Fahrtreppen, einen Plattform-
lift sowie drei Scherenhebebühnen.
Knapp 30 Anlagen insgesamt. Eine
solche Materialmenge transportiert niemand im Handumdrehen. „Es
sind 50 bis 60 Anlieferungen notwendig“, schätzt Jürgen Nageldick. Die
Baustellenlogistik stellt ihn vor große Herausforderungen. Einfahrts-
genehmigungen einho-
len, Mitarbeiterausweise
beschaffen – sonst dürfen
die Transporter die
Schranke nicht passieren.
Das verschlingt Zeit.
Außerdem gibt es auf der
Baustelle aufgrund der
Innenstadtlage kaum La-
gerfläche. „Da muss man
geschickt koordinieren“,
sagt der 38-Jährige.
Dabei unterstützt ihn ein
sogenannter Auftragsab-
wickler. Darüber hinaus
gehören unter anderem
eine Projektassistentin,
ein Montageleiter und
rund zehn Monteure zum
Team. Sie wirken im
Quartier an einer großen
technischen Herausforde-
rung mit. Im Verwaltungs-
gebäude Q1 – dem mit 16
Haltestellen höchsten Ge-
bäude – setzt ThyssenKrupp Elevator drei Panorama-Aufzüge ein. Zwei
dieser Anlagen bilden ein TWIN-System: „Die beiden Aufzugskabinen
fahren unabhängig voneinander im gleichen Schacht“, erläutert Nagel-
dick. So sparen die Bauherren Platz, die Passagiere Zeit. Jürgen Nagel-
dick hat allen Grund, stolz zu sein: „Das neue Quartier wird ein schöner
Arbeitsplatz. Ich freue mich auf den Campus.“ 7
Auf die eine oder andere Weise hat der Quartier-bau insgesamt weit über 1.000 Mitarbeiterbeschäftigt. Wie ihr Baualltag aussah, haben uns drei von ihnen erzählt.
DIE MACHER
»Ich freue mich auf
den Campus.«
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
57Willi Döring Küchenchef
3 Willi Döring verkauft dienstags Hähnchen, donnerstags Erbsen-
suppe, freitags Pangasiusfilet. „Dienstag ist Geflügeltag, Donnerstag
ist Eintopftag, Freitag ist Fischtag“, sagt er. Freilich tischt Willi Döring in
seiner Imbissbude nicht nur ein Mittagsmenü auf. Sondern auch
Currywurst, Bockwurst und Krakauer Wurst. Wer auf seine Gesundheit
Wert legt, isst dazu noch ein Schälchen Krautsalat. Seit Mai 2008 be-
wirtet Willi Döring mit drei Kollegen die Bauarbeiter des ThyssenKrupp
Quartiers. In diesem Zeitraum haben sie ungefähr 20.000 Würstchen
über den Tresen geschoben.
Maurer, Elektriker, Schweißer –
sie alle stärken sich an den Steh-
tischen oder auf den Holzbän-
ken. Die Speisekarte hat Willi
Döring in drei Sprachen ausgehängt: auf Deutsch, Polnisch und Tür-
kisch. Aus Deutschland, Polen und der Türkei stammen die meisten
Bauarbeiter. Doch Willi Döring hört auch viel Portugiesisch und Italie-
nisch, Rumänisch und Bulgarisch. Männer aus rund 20 verschiedenen
Nationen arbeiteten auf der Baustelle, schätzt er. Der gelernte Koch will
allen Geschmacksvorlieben gerecht werden. Wer kein Schweinefleisch
essen darf, kann etwa zwischen Rinderhacksteak, Geflügelfrikadelle
und Fischfilet wählen. Morgens um acht sperrt Willi Döring die Imbiss-
bude auf, damit sich die erste Schicht mit heißem Kaffee und belegten
Brötchen versorgen kann. Um 15.30 Uhr ist eigentlich Schluss. Doch
während er die Wärmeplatte schrubbt, bekommen Nachzügler gerne
noch ein Schweineschnitzel. Willi Döring – 55 Jahre alt, seit 34 Jahren
bei ThyssenKrupp – hat keinen weiten Nachhauseweg: Er wohnt zwei
Kilometer entfernt. So kann er auch in seiner Freizeit bisweilen über das
Gelände streifen, um sich die Bauarbeiten anzugucken. „So etwas sieht
man schließlich nicht alle Tage!“, sagt er. „Die Betonfahrzeuge! Die
Stahlträger! Und dann auch noch die hohen Kräne!“ 7
Georg Lummel Spenglermeister
3 Wenn irgendwo Fassaden
im Sonnenlicht glänzen, sich
auch ungewöhnliche Formen
mit Titan, Edelstahl oder
Feinblechen schmücken, dann
hatte womöglich Georg Lum-
mel seine Hände im Spiel.
So auch beim Gebäude Q1
und dem Forumgebäude des
ThyssenKrupp Quartiers: Der
Spenglermeister war mit sei-
nem Unternehmen, der Lum-
mel GmbH & Co. KG aus
Karlstadt am Main, dafür ver-
antwortlich, die hochwertigen
Stahlbleche anzubringen, die
mit ihrem an Champagner er-
innernden Farbton wesentlich zum äußeren Erscheinungsbild der
Gebäude beitragen. Das war nicht das erste Mal, dass Georg Lummel
mit ThyssenKrupp zusammenarbeitet: Die spektakulären Edelstahlfas-
saden der Bauten von Frank O. Gehry im Düsseldorfer „Neuen Zollhof“
oder im Eingangsbereich
des neuen Porsche-Mu-
seums in Stuttgart hat das
renommierte Unternehmen
ebenfalls angebracht. Doch,
so sagt Lummel, „jedes
Objekt ist einzigartig. Beim
ThyssenKrupp Quartier war
eine Herausforderung bei-
spielsweise, dass jedes Feinblech sich einzeln herausnehmen lassen
muss, falls ein Schaden auftritt.“ Kompliziert war auch die Abstimmung
der Beteiligten untereinander, wie Lummel erzählt: „Teilweise treffen
sich im Gebäude vier unterschiedliche Fassadentypen an einer Stelle.
Das bedeutet: Die beteiligten Fassadenbauer müssen gleich gut und
genau arbeiten, damit sich alle mit einer Abweichung von maximal zehn
Millimetern am festgelegten Ort treffen.“ Mit dem Ergebnis ist Georg
Lummel sehr zufrieden. „Ich hätte vorher nicht gedacht, dass die Fein-
bleche so gut aussehen können, denn für solche Fassaden nimmt man
sonst eher Aluminium.“ Doch, so sagt er selbstbewusst, „wenn man es
richtig macht, ist das Material auch für repräsentative Gebäude sehr gut
geeignet.“ Teilweise haben bis zu 16 Mitarbeiter seines Unternehmens
an den Fassaden gearbeitet. Nun ist Lummel froh, dass die Arbeiten so
gut wie abgeschlossen sind. Denn anstrengend war das Projekt schon,
meint er. „Das ist eigentlich fast immer so: Während man baut, ist es
auch mal nervenzehrend. Aber hinterher ist man stolz und freut sich
über das gute Feedback.“ 7
»So etwas sieht man
nicht alle Tage!«
»Ich hätte vorher
nicht gedacht, dass
die Feinbleche so
gut aussehen können.«
Dadurch erscheinen die Lamellen je nach Blickwinkel und Lichtein-
fall matt oder glänzend – und lenken das einfallende Licht so nach
innen, dass es in den Büros auch bei geschlossenem Sonnen-
schutz hell genug ist.
Die Herstellung des neuartigen Sonnenschutzsystems war an-
spruchsvoll. Nach der Bearbeitung der Metallstreifen durch Thys-
senKrupp Umformtechnik montierte eine Spezialfirma aus Südtirol
je 116 bis 160 Lamellen auf den Achsen zu elektronisch angetrie-
benen Lamellenpaketen. Dabei kam es darauf an, dass die Lamel-
len in der Mittelachse beweglich bleiben und exakt auf die Signale
des elektrischen Antriebs reagieren. Der ist clever programmiert:
Die Steuerung kennt nicht nur den jahreszeitlichen Sonnenstand,
sondern weiß dank der Daten aus einer Wetterstation auf dem
Dach des neuen Hauptgebäudes auch, wie das Wetter gerade ist –
Voraussetzung, um einen rundum guten Sonnenschutz zu gewähr-
leisten. Ein weiteres Plus: Auch wenn die Lamellen vor der Fassa-
de sitzen, können die Mitarbeiter jederzeit die Fenster öffnen. Nur
eine schützende Hand vor dem Licht der Sonne, die brauchen sie
nun nicht mehr. 7
3 Die besten Ideen kommen
häufig wie von allein. Ein Bei-
spiel hierfür ist das Sonnen-
schutzsystem für die neue Haupt-
verwaltung. Der Anstoß für die
innovative Lösung kam auf einer
gemeinsamen Sitzung mit dem
Pariser Architekturbüro Chaix &
Morel et associés und dem Kölner
Büro JSWD Architekten. Als
die Sonne in den Sitzungsraum
schien, hielten sich die Teil-
nehmer automatisch eine Hand
waagerecht über die Augen, um
sich vor dem Licht zu schützen.
Und genau so funktioniert auch
der Sonnenschutz in Essen: Auf
einer vertikalen Mittelachse sitzen links und rechts gut 7 Zentime-
ter lange und 2 Millimeter dünne Edelstahllamellen – sie sind quasi
die vor der Sonne schützende Hand. Die Achse kann
rotieren und so die Lamellen stufenlos am Sonnenstand ausrich-
ten. Hinzu kommt ein weiterer Clou: Um den Sonnenschutz bei
Bedarf vollständig zu öffnen, lassen sich die Lamellen nach vorne
zusammenfahren.
Dieses speziell angefertigte Sonnenschutzsystem bildet die
optische Visitenkarte des Gebäudes. Denn die insgesamt rund
400.000 Lamellen geben dem Bau ein Gesicht, das sich je nach
Sonneneinfall wandelt – an sonnigen Tagen im Hochsommer oder
bei Sturm ist die Fassade zum Beispiel komplett geschlossen und
leuchtet silbrig, während sie an bedeckten Tagen den Blick auf die
Glasfassade darunter freigibt. Die von ThyssenKrupp Nirosta aus
einem Chrom-Nickel-Molybdän-Edelstahl gefertigten Elemente
wurden auf einer Seite geschliffen, auf der anderen Seite gestrahlt.
Glänzende IdeeDas Sonnenschutzsystem gibt dem Hauptgebäude sein Gesicht – und ist eine weltweit einzigartige Lösung.
58
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Produkte von ThyssenKrupp – von Aufzügen und Fahrtreppen bis zu Werkstoffen wie Edelstahl oderTitan – finden sich in vielen Gebäuden dieser Welt. Dass deshalb auch im ThyssenKrupp Quartierbesonderer Wert darauf gelegt wurde, im Neubau die eigene Innovationskraft und technische Kompe-tenz unter Beweis zu stellen, versteht sich da von selbst.
AUF EIGENE STÄRKEN BAUEN
quartier_materialien
88
Es muss nicht immer Aluminium seinFür eine repräsentative Fassade lässt sich auch Feinblech einsetzen – wenn es entsprechende Eigenschaften mitbringt.
59
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
3 Im allgemeinen Sprachgebrauch galt
Blech bislang nicht eben als besonders
hochwertig – das Wort „Blechkarosse“ ist
noch eines der freundlicheren Beispiele
hierfür. Aber: Wie man sich doch täuschen
kann! Denn die in einem Champagnerton
edel schimmernden Metallelemente an
den Gebäuden des ThyssenKrupp Quar-
tiers und im Inneren des im Mittelpunkt
stehenden zentralen Q1-Gebäudes beste-
hen aus nichts anderem als: Stahlblech.
Zugegebenermaßen aber nicht aus irgend-
einem Stahlblech, sondern aus einem
im Coil-Coating-Verfahren organisch be-
schichteten hochwertigen Feinblech. Bis-
lang waren derartige Stahlbleche im
Wesentlichen für die Fassaden klassischer
Industriehallen und Bürogebäude gedacht,
bei denen es auf die Funktionalität ankam.
Speziell bei ThyssenKrupp werden diese
Stahlbleche außerdem ökologischen Krite-
rien gerecht und können durch die Farbge-
Hinzu kommt, dass das beschriebene Fein-
blech mit 0,8 bis 1,2 Millimetern Dicke
deutlich dünner und dadurch kostengün-
stiger ist als ein vergleichbares Fassaden-
element aus Aluminium (in der Regel min-
destens 3 Millimeter). Fassaden aus
oberflächenveredeltem Feinblech sind also
günstig und zugleich edel. 7
staltung der Umgebung attraktiv ange-
passt und eingesetzt werden. Doch das
hier verwendete schmelztauchveredelte
Feinblech eröffnet völlig neue Anwen-
dungsmöglichkeiten. Es lässt sich nicht nur
hervorragend umformen, schweißen und
lackieren, sondern genügt auch allen
Ansprüchen an eine repräsentative und
deutlich wahrnehmbare Farbanmutung.
Denn die im neuen ThyssenKrupp Quartier
bis zu 3 Meter langen und bis zu 67 Zenti-
meter breiten, abgekanteten Stahlpaneele
sind wind-, wetter- und lichtbeständig, zu-
gleich sind ihre Oberflächen besonders
eben. Innovativ ist auch der Herstellungs-
prozess. Hierbei wird dem schmelztauch-
veredelten Feinblech in der Zinkschmelze 1
Prozent Magnesium beigefügt. Dadurch
kann die Schichtdicke auf dem Blech – bei
noch besserem Korrosionsschutz – dünner
ausfallen, so dass der wertvolle Rohstoff
Zink sparsamer verwendet werden kann.
Kostengünstig und edel: die Feinblechfassadedes neuen ThyssenKrupp Quartiers
Grüner aufwärtsfahrenAufzüge und Fahrtreppen im Quartier sind von ThyssenKrupp und besonders umweltfreundlich.
3 Umweltgerechte Aufzüge? Höchstens
der Strom für den Antrieb, der kann aus er-
neuerbaren Energien stammen, glauben
die meisten. Doch die Aufzüge im Thys-
senKrupp Quartier – die selbstverständlich
ebenso wie die Fahrtreppen von Thyssen
Krupp stammen – weisen gleich eine
ganze Reihe von Besonderheiten auf, die
dem Anspruch des Konzerns an nach-
haltiges Bauen gerecht werden. So wan-
deln die sechs Aufzüge im Q1-Gebäude die
Energie, die beim Abbremsen der Kabinen
entsteht, in elektrische Energie um und
speisen diese wieder ins Stromnetz ein.
Darunter befinden sich zwei besonders ef-
fiziente TWIN-Anlagen, bei denen zwei Ka-
binen übereinander und unabhängig von-
einander im selben Schacht fahren. Viele
der insgesamt 27 Anlagen setzen LED-
Leuchten ein, die ebenfalls viel Energie –
und damit CO2-Ausstoß – einsparen und
zudem eine deutlich längere Lebensdauer
als herkömmliche Glühbirnen haben.
