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1 Melsungen. Eine Kleinstadt im Spätmittelalter Topographie, Verfassung, Wirtschafts- und Sozialstruktur Band 1 von Dieter Wolf Butzbach 2003

Topographie, Verfassung, Wirtschafts- und Sozialstruktur · 2 Die Arbeit wurde unter dem Titel „Melsungen. Exemplarische und vergleichende Untersuchungen zur Topographie, Verfassung,

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Melsungen.

Eine Kleinstadt im Spätmittelalter Topographie, Verfassung, Wirtschafts- und Sozialstruktur

Band 1

von Dieter Wolf

Butzbach 2003

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Die Arbeit wurde unter dem Titel

„Melsungen. Exemplarische und vergleichende Untersuchungen zur Topographie, Verfassung, Wirtschafts- und Sozialstruktur

einer niederhessischen Kleinstadt im Spätmittelalter.“ am 10. Nov. 1999

vom Fachbereich Geschichtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg

als Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie angenommen.

Vorsatz: Melsungen nach der Federzeichnung Wilhelm Dilichs in dessen 1591 geschaffenen Synopsis descriptionis totius Hassiae (Original Hessisches Staatsarchiv Marburg)

Afra Verlag Butzbach-Griedel Druckhaus Gratzfeld Butzbach

Gedruckt mit finanzieller Unterstützung der Stadt Melsungen,

der Dr. Bernhard Braun-Stiftung Melsungen sowie des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde

Zweigverein Melsungen

Band 1 ISBN 3-932079-74-4 Band 2 ISBN 3-932079-75-2 Band 3 ISBN 3-932079-76-0

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Inhaltsübersicht Band 1

A. VORBEMERKUNGEN ................................................................................................... 7 1. VORWORT ................................................................................................................................................... 7 2. EINLEITUNG ............................................................................................................................................... 8 B. ÜBERBLICK ÜBER DIE ENTWICKLUNG DER STADT MELSUNGEN IN DER NEUZEIT 17 C. ZUR STADTTOPOGRAPHIE UND ORTSGRUNDRISSENTWICKLUNG .......................... 21 1. NATÜRLICHE LAGE UND FRÜHE BESIEDLUNG DES MELSUNGENER RAUMES .......................................... 21 2. MITTELALTERLICHE VERKEHRSVERHÄLTNISSE ..................................................................................... 22 3. DIE LÄNDLICHE VORGÄNGERSIEDLUNG ................................................................................................... 34 4. DER LANDGRÄFLICHE „BURGUS“ MELSUNGEN ........................................................................................ 38 5. AUFBAU UND AUSSEHEN DER SPÄTMITTELALTERLICHEN STADT UND IHRER NÄCHSTEN UMGEBUNG . 42

5.1. Der Aufbau der landgräflichen Stadt 42 5.2. Frühneuzeitliche Stadtansichten, Karten und Pläne 48 5.3. Fuldabrücke, Wehr und Zollstätte 59 5.4. Das Gebiet innerhalb der Stadtmauern 61 5.5. Das Gebiet außerhalb der Stadtmauern 158

D. ZUR VERFASSUNG DER STADT .................................................................................. 181 1. DIE STADT UND DAS TERRITORIUM ........................................................................................................... 181

1.1. Melsungen innerhalb der thüringisch-hessischen Territorialentwicklung vom 12. bis zum 14. Jahrhundert 181 1.2. Die frühe Stadtverfassung 187 1.3. Verfassungsentwicklung vom späten 13. bis zum 14. Jahrhundert 195 1.4. Spätmittelalterliche Verfassungsentwicklung 232

2. STADT UND STADTHERR ............................................................................................................................ 263

2.1. Der Stadtherr 263

2.2. Die landgräfliche Amtsverwaltung 312

3. GEISTLICHE INSTITUTIONEN IN DER STADT ............................................................................................. 327 3.1. Die St. Georgskirche als mutmaßlich ältere Kirche Melsungens - ihre Bedeutung für die frühe Besiedlungs- und Pfarreigeschichte 327 3.2. Die Pfarrkirche St. Maria, ihre Altäre und ihre Geistlichen 330 3.3. Geistliche Bruderschaften, Geistlichkeit, Hospital, Schule und sonstige geistliche und karitative Einrichtungen 339

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Band 2

E. WIRTSCHAFTS- UND SOZIALSTRUKTUR DER STADT ............................................... 379 1. METHODISCHE VORBEMERKUNG ............................................................................................................. 379 2. WIRTSCHAFT .............................................................................................................................................. 384

2.1. Ist kleinstädtische Wirtschafts- und Sozialstruktur rekonstruierbar? 384 2.2. Hinweise auf Berufe und Erwerbsgruppen in Familien- und Beinamen 385 2.3. Landwirtschaft 387 2.4. Handwerk und Gewerbe 400 2.5. Dienstleistungen und Transportgewerbe 459 2.6. Handel (Gewandschneidergilde, Gewandschneider, Kaufleute und Krämer) 461

3. HINWEISE AUF DIE ZUSAMMENSETZUNG DER KLEINSTÄDTISCHEN GESELLSCHAFT .............................. 483 3.1. Vorbemerkung: „Schichtung“; Möglichkeit der Anwendung eines Schichtenmodells - Fragen zu Wohlstand und Armut und zur Situation der Überlieferung 483 3.2. Burgmannen 485 3.3. Landgräfliche Beamte und Diener 488 3.4. Hinweise auf eine kleinstädtische Oberschicht: „Ratsverwandte“ (?), „Geschlechter“ - Zur Verfassung der landgräflich-hessischen Territorialstädte im 14. Jahrhundert 489 3.5. ‘Bürger und Mitwohner’ - die Angehörigen ‘der Gemeinde’ („Mittelschicht“ und „Unterschicht“?) 510 3.6. Wenige erkennbare Hinweise auf die Sozialtopographie der Kleinstadt 515 3.7. Migration: Hinweise auf Einwanderer und Auswanderer 516

4. ZUSAMMENFASSUNG - DENNOCH NUR EIN SCHATTEN DER WIRKLICHKEIT ............................................... 522 F. STADTGRÖSSE UND STADTTYP, STADTFUNKTIONEN UND VERGLEICH .................. 529 1. MELSUNGEN UND ANDERE HESSISCHE STÄDTE IM VERGLEICH ............................................................... 530

