1
Wissenschaftliche Publikationen To peer-review or not to peer-review? Vor drei Monaten bekam ich von einer renommierten wissen- schaſtlichen neurologischen Zeitschriſt eine wissenschaſtliche Publikation – eine Metaanalyse – zum Reviewen zugesandt. Ich habe dem Herausgeber empfohlen, die Publikation abzulehnen, da sie eine Vielzahl von methodischen und statistischen Feh- lern enthielt und in einem weitgehend unverständlichen Eng- lisch geschrieben war. Zu meinem großen Erstaunen musste ich zwei Monate später feststellen, dass der Artikel völlig un- verändert in einem Open-access-Journal offenbar ohne Peer- reviewing publiziert worden war. Nach meiner Recherche gibt es im Bereich Neurowissenschaf- ten derzeit 136 Open-access-Journale, der Löwenanteil davon wird von obskuren Verlagen in Indien und China herausgege- ben. Bei sehr vielen dieser vermeintlich wissenschaſtlichen Zeit- schriſten scheint es sich ausschließlich um eine neue Methode des Geldverdienens zu handeln: Das Geschäſtsmodell besteht offenbar darin, alle eingereichten Manuskripte anzunehmen und dann für das Publizieren des Artikels erhebliche Gebühren in Höhe von $ 1.500 bis $ 6.000 zu verlangen. Qualität der Beiträge – Qualität der Reviews Bislang galt das Grundprinzip, dass eingereichte wissenschaſt- liche Publikationen von Experten im entsprechenden wissen- schaſtlichen Fachgebiet kritisch durchgelesen und kommen- tiert werden. Dieses Peer-review-Verfahren ist für die Review- er zeitaufwändig und arbeitsintensiv – für den Autor ist es nicht immer erfreulich: Die Anmerkungen der Reviewer führen ihn manchesmal nicht konstruktiv weiter. Bei renommierten Zeit- schriſten wie Lancet Neurology oder New England Journal of Medicine (NEJM) kann es durchaus passieren, dass man als Autor Reviews von sechs bis sieben verschiedenen Reviewern bekommt, die sich über 20 DIN-A4-Seiten erstrecken und die alle zusätzliche Informationen im Manuskript wünschen. Gleichzeitig macht einen der Herausgeber darauf aufmerksam, dass man seinen „word count“ bereits erreicht hat. Ein inhären- tes Problem des Peer-review-Systems ist allerdings, dass gute und konstruktive Reviewer sehr gefragt sind und praktisch täg- lich von renommierten wissenschaſtlichen Zeitschriſten Anfra- gen für Reviews erhalten. Angesichts des schon sehr beschränk- ten Zeitbudgets ist es nicht verwunderlich, wenn viele Reviews relativ oberflächlich sind. Das British Medical Journal hat bei- spielsweise im Jahr 1998 einen Artikel, der acht schwerwiegen- de Fehler enthielt, an 200 Reviewer verschickt. Im Mittel wur- den zwei der acht Fehler von den Reviewern entdeckt, etwa je- der Vierte entdeckte jedoch keinen der schwerwiegenden Män- gel im Manuskript. Eine Möglichkeit, den Review-Prozess zu verbessern, wäre, die Reviewer für ihren Zeitaufwand finanziell zu vergüten. Die meisten Autoren wären sicher bereit, Gebühren zu bezahlen, wenn sie dann einen fundierten Review zurückbekommen, der das Manuskript deutlich verbessert. Große Zeitschriſten wie NEJM, Lancet oder Lancet Neurology sind bereits zu diesem System übergegangen. Als Reviewer muss ich auch durchaus eingestehen, dass ich ein Manuskript länger und intensiver lese, wenn ich dafür eine Vergütung erhalte. Man könnte auch pro- fessionelle Reviewer beschäſtigen, zum Beispiel kürzlich emeri- tierte Ordinarien, die noch auf der Höhe der wissenschaſtlichen Erkenntnisse sind und genügend Zeit haben, um Manuskripte in Ruhe gründlich durchzuarbeiten. Man tut der Wissenschaſt keinen Gefallen, wenn schlechte Studien in lausigen Manuskripten von Open-access-Journalen publiziert werden. Besonders dramatisch wird es, wenn Ergeb- nisse mit erheblichen methodischen Mängeln der Studien und der Publikation von der Publikumspresse aufgegriffen und ver- breitet werden. Trotz aller Zwänge zum Publizieren („publish or perish“) halte ich es für besser, ein von einer guten Zeitschriſt abgelehntes Manuskript einzustampfen, als es in einem schlech- ten Open-access-Journal zu publizieren. Hans-Christoph Diener, Essen Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen Direktor der Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen E-Mail: [email protected] © Henry Schmitt / Fotolia.com editorial 3 In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2014; 16 (1)

To peer-review or not to peer-review?