Ein weiterer umweltfreundlicher Vorteil:
Fast alle Aufzugskabinen sind für die Fahrt
im Schacht mit einer speziellen Rollen-
führung ausgestattet. Dadurch sind keine
geölten Schienen nötig – und es landet
kein Öl im Schacht, das entsorgt werden
müsste. Die Fahrtreppen wiederum ver-
brauchen weniger Energie, weil sie sich
„intermittierend“ betreiben lassen – also
automatisch anhalten, wenn niemand sie
braucht. 7Aufzugsmontage im Quartier
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
60
quartier_nachhaltigkeit
er Gedanke des nachhaltigen Bauens wird immer popu-
lärer. Bei internationalen Großprojekten ist geradezu ein
Wettbewerb darum entbrannt, welches Gebäude am
ehesten modernen Energieeffizienzkriterien und ande-
ren Aspekten der Nachhaltigkeit gerecht wird. Auch viele
Immobilieninvestoren berücksichtigen das inzwischen
bei ihren Anlageentscheidungen. Kein Wunder also, dass
beim Bau des neuen ThyssenKrupp Quartiers das Thema Nachhaltig-
keit ebenfalls von Anfang an ganz oben auf der Agenda stand – schließ-
lich dokumentiert der Konzern so sein Engagement im Bereich der
Nachhaltigkeit und seine Umweltkompetenz und kann damit im globa-
len Wettbewerb punkten.
Wie aber lässt sich – angesichts eines nicht immer klar zu fassenden
Nachhaltigkeitsbegriffs – messen, ob ein Bau tatsächlich wichtige Maß-
stäbe der Nachhaltigkeit berücksichtigt? Orientierung bieten Zertifizie-
rungen, die weltweit zur Beurteilung der „grünen Bühnen“ der Unter-
nehmen vergeben werden. Eines der renommiertesten
Vorzertifikate hat ThyssenKrupp bereits im vergangenen
Jahr erhalten: Auf der internationalen Immobilienmesse
„Expo Real“ prämierte die Deutsche Gesellschaft für
Nachhaltiges Bauen (DGNB) das neue Quartier
allein aufgrund der Planung mit dem „Vorzertifikat in
Gold“ – eine „Absichtserklärung, den Bau nach Ab-
schluss aller Arbeiten mit dem ,endgültigen’ Zertifikat in
Gold auszeichnen zu lassen, sofern die von der DGNB
geforderten Nachhaltigkeitskriterien eingehalten wer-
den“, wie Gerhard Hoffmann, Geschäftsführer des Insti-
tuts für angewandte Energiesimulation und Facility
Management (ifes), erklärt. Er hat im Auftrag von Thys-
senKrupp das Gebäude auditiert und seine Ergebnisse an
die DGNB zur Prüfung übergeben. Neben der Ökobilanz
kam es dabei vor allem auch auf ökonomische, soziale und
DDas ThyssenKrupp Quartier wurde bereits vor Fertigstellung mit einem derrenommiertesten Zertifikate für nachhaltiges Bauen ausgezeichnet.
EINE „GRÜNE BÜHNE“
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
61
funktionale Gesichtspunkte an, wie etwa die Gesamtkosten für das
Projekt, den Bürokomfort für die Mitarbeiter oder die vielfältige
Nutzbarkeit des Gebäudes. „Sämtliche Säulen des modernen
Nachhaltigkeitsbegriffs werden damit abgedeckt“, erklärt
Hoffmann.
Rundum gutes Klima
Bemerkenswert ist beispielsweise der geringe Primärener-
gieverbrauch des neuen Quartiers: Das Gebäude unter-
schreitet die Vorgaben der Energieeinsparverordnung
2007 um 20 bis 30 Prozent, unter anderem dank einer
hohen Wärmerückgewinnung – der Energiegehalt der
Abluft wird genutzt, um die frische Zuluft zu temperie-
ren. Ein nachhaltiges Energie- und Klimakonzept
sorgt für die thermische Behaglichkeit. Ebenfalls
umwelt- und ressourcenschonend sind der Ein-
satz von Geothermie zur Kühlung und zur Vorheizung der Fußbodenhei-
zung im Atrium, schadstoffarme Baumaterialien, eine komfortable
Blend- und Sonnenschutztechnik sowie ein besonderes Wassertrenn-
system, bei dem unter anderem Regenwasser auf den Dächern der Ge-
bäude auf dem Campus gesammelt und vom Schmutzwasser getrennt
in den Teich des Krupp-Parks geleitet wird.
„Aufgrund der Vielzahl der Vorzüge und der optimalen Umsetzung der
Nachhaltigkeitskriterien stand es außer Frage, das Vorzertifikat in Gold
verliehen zu bekommen“, sagt Hoffmann. Das neue ThyssenKrupp
Quartier zählt somit zu den wenigen Bauten in Deutschland, die dieses
Gütesiegel erhalten haben. Und dessen Wert ist, so sagt Hoffmann,
nicht zu unterschätzen: „Das DGNB-Zertifikat besitzt im internationalen
Vergleich ein hohes Renommee, da es auch explizit den gesamten
Lebenszyklus eines Gebäudes inklusive eines späteren Rückbaus oder
Abrisses berücksichtigt.“ 7
TEXT: JAN VOOSEN
Viele Zertifikate – ein Ziel
Warum es gerade bei Gebäuden so wichtig ist, die Nachhal-
tigkeit im Blick zu behalten, macht eine Zahl deutlich: Sie
stehen für 40 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs. Im
Rahmen der Klimadiskussion hat daher das Thema Nach-
haltigkeit von Gebäuden erheblich an Bedeutung gewonnen,
was dazu geführt hat, dass die Bau- und Immobilienwirt-
schaft zahlreiche Zertifizierungssysteme nutzen kann, um die
Einhaltung nachhaltiger Prinzipien beim Bau und Betrieb von
Gebäuden zu dokumentieren. Das Zertifikat der Deutschen
Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) ist das erste in
Deutschland entwickelte Qualitätssiegel. Zu den weiteren
Zertifizierungssystemen zählen beispielsweise BREEAM (BRE
Environmental Assessment Method) aus Großbritannien oder
LEED (Leadership in Energy and Environmental Design)
aus den Vereinigten Staaten. Die Beurteilungsmaßstäbe sind
allerdings keineswegs einheitlich. So bewertet der US-ameri-
kanische Nachhaltigkeitsstandard LEED zwar die ökologi-
schen Aspekte, legt aber dafür im Gegensatz zum Gütesiegel
der DGNB parallel nicht auch noch größeren Wert auf die
ökonomischen und soziokulturellen Komponenten. Für den
Bauherrn empfiehlt es sich daher, im Vorfeld genau zu über-
prüfen, welches Gütesiegel welche Aspekte dokumentiert. 7
62
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
quartier_historie
Es wuchs und blühte, zerfiel und wird nun wiederentdeckt: das alte Werksgelände der KruppschenGussstahlfabrik in Essen. Wo heute das neue ThyssenKrupp Quartier entsteht, wird bereits seit 1818Firmengeschichte geschrieben.
o müssen versunkene Städte aussehen. Üppige Vegetati-
on überwuchert ein unüberschaubares Gelände. Verlas-
sene Straßen und Plätze verschwinden zunehmend unter
wild wachsenden Büschen. Kaskaden von Efeu und wildem
Wein bedecken Wälle und Mauern. Vereinzelt stehen
noch verwitterte Backsteingebäude mit blinden oder zer-
brochenen Fenstern. Anderswo sind von der ehemaligen
Bebauung nur noch Fundamente, Grundmauern und Fußböden zu
sehen. Schlanke Birkenstämme wachsen zwischen verrosteten Bahn-
schienen und Versorgungsleitungen. Aus den Rissen im Asphalt
sprießen Gräser und Halme, die den Boden beständig weiter aufreißen.
Wer im Jahr 2000 das historische Werksgelände der Firma Krupp in
Essen besuchen wollte, unternahm eine Reise ins Niemandsland. Trotz
der attraktiven Lage in unmittelbarer Nähe zur Essener Innenstadt –
deren Hochhäuser und das Rathaus in Sichtweite – lag das Gebiet fast
vollkommen brach. Dass hier einmal Menschen tätig waren, die Häuser
benutzt und die Schienen befahren wurden, lag offensichtlich viele
Jahrzehnte zurück. Die Dimensionen der Überbleibsel jedoch ließen er-
kennen, dass hier einst eine ganze Stadt gestanden hatte: die „Fabrik-
stadt“ der Kruppschen Gussstahlfabrik. Mehr als 100 Jahre lang, bis in
die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde hier die Geschichte der
Firma Krupp geschrieben.
Von einer Keimzelle …
Wie bei jeder Stadt beginnt auch das rasante Wachstum der Gussstahl-
fabrik mit einer Keimzelle: 1818 errichten der junge Unternehmer Fried-
rich Krupp und zwei Teilhaber eine neue Gussstahlanlage in Altendorf,
einer Gemeinde westlich des Ortes Essen. Zwei Jahre zuvor war es
S
DIE STADT IN DER
18
00
1810
1820
1830
1840
1850
1819 | Wie alles anfing: der neu erbaute Schmelzbau der Gussstahlfabrik Fried. Krupp in Essen. Das kleinereGebäude diente zunächst als Aufseherhaus, dann als Wohnhaus für die Familie Krupp.
1861 | Rasches Wachstum nach 1850: ein frühesVerwaltungsgebäude der Gussstahlfabrik mit„Uhrturm“
63
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
ihnen erstmals gelungen, hochwertigen Gussstahl herzustellen. Die
neue Produktionsstätte besteht aus wenigen Fachwerkgebäuden. Auch
ein Aufseherhaus gehört dazu, das der Familie später als Wohnhaus
dient und als Kruppsches Stammhaus bekannt wird. Die Gegend ist
eher ländlich, Felder umgeben die kleine Fabrik, und auch das nahe
Essen – im Jahr 2000 die größte Stadt im Ballungsraum Ruhrgebiet –
zählt zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 3.500 Einwohner.
Neben Firmengründer Friedrich Krupp erweist sich vor allem dessen
Sohn Alfred, der den Betrieb 1826 nach dem Tod des Vaters über-
nimmt, als äußerst geschäftstüchtig. Die kleine Firma wächst rasant,
besonders ab den 1850ern. In diese Zeit fallen für Krupp wichtige Ent-
wicklungsschritte, wie etwa die Erfindung des nahtlosen Eisenbahnrei-
fens 1853. Von 74 Mitarbeitern im Jahr 1848 vergrößert sich die Be-
legschaft im Essener Werk auf 30.000 Beschäftigte kurz vor der
Jahrhundertwende. Ebenso sprunghaft wächst auch das Werksgelän-
de. Neue Gebäude für Verwaltung und Produktion werden gebaut,
ebenso ein eigenes Verkehrsnetz mit Schienen und Straßen. Das kleine
Stammhaus verschwindet zunehmend inmitten immer neuer und
immer größerer Produktionsanlagen. Zwischen den Jahren 1861 und
1873 vergrößert sich die Gesamtfläche auf das Zwanzigfache, von 18
auf 360 Hektar. Zwei Jahre später ist allein die überdachte Fläche so
groß wie der Essener Stadtkern.
… zu einem Wald von Schornsteinen
Auf diese Weise wächst Krupp im Zuge der Industrialisierung zu einer
„Stadt in der Stadt“ heran, übrigens parallel zur Stadt Essen, die ihrer-
seits kurz vor der Jahrhundertwende ihren 100.000sten Einwohner
registriert. 1889 veröffentlicht Diedrich Baedeker seine Eindrücke von
STADT
1860
1870
1880
1890
19
00
1910
1910 | Ein Luftbild zeigt, wie gewaltig sich die Krupp-Werke ausgedehnt haben. Das neue ThyssenKrupp Quartier liegt genau im Zentrum dieser Aufnahme.
Um 1900 | Zwerg unterRiesen: das KruppscheStammhaus im Betriebs-gelände
3
64
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
einem Besuch der Fabrik in dem Buch Alfred Krupp und die Entwick-
lung der Gußstahlfabrik zu Essen: „Schon der Wald von Schornstei-
nen, die unaufhörlich Rauchwolken in die Atmosphäre senden, die Was-
serschächte und sonstigen Hochanlagen […] sagen uns, dass wir es
mit einem Werk von erstaunlichem räumlichem Umfange und von ganz
außergewöhnlicher Ausdehnung zu thun haben, einer wahren Fabrik-
Stadt.“ Baedeker verzeichnet auch statistische Angaben über das Werk:
44 Kilometer normalspurige und 29 Kilometer schmalspurige Werksei-
senbahn zählt er auf. Für die Produktion nennt er 1.195 Öfen, 286
Dampfkessel, 21 Walzenstraßen, 370 Dampfmaschinen, 92 Dampf-
hämmer, 361 Kräne und 1.724 Werkzeugmaschinen. Zudem gebe es
80 Kilometer Telegraphen- und 140 Kilometer Telefonleitungen sowie
werkseigene Wasserwerke und eine 64 Mann starke Berufsfeuerwehr.
Im Unterschied zu einer Stadt allerdings ist die Fabrik kein öffentlicher
Raum. Die Fabrikstadt trennt Altendorf, das 1901 in die Großstadt ein-
gemeindet wird, von der nahen Essener Innenstadt. Lediglich zwei
Querverbindungen, die Frohnhauser und die Altendorfer Straße, ver-
binden die beiden Stadtteile und können von Fußgängern, Straßenbahn
und Autos genutzt werden – rechts und links von Mauern umgeben.
Sogar mit dem werkseigenen Schienennetz gibt es keine Berührungs-
punkte: Es wird über zahlreiche Bücken geleitet, die die Straße über-
spannen.
Geheimnisvolles Leben und Treiben
Zwar bestimmt die Fabrik das Stadtbild, die Bürger sehen die Schorn-
steine, atmen den Rauch und hören den Lärm der Produktion, der
Dampfhämmer und der Geschütze, die hier nicht nur produziert, son-
dern auf dem werkseigenen Schießstand auch unmittelbar getestet
1920
1930
1940
1950
1960
1970
1950 | Folgen des Krieges: Ruinen in der Nähe der Krupp-Hauptverwaltung
1930 | Schaltstelle des Konzerns: dieHauptverwaltung an der Altendorfer Straße
1920 | Eine Industriekathedrale: Die Krupp-Maschinenbau-Halle 9 auf einem zeitgenössischen Gemälde von Otto Bollhagen
3
quartier_historie
65
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
werden. Doch was hinter den Mauern vorgeht, bleibt den Nicht-Kruppi-
anern verborgen. Sie können, so Diedrich Baedeker, lediglich „das
Geräusch des geheimnisvollen Lebens und Treibens, das hinter den
rauchgeschwärzten Mauern dort pulsiert“, wahrnehmen.
Eine Art Niemandsland mitten in einem urbanen, dichtbesiedelten
Raum – das bleibt das Krupp-Gelände auch dann, als es schon lange
nicht mehr für die Produktion genutzt wird. Die beiden Weltkriege
bringen der Firma ein wechselhaftes Geschick zwischen Wachstum und
Verlusten, Um- und Neubauten, „ziviler“ und Rüstungsproduktion. Letz-
tere macht die Firma im Zweiten Weltkrieg verstärkt zum Ziel alliierter
Bombardements. Nach Ende des Krieges ist etwa ein Drittel von 1,5 Mil-
lionen Quadratmetern bebauter Fläche vollständig zerstört, ein weiteres
Drittel in Teilen. Viele der noch funktionstüchtigen Anlagen werden
demontiert und als Reparationsleistungen ins Ausland gebracht.