1.1. Wie groß war die mittelalterliche Stadt? 530 1.2. Vergleiche anhand landgräflicher Leistungsverzeichnisse 530 1.3. Topographische Vergleiche 535 1.4. Hinweise auf Bevölkerungszahlen hessischer Städte, Minderstädte und Flecken im Spätmittelalter 539 1.5. Schätzung der Einwohner- und Haushaltungszahl der Kleinstadt Melsungen im 15. Jahrhundert 542 1.6 Zum Vergleich: Hinweise auf die wirtschaftliche Struktur anderer hessischer Kleinstädte 545

2. MELSUNGEN - IM MITTELALTER EINE „ACKERBÜRGERSTADT“? ........................................................... 559 3. KLEINSTADT UND UMLAND ....................................................................................................................... 561

3.1. Schutzfunktionen der spätmittelalterlichen Kleinstadt 561 3.2. Melsungen und sein ländlicher Einzugsbereich 564

4. ZUSAMMENFASSUNG - EINE „STADT IM VOLLEN RECHTSSINNE“? ......................................................... 566 G. EXKURSE .................................................................................................................... 569

1. Wo schlief z.B. das Gesinde? - Ein Reichenbacher Inventar von 1485 zum Vergleich 569 / 2. Gesinde in anderen landgräflichen Burgen und Höfen 571 / 3. Zu Steinbauten in anderen Städten 573 / 4. Landgräfliche Getreidemühlen im Amt Melsungen 578 / 5. Gewaltsam durchgeführte Burgbauten oder Stadtgründungen der Ludowinger 579 / 6. Gründung und Entwicklung der Nachbarstadt Spangenberg 581 / 7. Der Plan Landgraf Johanns zur Gründung einer weiteren Nachbarstadt (1309) 584 / 8. Spätere Konflikte zwischen Hessen und Treffurtern - Weiterent-wicklung Spangenbergs im 14. Jahrhundert. 584 / 9. Zur Bedeutung der Jagd in Stadt und Amt Melsungen 586 / 10. Landgräfliche Jagdorte im Amt Melsungen 588 / 11. Hessische Klein-städte mit unzureichenden Unterbringungsmöglichkeiten für Reisegruppen gehobenen Standes? 591 / 12. Sondernutzungen von landgräflichen Städten und Burgen (Grebenstein, Roten-burg/Fulda, Spangenberg, Melsungen) 594

H. SCHLUSSBETRACHTUNG ............................................................................................ 597

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I. BEILAGEN ................................................................................................................... 607 1. TABELLEN UND ÜBERSICHTEN ......................................................................................................................... 607

1.1 Ersterwähnungen von Rathäusern in nordhessischen Städten 607 / 1.2 Erste Belege für die erfolgte Einführung des Rates im nordhessischen Raum (Rezeption des Konsulats; „Ratsbelege“) 609 / 1.3 Zum Aufkommen des Bürgermeisteramtes im nordhessischen Raum seit der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts 610 / 1.4 Erwähnungen von Bürgermeistern, Ratsleuten, Schöffen und Gemeindevormündern (bis zum Jahr 1500) 612 / 1.5 Melsungener Bürgermeister (bis zum Jahr 1500) 614 / 1.6 Eigenbezeichnungen für die Stadt oder deren Organe in der Intitulatio der von ihr selbst ausgestellten Urkunden 615 / 1.7 Übersicht über die von der Stadt Melsungen 1267-1500 besiegelten Urkunden 616 / Tabelle/Beilage 1.8 Übersicht über Erwähnungen der Melsun-gener Schöffenfamilien (bis 1500) 630 / Tabelle/Beilage 1.9 Auszüge aus den Amtsrechnungen mit Hinweisen auf die vom Schultheißen unter Mitwirkung der Melsungener Schöffen durchgeführ-te Strafrechtspflege 637 / 1.10 Landgrafenaufenthalte in Melsungen (Kurzregesten LA 1-211) 650 / 1.11 Melsungener villici und Schultheißen 1235-1529 678 / 1.12 Amtleute des Stadt- und Landesherrn und der Besatzungsmächte in Melsungen 680 / 1.13 Landgräfliche Rent-meister und Rentschreiber vor 1438-1515 681 / 1.14 Landgräfliche Kellner 1357-1492 682 / 1.15 Landgräfliche Förster und Holzförster zu Melsungen (oder im Amt Melsungen) 683 / 1.16 Landgräfliche Landknechte zu Melsungen 685 / 1.17 Gesindelöhne im landgräflichen Hof Mel-sungen 686 / 1.18 Erwähnungen von Pfarrern (Plebanen) zu Melsungen 691 / 1.19 Kapläne und Vizeplebane zu Melsungen 693 / 1.20 Priester am Marien- und Allerheiligenaltar (Frühme-ßaltar) 694 / 1.21 Priester am Katharinenaltar 695 / 1.22 Pfarrer von Obermelsungen (meist auch Vikare zu Melsungen) 696 / 1.23 Aus Melsungen stammende und sonstige in Melsungen wirkende Geistliche 697 / 1.24 Geistliche mit dem Herkunftsnamen Melsungen 701 / 1.25 „Melsungener Krämerliste“ - Kaufleute, Krämer oder Kleinkrämer und ihre belegbaren Handelswa-ren 702 / 1.26 Personalkatalog zur Tabelle 1.25 „Melsungener Krämerliste“ 707 / 1.27 Mel-sungener Studenten an mittelalterlichen Universitäten 710 / 1.28 Melsungener Studenten als Bakallare der Universität Erfurt 715 / 1.29 Siegel von Melsungener Bürgern und Beamten 716

2. AUSGEWÄHLTE SCHRIFTLICHE QUELLEN ................................................................................................ 718

2.1 Melsungen, 1267 Juni 5 (Pfingsten) 718 / 2.2 Melsungen, 1269 April 23 718 / 2.3 1303 Dez. 7 [1333 Dez.7?] 718 / 2.4 1344 Febr. 2 719 / 2.5 1366 Juli 25 720 / 2.6 1377 Juli 24 720 / 2.7 1379 April 18-23 720 / 2.8 1387 Nov.29 723 / 2.9 1407 April 13 723 / 2.10 1434 April 21 724 / 2.11 1435 Mai 3 725 / 2.12 1459 Juli 2 726 / 2.13 1464 Sept. 11 727 / 2.14 1471 „Erbregister“ Ldgf. Ludwig II. von Hessen 728 / 2.15 1471 Landsteu-erverzeichnis der niederhessischen Städte und Gerichte 729 / 2.16 1496 Jan. 2 730 / 2.17 1575 Salbuch der Renterei Melsungen 731 / 2.18 J. Till, Nachrichten von der kurhessischen Stadt Milsungen (1805) 732

