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ThyssenKrupp magazin - Architektur · an seinem Geburtsort errichten ließ, gilt als die erste Idealstadt der Renaissance. Zum ersten Mal öffnet sich hier der städtische Binnenraum

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Architektur

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Fenster bieten Durchblick und Einblick,stehen für Offenheit und Transparenz,für eine Einladung zum Dialog. Genau-so wie der weitläufige Campus desThyssenKrupp Quartiers, der hierdurch das ausgestanzte „Landschafts-fenster“ des neuen Verwaltungssitzeserschlossen wird.Der neue Hauptsitz von ThyssenKruppin Essen ist Identifikationssymbol und Ausdruck der gelebten Unter-nehmenskultur in einem. Architekturund städtebauliches Konzept desQuartiers stehen gleichermaßen fürInnovation und Zukunftsorientierung,Nachhaltigkeit und gesellschaftlicheVerantwortung.

Gelebte OffenheitMit dem neuen Quartier erwacht einlange brachliegendes, 230 Hektar großes Areal mitten im Herzen Essenszum Leben. Als Kernstück eines neuentstandenen Stadtteils verkörpert der offene Campus das dynamischeWechselspiel zwischen historischerStandortverbundenheit und gelebterInternationalität genauso wie denWunsch nach Dialog und Bewegung.Die Gebäude des Quartiers sind rund um eine zentrale Wasserachseangelegt und laden – ebenso wie derneu entstandene Krupp-Park – zurBegegnung ein.Lesen Sie mehr zum Hintergrund undzur Bedeutung des Quartier-Neubausauf den Seiten 46–65.

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In Brasília konnten die Corbusier-Schüler Lúcio Costa und Oscar Nie-meyer Ende der fünfziger Jahre einenTraum in Stahlbeton gießen: die Uto-pie einer funktionalen Stadt. Die inner-halb von nicht einmal vier Jahren aus dem Steppenboden gestampfteneue Hauptstadt Brasiliens verkörper-te ein hehres Ziel: den klaren Bruch mit den chaotischen Zuständen undprägenden Klassenunterschieden in anderen brasilianischen Städten.Der französische Schriftsteller André Malraux nannte Brasília die „Haupt-stadt der Hoffnung“. Die Stadt wurdenach dem Campus-Prinzip angelegt,

Hauptstadt der Hoffnungmit getrennten Quartieren für Wohnen,Arbeiten und Freizeit, zwischen denendie Stadtbewohner auf breiten Auto-bahnen pendeln sollten. Aus der Luftbetrachtet, gleichen die Umrisse Brasílias einem Flugzeug. Den Rumpfbildet die sogenannte monumentaleAchse, an der die wichtigsten öffent-lichen Gebäude stehen. Die beidenFlügel setzen sich aus über 100 soge-nannten Superquadras zusammen, in sich geschlossenen Einheiten vonelf bis zwölf Wohnblöcken, in denenjeweils bis zu 5.000 Personen lebenkönnen. Als architektonisches Projektzählt Brasília heute zum Weltkultur-

erbe der Unesco. Als urbaner Lebens-raum ist es häufig kritisiert worden.Auf das explosive Wachstum Brasíliaswaren zumindest die öffentlichenWege und Verkehrsmittel nicht aus-gerichtet. Seit ihrer Einweihung vorfast genau 50 Jahren, am 21. April1960, ist die ursprünglich für 500.000Menschen geplante Stadt auf inzwi-schen 2,6 Millionen Einwohner ange-wachsen. Diese aber schätzen Brasíliafür seine im Landesvergleich hoheLebensqualität und vor allem seinesaubere Luft, die auch eine Folge desvergleichsweise geringen Verkehrs-aufkommens ist.

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»Erst die Möglichkeit, einen Traum zu verwirklichen,macht unser Leben lebenswert.«Paulo Coelho, Schriftsteller

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Ohne Licht ist alles nichtsLicht interpretiert Körper und Räume, macht sie erlebbar und verleiht ihnen Farbe. Es fügt der Architektur eine vierte Dimensionhinzu. James Turrell verwandelt Licht in Form. In seinen Werken setzt sich der einflussreichste Lichtkünstler der Gegenwart mit den vielfältigen Erscheinungsformen des natürlichen und künstlichen Lichts auseinander. Weltweit hat Turrell sogenannte„Skyspaces“ geschaffen, in denen er sich intensiv mit der Beziehung zwischen Licht und Raum beschäftigt. Für den amerikani-schen Künstler ist Licht ein Werkstoff, den er formen und erfahrbar machen kann. Dass ihm dies gelingt, zeigen die häufigenVersuche von Betrachtern, das Licht seiner Installationen anzufassen.

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»Lichter und Schatten enthüllen die Formen.«Le Corbusier, schweizerisch-französischer

Architekt (1887–1965)

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Entwurf einer humanistischen WeltsichtDie toskanische Stadt Pienza, die der Humanist Enea Silvio Piccolomini als Papst Pius II. (1458–1464) an seinem Geburtsort errichten ließ, gilt als die erste Idealstadt der Renaissance. Zum ersten Mal öffnetsich hier der städtische Binnenraum einer Piazza zur offenen Landschaft, zum ersten Mal in derGeschichte der neueren Baukunst werden hier Architektur und Natur als ein gegensätzliches undzugleich komplementäres Gegenüber begriffen. Ausgehend von Pienza, verbreitete sich die sogenanntehumanistische Stadtplanung in andere italienische Städte und schließlich über ganz Europa.

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»Die Qualität von Städten und Plätzen lässt sich am Reißbrett entwerfen, ihre Schönheit kommt durch die Zeit.«Renzo Piano, italienischer Architekt

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»Wir wollten einen Raum schaffen, der Bewegung stimuliert, den Austausch von Wissen

fördert und neue, immer wieder auch überraschende Möglichkeiten für den Einsatz

innovativer Werkstoffe und Technologien aufzeigt.«

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

Fast alles, was wir tun, tun wir in Räumen, die von Menschen geschaffen wurden. Wer

Bauten und Städte gestaltet, gibt Menschen Raum für Begegnung und Austausch, für Entwicklung

und Zukunft. Architektur ist damit im besonderen Maße vom Wesen der Gesellschaft bestimmt, in

der sie entsteht: Architekten und Raumplaner gestalten Umwelt aus unseren Erwartungen heraus.

Sie können uns aber auch mit neuen Ideen inspirieren und damit verändern.

Angesichts dieser Herausforderung kann sich niemand dem weltweiten Wandel entziehen. Heute

schlagen sich neue globale Entwicklungen und ein neues Verständnis von nachhaltiger Architektur,

Städte- und Landschaftsplanung in vielfältigen und komplexen Anforderungen an Architekten

und Raumplaner nieder. So wird weltweit um eine nachhaltige Nutzung der begrenzten räumlichen

Kapazität und Energieressourcen unseres Planeten gerungen, arbeiten Architekten und Stadt-

planer an der Lösung der drängendsten räumlichen Herausforderungen unserer Zeit.

Wie finden wachsende Bevölkerungen in Zukunft genug Platz zum Leben und Arbeiten? Wie lässt

sich eine Zersiedelung verlassener Landstriche vermeiden? Können wir

das Bedürfnis nach einem Leben im Einklang mit der Natur auch in der

Stadt verwirklichen? Architektur muss sich dem demographischen Wandel

und einschneidenden Umweltveränderungen stellen und neue Konzepte

entwickeln, die auch unter diesen Bedingungen Raum für Zukunft schaffen. Zugleich eröffnet der

rapide technologische Fortschritt aber auch ungeahnte Möglichkeiten.

Dass technologischen Innovationen bei der Bewältigung der globalen Herausforderungen eine

entscheidende Bedeutung zukommt, ist längst klar. Auch in der Architektur unterstützen sinnvolle,

innovative Technologien das Streben nach Lebensqualität, Wirtschaftlichkeit und Zukunftsfähigkeit.

Das neue Quartier des ThyssenKrupp Konzerns in Essen, das unsere Mitarbeiter in diesen Tagen

beziehen, soll hier bewusst Zeichen setzen. Mit diesem für uns einzigartigen Bauprojekt haben

wir einen Raum geschaffen, der Bewegung stimuliert, den Austausch von Wissen fördert und

neue, immer wieder auch überraschende Möglichkeiten für den Einsatz innovativer Werkstoffe

und Technologien aufzeigt. Wir haben damit einen Ort für Menschen und Ideen geschaffen. Als

Herz unseres global vernetzten Unternehmens ist unser neuer Campus so Ausdruck des Selbst-

verständnisses unseres Konzerns genauso wie der Ansprüche, die wir an uns selbst stellen:

Innovation und Nachhaltigkeit, Offenheit und Dialog.

Es ist – und das spricht den Ingenieur in mir besonders an – ein Stück gebaute Technik. Der

Philosoph Martin Heidegger sagte einmal: „In unserem Bauen und in der Weise, wie wir den

gebauten Raum beleben, spiegelt sich unser Verständnis von Wirklichkeit.“ Die beste Architektur

aber findet die richtige Balance zwischen Wirklichkeit und Vision, zwischen dem, was ist, und dem

Mut, neue Wege zu beschreiten. Wie diese aussehen könnten, zeigen Ihnen einige der Beispiele in

diesem Magazin. Wir laden Sie herzlich ein: Entdecken Sie mit uns die Lebensräume der Zukunft.

Dr.-Ing. Ekkehard D. Schulz,

Vorsitzender des Vorstands der ThyssenKrupp AG

Raum für Zukunft

editorial

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inhalt

ansichten

30 Wie sehen Sie Architektur?

Ansichten von Kazuyo Sejima und Alain Robert

46Das ThyssenKrupp Quartier in Essen ist das neue Herz des Konzernsund Symbol für dessen Entwicklung. Architektur und städtebaulichesKonzept stehen gleichermaßen für Innovation und Zukunftsorientierung,Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung. Ein Sonderteil zum neuen Hauptsitz.

forum

14 Schönheit hängt nicht von Geld ab

Ein Gespräch mit Alain de Botton, Autor und Philosoph

22 Welt in Zahlen

Globale Metropolen gestern, heute und morgen

24 Achtung Fußgänger

Mit dem freiberuflichen Spaziergangsforscher Bertram Weisshaar

unterwegs durch Leipzig

projekte

34 Was kommt vor der Stadt?

Ohne die richtige Infrastruktur läuft gar nichts

40 Stoffe, aus denen Träume sind

Neue Werkstoffe machen viele Ideen erst möglich

74 Aufbruch in Amerika

2010 eröffnet ThyssenKrupp zwei neue Produktionsstätten

in Brasilien und in den USA

28 wissens_wert

66 projekte_aktuell

101 kreuz & quer

102 rückblick

Architektur

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92App-City: Verändert die erweiterte Realität unseren Blick auf neue Räume?

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quartier

46 Von der Brache zum neuen Campus

Eine Geschichte in Bildern

48 „Bewegung und Aufbruch“

Ein Gespräch über das neue ThyssenKrupp Quartier

mit Ralph Labonte, Mitglied der Vorstands der ThyssenKrupp AG

55 Raum der Stille

Ein Andachtsraum als Rückzugsort

56 Die Macher

Drei Beteiligte mit ihrem Blick auf das Projekt

58 Auf eigene Stärken bauen

Im neuen Quartier kommen einige der innovativsten Produkte

des Konzerns zum Einsatz

60 Eine „grüne Bühne“

Bereits vor Fertigstellung erhielt das Quartier eines

der renommiertesten Zertifikate für nachhaltiges Bauen

62 Die Stadt in der Stadt

Am Standort des neuen Quartiers wird bereits seit

1818 Firmengeschichte geschrieben

40Neue Werkstoffe lassen Architektenträume

Wirklichkeit werden.

84Für die Mobilität der Zukunft spielt Autofahren

wie bei „Blade Runner“ eine immer geringere Rolle.

96Ameisen sind wahre Baumeister – ihre Erforschung bietetfaszinierende Einsichten auch für uns.

24Spaziergangsforscher Bertram Weisshaarlehrt uns das Wahrnehmen.

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perspektiven

76 Megacitys und Schrumpfstädte

Wie lassen sich Fläche, Verkehr, Energie und Wohnqualität

in wachsenden und schrumpfenden Städten sichern und

verbessern?

80 Kinder sehen ihre Umwelt

Schüler eines Essener Gymnasiums fotografieren ihre Umgebung

84 Unterwegs im Jahr 2050

Wie bewegen wir uns in der Stadt der Zukunft?

90 Reale und virtuelle Räume

Warum der Wunsch nach echter Begegnung bleibt – ein Essay

92 Augmented Reality

Neue Technologien verändern den Blick auf unsere Umwelt

96 Faszinierende Bauten

Ein Gespräch mit dem Insektenforscher Bert Hölldobler

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HÄNGT

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NICHT VON GELD AB«»SCHÖNHEIT

Architektur ist mehr als nur Funktion. Die Art, wie ein Haus gestaltet ist, sagt viel über Charakter und Sehnsüchte des Besitzers.Ein Gespräch mit Alain de Botton, Autor und Philosoph.

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»Architekten sollten Experten darin sein,wie sich Gebäude auf unsere Psyche auswirken.«Alain de Botton

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Indem sie unsere Gebäude gestalten, nehmen Architekten also Ein-

fluss auf uns persönlich?

Architektur beeinflusst uns – obwohl wir meistens so tun, als sei das

nicht der Fall. Die Menschen erfreuen sich an schönen Gebäuden, aber

kein Politiker führt eine politische Kampagne unter dem Motto „Ich will

die Welt schöner machen“. Architektur gilt immer als nachrangiges

Thema.

Liegt das nicht auch daran, dass es keine universell anerkannte

Definition des Schönheitsbegriffs gibt?

Dass sich Schönheit nicht definieren lässt, wird immer wieder behaup-

tet, ist aber völlig falsch. Die vorherrschende Meinung, Schönheit sei

eine Frage des Geschmacks, ist ein willkommenes intellektuelles Gerüst

für Immobilienentwickler. Tatsächlich ist es nicht schwieriger zu definie-

ren, was schön ist, als festzustellen, ob ein Buch gut ist. Im Idealfall soll-

te einem die Architektur natürlich nicht nur Schönheit, sondern auch

Herr de Botton, eins Ihrer Bücher heißt „Glück und Architektur“.

Kann ein Gebäude glücklich machen?

Architektur ist keine Medizin. Von Medizin mag man wenig halten, und

sie wirkt trotzdem. Anders verhält es sich mit der Architektur: Sie be-

günstigt eine Stimmung, aber zwingt sie uns nicht auf. Mit der Archi-

tektur ist es ein bisschen wie mit dem Wetter: Das Wetter hat einen er-

heblichen Einfluss auf unsere Stimmung, und viele Menschen ziehen

aufgrund des Wetters in andere Länder. Wenn uns aber etwas Schlim-

mes passiert, hilft auch das schönste Wetter nicht – wir sind trotzdem

bedrückt. Genauso können wir im siebten Himmel schweben, obwohl es

in Strömen regnet. Meistens aber befinden wir uns auf der Stimmungs-

skala irgendwo zwischen diesen beiden Extremen, und dann kann das

Wetter den Ausschlag für die eine oder die andere Richtung geben. In

ähnlicher Weise kann uns die Architektur, die uns umgibt, optimistischer

oder pessimistischer machen. Architekten sollten deshalb auch Exper-

ten darin sein, wie sich Gebäude auf unsere Psyche auswirken.

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forum_gespräch

»Die Idee des leeren Raumsist die große Faszinationunserer Zeit.«

„Living Architecture“: Das„In-Between House“ (Jarmund/Vigsnaes Archi-tects, Norwegen) fügt sichnahtlos in eine traditionelleHäuserreihe einer englischenKüstenlandschaft ein.

Das „Long House“ von Michael und Patty Hopkins – moderner Ausdruck britischerIndustrie- und Handwerkstradition

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Renaissance- und Barockbauten …). Heute ist die religiöse Archi-

tektur – zumindest in der westlichen Welt – in den Hintergrund

gerückt. Was treibt die große Architektur jetzt an?

Die religiöse Architektur hat den Architekten zu allen Zeiten besonders

viel Freiraum geboten, weil Kirchen oder Tempel als reine Orte der Zu-

sammenkunft frei von vielen praktischen Zwängen der Architektur sind.

Neben vielen interessanten Formen wie dem Schrein oder der Tauf-

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Komfort bieten – und vielen Architekten gelingt das auch. Architektur ist

eine praktische Kunst. Die Kunst der Architektur liegt darin, Schönheit

und Nutzwert zu bieten.

Aber ist Schönheit in der Architektur nicht ein elitäres Konzept?

Dass Schönheit ein teurer Luxus ist, den wir uns nicht leisten können,

ist ein gefährliches Argument. Man muss sich nur einmal die aus Stein

gebauten toskanischen Bauernhäuser anschauen, um zu erkennen,

dass Schönheit sich auch mit einfachen Mitteln erreichen lässt. Umge-

kehrt sieht man zum Beispiel in Teilen Saudi-Arabiens oder in Moskau

sofort, dass Reichtum keine Garantie für Schönheit ist. Derartige Bei-

spiele zeigen, dass tatsächlich kein Zusammenhang zwischen Geld und

Schönheit besteht. Geld eröffnet die Möglichkeit, Schönes zu gestalten,

aber Schönheit hängt nicht von Geld ab. Letztlich zählen das Geschick

und die Phantasie des Architekten. Schöne Architektur für alle sollte

möglich sein. Ein schönes Haus zu bauen kostet nicht mehr, als ein

hässliches Haus zu bauen.

Warum fühlen sich Menschen zu bestimmten architektonischen

Stilen hingezogen, zu anderen hingegen nicht?

Tendenziell brauchen wir eine Architektur, die für Dinge steht, zu denen

wir uns hingezogen fühlen, die aber in unserem Leben fehlen. Im Grun-

de genommen gibt es gegenwärtig nur zwei bedeutende architektoni-

sche Phantasien: die Ruhe und das Natürliche. Der Minimalismus – die

Idee des leeren Raums – ist die große Faszination unserer Zeit. Und

zwar einfach deshalb, weil unser Leben so kompliziert und überladen

mit Dingen und Aktivitäten ist, dass wir uns nach Ruhe sehnen. Nach

der Natur wiederum sehnen sich die Menschen, weil sie einen Gegen-

pol zu unserer technologisierten und industrialisierten Welt bildet.

Es gibt mehr hochqualifizierte Architekten als je zuvor und heraus-

ragende Gegenwartsarchitektur. Trotzdem ist die Architektur im

Alltag häufig alles andere als „schön“. Warum?

Zum einen spielen Architekten bei der Gestaltung von Gebäuden eine

immer geringere Rolle. Viele Immobilienentwickler greifen überhaupt

nicht mehr auf Architekten zurück. Dort, wo es eine besonders attrakti-

ve Architektur gibt, ist das gesellschaftliche Engagement häufig sehr

stark ausgeprägt. Zum Beispiel bedurfte es einer enormen kollektiven

Anstrengung und einer Unmenge von Regeln etwa zur Größe und Plat-

zierung von Gebäuden, damit Manhattan zu dem wurde, was es heute

ist. Da war das politische Engagement vieler gefragt. Ähnlich ist es in

den Niederlanden, wo es viel ansprechende Architektur gibt, weil den

Holländern ihre Umwelt sehr wichtig ist. Auch hier gibt es viele Bestim-

mungen, wie und wo man bauen darf. Am schlimmsten hingegen sieht

es oft dort aus, wo es gar keine Regeln gibt und die Gestaltung allein

dem Markt überlassen wird. Architekten stehen jedoch auch der Gesell-

schaft gegenüber in der Verantwortung. Die Architektur ist kein privates

Geschäft, sondern betrifft jeden von uns.

Ohne den Einfluss der Religion gäbe es viele der großen architek-

tonischen Meisterwerke der Welt nicht (die Pyramiden in Ägypten

und Mexiko, die griechischen Tempel, die gotischen Kathedralen,

Alain de BottonVon der Kunst des Reisens über Glück und Architektur bis zum Freud

und Leid der Arbeit – in seinen Büchern versucht Alain de Botton,

philosophische Ideen, von der griechischen Philosophie bis zur

Moderne, auf Probleme des Alltags und gesellschaftspolitische Fragen

anzuwenden und allgemeinverständlich auf den Punkt zu bringen.

Der gebürtige Schweizer lebt und arbeitet in London. 7

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überall auf der Welt geradezu explosionsartig gewachsen. Beun-

ruhigt Sie diese Entwicklung?

Sogar sehr. Das Leben in Gruppen liegt in der menschlichen Natur –

aber nicht das Leben in riesigen Gruppen. Wird eine bestimmte Grup-

pengröße überschritten, setzen alle möglichen Dynamiken ein. Die zwi-

schenmenschlichen Bindungen lassen nach, und die Menschen werden

unsozialer. Ich glaube, es gibt so etwas wie eine ideale Größe für eine

Stadt, und verschiedene Leute haben auch schon versucht, diese zu de-

finieren: Zum Beispiel könnte eine Stadt gerade die richtige Größe

haben, wenn man sie an einem Tag zu Fuß durchqueren kann oder

wenn man von einem hohen Punkt innerhalb der Stadt den Blick über

die umliegenden Hügel und Landschaften schweifen lassen kann. Die

beste Möglichkeit, eine Megacity zu bewältigen, könnte sein, sie in meh-

rere kleine Städte zu unterteilen. In gewisser Weise trifft das schon jetzt

auf Städte wie Los Angeles oder Tokio zu. Tatsächlich sind das eher

Ansammlungen von Nachbarschaften.

kapelle hat die Religion den Architekten zudem die Aufgabe gegeben,

Emotionen zu wecken. Das ist etwas ganz anderes als die Gestaltung

eines Bahnhofs. Manche meinen, dass die Zukunft der Architektur im

Bau von Galerien und Museen liege. Ein großer Unterschied besteht al-

lerdings darin, dass Galerien als Ausstellungsorte für Kunstwerke die-

nen. Wo aber die Kunst das wirklich Besondere ist, wird selbst das

schönste Gebäude auf die Funktion eines Behältnisses reduziert, das es

uns ermöglicht, uns an der dort ausgestellten Kunst zu erfreuen. Es ist,

als ob wir heutzutage eine Rechtfertigung bräuchten, um schöne Ge-

bäude zu errichten. Wir sollten bestimmte Formen neu erfinden und Ar-

chitekten die Möglichkeit geben, großartige öffentliche Räume zu

bauen, die keinem anderen Zweck dienen als dem, darin zu flanieren

und die Gedanken wandern zu lassen. So weit sind wir aber noch nicht.

In einem Interview vor etwa zehn Jahren sagten Sie, Städte

könnten „sich mit ihrer Größe erdrosseln“. Seither sind die Städte

forum_gespräch

»Einsamkeit gehört zum Stadtleben.«

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„Living Architecture“:Das „Shingle House“des Glasgower Architek-tenbüros NORD bestehtaus recycelten Mate-rialien und kann sich –je nach Wunsch desBewohners – der Außen-welt gegenüber öffnenoder verschließen.

Der „Balancing Barn“ des holländischen Architekturbüros MVRDV

„A Secular Retreat“ (weltliches Refugium) von Peter Zumthor

Niemand weiß, wie unser Arbeits- und Lebensumfeld in 50 oder

100 Jahren aussehen wird. Doch die meisten heute errichteten

Gebäude werden dann noch stehen. Werden sie einem möglicher-

weise drastisch veränderten Umfeld noch gerecht werden?

Sicher nicht alle. Aber die besten Gebäude sind flexibel. Einige der

Industriebauten des 19. Jahrhunderts zum Beispiel dienten zunächst

als Lagerhäuser, dann als Bürogebäude und schließlich als Wohnungen

oder Kunstgalerien. Außerdem hat sich unsere Lebensweise bislang

gar nicht so sehr verändert. Das Schlafzimmer, das Badezimmer, die

Küche – das sind feste und seit langem bewährte Einheiten.

Im Alter von 101 Jahren sagte der berühmte Architekt Oscar Nie-

meyer, ein Architekt müsse „überzeugt davon sein, die Welt zu einem

besseren Ort machen zu können“. Würden Sie dem zustimmen?

Absolut. Die Gestaltung eines Gebäudes sollte ein positiver Schritt sein,

und als Architekt sollte man das Gefühl haben, seine Umwelt ver-

schönern zu können. Seit jeher sind die besten Architekten Utopisten

gewesen.7

DAS INTERVIEW FÜHRTE ANKE BRYSON. | FOTOS (PORTRAITS): PHIL FISK

„Eine neue Art, Architektur zu erleben“

Alain de Botton gehört zu den Begründern der Initiative „Living Archi-

tecture“. Living Architecture hat außergewöhnliche – bekannte und

weniger bekannte – Architekten mit dem Bau ungewöhnlicher Häuser

an verschiedenen Orten in Großbritannien beauftragt, die als Ferien-

häuser gemietet werden können. Living Architecture will „normalen“

Menschen so ermöglichen, einen Eindruck davon zu bekommen, wie

sich herausragende Architektur im Alltag anfühlt. „In Großbritannien

hat es die Gegenwartsarchitektur sehr schwer“, sagt Alain de Botton.

„Bei den großen modernen Bauwerken, die es hierzulande gibt, han-

delt es sich zumeist um Durchgangsorte, wie zum Beispiel Flughäfen,

Museen und Bürogebäude. Die wenigen modernen Häuser, die es

gibt, sind fast alle in Privatbesitz und der Öffentlichkeit nicht zugäng-

lich. Wir hoffen, mit dieser Initiative einen kleinen Beitrag zur öffent-

lichen Debatte in diesem Bereich zu leisten und Bauherren zu etwas

mehr Abenteuerlust zu ermutigen.“ Die „Living Architecture“-Häuser

können ab Juni 2010 gemietet werden. 7

Hilft Urbanisierung gegen Einsamkeit?

Ganz und gar nicht. Wo viele Menschen auf einem Haufen leben, wer-

den andere Menschen tendenziell eher als Bedrohung angesehen. Wo

weniger Menschen zusammenleben, ist der Einzelne weniger bedrohlich

und wird eher als potentieller Freund angesehen. Jemanden, dem man

in der Stadt begegnet, begrüßt man eher nicht. Auf dem Land schon.

Einsamkeit gehört zum Stadtleben. Manchmal kann diese Einsamkeit

natürlich auch positiv sein, weil sie dem Einzelnen Anonymität und

Schutz vor Gerede gibt. Wer aber Gemeinschaft sucht, findet diese eher

im Dorf.

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RomRömisches Reich

450.000

CordobaKalifat von Cordoba450.000

LagosNigeria21,5 Mio

Mexico CityMexiko21,8 Mio21,2 Mio

São PauloBrasilien21,6 Mio 19,9 Mio

New York City USA20,4 Mio

AlexandriaRömisches Reich

250.000

KarthagoRömisches Reich100.000

KairoÄgypten135.000Jakarta

Indonesien24,1 Mio20,8 Mio

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forum_welt_in_zahlen

Globale Metropolen gestern, heute und morgenDie Stadt ist ein nahezu universales Phäno-

men. Städtische Kulturen sind unabhängig

voneinander auf fast allen Kontinenten

entstanden. Mit etwa 1 Million Einwohnern

im Jahr 330 n. Chr. gilt Rom als erste

Großstadt der Welt. Im Zuge der Verlegung

bedeutender Hauptstadtfunktionen nach

Konstantinopel im 4. Jahrhundert sowie

des Zerfalls des Weströmischen Reiches im

5. Jahrhundert sank die Bevölkerung bis

zum Jahr 530 auf etwa 100.000. 350

Jahre dümpelte Rom vor sich hin, bis es

wieder erwachte, 1936 war die Million

wieder überschritten, heute ist Rom mit

seinen 2,6 Millionen Einwohnern zwar

eine veritable Metropole, aber eine Klein-

stadt im Vergleich mit Städten wie New

York oder Mexico City – oder der Metro-

polregion Tokio, in der mehr als 31 Millio-

nen Menschen leben, über ein Viertel der

japanischen Gesamtbevölkerung. Mit

Peking war bereits im 15. Jahrhundert eine

asiatische Stadt größte Stadt der Welt.