Zwar siedeln sich in den fünfziger Jahren wieder Firmen auf dem alten
Betriebsgelände an. Der Großteil des Gebietes der alten Gussstahlfabrik
liegt seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges jedoch brach. Die verblei-
benden Bauwerke sind verwaist. Es gibt nur wenige Zwischennutzungen
oder neue Bauvorhaben, vorrangig an den Rändern des Geländes. Wild
wucherndes Grün erobert sich das Gebiet zurück. Menschen bleiben
dem Ort eher fern. Für viele ist das Gelände ein „blinder Fleck“ auf dem
Stadtplan, ein unzugänglicher, vielleicht vergessener Ort. Erst nach der
Jahrtausendwende gerät mit dem „Krupp-Gürtel“ die Idee einer syste-
matischen Neunutzung an die Öffentlichkeit. 2006 fällt der Beschluss
der ThyssenKrupp AG, hier das ThyssenKrupp Quartier zu errichten. Mit
seinem Campus-Konzept soll es aus der zunächst verbotenen und spä-
ter vergessenen Stadt ein neues, öffentliches Stück Essen machen. 7
TEXT: SARAH BAUTZ
1980
1990
20
00
2010
2020
2030
Um 2006 | Im Dornrös-chenschlaf: Das Geländewirkt wie ein Überresteiner vergangenen Zivili-sation.
2010 | Eine Vision wird Realität: Das neue Quartier steht.
»Bis 2006 ist dasGelände ein blinder
Fleck auf demStadtplan, ein
unzugänglicher,vielleicht
vergessener Ort.«
66
projekte_stadion
Leichte Bauelemente für anspruchsvolle ArchitekturMit seinen Kuppeln, die aus vie-
len kleinen, durch eine filigrane
Fachwerkkonstruktion verbunde-
nen Dreiecken bestehen, ahmt
das Anfang Mai 2010 einge-
weihte Melbourne Rectangular
Stadium Konstruktionsprinzipien
der Natur nach. Die australi-
schen Architekten Cox Architects
and Planners lehnten die äußere
Gestalt ihres als „bioframe“
bezeichneten Entwurfs an die
Gestalt der geodätischen Kup-
peln des amerikanischen Archi-
tekten Richard Buckminster
Fuller aus den vierziger Jahren
an. ThyssenKrupp lieferte mit
Hoesch isowand vario® ein spe-
zielles Stahl-Sandwichelement,
das auf rund 25.000 Quadrat-
metern Stadiondachfläche ver-
baut wurde und über erstklas-
sige Wärmedämmungseigen-
schaften bei geringem Eigen-
gewicht verfügt.
Die leichte Sandwichkonstruktion
des Daches ermöglicht es, die
mehr als 30.000 Zuschauerplät-
ze mit halb so hohem Material-
einsatz gegen Wind und Wetter
zu schützen wie bei einer kon-
ventionellen Konstruktion mit
einem sogenannten Kragdach.
Das geringe Eigengewicht war
wichtig, um die stützenfreie
Überwindung von Spannweiten
von bis zu sechs Metern zu
ermöglichen. Bei aller Leichtig-
keit kam es aber auch auf gute
Dämmungseigenschaften an,
damit es die Zuschauer auch bei
den heißen australischen Som-
mertemperaturen unter dem
Stadiondach aushalten. Den von
den Architekten ausgewählten
Farbton „whisper white“ hat
ThyssenKrupp Steel Europe mit
einer hochwertigen PVDF-Be-
schichtung (Polyvinylidenfluorid)
umgesetzt. Die Kunststoffschicht
ist 25 Mikrometer dick und sorgt
mit ihrer hohen chemischen
und thermischen Beständigkeit
dafür, dass die Oberfläche
Umwelteinflüssen und Sonnen-
einstrahlung dauerhaft und ohne
Qualitätsverluste standhält.
projekte_brücke
68
Flussüberquerung in der Schwebe„Schwebendes Floß“ nannten
Arch&More, die Architekten der
neuen Ybbsbrücke, ihren Ent-
wurf. Mit einem hängenden
Tragwerk, das bei Benutzung
leicht in Bewegung gerät, soll
die inmitten einer Naturland-
schaft in der niederösterreichi-
schen Region Mostviertel er-
richtete Brücke schon in ihrer
Gestaltung widerspiegeln, was
wir bei einer Brückenüberque-
rung spüren – das „sichere,
genießende und erholende Mo-
ment an den Ufern“ genauso
wie das „leichte, erhebende Mo-
ment während der Überquerung
der Brücke“.
Zwei markante, bei Dunkelheit
beleuchtete Uferrahmen bilden
für Fußgänger oder Radfahrer
das Tor zur Brücke. Die 13 Meter
hohen Durchgänge aus Stahl
ruhen auf Stahlbetonfundamen-
ten in der Größe von Wohnhäu-
sern und tragen eine filigrane,
auf Seilen hängende, drei Meter
breite Fahrbahn, die in 16 Me-
tern Höhe über den Fluss führt.
Dass die Brücke mit einer
Spannweite von 92 Metern so
schlank und elegant ausfallen
konnte, ist hier dem Einsatz der
zugleich leichten und belast-
baren Hoesch Additiv Decke®
zu verdanken. Das innovative
und besonders ressourcen-
sparende Bausystem aus dem
ThyssenKrupp Konzern wird an-
sonsten vor allem im Parkhaus-
und Geschossbau verwendet.
www.hoesch.at
70
projekte_aktuell
3 Farbigkeit erzeugt Stimmungen, ganz
ähnlich wie Musik. Diese Verwandtschaft
drückt sich schon darin aus, dass wir von
Farbtönen, Klangfarben oder auch Farb-
klängen sprechen. Der Einzelhandel nutzt
diesen emotionalen Einfluss von Farben,
um Wohlbefinden und Kauflust der Käufer
zu steigern, während in vielen Büroge-
bäuden helle Farbtöne für ein Offenheit
signalisierendes und kreativitätsfördern-
des Arbeitsumfeld sorgen. Als Pionier und
Experte auf diesem Gebiet hat der Farb-
designer Friedrich Ernst v. Garnier, der
Bauen mit dem Wesen der FarbeBlautönen gehalten. „Das Wichtigste ist,
mit dem Wesen der Farbe zu bauen“, sagt
v. Garnier, der dafür das Konzept der
„Organischen Farbigkeit“ entwickelt hat:
Ebenso wie in der Natur sorgen demzu-
folge erst mehrtönige Farbklänge statt
monochromer Flächen für unser Wohl-
befinden. So lassen sich mit farbigen
Stahlteilen beispielsweise auch klotzige
Industriebauten sanft in ihre Umgebung
einpassen. In den vergangenen Jahren
hat v. Garnier etwa 20 Kollektionen von
Bauten-Farbigkeiten entworfen und ist
unter anderem zweimal mit dem Europäi-
schen Stahlbaupreis ausgezeichnet wor-
den, außerdem mit dem Deutschen Fas-
sadenpreis und dem chinesischen „Luban
2004“, dem renommiertesten Architektur-
preis für Industriebauten in China. 7
diese Profession vor 40 Jahren ins Leben
rief, bereits viele trostlose Plattenbauten
in Ostdeutschland freundlicher gestaltet.
Seine Spezialität aber sind Industriean-
lagen. Seit vielen Jahren tragen seine
Farben dazu bei, die Arbeitsatmosphäre
in den Werken von ThyssenKrupp zu ver-
bessern – und schaffen so eine Umge-
bung, in der die Mitarbeiter lieber (und
besser) arbeiten. Zuletzt gestaltete v.
Garnier die Farbgebung des neuen Stahl-
walzwerks in Alabama. Dort sind die Hal-
len vor allem in Rot und verschiedenen
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
„Blau, Grün und Braun spie-geln die Farben des Himmelsund der Erde wider und ver-helfen selbst großvolumigenIndustriebauten wie Produk-tionshallen zu harmonischen Erscheinungsbildern.“ Friedrich Ernst v. Garnier
»Farbe ist Licht. Licht ist Wärme. Wärme ist Energie.Energie ist Leben. Leben ist Farbe.« Friedrich Ernst v. Garnier
71
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Futuristisch parken in Lusail City
MyZeil Frankfurt am Main: die höchste Fahrtreppe in einem deutschen Einkaufszentrum
3 Seit Februar 2009 rühmt sich die
in die Jahre gekommene Einkaufs-
meile der deutschen Finanzmetropole
Frankfurt am Main einer „neuen
Shoppingdimension“: MyZeil, Proto-
typ der städtischen Einkaufsgalerie
neuester Prägung, zieht die Passan-
ten schon von außen in den Bann.
Einem schwarzen Loch ähnelnd, öff-
net sich ein riesiger Trichter in der
gläsernen Fassade und gibt den Blick
in den Himmel frei. Innen setzt sich
der furiose Eindruck fort: Der gläser-
ne Trichter aus der Fassade wird
hier zum Himmel. Mit vielschichtigen
Ebenen, einer spannungsreichen
Linienführung und ungewohnten
Perspektiven hat der italienische Ar-
chitekt Massimiliano Fuksas ein un-
gewöhnliches Raumerlebnis geschaf-
fen. Auch ThyssenKrupp Elevator hat
mit der Fertigung und Montage der
höchsten Fahrtreppe in einem deut-
schen Einkaufszentrum einen wichti-
Vielschichtiges Shoppingerlebnisgen Designbeitrag geleistet: Im Sog
des Trichters bringt die 47 Meter
hohe Anlage die Besucher vom Erd-
geschoss direkt in den vierten Stock.
Hier öffnet sich der Blick auf die
Frankfurter Skyline und – über die
Brüstung nach unten – auf das ge-
schäftige Treiben von einem Dutzend
Fahrtreppen, die unablässig Men-
schenströme kreuz und quer nach
oben und unten transportieren. Für
das neben MyZeil aus drei weiteren
Gebäudeteilen bestehende Baupro-
jekt „PalaisQuartier“ liefert Thyssen
Krupp Elevator insgesamt 28 Fahr-
treppen sowie 48 Aufzüge, darunter
den weltweit 100. TWIN. Zusammen
mit sieben herkömmlichen Aufzügen
und der gemeinsamen Zielauswahl-
steuerung sorgt der TWIN mit seinen
zwei Kabinen in einem Schacht dafür,
dass die Hotelgäste ohne Wartezeiten
zu ihren Zimmern und Suiten im 96
Meter hohen Hotelturm gelangen. 7
3 Wo einst nur Sand war, soweit man sehen
konnte, entstehen heute einige der spannendsten
städtebaulichen Projekte unserer Zeit. Manche,
wie die Ökostadt Masdar in Abu Dhabi, sind noch
Vision, andere, wie Lusail City in Qatar, stehen kurz
vor der Fertigstellung. Die neue Küstenstadt Lusail
wächst derzeit im Nordosten Dohas, der Hauptstadt
von Qatar, aus einer bislang kaum bebauten Wüs-
tenfläche empor. Auf dem rund 35 Quadratkilome-
ter großen Areal sollen einmal 200.000 Menschen
leben, arbeiten und ihren Urlaub verbringen. An-
ders als bei der weiter südlich bereits realisierten
künstlichen Insel The Pearl wird Lusail aus dem
natürlich gewachsenen Küstenabschnitt heraus-
modelliert, Wasserflächen und Kanäle dabei vom
Meer her ausgegraben. Ziel der Planer der Retor-
tenstadt war eine ausgewogene und bedarfsge-
rechte Unterbringung der wichtigsten städtischen
Funktionen. Neben Verwaltung, Einzelhandel, Frei-
zeit- und Bildungseinrichtungen, Erholungsflächen,
Freizeithäfen und wassernahen Luxushotels entste-
hen Wohnquartiere auf vorwiegend niedrig bebau-
ten, begrünten Flächen. ThyssenKrupp unterstützt
die Mobilität in der Planstadt mit insgesamt 124
Förderanlagen in vier zentralen Parkhäusern, die
an das Metro-System der Stadt angebunden sind.
Pro Parkhaus werden drei Panorama-Aufzüge und
ein Feuerwehraufzug, 16 Fahrtreppen sowie jeweils
neun beziehungsweise sechs Fahrsteige geliefert. 7
Viel Bewegungin der Wüste
72
projekte_aktuell
Historische Bausubstanz mit modernsten Funktionalitäten inder Dresdner „Zeitenströmung“
Grüner geht’s nicht
Kaserne erbauten Liegenschaft zuständig.
Insgesamt mussten 400 Quadratmeter
Dachfläche, 300 Quadratmeter Innenwän-
de und ebenso viele Quadratmeter Holz-
balkendecken rückgebaut und entsorgt
werden. Stehen blieben nur die Außenhül-
le, der massive Treppenhauskern sowie
zwei gusseiserne Säulen mit gemauerten
Bögen, die als historische Bausubstanz
erhalten bleiben sollten. Grundlage für
die Instandsetzung war die von den
Xervon-Ingenieuren entwickelte und auf
die spätere Nutzung als Räumlichkeiten
für ein exklusives Fitnessstudio, eine
Werkswohnung und Büroräume abge-
stimmte Ausführungsplanung. Auf Basis
der Genehmigungsplanung haben die
Sanierungsexperten die komplette Fein-
planung für die Bereiche Medienführung,
Heizung, Sanitär und Elektro erarbeitet
und auch die statische Berechnung der
Umbaumaßnahme organisiert. Nach nur
sechsmonatiger Sanierung war das Werk
vollendet – mit dem äußeren Charme
der Vergangenheit und neuen inneren
Werten. 7 www.zeitenstroemung.de
3 In Singapur entsteht mit Solaris der „Businesspark der Zukunft“, ein Gebäude, das – so der O-Ton der Architekten
– „die erholsame Wirkung des Tageslichts, der natürlichen Belüftung und einer gedeihenden Flora und Fauna ins Arbeits-
umfeld bringt“. Fauna? Ja, tatsächlich. Auf 8.000 Quadratmetern durchgängig begrünter Fläche soll sich eine
vielfältige Pflanzenwelt mit allen dazugehörigen Mikroorganismen frei entfalten dürfen. Rund um die zwei Gebäude-
komplexe, die durch ein großes, natürlich belüftetes Atrium verbunden sind, schlängeln sich 3 Meter breite Land-
schaftsterrassen spiralförmig entlang der Außenfassade nach oben. Auf 1,5 Kilometer Länge verbinden diese
den ebenerdigen one-north Park mit den kaskadenförmig angelegten Dachgärten. Aber auch von innen ist
hier alles grüner als sonst: Der Energieverbrauch des mit dem höchsten Umweltsiegel
der Stadt Singapur ausgezeichneten Gebäudes wird um 36 Prozent unter dem ver-
gleichbarer bestehender Bürogebäude liegen. Entsprechend wichtig war
es, dass auch die von ThyssenKrupp gelieferten 16 Aufzüge den hohen
Umweltansprüchen genügen. Eine intelligente Software versetzt die
Steuerung und Kabinenbeleuchtung in den energiesparenden Stand-by-
Modus, sobald die Aufzüge eine bestimmte Zeit nicht benutzt werden. 7
Außen alt, innen neu3 „Arbeitsraum, Lebensraum, Erlebens-
raum“ lautet das Motto des Projektes
„Zeitenströmung“ in Dresden. Auf 60.000
Quadratmetern ist hier der „größte Treff-
punkt für Oldtimerliebhaber, Kunst- und
Kulturbegeisterte in Sachsen“ errichtet
worden. Auf dem Gelände der ehemaligen
Strömungsmaschinenwerke werden jetzt
Serviceleistungen rund um das Automobil
angeboten, ergänzt durch ein umfangrei-
ches Gastronomie- und Freizeitangebot,
die Probebühnen des Staatsschauspiels
Dresden sowie Büroräume. Direkt beteiligt
an der erfolgreichen Wiederbelebung des
seit 1995 weitgehend brachliegenden
Fabrikgeländes war ThyssenKrupp
Xervon. Die ThyssenKrupp Tochter war für
die Entkernung und den denkmalgerech-
ten Neuaufbau eines dreigeschossigen
Gebäudekomplexes der Ende 1800 als
Landschaft mitten in der Großstadt:„Solaris“ Singapur
3 „Ein Geschenk an die Essener Bürger,
ganz im Sinne Alfried Krupps“, nannte
Berthold Beitz, der Kuratoriumsvorsitzen-
de der Alfried Krupp von Bohlen und
Halbach-Stiftung, das größte Einzelpro-
jekt, das die Krupp-Stiftung je getragen
hat: den Neubau des Museum Folkwang
in Essen. Der nach dem Entwurf von
David Chipperfield Architects, Berlin/Lon-
don, errichtete und von der Krupp-Stif-
tung als alleiniger Förderin mit 55 Millio-
nen Euro finanzierte Neubau wurde in nur
23 Monaten Bauzeit errichtet. Rechtzeitig
zum Beginn des Kulturhauptstadtjahres
Ruhr.2010 öffnete das in neuem Glanz
erstrahlende Museum im Januar 2010
seine Türen.