3. MELSUNGENER SIEGEL UND NOTARIATSSIGNETE .................................................................................... 733

3.1 Großes Stadtsiegel 734 / 3.2 Kleine Stadtsiegel (Typ I und Typ II) 735 / 3.3 Siegel von Melsungener Geistlichen 736 / 3.4 Siegel von Melsungener Schultheißen und Rentmeister 738 / 3.5 Siegel von Melsungener Bürgern 740 / 3.6 Notariatssignete 741

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Band 3

(Quellen, Bibliographie, Farbabbildungen, Indices) J. Quellen und Literatur ........................................................................................ 749 1. UNGEDRUCKTE QUELLEN .................................................................................................................... 749

2. GEDRUCKTE QUELLEN, REGESTEN UND REPERTORIEN .................................................................... 751

3. LITERATUR ........................................................................................................................................... 754

Indices ..................................................................................................................... 793 ORTS- UND PERSONENREGISTER (IN AUSWAHL) ...................................................................................... 793

SACHREGISTER (IN AUSWAHL) ................................................................................................................. 845

SPEZIALREGISTER MELSUNGEN (IN AUSWAHL) ....................................................................................... 883

Melsungener Familien bzw. Träger eines Beinamens - Einwohner, Einwohnerinnen und Bürger bis ca.1500/1515 A-Z 891

Abbildungsverzeichnis und –nachweis .................................................................................................... 906

Verzeichnis der wichtigsten Abkürzungen ............................................................................................. 909

Farbabbildungen

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A. Vorbemerkungen

1. Vorwort Diese Arbeit stellt die überarbeitete Fassung der 1999 vom Fachbereich Geschichtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg/Lahn angenommenen Dissertation dar. Die Dissertation wiederum ist die stark erweiterte Fassung einer 1983 demselben Fachbereich eingereichten Magisterarbeit. Die Fortsetzung der Beschäftigung mit dem gleichen Thema wurde von den beiden Gutachtern der Magisterarbeit vorgeschlagen (Prof. Dr. H. K. Schulze und Prof. Dr. F. Schwind). Die umfangreichen Archivarbeiten und die wichtigsten Recherchen in den Bibliotheken erfolgten 1983-1986. Die Vermessungsarbeiten an Melsungener Gebäuden konnten weitgehend 1982-1984 durchgeführt werden. Da mir 1986 die hauptamtliche Leitung des Museums und Stadtarchivs Butzbach übertragen wurde, mußte die intensive Be-schäftigung mit dem bereits relativ weit gediehenen Thema über mehrere Jahre stark in den Hintergrund treten. Zu danken habe ich ganz besonders dem Betreuer der Arbeit, Herrn Prof. Dr. Fred Schwind, für die Einführung in die landeskundliche Arbeitsweise, vielfachen fachlichen Rat, Ermutigung und zahlreiche Arbeitsgespräche, ohne die dieses Vorhaben letztlich auch nicht abgeschlossen worden wäre. Ich habe auch den über Jahre zur Weiterarbeit motivierenden ehem. Kollegen/Innen im Hess. Landesamt für geschichtliche Landeskunde zu danken. Besonders hilfreich waren die zahlreichen, oft ausführlichen Gespräche meist zu Fragen mittelalterlicher Verkehrs- und Siedlungstopographie mit Herrn Oberkustos i.R. Dr. Willi Görich + (1907-1991), der seinerzeit an dieser Arbeit größtes Interesse zeigte, und auch die vielen nützlichen Hinweise von seinem Amtsnachfolger, Herrn Akad. Oberrat Ulrich Reuling, der viel zu früh ver-storben ist. - Ebenso ist den Mitarbeitern in den benutzten Archiven, namentlich im Hess. Staatsarchiv Marburg, Herrn ADir. Dr. H. P. Lachmann - inzwischen im Ruhestand -, Herrn ADir. Prof. Dr. R. Polley, Herrn OAR. Dr. G. Menk, Herrn AAmtm. Dipl.-Archivar W. Engel, für vielfältige Hilfen zu danken. Dem Zweigverein Melsungen des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde und seinem Vorstand bin ich zu großem Dank verpflichtet: Der langjährige 1. Vorsitzender des Vereins, Herr OStR. i.R. Herbert Simon, und seine Fa-milie nahmen mich während meiner mehrwöchigen dortigen Aufenthalte in ihr Haus auf. Das seinerzeitige Vorstands-mitglied Adam Schmidtkunz (+ 1998) wirkte dankenswerterweise über viele Wochen bei allen Vermessungsarbeiten tatkräftig mit und stand jederzeit für alle Auskünfte zur Verfügung. Ebenso tatkräftig stellte sich Vorstandsmitglied Herr Kurt Maurer, dessen Ausbildung als Vermessungstechniker mir voll zugute kam, bei den Arbeiten vor Ort hilf-reich zur Verfügung. Herr Maurer besorgte 1983-1985 in Kopie notwendiges historisches Karten- und Katastermaterial. Als ortskundiger, kartographisch geschulter Heimatforscher unterstützte er auch 1997/98 die sich abschließenden Ma-nuskriptarbeiten und übernahm vor allem auch die Anfertigung mehrerer Orts- und Umgebungskarten von Melsungen. Er hat bis hin zur Drucklegung die Fertigstellung dieser Arbeit mit Rat und Tat unterstützt und mich immer wieder ermutigt. Die Melsungener Heimatforscherin Frau Ruth Gauland und Stadtführer Herr Paul Dietzler, langjähriger 2. Vorsitzender des Geschichtsvereins, sind leider inzwischen ebenso verstorben. Auch sie waren mir vielfach durch ihre Ortskenntnisse behilflich und haben zusammen mit dem langjährigen 1. Vorsitzenden Herrn H. Simon notwendige Verbindungen zu Melsungener Hausbesitzern und Institutionen unkompliziert hergestellt. Der Stadt Melsungen, besonders dem damaligen Bürgermeister Herrn Dr. Apell, der Firma Braun AG Melsungen, ins-besondere Herrn Dipl.Chemiker Dr. Bernhard Braun +, und dem Evangelischen Dekanat Melsungen, vor allem dem damaligen Dekan Herrn Traugott Linz, gebührt großer Dank für die großzügige Bereitstellung von Finanzmitteln für die Durchführung der dendrochronologischen Untersuchungen an zahlreichen Bürgerhäusern, an den Befestigungstürmen und der Stadtpfarrkirche Melsungen. Für die finanzielle Unterstützung der Drucklegung danke ich dem Magistrat der Stadt Melsungen, hier insbesondere Herrn Bürgermeister Karl Heinz Dietzel, dem Vorstand des Melsungener Geschichtsvereins, namentlich Herrn 1. Vor-sitzenden Siegfried Pietrzak, sowie der Dr. Bernhard Braun-Stiftung, namentlich Herrn Vorsitzenden Otto Wiegand. Herzlichen Dank natürlich auch dem Afra Verlag Butzbach, namentlich der Verlagsleitung, Herrn Paul Jung und Frau Dörthe Jung-Stolte, sowie Herrn Winfried Schunk (Butzbach) für die Vorbereitung der Drucklegung im technischen Bereich. - Für Korrekturarbeiten und zahlreiche technische Hilfen danke ich v.a. meinen Freunden Armin Weber M.A. (Münchhausen), Howard Westoll M.A. (Melsungen), David Renton + (Pontefract/England) und Herbert Frick (Rod-heim v.d.H.). Weiter gebühren meiner Mutter Ottilie Wolf (Wöllstadt) und meiner Schwiegermutter Else Schäfer (Betzdorf) für viele Hilfestellungen herzlicher Dank. Natürlich habe ich auch meiner Frau Erika für langjährige Ermutigung, besonders in den arbeitsintensivsten Phasen der Dissertation, für das Korrekturlesen von endlos scheinenden Texten und manche Hilfen bei der Koordination der notwendigen Redaktionsarbeiten sehr zu danken. Bei den beiden Gutachtern der Dissertation, Herrn Prof. Schwind und Herrn Prof. Petersohn, habe ich mich endlich auch für die Geduld beim sicherlich mühevollen Lesen der umfangreichen Arbeit und ihre wohlwollenden Verbesse-rungsvorschläge zu bedanken. Sie – wie auch der Leser - mögen mir den Umfang, die große Quellennähe, die Liebe zum Detail und manche Wiederholungen verzeihen: Ich meinte, es müsse so sein. Ich kann’s auch nicht anders und erst recht nicht besser! Der Verfasser Butzbach, den 24. Dezember 2002