Folgt man den – leider auf uneinheitlichen

Statistiken basierenden – Schätzungen,

wird das 21. Jahrhundert das Jahrhundert

des asiatischen Städtebooms sein.

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AntiochiaRömisches Reich150.000

KonstantinopelByzanz300.000

Bagdad Irak

250.000

NeyshaburPersien

125.000

AnuradhapuraSri Lanka130.000

PeshawarPakistan120.000

DelhiIndien25,8 Mio

MumbaiIndien26 Mio21,2 Mio

DhakaBangladesch22 Mio

AngkorKambodscha200.000

LuoyangChina420.000

KaifengChina400.000

ShanghaiChina19,2 Mio

KyotoJapan175.000

Seoul Südkorea24,5 Mio

Tokio Japan37,3 Mio31 Mio

100 n. Chr. 1000 n. Chr. 2010 2020

100 n. Chr. 1000 n. Chr. 2010 2020

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Quellen: IDC, Emporis, Worldmapper.org.

Immer höher hinausIm Skyline-Ranking von Emporis erhalten Städte je nach Anzahl und Geschossanzahlihrer Hochhäuser Punkte. Die Faustformel: Je höher die Punktzahl, desto eindrucksvollerdie Skyline. Mit 7.682 Hochhäusern und 128.548 Punkten liegt Hongkong hier ganz klarvor New York mit 5.845 Hochhäusern und gerade einmal 38.898 Punkten. Durch denBauboom der letzten Jahre hat sich Dubai inzwischen Platz 10 gesichert. Sieben der Top10 Skylines befinden sich in Asien, keine in Europa.

Stadtluft, LandluftMehr als die Hälfte der weltweiten Bevölkerung drängtsich in den Städten dieser Welt – bei deutlichen Unter-schieden von Land zu Land. Stadtstaaten wie Singapurnicht eingerechnet, hält Belgien mit 97 Prozent denaktuellen Urbanisierungsrekord, gefolgt von Kuwaitund Island. Aber auch in Australien und Uruguay istder Anteil der Stadtbewohner mit 92 Prozent hoch. Mit ebenfalls 92 Prozent haben Ost-Timor und Bhutandie relativ größte ländliche Bevölkerung; in Ugandaund Äthiopien leben immerhin noch 85 Prozent derMenschen auf dem Land.

Unten durchIn vielen heutigen Metropolregio-nen ist das schnellste Verkehrs-mittel die U-Bahn oder Metro.Das mit 408 Kilometern längste – und älteste – Streckennetz derWelt durchzieht das Erdreichunter London. New Yorks Sub-way folgt mit 386 Kilometern.Um den Nutzerrekord streitensich die Moskauer und die Tokio-ter U-Bahn mit jeweils knapp 8 Millionen Fahrgästen pro Tag. In Tokio sorgen sogenannte „U-Bahn-Stopfer“ dafür, dass diePendler zu Stoßzeiten auf Tuch-fühlung gehen. Aktuell betreibenrund 140 Städte weltweit eineMetro.

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forum_reportage

Unter den Sohlen knirscht der Splitt. Bertram Weisshaar

schlendert von Parkdeck 10 zu Parkdeck 11 und wieder zurück zu Park-

deck 10. Er fahndet dort nicht nach einem Auto, nein, er sucht nach

Ruhe. Das Parkhaus liegt bloß wenige Schritte neben dem Hauptbahn-

hof. Doch niemand hetzt mit einem rumpelnden Rollkoffer, niemand

bremst mit quietschenden Reifen. Weisshaar beugt sich über das

Geländer. Er blickt auf die Dächer von Leipzig, auf die blauen Lettern der

Stadtwerke, die rote Schrift der Sparkasse. Der Wind zerzaust seine

Locken. In der Ferne rattern die Schnellzüge, bimmeln die Straßenbah-

nen, rumpeln die Lastwagen. Plötzlich hat das Parkhaus etwas von

einer Ferieninsel. Wenigstens ein bisschen.

Wer am Leipziger Hauptbahnhof zu einem Spaziergang aufbricht, steuert

wahrscheinlich zuerst die Nikolaikirche an, dann vielleicht das Alte Rat-

haus, die Alte Börse und die Alte Waage. Allerdings kein Parkhaus.

Doch Weisshaar ist kein gewöhnlicher Spaziergänger, sondern frei-

beruflicher Spaziergangsforscher. Leipzig ist ebenso sehr seine Wahl-

Bertram Weisshaar ist freiberuflicher Spaziergangsforscher. Er flaniert nicht durch die Landschaft, sondern inspiziert seine Umgebung. Seine These: Auf einem Spaziergang sieht man mehr als durcheine Windschutzscheibe.

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heimat wie sein Forschungsfeld: „Überall gibt es Mikrolandschaften.“

Damit meint er Parks und Kanäle, aber auch Industriebrachen und Leer-

flächen. Eine Frage treibt ihn an: „Wie kommen wir – in unseren eige-

nen Städten, nicht auf fernen Kontinenten – zu neuen Landschaften?“

Dazu muss er eine neue Sicht auf die Stadt gewinnen. Etwa von einem

Parkhaus aus.

Für Georg Simmel wäre er wahrscheinlich ein Flaneur gewesen, für

Marcel Proust ein Passant, für Oscar Wilde ein Dandy. Bertram Weiss-

haar jedoch nennt sich: Promenadologe. Anfang der neunziger Jahre

hat er in Kassel bei Lucius Burckhardt studiert, dem Begründer der so-

genannten Promenadologie. Der Soziologe Burckhardt erforschte, wie

Menschen ihre Umwelt entdecken und durchmessen. Menschliche Wahr-

nehmung und Fortbewegung – daran sollte Stadtplanung sich ausrich-

ten, fand er. Stadtentwicklung dürfe nicht allein die Autofahrer berück-

sichtigen. Weisshaar verbreitet Burckhardts Thesen in Vorträgen, bei

Kongressen, in Seminaren. Er ist in Burckhardts Fußstapfen getreten.

ACHTUNGFUSSGÄNGER

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forum_reportage

Unter den Sohlen knacken die Dornen. Brombeerran-

ken überwuchern die Pflastersteine. Zum Verladebahnhof neben dem

Parkhaus gelangt nur, wer ein Absperrgitter beiseiteschiebt. Die Anlage

ist verwaist: Die Fensterscheiben sind zerbrochen, die Backsteinmauern

bemalt. „See sunrise with no sleep at all“, hat jemand in schwarzer

Schrift auf weißen Grund gesprüht. Das Vogelgezwitscher wird lauter,

das Verkehrsrauschen leiser. Ist das schon eine Landschaft? Früher war

die Definition nicht allzu schwierig – die Landschaft lag vor den Stadt-

toren. „Jetzt wissen wir nicht mehr, wo die Stadt aufhört und wo das

Land anfängt“, sagt Weisshaar. In der Stadt breiten sich Grünanlagen

aus, auf dem Land Gewerbegebiete.

In der Stadt hält sich die Landschaft bisweilen verborgen, hinter dem

Verladebahnhof zum Beispiel. Da spaziert Bertram Weisshaar gerne an

einem Flussufer entlang. Dazu muss er sich allerdings durch Brombee-

ren kämpfen, auf einem Holzbrett balancieren und über ein Matschstück

rutschen. Erst dann stößt er auf die Parthe, einen winzigen Fluss, der im

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Glastener Forst entspringt und in die Weiße Elster mündet. Planer haben

die Parthe nicht nur versteckt, sondern auch begradigt; das Wasser

wälzt sich durch ein Bett aus Beton. Trotzdem findet Weisshaar dort ein

Merkmal von Landschaft: Sogar in einer solchen Rinne kann er Natur

entdecken, die sich nicht gänzlich bändigen lässt.

Eigentlich hat der Verladebahnhof nichts mit dem Tiergarten flussab-

wärts zu tun. Das einzige Bindeglied zwischen ihnen ist das Wasser:

Beide Orte liegen an der Parthe. Damit gehören sie zu einer Landschaft.

Bertram Weisshaarerforscht und entwickelt Spaziergänge, um die Wahrneh-mung der Menschen für ihre Umwelt zu schärfen.

Solche Zusammenhänge so herauszuarbeiten, dass sie sich jedem

Spaziergänger sogleich erschließen – darin sieht Weisshaar die Aufga-

be von Landschaftsarchitekten. Die Landschaft entsteht erst in den

Köpfen. Das allerdings war schon immer so. Wer früher vor die Tore der

Stadt trat, durchquerte einen Bach, kletterte auf einen Hügel, wanderte

durch einen Wald. Auch diese Orte standen für sich. Erst der Spazier-

gänger verknüpfte all die verschiedenen Eindrücke zu einem Gesamt-

bild, nämlich der Landschaft.

Unter den Sohlen splittert das Glas. Auf den Pflaster-

steinen am Flussufer sind ein paar Bierflaschen zersprungen. Andere

Spaziergänger würden die Scherben womöglich ausblenden und sich

lieber etwas Schönerem zuwenden, zum Beispiel der Basilikumpflanze,

die im Terrakottatopf auf dem Fenstersims auf der anderen Flussseite

wächst. Die fügt sich besser ins Bild. Bertram Weisshaar hingegen

filtert seine Umgebung nicht. Wie gehen die Stadtplaner mit Flüssen

um? Wie mit Fußgängern, mit Radfahrern und mit Autobesitzern? Mit

solchen Fragen im Kopf streift Bertram Weisshaar nicht nur durch

Leipzig, sondern auch durch Frankfurt, Hannover oder Lübeck. Häufig

heuern die Städte ihn an. Dann führt er Gruppen zum Beispiel durch

historische Altstädte – von Parkplatz zu Parkplatz. Dadurch kann er zwei-

erlei zeigen: Zum einen beweist er, wie viel Platz Autos beanspruchen,

zum anderen, wie sehr Autos die Sicht einschränken. Durch eine Wind-

schutzscheibe können wir bloß Ausschnitte wahrnehmen, auf einem

Spaziergang hingegen Einblicke bekommen. Manchmal kann Bertram

Weisshaar keine Landschaft finden. Als er das Flussufer hinter sich

lässt, biegt er in eine Hauptstraße ein. Auf acht Spuren brausen die

Autos vorbei. Ein paar Schritte weiter zuckeln drei Straßenbahnen zur

Haltestelle, Stoßstange an Stoßstange. Ein Spaziergänger könnte den

Platz nicht kreuzen. Wer die Stadt zu Fuß erkunden möchte, muss sich

auf Umwege gefasst machen. Dass Fußgänger aus den Innenstädten

verdrängt werden, beobachtet Weisshaar oft. Neben der großzügigen

Hauptstraße etwa verläuft ein bescheidener Bürgersteig.

Unter den Sohlen zerplatzen zwei Hagebutten. Ber-

tram Weisshaar zieht den Reißverschluss am Rollkragen hoch, vergräbt

die Hände in den Manteltaschen. Er hat noch ein bisschen Weg vor sich:

„In jeder Stadt stecken hunderttausend Bilder.“ Davon will er noch eini-

ge ausfindig machen. 7

TEXT: INKA WICHMANN | FOTOS: JÖRG GLÄSCHER

»Jetzt wissen wir nicht mehr, wo die Stadt aufhört und wo das Land anfängt.«

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Raum und KlangMusik und Architektur sind

eng miteinander verbunden.

Ideengeschichtlich spielen

mathematische und geometri-

sche Überlegungen in beiden

Traditionen eine wichtige

Rolle: Intervall und Takt in der

Musik, Grundriss und Raum-

verhältnisse in der Architektur.

Goethe nannte die Architektur

eine „stumme Musik“. Für

den Philosophen Friedrich

Wilhelm Schelling glich die

Architektur einer „erstarrten“

Musik.

Tatsächlich ist Musik fast

immer auch ein räumliches

Erlebnis. In der Tradition der

venezianischen Mehrchörigkeit

nutzte beispielsweise der Komponist Karlheinz Stockhausen die Klangbewegung

im Raum als kompositorisches Mittel. Als erster Konzertsaal überhaupt wurde

die 1951 fertiggestellte Royal Festival Hall in London (Foto) nach akustischen

Berechnungen errichtet. Seit den sechziger Jahren setzten sich zunehmend

Säle mit variabler Akustik für unterschiedliche Arten von Musik durch. Seit

der Erfindung des Walkman – und seines Nachfolgers MP3-Player – kann jeder

eigene „mobile Innenräume“ schaffen und mit sich tragen, um sich gegen

(lästige) Außenräume abzuschirmen. 7

forum_wissens_wert

Baumeister gibt es schon immer: Im Römischen

Reich waren dies vor allem Militäringenieure, im

Frühmittelalter Kleriker, im Spätmittelalter Handwerker

und in der Renaissance Künstler, Bildhauer oder

Wissenschaftler. Zu einer eigenen akademischen

Disziplin wurde die Architektur erst im Zuge der

Industrialisierung und der damit einhergehenden

Fortschritte in der Bautechnologie sowie immer kom-

plexeren Bauaufgaben.

Die UnvollendetenIn der Geschichte der Architektur hat es immer

wieder markante Bauwerke gegeben, die nicht

fertiggestellt wurden – weil das Geld ausging,

der Bauherr verstarb, eine Pestepidemie

ausbrach oder sonst etwas Unerwartetes da-

zwischenkam. Manche dieser Bauwerke lassen

sich auch im rudimentären Zustand nutzen,

andere bleiben Mahnmalen gleich ungenutzt

stehen. So zum Beispiel das 330 Meter hohe

Ryugyong-Hotel in Pjöngjang, Nordkorea,

das das höchste Hotel der Welt sein könnte,

aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten und

Konstruktionsfehlern bislang aber nicht fertig-

gestellt wurde und aktuell unbewohnbar ist.

Andere Gebäude befinden sich dauerhaft im

Bau. An Gaudís berühmter Sagrada Família

in Barcelona, Spanien, wird seit den 1880er

Jahren gebaut. Und wenn sich die Spanier ein

Beispiel an den Deutschen nehmen, könnte

es mit der Fertigstellung auch noch dauern:

Bis zur Fertigstellung des Kölner Doms im Jahr

1880 vergingen 632 Jahre. 7

Gaudís berühmteSagrada Família in Barcelona

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29„Der Mensch braucht vor allem Raumund Licht und Ordnung“, sagte der Sohn

eines Emaillierers von Uhrengehäusen und einer

Musiklehrerin, den es nach einer Lehre zum Graveur

und Goldschmied zur Malerei und Architektur zog.

Als logische Konsequenz der rasanten technischen

Entwicklung und des damit einhergehenden Wandels

der Lebensgewohnheiten im frühen 20. Jahrhundert

fordert der später aufgrund seiner radikalen Vorstel-

lungen vielfach kontrovers diskutierte Architekt „eine

fundamental neue Ästhetik“. In seinen „Fünf Punkten

einer neuen Architektur“ erklärt er: „Es bleibt uns nichts

mehr von der Architektur früherer Epochen, sowenig

wie uns der literarisch-historische Unterricht an den

Schulen noch etwas geben kann.“

Die Aufgabe des Architekten sieht er im Erstellen von

zweckmäßigen und wirtschaftlichen Entwürfen. Er

nimmt die reine Funktionalität der Maschine zum Vorbild

für die Gebäudegestaltung und orientiert sich an den

Formen von Flugzeugen, Lokomotiven, Ozeandampfern

und Automobilen. Dabei bekennt er sich umfassend zu

den technischen Möglichkeiten der Zeit und setzt auf neue Baumateri-

alien wie Eisenbeton und Stahl. Von Ornamenten, die den Selbstzweck

über die Funktion stellen, hält er nichts. Das Ergebnis seiner Architek-

turlehre sind klare und einfache Körper, die sich aus den geometri-

schen Grundformen des Rechtecks, Kreises und Quaders zusammen-

setzen.

Als Stadtplaner setzt er auf strenge Funktionenteilung. In seinem Kon-

zept einer „zeitgenössischen Stadt für drei Millionen Einwohner“ sollen

die Menschen in riesi-

gen Hochhäusern auf

Stelzen inmitten weiter

Grünanlagen wohnen,

in anderen Stadtteilen

in Bürotürmen arbei-

ten, in wieder anderen

einkaufen und sich

amüsieren. In die

Realität umsetzen kann

er seine städtebau-

lichen Vorstellungen,

als ihn die Regierung

des indischen Bundes-

staates Punjab 1951

als Berater für die

Planung der neuen

Hauptstadt Chandigarh

beruft, die heute als

Vorbild für indische

Stadtplaner gilt. 7

AUFLÖSUNG: SEITE 101

WER

WA

R’S

?Die Architektendichte variiert weltweitstark: Japan hat einen fünfmal höherenAnteil von Architekten als Großbritannien,in Dänemark gibt es knapp doppelt so viele Architekten pro Einwohner wie inDeutschland. Wer als Architekt noch Auf-gaben sucht, dürfte in Ländern wie Chinaoder Indien noch viele Möglichkeiten haben.

Der Drang nach obenHochhäuser beflügeln Gefühle von Ohnmacht und Allmacht, je

nachdem, ob man den schwindelerregenden Blick aus den Tiefen

enger Wolkenkratzerschluchten in die Höhe wagt oder von ganz oben

auf das Flirren der Menschenmassen und des Verkehrs herabschaut.

Wann genau die Menschen auf die Idee kamen, Türme zu bauen, ist

unklar. Beim ältesten archäologischen Turmfund handelt es sich um

die Überreste des Turms von Jericho, datiert auf eine Zeit um 7.500

v.Chr. Die Hochkulturen Mesopotamiens bauten ihre Tempelanlagen

auf künstliche Stufenberge, um ihren Göttern besonders nah zu sein

– zum Beispiel den „Turm zu Babel“, der 77 Meter maß

und 600 v.Chr. fertiggestellt wurde. Gut 300 Jahre später

wurde vor dem Hafen von Alexandria auf der Insel Pharos

ein 140 Meter hoher Leuchtturm errichtet.

Die nächsten hohen Türme wurden dann

erst wieder im Mittelalter in Angriff genom-

men, als man mit hohen Kirchenbauten

Gott ehren und Macht demonstrieren

wollte. Der Beginn der heutigen

„Wolkenkratzer-Rally“ geht auf

das Ende des 19. Jahrhunderts

zurück, als die Entwicklung

des Stahlskelettbaus und die

Erfindung des elektrischen

Aufzugs den Bauherren

völlig neue Möglichkeiten

eröffneten. Angefangen

mit New York und Chicago,

schossen allerorten

Wohn- und Bürotürme aus

dem Boden. 7

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»Bislang mussten Architekten sich mit vielen unterschiedlichen Aspekten des Stand-orts auseinandersetzen, konzentrierten sich dabei aber immer auf reale Problemewie etwa Werkstoffe oder die Form. Ich schätze, dass wir nun fast die Hälfte unseresAlltags in der Informationsgesellschaft verbringen. Und obwohl die Informations-gesellschaft unsichtbar ist, denke ich, dass Architektur sich darauf beziehen muss.«Kazuyo Sejima

30

ansichten

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Kazuyo Sejima führt gemeinsam mitRyue Nishizawa das ArchitekturbüroSANAA in Tokio. Das Büro erhielt imMai mit dem Pritzker-Preis 2010 diebedeutendste Auszeichnung für Archi-tekten. Sejima ist außerdem Kuratorinder Architektur-Biennale 2010 in Vene-dig. Zu den bekanntesten Werken desBüros zählen das New Museum ofContemporary Art in New York und dieZollverein School of Management andDesign in Essen.

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ansichten

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»Ich hielt es für unmöglich, Hochhausfassaden mit bloßen Händen zu erklettern.Aber ich habe erkannt, dass das Unmögliche nur so lange unmöglich bleibt, bis man es möglich macht.«Alain Robert, französischer Fassadenkletterer

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WAS KOMMT VOR DER

projekte_infrastruktur

och sieht man nur Straßen, Sand und Geröll. Am

Horizont, kaum zu erkennen im Flirren der Hitze,

ragen ein paar weiße Hallen auf. Etliche Kilometer

ziehen sich die schwarzen Asphaltbänder durch

den hellen Sand, durch die Einöde. Unter den

Straßen aber ist schon alles vorbereitet für den An-

sturm, den sich das Emirat Dubai im Wüstensand

erhofft: Einen Steinwurf vom neuen Al Maktoum International

Airport, der nach seiner Fertigstellung der größte der Welt sein

wird, entsteht ein rund 30 Quadratkilometer großes Wirtschafts-

areal, in dem Hunderte internationaler Unternehmen ein neues

Zuhause finden oder eine arabische Dependance gründen sollen:

das Dubai World Central. Noch steht hier nicht einmal eine Gara-

ge, aber längst hat man Wasser-, Abwasserrohre sowie Strom-

und Kühlleitungen verlegt. Glasfaserkabel wurden gleich paarweise

im Boden versenkt, auf dass die Daten später ungestört in alle Welt

fließen mögen. Bevor die Stadt wächst, ist die Infrastruktur schon

da. In dem neuen Logistik- und Wirtschaftszentrum werden rund

150.000 Menschen arbeiten, Bürogebäude mit 45 Etagen und

25 Hotels errichtet. Und alle müssen mit Wasser, Strom und Kälte

versorgt werden. Ohne eine leistungsfähige Infrastruktur ist das

undenkbar. 3

N

Entstehung und Wachstum von Städten hängen nicht nur von der baulichen Entwicklung über,sondern auch von der unter der Erde ab. Besonders für die infrastrukturelle Versorgung undMobilität spielt die Stadt unter der Stadt eine entscheidende Rolle.

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STADT?

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Wo heute noch Wüste ist, könnte morgen einefuturistische Ökostadt stehen (siehe S. 38) – aber erst braucht es eine funktionsfähige Versorgungsinfrastruktur.

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projekte_infrastruktur

Das neue Finanzquartier vor den Toren Dubais ist eines der welt-

weit wohl imposantesten Bauvorhaben, aber längst nicht das ein-

zige. Vor allem in China und Indien, aber auch in Afrika wachsen

die Städte. In China wird heute ein Stadtquartier für 50.000 Men-

schen in nur drei Jahren aus dem Boden gestampft, oftmals dort,

wo sich Großkonzerne ansiedeln. Im Jahr 2025 werden nach

Schätzung der Unesco bereits 60 Prozent der Menschheit in

Städten leben. All diese Menschen mit Strom oder sauberem Trink-

wasser zu versorgen ist eine Herausforderung. Mehr denn je sind

dafür intelligente und leistungsfähige Infrastrukturlösungen ge-

fragt.

Die beste Lösung für die Stromversorgung wäre die Nutzung rege-

nerativer Energien. Doch Sonne und Wind werden die Metropolen

der Welt mittelfristig nur zu einem Teil damit versorgen können. Bis

dahin ist Erdgas eine ideale Alternative, denn es verbrennt deutlich

sauberer als Kohle und lässt sich effizient in kleinen Kraftwerken in

der Stadt zur gekoppelten Strom- und Wärmeerzeugung einsetzen.

Was Deutschland betrifft, muss das Gas von weit her aus Russland

und anderen asiatischen Regionen per Pipeline herbeigeschafft

3

Mit Opus Caemen-titium, einem Vorgänger undNamensgeber des heutigenZements, bautenschon die Römerihre Aquädukte.

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verkehr zu reduzieren, wurden eine Expressfährverbindung und

neue Buslinien eingerichtet. Auch die österreichische Stadt Linz will

mit ihrem neuen Stadtteil solarCity Kohlendioxid einsparen. Etwa

die Hälfte des Warmwassers soll durch Solarkollektoren im Stadt-

teil erzeugt werden, der Rest wird über Fernwärmeleitungen ange-

liefert.

Der Trend beim Städtebau und der Infrastruktur ist also klar: Es gilt,

die Stadtgebiete möglichst dezentral und mitunter sogar autark zu

versorgen. „Die Zeiten der großen Kanalisationen und Ausfall-

straßen ist vorbei“, sagt Alexander Rieck, der in der Fraunhofer-Ge-

sellschaft entsprechende Forschungs- und Entwicklungsergebnis-

se zusammenführt und in internationalen Großprojekten anwendet.

„Die Zukunft ist eine kleinräumige Gliederung der Stadt in viele

Zentren, die sich zum Teil selbst versorgen und in denen Menschen

wohnen, einkaufen und arbeiten.“ Die Fraunhofer-Gesellschaft hat

beispielsweise erforscht, wie sich ein solches Areal mit Wasser ver-

sorgen und vom Abwasser befreien lässt. Eine Lösung sind dünne

Vakuumröhren, die fast ohne Wasser auskommen und die Fäkalien

wie in der Zugtoilette absaugen. Feststoffe können dann vor Ort 3

»Die Zukunft ist eine kleinräumige

Gliederung der Stadt in viele Zentren,

die sich zum Teil selbst versorgen.«

werden. ThyssenKrupp hat dafür Spezialstähle entwickelt, die mit

mehr als 2 Zentimetern Wandstärke besonders haltbar sind. Das

Gas kann daher mit höheren Drücken durch die Pipeline gepumpt

werden. So lässt sich mehr transportieren. Und noch etwas macht

die Rohre besonders. Sie widerstehen hohen Konzentrationen an

Schwefelwasserstoff im Erdgas, der ansonsten zu Rissen und

Leckagen führen könnte.

Infrastruktur, die mitwächst

Eine der zurzeit drängendsten Fragen ist, wie sich die wachsende

Weltbevölkerung und insbesondere die Menschen in den Städten

künftig umweltfreundlich versorgen lassen. Eine Patentlösung, die

noch dazu wirtschaftlich ist, gibt es zurzeit nicht. Doch haben For-

scher in verschiedenen Ländern inzwischen ganz unterschiedliche

Ansätze für die künftige Infrastruktur entwickelt. So entsteht in

Stockholm mit Hammarby Sjöstad ein neuer Stadtteil für 25.000

Menschen direkt am Wasser. Ein Großteil der für Heizung und

Warmwasser benötigten Wärme wird aus der Vergasung von Klär-

schlamm und der Verbrennung von Müll gewonnen. Um den Auto-

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38 leicht abgetrennt, getrocknet und verbrannt oder zu Biogas ver-

goren werden. Für die Toilettenspülung wird Regenwasser genutzt,

das in riesigen unterirdischen Tanks gesammelt wird – einer Art

kommunaler Zisterne.

Auch Alexandra Lux vom Institut für sozial-ökologische Forschung

in Frankfurt am Main glaubt daran, dass die Infrastruktur künftig

eher kleinräumig strukturiert sein wird. „Niemand weiß genau, wie

sich das Wachstum der Städte in Jahrzehnten fortsetzen wird. Statt

große Versorgungsnetze zu bauen, ist es sinnvoller, ein System zu

entwickeln, das mitwachsen kann und aus kleinen Versorgungs-

inseln besteht.“ Lux arbeitet unter anderem an Verfahren, mit

denen sich der Wasserbedarf prognostizieren lässt. Was die

Wasserversorgung selbst angeht, hat die staatliche australische

Forschungsorganisation Csiro unlängst eine eindrucksvolle Lösung

präsentiert: Sie will künftig während der Regenzeit das Wasser in

wasserführende Schichten tief in der Erde, sogenannte Aquifere,

pumpen, um damit bei Trockenheit den Bedarf zu decken.

Autarkie auf kleinem Raum

Einen kleinräumigen Autarkieansatz verfolgt auch das Emirat Abu

Dhabi, Dubais Nachbar. Bis zum Jahr 2020 soll dort die erste

Ökoretortenstadt der Welt, „Masdar City“, aus dem Wüstensand

gestampft werden. Die von Stararchitekt Sir Norman Foster

konzipierte 50.000-Einwohner-Gemeinde soll die erste CO2-freie

Metropole der Welt sein, die erste, die sich die Energie für Strom,

Klimakälte oder den Verkehr selbst aus Sonne und Wind erzeugt.