Chipperfields Neubau ergänzt den denk-
malgeschützten Altbau von 1960 und
erweitert die Ausstellungsfläche des Mu-
„Das schönste Museum der Welt“seums auf rund 7.000 Quadratmeter.
Helle Räume, klare Wege, großzügige
Sichtachsen – im neuen Museum Folk-
wang kommen die Werke der eindrucks-
vollen Sammlung in lichten Räumen zur
Geltung, Räumen, die zur Begegnung
mit Kunst, aber auch zur Diskussion und
zum gesellschaftlichen Austausch einla-
den. „Das Museum Folkwang mit seinen
sozialen und kulturellen Ambitionen wird
ein leicht zugänglicher, öffentlicher Ort in
der Stadt sein. Die Architektur bildet einen
ruhigen Hintergrund für die Sammlungen.
Atmosphärisch dominieren Licht und
Offenheit, aber auch Konzentration“,
erläuterte Chipperfield seinen Entwurf.
„Das schönste Museum der Welt“ heißt
die erste große Sonderausstellung im
Neubau, für die erstmals seit mehr als
70 Jahren Meisterwerke des Museum
Folkwang wieder vereint und die spekta-
kuläre Sammlung aus der Zeit vor 1933
rekonstruiert wurden. In den zwanziger
und frühen dreißiger Jahren gehörte das
Museum Folkwang zu den bedeutendsten
Sammlungen moderner und zeitgenössi-
scher Kunst weltweit. Paul J. Sachs,
Mitbegründer des MoMA in New York,
soll es 1932 bei einem Besuch in Essen
„das schönste Museum der Welt“ ge-
nannt haben. Dass es wieder zu seinem
alten Ruhm zurückkehrt, dazu will zumin-
dest auch Chipperfield seinen Beitrag
geleistet haben: „Ein Museum um eine
bedeutende Sammlung herum zu bauen
ermutigt mich, Architektur als Werkzeug
zu verstehen und nicht als etwas, das sich
selbst genügt“, sagte er anlässlich der
Neueröffnung des Museums. 7
www.museum-folkwang.de
Begegnung im lichten Raum: der ArchitektDavid Chipperfield (links) und Prof. Dr. BertholdBeitz, Vorsitzender des Kuratoriums der AlfriedKrupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, in der neuen Ausstellungshalle des MuseumFolkwang
73
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
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rößtes privates Investitionsprojekt in Südamerika, zeit-
weise die größte private Baustelle in den USA: Allein
diese Tatsachen verdeutlichen die Dimension der beiden
amerikanischen Großprojekte von ThyssenKrupp. Durch
den Bau der Stahlhütte im brasilianischen Bundesstaat
Rio de Janeiro rückt der Konzern noch näher an Roh-
stoffe heran; die Errichtung des hochmodernen Werks
mit Walz- und Veredelungslinien bei Mobile (Alabama) stärkt seine Wett-
bewerbsposition in wichtigen Absatzmärkten.
Die Arbeiten am Standort in Brasilien sind nun sehr weit fortgeschritten.
Der Produktionsstart ist für das dritte Quartal 2010 geplant. Fünf Millio-
nen Tonnen Stahl pro Jahr sollen künftig von hier aus in Form hochwer-
tiger Brammen an das neue Werk in Alabama und zu den deutschen
Standorten von ThyssenKrupp geliefert werden. Dort wird der Stahl dann
weiterverarbeitet. Auf der Baustelle in der Bucht von Sepetiba waren
zeitweise bis zu 23.000 Menschen beschäftigt. In der Betriebsphase
werden direkt 3.500 neue Arbeitsplätze in der Stahlproduktion entstehen.
Hinzu kommt etwa die vierfache Zahl an Arbeitsplätzen, die in anderen
Branchen indirekt gesichert werden. Zudem sind durch die Investition
von ThyssenKrupp Ausbildungsstätten entstanden. Von der Industriali-
sierung wird diese sozial schwache Region also erheblich profitieren.
Wichtige Glieder in der globalen Wertschöpfungskette
Ausschlaggebend für die Wahl des Standorts waren insbesondere
Logistikvorteile: zum einen durch den direkten Zugang zum Atlantischen
Ozean, zum anderen durch die dort endende Eisenbahnlinie für den
Transport von Eisenerz. Die Erzlagerstätten im brasilianischen Bundes-
staat Minas Gerais liegen vergleichsweise nah und stellen eine Versor-
gung mit hoher Qualität sicher. Darüber hinaus gab das positive Umfeld
für die Rekrutierung von qualifiziertem Personal den Ausschlag für die
Standortwahl. Auf einer Fläche von 9 Quadratkilometern stehen nun
eine Kokerei, eine Sinteranlage, zwei Hochöfen, ein Oxygenstahlwerk
mit Stranggießanlagen, ein eigenes Kraftwerk und ein Hafen – ein kom-
plettes Hüttenwerk ist aus dem Nichts entstanden und wird bald eine
wichtige Rolle in der globalen Wertschöpfungskette von ThyssenKrupp
einnehmen.
GTK Magazin | 1 | 2010 | Juni
2010 startet ThyssenKrupp die beiden neuen Produktionsstätten in Brasilien und in den USA.Die Stahlhütte im brasilianischen Bundesstaat Rio de Janeiro und das Verarbeitungswerk beiMobile im US-Bundesstaat Alabama schaffenviele neue Arbeitsplätze – und stärken die Positionvon ThyssenKrupp in wichtigen Märkten.
AUFBRUCHIN AMERIKA
projekte_stahlwerke
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Das gilt auch für das neue Werk in Calvert bei Mobile in Alabama: Eben-
falls voraussichtlich ab dem dritten Quartal 2010 können hier in den auf
der „grünen Wiese“ errichteten Anlagen aus den brasilianischen Bram-
men Stahlbänder gewalzt werden. Hierzu stehen eine Warmbreitband-
straße, ein Kaltwalzwerk und Feuerbeschichtungslinien zur Verfügung.
Ein Teil des Warmbands wird zu Edelstahl-Flachprodukten weiterverar-
beitet. Das geschieht entweder in speziellen Anlagen am gleichen
Standort oder im Edelstahlwerk ThyssenKrupp Mexinox im mexikani-
schen San Luis Potosí. Die Fertigprodukte werden an Abnehmer in den
USA, Kanada und Mexiko geliefert – eine deutliche Stärkung der Posi-
tion von ThyssenKrupp in der nordamerikanischen Freihandelszone
NAFTA.
Für die Ansiedlung in Mobile sprach, dass das Werk nur wenige Kilo-
meter vom Hafen von Mobile am Golf von Mexiko entfernt liegt und sich
das mexikanische Edelstahlwerk von hier aus ebenfalls gut erreichen
lässt. Die in Brasilien produzierten Brammen können – nachdem sie an
einem eigens errichteten Terminal im Tiefseehafen von Mobile auf klei-
nere Schiffe umgeladen werden – über den Fluss Tombigbee auf dem
Wasserweg direkt bis zum neuen Standort geliefert werden.
Produktentwicklung im Fokus
Mit der Investition gibt ThyssenKrupp einen wichtigen Impuls für die
regionale Wirtschaft: Bis zu 2.700 direkte Jobs sollen durch das Werk
neu entstehen, mit mit vier Mal so vielen zusätzlichen indirekten Jobs
rechnet man bei Zulieferern, Hotels, Restaurants und vielen weiteren
Dienstleistern. Gut für Alabama, wo sich auch andere globale Konzerne
wie Degussa, Ciba, Hyundai und Honda niedergelassen haben. Den
Gouverneur von Alabama, Bob Riley, hat am meisten beeindruckt, wie
viel ThyssenKrupp in die Entwicklung neuer Produkte investiert. „Das
hat uns alle davon überzeugt, dass sich ein Konzern bei uns ansiedelt,
der in der Produktentwicklung immer führend sein wird“, so Riley. Der
indianische Name Alabama bedeutet übrigens manchen Forschern
zufolge in etwa „hier lebe ich“. Das gilt nun auch für ThyssenKrupp. 7
TEXT: ALEXANDER SCHNEIDER
Über den Golf von Mexiko ist das neue Verarbeitungswerk in Alabama in die globale Wertschöpfungskette von ThyssenKrupp eingebunden.
Das größte Investitionsprojekt in Südamerika: Ab Herbst 2010 sollen in der Bucht von Sepetiba in Brasilien rund 5 Millionen Tonnen Stahl pro Jahr produziert werden.
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
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perspektiven_stadt der zukunft
Die Zukunft der Menschheit liegt in den Städten. Aber was ist die Stadt der Zukunft? Wie lassen sich Fläche, Verkehr, Energie und Wohnqualität in wachsenden und schrumpfenden Städten sichern und verbessern?
MEGACITYS UND SCHRUMPFSTÄDTE
77
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
wachstum sorgte, wirken heute ganze Viertel wie die Kulisse für einen
Endzeitfilm. Tatsächlich liegt ein Drittel der gesamten Stadtfläche brach;
etwa 4.000 Bauten stehen leer, Straßenschilder rosten, und auf den
Bürgersteigen wächst Gras.
Der krasse Niedergang von Detroit infolge wirtschaftlicher Probleme
und sozialer Spannungen gilt Stadtplanern als Musterbeispiel für
„Shrinking Cities“. Wenn Städte aufgrund von Abwanderung und Be-
völkerungsrückgang schrumpfen, hat das natürlich nicht immer derart
drastische Folgen wie im Fall der ehemals prosperierenden Motor City.
uf YouTube gibt es ein Video, das aus einem fahrenden Auto
heraus aufgenommen ist. Drei lange Minuten sind verfallen-
de Wohnblocks, verlassene Einfamilienhäuser und Bau-
ruinen zu sehen. Nur wenige Menschen bevölkern die
trostlose Szenerie, die an Bilder aus Bürgerkriegsgebie-
ten erinnert. Doch das hier ist weder Grosny noch Bag-
dad, sondern Amerikas ehemalige Boomtown Detroit.
Wo noch bis Anfang der fünfziger Jahre die Produktion der Big Three –
Chrysler, Ford und General Motors – für ein anhaltendes Wirtschafts-
A3
78
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
perspektiven_stadt der zukunft
Gleichwohl wird das Phänomen weithin unterschätzt, nicht zuletzt,
weil in den urbanistischen Debatten der vergangenen Jahre das
Augenmerk vor allem auf das Wachstum der Megapolen gerichtet
war. Doch ob Russland oder China, Belgien oder Finnland: Überall
schrumpfen Städte. Deutschland bildet da keine Ausnahme. In
Ostdeutschland gibt es Gemeinden, schreiben die Autoren Jeremy
Gaines und Stefan Jäger in Ein Manifest für nachhaltige Stadtpla-
nung, „die so entvölkert sind, dass man dort einmal die Woche mit
Trinkwasser die Kanalisation spülen muss“. Bestes Beispiel ist
Dessau, das seit der Wende so stark schrumpft wie kaum eine an-
dere Kommune in unserem Land. Ganze Viertel wirken verlassen,
Gründerzeitfassaden bröckeln, Schulen und Geschäfte stehen leer.
In der Bauhaus-Stadt will man nun die leistungsfähigsten Quartie-
re als sogenannte „Stadtinseln“ zwischen gestalteten Land-
schaftszügen entwickeln. Ob das Konzept tragfähig ist, wird die
Zukunft zeigen. Lösungen sind jedenfalls dringend gefragt: Bereits
2020 wird jeder zweite Landkreis in Deutschland mit sinkenden
Einwohnerzahlen konfrontiert sein.
Dessen ungeachtet verschwinden hierzulande jährlich knapp 380
Quadratkilometer Landschaft unter Vorstädten und Straßen. Eine
paradoxe Situation, zumal sich die Bedingungen für ein Leben in
der Peripherie mit zunehmender Ressourcenknappheit grund-
legend ändern werden. Den vorhandenen Raum sinnvoll nutzen,
lautet die stadtplanerische Devise der Zukunft. „Europas Metropo-
len dürfen kein neues Land für ihre Weiterentwicklung verbrauchen
– sie verfügen bereits über genug Land, das nur regeneriert
werden muss“, konstatieren Jeremy Gaines und Stefan Jäger.
„Andernfalls werden sie nicht überleben.“
Balanceakt Stadtentwicklung
Völlig anders stellt sich die Situation in vielen Schwellenländern
dar. Allein in China werden – so das Greenpeace-Magazin – „bis
2030 rund 400 Millionen Menschen in Städte ziehen, genauer: in
mehr als 240 Großstädte, die es noch gar nicht gibt“. Laut UNO
werden im Jahr 2050 über 75 Prozent der Weltbevölkerung in
Metropolen leben. Die gigantischen Stadtkonglomerate, für die
man bei der UNO den Begriff Metacitys kreiert hat, werfen komple-
xe urbanistische Fragen auf: Wie sollen immer mehr Menschen auf
einer gleichbleibenden Fläche menschenwürdig leben? Welche
Auswirkungen haben unterschiedliche Bildungsstandards auf die
soziale Balance? Wie kann man ökonomische Stabilität und eine
hohe Umweltqualität erreichen? Vor allem aber: Wie lässt sich ver-
hindern, dass Städte ungebremst Ressourcen verschlingen und
auf Kosten ihres Umlands leben?