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2. Einleitung

In der mittelalterlichen Wirtschaft treten für uns fast durchweg nur eine beschränkte Zahl füh-

render Städte deutlich faßbar hervor. Die Tätigkeit dieser großen Städte in Gewerbe und Han-

del begegnet einem auf Schritt und Tritt. Das hat dazu verlockt, die Verhältnisse jeder einzelnen

Stadt genau zu untersuchen. Gestützt auf zahlreiche Einzelarbeiten vermögen wir uns heute ein

Bild von der Größe, der Leistungsfähigkeit und Bedeutung aller dieser Mittelpunkte der Wirt-

schaft zu machen. Dabei hat es sich ergeben, daß die Verhältnisse von Stadt zu Stadt sich völlig

ändern, daß man nirgends auf ein genau erforschtes Beispiel gestützt ein allgemeines Urteil fäl-

len kann. Nur die Gesamtheit der Tatsachen kann ein Gesamtbild liefern.

Neben diesen heute bereits recht hell beleuchteten Hauptpunkten der Wirtschaft, bleibt jedoch

die Masse der Städte und ebenso das Land in einem verhältnismäßigen Dunkel liegen. Ueber

ihre wirtschaftlichen Zustände und ihr wirtschaftliches Gewicht haben wir nur ganz allgemeine

Vorstellungen. Sie sind entstanden aus der Verallgemeinerung der Ergebnisse einer beschränk-

ten Zahl von Einzeluntersuchungen an besonders begünstigten Stellen. Sie mögen im allgemei-

nen richtig sein, versagen aber immer wieder im Einzelfalle. Der Grund liegt darin, daß eben

auch bei der Kleinstadt und bis zu einem gewissen Grade ebenso auf dem Lande die wirtschaft-

lichen Verhältnisse sehr mannigfaltig waren. Sie wechselten auch hier von Ort zu Ort oder we-

nigstens von Bezirk zu Bezirk. Will man also auch für die Kleinstadt und das Land zu einem ei-

nigermaßen vollständigen Gesamtbild kommen, so wird man die Zahl der Einzeluntersuchungen

noch sehr stark vermehren müssen. Nur so kann man auch eine den Tatsachen entsprechende

Vorstellung von der gesamten mittelalterlichen Wirtschaft gewinnen.

Nun ist freilich diese Forderung nach vermehrten Einzeluntersuchungen über die wirtschaftli-

chen Zustände von Kleinstädten und Land nicht gerade leicht zu erfüllen. [...]1

Hektor Ammann, 1928

1 Zit. Ammann, Schweizerische Kleinstadt, S.158 f.

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Schon seit Jahrzehnten ist der Geschichtswissenschaft, wie das vorliegende Zitat eines bedeutenden europäischen Wirtschaftshistorikers zeigt, das Forschungsdefizit 'mit-telalterliche Kleinstadt' bekannt.2

Dennoch gehen auch nach mehr als einem halben Jahr-hundert wissenschaftlicher Weiterentwicklung die Auto-ren allgemeiner Darstellungen zur mittelalterlichen Stadt-geschichte eher nur in Ausnahmefällen3 eingehender auf die Kleinstadt ein, obwohl doch seit langem bekannt ist, daß immerhin etwa 90 Prozent aller Städte Deutschlands im Mittelalter mit weniger als 2.000 Einwohnern zur Gruppe der Kleinstädte gerechnet werden müssen.4

Der Grund für dieses Defizit ist vor allem darin zu suchen, daß sich die Stadtgeschichtsforschung noch bis vor weni-gen Jahren weitgehend an der Entwicklung von großen und mittleren Städten (mit meist besserer oder besser aufgearbeiteter Quellensituation) orientiert hat.5 Dies rief zwar immer wieder berechtigte Kritik hervor, führte je-doch erst spät zu einer Verbesserung des Forschungsstan-des.6