Autos gibt es nicht. Stattdessen gleiten fahrerlose elektrische Fahr-

kokons im Kellergeschoss unter den Straßen entlang. Sie bringen

die Bewohner und Arbeiter automatisch von A nach B. Einzig die

Hochhäuser fehlen. Statt der heute auch in Abu Dhabi üblichen rie-

sigen Wohn- und Bürokomplexe, zwischen denen die Temperatu-

ren mittags auf 50 Grad steigen, sind für Masdar beschauliche,

zwei-, dreigeschossige Häuser und enge schattige Gassen ge-

plant, die kühl bleiben. Bei aller Fortschrittlichkeit findet Masdar

damit zurück zum traditionellen Baustil der arabischen Wüstenre-

gionen. Zwar hat die Wirtschaftskrise die Pläne der Scheichs

durcheinandergewirbelt, so dass derzeit ein neuer Masterplan auf-

gestellt wird. Doch bislang gibt es keine andere Stadt weltweit, die

die umweltfreundliche Versorgung derart weit treiben wird.

Im 19. Jahrhundert begannen die europäischen Städte mit dem

Bau moderner Kanalisationen, Anfang des 20. folgten Wasserlei-

tungen und Stromnetze. Infrastruktur war lange Zeit Versorgung in

großen Dimensionen. Natürlich ist das auch heute noch der Fall.

Doch eines ist sicher: Für die Versorgung der Städte wird man

künftig zunehmend verschiedene Technologien miteinander kom-

binieren. Die Infrastruktur diversifiziert sich und wird sich damit

perfekt an die jeweiligen Bedingungen anpassen lassen – in Euro-

pa, in Asien, in einer neuen Stadt oder beim Umbau eines alten

Zentrums. „Welche Ideen sich durchsetzen, wissen wir heute noch

nicht“, sagt Alexander Rieck, „aber es werden viele sein, denn das

Bevölkerungswachstum schafft einen riesigen Bedarf.“ 7

TEXT: TIM SCHRÖDER

Grundsolides Fundament

Grundlage einer jeden Stadtinfrastruktur ist

heute vor allem eines: Beton. Aus Beton

werden Straßen gegossen, Gerippe von

Hochhäusern errichtet, Eisenbahnbrücken

geformt oder Tunnel unter der Stadt aus-

gekleidet. Kein anderer Baustoff wird welt-

weit so häufig eingesetzt wie dieser – die

klassische Mischung aus Zement, Wasser

und Sand. Allein in Deutschland verbaut

man jährlich 35 Millionen Tonnen Zement.

Zement wird in turmhohen Anlagen her-

gestellt, die mitunter höher als der Kölner

Dom sind. Manche liefern täglich bis zu

15.000 Tonnen.

Die ThyssenKrupp Tochter Polysius ist auf

den Bau dieser großen Werke spezialisiert

und hat etliche Anlagen in den wachsen-

den Nationen dieser Welt errichtet. Sie

liefern die Essenz für neue Infrastrukturen

wie etwa Bahn- oder Metrostrecken, die

verstopfte Straßen entlasten – oder auch

für unterirdische Shoppingmalls, wie sie

niederländische Architekten in Amsterdam

planen, um die Grachten- und Giebelkultur

über der Erde unangetastet zu lassen.

Dank spezieller bauchemischer Zusätze

sind Beton und Zement heute wahre Hoch-

leistungsstoffe.

Beim Tunnelbau vermengt man Zement

mit Erstarrungsbeschleunigern. Damit

verfestigt sich der Beton innerhalb von

Sekunden, sobald ihn die Spritzmaschine

an die Tunnelwand geschleudert hat. Man

weiß, dass Zementwerke ungeheure Men-

gen an Brennstoff benötigen. Um wertvolle

Rohstoffe wie Öl, Gas oder Kohle zu spa-

ren, werden die Anlagen deshalb so aus-

gelegt, dass sie sich auch mit Reststoffen

befeuern lassen – mit Abfall oder auch

Altreifen. Und auch bei den Zementroh-

stoffen wird im Sinne der Umwelt gespart.

Vielfach setzt man heute Hochofenschlacke

aus der Eisenherstellung ein. Wie sich

zeigte, verbessern diese Abfallstoffe die

Eigenschaften des Zements sogar. Auch

beim Straßenbau, zum Beispiel in schall-

schluckenden Flüsterasphalten, kommen

Schlacken heute zum Einsatz. 7

projekte_infrastruktur

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Marode Wasserleitungen im Westen, fehlendeInfrastruktur in den Entwicklungsländern – die Wasserversorgung bleibt eine der großen globalen Herausforderungen.

»Statt große Versorgungsnetze zu bauen, ist es sinnvoller,

ein System zu entwickeln, das mitwachsen kann.«

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projekte_werkstoffe

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AUS STOFFE,

Ob spektakuläre Bauprojekte oder der Schutz berühmter Denkmäler – erst dank moderner Werkstoffe wie neu entwickelter Stahlsorten, Titan und Stahl-Sandwichelementen können Architektenviele ihrer Ideen verwirklichen.

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DENEN TRÄUME SIND

Effektvoll: Der Eingangsbereich des Porsche-Museums in Stuttgart, das in 16 Metern Höhe auf dreimassiven Betonpfeilern ruht und vom Wiener Architekturbüro Delugan Meissl entworfen wurde. Der hier verwendete korrosionsbeständige Edelstahl von ThyssenKrupp „steigert räumlich die groß-zügige Öffnung des Eingangsbereichs und verstärkt die Interaktion von Besuchern und Gebäude“, wie Architekt Roman Delugan erklärt.

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ls der Burj Khalifa Bin Zayed, kurz auch Burj-Tower ge-

nannt, am 4. Januar 2010 offiziell in Dubai eingeweiht

wurde, hatte auch ThyssenKrupp Nirosta einen Grund

zu feiern. Denn für die Fassade des 828 Meter hohen

Turms griffen die Bauherren auf rund 400 Tonnen

rostfreien Edelstahl aus dem Werk in Dillenburg

zurück, der von der deutschen Partnerfirma Struk-

turmetall bearbeitet und ausgeliefert wurde. Das in sechsjähriger

Bauzeit nach den Plänen des US-Architekten Adrian Smith errich-

tete Gebäude ist aber nicht nur das höchste der Welt, sondern es

ist auch besonders widerstandsfähig – rostfreier Edelstahl trotzt

den Umwelteinflüssen, denen der Burj-Tower durch die gleichzeiti-

ge Nähe von Meer und Wüste und die dadurch hervorgerufenen

Temperaturschwankungen ausgesetzt ist. Zudem wurde die Ober-

fläche so bearbeitet, dass Gewicht eingespart wird und die Fassa-

de nicht spiegelt, um die den Airport in Dubai anfliegenden Piloten

nicht zu irritieren.

Neue Werkstoffe verändern die Architektur

Der Burj-Tower beweist wie zahlreiche andere spektakuläre Bau-

werke vor ihm, wie die Entwicklung neuer oder die Verbesserung

bekannter Werkstoffe die Möglichkeiten der Architektur immer wie-

der erweitern. Beton war so ein Baustoff, und zwar schon in der

Antike. Die Römer versetzten ihn mit Travertin, Tuff- und Ziegelsplitt

und konnten so vor 2.000 Jahren beim Bau des Pantheons die für

die damalige Zeit gewaltige Spannweite von 43 Metern stützenfrei

überwölben. Glas und Eisen sorgten dagegen Mitte des 19. Jahr-

hunderts für Aufsehen, als der britische Architekt Joseph Paxton

das Ausstellungsgebäude für die erste Weltausstellung 1851 in

London – den sogenannten Crystal Palace – im Wesentlichen mit

diesen beiden Werkstoffen bauen ließ. Schon bald darauf trat dann

der Stahl seinen weltweiten Siegeszug an. Beim Bau des nach

seinem Erbauer Gustave Eiffel benannten Stahlfachwerkturms an-

lässlich der Hundertjahrfeier der Französischen Revolution und der

damit verbundenen Weltausstellung von 1889 ging es erneut

um die Zurschaustellung eines modernen Baumaterials. Am ein-

drucksvollsten symbolisiert allerdings der Bau des Empire State

A

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projekte_werkstoffe

3

Buildings 1930/31 in New York in einer Rekordzeit von 18 Monaten,

wie sehr Stahl die Architektur in den Metropolen in aller Welt revo-

lutioniert hat. Mit 381 Metern Höhe war das Empire State Building

bis zum Bau des World Trade Centers mehr als 40 Jahre lang das

höchste Gebäude der Welt.

Stahl bleibt zukunftsfähig

Zwar wurde mittlerweile schon mehrfach das Ende des Stahlzeital-

ters vorausgesagt, doch konstante Investitionen in dreistelliger Mil-

lionenhöhe allein durch die deutsche Stahlindustrie sorgen dafür,

dass Stahl gegenüber neu entwickelten Verbundwerkstoffen wie

glasfaserverstärktem Kunststoff oder Metallschäumen

sowohl im Preis als auch bei den Materialeigenschaften

konkurrenzfähig bleibt. So stieg die Zahl der in der

Europäischen Stahlregistratur gelisteten Stahlsorten in

den letzten Jahren kontinuierlich auf 2.379 marktrele-

vante Sorten. „Allein im Jahr 2009 kamen 86 neue

Stahlsorten hinzu und damit fünf mehr als in den vor-

angegangenen vier Jahren zusammen“, so Wolfgang

Schmitz von der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Hinzu

kommen weitere nicht registrierte Werkssondermarken

und nichteuropäische Stähle. Neue Sorten sollen dabei

entweder Gewichtseinsparungen bei gleichen Material-

eigenschaften oder verbesserte Eigenschaften bei glei-

chem Gewicht erzielen. Das Wechselspiel von Material-

forschung und -entwicklung und der Anpassung an die

ständig steigenden Wünsche von Bauherren und Archi-

tekten haben über Jahrzehnte hinweg dafür gesorgt, dass immer

höher gebaut wurde und immer gewagtere Entwürfe letztlich reali-

siert werden konnten.

Vor allem die Kombination von Stahl und Beton hat dafür gesorgt,

dass wie beim Bau des Burj-Towers in immer neue Dimensionen

vorgestoßen werden konnte. Die jüngste Entwicklung beim Beton

ist sogenannter transluzenter, also bis zu einem gewissen Grad

lichtdurchlässiger, Beton. Durch das Einlegen von optischen Fasern

gelang es dem Ungarn Áron Losonczi, diese neuartigen Betonele-

mente herzustellen. Selbst bei bis zu 20 Metern Wanddicke sind

»Neue Werkstoffe sorgen dafür, dass immer gewagtere Entwürfe

realisiert werden können.«

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Beton | Bereits von den Römern beeindruckend im Pantheon in Romeingesetzt, entwickelt sich auch die-ser Werkstoff weiter und ermöglichtheute kühne Konstruktionen wie die Juscelino-Kubitschek-Brücke inBrasília.

Edelstahl | Ob in der Fassade des neuerbauten Burj-Towers in Dubai oder zurStabilisierung der Dresdner Frauenkir-che – Architekten setzen das Materialvon ThyssenKrupp Nirosta für viele ver-schiedene Zwecke ein.

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projekte_werkstoffe

Titan | Unverwüstlich: Titan verwittert auch unter ungünstigen Witterungsbedingungenkaum und wird immer häufiger in Fassaden genutzt. So besteht die Kuppel des neuenNationaltheaters in Peking (Bild Mitte rechts) teilweise aus dem Werkstoff. Und schonvor 20 Jahren lieferte ThyssenKrupp Titanium 30 Tonnen des Werkstoffs für die Türen der Hassan-II.-Moschee in Casablanca, die so perfekt vor Korrosion durch dieaggressive Meeresluft geschützt sind.

Glas | Nichts anFaszination ver-loren hat für Archi-tekten das trans-parente MaterialGlas – wie hier in der berühmtenPyramide von Ieoh Ming Pei vordem Louvre (Bildlinks) oder als Dach des um1900 errichtetenGrand Palais,ebenfalls in Paris(Bild Mitte links).

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

dabei noch Licht und Schatten zu erkennen. In Mexiko-Stadt wird

dieser Baustoff zurzeit das erste Mal im großen Stil von den Archi-

tekten Ebner + Sánchez beim Erweiterungsbau der Firmenzentrale

des mexikanischen Bauunternehmens ICA eingesetzt. Das 120

Meter lange, auf wenigen Stützen ruhende Gebäude soll eine um-

laufende Fassade mit Lamellen aus dem transluzenten Beton er-

halten. Neben Stahl und Beton ist vor allem Titan ein Werkstoff, der

hervorragende mechanische Eigenschaften besitzt, zudem sehr

korrosionsbeständig ist und in der modernen Architektur den Bau

aufsehenerregender Bauwerke ermöglicht.

Das 1997 fertiggestellte und mit einer Titan-

beschichtung versehene Guggenheim-Muse-

um in Bilbao ist das bekannteste, aber bei

weitem nicht einzige Bauwerk, das auf diese

Weise glänzen kann. So verwendete der japa-

nische Architekt Kisho Kurokawa beim zwei

Jahre später eröffneten Erweiterungsbau des

Van Gogh Museums in Amsterdam ebenfalls

Titan in Verbund mit Aluminium, um dem

elliptisch geformten Baukörper mehr Glanz

gegenüber dem nüchternen, viereckigen

Hauptgebäude zu verleihen. Neben Exklusi-

vität und Glanz punktet Titan bei Bauherren

und Architekten vor allem mit seiner Un-

verwüstlichkeit: Weil es sich bei Kontakt mit

Sauerstoff mit einer dünnen, transparenten

Oxidschicht umgibt, die fast gar nicht mehr

reagiert, verwittert es auch unter ungünstigen

klimatischen Verhältnissen kaum. Ein Um-

stand, der auch die Bauherren des Glasgower

Museums der Wissenschaft bewogen hat, für

den Bau inklusive des angegliederten IMAX-Kinos eine Titan-

ummantelung für Dach und Fassade zu wählen.

Rostfreier Edelstahl und Titan kommen aber nicht nur für moderne

Bauvorhaben in Betracht, sondern auch an ganz unerwarteter Stel-

le zum Einsatz. Dort wo Hitze, Kälte und Korrosion über Jahre die

Bausubstanz von antiken, mittelalterlichen oder Gebäuden aus jün-

geren Epochen zerstören, bieten die modernen Werkstoffe die

Chance, dem Verfall entgegenzuwirken. „Normalerweise wird Edel-

stahl nur mit moderner Architektur in Verbindung gebracht“, sagt

Gert Weiß, Leiter Produktservice bei ThyssenKrupp Nirosta. „Dabei

kann er auch alte Gebäude auf Vordermann bringen, ohne ihnen

einen völlig neuen Charakter zu verleihen.“ Wie etwa den Kölner

Dom, bei dem für einen auf 100 Metern Höhe liegenden Be-

sucherrundgang die alten und stark korrodierten Eisenträger durch

Träger aus Edelstahl ersetzt wurden. Auch die Konstruktion der

Dresdner Frauenkirche und das Reiterstandbild vor dem Bremer

Rathaus wurden durch Befestigungselemente aus Nirosta-Stählen

stabilisiert. „Bei diesen Anwendungsbeispielen sticht nicht die

technische Ästhetik des Materials hervor, sondern seine Funktio-

nalität“, so Weiß weiter.

Moderner Denkmalschutz aus Stahl und Titan

Das gilt auch für den verborgenen Einsatz von Titan auf der Akro-

polis in Athen. Dort wurde schon vor Jahren der ursprünglich für

die Restauration eingesetzte Stahl durch Titanstäbe von Thyssen

Krupp Titanium ersetzt, um die korrosionsbedingte Zerstörung des

Marmors in den weltberühmten Tempelsäulen zu verhindern. Auch

an der Rettung des Wahrzeichens von Venedig, des Campanile di

San Marco, vor dem Verfall ist ThyssenKrupp Titanium beteiligt.

Der Campanile, ein freistehender Glockenturm des Markusdoms auf

der gegenüberliegenden Seite des Markusplatzes, wurde erstmals

im 10. Jahrhundert errichtet, stürzte 1902 ein und wurde an-

schließend wiederaufgebaut. Das Fundament des fast 100 Meter

hohen Turms besteht jedoch aus Holzpfählen, die im Laufe der Zeit

durch das Salzwasser marode wurden. Außerdem greifen aufgrund

des steigenden Meeresspiegels Hochwasser und Überschwem-

mungen die Bausubstanz an. Dadurch können Risse entstehen,

und der Markus-Turm könnte sich seitlich neigen oder erneut ein-

stürzen. In einem aufwendigen Verfahren wird in einer Bauzeit von

zwei Jahren bis Ende 2011 eine Titankonstruktion in dreieinhalb

Metern Tiefe unter Wasser um das bisherige Fundament herum

gespannt, die das Bauwerk langfristig stabilhalten soll. 7

TEXT: CHRISTOPH NEUSCHÄFFER

»Ob Kölner Dom, Akropolis oder Markuskirche: Stahl und Titan können

auch alte Gebäude wieder auf Vordermann bringen.«

3

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projekte_quartier2007

2008

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

2009

2010

Aus Träumen wird Wirklichkeit: Im Zeitraffer zeigen 52 Bilder,wie in rund zweieinhalb Jahren aus einer Industriebrache amRande der Essener Innenstadt der weitläufige Campus desneuen ThyssenKrupp Quartiers entstanden ist. Im Sommer2010 ziehen die Mitarbeiter in die neue Konzernzentrale vonThyssenKrupp ein. Das markante, zentrale Gebäude Q1 etwaslinks von der Blickachse steht mit seinem großen Panorama-fenster ebenso wie der Campus insgesamt für Offenheit unddie Einladung zum Dialog. Welche Besonderheiten das Quartieraußerdem noch aufweist, wie sich Innovation und Zukunfts-orientierung des Konzerns darin widerspiegeln und warum das230 Hektar große Areal auch aus historischer Sicht so interes-sant ist, steht auf den folgenden Seiten.

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»BEWEGUNG

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quartier_interview

Ein Gespräch über das neue ThyssenKrupp Quartier in Essen mit Ralph Labonte, Personalvorstand der ThyssenKrupp AG, der das Projekt federführend betreut hat.

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UND AUFBRUCH«

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Herr Labonte, 2006 startete ThyssenKrupp einen internationalen

Architektenwettbewerb für das neue ThyssenKrupp Quartier, Mitte

2007 war der erste Spatenstich. Nun ziehen die Mitarbeiter des

Konzerns ein. Was bedeutet ein derart großes Projekt, das Tausen-

de von Menschen an einem neuen Standort versammelt, für Thys-

senKrupp?

Um es gleich zu Beginn zu sagen: Wir sind froh und stolz, nun in ein ar-

chitektonisch so gelungenes Quartier einzuziehen, das genau auf unse-

re Anforderungen zugeschnitten ist. Es macht auf vielfältige Weise deut-

lich, wie wir uns sehen und was uns wichtig ist. Es ist somit Ausdruck

unseres Selbstverständnisses. Mit der Rückkehr ins Ruhrgebiet beken-

nen wir uns klar zu der Region, in der ThyssenKrupp und seine beiden

Nach zwei Jahren Bauzeit fand am 17. Juli 2009 das Richtfest derKonzernzentrale im neuen ThyssenKrupp Quartier statt. Im Namendes Vorstands dankte Ralph Labonte all jenen, die mit viel Know-how dazu beigetragen haben, dass hier ein Stadtteil undalter Industriestandort zu neuem Leben erweckt wurde.

3

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Vorgängerunternehmen ihre Wurzeln haben. In Essen hat 1811 die Kon-

zerngeschichte mit einer kleinen Gussstahlfabrik namens Krupp begon-

nen und hier wird sie jetzt fortgeschrieben. Das ist etwas Besonderes.

Denken Sie nur an die Standortverlagerungen anderer Unternehmen,

auch ins Ausland. Außerdem steht ein Umzug immer auch für Bewe-

gung, für Aufbruch. Ich denke, ich spreche für alle Konzernmitarbeiter,

wenn ich sage, dass wir uns dieser historischen Dimension bewusst

sind. Ich bin gespannt, welche Dynamik das bei uns allen bewirkt.

Welche Bedeutung hat der Standort einer Konzernzentrale heute

überhaupt noch?

Ein Standort ist immer auch ein Signal der Verbundenheit mit einer

Stadt, einer Region. Wo sich ein Unternehmen ansiedelt, ist gerade in

einer globalisierten Welt von großer Bedeutung und hohem symboli-

schen Wert – für das Unternehmen selbst, für seine Mitarbeiter und

natürlich für den jeweiligen Ort. Auch ein international vernetzter Kon-

TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

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quartier_interview

Ein Quartier für 2.000 MitarbeiterIm neuen Quartier in Essen konzentriert Thys-

senKrupp seine Verwaltungsstandorte – neben

dem zweiten Firmensitz in Duisburg. Der ge-

samte Krupp-Gürtel umfasst 230 Hektar. Er

grenzt an die westliche Essener Innenstadt und

erstreckt sich auf 7 Kilometer Länge bis nach

Norden. Auf dem Campus des ThyssenKrupp

Quartiers arbeiten seit Juni 2010 etwa 2.000

Mitarbeiter. Gestaltet wurde das Quartier nach

einem Entwurf von Chaix & Morel et associés,

Paris /JSWD Architekten und Planer, Köln.

Das Bürokonzept wurde in Zusammenarbeit

mit dem Fraunhofer Institut entwickelt, wobei

die Wünsche der Mitarbeiter berücksichtigt

wurden. 7

Das „Schale-Kern“-Prinzip

Die Grundkonzeption aller Campus-Gebäude

folgt der „Architektur der räumlich erlebbaren

Mitte“ als Zeichen für Dialog und Kommunika-

tion. Dabei gilt das Prinzip „Schale – Kern“:

Alle Gebäude bestehen aus mindestens zwei

L-förmigen Einzelbaukörpern, die jeweils eine

gemeinsame Mitte umschließen. Damit entste-

hen zwei Fassadentypen – ein in die Mitte,

in Richtung der Höfe und Atrien, orientierter

Fassadentypus (der „Kern“) und einer, der

Bezug zu den äußeren Freianlagen aufnimmt

(die „Schale“). Dabei bilden die mit warmen,

sonnigen Farbtönen gestalteten Bleche des

„Kerns“, die in den Abend- und Nachtstunden

illuminiert werden, einen starken Kontrast

zur rauen, metallischen äußeren „Schale“. 7

Baudimensionen_1

Baustelle

über 300 am Bau beteiligte Unternehmen

max. rund 1.600 Beschäftigte auf der Baustelle

mehrere hundert Baufahrzeuge pro Tag

13 Kräne (max. zeitgleicher Einsatz)

450.000 m3 bewegte Bodenmassen

ca. 3 km Bauzaun

3

Ein neuer, grüner Stadtteil: links der neue Krupp-Gürtel, rechts die Essener Innen-stadt, verbunden durch den neuen Berthold-Beitz-Boulevard.

Page 51: ThyssenKrupp magazin - Architektur · an seinem Geburtsort errichten ließ, gilt als die erste Idealstadt der Renaissance. Zum ersten Mal öffnet sich hier der städtische Binnenraum

zern wie ThyssenKrupp mit Standorten auf fünf Kontinenten braucht

eine solche zentrale Verwaltung – als Herz des Konzerns und Symbol für

dessen Entwicklung.

Das städtebauliche Campus-Konzept soll auch – zumindest teil-

weise – eine Öffnung nach außen bringen. Ist es nicht trotzdem

eher wahrscheinlich, dass sich das Quartier zu einem Mikrokosmos

für die dort Beschäftigten entwickelt?

Nein, das denke ich nicht – das Quartier ist ja eingebettet in eine sehr

umfassende städtebauliche Entwicklung. Vor elf Jahren schon entstand

der Rahmenplan für den sogenannten Krupp-Gürtel, das Entwicklungs-

areal, das zwischen der Essener Innenstadt und dem Stadtteil Altendorf

in weiten Teilen über Jahrzehnte brach lag. Mit der schieren Größe von

rund 230 Hektar handelt es sich dabei um das größte innenstadtnahe

Entwicklungsareal in Deutschland. Ziel damals wie heute war es, die

Innenstadt zu erweitern und diese mit dem Stadtteil Altendorf zu ver-

knüpfen. Mit der Entscheidung, die Verwaltungseinheiten von Thyssen

Krupp im Herzen dieses Entwicklungsareals zu konzentrieren, haben wir

in Essen eine städtebauliche Dynamik in Gang gesetzt. So hat die Stadt

parallel den ersten Bauabschnitt des Berthold-Beitz-Boulevards und

des Nordteils des Krupp-Parks in Angriff genommen und bereits den

Bürgern der Stadt übergeben. Ich bin sehr zuversichtlich, dass auch die

Öffentlichkeit unseren Campus entdecken wird – und so ein lebendiger

Austausch des Konzerns mit seiner Umgebung entsteht. Indem wir

den Campus so offen gestalten, wollen wir ein Zeichen setzen,

gerade in einer Zeit, in der Sicherheitskontrollen schon fast überhand-

nehmen. Wir haben keinen Zaun und keine Mauer gebaut, damit diese

immense Fläche nicht nur den Mitarbeitern zur Verfügung steht. Dass

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

Unter der Erde

Auch unter dem „grünen Teppich“ des Thys-

senKrupp Campus ist allerhand los: Unter

Tage ist ein raffiniertes Logistiksystem entstan-

den. Großzügig dimensionierte unterirdische

Garagen verbinden alle Gebäude in einem

ausgeklügelten Verkehrssystem und sorgen

so dafür, dass der gesamte Campus autofrei

bleibt – Ver- und Entsorgung, Anlieferung

und Abholung finden unter der Erde statt,

Müllfahrzeuge oder Küchenwagen werden auf

dem Campus nicht zu sehen sein. Jedes Ge-

bäude lässt sich unterirdisch einzeln anfahren.

Niemand muss also bei schlechtem Wetter

oberirdisch über den Campus laufen. 7

3

Ein Ort zum Arbeiten und zum Verweilen: der neue Campus

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

quartier_interview

wir die Einladung zum Dialog ernst meinen, zeigt auch die Gestaltung

des Forums: Es soll ein Ort der Gespräche und des Austauschs sein.

Welchen Blick bzw. welche Einschätzung erhoffen Sie sich von

Ihren Gästen und Nachbarn in Essen? Erwarten Sie eine städte-

bauliche Entwicklung wie wir sie in den letzten Jahren in Deutsch-

land beispielsweise am Potsdamer Platz in Berlin oder in der Ham-

burger HafenCity erlebt haben?

Das wird die Zukunft zeigen. Vergleiche dieser Art sind immer mit ge-

wissen Unwägbarkeiten verbunden, weil die Gegebenheiten in jeder

Stadt andere sind. Essen und das Ruhrgebiet haben in den vergange-

nen Jahrzehnten einen umfassenden Strukturwandel durchgemacht,

der bis heute anhält – und sich übrigens auch in der Wahl zur diesjähri-

gen Kulturhauptstadt Europas widerspiegelt. Der Entwicklungsprozess,

mit dem die Zukunft dieser Region gesichert werden sollte, war alles

andere als einfach und vielerorts mit schmerzhaften Entscheidungen

verbunden. In diesem Zusammenhang ist unsere Standortentschei-

dung auch ein Signal, dass wir an die Zukunft der Region glauben. Eine

solche Einschätzung erhoffe ich mir auch von unseren Gästen und

Nachbarn. Die Grundlagen für eine lebendige städtebauliche Entwick-

lung – die man nie ganz genau steuern kann und die sich deshalb auch

nicht genau vorhersagen lässt – sind mit dem Rahmenplan und dem

ThyssenKrupp Quartier gelegt. Jetzt kommt es darauf an, was wir und

alle anderen daraus machen. Das wird spannend.

Architektur ist immer auch ein Selbstbild dessen, der sie „be-

wohnt“. Was sagt der Quartierneubau über ThyssenKrupp aus?