Klaus Töpfer, ehemaliger Leiter des UN-Umweltprogramms, spricht
in seinem Essay Der Chaosplanet von drei Säulen einer nachhal-
tigen Städteentwicklung: wirtschaftlicher und gesellschaftlicher
Stabilität sowie ökologischer Nachhaltigkeit. „Stadtentwicklungs-
politik, die die Funktion von Stadt schafft und erhält, ist ... auch
eine Friedenspolitik für die Zukunft“, schreibt Töpfer. „Wenn sie
nicht Arbeit, Entwicklung, sozialen Ausgleich und ökonomische
Stabilität ermöglicht, wird es eine friedliche Entwicklung auf unse-
rem Planeten nicht geben.“
Auch wenn sich die Megacitys in ihrem Erscheinungsbild zuneh-
mend gleichen – Fachleute sprechen von einer Globalisierung der
Stadtstrukturen –, so ist doch jede von ihnen ein eigener Kosmos
mit unverwechselbaren natürlichen und kulturellen Gegebenheiten.
Konzepte, die in Mexico City funktionieren, lassen sich nicht so ohne
Buchtipps zum Thema
The Endless City. The Urban Age Project
by the London School of Economics
and Deutsche Bank’s Alfred Herrhausen
Society. Phaidon. The Endless City prä-
sentiert die Forschungsergebnisse des
„Urban Age Project“, einer von der
London School of Economics und der
Alfred Herrhausen Gesellschaft der Deut-
schen Bank initiierten Untersuchung.
Der 500 Seiten starke Wälzer liefert einen
soliden Überblick über den aktuellen
Stand der klassischen Stadtentwicklungs-
politik.
Jeremy Gaines und Stefan Jäger: Albert
Speer & Partner. Ein Manifest für nach-
haltige Stadtplanung. Prestel. In einer
Zeit der globalen Erwärmung gewinnt die
Entwicklung eines ressourcenschonenden
Städtebaus an Bedeutung. Ausgehend
von den Projekten des Büros Albert Speer
& Partner, formulieren die beiden Autoren
Jeremy Gaines und Stefan Jäger ein zu-
kunftsweisendes Konzept für den umwelt-
verträglichen Städtebau.
Wiederkehr der Landschaft/Return of
Landscape. Das anlässlich einer Ausstel-
lung in der Berliner Akademie der Künste
erschienene Buch stellt Las Vegas und
Venedig in den Mittelpunkt – zwei sehr
verschiedene Städte, die eine Geschichte
von kluger Landschaftsnutzung und von
überheblicher Eroberung erzählen, von
zukunftsfähigen und von gescheiterten
Strategien der Stadtentwicklung. Nam-
hafte Autoren zeigen Möglichkeiten auf,
die Stadt des 21. Jahrhunderts aus der
Landschaft heraus zu entwickeln.
»Stadtentwicklungspolitik ist Friedenspolitik für dieZukunft.«
3
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
weiteres auf Jakarta anwenden – und umgekehrt. Vermutlich sind
die Hyperstädte des 21. Jahrhunderts ohnehin nicht mit zentraler
Planung in den Griff zu bekommen. Klaus Töpfer ist davon über-
zeugt, dass sich innerhalb der Megacitys dörfliche Funktionen bil-
den werden. Umgekehrt, so der Gründungsdirektor des Institute for
Advanced Sustainability Studies in Potsdam, müssten städtische
Funktionen im ländlichen Raum erfüllt werden, „wenn es uns ge-
lingen soll, den Zustrom von Menschen aus den ländlichen Regio-
nen in die Stadt abzubremsen“. Der hält unterdessen unverändert
an. In der Hoffnung auf ein besseres Leben strömen Jahr für Jahr
Millionen von Menschen in die Turbocitys Asiens und Afrikas.
Landwirtschaft in der Stadt
Die einzige Lösung für den durch Migrationsbewegungen und
Bevölkerungswachstum ausgelösten „Highspeed Urbanism“ heißt
Verdichtung; allein so lassen sich (Waren-)Wege verkürzen, Res-
sourcen schonen und Energie einsparen. Dem Bauen in die Höhe
sind dabei allerdings Grenzen gesetzt. Für „unwirtschaftlich und
überflüssig“ hält Albert Speer jr. Bauten von mehr als 400 Metern
Höhe, wie er in einem Interview die prestigeträchtige Jagd nach
immer neuen Höhenrekorden kommentierte. Vielmehr interessiert
den renommierten Architekten, der mit seinen Partnern Büros in
Frankfurt am Main und Shanghai unterhält, das Thema Nachhal-
tigkeit. Hinter dem zugegebenermaßen schwammigen Begriff ver-
birgt sich die Notwendigkeit, die Fähigkeit der Megacitys zur Selbst-
regeneration zu stärken. Denn der Missbrauch der Landschaft als
Verfügungsmasse des boomenden Städtebaus hat in der Vergan-
genheit Umweltprobleme von erheblichem Ausmaß hervorge-
bracht – globale Erwärmung, Wasserknappheit, Nahrungsmangel
und Artenverlust sind ja längst traurige Gewissheit. Die Städte von
morgen dürfen sich nicht weiter auf Kosten der Landschaft pro-
filieren, sondern müssen aus ihr heraus entwickelt werden. Ihre
Zukunftsfähigkeit hängt nicht zuletzt davon ab, ob fruchtbare
Böden im Umland vor Bebauung geschützt werden können. Das
United Nations Development Programme wirbt bereits seit Mitte
der neunziger Jahre für urbane Landwirtschaft.
Doch kann man tatsächlich einen Teil unserer Nahrungsproduktion
in die Großstadt verlagern – bereits existierende Modelle wie die
„Community Gardens“ in Chicago oder grüne Hinterhofidyllen in
Kreuzberg mal ausgenommen? Wenn es nach dem belgischen
Architekten Vincent Callebaut geht, zieht die Landwirtschaft dem-
nächst in den Wolkenkratzer ein. „Dragonfly“ nennt der Visionär
sein für New York City entwickeltes Projekt an der Südspitze von
Roosevelt Island. Seine „Metabolic Farm“ propagiert die Rückkehr
zur traditionellen Landwirtschaft in einem futuristisch anmutenden
Kontext.
An zwei Startrampen ähnelnden Türmen, in denen Menschen woh-
nen und arbeiten sollen, schließen sich zwei gigantische Flügel für
die landwirtschaftlichen Nutzflächen an. Auf übereinanderliegen-
den Etagen werden Tiere gehalten, um die Versorgung der
Bewohner mit Fleisch, Milch und Eiern zu garantieren. Sogar Acker-
land soll es geben, Reisfelder und Obstgärten. Windturbinen
erzeugen die nötige Energie; Hightechaußenhäute sorgen für die
Klimaregulation. Callebaut hat seinen grünen Riesen als autarkes
System konzipiert: als einen lebenden Organismus, in dem nicht
der kleinste Humuskrümel verlorengeht, sondern dem ewigen
Naturkreislauf zugeführt wird. Die Bewohner von Dragonfly produ-
zieren ihr eigenes Wasser; ihr Abfall ist biologisch abbaubar. Viel-
leicht tauschen sie ihre Erfahrungen als Big-Apple-Bauern ja eines
Tages mit den Leuten von Lilypad aus, jener schwimmenden Stadt,
die Callebaut als eine mögliche Antwort auf den drohenden Anstieg
des Meeresspiegels entworfen hat. Bilder davon gibt es übrigens
auf YouTube zu sehen. 7
TEXT: MARGIT UBER | ILLUSTRATIONEN: MARIO WAGNER
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KINDER SEHEN IHREUMWELT
perspektiven_lebenswelt
Was nehmen junge Menschen an ihrer Stadt wahr? Und wie sehen und beurteilen sie Architektur? Das ThyssenKrupp Magazin bat Schülerinnen und Schüler der neunten Jahrgangsstufe des GymnasiumsEssen-Werden, in ihrer Umgebung zu fotografieren und ihre Aufnahmen zu kommentieren.
„Die Essener Volkshochschule
auf dem Burgplatz leuchtet
nachts in kräftigen Farben, die
die Innenstadt aufhellen. Dieses
Bild mag ich besonders, weil
das Gebäude eher kompakt ist
und tagsüber nicht auffällt. Dann
ist es praktisch nur ein voller
Würfel aus Glas, so scheint es.
Sein wahres Gesicht zeigt es erst
nachts: Dann leuchtet es in bun-
ten Regenbogenfarben dem
Himmel entgegen und macht mit
seinem bunten Lichterspiel auf
sich aufmerksam.“
C Franziska Sieg
C
81
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
„Auf den ersten Blick sieht das Pressezentrum Messe-Essen
aus wie ein Schiff. Durch seine klaren Linien und seine
eigenartige Form und Bauweise sticht es auf alle Fälle aus
dem Stadtbild heraus.“
C Ante Schlesselmann
„Das Haus der Technik gegenüber dem Essener Hauptbahnhof
finde ich total beeindruckend, vor allem wegen des kuppelför-
migen Durchgangs. Durch seine Bauart wirkt es modern, durch
die Ziegelsteine gleichzeitig alt. Ich könnte es mir stundenlang
anschauen, so interessant finde ich es.“
C Annika Albertz
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perspektiven_lebenswelt
„Den Kirchturm der evangelischen Kirche in Werden sieht man genau so,
wenn man aus unseren Klassenfenstern herausschaut. Besonders
gut gefällt mir auch der Blick auf den Turm des Beatae Mariae Virginis
Gymnasiums.“
C Mirjam Otten
„‚Essen bewegt‘. Auch die Innenstadt wird derzeit erweitert – aber leidet sie darun-
ter? Neue Einkaufszentren prägen nun das Zentrum und lassen kleine Läden in
den Nebenstraßen (Bild oben) vergessen. ‚Essen macht Unmögliches möglich‘
– es werden neue Straßen und Wege errichtet (Bild unten). Wenn diese fertiggestellt
sind, werden sie wohl ihren Zweck erfüllen und die Straßen vom Verkehr entlasten
– obwohl im Moment noch das
genaue Gegenteil der Fall ist.“
C Lea Sophie Lange
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perspektiven_mobilität
Geht’s denn hier gar nicht weiter? Auch Harrison Ford als„Blade Runner“ muss mit Staus kämpfen. Immerhin: Dank feiner Technik kann er per Knopfdruck abheben undsolche Hindernisse im Los Angeles der Zukunft überfliegen.
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UNTERWEGS IM JAHR
2050In der Stadt der Zukunft werden wir mehr laufen und Fahrrad fahren. Denn, so fordern Verkehrsexperten,
wir müssen uns aus der Abhängigkeit vom Auto lösen, um die Städte lebenswerter zu machen.
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
perspektiven_mobilität
straßen sind autofrei, überall sind breite Fuß- und Radwege ange-
legt. Jede freie Fläche Land wird für die Landwirtschaft zur Ver-
fügung gestellt. Durch die stadtnahe Nahrungsmittelproduktion
sind die Transportwege kürzer. „Die Stadt der Zukunft ist auf die
Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten und nicht auf die der
Autos“, lautet die Prognose von Kenworthy, der in internationalen
Vergleichsstudien die Abhängigkeit der Städte vom Auto erforscht.
Dass sein Blick in die Zukunft sehr optimistisch ausfällt, darüber ist
sich der Wissenschaftler durchaus bewusst. Denn die Realität sieht
gegenwärtig noch völlig anders aus. In fast allen internationalen
Großstädten sorgen unzählige Pendler täglich für kilometerlange
Staus, für Lärm- und Luftverschmutzung. Viele Megacitys in Asien
und Südamerika stehen kurz vor dem Verkehrskollaps: Einige Be-
wohner von Mexiko-Stadt benötigen bis zu drei Stunden täglich,
nur um an ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Geschäftsleute im brasi-
lianischen São Paulo umgehen das Verkehrschaos, indem sie per
Hubschraubertaxi zu ihren Terminen fliegen. In asiatischen Groß-
städten verursacht ein Durcheinander von Fahrrädern, Rikschas,
Mopeds und immer mehr Autos ein alltägliches Chaos. Und auch
äume säumen eine breite Straße, auf der zahlreiche
Menschen mit ihren Fahrrädern oder zu Fuß unter-
wegs sind. Hier, im Zentrum der Metropole, ist lau-
tes Vogelgezwitscher und fröhlicher Kinderlärm zu
hören. Leise rauschen elektrisch betriebene Busse
und Straßenbahnen vorbei. Und auch auf der Fahr-
bahn für Elektroautos fließt der Verkehr. Es ist halb
neun Uhr vormittags an einem sonnigen Frühlingstag im Jahr
2050 – viele Berufspendler haben ihr Fahrrad mit in die Bahn
genommen, aber für die meisten ist der Weg zu ihrem Arbeitsplatz
ohnehin nicht weit, denn sie leben in der Nähe der Innenstadt.
Kreativ werden und umdenken
„Die Menschen in der Stadt der Zukunft werden das meiste zu Fuß
erledigen können“, sagt Jeff Kenworthy, Professor für Nach-
haltigen Städtebau an der Curtin University in Perth. Und, so die
Zukunftsvision des australischen Mobilitätsexperten, sie leben
gerne in der Metropole, denn sie bietet ihnen ein grünes und
lebenswertes Umfeld: Das Stadtzentrum und dessen Neben-
B
Das ist mal eine wirkliche Großstadt: Der Planet Coruscant in „Star Wars: Episode III – Die Rache der Sith“ ist eine einzige sogenannte „Makropole“. Am besten bewegt man sich in den Hochhausschluchten dieser Riesenstadt mit eleganten Gleitern fort.
»Die Stadt der Zukunft ist auf die Bedürfnisse der Menschen
zugeschnitten und nicht auf die der Autos.«
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
in den Metropolen Europas und der Vereinigten Staaten ist vielerorts
kaum noch ein Durchkommen möglich. Die Straßen stoßen an die
Grenzen ihrer Belastbarkeit, der CO2-Ausstoß ist beträchtlich, und
die Folgen – massive Luftverschmutzung und drohender Klima-
wandel – sind alarmierend. Eine Aussicht auf rasche Besserung ist
nicht in Sicht, denn in Zukunft wird sich das Verkehrsaufkommen in
den Schwellenländern noch vervielfachen.
Jeff Kenworthy gibt sich dennoch zuversichtlich. „Wir können
solche Probleme nicht in einer Woche erledigen, aber wir können
versuchen, das System in eine andere Richtung zu lenken“, zeigt
sich der Wissenschaftler überzeugt. Seit dem Zweiten Weltkrieg
habe man dem Auto mehr und mehr Bedeutung eingeräumt. Jetzt
gelte es, „kreativ zu werden und umzudenken“.
Was kommt nach dem Auto?
Mit dieser Meinung steht Kenworthy nicht alleine da. Verkehrsex-
perten weltweit plädieren dafür, die Abhängigkeit von der automo-
bilen Mobilität zu reduzieren. Die könnte ohnehin durch steigende
Ölpreise bald stark eingeschränkt werden. „Vieles deutet darauf
hin, dass wir bei der Erdölforderung auf eine Zielgerade zustreben,
an deren Ende wir uns überlegen müssen, womit wir in der Zukunft
fahren möchten“, sagt Michael Schreckenberg, Professor für Phy-
sik von Transport und Verkehr an der Universität Duisburg-Essen.