Die wenigen umfangreicheren Monographien, die sich mit der Gründung und Fortentwicklung von mittelalterlichen Kleinstädten ausführlicher beschäftigten, untersuchten gleich ganze Städtegruppen, schöpften weitgehend aus dem bereits gedruckten Quellenmaterial, konzentrierten sich (wegen oft fehlender Quelleneditionen für die Zeit des Spätmittelalters) auf die hochmittelalterliche Entwick-lung oder richteten ihr Hauptaugenmerk auf die frühe

2 Vgl. auch W. Schlesinger: „Man kann nicht das mittelalterliche Städtewesen, zumal das spätmittelalterliche Städtewesen an den Beispielen Lübeck und Nürnberg exemplifizieren, wie es gesche-hen ist. Die kleinen und mittleren Städte erreichten natürlich bei weitem nicht die Bedeutung dieser wenigen großen, aber durch ih-re Masse sind sie eben doch sehr bedeutungsvoll“ (Zit. Schlesin-ger, Einleitungsvortrag, S.346) oder K.S. Bader: „Es gehört zu den hartnäckig wiederholten Fehlern stadtgeschichtlicher (nicht nur stadtrechtsgeschichtlicher) Forschung, daß sie vorab die großen, als Wirtschaftszentren hervorragenden Städte vor Augen hat, wäh-rend die zahllosen Kleinstadtsiedlungen vielfach übergangen oder doch für die gesamte Problematik der mittelalterlichen Stadt viel zu gering eingeschätzt werden“ (Zit. K.S. Bader, Das Dorf 1, S.231).

3 Die mittelalterliche Kleinstadt ist in den zurückliegenden 20 Jahren - wenn auch zaghaft - öfter in den Blickwinkel der For-schung gelangt. Diese Stadtgruppe fand deshalb bereits weiterfüh-rende Berücksichtigung in Handbüchern zur Stadtgeschichte, bes. im Standardwerk von Isenmann, Stadt im Spätmittelalter. Vgl. jetzt auch den Sammelband von Treffeisen/Andermann.

4 Ennen, Art. Stadt, S.782, rechnet damit, daß 90-95 Prozent aller mittelalterlichen Städte mit weniger als 2.000 Einwohnern Klein-städte waren. Der Artikel bietet im übrigen eine der frühen rühm-lichen Ausnahmen in Hinblick auf das Einbeziehen kleinstädti-scher Verhältnisse in Überlegungen zur allgemeinen Stadtge-schichte. Auch Isenmann, Stadt im Spätmittelalter, geht über die grundsätzlichen Feststellungen zu Kleinstädten kaum hinaus (z.B. S.28 f., 31 f., 107-110 passim, 234, 269); ebenso Engel, Stadt des Mittelalters (zu Kleinstädten explizit lediglich S.37 f.).

5 Vgl. etwa das bekannte Standardwerk von Planitz, Stadt im Mit-telalter.

6 Berechtigte Kritik äußerten z.B. - wie oben bereits dargelegt - Schlesinger, Einleitungsvortrag, S.346, Bader, Das Dorf 1, S.231, oder bereits Ammann, Schweizerische Kleinstadt, S.158 f. – Im-merhin sind in der jüngsten Zeit mehrere Arbeiten erschienen, die damit begonnen haben, das Desiderat zu beseitigen.

Neuzeit. Sie griffen i.d.R. nur in Ausnahmefällen auf Archivalien zurück.7

Erst in den letzten Jahren hat sich der Forschungsstand erfreulicherweise insoweit verbessert, als eine Reihe von landes- und verfassungsgeschichtlichen Untersuchungen mehrfach auch die spätmittelalterlichen Kleinstädte unter regionalgeschichtlicher Fragestellung in das Blickfeld der Forschung rückte. So liegt eine Anzahl von Arbeiten vor, die allerdings meist bestimmte Aspekte der Verfassungs-entwicklung, Wirtschafts- und Sozialstruktur spätmittelal-terlicher Mittel- und Kleinstädte herausgreifen.8 Aber

7 Vgl. etwa Schoppmeyer, Der Bischof von Paderborn und seine

Städte. Zugleich ein Beitrag zum Problem Landesherr und Stadt (1968); Pfeiffer, Stadtherr und Gemeinde in den spätmittelalterli-chen Reichsstädten (1974); Seigel, Württembergische Stadt (1974); Probst, Die Städte im Burgwald. Grundzüge der Wirt-schafts- und Bevölkerungsentwicklung hessischer Kleinstädte (1963); Heß, Hessische Städtegründungen der Landgrafen von Thüringen; Schoppmeyer, Der Bischof von Paderborn und seine Städte (1966); Feld, Das Städtewesen des Hunsrück-Nahe-Raumes im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit (1972 u. 1975); Scheu-erbrandt, Südwestdeutsche Stadttypen und Städtegruppen bis zum frühen 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur kulturlandschaftsge-schichtlichen und zur kulturräumlichen Gliederung des nördlichen Baden-Württemberg und seiner Nachbargebiete (1972); Stiever-mann, Städtewesen in Südwestfalen. Die Städte des Märkischen Sauerlandes im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit (1977); Eberhardt, Zur Frühgeschichte der Kleinstädte im mittle-ren Thüringen (1987). - Viele neue Anregungen und Erkenntnisse enthalten bereits die von Rausch herausgegebenen Sammelbände „Stadt am Ausgang des Mittelalters“ (1974) und „Stadt an der Schwelle zur Neuzeit“ (1980).