Welche Botschaft soll das Quartier nach außen vermitteln, welche

Zeichen setzen?

Wir sind in erster Linie ein Technologiekonzern: Wir leben von den Ideen

hochqualifizierter Ingenieure, die unsere Produkte und unser Know-how

in die Welt tragen. Dafür sind Wissensaustausch und Dialog essentiell –

das zeigen wir etwa mit der Campusstruktur und der Öffnung nach

außen. Wir wollen grundsätzlich Transparenz und Offenheit signali-

sieren. Das beweisen unter anderem die Fassaden. Das zentrale

Q1-Gebäude zum Beispiel hat große fensterartige Öffnungen, die

„Landschaftsfenster“. Darüber hinaus spiegelt das Quartier die gelebte

Eine starke Gemeinschaft

Den Wettbewerb zum ThyssenKrupp Quartier

hat eine Arbeitsgemeinschaft des Pariser Ar-

chitekturbüros Chaix & Morel et associés und

des Kölner Architekturbüros JSWD Architekten

gewonnen. Die Büros sind freundschaftlich

miteinander verbunden; eine Reihe von Vorha-

ben sind bereits aus gemeinsamen Entwürfen

entstanden, darunter der neue Hauptbahnhof

von Luxemburg.

Das Kölner Architekturbüro JSWD besteht

seit dem Jahr 2000. Die vier Partner Jürgen

Steffens, Olaf Drehsen sowie Konstantin und

Frederik Jaspert leiten ein Büro mit rund 50

Mitarbeitern. Als eine seiner besonderen Stär-

ken sieht JSWD den „ausgeprägten Sinn für

das Planen in stadträumlichen Dimensionen“.

Mit wenigen, aber klar definierten Elementen

schaffen die Architekten eindeutige Gebäude-

und Freiraumhierarchien. Das charakterisiert

auch das ThyssenKrupp Quartier: Gebäude

und umgebende Landschaft sind gleichbe-

rechtigte Teile eines räumlichen Ganzen; erst

eingebettet in die Grün- und Platzräume des

Campus entfalten die einzelnen Bausteine ihre

volle Wirkung.

Das Atelier d’architecture Chaix & Morel et

associés, gegründet 1983, umfasst zurzeit ein

Team von acht Partnern (Philippe Chaix, Jean-

Paul Morel, Rémy Van Nieuwenhove, Walter

Grasmug, Anabel Sergent, Denis Germond,

Benoit Sigros und Rémi Lichnerowicz) und

30 Mitarbeitern. Als Entwurfsprioritäten gelten

für das Büro das ökologisch nachhaltige

Bauen und Planen, die Suche nach architekto-

nischen Ausdrucksformen mit starker Identität

sowie die Anwendung innovativer Techniken

in der Planung und Entwicklung von Gebäu-

den. Zu seinen Gestaltungsprinzipien zählt

Chaix & Morel eine Architektur von nüchterner

Eleganz, eine kontextuelle Formensprache und

einen subtilen Umgang mit natürlichem Licht.

Das Atelier engagiert sich derzeit verstärkt

außerhalb Frankreichs, nicht zuletzt dank der

intensiven Zusammenarbeit mit anderen Archi-

tekten im Ausland. Mit dem ThyssenKrupp

Quartier hat Chaix & Morel et associés erst-

mals im Rahmen einer solchen Konstellation

ein Projekt großen Maßstabs verwirklicht. 7

3

Baudimensionen_2

Baustoffe

90.000 m3 Beton

23.000 t Stahl

28.600 m2 Teppich

16.300 m2 Glasflächen

»Die Einladung zum Dialog meinen wir ernst.«

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Allee der Welten

In der Allee der Welten vor dem Forum spiegelt

sich die Internationalität und globale Ausrich-

tung der ThyssenKrupp AG. Die 68 hier ge-

pflanzten Bäume stammen aus fünf Kontinen-

ten. Beim der Auswahl wurde bewusst darauf

geachtet, ein bezüglich Wuchs und Belaubung

möglichst vielfältiges Ensemble entstehen

zu lassen. Ähnlich wie seinerzeit im Essener

Hügel-Park, wo die Familie Krupp ebenfalls

Bäume aus aller Herren Länder pflanzte,

wurden keine Baumschösslinge eingepflanzt,

sondern bereits größere Exemplare, um

zeitgleich mit dem Einzug die gewünschte Ge-

samtwirkung zu erzielen. 7

53

TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

Innovationskultur unseres Konzerns wider. Das zeigt sich auf den ersten

Blick in Dingen wie der Feinblechfassade oder der weltweit einmaligen

Sonnenschutzkonstruktion, die wir im eigenen Hause entwickelt haben.

Aber auch auf den zweiten und dritten Blick werden Mitarbeiter und

Gäste hier viele Innovationen entdecken. Als globaler Technologiekon-

zern sieht sich ThyssenKrupp außerdem in der Pflicht, an der Gestal-

tung eines nachhaltigen Lebensumfelds für die heutige und kommende

Generationen mitzuwirken – und das fängt natürlich im eigenen Hause

an. Die besonders nachhaltige Bauweise des Quartiers ist mit einem

renommierten Vorzertifikat bereits bestätigt worden.

Wie werden die Nutzer das Quartier erleben? Welche Arbeits- und

Lebensumgebung finden sie vor?

Auch hier sind wieder die Stichworte Transparenz und Offenheit zu nen-

nen. Die geschosshohen Verglasungen vermitteln Großzügigkeit: Sie

sorgen für höchstmöglichen natürlichen Lichteinfall und damit ein hel-

les, freundliches Arbeitsambiente. Die Böden, Decken und Büromöbel

aus hellen Materialien verstärken die Wirkung des Lichts im Inneren der

Gebäude. Die Wasserachse, der Flanier-Boulevard und die offene Cam-

pus-Struktur schaffen ein inspirierendes Arbeitsumfeld. Hierzu tragen

auch die Grünflächen bei, auf denen man ebenso arbeiten wie verwei-

len kann. Mit dem nicht religiös orientierten „Raum der Stille“ bieten wir

unseren Mitarbeitern zudem eine Rückzugsmöglichkeit aus dem hekti-

schen Arbeitsalltag. Das alles drückt unsere Vorstellung von zukunfts-

orientierten Arbeitsplätzen aus. Sicher wird die Konzentration von bis-

lang getrennten Standorten für einige zu Veränderungen im bisherigen

Tagesablauf führen. Aber wir haben auch in der Vergangenheit schon

den einen oder anderen Umzug gemeistert und werden das auch dies-

mal tun.

Symbol einer neuen Zukunft von ThyssenKrupp in Essen: Mit dem Spatenstich am 12. Juni 2007begannen die Bauarbeiten für das Quartier. Von links: Dr. Gerhard Cromme, Vorsitzender des ThyssenKrupp Aufsichtsrats, Dr. Wolfgang Reiniger, Oberbürgermeister der Stadt Essen, Prof. Dr. Berthold Beitz, Ehrenvorsitzender des ThyssenKrupp Aufsichtsrats, Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, Dr. Ekkehard Schulz, Vorsitzender des Vorstands der ThyssenKrupp AG, und Ralph Labonte, Mitglied des Vorstands der ThyssenKrupp AG.

3

Neuland in der Stadt

Mit dem langfristig angelegten Projekt Krupp-

Gürtel entsteht mitten in der Essener Innen-

stadt ein neues urbanes Viertel, das Räume für

Arbeiten, Freizeit und Kultur bieten soll. Dabei

spielen die Bedürfnisse und Potentiale der

bestehenden Nachbarschaften eine zentrale

Rolle: Anbindungen und Verknüpfungen

werden aufgegriffen, Übergänge geschaffen

und mit den Qualitäten des Krupp-Gürtels die

umliegenden Quartiere gestärkt. Der nach Fer-

tigstellung des Südabschnitts rund 22 Hektar

große, vom Landschaftsarchitekten Andreas

Kipar gemeinsam mit den Bürgern der angren-

zenden Stadtteile gestaltete Krupp-Park bietet

viel Platz für Freizeit und Erholung. 7

Page 54: ThyssenKrupp magazin - Architektur · an seinem Geburtsort errichten ließ, gilt als die erste Idealstadt der Renaissance. Zum ersten Mal öffnet sich hier der städtische Binnenraum

Welches waren die größten Herausforderungen im Zusammenhang

mit dem Neubau? Was hat Sie in der Projektphase am meisten

überrascht?

Das Bauprojekt insgesamt war eine logistische Herausforderung. Wir

haben etwa eine Hochspannungsleitung verlegt, die das Gelände

durchschnitt – ein in Deutschland einzigartiger Vorgang. Außerdem

haben wir das gesamte Gebiet mit Brecheranlagen durchpflügt, um

Fundamente der Gussstahlfabrik abzuräumen und den Boden für die

Umsetzung der Wasserachse absolut glatt einzuebnen. Gut bewältigt

haben wir auch andere kleinere und größere Überraschungen, wie zum

Beispiel die Notlandung eines Kleinflugzeugs auf unserem Baugelände.

Welche Elemente des Quartiers empfinden Sie als besonders

ungewöhnlich im Vergleich mit anderen, ähnlich gelagerten Projek-

ten?

Zum einen ist das der architektonische Gesamtauftritt: Unsere Struktur

ist nun so flexibel, dass wir auf dynamische Veränderungsprozesse in-

nerhalb des Konzerns reagieren können. Ungewöhnlich ist sicher auch

das Gesamtkonzept mit einem Drittel befestigter Fläche und einem

Anteil von zwei Dritteln unversiegelter Grünflächen. Die tragen mit rund

700 Bäumen und der großzügig angelegten Wasserfläche dazu bei, das

Kleinklima des gesamten Geländes erheblich zu verbessern. Vielleicht

einzigartig ist der Einsatz eigener Produkte, die wir zum Teil speziell für

das Quartier entwickelt haben. Auf diese Weise haben wir eine Corpo-

rate Architecture geschaffen, eine identitätsstiftende Baukultur, die die

neue Konzernzentrale in Essen unverwechselbar macht.

Abschließend Ihre ganz persönliche Einschätzung: Angenommen,

wir sind im Jahre 2030. Wird Ihnen der Umzug ins Quartier als ein

Epochenwechsel für den Konzern erscheinen?

Ein Epochenwechsel wäre sicher zu viel gesagt. Mit dem Umzug wird

aus ThyssenKrupp kein grundlegend anderes Unternehmen. Aber wenn

man Gewohntes auf den Prüfstand stellt, wie wir das mit diesem

Bauprojekt getan haben, entstehen immer auch neue Ideen. Mit dem

Quartier haben wir die Unternehmensidentität und die Ansprüche, die

wir an uns selbst haben – Innovation und Nachhaltigkeit, Offenheit und

Wissensvernetzung – baulich umgesetzt. Das sorgt auch für neue Im-

pulse und Aufbruchstimmung. Insofern meine ich schon, dass wir auf

diesen Umzug als eine wichtige Wegmarke, vielleicht sogar den Beginn

eines neuen Kapitels der Konzerngeschichte zurückblicken werden. 7

54

TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

Baudimensionen_3

Infrastruktur

320.000 laufende Meter elektrische Leitungen

9.000 laufende Meter Wasserrohre

29 Aufzüge, Fahrtreppen und Hebebühnen

ca. 3 km Erdsonden (Geothermie)

Panoramafenster

Das Atrium des zentralen Q1-Gebäudes ist das

Herz des ThyssenKrupp Campus – und wer

den Campus betritt, kann sehen, wie es

schlägt. Denn zwei gut 25 Meter breite und

28 Meter hohe Fenster öffnen von Süden und

Norden den Blick in den Innenraum. Da es

weder Fensterrahmen noch -sprossen gibt, er-

gibt sich zunächst der Eindruck, als bestünden

die Landschaftsfenster aus einer einzigen,

riesigen Glasscheibe. Wie wurde diese maxi-

male Transparenz erreicht? Ziel musste unter

anderem sein, so wenig einzelne Glasscheiben

wie möglich zu verwenden, um die Fenster

mit möglichst wenig Silikonfugen zu unter-

brechen. Ergebnis dieser Überlegungen sind

Isolierglasscheiben, die je 2,15 Meter breit und

3,60 Meter hoch sind. Eine entscheidende

Rolle spielte außerdem eine möglichst schlan-

ke Tragkonstruktion für die Fenster, so dass

die Ingenieure eine vertikal und horizontal vor-

gespannte Seilfassade wählten. Daran sind

die Scheiben mittels Klemmhalter punktförmig

gelagert. Die Landschaftsfenster sorgen so

nicht nur für Transparenz, sondern wirken

zugleich als technische Meisterleistung aus

Stahl und Glas und somit als Zeichen der Inno-

vationskraft von ThyssenKrupp. 7

quartier_interview

3

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

3 Mit diesen Worten könnte man einen Andachtsraum im Thyssen

Krupp Quartier in Essen beschreiben. Ein Konzern versucht, zukunfts-

fähige Strukturen zu schaffen und eröffnet seinen visionären Grund-

lagen Räume. Fundament jeder Unternehmung sind die Menschen.

Jene, für die ein Unternehmen da ist – die Zielgruppe sozusagen – und

jene, mit denen ein Unternehmen da ist – die Handelnden. Ein Raum

der Stille und der Andacht sollte beide Gruppen einladen, innezuhalten,

sich zu stärken und dann die Wege des Alltags und des Geschäfts

weiterzugehen. Die kleine Rast in der Hetze des Betriebs – das war und

ist die Funktion der Wegekapellen. Diese kleinen Bauwerke sind für alle

sichtbar da, laden ein, aber man kann sie auch liegen lassen und

vorbeigehen. Vielleicht kann das ein Akzent des Raumes der Stille sein.

Ein Andachtsraum kann im Kontext einer Verwaltungszentrale nur

Akzent sein, sollte nicht mit einem Schwerpunkt verwechselt werden.

Ein „Raum im Raum“ also – in diesem Sinne ein Symbol, das Zusam-

menhänge anklingen lässt, aber nicht ausformuliert. Wo sollte im Kon-

text des Bauwerks ein solcher Raum liegen? Für Suchende müsste er

sichtbar und auffindbar sein, für Einkehrende (ver-)bergend.

Der Mensch wird in den Worten Angelus Silesius verstanden als je-

mand, der bezogen ist. Der Mensch strebt über sich hinaus. Seiner

Sehnsucht nach dem Größeren, nach dem Anderen wird Raum ge-

schenkt. Was überdauert den Zufall und bleibt? Manchmal stellt sich ja

die Frage inmitten aller geschäftigen Vergänglichkeit. Ein Raum der

Stille sollte den Besucher aufrichten zu seiner wahren Fähigkeit und

Kraft, müsste dafür also eine Richtung und Höhe nach oben haben.

Angesichts der vielfältigen Formen menschlicher Suche kann ein

„Raum der Mitte“ im Kontext eines weltweit verzweigten Konzerns keine

für alle gültigen Antworten anbieten. Seine Funktion kann es lediglich

sein, die Frage des Menschen nach sich selbst und seiner Zukunft offen

zu halten. Ein solcher Raum sollte neutral sein – nichts vorgeben an

verfasster Religion –, zugleich aber den Besucher ganz persönlich

ansprechen. Die Frage des Menschen nach sich selbst wäre das

Thema. Eine wie auch immer geartete

Gottesvorstellung kann daraus erwachsen

– oder aber auch nicht. Der Raum sollte

also in höchsten Maß befreien und nie-

manden in seiner Innerlichkeit bestimmen.

Gleichfalls sollte der Ort gestaltet sein,

aber darin freilassen und nicht bevormun-

den. Allein die Existenz eines solchen

Raumes hat eine Bedeutung, gibt Hinwei-

se über das Menschenbild eines Bauherrn.

Ein Raum der Stille sieht den Menschen

nicht nur als Wirtschaftsfaktor. Diese Sicht

hat etwas Nachhaltiges und stellt die Frage

nach der Zukunft eines deutschen Kon-

zerns. Einst wurden aus Rohstoffen Halb-

zeuge gefertigt, dann Produkte, schließlich

Innovationen und Technik. Vielleicht in

Zukunft auch Visionen „für das Wesen, das

besteht“? 7

TEXT: PATER ABRAHAM FISCHER OSB

Raum der StilleMensch werde wesentlich: denn wenn die Welt vergeht, so fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht.Angelus Silesius

Pater Abraham Fischeraus der Abtei Königs-münster beriet ThyssenKrupp bei der Einrich-tung des „Raums derStille“.

Ein Raum für Rückzug und Austausch

Der „Raum der Stille“ lädt alle Mitarbeiter und Gäste des

ThyssenKrupp Quartiers zum friedlichen Verweilen ein. Er

dient der Meditation, der Sammlung und dem Rückzug, aber

auch dem interkulturellen, überkonfessionellen Austausch.

Tatsächlich besteht der Raum der Stille aus einer Raumfolge

mit einem Vorraum und einem daran angrenzenden Haupt-

raum, in dem ein großer quadratischer Kubus zu schweben

scheint. Wände und Boden des Raums sind in einem

weißen, leicht marmorierenden, glatten mineralischen Putz

gehalten. Das Innere des schwebenden Kubus hingegen ist

mit Titanspindeln verkleidet, die erst dann wahrzunehmen

sind, wenn man unter den Kubus tritt. So entsteht ein span-

nungsvoller Gegensatz zu den glatt verputzten Wänden. 7

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

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quartier_menschen

Jürgen Nageldick Projektleiter Fördertechnik

3 Jürgen Nageldick bringt Menschen hoch hinaus: Er kümmert sich

als Projektleiter um die Aufzüge und Fahrtreppen im ThyssenKrupp

Quartier. Er ist von Anfang bis Ende in das Projekt eingebunden, von der

ersten Technikbesprechung bis zur abschließenden Bauherrenabnah-

me. Seit 2002 arbeitet der Maschinenbautechniker aus dem Münster-

land für ThyssenKrupp Elevator. Er hat schon viele Projekte betreut, hat

in Walldorf einen Softwarehersteller, in Mannheim ein Bekleidungshaus

und in Essen ein Einkaufszentrum mit Aufzügen und Fahrtreppen aus-

gestattet. Diesmal ist Nageldick für 22

Aufzüge zuständig – und außerdem

für drei Fahrtreppen, einen Plattform-

lift sowie drei Scherenhebebühnen.

Knapp 30 Anlagen insgesamt. Eine

solche Materialmenge transportiert niemand im Handumdrehen. „Es

sind 50 bis 60 Anlieferungen notwendig“, schätzt Jürgen Nageldick. Die

Baustellenlogistik stellt ihn vor große Herausforderungen. Einfahrts-

genehmigungen einho-

len, Mitarbeiterausweise

beschaffen – sonst dürfen

die Transporter die

Schranke nicht passieren.

Das verschlingt Zeit.

Außerdem gibt es auf der

Baustelle aufgrund der

Innenstadtlage kaum La-

gerfläche. „Da muss man

geschickt koordinieren“,

sagt der 38-Jährige.

Dabei unterstützt ihn ein

sogenannter Auftragsab-

wickler. Darüber hinaus

gehören unter anderem

eine Projektassistentin,

ein Montageleiter und

rund zehn Monteure zum

Team. Sie wirken im

Quartier an einer großen

technischen Herausforde-

rung mit. Im Verwaltungs-

gebäude Q1 – dem mit 16

Haltestellen höchsten Ge-

bäude – setzt ThyssenKrupp Elevator drei Panorama-Aufzüge ein. Zwei

dieser Anlagen bilden ein TWIN-System: „Die beiden Aufzugskabinen

fahren unabhängig voneinander im gleichen Schacht“, erläutert Nagel-

dick. So sparen die Bauherren Platz, die Passagiere Zeit. Jürgen Nagel-

dick hat allen Grund, stolz zu sein: „Das neue Quartier wird ein schöner

Arbeitsplatz. Ich freue mich auf den Campus.“ 7

Auf die eine oder andere Weise hat der Quartier-bau insgesamt weit über 1.000 Mitarbeiterbeschäftigt. Wie ihr Baualltag aussah, haben uns drei von ihnen erzählt.

DIE MACHER

»Ich freue mich auf

den Campus.«

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57Willi Döring Küchenchef

3 Willi Döring verkauft dienstags Hähnchen, donnerstags Erbsen-

suppe, freitags Pangasiusfilet. „Dienstag ist Geflügeltag, Donnerstag

ist Eintopftag, Freitag ist Fischtag“, sagt er. Freilich tischt Willi Döring in

seiner Imbissbude nicht nur ein Mittagsmenü auf. Sondern auch

Currywurst, Bockwurst und Krakauer Wurst. Wer auf seine Gesundheit

Wert legt, isst dazu noch ein Schälchen Krautsalat. Seit Mai 2008 be-

wirtet Willi Döring mit drei Kollegen die Bauarbeiter des ThyssenKrupp

Quartiers. In diesem Zeitraum haben sie ungefähr 20.000 Würstchen

über den Tresen geschoben.

Maurer, Elektriker, Schweißer –

sie alle stärken sich an den Steh-

tischen oder auf den Holzbän-

ken. Die Speisekarte hat Willi

Döring in drei Sprachen ausgehängt: auf Deutsch, Polnisch und Tür-

kisch. Aus Deutschland, Polen und der Türkei stammen die meisten

Bauarbeiter. Doch Willi Döring hört auch viel Portugiesisch und Italie-

nisch, Rumänisch und Bulgarisch. Männer aus rund 20 verschiedenen

Nationen arbeiteten auf der Baustelle, schätzt er. Der gelernte Koch will

allen Geschmacksvorlieben gerecht werden. Wer kein Schweinefleisch

essen darf, kann etwa zwischen Rinderhacksteak, Geflügelfrikadelle

und Fischfilet wählen. Morgens um acht sperrt Willi Döring die Imbiss-

bude auf, damit sich die erste Schicht mit heißem Kaffee und belegten

Brötchen versorgen kann. Um 15.30 Uhr ist eigentlich Schluss. Doch

während er die Wärmeplatte schrubbt, bekommen Nachzügler gerne

noch ein Schweineschnitzel. Willi Döring – 55 Jahre alt, seit 34 Jahren

bei ThyssenKrupp – hat keinen weiten Nachhauseweg: Er wohnt zwei

Kilometer entfernt. So kann er auch in seiner Freizeit bisweilen über das

Gelände streifen, um sich die Bauarbeiten anzugucken. „So etwas sieht

man schließlich nicht alle Tage!“, sagt er. „Die Betonfahrzeuge! Die

Stahlträger! Und dann auch noch die hohen Kräne!“ 7

Georg Lummel Spenglermeister

3 Wenn irgendwo Fassaden

im Sonnenlicht glänzen, sich

auch ungewöhnliche Formen

mit Titan, Edelstahl oder

Feinblechen schmücken, dann

hatte womöglich Georg Lum-

mel seine Hände im Spiel.

So auch beim Gebäude Q1

und dem Forumgebäude des

ThyssenKrupp Quartiers: Der

Spenglermeister war mit sei-

nem Unternehmen, der Lum-

mel GmbH & Co. KG aus

Karlstadt am Main, dafür ver-

antwortlich, die hochwertigen

Stahlbleche anzubringen, die

mit ihrem an Champagner er-

innernden Farbton wesentlich zum äußeren Erscheinungsbild der

Gebäude beitragen. Das war nicht das erste Mal, dass Georg Lummel

mit ThyssenKrupp zusammenarbeitet: Die spektakulären Edelstahlfas-

saden der Bauten von Frank O. Gehry im Düsseldorfer „Neuen Zollhof“

oder im Eingangsbereich

des neuen Porsche-Mu-

seums in Stuttgart hat das

renommierte Unternehmen

ebenfalls angebracht. Doch,

so sagt Lummel, „jedes

Objekt ist einzigartig. Beim

ThyssenKrupp Quartier war

eine Herausforderung bei-

spielsweise, dass jedes Feinblech sich einzeln herausnehmen lassen

muss, falls ein Schaden auftritt.“ Kompliziert war auch die Abstimmung

der Beteiligten untereinander, wie Lummel erzählt: „Teilweise treffen

sich im Gebäude vier unterschiedliche Fassadentypen an einer Stelle.

Das bedeutet: Die beteiligten Fassadenbauer müssen gleich gut und

genau arbeiten, damit sich alle mit einer Abweichung von maximal zehn

Millimetern am festgelegten Ort treffen.“ Mit dem Ergebnis ist Georg

Lummel sehr zufrieden. „Ich hätte vorher nicht gedacht, dass die Fein-

bleche so gut aussehen können, denn für solche Fassaden nimmt man

sonst eher Aluminium.“ Doch, so sagt er selbstbewusst, „wenn man es

richtig macht, ist das Material auch für repräsentative Gebäude sehr gut

geeignet.“ Teilweise haben bis zu 16 Mitarbeiter seines Unternehmens

an den Fassaden gearbeitet. Nun ist Lummel froh, dass die Arbeiten so

gut wie abgeschlossen sind. Denn anstrengend war das Projekt schon,

meint er. „Das ist eigentlich fast immer so: Während man baut, ist es

auch mal nervenzehrend. Aber hinterher ist man stolz und freut sich

über das gute Feedback.“ 7

»So etwas sieht man

nicht alle Tage!«

»Ich hätte vorher

nicht gedacht, dass

die Feinbleche so

gut aussehen können.«

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Dadurch erscheinen die Lamellen je nach Blickwinkel und Lichtein-

fall matt oder glänzend – und lenken das einfallende Licht so nach

innen, dass es in den Büros auch bei geschlossenem Sonnen-

schutz hell genug ist.

Die Herstellung des neuartigen Sonnenschutzsystems war an-

spruchsvoll. Nach der Bearbeitung der Metallstreifen durch Thys-

senKrupp Umformtechnik montierte eine Spezialfirma aus Südtirol

je 116 bis 160 Lamellen auf den Achsen zu elektronisch angetrie-

benen Lamellenpaketen. Dabei kam es darauf an, dass die Lamel-

len in der Mittelachse beweglich bleiben und exakt auf die Signale

des elektrischen Antriebs reagieren. Der ist clever programmiert:

Die Steuerung kennt nicht nur den jahreszeitlichen Sonnenstand,

sondern weiß dank der Daten aus einer Wetterstation auf dem

Dach des neuen Hauptgebäudes auch, wie das Wetter gerade ist –

Voraussetzung, um einen rundum guten Sonnenschutz zu gewähr-

leisten. Ein weiteres Plus: Auch wenn die Lamellen vor der Fassa-

de sitzen, können die Mitarbeiter jederzeit die Fenster öffnen. Nur

eine schützende Hand vor dem Licht der Sonne, die brauchen sie

nun nicht mehr. 7

3 Die besten Ideen kommen

häufig wie von allein. Ein Bei-

spiel hierfür ist das Sonnen-

schutzsystem für die neue Haupt-

verwaltung. Der Anstoß für die

innovative Lösung kam auf einer

gemeinsamen Sitzung mit dem

Pariser Architekturbüro Chaix &

Morel et associés und dem Kölner

Büro JSWD Architekten. Als

die Sonne in den Sitzungsraum

schien, hielten sich die Teil-

nehmer automatisch eine Hand

waagerecht über die Augen, um

sich vor dem Licht zu schützen.

Und genau so funktioniert auch

der Sonnenschutz in Essen: Auf

einer vertikalen Mittelachse sitzen links und rechts gut 7 Zentime-

ter lange und 2 Millimeter dünne Edelstahllamellen – sie sind quasi

die vor der Sonne schützende Hand. Die Achse kann

rotieren und so die Lamellen stufenlos am Sonnenstand ausrich-

ten. Hinzu kommt ein weiterer Clou: Um den Sonnenschutz bei

Bedarf vollständig zu öffnen, lassen sich die Lamellen nach vorne

zusammenfahren.