Wo dies möglich ist, sollen öffentliche Verkehrsmittel das Auto er-
setzen. Doch der Weg bis dorthin ist weit. In Städten wie Paris oder
New York platzen auch die öffentlichen Verkehrssysteme bereits
aus allen Nähten. Vollgestopfte Busse und Bahnen, mangelnder
Komfort sowie vielerorts lange Taktzeiten und schlechte Anschluss-
verbindungen führen dazu, dass sich weltweit viele Menschen lie-
ber in den täglichen Stau einreihen. „Der Nahverkehr muss attrak-
tiver werden“, fordert Kenworthy denn auch. Doch vielen
Großstädten fehlt das Geld, um die Infrastruktur auszubauen. In
den Schwellenländern sind die Probleme häufig hausgemacht: In
einigen Megacitys wie beispielsweise Bangkok gibt es so gut wie
gar keine Verkehrsplanung. „Es wird einfach gebaut nach den
Plänen derer, die das meiste Land oder das meiste Geld besitzen“,
so Kenworthy. In vielen Großstädten in Europa oder den USA hin-
gegen haben die Verfechter der automobilen Mobilität noch eine zu
starke Lobby, um ernsthaft Veränderung voranzutreiben, glaubt
Kenworthy.
Der Traum von Freiheit: Mit einem Landspeeder kann Luke Skywalker bei „Star Wars IV – Eine neue Hoffnung“ seine Umgebungerkunden. Verkehrsprobleme sind auf dem Wüstenplaneten Tatooine unbekannt.
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
perspektiven_mobilität
Doch es gibt auch positive Signale: So gehört das Metro-System in
der brasilianischen Millionenstadt São Paulo zu den modernsten
der Welt. Hier werden bis Ende 2010 über vier Jahre zusätzliche 20
Milliarden Real (etwa 8,5 Milliarden Euro) in die Weiterentwicklung
des öffentlichen Verkehrssystems geflossen sein. Auch das
U-Bahn-System im südkoreanischen Seoul ist vorbildlich – die
dortige Metro hat weltweit die beste Energieeffizienz.
Im Jahr 2050 werden die meisten öffentlichen Verkehrssysteme
wohl mit Strom betrieben werden. Und sie bieten ihren Gästen
größeren Komfort, so die Überzeugung der meisten Verkehrsex-
perten. „Im Jahr 2050 ist der öffentliche Verkehr nicht mehr das,
was er heute ist“, sagt zum Beispiel auch Manfred Boltze, Profes-
sor für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der Technischen
Universität Darmstadt. „Er wird weitaus komfortabler und an die
Bedürfnisse der Menschen angepasst sein.“ So würden vor allem
innovative Informationstechnologien dabei helfen, das Ticketing zu
vereinfachen und den Informationsfluss zu erhöhen. „Wenn ich im
Jahr 2050 mit der Bahn oder
dem Bus fahre, dann wird das
automatisch von meinem Mobil-
telefon erfasst“, stellt sich Boltze
die Zukunft vor. „Und am
Monatsende werden die Fahrt-
kosten automatisch vom Konto
abgebucht.“ Auch die unterschiedlichen Verkehrsmittel, so der
Wissenschaftler, werden wesentlich besser vernetzt und intelligen-
ter kombinierbar sein.
Mobil auf zwei Rädern
Auf Einschränkungen muss man sich dagegen beim motorisierten
Individualverkehr einstellen: „Die Mobilität der Zukunft wird von
unseren technischen Möglichkeiten abhängen“, sagt Michael
Schreckenberg. Aufgrund der relativ geringeren Fahrreichweite von
3
»Einfach ins Auto steigen und losfahren, ohne nachzudenken,
wird wahrscheinlich nicht mehr möglich sein.«
Dass sich hingegen am alltäglichen Irrsinn des Verkehrs auch künftig nicht viel ändern wird, das vermutet Luc Besson in „Das fünfte Element“ –und lässt dort Autos auf allen Ebenen durch die Straßen schweben, chaotische Verkehrsteilnehmer inklusive.
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Elektroautos werde es die uneingeschränkte Mobilität, wie wir sie
heute kennen, im Jahr 2050 vielleicht nicht mehr geben. „Wir wer-
den besser planen müssen als heute. Einfach ins Auto steigen und
losfahren, ohne nachzudenken, wird wahrscheinlich nicht mehr
möglich sein. Es sei denn, es gibt bis dahin Akkus, die kurze Lade-
zeiten haben und mit denen man 400 Kilometer weit kommt.“
Zudem sei es problematisch, Platz für die zahlreichen notwendigen
Aufladestationen vorzuhalten. „In Berlin haben mehr als 90 Pro-
zent aller Autos keine ,Heimat‘, das heißt, sie stehen auf der Straße
und nicht in einer Garage oder auf einem Grundstück.“
Dass der gute alte „Drahtesel“ in Zukunft eine echte Renaissance
erleben wird – auch darüber herrscht Einigkeit. Schon heute arbei-
ten zahlreiche Regierungen daran, ihre Städte fahrrad- und
fußgängerfreundlicher zu machen. In New York wurden bereits
etliche Straßen zurückgebaut, um Platz für Radwege zu machen.
Langfristig soll hier ein 3.000 Kilometer langes Fahrradwegenetz
entstehen. Ziel ist, Amerikas umweltfreundlichste Stadt zu werden.
Aber auch andere amerikanische Städte ziehen nach: In Chicago
gibt es bereits beheizte Parkhäuser für Fahrräder, die den Radlern
darüber hinaus Duschmöglichkeiten und Werkstätten bieten. Auch
in Europa spielt das Fahrrad in Mobilitätskonzepten eine größere
Rolle als noch vor wenigen Jahren. So wurde in Kopenhagen be-
reits vor einigen Jahren eine grüne Welle für Fahrradfahrer einge-
führt. In der dänischen Hauptstadt fahren rund 37 Prozent der
Pendler mit dem Fahrrad zur Arbeit. Um bis zum Jahr 2015 einen
Anteil von 50 Prozent zu erzielen –, so das erklärte Ziel der Stadt-
verwaltung –, werden jährlich umgerechnet bis zu 13 Millionen
Euro in neue Radwege und Radfahrstreifen investiert. In Paris
haben sich Mietfahrräder innerhalb kürzester Zeit zu einem belieb-
ten Verkehrsmittel entwickelt: Seit zwei Jahren sind in der Seine-
Metropole 20.000 Mietfahrräder im Einsatz, durch die der Radver-
kehr in der Stadt um 50 Prozent gesteigert werden konnte.
„Vorwärts in die Vergangenheit“ könnte das Motto des Stadtver-
kehrs im Jahr 2050 also lauten: Wir werden mehr zu Fuß und mit
dem Fahrrad unterwegs sein und (hoffentlich) bessere öffentliche
Verkehrsmittel nutzen. In Saudi-Arabien wird diese Entwicklung
noch etwas anders umschrieben: „Mein Vater ist auf einem Kamel
geritten. Ich fahre mit dem Auto, mein Sohn fliegt mit dem Flug-
zeug, sein Sohn wird auf einem Kamel reiten“, besagt eine dortige
Weisheit. Kein Grund zur Panik, findet Jeff Kenworthy: „Die Men-
schen werden von dem lebenswerteren Umfeld in unseren Städten
nur profitieren.“ 7
TEXT: CHRISTINA HÖHN
„Beam me up, Scotty!“ – ein legendärer Satz der Film-geschichte, der das unkomplizierte Transportverfahrenbei „Raumschiff Enterprise“ auf den Punkt bringt (auch wenn er genau so nie gesagt wurde). Einfach aufeinen Knopf drücken, schon ist man da. Von dieserLösung müssen Pendler aber wohl noch lange träumen.
Mobilität in Zukunftsvisionen
Wie wir uns morgen bewegen war seit jeher ein zentra-
les Thema von Science-Fiction-Filmen, angefangen
beim Stummfilmklassiker „Metropolis“: Dort prägen
bereits Fahrbahnen auf vielen Ebenen das Stadtbild,
während Flugzeuge durch die Hochhausschluchten
jagen. Modernität drückte sich für Regisseur Fritz Lang
eben unter anderem in einer möglichst umfassenden
Mobilität aus. Daran hat sich bis heute nicht viel geän-
dert. Besonders beliebt sind Fahrzeuge, die zugleich
fliegen, wie etwa bei „Blade Runner“ oder „Das fünfte
Element“. Vollendet wird das Ziel grenzenloser Mobilität
in allen Dimensionen dann beispielsweise bei den
Flugmobilen der Star-Wars-Helden. Und für ganz lange
Reisen träumen die Science-Fiction-Macher gleich
vom „Beamen“ und lösen so die Mobilitätsprobleme
auf elegante Art.7
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Weltweite Vernetzung und Digitalisie-
rung verlagern Begegnungen zwischen
Menschen zunehmend vom physischen
in den virtuellen Raum. Durch Internet,
Smartphone, Navigationssysteme & Co.
verändert sich unser Gefühl für Zeit und
Raum. Der Wunsch nach echter Begeg-
nung aber bleibt.
sere Raum- und Zeiterfahrung wieder ein-
mal völlig verändert.
Vermeintlich kleiner ist die Welt schon
durch das Auto, das Flugzeug, das Telefon
und das Fernsehen geworden. Das Inter-
net hat diesen Prozess exponentiell be-
schleunigt. Heute kann jeder in verschie-
denen Räumen zur gleichen Zeit anwesend
sein. Dadurch ist der Rest der Welt noch
viel näher gerückt, hat sich die Bedeutung
der Begriffe Nähe und Nachbarschaft ge-
wandelt. Nähe wird heute anders definiert,
zum Beispiel so: Wie viele Klicks brauche
ich, um von meiner Homepage zur Home-
page eines Freundes zu kommen, und wie
viele Freunde liegen dazwischen, die uns
verbinden?
Früher waren Räume greifbar. Es galt: Nah
ist, was nah liegt. Die weltweite Vernetzung
hat unsere Vorstellung von Nähe verän-
dert. Im Zeitalter von Globalisierung und
Internet kann nah sein, was eigentlich fern
ist – andererseits aber auch fern, was ei-
gentlich nah sein sollte. Innerhalb weniger
Jahre hat die Digitalisierung der Welt un-
REALE UND VIRTUELLE
RÄUME
perspektiven_essay
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Chatrooms ersetzen den Plausch im Café,
Teammeetings werden per Videokonferenz
abgehalten, an die Stelle des gemeinsa-
men Einkaufsbummels tritt der Besuch
einer der vielen Internetseiten, auf denen
es praktisch alles zu kaufen gibt. Gearbei-
tet wird online von zu Hause aus oder von
jedem anderen Ort der Welt, das Lebens-
umfeld des neuen Freundes der Tochter
wird per Google Streetview überprüft, Ori-
entierungssinn braucht es im Großstadt-
dschungel jetzt auch nicht mehr – gedankt
sei dem Navigationssystem. Ist der Raum
der Zukunft virtuell? Wenn ja, was heißt
das für unser Weltverständnis und Heimat-
gefühl – und für die Qualität unserer Bezie-
hungen?
Die Frage nach dem Einfluss des Internets
auf das Gefühl der örtlichen Verbundenheit
und die sozialen Beziehungen wird häufig
pessimistisch beantwortet. Vor allem wird
davor gewarnt, dass die Kommunikation
über das Internet zu oberflächlicheren so-
zialen Bindungen zwischen den Menschen
führe, möglicherweise sogar zur Isolation
und Entwurzelung des Einzelnen.
Tatsächlich sollten die neuen elektroni-
schen Kommunikationsmöglichkeiten, die
sich seit Mitte der achtziger Jahre ent-
wickelt haben, die Menschen aber nicht
vereinzeln, sondern sie ganz im Gegen-
teil zusammenbringen. „Virtuelle Gemein-
schaft – Soziale Beziehungen im Zeitalter
des Computers“ hieß das Buch, mit dem
der Amerikaner Howard Rheingold diese
Idee im Jahr 1993 weltweit verbreitete.
„Virtuelle Gemeinschaften sind soziale
Zusammenschlüsse, die dann im Netz ent-
stehen, wenn genug Leute diese öffent-
lichen Diskussionen lange genug führen
und dabei ihre Gefühle einbringen, so dass
im Cyberspace ein Geflecht persönlicher
Beziehungen entsteht“, so Rheingolds
Definition einer virtuellen Gemeinschaft,
die man heute Online-, Net-, Cyber- oder
E-Community nennen würde.
Neue Beziehungsmuster
Ganz sicher geht der Trend von der grup-
pen- hin zur netzwerkbasierten Gesell-
schaft. Und natürlich bedeutet das einen
Wandel der sozialen Beziehungen. Persön-
liche Verbundenheit entsteht heute zuneh-
mend durch gemeinsame Interessen. In
unzählig vielen, gezielt auf die jeweilige
Gruppe ausgerichteten Internetforen
schweißen diese gemeinsamen Interessen
jetzt Menschen selbst über Kontinente hin-
weg zusammen – Menschen, die in einer
Welt ohne Internet nie voneinander ge-
wusst hätten.
Dadurch, dass man seine Gruppen nicht
mehr wie traditionell zuerst in der Nachbar-
schaft oder der Dorfgemeinschaft sucht,
lösen sich menschliche Gemeinschaften
im Internetzeitalter aber keineswegs auf.
Stattdessen findet ein Wandel statt in Rich-
tung von Gemeinschaften, die sich an so-
zialen Netzwerken orientieren.
Virtuelle Paralleluniversen
Neben der realen Welt gibt es heute immer
mehr virtuelle Paralleluniversen mit eige-
nen Umgangsregeln und Beziehungsfor-
men. In sozialen Internetnetzwerken wie
Facebook zum Beispiel sollte man den Be-
griff Freund besser in Anführungszeichen
setzen – ein Freund ist hier jeder, der nicht
explizit keiner ist. Das wiederum ist Teil der
Verlockung: Das Potential für neue Freund-
schaften ist schier unglaublich. Weltweit
sind mehr als 150 Millionen Menschen bei
Facebook registriert, die Hälfte von ihnen
ist angeblich täglich in diesem virtuellen
„Lebensraum“ erreichbar.
Doch der Wunsch nach echter Begegnung
bleibt. Wer in einem dieser sozialen Netz-
werke einen wirklichen „Seelenverwand-
ten“ kennenlernt, spätestens wer sich im
Chat verliebt, wechselt schon bald vom vir-
tuellen ins reale Leben. Greifbar und vor
allem entwicklungsfähig wird jede zwi-
schenmenschliche Beziehung immer noch
erst durch die physische Begegnung. Ge-
nauso werden sicher auch die großen ge-
meinschaftlichen Räume in den Städten
weiter eine wichtige Rolle spielen – Stadien
und Konzertsäle genauso wie Gemein-
schaftsveranstaltungen wie Skatenights,
Marathons oder Theatervorstellungen.
Und natürlich gemeinsame Unternehmun-
gen mit echten Freunden – ohne An-
führungszeichen. 7
TEXT: ANKE BRYSON |
ILLUSTRATION: MARIO WAGNER
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perspektiven_einblicke
APP-CITYUnterwegs in einer neuen Stadt – das heißt sich orientieren, Sicherheitsrisiken erkennen, effiziente Wegeplanen und manchmal auch, sich dem Freizeitpotential widmen. Web 2.0, Navigationssysteme undandere Anwendungen der Augmented Reality helfen dabei. Doch wie verändert die „erweiterte Realität“unseren Blick auf neue Räume?