8 Zu Mittelstädten vgl. etwa die frühen Monographien von Jülch, Die Entwicklung des Wirtschaftsplatzes Wimpfen bis zum Aus-gang des Mittelalters (1961), Reidel, Bingen zwischen 1450 und 1620 (1965), und Huiskes, Andernach im Mittelalter. Von den An-fängen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts (1980); zu den Mittel-städten Marburg/L. Verscharen, Gesellschaft und Verfassung der Stadt Marburg beim Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Sozia-ler und politischer Wandel der Stadt vom 13. bis zum 16. Jahr-hundert im Spiegel ihrer politischen Führungsschicht (1985); Schwind, Zur Verfassungs- und Sozialgeschichte Marburgs im späten Mittelalter (1980), Wiedemann, Bayreuth im ausgehenden Mittelalter (1989), und Bingener/Fouquet, Die Stadt Siegen im Spätmittelalter (1994). - Der ausgezeichnete und inhaltlich breit angelegte Aufsatz zur vielfältig überlieferten Entwicklung einer wohlhabenden mittelgroßen Reichsstadt am Mittelrhein von Volk, Boppard im Mittelalter, entspricht auch in Bezug auf seinen Um-fang einer Buchmonographie. In vielfacher Hinsicht - methodisch wie im Detail - besonders wichtig und weiterführend ist die breit-gefächerte wie gründlich angelegte Arbeit von Rüthing über die stiftische Mittelstadt Höxter um 1500 (19862). - Zu kleinen Reichsstädten vgl. etwa Stobbe, Die Stadt Friedberg im Spätmit-telalter. Sozialstruktur, Wirtschaftsleben und politisches Umfeld einer kleinen Reichsstadt (1992); Felschow, Wetzlar in der Krise des Spätmittelalters (1985); als umfassendere Überblicke: Sydow, Klein- und Mittelstadt (1983); Ehbrecht, Mittel- und Kleinstädte westfälischer Fürsten (1987); Andermann, Die Städte der Bischöfe von Speyer (1994); Sydow, Landesherrliche Städte des deutschen Südwestens (1982); Sydow, Stadtbezeichnungen in Württemberg bis 1300 (1982); eine frühe Arbeit über eine Kleinstadt in der Pfalz legte Spieß, Verfassungsentwicklung der Stadt Neustadt an der Weinstraße von den Anfängen bis zur französischen Revoluti-on, als juristische Dissertation 1969 in Heidelberg (erschienen 1970), zu einer niederrheinischen Kleinstadt Hansmann, Ge-schichte von Stadt und Amt Zons als Bonner geschichtswissen-schaftliche Dissertation 1970 (erschienen 1973) vor; vgl. auch E-berhardt, Kleinstädte im mittleren Thüringen (1984); zu hessi-schen Kleinstädten: Schwind, Homberg an der Ohm im Mittelalter (1984); W.A. Eckhardt, Die Lichtenauer Ratsverfassung im Mit-telalter (1989). - An frühen, exemplarischen Arbeiten zu Klein-

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auch hier werden nur selten ausschließlich mittelalterliche Kleinstädte behandelt9, oder die Bezugnahme auf die Kleinstadt bleibt auf Einzelaspekte beschränkt. - Lediglich mit den kleinsten Städteformen und den Übergängen zu dörflichen Siedlungsformen (mit sogen. Minderstädten, Zwergstädten, Burgflecken und Burgtälern) hat sich die Forschung, oft aus begrifflich-definitorischem Interesse, verhältnismäßig früh und ausgiebig beschäftigt.10

Als neuere und umfangreiche Arbeit, die wichtige Aspekte der Entwicklung und des Aufbaus einer spätmittelalterli-chen Kleinstadt (am Niederrhein) exemplarisch proso-pographisch, wirtschafts- und sozialgeschichtlich behan-delt und auch in ihrer Vorgehensweise vielfach den in dieser Untersuchung angewandten Methoden ähnelt, hat Burghards Arbeit über Kaiserswerth, eine Essener Disser-tation von 1991, besondere Beachtung verdient.11 Etwa gleichzeitig mit dieser Dissertation über Melsungen wurde – ohne, dass die Doktoranden voneinander wussten – eine zweite Marburger Doktorarbeit mit sehr ähnlichem Forschungsgegenstand erfolgreich zum Abschluß ge-bracht, die sich ausführlich mit der Entwicklung der klei-nen würzburgischen Landstadt Iphofen von ihren vorstäd-tischen Anfängen im Frühmittelalter bis zum Ende des 16. Jahrhunderts beschäftigt. Die Arbeit gibt zunächst einen breitgefächerten strukturgeschichtlichen Überblick über die topographischen Verhältnisse und Entwicklung der Siedlung sowie das Schicksal der Stadt, ihrer Einwohner in verschiedenen Gruppen der Stadtbevölkerung. Da für Iphofen bisher eine ausführlichere Darstellung seiner mittelalterlichen Geschichte fehlte, wird auch die allge-meine Stadtgeschichte breit und ausgewogen abgehandelt. Auch hier kommt ein vielschichtiges und stark differen-

städten sind u.a. zu nennen: bereits Maschke/Böhn, Neustadt an der Haardt (1962); Spieß, Neustadt an der Weinstraße (1970); Flink, Lechenich (1972).

9 U.a. Seigel, Innerschwäbische Landstädte (1961); bedingt Scheu-erbrandt, Südwestdeutsche Stadttypen und Städtegruppen (1972); Seigel, Württembergische Stadt (1974); Feld, Städtewesen des Hunsrück-Nahe-Raumes (1975); Lewerenz, Größenentwicklung der Kleinstädte in Ost- und Westpreußen (1976); Stievermann, Städtewesen in Südwestfalen (1977); Eberhardt, Kleinstädte im mittleren Thüringen (1984); Fritze, Charakter und Funktionen der Kleinstädte im Mittelalter (1986); zu hessischen Kleinstädten: Propst, Städte im Burgwald (1963); Heß, Städtegründungen (1966); Born, Zur Entwicklung der Städte des Dillgebietes (1973); Schwind, Butzbach (1975); Schwind, Homberg/Ohm (1984), dazu auch Wolf, Homberg/Ohm (1984); Wolf, Münzenberg (1995); ei-nen gelungenen Überblick über eine pfälzische Kleinstadt gibt Andermann, Umrisse einer Geschichte Deidesheims (1995).

10 Allgemein vgl. Stoob, Minderstädte (zuerst 1959); vgl. außerhalb Hessens: Störmer, Gründung von Kleinstädten (1973); Schaab, Städtlein, Burg-, Amts- und Marktflecken (1979); Sydow, Der spätmittelalterliche Markt (1994); exemplarisch die frühe Arbeit von Helbeck, „In oppido Swelme“ (1973). Zu hessischen Minder-städten im Überblick Bitsch, „Tal“-Siedlungen (1980); Leib, Vetzberg (1971); Wolf, Rodheim im Spätmittelalter; auch Wolf, Befestigung von Dörfern und Flecken (1992 u. 1996), passim; Wolf, Grüningen (1999); Wolf, Petterweil (2001), bes. S.40-44, 73-87, 91-95, 112-117, 138-141. - Aus der Sicht der Geographen liegen zwischenzeitlich viele Untersuchungen vor, die sich auch mit den Erscheinungsformen der Kleinst- und Minderstädte be-schäftigen, begreiflicherweise jedoch die Neuzeit in den Vorder-grund stellen. Vgl. z.B. Stewig, Untersuchungen über die Klein-stadt in Schleswig-Holstein (1987); Bockholt, Ackerbürgerstädte in Westfalen. Ein Beitrag zur historischen Stadtgeographie (1987).

