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Aus dem Neuropathologischen Laboratorium (Prof. S chaltenbrand) der Universit/its- Nervenklinik Hamburg (Prof. Nonne). Tierexperimentelle Beobachtung fiber Apiolvergiftung. Von Dr. Lotte Kalbfleisch. iV[it 1 Textabbildung. (Eingegangen am 24. IV. 1933.) In der letzten Zeit sind eine Reihe yon Mitteilungen tiber eine eigen- tiimliche Form yon Polyneuritis ersChienen, die nach dem Gebraueh des bekannten Abtreibungsmittels Apiol aufgetreten sind (Ter Braak u. Carillo 1, Stanoje~Tic u. Vujic e, Reuter s , Jagdhold 4, Hellmuth u. Grtin 5, Yiann6, WittkeT, SchaltenbrandS). Dureh die systemati- schen Untersuchungen yon van Itallie, Harmsma u. van Esveld 9 wurde naehgewiesen, dal~ die Vergiftungserseheinungen zuriickzufiihren waren auf Triorthokresylphosphat, das sieh in dem kiiufliehen Apiol in mehr oder weniger grol~er Konzentration findet. Das Vergiftungsbild ist identiseh mit dem, das die Amerikaner a]s ,,Gingerparalysis" bezeich- hen und das naeh Genul~ yon verfglsehtem Gingersehnaps auftritt. Dieser Gingerschnaps enthi~lt nach den Untersuchungen yon S mit h u. E1v o v e lo ebenfalls Triorthokresylphosphatsi~ureester. u. 2 1 Ter Braak u. Caritlo: Dtsch. Z. iXervenheilk. 125, H. 1 u. 2 (1932). Stanojevic u. Vujic: Med. Kiln. 1931, Nr 50. s Reute~: Xlin. Wschr. 1932, Nr 7. a Jagdhold: Dtsch. reed. Wschr. 1982, Nr 16. s Hellmuth u. Griin: Ebenda Nr 18. s ~Iann: Ebenda Nr 19. 7 Wittke: D/fed. Welt 1932, Nr 26. s Schaltenbrand: Klin. Wschr. 1982, ~qr 34, 1444. 9 van ltallie, Harmsma u. van Esveld: Arch. f. exper. Path. 165, H. 1 (1932). lo Smith u. Elvove: Zbl. Neut. 61 (1932).

Tierexperimentelle Beobachtung über Apiolvergiftung

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Page 1: Tierexperimentelle Beobachtung über Apiolvergiftung

Aus dem Neuropathologischen Laboratorium (Prof. S chaltenbrand) der Universit/its- Nervenklinik Hamburg (Prof. Nonne).

Tierexperimentelle Beobachtung fiber Apiolvergiftung.

Von

Dr. Lotte Kalbfleisch.

iV[it 1 Textabbildung.

(Eingegangen am 24. IV. 1933.)

In der letzten Zeit sind eine Reihe yon Mitteilungen tiber eine eigen-

tiimliche F o r m yon Polyneurit is ersChienen, die nach dem Gebraueh des

bekannten Abtreibungsmittels Apiol aufgetreten sind (Ter B r a a k u. C a r i l l o 1, S tano je~Tic u. V u j i c e, R e u t e r s , J a g d h o l d 4, H e l l m u t h

u. Gr t in 5, Yiann6, W i t t k e T , S c h a l t e n b r a n d S ) . Dureh die systemati-

schen Untersuchungen yon v a n I t a l l i e , H a r m s m a u. v a n E s v e l d 9 wurde naehgewiesen, dal~ die Vergiftungserseheinungen zuriickzufiihren

waren auf Triorthokresylphosphat , das sieh in dem kiiufliehen Apiol in mehr oder weniger grol~er Konzentra t ion findet. Das Vergiftungsbild

ist identiseh m i t dem, das die Amerikaner a]s , ,Gingerparalysis" bezeich-

hen und das naeh Genul~ yon verfglsehtem Gingersehnaps auftri t t . Dieser

Gingerschnaps enthi~lt nach den Untersuchungen yon S m i t h u. E1v o v e lo

ebenfalls Triorthokresylphosphatsi~ureester.

u. 2

1 Ter Braak u. Caritlo: Dtsch. Z. iXervenheilk. 125, H. 1 u. 2 (1932). Stanojevic u. Vujic: Med. Kiln. 1931, N r 50.

s Reute~: Xlin. Wschr. 1932, Nr 7. a Jagdhold: Dtsch. reed. Wschr. 1982, Nr 16. s Hellmuth u. Griin: Ebenda Nr 18. s ~Iann: Ebenda Nr 19. 7 Wit tke: D/fed. Welt 1932, Nr 26. s Schaltenbrand: Klin. Wschr. 1982, ~qr 34, 1444. 9 van ltall ie, Harmsma u. van Esveld: Arch. f. exper. Path. 165, H. 1 (1932).

lo Smith u. Elvove: Zbl. Neut. 61 (1932).