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perspektiven_einblicke
gal ob Caracas, Tokio oder Peking, im Grunde ge-
nommen ist es geradezu furchterregend einfach, eine
fremde Stadt virtuell auf den Bildschirm eines Compu-
ters oder Smartphones zu zaubern: bei einer Stadt-
rundfahrt per Google Streetview oder Kontaktsuche
über die sozialen Webnetzwerke Facebook oder Xing,
während Applikationen wie Aloqa Gastronomie und
Nachtleben (neben vielen anderen Aspekten) nach individuellen
Vorlieben sortiert vorschlagen. Via Dopplr lässt sich schnell noch
nachschauen, ob nicht schon einer da ist, den man kennt – ja viel-
leicht sogar zeitgleich im selben Zug sitzt!
Verantwortlich für diese Revolution, die völlig andere Eroberung
neuer Räume, ist das Web 2.0. Hinter diesem Schlagwort verbirgt
sich ein ganzes Sammelsurium von kleinen Programmen und Platt-
formen, die es dem Internetnutzer ermöglichen, sich mit anderen
Nutzern auszutauschen, selber Inhalte unproblematisch ins Netz zu
stellen und individuell zusammengestellte Informationen mit zwei
oder drei Mausklicks aus dem Internet zu beziehen. Ein ganz
besonderer Teil des Web 2.0 ist die „Augmented Reality“ (AR), die
„erweiterte Wirklichkeit“. Kleine Programme bestimmen dabei via
Triangulation über drei Handymasten die genaue Position und
Blickrichtung des Nutzers und liefern dem Smartphone in Echtzeit
zusätzliche Informationen zum Sichtfeld. Die Realität wird also mit
Einblendungen des im Web verfügbaren Wissens, zum Beispiel aus
Wikipedia oder Google, unterlegt, erklärt – und interpretiert.
Bei der Begegnung mit neuen Räumen, wie beispielsweise bei der
Ankunft in einer neuen Stadt, sind die kleinen Helferprogramme
EAR-Applikationen für Geschäftsreisende
Layar | www.layar.com
Fotografiert der Nutzer die Umgebung, überblendet
Layar das Kamerabild mit einer Folie, die die
passenden Informationen dazu darstellt. Ob es sich
dabei um architektonische Daten oder die Filialen
einer Bank handelt, sucht der Nutzer aus. Web-2.0-
Könnern steht es offen, selbst Folien zu erstellen.
Aloqa | www.aloqa.com
Bei Aloqa geht es weltweit um Nachtleben, Gastro-
nomie, Partys und Shopping, also um alles rund
um das Thema Freizeitgestaltung.
Dopplr | www.dopplr.com
Via Dopplr lässt sich mit wenigen Klicks feststellen,
wer aus dem Freundes- oder Kollegenkreis
gerade auf welcher Route unterwegs ist. Vor
allem Vielreisende können damit überprüfen,
ob im Nachbarabteil nicht gerade zufällig ein alter
Bekannter sitzt.
Wikitude | www.wikitude.org
Der „World Browser“ ermöglicht es, Daten aus
Wikipedia und diversen Web-2.0-Anwendungen auf
Kamerafotos und Karten darzustellen.
tagwhat | www.tagwhat.com
Die Benutzer vergeben selbst sogenannte Tags
zu selbstgewählten Orten und stellen sie anderen
Tagwhat-Nutzern zur Verfügung.
Mobeedo | www.mobeedo.com
Mobeedo bietet eine Fülle von lokalen Informatio-
nen, von den besten Einkaufsmöglichkeiten bis
zu historischen Daten zum ausgewählten Karten-
ausschnitt.
Ubique
Das Programm projiziert eine transparente Karte als
Scheibe auf das Kamerabild. Dazu stehen Daten
aus Wikipedia, Panoramio und aus der OpenStreet-
Map-Datenbank zur Verfügung.
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
erst einmal zweifellos praktisch. Die Frage „Wo liegt das Hotel?“ er-
fordert keine großflächigen Kämpfe mit dem Stadtplan, ein kleiner
Tipp auf das Navigationsprogramm des Mobiltelefons genügt,
schon spuckt die Maschine eine genaue Routenbeschreibung aus.
Auch die Frage: „Welches Gebäude ist das?“ beantworten moderne
Smartphones im Handumdrehen, sofern sie mit GPS, Kamera und
Kompass ausgerüstet sind – mit Layar oder Wikitude, kleinen Brow-
sern für Mobiltelefone, bei denen Bilder von der Kamera erfasst
und in Echtzeit mit Zusatzinformationen zu dem Gezeigten unterlegt
werden. Ein schneller Fingertipp, schon bekommt die Stadt Unter-
titel: Geschichtliche Hintergründe zu den umliegenden Gebäuden
oder eine Lokalempfehlung lassen sich blitzschnell einblenden. In
gar nicht so ferner Zukunft wäre es sogar denkbar, alle diese Funk-
tionen mit einer Brille direkt in die persönliche Optik zu integrieren
– und sogar die Gesichter fremder Menschen mit den Angaben aus
Social-Networking-Datenbanken wie Facebook abzugleichen und
damit automatisch auch die persönlichen Daten einzublenden!
Komfort gegen Raumgefühl?
All dies klingt praktisch – doch wie wirkt sich die Informationsflut
auf die Wahrnehmung aus? Informationen gezielt aus dem Netz
abzurufen bedeutet den Verzicht auf Zufälle und andere nicht plan-
bare Situationen, wie die Irrfahrt durch eine fremde Stadt oder
Zufallsbekanntschaften. Erweitert die „erweiterte Realität“ tatsäch-
lich den Horizont, oder vermindern Geoapplikationen das Gefühl für
Raum und Orientierung? Für den Münchner Psychologen und
Wahrnehmungsforscher Ansgar Bittermann trifft dies nur bedingt
zu: „Technische Neuerungen ergänzen häufig langfristig nicht die
bereits vorhandenen Fähigkeiten, sondern ersetzen sie. Unter Um-
ständen gehen dabei eigene Erfahrungsmöglichkeiten verloren,
andererseits wird die Welt kleiner: Dank der neuen Anwendungen
ist es leichter, mentale Reisen anzustoßen.“ Zudem sind die Aus-
wirkungen beileibe nicht bei jedem Nutzer gleich, so Bittermann:
„Wie es sich genau auf den Einzelnen auswirkt, hängt von vielen
Faktoren und dem persönlichen Typ ab. Introvertierten Menschen
geben die Programme die Sicherheit, den neuen Raum in Ruhe zu
erleben. Für sie sind die Applikationen der Augmented Reality oft
der Schlüssel zum Genuss. Extrovertierte Menschen haben eine
höhere Reizschwelle. Sie brauchen mehr Input und sehen diesel-
ben Programme eher als Verlust von Abenteuer.“
Professor Dr. Heinrich Bülthoff vom Max-Planck-Institut für Biologi-
sche Kybernetik in Tübingen sieht vor allem die Entwickler der Pro-
gramme in der Pflicht: „Das Web 2.0 und seine Applikationen sind
wie ein Schwimmbad für einen Nichtschwimmer. Man kann darin
ertrinken, man kann aber auch schwimmen lernen. Es geht darum,
intelligente Informationen zur Verfügung zu stellen und diese auch
intelligent zu nutzen. Wir brauchen eine ganz neue Generation von
Entwicklern, die die Daten nach den Erkenntnissen der Kognitions-
forschung aufbereiten – und zum Beispiel eine Karte integrieren,
damit der Betrachter trotz Anweisungen den Überblick nicht ver-
liert.“ Insgesamt plädiert Prof. Bülthoff für einen unaufgeregten
Umgang mit den neuen Medien: „Im Grunde genommen reist man
mit den neuen Applikationen auch nicht anders als mit dem Reise-
führer. Es sind die gleichen Informationen, die der Reisende abruft,
nur ein wenig bequemer und wahrscheinlich auch aktueller.“
Die Fremde trainieren
Geht es nach Ansgar Bittermann, sind vor allem die Menschen ent-
scheidend bei der Begegnung mit einer neuen Stadt. Der Psycho-
loge entwickelte ein Paket von Online- und Mobiltrainings
(www.globalemotion.de), die es dem Betrachter ermöglichen,
Menschen aus fremden Kulturen nicht nur schneller unterscheiden
zu lernen, sondern auch Emotionen besser zu erkennen. Mit einem
klaren Ziel: „Der Kontakt mit ‚fremden‘ Gesichtern verunsichert
Menschen, und wer unsicher ist, erwartet selten Gutes. Durch
unser Programm wecken wir eine positivere Erwartung. Wir ma-
chen aus Fremden, also potentiellen ‚Feinden‘, Bekannte. Zudem
brechen dadurch fremde, vermeintlich homogene Gruppen auf.
Erst wenn man beispielsweise Chinesen als Individuen und nicht
als geschlossene Gruppe wahrnimmt, ergibt sich eine Chance, ein
Teil dieser Umwelt zu werden. Im Grunde genommen geben wir
China ein Gesicht. Allein dadurch ändern viele Menschen ihre
Haltung.“ Das wäre dann wirklich eine „erweiterte“ Realität. 7
TEXT: FRANÇOISE HAUSER
Vorreiter JapanIn vielen Ländern Asiens übrigens kein unbekanntes
Prinzip: Unterwegs in Japan? Selbst im kleinsten Ge-
birgsdorf liegt seit vielen Jahren mit großer Wahrschein-
lichkeit ein touristisches Pamphlet aus, das mit kleinen
schwarzweißen Blöcken, den QR-Codes, versehen
ist, die in codierter Form eine Webadresse enthalten:
Schnell mal das Handy draufgehalten, schon werden die
Infos von einer „Mobile Tagging Software“ verarbeitet,
und die Infos und Karten erscheinen in Form von Web-
seiten auf dem Handybildschirm. 7
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
FASZINIERENDE
perspektiven_interview
Ein Gespräch mit dem Insektenforscher Bert Hölldobler über Klimahäuser undBelüftungssysteme der Ameise, die Nachteile hierarchischer Organisationen undDiskriminierung bei Insekten und Menschen
BAUTEN
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Bert Hölldobler gilt als internationalerSpitzenforscher auf dem Gebiet derexperimentellen Verhaltensphysiologieund Soziobiologie. Seine Arbeiten über soziale Insekten, besonders überAmeisen, brachten viele neue Erkennt-nisse zur chemischen Kommunikationund zum Orientierungssinn von Tieren,zur Dynamik von Sozialstrukturensowie zur Evolution von Tiergemein-schaften. Seit seiner Emeritierung2004 forscht Hölldobler an der Arizona State University in Tempe beiPhoenix, Arizona, wo er das „Centerfor Social Dynamics and Complexity“mitgegründet hat. Er gewann zusam-men mit Edward O. Wilson den Pulit-zer-Preis 1991 für „The Ants“ (DieAmeisen). Zuletzt veröffentliche er –wiederum gemeinsam mit Edward Wil-son – das Buch „The Superorganism:The Beauty, Elegance, and Strange-ness of Insect Societies“ (auf Deutschunter dem Titel „Der Superorga-nismus. Der Erfolg von Ameisen, Bie-nen, Wespen und Termiten“ erschie-nen).
Herr Professor Hölldobler, sind Ameisen die Architekten der Tier-
welt?
Ich denke nicht, dass der Begriff Architekt ganz passend ist. Aber viele
Ameisen- und Termitenarten errichten ganz erstaunliche Gebilde. Die
komplexesten Bauten, die wir bislang kennen, sind diejenigen der Blatt-
schneiderameisen. Das sind riesige Gebilde, die bis acht Meter tief
unter die Erde reichen und eine Fläche von 50 Quadratmetern einneh-
men können. Dazu gehören auch bis zu 90 Meter lange Tunnel, die di-
rekt aus dem Bau in die Futtergebiete führen. Das ist wirklich faszinie-
rend. Es gibt jedoch nach wie vor auch noch viele Rätsel bei solchen
Bauprojekten aus der Tierwelt. So ist völlig unklar, wie es Ameisen ge-
lingt, unterirdisch kerzengerade Tunnel zu bauen. Hier beginnen wir erst
jetzt mit der Forschung.
Sehen die Nester einer bestimmten Ameisenart immer gleich aus?
Zumindest gleichen sich die Nester einer bestimmten Art so sehr, dass
Nestbauspezialisten unter den Ameisenforschern allein anhand des
Aussehens eines Nestes die Art bestimmen können. Das gehört zu den
Dingen, die uns Biologen an Ameisen so fasziniert: Wenn wir Arten be-
schreiben, schauen wir uns ge-
wöhnlich beispielsweise die Merk-
male ihrer Körper an. Aber hier
können wir anhand des Produktes
eines Tieres sagen, welche Art
das hergestellt hat – ähnlich, wie
wir bei menschlichen Bauwerken anhand ihres Stils die Entstehungszeit
bestimmen können. Die Unterschiede bei uns Menschen sind allerdings
vorwiegend zivilisatorisch bedingt, während die Ameisen sich mit ihren
Bauten immer so gut wie möglich an ihren Lebensraum anpassen.
Wie sieht diese Anpassung aus?
In Europa etwa gibt es diese herrlichen großen Hügelbauten der Wald-
ameisen. Das sind ganz raffinierte Bauwerke, die bis über zwei Meter
98
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
perspektiven_interview
»Ähnlich, wie wir Bauwerke anhand ihres Stils bestimmen können,
lassen sich Ameisenarten an ihren Nestern identifizieren.«
99
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
hoch werden. Wir sehen ja bloß den Hügel. Wenn man aber nach einem
starken Regen solch ein Nest öffnet, sieht man, dass der Regen nur we-
nige Zentimeter in das Nest eindringt. Das heißt, die Zweiglein und Na-
deln sind zu einem echten Schutzdach zusammengelegt. Die Nester
sind sogar richtiggehend isoliert.
Warum?
So können die Ameisen nach der Winterpause, wenn es draußen noch
relativ kühl ist, einen eigenen Wärmehaushalt aufbauen, also quasi hei-
zen: Speichertiere verbrennen dafür ihren Fettkörper und können so
Wärme erzeugen, die dank der guten Isolation im Hügel bleibt. Diese
Technik – die im Grunde eine Art Klimahaus ist, das die Natur auf ihre
eigene Art erfunden hat – ermöglicht es den hügelbauenden Ameisen,
bis fast hinauf an den Polarkreis zu siedeln.
Welche weiteren baulichen Leistungen der Ameisen faszinieren Sie
besonders?
Ein weiteres Beispiel sind die Belüftungssysteme, die Blattschneider-
ameisen entwickelt haben. Seit rund zwölf Millionen Jahren leben diese
Ameisen in einer Symbiose mit Pilzen und anderen Mikroorganismen.
Die von den Ameisen regelrecht gezüchteten Pilze produzieren aller-
dings tief unten im Nest eine Menge Kohlendioxid – und das muss hin-
aus. Das kann nur dank der Nestarchitektur gelingen, indem die wär-
mere Luft zusammen mit Kohlendioxid hinausströmt und kältere Luft
einsinkt. Wie das genau funktioniert, wissen wir noch nicht. Ein Aspekt
sind wohl die Abfallkammern für die Pilzreste im Nest: Diese sind um
einige Grade wärmer und treiben dadurch offensichtlich die warme Luft
nach oben.
Sind feste Behausungen eine Voraussetzung dafür, dass sich sozial
hochorganisiertes Leben überhaupt entwickeln kann?