11 Burghard, Kaiserswerth im späten Mittelalter. Personen-, wirt-schafts- und sozialgeschichtliche Untersuchungen zur Geschichte einer niederrheinischen Kleinstadt (1994).

ziertes Bild über eine – politisch wenig bedeutende - spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Kleinstadt in Main-franken in politischer, verfassungs-, wirtschafts- und sozi-algeschichtlicher Hinsicht zustande.12 Der Verf. kann dabei auf eine relativ gute und dichte spätmittelalterliche Überlieferung zurückgreifen, die sich glücklicherweise v.a. im Stadt- und Pfarrarchiv Iphofen erhalten hat.13 Schwierigkeiten bereitet - zumindest in Hessen - vor allem die Abgrenzung verschiedener Stadttypen aufgrund des fehlenden statistischen Vergleichsmaterials.14 Die Unter-scheidungen zwischen verschiedenen Kleinstadterschei-nungen müßten auch von Historikern typologisierend noch stärker herausgearbeitet werden, als dies bisher versucht wurde. Meine vergleichenden Untersuchungen lassen mehrfach erkennen, daß auch in der Gruppe der Kleinstädte weitere Differenzierungen möglich sind - etwa hinsichtlich der Spanne städtischer Funktionen, Topographie, verfas-sungsmäßiger Vielfalt sowie sozialer und wirtschaftlicher Entfaltung. Dabei kann die Errechnung der jeweiligen Stadtgröße anhand von (allerdings ausgesprochen selten gut überlie-ferten) Einwohnerzahlen nur einen ersten Ansatzpunkt für weitere Untersuchungen schaffen, darf jedoch keineswegs, wie dies geschehen ist, intensive strukturgeschichtliche Forschungen ersetzen. Ein weiteres, bisher kaum angegangenes Problem verbin-det sich mit der Frage, wie die unterschiedlichen Stadtgrö-ßen mit den verschiedenen nachweisbaren Herrschafts-, Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialverhältnissen kor-respondieren, was natürlich in Zusammenhang mit den fehlenden Vorarbeiten steht.15

Zusammenfassend muß festgehalten werden, daß exem-plarische und detaillierte Untersuchungen zur spätmittelal-terlichen Kleinstadt im Allgemeinen fehlen, wie sie inzwi-schen für einige Städte zur Frühneuzeit vorliegen.16 Un-tersuchungen sollten auch die archivalischen Grundlagen-quellen berücksichtigen und möglichst umfassende Einbli-

12 Endres, Iphofen. Entwicklung einer würzburgischen Landstadt

von ihren Anfängen bis in die Echterzeit (2000). 13 So sind als für eine Kleinstadt besonders selten in dieser Dichte

erhaltene Quellen allein aus dem 15. Jhd. u.a. ein 1456-1465 ge-führtes Gerichtsbuch, zahlreiche Ratsprotokolle ab 1418, mehrere Bruderschafts- (meist Zunft-) Bücher, verschiedene Steuerregister ab 1443, Zinsbücher, Ratsbücher, und etliche Kirchenrechnungen (ab 1463) überliefert, die eine gute und breite Forschungsgrundla-ge bieten (Ebd. S.466-469).

14 Versuche bei Feld, Städtewesen des Hunsrück-Nahe-Raumes (1975); Stievermann, Städtewesen in Südwestfalen (1977); Scheu-erbrandt, Südwestdeutsche Stadttypen und Städtegruppen (1972) u.a. - Im Bereich spätmittelalterlicher Territorien (außerhalb Hes-sens) ist die Quellengrundlage oftmals wesentlich besser. Vgl. da-zu etwa den instruktiven Sammelband mit südwestdeutschen Bei-spielen von Andermann/Ehmer, Bevölkerungsstatistik an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Quellen und methodische Probleme im überregionalen Vergleich (1990).

15 Vgl. Hömberg, Siedlungsgeschichte des oberen Sauerlandes (1938); Haase, Entstehung der westfälischen Städte (1965); an-satzweise auch behandelt von Heß, Städtegründungen (1966).

16 Als exemplarische Untersuchungen von Kleinstädten in der Früh-neuzeit sind Witzel, Hersfeld 1525 bis 1756. Wirtschafts-, Sozial- und Verfassungsgeschichte einer mittleren Territorialstadt (1994), und Dickhaut, Homberg an der Ohm. Untersuchungen zu Verfas-sung, Verwaltung, Finanzen und Demographie einer hessischen Territorialstadt (1993), zu bewerten.

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cke in den „inneren und äußeren“ Aufbau mittelalterlicher Kleinstädte vermitteln.17

Um ein exemplarisches u n d umfassendes Bild zu ge-winnen, ist es notwendig, ausgehend von den topographi-schen Grundlagen, die Verfassungsentwicklung sowie die Wirtschafts- und Sozialstruktur der Stadt in ihrer gegen-seitigen Abhängigkeit darzulegen und unter Einbeziehung aller verfügbaren Quellen und Methoden zu erforschen. Deshalb werden in dieser zunächst als exemplarisch kon-zipierten Arbeit neben rein historischen (verfassungs-, sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen) Fragestellungen ergänzend archäologische, siedlungskundliche sowie kunst- und baugeschichtliche Methoden angewandt, wie es die geschichtliche Landeskunde anstrebt.18