Dieses speziell angefertigte Sonnenschutzsystem bildet die

optische Visitenkarte des Gebäudes. Denn die insgesamt rund

400.000 Lamellen geben dem Bau ein Gesicht, das sich je nach

Sonneneinfall wandelt – an sonnigen Tagen im Hochsommer oder

bei Sturm ist die Fassade zum Beispiel komplett geschlossen und

leuchtet silbrig, während sie an bedeckten Tagen den Blick auf die

Glasfassade darunter freigibt. Die von ThyssenKrupp Nirosta aus

einem Chrom-Nickel-Molybdän-Edelstahl gefertigten Elemente

wurden auf einer Seite geschliffen, auf der anderen Seite gestrahlt.

Glänzende IdeeDas Sonnenschutzsystem gibt dem Hauptgebäude sein Gesicht – und ist eine weltweit einzigartige Lösung.

58

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Produkte von ThyssenKrupp – von Aufzügen und Fahrtreppen bis zu Werkstoffen wie Edelstahl oderTitan – finden sich in vielen Gebäuden dieser Welt. Dass deshalb auch im ThyssenKrupp Quartierbesonderer Wert darauf gelegt wurde, im Neubau die eigene Innovationskraft und technische Kompe-tenz unter Beweis zu stellen, versteht sich da von selbst.

AUF EIGENE STÄRKEN BAUEN

quartier_materialien

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Es muss nicht immer Aluminium seinFür eine repräsentative Fassade lässt sich auch Feinblech einsetzen – wenn es entsprechende Eigenschaften mitbringt.

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3 Im allgemeinen Sprachgebrauch galt

Blech bislang nicht eben als besonders

hochwertig – das Wort „Blechkarosse“ ist

noch eines der freundlicheren Beispiele

hierfür. Aber: Wie man sich doch täuschen

kann! Denn die in einem Champagnerton

edel schimmernden Metallelemente an

den Gebäuden des ThyssenKrupp Quar-

tiers und im Inneren des im Mittelpunkt

stehenden zentralen Q1-Gebäudes beste-

hen aus nichts anderem als: Stahlblech.

Zugegebenermaßen aber nicht aus irgend-

einem Stahlblech, sondern aus einem

im Coil-Coating-Verfahren organisch be-

schichteten hochwertigen Feinblech. Bis-

lang waren derartige Stahlbleche im

Wesentlichen für die Fassaden klassischer

Industriehallen und Bürogebäude gedacht,

bei denen es auf die Funktionalität ankam.

Speziell bei ThyssenKrupp werden diese

Stahlbleche außerdem ökologischen Krite-

rien gerecht und können durch die Farbge-

Hinzu kommt, dass das beschriebene Fein-

blech mit 0,8 bis 1,2 Millimetern Dicke

deutlich dünner und dadurch kostengün-

stiger ist als ein vergleichbares Fassaden-

element aus Aluminium (in der Regel min-

destens 3 Millimeter). Fassaden aus

oberflächenveredeltem Feinblech sind also

günstig und zugleich edel. 7

staltung der Umgebung attraktiv ange-

passt und eingesetzt werden. Doch das

hier verwendete schmelztauchveredelte

Feinblech eröffnet völlig neue Anwen-

dungsmöglichkeiten. Es lässt sich nicht nur

hervorragend umformen, schweißen und

lackieren, sondern genügt auch allen

Ansprüchen an eine repräsentative und

deutlich wahrnehmbare Farbanmutung.

Denn die im neuen ThyssenKrupp Quartier

bis zu 3 Meter langen und bis zu 67 Zenti-

meter breiten, abgekanteten Stahlpaneele

sind wind-, wetter- und lichtbeständig, zu-

gleich sind ihre Oberflächen besonders

eben. Innovativ ist auch der Herstellungs-

prozess. Hierbei wird dem schmelztauch-

veredelten Feinblech in der Zinkschmelze 1

Prozent Magnesium beigefügt. Dadurch

kann die Schichtdicke auf dem Blech – bei

noch besserem Korrosionsschutz – dünner

ausfallen, so dass der wertvolle Rohstoff

Zink sparsamer verwendet werden kann.

Kostengünstig und edel: die Feinblechfassadedes neuen ThyssenKrupp Quartiers

Grüner aufwärtsfahrenAufzüge und Fahrtreppen im Quartier sind von ThyssenKrupp und besonders umweltfreundlich.

3 Umweltgerechte Aufzüge? Höchstens

der Strom für den Antrieb, der kann aus er-

neuerbaren Energien stammen, glauben

die meisten. Doch die Aufzüge im Thys-

senKrupp Quartier – die selbstverständlich

ebenso wie die Fahrtreppen von Thyssen

Krupp stammen – weisen gleich eine

ganze Reihe von Besonderheiten auf, die

dem Anspruch des Konzerns an nach-

haltiges Bauen gerecht werden. So wan-

deln die sechs Aufzüge im Q1-Gebäude die

Energie, die beim Abbremsen der Kabinen

entsteht, in elektrische Energie um und

speisen diese wieder ins Stromnetz ein.

Darunter befinden sich zwei besonders ef-

fiziente TWIN-Anlagen, bei denen zwei Ka-

binen übereinander und unabhängig von-

einander im selben Schacht fahren. Viele

der insgesamt 27 Anlagen setzen LED-

Leuchten ein, die ebenfalls viel Energie –

und damit CO2-Ausstoß – einsparen und

zudem eine deutlich längere Lebensdauer

als herkömmliche Glühbirnen haben.

Ein weiterer umweltfreundlicher Vorteil:

Fast alle Aufzugskabinen sind für die Fahrt

im Schacht mit einer speziellen Rollen-

führung ausgestattet. Dadurch sind keine

geölten Schienen nötig – und es landet

kein Öl im Schacht, das entsorgt werden

müsste. Die Fahrtreppen wiederum ver-

brauchen weniger Energie, weil sie sich

„intermittierend“ betreiben lassen – also

automatisch anhalten, wenn niemand sie

braucht. 7Aufzugsmontage im Quartier

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quartier_nachhaltigkeit

er Gedanke des nachhaltigen Bauens wird immer popu-

lärer. Bei internationalen Großprojekten ist geradezu ein

Wettbewerb darum entbrannt, welches Gebäude am

ehesten modernen Energieeffizienzkriterien und ande-

ren Aspekten der Nachhaltigkeit gerecht wird. Auch viele

Immobilieninvestoren berücksichtigen das inzwischen

bei ihren Anlageentscheidungen. Kein Wunder also, dass

beim Bau des neuen ThyssenKrupp Quartiers das Thema Nachhaltig-

keit ebenfalls von Anfang an ganz oben auf der Agenda stand – schließ-

lich dokumentiert der Konzern so sein Engagement im Bereich der

Nachhaltigkeit und seine Umweltkompetenz und kann damit im globa-

len Wettbewerb punkten.

Wie aber lässt sich – angesichts eines nicht immer klar zu fassenden

Nachhaltigkeitsbegriffs – messen, ob ein Bau tatsächlich wichtige Maß-

stäbe der Nachhaltigkeit berücksichtigt? Orientierung bieten Zertifizie-

rungen, die weltweit zur Beurteilung der „grünen Bühnen“ der Unter-

nehmen vergeben werden. Eines der renommiertesten

Vorzertifikate hat ThyssenKrupp bereits im vergangenen

Jahr erhalten: Auf der internationalen Immobilienmesse

„Expo Real“ prämierte die Deutsche Gesellschaft für

Nachhaltiges Bauen (DGNB) das neue Quartier

allein aufgrund der Planung mit dem „Vorzertifikat in

Gold“ – eine „Absichtserklärung, den Bau nach Ab-

schluss aller Arbeiten mit dem ,endgültigen’ Zertifikat in

Gold auszeichnen zu lassen, sofern die von der DGNB

geforderten Nachhaltigkeitskriterien eingehalten wer-

den“, wie Gerhard Hoffmann, Geschäftsführer des Insti-

tuts für angewandte Energiesimulation und Facility

Management (ifes), erklärt. Er hat im Auftrag von Thys-

senKrupp das Gebäude auditiert und seine Ergebnisse an

die DGNB zur Prüfung übergeben. Neben der Ökobilanz

kam es dabei vor allem auch auf ökonomische, soziale und

DDas ThyssenKrupp Quartier wurde bereits vor Fertigstellung mit einem derrenommiertesten Zertifikate für nachhaltiges Bauen ausgezeichnet.

EINE „GRÜNE BÜHNE“

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funktionale Gesichtspunkte an, wie etwa die Gesamtkosten für das

Projekt, den Bürokomfort für die Mitarbeiter oder die vielfältige

Nutzbarkeit des Gebäudes. „Sämtliche Säulen des modernen

Nachhaltigkeitsbegriffs werden damit abgedeckt“, erklärt

Hoffmann.

Rundum gutes Klima

Bemerkenswert ist beispielsweise der geringe Primärener-

gieverbrauch des neuen Quartiers: Das Gebäude unter-

schreitet die Vorgaben der Energieeinsparverordnung

2007 um 20 bis 30 Prozent, unter anderem dank einer

hohen Wärmerückgewinnung – der Energiegehalt der

Abluft wird genutzt, um die frische Zuluft zu temperie-

ren. Ein nachhaltiges Energie- und Klimakonzept

sorgt für die thermische Behaglichkeit. Ebenfalls

umwelt- und ressourcenschonend sind der Ein-

satz von Geothermie zur Kühlung und zur Vorheizung der Fußbodenhei-

zung im Atrium, schadstoffarme Baumaterialien, eine komfortable

Blend- und Sonnenschutztechnik sowie ein besonderes Wassertrenn-

system, bei dem unter anderem Regenwasser auf den Dächern der Ge-

bäude auf dem Campus gesammelt und vom Schmutzwasser getrennt

in den Teich des Krupp-Parks geleitet wird.

„Aufgrund der Vielzahl der Vorzüge und der optimalen Umsetzung der

Nachhaltigkeitskriterien stand es außer Frage, das Vorzertifikat in Gold

verliehen zu bekommen“, sagt Hoffmann. Das neue ThyssenKrupp

Quartier zählt somit zu den wenigen Bauten in Deutschland, die dieses

Gütesiegel erhalten haben. Und dessen Wert ist, so sagt Hoffmann,

nicht zu unterschätzen: „Das DGNB-Zertifikat besitzt im internationalen

Vergleich ein hohes Renommee, da es auch explizit den gesamten

Lebenszyklus eines Gebäudes inklusive eines späteren Rückbaus oder

Abrisses berücksichtigt.“ 7

TEXT: JAN VOOSEN

Viele Zertifikate – ein Ziel

Warum es gerade bei Gebäuden so wichtig ist, die Nachhal-

tigkeit im Blick zu behalten, macht eine Zahl deutlich: Sie

stehen für 40 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs. Im

Rahmen der Klimadiskussion hat daher das Thema Nach-

haltigkeit von Gebäuden erheblich an Bedeutung gewonnen,

was dazu geführt hat, dass die Bau- und Immobilienwirt-

schaft zahlreiche Zertifizierungssysteme nutzen kann, um die

Einhaltung nachhaltiger Prinzipien beim Bau und Betrieb von

Gebäuden zu dokumentieren. Das Zertifikat der Deutschen

Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) ist das erste in

Deutschland entwickelte Qualitätssiegel. Zu den weiteren

Zertifizierungssystemen zählen beispielsweise BREEAM (BRE

Environmental Assessment Method) aus Großbritannien oder

LEED (Leadership in Energy and Environmental Design)

aus den Vereinigten Staaten. Die Beurteilungsmaßstäbe sind

allerdings keineswegs einheitlich. So bewertet der US-ameri-

kanische Nachhaltigkeitsstandard LEED zwar die ökologi-

schen Aspekte, legt aber dafür im Gegensatz zum Gütesiegel

der DGNB parallel nicht auch noch größeren Wert auf die

ökonomischen und soziokulturellen Komponenten. Für den

Bauherrn empfiehlt es sich daher, im Vorfeld genau zu über-

prüfen, welches Gütesiegel welche Aspekte dokumentiert. 7

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quartier_historie

Es wuchs und blühte, zerfiel und wird nun wiederentdeckt: das alte Werksgelände der KruppschenGussstahlfabrik in Essen. Wo heute das neue ThyssenKrupp Quartier entsteht, wird bereits seit 1818Firmengeschichte geschrieben.

o müssen versunkene Städte aussehen. Üppige Vegetati-

on überwuchert ein unüberschaubares Gelände. Verlas-

sene Straßen und Plätze verschwinden zunehmend unter

wild wachsenden Büschen. Kaskaden von Efeu und wildem

Wein bedecken Wälle und Mauern. Vereinzelt stehen

noch verwitterte Backsteingebäude mit blinden oder zer-

brochenen Fenstern. Anderswo sind von der ehemaligen

Bebauung nur noch Fundamente, Grundmauern und Fußböden zu

sehen. Schlanke Birkenstämme wachsen zwischen verrosteten Bahn-

schienen und Versorgungsleitungen. Aus den Rissen im Asphalt

sprießen Gräser und Halme, die den Boden beständig weiter aufreißen.

Wer im Jahr 2000 das historische Werksgelände der Firma Krupp in

Essen besuchen wollte, unternahm eine Reise ins Niemandsland. Trotz

der attraktiven Lage in unmittelbarer Nähe zur Essener Innenstadt –

deren Hochhäuser und das Rathaus in Sichtweite – lag das Gebiet fast

vollkommen brach. Dass hier einmal Menschen tätig waren, die Häuser

benutzt und die Schienen befahren wurden, lag offensichtlich viele

Jahrzehnte zurück. Die Dimensionen der Überbleibsel jedoch ließen er-

kennen, dass hier einst eine ganze Stadt gestanden hatte: die „Fabrik-

stadt“ der Kruppschen Gussstahlfabrik. Mehr als 100 Jahre lang, bis in

die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde hier die Geschichte der

Firma Krupp geschrieben.

Von einer Keimzelle …

Wie bei jeder Stadt beginnt auch das rasante Wachstum der Gussstahl-

fabrik mit einer Keimzelle: 1818 errichten der junge Unternehmer Fried-

rich Krupp und zwei Teilhaber eine neue Gussstahlanlage in Altendorf,

einer Gemeinde westlich des Ortes Essen. Zwei Jahre zuvor war es

S

DIE STADT IN DER

18

00

1810

1820

1830

1840

1850

1819 | Wie alles anfing: der neu erbaute Schmelzbau der Gussstahlfabrik Fried. Krupp in Essen. Das kleinereGebäude diente zunächst als Aufseherhaus, dann als Wohnhaus für die Familie Krupp.

1861 | Rasches Wachstum nach 1850: ein frühesVerwaltungsgebäude der Gussstahlfabrik mit„Uhrturm“

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ihnen erstmals gelungen, hochwertigen Gussstahl herzustellen. Die

neue Produktionsstätte besteht aus wenigen Fachwerkgebäuden. Auch

ein Aufseherhaus gehört dazu, das der Familie später als Wohnhaus

dient und als Kruppsches Stammhaus bekannt wird. Die Gegend ist

eher ländlich, Felder umgeben die kleine Fabrik, und auch das nahe

Essen – im Jahr 2000 die größte Stadt im Ballungsraum Ruhrgebiet –

zählt zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 3.500 Einwohner.

Neben Firmengründer Friedrich Krupp erweist sich vor allem dessen

Sohn Alfred, der den Betrieb 1826 nach dem Tod des Vaters über-

nimmt, als äußerst geschäftstüchtig. Die kleine Firma wächst rasant,

besonders ab den 1850ern. In diese Zeit fallen für Krupp wichtige Ent-

wicklungsschritte, wie etwa die Erfindung des nahtlosen Eisenbahnrei-

fens 1853. Von 74 Mitarbeitern im Jahr 1848 vergrößert sich die Be-

legschaft im Essener Werk auf 30.000 Beschäftigte kurz vor der

Jahrhundertwende. Ebenso sprunghaft wächst auch das Werksgelän-

de. Neue Gebäude für Verwaltung und Produktion werden gebaut,

ebenso ein eigenes Verkehrsnetz mit Schienen und Straßen. Das kleine

Stammhaus verschwindet zunehmend inmitten immer neuer und

immer größerer Produktionsanlagen. Zwischen den Jahren 1861 und

1873 vergrößert sich die Gesamtfläche auf das Zwanzigfache, von 18

auf 360 Hektar. Zwei Jahre später ist allein die überdachte Fläche so

groß wie der Essener Stadtkern.

… zu einem Wald von Schornsteinen

Auf diese Weise wächst Krupp im Zuge der Industrialisierung zu einer

„Stadt in der Stadt“ heran, übrigens parallel zur Stadt Essen, die ihrer-

seits kurz vor der Jahrhundertwende ihren 100.000sten Einwohner

registriert. 1889 veröffentlicht Diedrich Baedeker seine Eindrücke von

STADT

1860

1870

1880

1890

19

00

1910

1910 | Ein Luftbild zeigt, wie gewaltig sich die Krupp-Werke ausgedehnt haben. Das neue ThyssenKrupp Quartier liegt genau im Zentrum dieser Aufnahme.

Um 1900 | Zwerg unterRiesen: das KruppscheStammhaus im Betriebs-gelände

3

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einem Besuch der Fabrik in dem Buch Alfred Krupp und die Entwick-

lung der Gußstahlfabrik zu Essen: „Schon der Wald von Schornstei-

nen, die unaufhörlich Rauchwolken in die Atmosphäre senden, die Was-

serschächte und sonstigen Hochanlagen […] sagen uns, dass wir es

mit einem Werk von erstaunlichem räumlichem Umfange und von ganz

außergewöhnlicher Ausdehnung zu thun haben, einer wahren Fabrik-

Stadt.“ Baedeker verzeichnet auch statistische Angaben über das Werk:

44 Kilometer normalspurige und 29 Kilometer schmalspurige Werksei-

senbahn zählt er auf. Für die Produktion nennt er 1.195 Öfen, 286

Dampfkessel, 21 Walzenstraßen, 370 Dampfmaschinen, 92 Dampf-

hämmer, 361 Kräne und 1.724 Werkzeugmaschinen. Zudem gebe es

80 Kilometer Telegraphen- und 140 Kilometer Telefonleitungen sowie

werkseigene Wasserwerke und eine 64 Mann starke Berufsfeuerwehr.

Im Unterschied zu einer Stadt allerdings ist die Fabrik kein öffentlicher

Raum. Die Fabrikstadt trennt Altendorf, das 1901 in die Großstadt ein-

gemeindet wird, von der nahen Essener Innenstadt. Lediglich zwei

Querverbindungen, die Frohnhauser und die Altendorfer Straße, ver-

binden die beiden Stadtteile und können von Fußgängern, Straßenbahn

und Autos genutzt werden – rechts und links von Mauern umgeben.

Sogar mit dem werkseigenen Schienennetz gibt es keine Berührungs-

punkte: Es wird über zahlreiche Bücken geleitet, die die Straße über-

spannen.

Geheimnisvolles Leben und Treiben

Zwar bestimmt die Fabrik das Stadtbild, die Bürger sehen die Schorn-

steine, atmen den Rauch und hören den Lärm der Produktion, der

Dampfhämmer und der Geschütze, die hier nicht nur produziert, son-

dern auf dem werkseigenen Schießstand auch unmittelbar getestet

1920

1930

1940

1950

1960

1970

1950 | Folgen des Krieges: Ruinen in der Nähe der Krupp-Hauptverwaltung

1930 | Schaltstelle des Konzerns: dieHauptverwaltung an der Altendorfer Straße

1920 | Eine Industriekathedrale: Die Krupp-Maschinenbau-Halle 9 auf einem zeitgenössischen Gemälde von Otto Bollhagen

3

quartier_historie

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werden. Doch was hinter den Mauern vorgeht, bleibt den Nicht-Kruppi-

anern verborgen. Sie können, so Diedrich Baedeker, lediglich „das

Geräusch des geheimnisvollen Lebens und Treibens, das hinter den

rauchgeschwärzten Mauern dort pulsiert“, wahrnehmen.

Eine Art Niemandsland mitten in einem urbanen, dichtbesiedelten

Raum – das bleibt das Krupp-Gelände auch dann, als es schon lange

nicht mehr für die Produktion genutzt wird. Die beiden Weltkriege

bringen der Firma ein wechselhaftes Geschick zwischen Wachstum und

Verlusten, Um- und Neubauten, „ziviler“ und Rüstungsproduktion. Letz-

tere macht die Firma im Zweiten Weltkrieg verstärkt zum Ziel alliierter

Bombardements. Nach Ende des Krieges ist etwa ein Drittel von 1,5 Mil-

lionen Quadratmetern bebauter Fläche vollständig zerstört, ein weiteres

Drittel in Teilen. Viele der noch funktionstüchtigen Anlagen werden

demontiert und als Reparationsleistungen ins Ausland gebracht.

Zwar siedeln sich in den fünfziger Jahren wieder Firmen auf dem alten

Betriebsgelände an. Der Großteil des Gebietes der alten Gussstahlfabrik

liegt seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges jedoch brach. Die verblei-

benden Bauwerke sind verwaist. Es gibt nur wenige Zwischennutzungen

oder neue Bauvorhaben, vorrangig an den Rändern des Geländes. Wild

wucherndes Grün erobert sich das Gebiet zurück. Menschen bleiben

dem Ort eher fern. Für viele ist das Gelände ein „blinder Fleck“ auf dem

Stadtplan, ein unzugänglicher, vielleicht vergessener Ort. Erst nach der

Jahrtausendwende gerät mit dem „Krupp-Gürtel“ die Idee einer syste-

matischen Neunutzung an die Öffentlichkeit. 2006 fällt der Beschluss

der ThyssenKrupp AG, hier das ThyssenKrupp Quartier zu errichten. Mit

seinem Campus-Konzept soll es aus der zunächst verbotenen und spä-

ter vergessenen Stadt ein neues, öffentliches Stück Essen machen. 7

TEXT: SARAH BAUTZ

1980

1990

20

00

2010

2020

2030

Um 2006 | Im Dornrös-chenschlaf: Das Geländewirkt wie ein Überresteiner vergangenen Zivili-sation.

2010 | Eine Vision wird Realität: Das neue Quartier steht.

»Bis 2006 ist dasGelände ein blinder

Fleck auf demStadtplan, ein

unzugänglicher,vielleicht

vergessener Ort.«

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projekte_stadion

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Leichte Bauelemente für anspruchsvolle ArchitekturMit seinen Kuppeln, die aus vie-

len kleinen, durch eine filigrane

Fachwerkkonstruktion verbunde-

nen Dreiecken bestehen, ahmt

das Anfang Mai 2010 einge-

weihte Melbourne Rectangular

Stadium Konstruktionsprinzipien

der Natur nach. Die australi-

schen Architekten Cox Architects

and Planners lehnten die äußere

Gestalt ihres als „bioframe“

bezeichneten Entwurfs an die

Gestalt der geodätischen Kup-

peln des amerikanischen Archi-

tekten Richard Buckminster

Fuller aus den vierziger Jahren

an. ThyssenKrupp lieferte mit

Hoesch isowand vario® ein spe-

zielles Stahl-Sandwichelement,

das auf rund 25.000 Quadrat-

metern Stadiondachfläche ver-

baut wurde und über erstklas-

sige Wärmedämmungseigen-

schaften bei geringem Eigen-

gewicht verfügt.

Die leichte Sandwichkonstruktion

des Daches ermöglicht es, die

mehr als 30.000 Zuschauerplät-

ze mit halb so hohem Material-

einsatz gegen Wind und Wetter

zu schützen wie bei einer kon-

ventionellen Konstruktion mit

einem sogenannten Kragdach.

Das geringe Eigengewicht war

wichtig, um die stützenfreie

Überwindung von Spannweiten

von bis zu sechs Metern zu

ermöglichen. Bei aller Leichtig-

keit kam es aber auch auf gute

Dämmungseigenschaften an,

damit es die Zuschauer auch bei

den heißen australischen Som-

mertemperaturen unter dem

Stadiondach aushalten. Den von

den Architekten ausgewählten

Farbton „whisper white“ hat

ThyssenKrupp Steel Europe mit

einer hochwertigen PVDF-Be-

schichtung (Polyvinylidenfluorid)

umgesetzt. Die Kunststoffschicht

ist 25 Mikrometer dick und sorgt

mit ihrer hohen chemischen

und thermischen Beständigkeit

dafür, dass die Oberfläche

Umwelteinflüssen und Sonnen-

einstrahlung dauerhaft und ohne

Qualitätsverluste standhält.

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projekte_brücke

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Flussüberquerung in der Schwebe„Schwebendes Floß“ nannten

Arch&More, die Architekten der

neuen Ybbsbrücke, ihren Ent-

wurf. Mit einem hängenden

Tragwerk, das bei Benutzung

leicht in Bewegung gerät, soll

die inmitten einer Naturland-

schaft in der niederösterreichi-

schen Region Mostviertel er-

richtete Brücke schon in ihrer

Gestaltung widerspiegeln, was

wir bei einer Brückenüberque-

rung spüren – das „sichere,

genießende und erholende Mo-

ment an den Ufern“ genauso

wie das „leichte, erhebende Mo-

ment während der Überquerung

der Brücke“.

Zwei markante, bei Dunkelheit

beleuchtete Uferrahmen bilden

für Fußgänger oder Radfahrer

das Tor zur Brücke. Die 13 Meter

hohen Durchgänge aus Stahl

ruhen auf Stahlbetonfundamen-

ten in der Größe von Wohnhäu-

sern und tragen eine filigrane,

auf Seilen hängende, drei Meter

breite Fahrbahn, die in 16 Me-

tern Höhe über den Fluss führt.

Dass die Brücke mit einer

Spannweite von 92 Metern so

schlank und elegant ausfallen

konnte, ist hier dem Einsatz der

zugleich leichten und belast-

baren Hoesch Additiv Decke®

zu verdanken. Das innovative

und besonders ressourcen-

sparende Bausystem aus dem

ThyssenKrupp Konzern wird an-

sonsten vor allem im Parkhaus-

und Geschossbau verwendet.

www.hoesch.at

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projekte_aktuell

3 Farbigkeit erzeugt Stimmungen, ganz

ähnlich wie Musik. Diese Verwandtschaft

drückt sich schon darin aus, dass wir von

Farbtönen, Klangfarben oder auch Farb-

klängen sprechen. Der Einzelhandel nutzt

diesen emotionalen Einfluss von Farben,

um Wohlbefinden und Kauflust der Käufer

zu steigern, während in vielen Büroge-

bäuden helle Farbtöne für ein Offenheit

signalisierendes und kreativitätsfördern-

des Arbeitsumfeld sorgen. Als Pionier und

Experte auf diesem Gebiet hat der Farb-

designer Friedrich Ernst v. Garnier, der

Bauen mit dem Wesen der FarbeBlautönen gehalten. „Das Wichtigste ist,

mit dem Wesen der Farbe zu bauen“, sagt

v. Garnier, der dafür das Konzept der

„Organischen Farbigkeit“ entwickelt hat:

Ebenso wie in der Natur sorgen demzu-

folge erst mehrtönige Farbklänge statt

monochromer Flächen für unser Wohl-

befinden. So lassen sich mit farbigen

Stahlteilen beispielsweise auch klotzige

Industriebauten sanft in ihre Umgebung

einpassen. In den vergangenen Jahren

hat v. Garnier etwa 20 Kollektionen von

Bauten-Farbigkeiten entworfen und ist

unter anderem zweimal mit dem Europäi-

schen Stahlbaupreis ausgezeichnet wor-

den, außerdem mit dem Deutschen Fas-

sadenpreis und dem chinesischen „Luban

2004“, dem renommiertesten Architektur-

preis für Industriebauten in China. 7

diese Profession vor 40 Jahren ins Leben

rief, bereits viele trostlose Plattenbauten

in Ostdeutschland freundlicher gestaltet.

Seine Spezialität aber sind Industriean-

lagen. Seit vielen Jahren tragen seine

Farben dazu bei, die Arbeitsatmosphäre

in den Werken von ThyssenKrupp zu ver-

bessern – und schaffen so eine Umge-

bung, in der die Mitarbeiter lieber (und

besser) arbeiten. Zuletzt gestaltete v.