Bei hochentwickelten sozialen Systemen gibt es meist auch relativ kom-
plexe Neststrukturen. Aber das muss nicht so sein. Die Heeresameisen
in Afrika und Südamerika haben überhaupt keine festen Nester, son-
dern formen mit ihren Körpern Biwaks, etwa in Baumhöhlen – sie sind
spezialisierte Nomadenjäger und zugleich sozial hoch entwickelt.
Wie entscheiden Ameisen, ob und wohin sie umziehen?
Die Entscheidungen der Ameisen werden von außen diktiert. So gibt es
Arten mit kleinen Kolonien von vielleicht nur 100 Ameisen, die in hoh-
len Eichen leben. Solche Nester gehen aber relativ schnell kaputt –
dann müssen die Ameisen umziehen. Jetzt folgt ein raffinierter Prozess,
der unglaublich an unsere Art erinnert, kollektive Entscheidungen zu
fällen: das sogenannte Quorum Sensing. Die Ameisen senden Späher
aus, die unterschiedliche Standorte erkunden. Wenn sich dann eine
bestimmte – kritische – Anzahl von Spähern in einem möglichen Nest
versammelt, zieht die gesamte Kolonie dorthin um: Das Quorum, also
die Masse, entscheidet. Über solche Entscheidungsprozesse in der
Ameisenwelt ist aber längst noch nicht alles bekannt.
Gibt es noch andere Beispiele dafür, wie Ameisen oder andere
sozial lebende Insekten Lösungen für Probleme gefunden haben,
die auch uns beschäftigen?
Eine ganze Menge. So hatten wir kürzlich ein gemeinsames Symposi-
um, an dem unter anderem Designer, Architekten und Computerspe-
zialisten beteiligt waren. Die Architekten interessierten sich etwa dafür,
wie es Termiten gelingt, besonders feste und dennoch luftdurchlässige
Wände zu errichten. Der Sprecher einer Fluggesellschaft schilderte, wie
sein Unternehmen bei der Organisation des Gepäcktransports an Flug-
häfen von Ameisen gelernt hat, die ja ihr Futter aus unendlich vielen
Richtungen in die Zentrale, das Nest, transportieren. Ein Betrieb in
Norditalien wiederum hat sich bei futtersuchenden Ameisen abge-
schaut, wie er seine Transportfahrzeuge so organisiert, dass sie Waren
auf den jeweils günstigsten Wegen liefern. Und Telefongesellschaften in
Großbritannien und Frankreich können Rufverbindungen in ihren Netz-
werken schneller herstellen, indem sie sogenannte virtuelle chemische
Signale an Netzwerkweichen deponieren – genau wie es Ameisen mit
echten chemischen Signalen tun, um Netzgenossen den besten und
kürzesten Weg beispielsweise zu einem Futterplatz zu weisen.
Ist das vernetzte Arbeiten der Ameisen ein Vorbild für uns?
Zumindest lautet eine unserer Erkenntnisse: Hochentwickelte Gesell-
schaften arbeiten nicht hierarchisch, sondern nur die primitiven sozia-
len Systeme sind hierarchisch organisiert – und diese Kolonien wach-
sen nicht sehr stark, sind nicht sehr effizient. Die hochentwickelten
sozialen Systeme bei Ameisen arbeiten hingegen wie Netzwerke oder
»Hoch entwickelte Gesellschaften arbeiten
nicht hierarchisch.«
3
100
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Zumindest, so glaube ich, schlummert die Tendenz dazu noch immer in
uns, als ein Erbe des archaischen Menschen. Für den hatte die Diskri-
minierung der Mitglieder anderer Gemeinschaften einen Anpassungs-
wert. Das müssen wir erkennen und lernen, mit diesem evolutionären
Erbe umzugehen. Um es mit dem Philosophen David Hume zu sagen:
Was ist, diktiert nicht, was sein sollte. Wir sind soziale Wesen, Primaten.
Aber unsere Gemeinschaft ist, verglichen mit der der Ameisen, un-
glaublich primitiv. Was uns komplex macht, ist das, was wir kulturell ge-
schaffen haben. Ethik und Moral benötigen keine evolutionsbiologische
Rechtfertigung. Vielmehr muss die Moralphilosophie versuchen, dieses
Erbe zu überwinden. Wir sollten versuchen, von klein auf die Vielfalt des
Lebens und der Menschen zu zelebrieren. 7
DAS GESPRÄCH FÜHRTE ALEXANDER SCHNEIDER.
3
»Die Entscheidungsprozesse bei Ameisen
erinnern unheimlich an uns.«
Cluster. Manche Ökonomen sind erstaunt darüber, dass die Natur die
Idee von Clustern, die netzwerkartig verbunden sind und nicht von einer
direktiven Kraft gesteuert werden, bereits seit Millionen Jahren sehr
erfolgreich verwirklicht hat. Aber nicht in jeder Hinsicht sollten wir uns
an der Welt der Ameisen ein Vorbild nehmen – es gibt für mich als So-
ziobiologen auch eine bittere Wahrheit, die ich aus meinen Forschungen
ziehe.
Welche?
Wo immer es in der Natur hochentwickelte soziale Systeme mit großer
Kooperationsbereitschaft innerhalb der Gemeinschaft gibt, sind auch
immer die Diskriminierung und der Ausschluss von Mitgliedern anderer
Gemeinschaften derselben Art besonders hoch. Ganz einfach, weil
Gemeinschaften und nicht mehr Individuen um limitierte Ressourcen
konkurrieren. Ein solches System, in dem die Gemeinschaft alles und
das Individuum nichts zählt, sollten wir nicht anstreben.
Hat Diskriminierung auch beim Menschen einen biologischen
Hintergrund?
101
TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
Fünf Fragen – fünf Lösungen – fünf Gewinne
kreuz & quer
Von spektakulären Großbauten und Symbolen der Macht bis hin zu
U-Bahnen, Wasserleitungen und Kanalisationen: Das Grundbedürf-
nis des Menschen, ein festes Dach über dem Kopf zu haben, drückt sich
in ganz unterschiedlichen Facetten aus. Wir haben fünf Aspekte dieses
weiten Feldes genauer beleuchtet und stellen Ihnen hierzu jeweils eine
Frage. Wer die richtigen Lösungen findet, kann mit etwas Glück zu den
Gewinnern unseres Preisrätsels gehören. Und so geht’s: Zu jeder Frage
gibt es nur ein Lösungswort. Lösen Sie die Fragen in beliebiger Reihen-
folge, und tragen Sie die jeweiligen Lösungswörter in das Kreuzwort-
rätselraster ein – wo, das müssen Sie selbst herausfinden.
Setzen Sie die Buchstaben, die in mit Ziffern versehenen Kästchen
stehen, in die richtige Reihenfolge, und Sie erhalten das Lösungswort.
Schicken Sie eine E-Mail mit dem Lösungswort an:
Oder schicken Sie eine Postkarte an:
F.A.Z.-Institut
Redaktion ThyssenKrupp Magazin
Postfach 20 01 63
60605 Frankfurt am Main
Einsendeschluss ist der 31. Oktober 2010. Alle Gewinner werden schrift-
lich benachrichtigt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Und nun viel Spaß!
Frage_3In keinem anderen Film spielt die„Stadt unter der Stadt“ eine derartgroße Rolle wie in dem Klassiker „Der dritte Mann“. Orson Welles alsBösewicht Harry Lime flüchtet amSchluss des Streifens durch die Kanalisation von Wien – und wirdschließlich von seinem alten FreundHolly Martins erschossen. Denn Martins hatte entdeckt, dass Limegestreckte Medikamente verschob, die Kinder dauerhaft schädigten. Mitwelcher Arznei handelte Harry Lime im Wien der Nachkriegszeit?
Frage_4Ihr Gesamtgewicht beträgt etwa 180Tonnen. Sie wirkt elegant undzerbrechlich. Kein Wunder, denn dieGlaspyramide am Eingang des Louvrein Paris besteht aus vielen Hundertenrautenförmigen und dreieckigen Glas-segmenten. Vorbild für das Bauwerk,das der chinesisch-amerikanischeArchitekt Ieoh Ming Pei zwischen 1985 und 1989 erschuf, war die großePyramide von Gizeh. Wer erteilte demArchitekten den Auftrag, mit dieserPyramide einen neuen Eingang fürdas größte Museum der Welt zu ent-werfen? Gesucht ist der Nachname.
Frage_5Städtebau und Versorgung warenschon immer eng miteinander ver-knüpft. In puncto Wasserversorgunghaben die Römer mit ihren Aquäduk-ten ein besonderes Erbe hinterlassen,sowohl in technischer als auch inarchitektonischer Hinsicht. Bis zu 100 Kilometer weit führten diese Wasserleitungen meist unterirdisch,teilweise aber auch über gigantischeBrücken in größere Städte des Römi-schen Reichs. Eine der am bestenerhaltenen Wasserbrücken aus derRömerzeit ist in Südfrankreich zu fin-den und misst rund 49 Meter Höhe.Nach welchem französischen Départe-ment ist sie benannt?
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Auflösung der Seite „forum_wissens_wert“:Die gesuchte Person aus „Wer war’s“: Le Corbusier
Frage_1Das Centre Pompidou war sein Durch-bruch. Seither hat der Architekt ausGenua fast überall auf der Welt Spurenhinterlassen, unter anderem in Osaka,Parma und Berlin. Kürzlich wollte er inMailand 90.000 Bäume pflanzen – der Dirigent Claudio Abbado hatteseine Rückkehr an die Scala an dieseBedingung geknüpft. Diesen Plankonnte der Architekt nicht umsetzen.Mailand leide an Geldnot, gab die Bürgermeisterin an. Also stürzte sichder Gesuchte in ein anderes Projekt: In London arbeitet er am höchstenWolkenkratzer Westeuropas. Gesuchtist der Nachname.
Frage_2London hält den Weltrekord: Das U-Bahn-Netz umfasst 408 Strecken-kilometer. Kein Wunder, dass sich einWettbewerb gerade dort durchsetzenkonnte: Beim sogenannten Tube Challenge müssen die Teilnehmer inkürzester Zeit alle U-Bahn-Stationenansteuern – das sind derzeit 275. InsHerz geschlossen haben die Londonerihre Tube von Anfang an. Schon Mittedes 19. Jahrhunderts ächzte die Stadtunter dem Verkehr. Am 10. Januar1863 konnten die Pendler aufatmen:Zwischen Farringdon und Paddingtonwurde die erste U-Bahn-Linie eröffnet.Wie lautet der Name dieser „Line“?
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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni
rückblick
Globale Ansichten können der Blick des
deutschen Fotografen auf die Gastheimat
Shanghai sein oder das Streitgespräch
zwischen Globalisierungsbefürworter und
Globalisierungsskeptiker. Dieses Magazin
handelt genauso von interkulturellen
Grenzgängen wie von grenzüberschreiten-
dem Brückenbau. Es geht um Wissen-
schaftler und Entwicklungsingenieure,
die der Technik in einer zunehmend ver-
netzten Welt durch neue Verfahren und
Werkstoffe neue Wege öffnen und helfen,
globale Probleme wie die Wasserknapp-
heit zu bekämpfen, aber auch um den
Eintritt in neue Märkte. Internationalität
bedeutet, gemeinsame Ansätze über
Ländergrenzen hinweg zu verfolgen und
gemeinsame Ziele auf unterschiedlichem
Wege zu erreichen – und dabei voneinan-
der zu lernen. 7
Verlag und Redaktion: F.A.Z.-Institut für Management-, Markt- und Medieninformationen GmbH, Mainzer Landstraße 199, 60326 Frankfurt/Main, Telefon: +49 69 75 91-0, Fax: +49 69 75 91-1966Geschäftsführung: Volker Sach, Dr. André HülsbömerProjektleitung: Ludger Kersting Redaktion: Anke Bryson (verantwortlich), Alexander SchneiderArt Director: Wolfgang HanauerAutoren: Sarah Bautz, Anke Bryson, Christina Höhn, Christoph Neuschäffer,Tim Schröder, Alexander Schneider, Margit Uber, Jan Voosen, Inka Wichmann
Bildquellen: archinform (S. 92–95), CAEPSELE (S. 22–23), Cinetext (S.84–89), CPG Group (S. 72), Phil Fisk (S. 14–15, 19), Fnoxx (S. 8–9), Fotolia.com(S. 36–39, 81, 100), Google Earth/Digital Globe/ MapLink/Tele Atlas (S. 4–5),Historisches Archiv Krupp (S. 62–65), Wolfgang Hanauer (Illustrationen S.36–37, 92–93), layar (S. 92–95), livingarchitecture.com (S. 16–18, 20–21),Norbert Michalke/Agentur Focus (S. 97–99), Picture-Alliance/dpa (S. 6–7,28–35, 40–45), Stadtbildstelle Essen (S. 62–65), The Image Bank (S. 96–97),Frank Vinken (S. 73), wikitude (S. 92–95)Litho: Goldbeck Art, Frankfurt/Main, Druck: Kuthal Druck, Mainaschaff
HerausgeberThyssenKrupp AG, Dr. Jürgen Claassen, ThyssenKrupp Allee 1, 45143 Essen, Telefon: +49 201 844-0Projektleitung bei ThyssenKrupp: Barbara ScholtenDer Inhalt der Beiträge gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder. Nachdruck nur mit Quellenangabe und Belegexemplar.
impressum
Das aktuelle Magazin und bereits erschienene Magazine können Sie unter www.thyssenkrupp.com in der Service-Navigation unter „Publikationen“ bestellen.
Perspektiven haben heißt Zukunft haben,
Perspektiven aufzeigen heißt Ziele finden,
für die sich der Einsatz lohnt, neue Impul-
se geben, Zukunftspotentiale identifizieren
und entwickeln – mit technischen Lösun-
gen für die drängendsten Herausforderun-
gen der Menschheit genauso wie durch
die Förderung eines Umfelds, das offen ist
für neue Ideen und in dem jeder Einzelne
seine Potentiale ausschöpfen kann. Von
der Idee über die Innovation bis zur Tech-
nikfolgenabschätzung – in diesem Maga-
zin kommen Tüftler genauso zu Wort wie
Zukunftsforscher, geht es um Produkte,
die unseren Alltag revolutionieren können,
genauso wie um die Gestaltung der
Lebensräume der Zukunft. Wie sich ein
Perspektivwechsel auf unser Wertesystem
auswirken kann, berichtet der Astronaut
Thomas Reiter. 7
TK
Umwelt ist alles, was uns umgibt und
unser Leben bestimmt – der Klimawandel,
den ein bekannter Forscher in diesem
Magazin kommentiert, genauso wie die
Elemente Sonne, Wind und Wasser als
gleichermaßen nützliche und unberechen-
bare Naturkräfte und der demographische
Wandel genauso wie die vielfältigen
„Stressoren“, die unser soziales Umfeld
beeinflussen. Ein Stahlwerk, das den
Umweltschutz nicht an den Schluss stellt,
ist ebenso Thema wie Kulturdolmetscher,
die in einer globalisierten Umwelt für
den richtigen Ton sorgen. Wie wir uns
den Umweltherausforderungen unserer
Zeit stellen, zeigen vielfältige technische
Lösungen wie das Speichern von Treib-
hausgasen, die Energiegewinnung aus
Pflanzen oder der Schutz vor Naturkatas-
trophen. 7
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