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4 4 0 L. IK~tLm~LEISClt :

Die eharakteristisehen Erseheinungen naeh der Einnahme von Apiol per os bestehen in heftigen Magen-Darmerseheinungen, die sehr bald auftreten und naeh ein paar Tagen abklingen. Nach einem l~ngeren Zeitraum, der etwa 2--4 Wochen betragt, treten dann die polyneuriti- sehen Erseheinnngen auf, die in schlaffen Lhhmungen der Extremit~iten- enden mit hoehgradiger Atrophie tier befallenen Muskeln bestehen. An sensibeln Erseheinungen sind nut Par~isthesien und Schmerzen wahrend des Auftretens der L~hmungen besehrieben worden, Sensibilit~tsstSrun- gen fehlen dagegen in fast allen Fallen. Beim Mensehen sehwinden gew6hn]ich die Aehillesreflexe, w/ihrend die Patellarreflexe erhalten bleiben.

Die eigentiimliehe Latenzzeit yon 2--4 Woehen zwisehen der Ein- verleibung des Giftes und dem Ausbrueh der L~hmungen ist ein pharma- kologiseh interessantes Problem, und es findet sieh noeh keine Erklarung ftir dieses Phiinomen. Wir haben deswegen in einer Versuehsserie mehr als 30 Kaninehen mit versehieden grol~en Dosen Triorthokresylphosphat behandelt. Um eine mOgliehst gleiehm~f~ige Resorption zu erhalten, gaben wires niehtper os, sondern spritzten es mit OlivenOl gemiseht in die Riiekenmuskulatur ein.

Bei dieser Methode der Zufuhr des Giftes fehlen die akuten Magen- Darmerscheinungen. )ian kann also annehmen, dal~ es sieh bei diesen Erscheinungen im Krankheitsbild des Menschen um eine direkte Wir- kung des Apiols auf den ~agen-Darmkanal handelt. Von aeht Tieren, die weniger a]s 0,135 g pro Kilogramm KOrpergewieht erhalten batten, blieben sieben gesund. Nur ein Tier starb am folgenden Tage aus unbe- kannten Griinden und ohne typisehe Krankheitserseheinungen.

Von allen Tieren, die mehr erhalten batten, blieb nur eins am Leben, das eine Dosis yon 0,150 g erhalten hatte. Naeh einem kiirzeren oder langeren Zwisehenraum erkrankten alle anderen Tiere unter eharakteristi- sehen Erseheinungen: es traten zunhehst Durehf~tlle auI, dann kam es zu einer sehlaffen L~thmung der Extremit~ten mit Absehwaehung der Sehnenreflexe, die Tiere konnten sieh nieht mehr aufriehten, verweigerten die Nahrung, und sehlieNieh starben sie. Die Zeitpunkte, an denen die ersten Krankheitserseheinungen auftreten und an denen der Tod eintritt, h~ngen nun in einer ganz eindeutigen Weise yon der Dosis pro Kilo- gramm KSrpergewieht ab. Uber diesen Zusammenhang unterriehtet am besten das Diagramm: Auf dem Diagramm sind als Abszisse die Tage naeh der Injektion eingetragen, als Ordinate die Dosen Triorthokresyl- phosphat pro Kilogramm KSrpergewieht. Die beiden Tiere, die 1,0 g bekommen hatten, erkrankten sehon am 1. Tage und starben am 2. Tage.

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Die !V[ehrzahl tier Tiere, die zwischen 0,8 und 0,5 g bekommen hatten, erkrankten nach 2 Tagen und starben am 3. oder 4. Tag. Tiere, die 0,4--0,3 g bekommen hatten, erkrankten am 3. Tage und starben am 4. Tage. Die Tiere, die 0,2--0,175 g bekommen batten, erkrankten in der i~Iehrzahl am 5. Tage. Die Tiere, die noch weniger bekommen hatten, erkrankten in verschiedenen Perioden, im Durchschnitt etwa am 10. his

11. Tage und starben einige r E L Tage nach der Erkrankung.

] i Vom Tage der Erkrankur g bis zum Tage des Todes is ftir jedes Kaninchen eine LiI'B in

~+ das Diagramm eingetragen wor- den, so dal3 man ein tiber- sichtliches Bild bekommt. Trotz gz der Streuung der Krank eits- verli~ufe kann man doch eine Hi~ufung um gewisse m~ttlere Werte erkennen, die sich zwang-

- - los zu einer hyperbelfSrl igen Kurve ordnen.

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Die U n t e r s u c h u n g ha t also e rgeben , dal3 es keine Ies te L a t e n z z e i t zwischen der V e r a b f o l g u n g des Gif tes und dem A u s b r u c h der e r s t en S y m p t o m e bzw. dem Tod, g ib t , sondern da~ der Zwischenraum nach einem bestimmten mathematische~ Gesetz abhangig ist yon der Dosis. Ein solches Verhalten weist darauf bin, da~ das Gift eine besondere Affinitiit zu einer bestimmten Substanz des KSrpers hat, an die es im Laufe der Zeit je nach dem vorhandenen An- gebot mehr oder weniger schnell vollkommen gebunden wird. Das Auf- treten von neuritischen Erscheinungen nach der Triorthokresylphosphat-

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vergiftung legt nahe, da$ es phosphatidhaltige Lipoide des KSrpers sind, die das Gift mit der Zeit binden und auf diese Weise, sobald eine gewisse Gesamtkonzentration in den Lipoiden erreicht ist, in ihrer Funktion gestSrt werden. Die Geschwindigkeit, mit der dieser Zeitpunkt erreicht wird, h~ngt yon der Konzentration des Triorthokresylphosphates im Blute ab.

Die Durchftihrung dieser Untersuchungen wurde ermSglicht durch eine Stiftung der ~eurawerke, KSln-Braunsfeld.