Garnier die Farbgebung des neuen Stahl-

walzwerks in Alabama. Dort sind die Hal-

len vor allem in Rot und verschiedenen

TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

„Blau, Grün und Braun spie-geln die Farben des Himmelsund der Erde wider und ver-helfen selbst großvolumigenIndustriebauten wie Produk-tionshallen zu harmonischen Erscheinungsbildern.“ Friedrich Ernst v. Garnier

»Farbe ist Licht. Licht ist Wärme. Wärme ist Energie.Energie ist Leben. Leben ist Farbe.« Friedrich Ernst v. Garnier

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

Futuristisch parken in Lusail City

MyZeil Frankfurt am Main: die höchste Fahrtreppe in einem deutschen Einkaufszentrum

3 Seit Februar 2009 rühmt sich die

in die Jahre gekommene Einkaufs-

meile der deutschen Finanzmetropole

Frankfurt am Main einer „neuen

Shoppingdimension“: MyZeil, Proto-

typ der städtischen Einkaufsgalerie

neuester Prägung, zieht die Passan-

ten schon von außen in den Bann.

Einem schwarzen Loch ähnelnd, öff-

net sich ein riesiger Trichter in der

gläsernen Fassade und gibt den Blick

in den Himmel frei. Innen setzt sich

der furiose Eindruck fort: Der gläser-

ne Trichter aus der Fassade wird

hier zum Himmel. Mit vielschichtigen

Ebenen, einer spannungsreichen

Linienführung und ungewohnten

Perspektiven hat der italienische Ar-

chitekt Massimiliano Fuksas ein un-

gewöhnliches Raumerlebnis geschaf-

fen. Auch ThyssenKrupp Elevator hat

mit der Fertigung und Montage der

höchsten Fahrtreppe in einem deut-

schen Einkaufszentrum einen wichti-

Vielschichtiges Shoppingerlebnisgen Designbeitrag geleistet: Im Sog

des Trichters bringt die 47 Meter

hohe Anlage die Besucher vom Erd-

geschoss direkt in den vierten Stock.

Hier öffnet sich der Blick auf die

Frankfurter Skyline und – über die

Brüstung nach unten – auf das ge-

schäftige Treiben von einem Dutzend

Fahrtreppen, die unablässig Men-

schenströme kreuz und quer nach

oben und unten transportieren. Für

das neben MyZeil aus drei weiteren

Gebäudeteilen bestehende Baupro-

jekt „PalaisQuartier“ liefert Thyssen

Krupp Elevator insgesamt 28 Fahr-

treppen sowie 48 Aufzüge, darunter

den weltweit 100. TWIN. Zusammen

mit sieben herkömmlichen Aufzügen

und der gemeinsamen Zielauswahl-

steuerung sorgt der TWIN mit seinen

zwei Kabinen in einem Schacht dafür,

dass die Hotelgäste ohne Wartezeiten

zu ihren Zimmern und Suiten im 96

Meter hohen Hotelturm gelangen. 7

3 Wo einst nur Sand war, soweit man sehen

konnte, entstehen heute einige der spannendsten

städtebaulichen Projekte unserer Zeit. Manche,

wie die Ökostadt Masdar in Abu Dhabi, sind noch

Vision, andere, wie Lusail City in Qatar, stehen kurz

vor der Fertigstellung. Die neue Küstenstadt Lusail

wächst derzeit im Nordosten Dohas, der Hauptstadt

von Qatar, aus einer bislang kaum bebauten Wüs-

tenfläche empor. Auf dem rund 35 Quadratkilome-

ter großen Areal sollen einmal 200.000 Menschen

leben, arbeiten und ihren Urlaub verbringen. An-

ders als bei der weiter südlich bereits realisierten

künstlichen Insel The Pearl wird Lusail aus dem

natürlich gewachsenen Küstenabschnitt heraus-

modelliert, Wasserflächen und Kanäle dabei vom

Meer her ausgegraben. Ziel der Planer der Retor-

tenstadt war eine ausgewogene und bedarfsge-

rechte Unterbringung der wichtigsten städtischen

Funktionen. Neben Verwaltung, Einzelhandel, Frei-

zeit- und Bildungseinrichtungen, Erholungsflächen,

Freizeithäfen und wassernahen Luxushotels entste-

hen Wohnquartiere auf vorwiegend niedrig bebau-

ten, begrünten Flächen. ThyssenKrupp unterstützt

die Mobilität in der Planstadt mit insgesamt 124

Förderanlagen in vier zentralen Parkhäusern, die

an das Metro-System der Stadt angebunden sind.

Pro Parkhaus werden drei Panorama-Aufzüge und

ein Feuerwehraufzug, 16 Fahrtreppen sowie jeweils

neun beziehungsweise sechs Fahrsteige geliefert. 7

Viel Bewegungin der Wüste

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projekte_aktuell

Historische Bausubstanz mit modernsten Funktionalitäten inder Dresdner „Zeitenströmung“

Grüner geht’s nicht

Kaserne erbauten Liegenschaft zuständig.

Insgesamt mussten 400 Quadratmeter

Dachfläche, 300 Quadratmeter Innenwän-

de und ebenso viele Quadratmeter Holz-

balkendecken rückgebaut und entsorgt

werden. Stehen blieben nur die Außenhül-

le, der massive Treppenhauskern sowie

zwei gusseiserne Säulen mit gemauerten

Bögen, die als historische Bausubstanz

erhalten bleiben sollten. Grundlage für

die Instandsetzung war die von den

Xervon-Ingenieuren entwickelte und auf

die spätere Nutzung als Räumlichkeiten

für ein exklusives Fitnessstudio, eine

Werkswohnung und Büroräume abge-

stimmte Ausführungsplanung. Auf Basis

der Genehmigungsplanung haben die

Sanierungsexperten die komplette Fein-

planung für die Bereiche Medienführung,

Heizung, Sanitär und Elektro erarbeitet

und auch die statische Berechnung der

Umbaumaßnahme organisiert. Nach nur

sechsmonatiger Sanierung war das Werk

vollendet – mit dem äußeren Charme

der Vergangenheit und neuen inneren

Werten. 7 www.zeitenstroemung.de

3 In Singapur entsteht mit Solaris der „Businesspark der Zukunft“, ein Gebäude, das – so der O-Ton der Architekten

– „die erholsame Wirkung des Tageslichts, der natürlichen Belüftung und einer gedeihenden Flora und Fauna ins Arbeits-

umfeld bringt“. Fauna? Ja, tatsächlich. Auf 8.000 Quadratmetern durchgängig begrünter Fläche soll sich eine

vielfältige Pflanzenwelt mit allen dazugehörigen Mikroorganismen frei entfalten dürfen. Rund um die zwei Gebäude-

komplexe, die durch ein großes, natürlich belüftetes Atrium verbunden sind, schlängeln sich 3 Meter breite Land-

schaftsterrassen spiralförmig entlang der Außenfassade nach oben. Auf 1,5 Kilometer Länge verbinden diese

den ebenerdigen one-north Park mit den kaskadenförmig angelegten Dachgärten. Aber auch von innen ist

hier alles grüner als sonst: Der Energieverbrauch des mit dem höchsten Umweltsiegel

der Stadt Singapur ausgezeichneten Gebäudes wird um 36 Prozent unter dem ver-

gleichbarer bestehender Bürogebäude liegen. Entsprechend wichtig war

es, dass auch die von ThyssenKrupp gelieferten 16 Aufzüge den hohen

Umweltansprüchen genügen. Eine intelligente Software versetzt die

Steuerung und Kabinenbeleuchtung in den energiesparenden Stand-by-

Modus, sobald die Aufzüge eine bestimmte Zeit nicht benutzt werden. 7

Außen alt, innen neu3 „Arbeitsraum, Lebensraum, Erlebens-

raum“ lautet das Motto des Projektes

„Zeitenströmung“ in Dresden. Auf 60.000

Quadratmetern ist hier der „größte Treff-

punkt für Oldtimerliebhaber, Kunst- und

Kulturbegeisterte in Sachsen“ errichtet

worden. Auf dem Gelände der ehemaligen

Strömungsmaschinenwerke werden jetzt

Serviceleistungen rund um das Automobil

angeboten, ergänzt durch ein umfangrei-

ches Gastronomie- und Freizeitangebot,

die Probebühnen des Staatsschauspiels

Dresden sowie Büroräume. Direkt beteiligt

an der erfolgreichen Wiederbelebung des

seit 1995 weitgehend brachliegenden

Fabrikgeländes war ThyssenKrupp

Xervon. Die ThyssenKrupp Tochter war für

die Entkernung und den denkmalgerech-

ten Neuaufbau eines dreigeschossigen

Gebäudekomplexes der Ende 1800 als

Landschaft mitten in der Großstadt:„Solaris“ Singapur

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3 „Ein Geschenk an die Essener Bürger,

ganz im Sinne Alfried Krupps“, nannte

Berthold Beitz, der Kuratoriumsvorsitzen-

de der Alfried Krupp von Bohlen und

Halbach-Stiftung, das größte Einzelpro-

jekt, das die Krupp-Stiftung je getragen

hat: den Neubau des Museum Folkwang

in Essen. Der nach dem Entwurf von

David Chipperfield Architects, Berlin/Lon-

don, errichtete und von der Krupp-Stif-

tung als alleiniger Förderin mit 55 Millio-

nen Euro finanzierte Neubau wurde in nur

23 Monaten Bauzeit errichtet. Rechtzeitig

zum Beginn des Kulturhauptstadtjahres

Ruhr.2010 öffnete das in neuem Glanz

erstrahlende Museum im Januar 2010

seine Türen.

Chipperfields Neubau ergänzt den denk-

malgeschützten Altbau von 1960 und

erweitert die Ausstellungsfläche des Mu-

„Das schönste Museum der Welt“seums auf rund 7.000 Quadratmeter.

Helle Räume, klare Wege, großzügige

Sichtachsen – im neuen Museum Folk-

wang kommen die Werke der eindrucks-

vollen Sammlung in lichten Räumen zur

Geltung, Räumen, die zur Begegnung

mit Kunst, aber auch zur Diskussion und

zum gesellschaftlichen Austausch einla-

den. „Das Museum Folkwang mit seinen

sozialen und kulturellen Ambitionen wird

ein leicht zugänglicher, öffentlicher Ort in

der Stadt sein. Die Architektur bildet einen

ruhigen Hintergrund für die Sammlungen.

Atmosphärisch dominieren Licht und

Offenheit, aber auch Konzentration“,

erläuterte Chipperfield seinen Entwurf.

„Das schönste Museum der Welt“ heißt

die erste große Sonderausstellung im

Neubau, für die erstmals seit mehr als

70 Jahren Meisterwerke des Museum

Folkwang wieder vereint und die spekta-

kuläre Sammlung aus der Zeit vor 1933

rekonstruiert wurden. In den zwanziger

und frühen dreißiger Jahren gehörte das

Museum Folkwang zu den bedeutendsten

Sammlungen moderner und zeitgenössi-

scher Kunst weltweit. Paul J. Sachs,

Mitbegründer des MoMA in New York,

soll es 1932 bei einem Besuch in Essen

„das schönste Museum der Welt“ ge-

nannt haben. Dass es wieder zu seinem

alten Ruhm zurückkehrt, dazu will zumin-

dest auch Chipperfield seinen Beitrag

geleistet haben: „Ein Museum um eine

bedeutende Sammlung herum zu bauen

ermutigt mich, Architektur als Werkzeug

zu verstehen und nicht als etwas, das sich

selbst genügt“, sagte er anlässlich der

Neueröffnung des Museums. 7

www.museum-folkwang.de

Begegnung im lichten Raum: der ArchitektDavid Chipperfield (links) und Prof. Dr. BertholdBeitz, Vorsitzender des Kuratoriums der AlfriedKrupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, in der neuen Ausstellungshalle des MuseumFolkwang

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

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rößtes privates Investitionsprojekt in Südamerika, zeit-

weise die größte private Baustelle in den USA: Allein

diese Tatsachen verdeutlichen die Dimension der beiden

amerikanischen Großprojekte von ThyssenKrupp. Durch

den Bau der Stahlhütte im brasilianischen Bundesstaat

Rio de Janeiro rückt der Konzern noch näher an Roh-

stoffe heran; die Errichtung des hochmodernen Werks

mit Walz- und Veredelungslinien bei Mobile (Alabama) stärkt seine Wett-

bewerbsposition in wichtigen Absatzmärkten.

Die Arbeiten am Standort in Brasilien sind nun sehr weit fortgeschritten.

Der Produktionsstart ist für das dritte Quartal 2010 geplant. Fünf Millio-

nen Tonnen Stahl pro Jahr sollen künftig von hier aus in Form hochwer-

tiger Brammen an das neue Werk in Alabama und zu den deutschen

Standorten von ThyssenKrupp geliefert werden. Dort wird der Stahl dann

weiterverarbeitet. Auf der Baustelle in der Bucht von Sepetiba waren

zeitweise bis zu 23.000 Menschen beschäftigt. In der Betriebsphase

werden direkt 3.500 neue Arbeitsplätze in der Stahlproduktion entstehen.

Hinzu kommt etwa die vierfache Zahl an Arbeitsplätzen, die in anderen

Branchen indirekt gesichert werden. Zudem sind durch die Investition

von ThyssenKrupp Ausbildungsstätten entstanden. Von der Industriali-

sierung wird diese sozial schwache Region also erheblich profitieren.

Wichtige Glieder in der globalen Wertschöpfungskette

Ausschlaggebend für die Wahl des Standorts waren insbesondere

Logistikvorteile: zum einen durch den direkten Zugang zum Atlantischen

Ozean, zum anderen durch die dort endende Eisenbahnlinie für den

Transport von Eisenerz. Die Erzlagerstätten im brasilianischen Bundes-

staat Minas Gerais liegen vergleichsweise nah und stellen eine Versor-

gung mit hoher Qualität sicher. Darüber hinaus gab das positive Umfeld

für die Rekrutierung von qualifiziertem Personal den Ausschlag für die

Standortwahl. Auf einer Fläche von 9 Quadratkilometern stehen nun

eine Kokerei, eine Sinteranlage, zwei Hochöfen, ein Oxygenstahlwerk

mit Stranggießanlagen, ein eigenes Kraftwerk und ein Hafen – ein kom-

plettes Hüttenwerk ist aus dem Nichts entstanden und wird bald eine

wichtige Rolle in der globalen Wertschöpfungskette von ThyssenKrupp

einnehmen.

GTK Magazin | 1 | 2010 | Juni

2010 startet ThyssenKrupp die beiden neuen Produktionsstätten in Brasilien und in den USA.Die Stahlhütte im brasilianischen Bundesstaat Rio de Janeiro und das Verarbeitungswerk beiMobile im US-Bundesstaat Alabama schaffenviele neue Arbeitsplätze – und stärken die Positionvon ThyssenKrupp in wichtigen Märkten.

AUFBRUCHIN AMERIKA

projekte_stahlwerke

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

Das gilt auch für das neue Werk in Calvert bei Mobile in Alabama: Eben-

falls voraussichtlich ab dem dritten Quartal 2010 können hier in den auf

der „grünen Wiese“ errichteten Anlagen aus den brasilianischen Bram-

men Stahlbänder gewalzt werden. Hierzu stehen eine Warmbreitband-

straße, ein Kaltwalzwerk und Feuerbeschichtungslinien zur Verfügung.

Ein Teil des Warmbands wird zu Edelstahl-Flachprodukten weiterverar-

beitet. Das geschieht entweder in speziellen Anlagen am gleichen

Standort oder im Edelstahlwerk ThyssenKrupp Mexinox im mexikani-

schen San Luis Potosí. Die Fertigprodukte werden an Abnehmer in den

USA, Kanada und Mexiko geliefert – eine deutliche Stärkung der Posi-

tion von ThyssenKrupp in der nordamerikanischen Freihandelszone

NAFTA.

Für die Ansiedlung in Mobile sprach, dass das Werk nur wenige Kilo-

meter vom Hafen von Mobile am Golf von Mexiko entfernt liegt und sich

das mexikanische Edelstahlwerk von hier aus ebenfalls gut erreichen

lässt. Die in Brasilien produzierten Brammen können – nachdem sie an

einem eigens errichteten Terminal im Tiefseehafen von Mobile auf klei-

nere Schiffe umgeladen werden – über den Fluss Tombigbee auf dem

Wasserweg direkt bis zum neuen Standort geliefert werden.

Produktentwicklung im Fokus

Mit der Investition gibt ThyssenKrupp einen wichtigen Impuls für die

regionale Wirtschaft: Bis zu 2.700 direkte Jobs sollen durch das Werk

neu entstehen, mit mit vier Mal so vielen zusätzlichen indirekten Jobs

rechnet man bei Zulieferern, Hotels, Restaurants und vielen weiteren

Dienstleistern. Gut für Alabama, wo sich auch andere globale Konzerne

wie Degussa, Ciba, Hyundai und Honda niedergelassen haben. Den

Gouverneur von Alabama, Bob Riley, hat am meisten beeindruckt, wie

viel ThyssenKrupp in die Entwicklung neuer Produkte investiert. „Das

hat uns alle davon überzeugt, dass sich ein Konzern bei uns ansiedelt,

der in der Produktentwicklung immer führend sein wird“, so Riley. Der

indianische Name Alabama bedeutet übrigens manchen Forschern

zufolge in etwa „hier lebe ich“. Das gilt nun auch für ThyssenKrupp. 7

TEXT: ALEXANDER SCHNEIDER

Über den Golf von Mexiko ist das neue Verarbeitungswerk in Alabama in die globale Wertschöpfungskette von ThyssenKrupp eingebunden.

Das größte Investitionsprojekt in Südamerika: Ab Herbst 2010 sollen in der Bucht von Sepetiba in Brasilien rund 5 Millionen Tonnen Stahl pro Jahr produziert werden.

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

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perspektiven_stadt der zukunft

Die Zukunft der Menschheit liegt in den Städten. Aber was ist die Stadt der Zukunft? Wie lassen sich Fläche, Verkehr, Energie und Wohnqualität in wachsenden und schrumpfenden Städten sichern und verbessern?

MEGACITYS UND SCHRUMPFSTÄDTE

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

wachstum sorgte, wirken heute ganze Viertel wie die Kulisse für einen

Endzeitfilm. Tatsächlich liegt ein Drittel der gesamten Stadtfläche brach;

etwa 4.000 Bauten stehen leer, Straßenschilder rosten, und auf den

Bürgersteigen wächst Gras.

Der krasse Niedergang von Detroit infolge wirtschaftlicher Probleme

und sozialer Spannungen gilt Stadtplanern als Musterbeispiel für

„Shrinking Cities“. Wenn Städte aufgrund von Abwanderung und Be-

völkerungsrückgang schrumpfen, hat das natürlich nicht immer derart

drastische Folgen wie im Fall der ehemals prosperierenden Motor City.

uf YouTube gibt es ein Video, das aus einem fahrenden Auto

heraus aufgenommen ist. Drei lange Minuten sind verfallen-

de Wohnblocks, verlassene Einfamilienhäuser und Bau-

ruinen zu sehen. Nur wenige Menschen bevölkern die

trostlose Szenerie, die an Bilder aus Bürgerkriegsgebie-

ten erinnert. Doch das hier ist weder Grosny noch Bag-

dad, sondern Amerikas ehemalige Boomtown Detroit.

Wo noch bis Anfang der fünfziger Jahre die Produktion der Big Three –

Chrysler, Ford und General Motors – für ein anhaltendes Wirtschafts-

A3

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

perspektiven_stadt der zukunft

Gleichwohl wird das Phänomen weithin unterschätzt, nicht zuletzt,

weil in den urbanistischen Debatten der vergangenen Jahre das

Augenmerk vor allem auf das Wachstum der Megapolen gerichtet

war. Doch ob Russland oder China, Belgien oder Finnland: Überall

schrumpfen Städte. Deutschland bildet da keine Ausnahme. In

Ostdeutschland gibt es Gemeinden, schreiben die Autoren Jeremy

Gaines und Stefan Jäger in Ein Manifest für nachhaltige Stadtpla-

nung, „die so entvölkert sind, dass man dort einmal die Woche mit

Trinkwasser die Kanalisation spülen muss“. Bestes Beispiel ist

Dessau, das seit der Wende so stark schrumpft wie kaum eine an-

dere Kommune in unserem Land. Ganze Viertel wirken verlassen,

Gründerzeitfassaden bröckeln, Schulen und Geschäfte stehen leer.

In der Bauhaus-Stadt will man nun die leistungsfähigsten Quartie-

re als sogenannte „Stadtinseln“ zwischen gestalteten Land-

schaftszügen entwickeln. Ob das Konzept tragfähig ist, wird die

Zukunft zeigen. Lösungen sind jedenfalls dringend gefragt: Bereits

2020 wird jeder zweite Landkreis in Deutschland mit sinkenden

Einwohnerzahlen konfrontiert sein.

Dessen ungeachtet verschwinden hierzulande jährlich knapp 380

Quadratkilometer Landschaft unter Vorstädten und Straßen. Eine

paradoxe Situation, zumal sich die Bedingungen für ein Leben in

der Peripherie mit zunehmender Ressourcenknappheit grund-

legend ändern werden. Den vorhandenen Raum sinnvoll nutzen,

lautet die stadtplanerische Devise der Zukunft. „Europas Metropo-

len dürfen kein neues Land für ihre Weiterentwicklung verbrauchen

– sie verfügen bereits über genug Land, das nur regeneriert

werden muss“, konstatieren Jeremy Gaines und Stefan Jäger.

„Andernfalls werden sie nicht überleben.“

Balanceakt Stadtentwicklung

Völlig anders stellt sich die Situation in vielen Schwellenländern

dar. Allein in China werden – so das Greenpeace-Magazin – „bis

2030 rund 400 Millionen Menschen in Städte ziehen, genauer: in

mehr als 240 Großstädte, die es noch gar nicht gibt“. Laut UNO

werden im Jahr 2050 über 75 Prozent der Weltbevölkerung in

Metropolen leben. Die gigantischen Stadtkonglomerate, für die

man bei der UNO den Begriff Metacitys kreiert hat, werfen komple-

xe urbanistische Fragen auf: Wie sollen immer mehr Menschen auf

einer gleichbleibenden Fläche menschenwürdig leben? Welche

Auswirkungen haben unterschiedliche Bildungsstandards auf die

soziale Balance? Wie kann man ökonomische Stabilität und eine

hohe Umweltqualität erreichen? Vor allem aber: Wie lässt sich ver-

hindern, dass Städte ungebremst Ressourcen verschlingen und

auf Kosten ihres Umlands leben?

Klaus Töpfer, ehemaliger Leiter des UN-Umweltprogramms, spricht

in seinem Essay Der Chaosplanet von drei Säulen einer nachhal-

tigen Städteentwicklung: wirtschaftlicher und gesellschaftlicher

Stabilität sowie ökologischer Nachhaltigkeit. „Stadtentwicklungs-

politik, die die Funktion von Stadt schafft und erhält, ist ... auch

eine Friedenspolitik für die Zukunft“, schreibt Töpfer. „Wenn sie

nicht Arbeit, Entwicklung, sozialen Ausgleich und ökonomische

Stabilität ermöglicht, wird es eine friedliche Entwicklung auf unse-

rem Planeten nicht geben.“

Auch wenn sich die Megacitys in ihrem Erscheinungsbild zuneh-

mend gleichen – Fachleute sprechen von einer Globalisierung der

Stadtstrukturen –, so ist doch jede von ihnen ein eigener Kosmos

mit unverwechselbaren natürlichen und kulturellen Gegebenheiten.

Konzepte, die in Mexico City funktionieren, lassen sich nicht so ohne

Buchtipps zum Thema

The Endless City. The Urban Age Project

by the London School of Economics

and Deutsche Bank’s Alfred Herrhausen

Society. Phaidon. The Endless City prä-

sentiert die Forschungsergebnisse des

„Urban Age Project“, einer von der

London School of Economics und der

Alfred Herrhausen Gesellschaft der Deut-

schen Bank initiierten Untersuchung.

Der 500 Seiten starke Wälzer liefert einen

soliden Überblick über den aktuellen

Stand der klassischen Stadtentwicklungs-

politik.

Jeremy Gaines und Stefan Jäger: Albert

Speer & Partner. Ein Manifest für nach-

haltige Stadtplanung. Prestel. In einer

Zeit der globalen Erwärmung gewinnt die

Entwicklung eines ressourcenschonenden

Städtebaus an Bedeutung. Ausgehend

von den Projekten des Büros Albert Speer

& Partner, formulieren die beiden Autoren

Jeremy Gaines und Stefan Jäger ein zu-

kunftsweisendes Konzept für den umwelt-

verträglichen Städtebau.

Wiederkehr der Landschaft/Return of

Landscape. Das anlässlich einer Ausstel-

lung in der Berliner Akademie der Künste

erschienene Buch stellt Las Vegas und

Venedig in den Mittelpunkt – zwei sehr

verschiedene Städte, die eine Geschichte

von kluger Landschaftsnutzung und von

überheblicher Eroberung erzählen, von

zukunftsfähigen und von gescheiterten

Strategien der Stadtentwicklung. Nam-

hafte Autoren zeigen Möglichkeiten auf,

die Stadt des 21. Jahrhunderts aus der

Landschaft heraus zu entwickeln.

»Stadtentwicklungspolitik ist Friedenspolitik für dieZukunft.«

3

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

weiteres auf Jakarta anwenden – und umgekehrt. Vermutlich sind

die Hyperstädte des 21. Jahrhunderts ohnehin nicht mit zentraler

Planung in den Griff zu bekommen. Klaus Töpfer ist davon über-

zeugt, dass sich innerhalb der Megacitys dörfliche Funktionen bil-

den werden. Umgekehrt, so der Gründungsdirektor des Institute for

Advanced Sustainability Studies in Potsdam, müssten städtische

Funktionen im ländlichen Raum erfüllt werden, „wenn es uns ge-

lingen soll, den Zustrom von Menschen aus den ländlichen Regio-

nen in die Stadt abzubremsen“. Der hält unterdessen unverändert

an. In der Hoffnung auf ein besseres Leben strömen Jahr für Jahr

Millionen von Menschen in die Turbocitys Asiens und Afrikas.

Landwirtschaft in der Stadt

Die einzige Lösung für den durch Migrationsbewegungen und

Bevölkerungswachstum ausgelösten „Highspeed Urbanism“ heißt

Verdichtung; allein so lassen sich (Waren-)Wege verkürzen, Res-

sourcen schonen und Energie einsparen. Dem Bauen in die Höhe

sind dabei allerdings Grenzen gesetzt. Für „unwirtschaftlich und

überflüssig“ hält Albert Speer jr. Bauten von mehr als 400 Metern

Höhe, wie er in einem Interview die prestigeträchtige Jagd nach

immer neuen Höhenrekorden kommentierte. Vielmehr interessiert

den renommierten Architekten, der mit seinen Partnern Büros in

Frankfurt am Main und Shanghai unterhält, das Thema Nachhal-

tigkeit. Hinter dem zugegebenermaßen schwammigen Begriff ver-

birgt sich die Notwendigkeit, die Fähigkeit der Megacitys zur Selbst-

regeneration zu stärken. Denn der Missbrauch der Landschaft als

Verfügungsmasse des boomenden Städtebaus hat in der Vergan-

genheit Umweltprobleme von erheblichem Ausmaß hervorge-

bracht – globale Erwärmung, Wasserknappheit, Nahrungsmangel

und Artenverlust sind ja längst traurige Gewissheit. Die Städte von

morgen dürfen sich nicht weiter auf Kosten der Landschaft pro-

filieren, sondern müssen aus ihr heraus entwickelt werden. Ihre

Zukunftsfähigkeit hängt nicht zuletzt davon ab, ob fruchtbare

Böden im Umland vor Bebauung geschützt werden können. Das

United Nations Development Programme wirbt bereits seit Mitte

der neunziger Jahre für urbane Landwirtschaft.