Embed Size (px)

Citation preview

Wissenschaftliche Publikationen

To peer-review or not to peer-review?Vor drei Monaten bekam ich von einer renommierten wissen-scha�lichen neurologischen Zeitschri� eine wissenscha�liche Publikation – eine Metaanalyse – zum Reviewen zugesandt. Ich habe dem Herausgeber empfohlen, die Publikation abzulehnen, da sie eine Vielzahl von methodischen und statistischen Feh-lern enthielt und in einem weitgehend unverständlichen Eng-lisch geschrieben war. Zu meinem großen Erstaunen musste ich zwei Monate später feststellen, dass der Artikel völlig un-verändert in einem Open-access-Journal o�enbar ohne Peer-reviewing publiziert worden war.

Nach meiner Recherche gibt es im Bereich Neurowissenschaf-ten derzeit 136 Open-access-Journale, der Löwenanteil davon wird von obskuren Verlagen in Indien und China herausgege-ben. Bei sehr vielen dieser vermeintlich wissenscha�lichen Zeit-schri�en scheint es sich ausschließlich um eine neue Methode des Geldverdienens zu handeln: Das Geschä�smodell besteht o�enbar darin, alle eingereichten Manuskripte anzunehmen und dann für das Publizieren des Artikels erhebliche Gebühren in Höhe von $ 1.500 bis $ 6.000 zu verlangen.

Qualität der Beiträge – Qualität der ReviewsBislang galt das Grundprinzip, dass eingereichte wissenscha�-liche Publikationen von Experten im entsprechenden wissen-scha�lichen Fachgebiet kritisch durchgelesen und kommen-tiert werden. Dieses Peer-review-Verfahren ist für die Review-er zeitaufwändig und arbeitsintensiv – für den Autor ist es nicht immer erfreulich: Die Anmerkungen der Reviewer führen ihn manchesmal nicht konstruktiv weiter. Bei renommierten Zeit-schri�en wie Lancet Neurology oder New England Journal of Medicine (NEJM) kann es durchaus passieren, dass man als Autor Reviews von sechs bis sieben verschiedenen Reviewern bekommt, die sich über 20 DIN-A4-Seiten erstrecken und die alle zusätzliche Informationen im Manuskript wünschen. Gleichzeitig macht einen der Herausgeber darauf aufmerksam, dass man seinen „word count“ bereits erreicht hat. Ein inhären-tes Problem des Peer-review-Systems ist allerdings, dass gute und konstruktive Reviewer sehr gefragt sind und praktisch täg-lich von renommierten wissenscha�lichen Zeitschri�en Anfra-gen für Reviews erhalten. Angesichts des schon sehr beschränk-ten Zeitbudgets ist es nicht verwunderlich, wenn viele Reviews relativ ober�ächlich sind. Das British Medical Journal hat bei-

spielsweise im Jahr 1998 einen Artikel, der acht schwerwiegen-de Fehler enthielt, an 200 Reviewer verschickt. Im Mittel wur-den zwei der acht Fehler von den Reviewern entdeckt, etwa je-der Vierte entdeckte jedoch keinen der schwerwiegenden Män-gel im Manuskript.

Eine Möglichkeit, den Review-Prozess zu verbessern, wäre, die Reviewer für ihren Zeitaufwand �nanziell zu vergüten. Die meisten Autoren wären sicher bereit, Gebühren zu bezahlen, wenn sie dann einen fundierten Review zurückbekommen, der das Manuskript deutlich verbessert. Große Zeitschri�en wie NEJM, Lancet oder Lancet Neurology sind bereits zu diesem System übergegangen. Als Reviewer muss ich auch durchaus eingestehen, dass ich ein Manuskript länger und intensiver lese, wenn ich dafür eine Vergütung erhalte. Man könnte auch pro-fessionelle Reviewer beschä�igen, zum Beispiel kürzlich emeri-tierte Ordinarien, die noch auf der Höhe der wissenscha�lichen Erkenntnisse sind und genügend Zeit haben, um Manuskripte in Ruhe gründlich durchzuarbeiten.

Man tut der Wissenscha� keinen Gefallen, wenn schlechte Studien in lausigen Manuskripten von Open-access-Journalen publiziert werden. Besonders dramatisch wird es, wenn Ergeb-nisse mit erheblichen methodischen Mängeln der Studien und der Publikation von der Publikumspresse aufgegri�en und ver-breitet werden. Trotz aller Zwänge zum Publizieren („publish or perish“) halte ich es für besser, ein von einer guten Zeitschri� abgelehntes Manuskript einzustampfen, als es in einem schlech-ten Open-access-Journal zu publizieren.

Hans-Christoph Diener, Essen

Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen

Direktor der Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum EssenE-Mail: [email protected]

©

Hen

ry S

chm

itt /

Foto

lia.c

om

editorial

3In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2014; 16 (1)