Doch kann man tatsächlich einen Teil unserer Nahrungsproduktion

in die Großstadt verlagern – bereits existierende Modelle wie die

„Community Gardens“ in Chicago oder grüne Hinterhofidyllen in

Kreuzberg mal ausgenommen? Wenn es nach dem belgischen

Architekten Vincent Callebaut geht, zieht die Landwirtschaft dem-

nächst in den Wolkenkratzer ein. „Dragonfly“ nennt der Visionär

sein für New York City entwickeltes Projekt an der Südspitze von

Roosevelt Island. Seine „Metabolic Farm“ propagiert die Rückkehr

zur traditionellen Landwirtschaft in einem futuristisch anmutenden

Kontext.

An zwei Startrampen ähnelnden Türmen, in denen Menschen woh-

nen und arbeiten sollen, schließen sich zwei gigantische Flügel für

die landwirtschaftlichen Nutzflächen an. Auf übereinanderliegen-

den Etagen werden Tiere gehalten, um die Versorgung der

Bewohner mit Fleisch, Milch und Eiern zu garantieren. Sogar Acker-

land soll es geben, Reisfelder und Obstgärten. Windturbinen

erzeugen die nötige Energie; Hightechaußenhäute sorgen für die

Klimaregulation. Callebaut hat seinen grünen Riesen als autarkes

System konzipiert: als einen lebenden Organismus, in dem nicht

der kleinste Humuskrümel verlorengeht, sondern dem ewigen

Naturkreislauf zugeführt wird. Die Bewohner von Dragonfly produ-

zieren ihr eigenes Wasser; ihr Abfall ist biologisch abbaubar. Viel-

leicht tauschen sie ihre Erfahrungen als Big-Apple-Bauern ja eines

Tages mit den Leuten von Lilypad aus, jener schwimmenden Stadt,

die Callebaut als eine mögliche Antwort auf den drohenden Anstieg

des Meeresspiegels entworfen hat. Bilder davon gibt es übrigens

auf YouTube zu sehen. 7

TEXT: MARGIT UBER | ILLUSTRATIONEN: MARIO WAGNER

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KINDER SEHEN IHREUMWELT

perspektiven_lebenswelt

Was nehmen junge Menschen an ihrer Stadt wahr? Und wie sehen und beurteilen sie Architektur? Das ThyssenKrupp Magazin bat Schülerinnen und Schüler der neunten Jahrgangsstufe des GymnasiumsEssen-Werden, in ihrer Umgebung zu fotografieren und ihre Aufnahmen zu kommentieren.

„Die Essener Volkshochschule

auf dem Burgplatz leuchtet

nachts in kräftigen Farben, die

die Innenstadt aufhellen. Dieses

Bild mag ich besonders, weil

das Gebäude eher kompakt ist

und tagsüber nicht auffällt. Dann

ist es praktisch nur ein voller

Würfel aus Glas, so scheint es.

Sein wahres Gesicht zeigt es erst

nachts: Dann leuchtet es in bun-

ten Regenbogenfarben dem

Himmel entgegen und macht mit

seinem bunten Lichterspiel auf

sich aufmerksam.“

C Franziska Sieg

C

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

„Auf den ersten Blick sieht das Pressezentrum Messe-Essen

aus wie ein Schiff. Durch seine klaren Linien und seine

eigenartige Form und Bauweise sticht es auf alle Fälle aus

dem Stadtbild heraus.“

C Ante Schlesselmann

„Das Haus der Technik gegenüber dem Essener Hauptbahnhof

finde ich total beeindruckend, vor allem wegen des kuppelför-

migen Durchgangs. Durch seine Bauart wirkt es modern, durch

die Ziegelsteine gleichzeitig alt. Ich könnte es mir stundenlang

anschauen, so interessant finde ich es.“

C Annika Albertz

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

perspektiven_lebenswelt

„Den Kirchturm der evangelischen Kirche in Werden sieht man genau so,

wenn man aus unseren Klassenfenstern herausschaut. Besonders

gut gefällt mir auch der Blick auf den Turm des Beatae Mariae Virginis

Gymnasiums.“

C Mirjam Otten

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„‚Essen bewegt‘. Auch die Innenstadt wird derzeit erweitert – aber leidet sie darun-

ter? Neue Einkaufszentren prägen nun das Zentrum und lassen kleine Läden in

den Nebenstraßen (Bild oben) vergessen. ‚Essen macht Unmögliches möglich‘

– es werden neue Straßen und Wege errichtet (Bild unten). Wenn diese fertiggestellt

sind, werden sie wohl ihren Zweck erfüllen und die Straßen vom Verkehr entlasten

– obwohl im Moment noch das

genaue Gegenteil der Fall ist.“

C Lea Sophie Lange

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

perspektiven_mobilität

Geht’s denn hier gar nicht weiter? Auch Harrison Ford als„Blade Runner“ muss mit Staus kämpfen. Immerhin: Dank feiner Technik kann er per Knopfdruck abheben undsolche Hindernisse im Los Angeles der Zukunft überfliegen.

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

UNTERWEGS IM JAHR

2050In der Stadt der Zukunft werden wir mehr laufen und Fahrrad fahren. Denn, so fordern Verkehrsexperten,

wir müssen uns aus der Abhängigkeit vom Auto lösen, um die Städte lebenswerter zu machen.

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

perspektiven_mobilität

straßen sind autofrei, überall sind breite Fuß- und Radwege ange-

legt. Jede freie Fläche Land wird für die Landwirtschaft zur Ver-

fügung gestellt. Durch die stadtnahe Nahrungsmittelproduktion

sind die Transportwege kürzer. „Die Stadt der Zukunft ist auf die

Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten und nicht auf die der

Autos“, lautet die Prognose von Kenworthy, der in internationalen

Vergleichsstudien die Abhängigkeit der Städte vom Auto erforscht.

Dass sein Blick in die Zukunft sehr optimistisch ausfällt, darüber ist

sich der Wissenschaftler durchaus bewusst. Denn die Realität sieht

gegenwärtig noch völlig anders aus. In fast allen internationalen

Großstädten sorgen unzählige Pendler täglich für kilometerlange

Staus, für Lärm- und Luftverschmutzung. Viele Megacitys in Asien

und Südamerika stehen kurz vor dem Verkehrskollaps: Einige Be-

wohner von Mexiko-Stadt benötigen bis zu drei Stunden täglich,

nur um an ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Geschäftsleute im brasi-

lianischen São Paulo umgehen das Verkehrschaos, indem sie per

Hubschraubertaxi zu ihren Terminen fliegen. In asiatischen Groß-

städten verursacht ein Durcheinander von Fahrrädern, Rikschas,

Mopeds und immer mehr Autos ein alltägliches Chaos. Und auch

äume säumen eine breite Straße, auf der zahlreiche

Menschen mit ihren Fahrrädern oder zu Fuß unter-

wegs sind. Hier, im Zentrum der Metropole, ist lau-

tes Vogelgezwitscher und fröhlicher Kinderlärm zu

hören. Leise rauschen elektrisch betriebene Busse

und Straßenbahnen vorbei. Und auch auf der Fahr-

bahn für Elektroautos fließt der Verkehr. Es ist halb

neun Uhr vormittags an einem sonnigen Frühlingstag im Jahr

2050 – viele Berufspendler haben ihr Fahrrad mit in die Bahn

genommen, aber für die meisten ist der Weg zu ihrem Arbeitsplatz

ohnehin nicht weit, denn sie leben in der Nähe der Innenstadt.

Kreativ werden und umdenken

„Die Menschen in der Stadt der Zukunft werden das meiste zu Fuß

erledigen können“, sagt Jeff Kenworthy, Professor für Nach-

haltigen Städtebau an der Curtin University in Perth. Und, so die

Zukunftsvision des australischen Mobilitätsexperten, sie leben

gerne in der Metropole, denn sie bietet ihnen ein grünes und

lebenswertes Umfeld: Das Stadtzentrum und dessen Neben-

B

Das ist mal eine wirkliche Großstadt: Der Planet Coruscant in „Star Wars: Episode III – Die Rache der Sith“ ist eine einzige sogenannte „Makropole“. Am besten bewegt man sich in den Hochhausschluchten dieser Riesenstadt mit eleganten Gleitern fort.

»Die Stadt der Zukunft ist auf die Bedürfnisse der Menschen

zugeschnitten und nicht auf die der Autos.«

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in den Metropolen Europas und der Vereinigten Staaten ist vielerorts

kaum noch ein Durchkommen möglich. Die Straßen stoßen an die

Grenzen ihrer Belastbarkeit, der CO2-Ausstoß ist beträchtlich, und

die Folgen – massive Luftverschmutzung und drohender Klima-

wandel – sind alarmierend. Eine Aussicht auf rasche Besserung ist

nicht in Sicht, denn in Zukunft wird sich das Verkehrsaufkommen in

den Schwellenländern noch vervielfachen.

Jeff Kenworthy gibt sich dennoch zuversichtlich. „Wir können

solche Probleme nicht in einer Woche erledigen, aber wir können

versuchen, das System in eine andere Richtung zu lenken“, zeigt

sich der Wissenschaftler überzeugt. Seit dem Zweiten Weltkrieg

habe man dem Auto mehr und mehr Bedeutung eingeräumt. Jetzt

gelte es, „kreativ zu werden und umzudenken“.

Was kommt nach dem Auto?

Mit dieser Meinung steht Kenworthy nicht alleine da. Verkehrsex-

perten weltweit plädieren dafür, die Abhängigkeit von der automo-

bilen Mobilität zu reduzieren. Die könnte ohnehin durch steigende

Ölpreise bald stark eingeschränkt werden. „Vieles deutet darauf

hin, dass wir bei der Erdölforderung auf eine Zielgerade zustreben,

an deren Ende wir uns überlegen müssen, womit wir in der Zukunft

fahren möchten“, sagt Michael Schreckenberg, Professor für Phy-

sik von Transport und Verkehr an der Universität Duisburg-Essen.

Wo dies möglich ist, sollen öffentliche Verkehrsmittel das Auto er-

setzen. Doch der Weg bis dorthin ist weit. In Städten wie Paris oder

New York platzen auch die öffentlichen Verkehrssysteme bereits

aus allen Nähten. Vollgestopfte Busse und Bahnen, mangelnder

Komfort sowie vielerorts lange Taktzeiten und schlechte Anschluss-

verbindungen führen dazu, dass sich weltweit viele Menschen lie-

ber in den täglichen Stau einreihen. „Der Nahverkehr muss attrak-

tiver werden“, fordert Kenworthy denn auch. Doch vielen

Großstädten fehlt das Geld, um die Infrastruktur auszubauen. In

den Schwellenländern sind die Probleme häufig hausgemacht: In

einigen Megacitys wie beispielsweise Bangkok gibt es so gut wie

gar keine Verkehrsplanung. „Es wird einfach gebaut nach den

Plänen derer, die das meiste Land oder das meiste Geld besitzen“,

so Kenworthy. In vielen Großstädten in Europa oder den USA hin-

gegen haben die Verfechter der automobilen Mobilität noch eine zu

starke Lobby, um ernsthaft Veränderung voranzutreiben, glaubt

Kenworthy.

Der Traum von Freiheit: Mit einem Landspeeder kann Luke Skywalker bei „Star Wars IV – Eine neue Hoffnung“ seine Umgebungerkunden. Verkehrsprobleme sind auf dem Wüstenplaneten Tatooine unbekannt.

3

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Doch es gibt auch positive Signale: So gehört das Metro-System in

der brasilianischen Millionenstadt São Paulo zu den modernsten

der Welt. Hier werden bis Ende 2010 über vier Jahre zusätzliche 20

Milliarden Real (etwa 8,5 Milliarden Euro) in die Weiterentwicklung

des öffentlichen Verkehrssystems geflossen sein. Auch das

U-Bahn-System im südkoreanischen Seoul ist vorbildlich – die

dortige Metro hat weltweit die beste Energieeffizienz.

Im Jahr 2050 werden die meisten öffentlichen Verkehrssysteme

wohl mit Strom betrieben werden. Und sie bieten ihren Gästen

größeren Komfort, so die Überzeugung der meisten Verkehrsex-

perten. „Im Jahr 2050 ist der öffentliche Verkehr nicht mehr das,

was er heute ist“, sagt zum Beispiel auch Manfred Boltze, Profes-

sor für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der Technischen

Universität Darmstadt. „Er wird weitaus komfortabler und an die

Bedürfnisse der Menschen angepasst sein.“ So würden vor allem

innovative Informationstechnologien dabei helfen, das Ticketing zu

vereinfachen und den Informationsfluss zu erhöhen. „Wenn ich im

Jahr 2050 mit der Bahn oder

dem Bus fahre, dann wird das

automatisch von meinem Mobil-

telefon erfasst“, stellt sich Boltze

die Zukunft vor. „Und am

Monatsende werden die Fahrt-

kosten automatisch vom Konto

abgebucht.“ Auch die unterschiedlichen Verkehrsmittel, so der

Wissenschaftler, werden wesentlich besser vernetzt und intelligen-

ter kombinierbar sein.

Mobil auf zwei Rädern

Auf Einschränkungen muss man sich dagegen beim motorisierten

Individualverkehr einstellen: „Die Mobilität der Zukunft wird von

unseren technischen Möglichkeiten abhängen“, sagt Michael

Schreckenberg. Aufgrund der relativ geringeren Fahrreichweite von

3

»Einfach ins Auto steigen und losfahren, ohne nachzudenken,

wird wahrscheinlich nicht mehr möglich sein.«

Dass sich hingegen am alltäglichen Irrsinn des Verkehrs auch künftig nicht viel ändern wird, das vermutet Luc Besson in „Das fünfte Element“ –und lässt dort Autos auf allen Ebenen durch die Straßen schweben, chaotische Verkehrsteilnehmer inklusive.

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Elektroautos werde es die uneingeschränkte Mobilität, wie wir sie

heute kennen, im Jahr 2050 vielleicht nicht mehr geben. „Wir wer-

den besser planen müssen als heute. Einfach ins Auto steigen und

losfahren, ohne nachzudenken, wird wahrscheinlich nicht mehr

möglich sein. Es sei denn, es gibt bis dahin Akkus, die kurze Lade-

zeiten haben und mit denen man 400 Kilometer weit kommt.“

Zudem sei es problematisch, Platz für die zahlreichen notwendigen

Aufladestationen vorzuhalten. „In Berlin haben mehr als 90 Pro-

zent aller Autos keine ,Heimat‘, das heißt, sie stehen auf der Straße

und nicht in einer Garage oder auf einem Grundstück.“

Dass der gute alte „Drahtesel“ in Zukunft eine echte Renaissance

erleben wird – auch darüber herrscht Einigkeit. Schon heute arbei-

ten zahlreiche Regierungen daran, ihre Städte fahrrad- und

fußgängerfreundlicher zu machen. In New York wurden bereits

etliche Straßen zurückgebaut, um Platz für Radwege zu machen.

Langfristig soll hier ein 3.000 Kilometer langes Fahrradwegenetz

entstehen. Ziel ist, Amerikas umweltfreundlichste Stadt zu werden.

Aber auch andere amerikanische Städte ziehen nach: In Chicago

gibt es bereits beheizte Parkhäuser für Fahrräder, die den Radlern

darüber hinaus Duschmöglichkeiten und Werkstätten bieten. Auch

in Europa spielt das Fahrrad in Mobilitätskonzepten eine größere

Rolle als noch vor wenigen Jahren. So wurde in Kopenhagen be-

reits vor einigen Jahren eine grüne Welle für Fahrradfahrer einge-

führt. In der dänischen Hauptstadt fahren rund 37 Prozent der

Pendler mit dem Fahrrad zur Arbeit. Um bis zum Jahr 2015 einen

Anteil von 50 Prozent zu erzielen –, so das erklärte Ziel der Stadt-

verwaltung –, werden jährlich umgerechnet bis zu 13 Millionen

Euro in neue Radwege und Radfahrstreifen investiert. In Paris

haben sich Mietfahrräder innerhalb kürzester Zeit zu einem belieb-

ten Verkehrsmittel entwickelt: Seit zwei Jahren sind in der Seine-

Metropole 20.000 Mietfahrräder im Einsatz, durch die der Radver-

kehr in der Stadt um 50 Prozent gesteigert werden konnte.

„Vorwärts in die Vergangenheit“ könnte das Motto des Stadtver-

kehrs im Jahr 2050 also lauten: Wir werden mehr zu Fuß und mit

dem Fahrrad unterwegs sein und (hoffentlich) bessere öffentliche

Verkehrsmittel nutzen. In Saudi-Arabien wird diese Entwicklung

noch etwas anders umschrieben: „Mein Vater ist auf einem Kamel

geritten. Ich fahre mit dem Auto, mein Sohn fliegt mit dem Flug-

zeug, sein Sohn wird auf einem Kamel reiten“, besagt eine dortige

Weisheit. Kein Grund zur Panik, findet Jeff Kenworthy: „Die Men-

schen werden von dem lebenswerteren Umfeld in unseren Städten

nur profitieren.“ 7

TEXT: CHRISTINA HÖHN

„Beam me up, Scotty!“ – ein legendärer Satz der Film-geschichte, der das unkomplizierte Transportverfahrenbei „Raumschiff Enterprise“ auf den Punkt bringt (auch wenn er genau so nie gesagt wurde). Einfach aufeinen Knopf drücken, schon ist man da. Von dieserLösung müssen Pendler aber wohl noch lange träumen.

Mobilität in Zukunftsvisionen

Wie wir uns morgen bewegen war seit jeher ein zentra-

les Thema von Science-Fiction-Filmen, angefangen

beim Stummfilmklassiker „Metropolis“: Dort prägen

bereits Fahrbahnen auf vielen Ebenen das Stadtbild,

während Flugzeuge durch die Hochhausschluchten

jagen. Modernität drückte sich für Regisseur Fritz Lang

eben unter anderem in einer möglichst umfassenden

Mobilität aus. Daran hat sich bis heute nicht viel geän-

dert. Besonders beliebt sind Fahrzeuge, die zugleich

fliegen, wie etwa bei „Blade Runner“ oder „Das fünfte

Element“. Vollendet wird das Ziel grenzenloser Mobilität

in allen Dimensionen dann beispielsweise bei den

Flugmobilen der Star-Wars-Helden. Und für ganz lange

Reisen träumen die Science-Fiction-Macher gleich

vom „Beamen“ und lösen so die Mobilitätsprobleme

auf elegante Art.7

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

Weltweite Vernetzung und Digitalisie-

rung verlagern Begegnungen zwischen

Menschen zunehmend vom physischen

in den virtuellen Raum. Durch Internet,

Smartphone, Navigationssysteme & Co.

verändert sich unser Gefühl für Zeit und

Raum. Der Wunsch nach echter Begeg-

nung aber bleibt.

sere Raum- und Zeiterfahrung wieder ein-

mal völlig verändert.

Vermeintlich kleiner ist die Welt schon

durch das Auto, das Flugzeug, das Telefon

und das Fernsehen geworden. Das Inter-

net hat diesen Prozess exponentiell be-

schleunigt. Heute kann jeder in verschie-

denen Räumen zur gleichen Zeit anwesend

sein. Dadurch ist der Rest der Welt noch

viel näher gerückt, hat sich die Bedeutung

der Begriffe Nähe und Nachbarschaft ge-

wandelt. Nähe wird heute anders definiert,

zum Beispiel so: Wie viele Klicks brauche

ich, um von meiner Homepage zur Home-

page eines Freundes zu kommen, und wie

viele Freunde liegen dazwischen, die uns

verbinden?

Früher waren Räume greifbar. Es galt: Nah

ist, was nah liegt. Die weltweite Vernetzung

hat unsere Vorstellung von Nähe verän-

dert. Im Zeitalter von Globalisierung und

Internet kann nah sein, was eigentlich fern

ist – andererseits aber auch fern, was ei-

gentlich nah sein sollte. Innerhalb weniger

Jahre hat die Digitalisierung der Welt un-

REALE UND VIRTUELLE

RÄUME

perspektiven_essay

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Chatrooms ersetzen den Plausch im Café,

Teammeetings werden per Videokonferenz

abgehalten, an die Stelle des gemeinsa-

men Einkaufsbummels tritt der Besuch

einer der vielen Internetseiten, auf denen

es praktisch alles zu kaufen gibt. Gearbei-

tet wird online von zu Hause aus oder von

jedem anderen Ort der Welt, das Lebens-

umfeld des neuen Freundes der Tochter

wird per Google Streetview überprüft, Ori-

entierungssinn braucht es im Großstadt-

dschungel jetzt auch nicht mehr – gedankt

sei dem Navigationssystem. Ist der Raum

der Zukunft virtuell? Wenn ja, was heißt

das für unser Weltverständnis und Heimat-

gefühl – und für die Qualität unserer Bezie-

hungen?

Die Frage nach dem Einfluss des Internets

auf das Gefühl der örtlichen Verbundenheit

und die sozialen Beziehungen wird häufig

pessimistisch beantwortet. Vor allem wird

davor gewarnt, dass die Kommunikation

über das Internet zu oberflächlicheren so-

zialen Bindungen zwischen den Menschen

führe, möglicherweise sogar zur Isolation

und Entwurzelung des Einzelnen.

Tatsächlich sollten die neuen elektroni-

schen Kommunikationsmöglichkeiten, die

sich seit Mitte der achtziger Jahre ent-

wickelt haben, die Menschen aber nicht

vereinzeln, sondern sie ganz im Gegen-

teil zusammenbringen. „Virtuelle Gemein-

schaft – Soziale Beziehungen im Zeitalter

des Computers“ hieß das Buch, mit dem

der Amerikaner Howard Rheingold diese

Idee im Jahr 1993 weltweit verbreitete.

„Virtuelle Gemeinschaften sind soziale

Zusammenschlüsse, die dann im Netz ent-

stehen, wenn genug Leute diese öffent-

lichen Diskussionen lange genug führen

und dabei ihre Gefühle einbringen, so dass

im Cyberspace ein Geflecht persönlicher

Beziehungen entsteht“, so Rheingolds

Definition einer virtuellen Gemeinschaft,

die man heute Online-, Net-, Cyber- oder

E-Community nennen würde.

Neue Beziehungsmuster

Ganz sicher geht der Trend von der grup-

pen- hin zur netzwerkbasierten Gesell-

schaft. Und natürlich bedeutet das einen

Wandel der sozialen Beziehungen. Persön-

liche Verbundenheit entsteht heute zuneh-

mend durch gemeinsame Interessen. In

unzählig vielen, gezielt auf die jeweilige

Gruppe ausgerichteten Internetforen

schweißen diese gemeinsamen Interessen

jetzt Menschen selbst über Kontinente hin-

weg zusammen – Menschen, die in einer

Welt ohne Internet nie voneinander ge-

wusst hätten.

Dadurch, dass man seine Gruppen nicht

mehr wie traditionell zuerst in der Nachbar-

schaft oder der Dorfgemeinschaft sucht,

lösen sich menschliche Gemeinschaften

im Internetzeitalter aber keineswegs auf.

Stattdessen findet ein Wandel statt in Rich-

tung von Gemeinschaften, die sich an so-

zialen Netzwerken orientieren.

Virtuelle Paralleluniversen

Neben der realen Welt gibt es heute immer

mehr virtuelle Paralleluniversen mit eige-

nen Umgangsregeln und Beziehungsfor-

men. In sozialen Internetnetzwerken wie

Facebook zum Beispiel sollte man den Be-

griff Freund besser in Anführungszeichen

setzen – ein Freund ist hier jeder, der nicht

explizit keiner ist. Das wiederum ist Teil der

Verlockung: Das Potential für neue Freund-

schaften ist schier unglaublich. Weltweit

sind mehr als 150 Millionen Menschen bei

Facebook registriert, die Hälfte von ihnen

ist angeblich täglich in diesem virtuellen

„Lebensraum“ erreichbar.

Doch der Wunsch nach echter Begegnung

bleibt. Wer in einem dieser sozialen Netz-

werke einen wirklichen „Seelenverwand-

ten“ kennenlernt, spätestens wer sich im

Chat verliebt, wechselt schon bald vom vir-

tuellen ins reale Leben. Greifbar und vor

allem entwicklungsfähig wird jede zwi-

schenmenschliche Beziehung immer noch

erst durch die physische Begegnung. Ge-

nauso werden sicher auch die großen ge-

meinschaftlichen Räume in den Städten

weiter eine wichtige Rolle spielen – Stadien

und Konzertsäle genauso wie Gemein-

schaftsveranstaltungen wie Skatenights,

Marathons oder Theatervorstellungen.

Und natürlich gemeinsame Unternehmun-

gen mit echten Freunden – ohne An-

führungszeichen. 7

TEXT: ANKE BRYSON |

ILLUSTRATION: MARIO WAGNER

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perspektiven_einblicke

APP-CITYUnterwegs in einer neuen Stadt – das heißt sich orientieren, Sicherheitsrisiken erkennen, effiziente Wegeplanen und manchmal auch, sich dem Freizeitpotential widmen. Web 2.0, Navigationssysteme undandere Anwendungen der Augmented Reality helfen dabei. Doch wie verändert die „erweiterte Realität“unseren Blick auf neue Räume?

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perspektiven_einblicke

gal ob Caracas, Tokio oder Peking, im Grunde ge-

nommen ist es geradezu furchterregend einfach, eine

fremde Stadt virtuell auf den Bildschirm eines Compu-

ters oder Smartphones zu zaubern: bei einer Stadt-

rundfahrt per Google Streetview oder Kontaktsuche

über die sozialen Webnetzwerke Facebook oder Xing,

während Applikationen wie Aloqa Gastronomie und

Nachtleben (neben vielen anderen Aspekten) nach individuellen

Vorlieben sortiert vorschlagen. Via Dopplr lässt sich schnell noch

nachschauen, ob nicht schon einer da ist, den man kennt – ja viel-

leicht sogar zeitgleich im selben Zug sitzt!

Verantwortlich für diese Revolution, die völlig andere Eroberung

neuer Räume, ist das Web 2.0. Hinter diesem Schlagwort verbirgt

sich ein ganzes Sammelsurium von kleinen Programmen und Platt-

formen, die es dem Internetnutzer ermöglichen, sich mit anderen

Nutzern auszutauschen, selber Inhalte unproblematisch ins Netz zu

stellen und individuell zusammengestellte Informationen mit zwei

oder drei Mausklicks aus dem Internet zu beziehen. Ein ganz

besonderer Teil des Web 2.0 ist die „Augmented Reality“ (AR), die

„erweiterte Wirklichkeit“. Kleine Programme bestimmen dabei via

Triangulation über drei Handymasten die genaue Position und

Blickrichtung des Nutzers und liefern dem Smartphone in Echtzeit

zusätzliche Informationen zum Sichtfeld. Die Realität wird also mit

Einblendungen des im Web verfügbaren Wissens, zum Beispiel aus

Wikipedia oder Google, unterlegt, erklärt – und interpretiert.

Bei der Begegnung mit neuen Räumen, wie beispielsweise bei der

Ankunft in einer neuen Stadt, sind die kleinen Helferprogramme

EAR-Applikationen für Geschäftsreisende

Layar | www.layar.com

Fotografiert der Nutzer die Umgebung, überblendet

Layar das Kamerabild mit einer Folie, die die

passenden Informationen dazu darstellt. Ob es sich

dabei um architektonische Daten oder die Filialen

einer Bank handelt, sucht der Nutzer aus. Web-2.0-

Könnern steht es offen, selbst Folien zu erstellen.

Aloqa | www.aloqa.com

Bei Aloqa geht es weltweit um Nachtleben, Gastro-

nomie, Partys und Shopping, also um alles rund

um das Thema Freizeitgestaltung.

Dopplr | www.dopplr.com

Via Dopplr lässt sich mit wenigen Klicks feststellen,

wer aus dem Freundes- oder Kollegenkreis

gerade auf welcher Route unterwegs ist. Vor

allem Vielreisende können damit überprüfen,

ob im Nachbarabteil nicht gerade zufällig ein alter

Bekannter sitzt.

Wikitude | www.wikitude.org

Der „World Browser“ ermöglicht es, Daten aus

Wikipedia und diversen Web-2.0-Anwendungen auf

Kamerafotos und Karten darzustellen.

tagwhat | www.tagwhat.com

Die Benutzer vergeben selbst sogenannte Tags

zu selbstgewählten Orten und stellen sie anderen

Tagwhat-Nutzern zur Verfügung.

Mobeedo | www.mobeedo.com

Mobeedo bietet eine Fülle von lokalen Informatio-

nen, von den besten Einkaufsmöglichkeiten bis

zu historischen Daten zum ausgewählten Karten-

ausschnitt.

Ubique

Das Programm projiziert eine transparente Karte als

Scheibe auf das Kamerabild. Dazu stehen Daten

aus Wikipedia, Panoramio und aus der OpenStreet-

Map-Datenbank zur Verfügung.

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

erst einmal zweifellos praktisch. Die Frage „Wo liegt das Hotel?“ er-

fordert keine großflächigen Kämpfe mit dem Stadtplan, ein kleiner

Tipp auf das Navigationsprogramm des Mobiltelefons genügt,

schon spuckt die Maschine eine genaue Routenbeschreibung aus.

Auch die Frage: „Welches Gebäude ist das?“ beantworten moderne

Smartphones im Handumdrehen, sofern sie mit GPS, Kamera und

Kompass ausgerüstet sind – mit Layar oder Wikitude, kleinen Brow-

sern für Mobiltelefone, bei denen Bilder von der Kamera erfasst

und in Echtzeit mit Zusatzinformationen zu dem Gezeigten unterlegt

werden. Ein schneller Fingertipp, schon bekommt die Stadt Unter-

titel: Geschichtliche Hintergründe zu den umliegenden Gebäuden

oder eine Lokalempfehlung lassen sich blitzschnell einblenden. In

gar nicht so ferner Zukunft wäre es sogar denkbar, alle diese Funk-

tionen mit einer Brille direkt in die persönliche Optik zu integrieren

– und sogar die Gesichter fremder Menschen mit den Angaben aus

Social-Networking-Datenbanken wie Facebook abzugleichen und

damit automatisch auch die persönlichen Daten einzublenden!

Komfort gegen Raumgefühl?

All dies klingt praktisch – doch wie wirkt sich die Informationsflut

auf die Wahrnehmung aus? Informationen gezielt aus dem Netz

abzurufen bedeutet den Verzicht auf Zufälle und andere nicht plan-

bare Situationen, wie die Irrfahrt durch eine fremde Stadt oder

Zufallsbekanntschaften. Erweitert die „erweiterte Realität“ tatsäch-

lich den Horizont, oder vermindern Geoapplikationen das Gefühl für

Raum und Orientierung? Für den Münchner Psychologen und

Wahrnehmungsforscher Ansgar Bittermann trifft dies nur bedingt

zu: „Technische Neuerungen ergänzen häufig langfristig nicht die

bereits vorhandenen Fähigkeiten, sondern ersetzen sie. Unter Um-

ständen gehen dabei eigene Erfahrungsmöglichkeiten verloren,

andererseits wird die Welt kleiner: Dank der neuen Anwendungen

ist es leichter, mentale Reisen anzustoßen.“ Zudem sind die Aus-

wirkungen beileibe nicht bei jedem Nutzer gleich, so Bittermann:

„Wie es sich genau auf den Einzelnen auswirkt, hängt von vielen

Faktoren und dem persönlichen Typ ab. Introvertierten Menschen

geben die Programme die Sicherheit, den neuen Raum in Ruhe zu

erleben. Für sie sind die Applikationen der Augmented Reality oft

der Schlüssel zum Genuss. Extrovertierte Menschen haben eine

höhere Reizschwelle. Sie brauchen mehr Input und sehen diesel-

ben Programme eher als Verlust von Abenteuer.“

Professor Dr. Heinrich Bülthoff vom Max-Planck-Institut für Biologi-

sche Kybernetik in Tübingen sieht vor allem die Entwickler der Pro-

gramme in der Pflicht: „Das Web 2.0 und seine Applikationen sind

wie ein Schwimmbad für einen Nichtschwimmer. Man kann darin

ertrinken, man kann aber auch schwimmen lernen. Es geht darum,

intelligente Informationen zur Verfügung zu stellen und diese auch

intelligent zu nutzen. Wir brauchen eine ganz neue Generation von

Entwicklern, die die Daten nach den Erkenntnissen der Kognitions-

forschung aufbereiten – und zum Beispiel eine Karte integrieren,

damit der Betrachter trotz Anweisungen den Überblick nicht ver-

liert.“ Insgesamt plädiert Prof. Bülthoff für einen unaufgeregten

Umgang mit den neuen Medien: „Im Grunde genommen reist man

mit den neuen Applikationen auch nicht anders als mit dem Reise-

führer. Es sind die gleichen Informationen, die der Reisende abruft,

nur ein wenig bequemer und wahrscheinlich auch aktueller.“

Die Fremde trainieren

Geht es nach Ansgar Bittermann, sind vor allem die Menschen ent-

scheidend bei der Begegnung mit einer neuen Stadt. Der Psycho-

loge entwickelte ein Paket von Online- und Mobiltrainings

(www.globalemotion.de), die es dem Betrachter ermöglichen,

Menschen aus fremden Kulturen nicht nur schneller unterscheiden

zu lernen, sondern auch Emotionen besser zu erkennen. Mit einem

klaren Ziel: „Der Kontakt mit ‚fremden‘ Gesichtern verunsichert

Menschen, und wer unsicher ist, erwartet selten Gutes. Durch

unser Programm wecken wir eine positivere Erwartung. Wir ma-

chen aus Fremden, also potentiellen ‚Feinden‘, Bekannte. Zudem

brechen dadurch fremde, vermeintlich homogene Gruppen auf.

Erst wenn man beispielsweise Chinesen als Individuen und nicht

als geschlossene Gruppe wahrnimmt, ergibt sich eine Chance, ein

Teil dieser Umwelt zu werden. Im Grunde genommen geben wir

China ein Gesicht. Allein dadurch ändern viele Menschen ihre

Haltung.“ Das wäre dann wirklich eine „erweiterte“ Realität. 7

TEXT: FRANÇOISE HAUSER

Vorreiter JapanIn vielen Ländern Asiens übrigens kein unbekanntes

Prinzip: Unterwegs in Japan? Selbst im kleinsten Ge-

birgsdorf liegt seit vielen Jahren mit großer Wahrschein-

lichkeit ein touristisches Pamphlet aus, das mit kleinen

schwarzweißen Blöcken, den QR-Codes, versehen

ist, die in codierter Form eine Webadresse enthalten:

Schnell mal das Handy draufgehalten, schon werden die

Infos von einer „Mobile Tagging Software“ verarbeitet,

und die Infos und Karten erscheinen in Form von Web-

seiten auf dem Handybildschirm. 7

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

FASZINIERENDE

perspektiven_interview

Ein Gespräch mit dem Insektenforscher Bert Hölldobler über Klimahäuser undBelüftungssysteme der Ameise, die Nachteile hierarchischer Organisationen undDiskriminierung bei Insekten und Menschen

BAUTEN

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

Bert Hölldobler gilt als internationalerSpitzenforscher auf dem Gebiet derexperimentellen Verhaltensphysiologieund Soziobiologie. Seine Arbeiten über soziale Insekten, besonders überAmeisen, brachten viele neue Erkennt-nisse zur chemischen Kommunikationund zum Orientierungssinn von Tieren,zur Dynamik von Sozialstrukturensowie zur Evolution von Tiergemein-schaften. Seit seiner Emeritierung2004 forscht Hölldobler an der Arizona State University in Tempe beiPhoenix, Arizona, wo er das „Centerfor Social Dynamics and Complexity“mitgegründet hat. Er gewann zusam-men mit Edward O. Wilson den Pulit-zer-Preis 1991 für „The Ants“ (DieAmeisen). Zuletzt veröffentliche er –wiederum gemeinsam mit Edward Wil-son – das Buch „The Superorganism:The Beauty, Elegance, and Strange-ness of Insect Societies“ (auf Deutschunter dem Titel „Der Superorga-nismus. Der Erfolg von Ameisen, Bie-nen, Wespen und Termiten“ erschie-nen).

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Herr Professor Hölldobler, sind Ameisen die Architekten der Tier-

welt?

Ich denke nicht, dass der Begriff Architekt ganz passend ist. Aber viele

Ameisen- und Termitenarten errichten ganz erstaunliche Gebilde. Die

komplexesten Bauten, die wir bislang kennen, sind diejenigen der Blatt-

schneiderameisen. Das sind riesige Gebilde, die bis acht Meter tief

unter die Erde reichen und eine Fläche von 50 Quadratmetern einneh-

men können. Dazu gehören auch bis zu 90 Meter lange Tunnel, die di-

rekt aus dem Bau in die Futtergebiete führen. Das ist wirklich faszinie-

rend. Es gibt jedoch nach wie vor auch noch viele Rätsel bei solchen

Bauprojekten aus der Tierwelt. So ist völlig unklar, wie es Ameisen ge-

lingt, unterirdisch kerzengerade Tunnel zu bauen. Hier beginnen wir erst

jetzt mit der Forschung.

Sehen die Nester einer bestimmten Ameisenart immer gleich aus?

Zumindest gleichen sich die Nester einer bestimmten Art so sehr, dass

Nestbauspezialisten unter den Ameisenforschern allein anhand des

Aussehens eines Nestes die Art bestimmen können. Das gehört zu den

Dingen, die uns Biologen an Ameisen so fasziniert: Wenn wir Arten be-

schreiben, schauen wir uns ge-

wöhnlich beispielsweise die Merk-

male ihrer Körper an. Aber hier

können wir anhand des Produktes

eines Tieres sagen, welche Art

das hergestellt hat – ähnlich, wie

wir bei menschlichen Bauwerken anhand ihres Stils die Entstehungszeit

bestimmen können. Die Unterschiede bei uns Menschen sind allerdings

vorwiegend zivilisatorisch bedingt, während die Ameisen sich mit ihren

Bauten immer so gut wie möglich an ihren Lebensraum anpassen.

Wie sieht diese Anpassung aus?

In Europa etwa gibt es diese herrlichen großen Hügelbauten der Wald-

ameisen. Das sind ganz raffinierte Bauwerke, die bis über zwei Meter

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

perspektiven_interview

»Ähnlich, wie wir Bauwerke anhand ihres Stils bestimmen können,

lassen sich Ameisenarten an ihren Nestern identifizieren.«

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

hoch werden. Wir sehen ja bloß den Hügel. Wenn man aber nach einem

starken Regen solch ein Nest öffnet, sieht man, dass der Regen nur we-

nige Zentimeter in das Nest eindringt. Das heißt, die Zweiglein und Na-

deln sind zu einem echten Schutzdach zusammengelegt. Die Nester

sind sogar richtiggehend isoliert.

Warum?

So können die Ameisen nach der Winterpause, wenn es draußen noch

relativ kühl ist, einen eigenen Wärmehaushalt aufbauen, also quasi hei-

zen: Speichertiere verbrennen dafür ihren Fettkörper und können so

Wärme erzeugen, die dank der guten Isolation im Hügel bleibt. Diese

Technik – die im Grunde eine Art Klimahaus ist, das die Natur auf ihre

eigene Art erfunden hat – ermöglicht es den hügelbauenden Ameisen,

bis fast hinauf an den Polarkreis zu siedeln.

Welche weiteren baulichen Leistungen der Ameisen faszinieren Sie

besonders?

Ein weiteres Beispiel sind die Belüftungssysteme, die Blattschneider-

ameisen entwickelt haben. Seit rund zwölf Millionen Jahren leben diese

Ameisen in einer Symbiose mit Pilzen und anderen Mikroorganismen.

Die von den Ameisen regelrecht gezüchteten Pilze produzieren aller-

dings tief unten im Nest eine Menge Kohlendioxid – und das muss hin-

aus. Das kann nur dank der Nestarchitektur gelingen, indem die wär-

mere Luft zusammen mit Kohlendioxid hinausströmt und kältere Luft

einsinkt. Wie das genau funktioniert, wissen wir noch nicht. Ein Aspekt

sind wohl die Abfallkammern für die Pilzreste im Nest: Diese sind um

einige Grade wärmer und treiben dadurch offensichtlich die warme Luft

nach oben.

Sind feste Behausungen eine Voraussetzung dafür, dass sich sozial

hochorganisiertes Leben überhaupt entwickeln kann?

Bei hochentwickelten sozialen Systemen gibt es meist auch relativ kom-

plexe Neststrukturen. Aber das muss nicht so sein. Die Heeresameisen

in Afrika und Südamerika haben überhaupt keine festen Nester, son-

dern formen mit ihren Körpern Biwaks, etwa in Baumhöhlen – sie sind

spezialisierte Nomadenjäger und zugleich sozial hoch entwickelt.

Wie entscheiden Ameisen, ob und wohin sie umziehen?

Die Entscheidungen der Ameisen werden von außen diktiert. So gibt es

Arten mit kleinen Kolonien von vielleicht nur 100 Ameisen, die in hoh-

len Eichen leben. Solche Nester gehen aber relativ schnell kaputt –

dann müssen die Ameisen umziehen. Jetzt folgt ein raffinierter Prozess,

der unglaublich an unsere Art erinnert, kollektive Entscheidungen zu

fällen: das sogenannte Quorum Sensing. Die Ameisen senden Späher

aus, die unterschiedliche Standorte erkunden. Wenn sich dann eine

bestimmte – kritische – Anzahl von Spähern in einem möglichen Nest

versammelt, zieht die gesamte Kolonie dorthin um: Das Quorum, also

die Masse, entscheidet. Über solche Entscheidungsprozesse in der

Ameisenwelt ist aber längst noch nicht alles bekannt.

Gibt es noch andere Beispiele dafür, wie Ameisen oder andere

sozial lebende Insekten Lösungen für Probleme gefunden haben,

die auch uns beschäftigen?

Eine ganze Menge. So hatten wir kürzlich ein gemeinsames Symposi-

um, an dem unter anderem Designer, Architekten und Computerspe-

zialisten beteiligt waren. Die Architekten interessierten sich etwa dafür,

wie es Termiten gelingt, besonders feste und dennoch luftdurchlässige

Wände zu errichten. Der Sprecher einer Fluggesellschaft schilderte, wie

sein Unternehmen bei der Organisation des Gepäcktransports an Flug-

häfen von Ameisen gelernt hat, die ja ihr Futter aus unendlich vielen

Richtungen in die Zentrale, das Nest, transportieren. Ein Betrieb in

Norditalien wiederum hat sich bei futtersuchenden Ameisen abge-

schaut, wie er seine Transportfahrzeuge so organisiert, dass sie Waren

auf den jeweils günstigsten Wegen liefern. Und Telefongesellschaften in

Großbritannien und Frankreich können Rufverbindungen in ihren Netz-

werken schneller herstellen, indem sie sogenannte virtuelle chemische

Signale an Netzwerkweichen deponieren – genau wie es Ameisen mit

echten chemischen Signalen tun, um Netzgenossen den besten und

kürzesten Weg beispielsweise zu einem Futterplatz zu weisen.

Ist das vernetzte Arbeiten der Ameisen ein Vorbild für uns?

Zumindest lautet eine unserer Erkenntnisse: Hochentwickelte Gesell-

schaften arbeiten nicht hierarchisch, sondern nur die primitiven sozia-

len Systeme sind hierarchisch organisiert – und diese Kolonien wach-

sen nicht sehr stark, sind nicht sehr effizient. Die hochentwickelten

sozialen Systeme bei Ameisen arbeiten hingegen wie Netzwerke oder

»Hoch entwickelte Gesellschaften arbeiten

nicht hierarchisch.«

3

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

Zumindest, so glaube ich, schlummert die Tendenz dazu noch immer in

uns, als ein Erbe des archaischen Menschen. Für den hatte die Diskri-

minierung der Mitglieder anderer Gemeinschaften einen Anpassungs-

wert. Das müssen wir erkennen und lernen, mit diesem evolutionären

Erbe umzugehen. Um es mit dem Philosophen David Hume zu sagen:

Was ist, diktiert nicht, was sein sollte. Wir sind soziale Wesen, Primaten.

Aber unsere Gemeinschaft ist, verglichen mit der der Ameisen, un-

glaublich primitiv. Was uns komplex macht, ist das, was wir kulturell ge-

schaffen haben. Ethik und Moral benötigen keine evolutionsbiologische

Rechtfertigung. Vielmehr muss die Moralphilosophie versuchen, dieses

Erbe zu überwinden. Wir sollten versuchen, von klein auf die Vielfalt des

Lebens und der Menschen zu zelebrieren. 7

DAS GESPRÄCH FÜHRTE ALEXANDER SCHNEIDER.

3

»Die Entscheidungsprozesse bei Ameisen

erinnern unheimlich an uns.«

Cluster. Manche Ökonomen sind erstaunt darüber, dass die Natur die

Idee von Clustern, die netzwerkartig verbunden sind und nicht von einer

direktiven Kraft gesteuert werden, bereits seit Millionen Jahren sehr

erfolgreich verwirklicht hat. Aber nicht in jeder Hinsicht sollten wir uns

an der Welt der Ameisen ein Vorbild nehmen – es gibt für mich als So-

ziobiologen auch eine bittere Wahrheit, die ich aus meinen Forschungen

ziehe.

Welche?

Wo immer es in der Natur hochentwickelte soziale Systeme mit großer

Kooperationsbereitschaft innerhalb der Gemeinschaft gibt, sind auch

immer die Diskriminierung und der Ausschluss von Mitgliedern anderer

Gemeinschaften derselben Art besonders hoch. Ganz einfach, weil

Gemeinschaften und nicht mehr Individuen um limitierte Ressourcen

konkurrieren. Ein solches System, in dem die Gemeinschaft alles und

das Individuum nichts zählt, sollten wir nicht anstreben.

Hat Diskriminierung auch beim Menschen einen biologischen

Hintergrund?

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

Fünf Fragen – fünf Lösungen – fünf Gewinne

kreuz & quer

Von spektakulären Großbauten und Symbolen der Macht bis hin zu

U-Bahnen, Wasserleitungen und Kanalisationen: Das Grundbedürf-

nis des Menschen, ein festes Dach über dem Kopf zu haben, drückt sich

in ganz unterschiedlichen Facetten aus. Wir haben fünf Aspekte dieses

weiten Feldes genauer beleuchtet und stellen Ihnen hierzu jeweils eine

Frage. Wer die richtigen Lösungen findet, kann mit etwas Glück zu den

Gewinnern unseres Preisrätsels gehören. Und so geht’s: Zu jeder Frage

gibt es nur ein Lösungswort. Lösen Sie die Fragen in beliebiger Reihen-

folge, und tragen Sie die jeweiligen Lösungswörter in das Kreuzwort-

rätselraster ein – wo, das müssen Sie selbst herausfinden.

Setzen Sie die Buchstaben, die in mit Ziffern versehenen Kästchen

stehen, in die richtige Reihenfolge, und Sie erhalten das Lösungswort.

Schicken Sie eine E-Mail mit dem Lösungswort an:

[email protected].

Oder schicken Sie eine Postkarte an:

F.A.Z.-Institut

Redaktion ThyssenKrupp Magazin

Postfach 20 01 63

60605 Frankfurt am Main

Einsendeschluss ist der 31. Oktober 2010. Alle Gewinner werden schrift-

lich benachrichtigt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Und nun viel Spaß!

Frage_3In keinem anderen Film spielt die„Stadt unter der Stadt“ eine derartgroße Rolle wie in dem Klassiker „Der dritte Mann“. Orson Welles alsBösewicht Harry Lime flüchtet amSchluss des Streifens durch die Kanalisation von Wien – und wirdschließlich von seinem alten FreundHolly Martins erschossen. Denn Martins hatte entdeckt, dass Limegestreckte Medikamente verschob, die Kinder dauerhaft schädigten. Mitwelcher Arznei handelte Harry Lime im Wien der Nachkriegszeit?

Frage_4Ihr Gesamtgewicht beträgt etwa 180Tonnen. Sie wirkt elegant undzerbrechlich. Kein Wunder, denn dieGlaspyramide am Eingang des Louvrein Paris besteht aus vielen Hundertenrautenförmigen und dreieckigen Glas-segmenten. Vorbild für das Bauwerk,das der chinesisch-amerikanischeArchitekt Ieoh Ming Pei zwischen 1985 und 1989 erschuf, war die großePyramide von Gizeh. Wer erteilte demArchitekten den Auftrag, mit dieserPyramide einen neuen Eingang fürdas größte Museum der Welt zu ent-werfen? Gesucht ist der Nachname.

Frage_5Städtebau und Versorgung warenschon immer eng miteinander ver-knüpft. In puncto Wasserversorgunghaben die Römer mit ihren Aquäduk-ten ein besonderes Erbe hinterlassen,sowohl in technischer als auch inarchitektonischer Hinsicht. Bis zu 100 Kilometer weit führten diese Wasserleitungen meist unterirdisch,teilweise aber auch über gigantischeBrücken in größere Städte des Römi-schen Reichs. Eine der am bestenerhaltenen Wasserbrücken aus derRömerzeit ist in Südfrankreich zu fin-den und misst rund 49 Meter Höhe.Nach welchem französischen Départe-ment ist sie benannt?

4

3 10

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8

1

Auflösung der Seite „forum_wissens_wert“:Die gesuchte Person aus „Wer war’s“: Le Corbusier

Frage_1Das Centre Pompidou war sein Durch-bruch. Seither hat der Architekt ausGenua fast überall auf der Welt Spurenhinterlassen, unter anderem in Osaka,Parma und Berlin. Kürzlich wollte er inMailand 90.000 Bäume pflanzen – der Dirigent Claudio Abbado hatteseine Rückkehr an die Scala an dieseBedingung geknüpft. Diesen Plankonnte der Architekt nicht umsetzen.Mailand leide an Geldnot, gab die Bürgermeisterin an. Also stürzte sichder Gesuchte in ein anderes Projekt: In London arbeitet er am höchstenWolkenkratzer Westeuropas. Gesuchtist der Nachname.

Frage_2London hält den Weltrekord: Das U-Bahn-Netz umfasst 408 Strecken-kilometer. Kein Wunder, dass sich einWettbewerb gerade dort durchsetzenkonnte: Beim sogenannten Tube Challenge müssen die Teilnehmer inkürzester Zeit alle U-Bahn-Stationenansteuern – das sind derzeit 275. InsHerz geschlossen haben die Londonerihre Tube von Anfang an. Schon Mittedes 19. Jahrhunderts ächzte die Stadtunter dem Verkehr. Am 10. Januar1863 konnten die Pendler aufatmen:Zwischen Farringdon und Paddingtonwurde die erste U-Bahn-Linie eröffnet.Wie lautet der Name dieser „Line“?

Unter allen Einsendern einerrichtigen Lösung verlosen wirfünf Gutscheine im Wert von je 100 Euro für amazon.de.

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TK Magazin | 1 | 2010 | Juni

rückblick

Globale Ansichten können der Blick des

deutschen Fotografen auf die Gastheimat

Shanghai sein oder das Streitgespräch

zwischen Globalisierungsbefürworter und

Globalisierungsskeptiker. Dieses Magazin

handelt genauso von interkulturellen

Grenzgängen wie von grenzüberschreiten-

dem Brückenbau. Es geht um Wissen-

schaftler und Entwicklungsingenieure,

die der Technik in einer zunehmend ver-

netzten Welt durch neue Verfahren und

Werkstoffe neue Wege öffnen und helfen,

globale Probleme wie die Wasserknapp-

heit zu bekämpfen, aber auch um den

Eintritt in neue Märkte. Internationalität

bedeutet, gemeinsame Ansätze über

Ländergrenzen hinweg zu verfolgen und

gemeinsame Ziele auf unterschiedlichem

Wege zu erreichen – und dabei voneinan-

der zu lernen. 7

Verlag und Redaktion: F.A.Z.-Institut für Management-, Markt- und Medieninformationen GmbH, Mainzer Landstraße 199, 60326 Frankfurt/Main, Telefon: +49 69 75 91-0, Fax: +49 69 75 91-1966Geschäftsführung: Volker Sach, Dr. André HülsbömerProjektleitung: Ludger Kersting Redaktion: Anke Bryson (verantwortlich), Alexander SchneiderArt Director: Wolfgang HanauerAutoren: Sarah Bautz, Anke Bryson, Christina Höhn, Christoph Neuschäffer,Tim Schröder, Alexander Schneider, Margit Uber, Jan Voosen, Inka Wichmann

Bildquellen: archinform (S. 92–95), CAEPSELE (S. 22–23), Cinetext (S.84–89), CPG Group (S. 72), Phil Fisk (S. 14–15, 19), Fnoxx (S. 8–9), Fotolia.com(S. 36–39, 81, 100), Google Earth/Digital Globe/ MapLink/Tele Atlas (S. 4–5),Historisches Archiv Krupp (S. 62–65), Wolfgang Hanauer (Illustrationen S.36–37, 92–93), layar (S. 92–95), livingarchitecture.com (S. 16–18, 20–21),Norbert Michalke/Agentur Focus (S. 97–99), Picture-Alliance/dpa (S. 6–7,28–35, 40–45), Stadtbildstelle Essen (S. 62–65), The Image Bank (S. 96–97),Frank Vinken (S. 73), wikitude (S. 92–95)Litho: Goldbeck Art, Frankfurt/Main, Druck: Kuthal Druck, Mainaschaff

HerausgeberThyssenKrupp AG, Dr. Jürgen Claassen, ThyssenKrupp Allee 1, 45143 Essen, Telefon: +49 201 844-0Projektleitung bei ThyssenKrupp: Barbara ScholtenDer Inhalt der Beiträge gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder. Nachdruck nur mit Quellenangabe und Belegexemplar.

impressum

Das aktuelle Magazin und bereits erschienene Magazine können Sie unter www.thyssenkrupp.com in der Service-Navigation unter „Publikationen“ bestellen.

Perspektiven haben heißt Zukunft haben,

Perspektiven aufzeigen heißt Ziele finden,

für die sich der Einsatz lohnt, neue Impul-

se geben, Zukunftspotentiale identifizieren

und entwickeln – mit technischen Lösun-

gen für die drängendsten Herausforderun-

gen der Menschheit genauso wie durch

die Förderung eines Umfelds, das offen ist

für neue Ideen und in dem jeder Einzelne

seine Potentiale ausschöpfen kann. Von

der Idee über die Innovation bis zur Tech-

nikfolgenabschätzung – in diesem Maga-

zin kommen Tüftler genauso zu Wort wie

Zukunftsforscher, geht es um Produkte,

die unseren Alltag revolutionieren können,

genauso wie um die Gestaltung der

Lebensräume der Zukunft. Wie sich ein

Perspektivwechsel auf unser Wertesystem

auswirken kann, berichtet der Astronaut

Thomas Reiter. 7

TK

Umwelt ist alles, was uns umgibt und

unser Leben bestimmt – der Klimawandel,

den ein bekannter Forscher in diesem

Magazin kommentiert, genauso wie die

Elemente Sonne, Wind und Wasser als

gleichermaßen nützliche und unberechen-

bare Naturkräfte und der demographische

Wandel genauso wie die vielfältigen

„Stressoren“, die unser soziales Umfeld

beeinflussen. Ein Stahlwerk, das den

Umweltschutz nicht an den Schluss stellt,

ist ebenso Thema wie Kulturdolmetscher,

die in einer globalisierten Umwelt für

den richtigen Ton sorgen. Wie wir uns

den Umweltherausforderungen unserer

Zeit stellen, zeigen vielfältige technische

Lösungen wie das Speichern von Treib-

hausgasen, die Energiegewinnung aus

Pflanzen oder der Schutz vor Naturkatas-

trophen. 7

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