In vielerlei Hinsicht habe ich in dieser relativ breitgefä-cherten und umfangreichen, in einem Zeitraum von insge-samt etwa 17 Jahren (mit Unterbrechungen) entstandenen Untersuchung historisches Material aus jener Perspektive gesucht und bearbeitet, die inzwischen allgemein als die der „Mikro-Historie“ beschrieben wird, die oftmals mit einem „dezentrierenden Vergleichen“ arbeitet (Natalie Zemon Davis), „einem Vergleichen jedenfalls, das nicht über die Einzelfälle hinweggeht, sondern sie stets als Be-zugspunkt nimmt, von dem her die Frage nach den Ähn-lichkeiten, Gemeinsamkeiten und Unterschieden histori-scher Phänomene und deren Erklärung zu stellen ist. Je-denfalls bleibt festzuhalten, daß der Ansatz beim Besonde-ren der lebens- und alltagsgeschichtlichen Details und bei der Geschichte einer kleinen und entlegenen lokalen Ge-sellschaft die Perspektive auf umfassendere historische Zusammenhänge wie auf die Erörterung allgemeinerer historischer Probleme keineswegs ausschließt. Im Gegen-teil, er fordert sie auf eine neue Weise heraus. Auch all-gemeinere historische Interpretationen, ja die Kategorien-bildungen und Fragestellungen selbst, verändern sich im mikrohistorischen Beobachtungsfeld (...).“19

17 „Rühmliche Ausnahmen“ bilden etwa Haase, Stadtbegriff (1978), oder die gute Überblicksdarstellung von Blaschke, Qualität, Quan-tität und Raumfunktion (1968).

18 Auch die „Verfassung“ der Stadt Mels. soll hier in einem umfas-senden Sinn verstanden werden: „Verfassung bedeutet vor allem eine umfassende, von rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Momenten geprägte Ordnung, in der sich das Gemeinwesen“ be-fand (Zit. Schwind, Marburg, S.199; zu diesem umfassenden Ver-fassungsbgeriff vgl. Schlesinger, Verfassungsgeschichte und Lan-desgeschichte, bes. S.120 f.

19 Vgl. Medick, Mikro-Historie, S.40 ff., zit. S.48. - Reichweite und Grenzen der Mikro-Historie hat einer ihrer frühesten Theoretiker, Siegfried Kracauer, um 1966 (etwa ein Jahrzehnt vor der mutmaß-lichen „Erfindung“ der Forschungsrichtung Mikro-Historie) fol-gendermaßen beschrieben: „Nicht alles an historischer Realität ist in mikroskopischen Beobachtungen zu zerlegen. Das Ganze der Geschichte umfaßt ebenso Ereignisse und Entwicklungen, die sich oberhalb der Mikro-Dimension abspielen. Aus diesem Grund sind Geschichten auf höheren Ebenen von Allgemeinheit ebenso we-sentlich wie Detailstudien. Aber sie leiden an Unvollständigkeit, und wenn der Historiker ihre Lücken ‘mit eigenem Verstand und Konjektur’ auffüllen will, muß er die Welt der kleinen Ereignisse ebenso erforschen. Makro-Geschichte kann nicht Geschichte im idealen Sinn werden, es sei denn, sie ziehe Mikro-Geschichte nach sich ... Je höher die Ebene der Allgemeinheit, auf der ein Histori-ker vorgeht, desto spärlicher wird historische Realität. Was er von der Vergangenheit bewahrt, wenn er aus großer Entfernung auf sie blickt, sind pauschale Situationen, langfristige Entwicklungen, i-deologische Tendenzen usw. - große Brocken von Ereignissen, de-ren Volumen weicht oder wächst in direktem Verhältnis zur Ent-

Da es recht fraglich erscheint, inwieweit die auf verhält-nismäßig schmaler Quellengrundlage stehenden und oft-mals auf die Entwicklung von Groß- und Mittelstädten ausgerichteten allgemeinen Ergebnisse der mittelalterli-chen Stadtgeschichtsforschung auch für die in verschiede-nen territorialen Zusammenhängen unterschiedlich aus-gestalteten Verhältnisse in Kleinstädten gelten, bestand der erste Ansatz dieser Arbeit darin, das Melsungen betreffende historische Quellenmaterial aus sich selbst heraus „sprechen“ zu lassen. Zunächst einmal habe ich weitgehend auf Analogieschlüsse verzichtet. Vergleiche mit anderen (vorwiegend hessischen) Städten wurden von mir erst in einem fortgeschrittenen Stadium meiner Arbeit behutsam in die Diskussion eingebracht. Trotz der Gefahr voreiliger Analogieschlüsse und Verall-gemeinerungen, die mir bewußt ist, konnte ich dennoch nicht ganz auf den Vergleich mit Verhältnissen in anderen Klein- und Mittelstädten (vor allem der Region) verzich-ten, um die Aussagen der oft kargen Melsungener Quellen besser verstehen und einordnen zu können. Umso wichtiger war deshalb auch die Frage nach der Einordnung Melsungens in das regionale Städtenetz und der sich daraus ergebende Größenvergleich. Mehrere entweder bisher völlig unbekannte oder von der Forschung noch nicht berücksichtigte Leistungsverzeichnisse ldgfl.-hessischer Städte, Ämter und Gerichte aus dem 15. und frühen 16. Jahrhundert erlauben die Einordnung des aus-gewählten Beispiels Melsungen als „Kleinstadt mittlerer Größe“.20 Sie ermöglichen uns darüber hinaus den ge-wünschten ersten Größenvergleich hinsichtlich der Ein-wohnerzahl, Wirtschafts- und Finanzkraft der Städte der Landgrafschaft Hessen im Spätmittelalter. Die genaue Einordnung und der Versuch einer Typisierung der nieder- und oberhessischen Städte anhand dieses Zahlenmaterials sollen jedoch nicht den Schwerpunkt der Arbeit bilden, sondern eher der allgemeinen Orientierung und der Ein-schätzung des Einzelfalles dienen. Melsungen an der Fulda war eine kleine Landstadt im Territorium der Ldgfn. von Hessen. Die Kleinstadt zählte - nach meiner Schätzung, so viel sei hier vorweggenommen - im Jahr 1465 knapp 950 Einwohner (bei 120 genannten wehrhaften Männern, unter Berücksichtigung von Witwen mit weiblichen Familienangehörigen und mehrjährigen Kindern sowie der Hospitalinsassen, der Angehörigen der stadtsässigen Burgmannenfamilien, der ldgfl. Amtsträger und der Geistlichkeit).21

fernung ... . Wir erfahren nicht genug über die Vergangenheit, wenn wir uns auf die Makro-Einheiten konzentrieren ... mit wach-sender Entfernung [wird] der Historiker es zunehmend schwierig finden, historische Phänomene zu erfassen, die hinreichend spezi-fisch und unstrittig real sind.“ (S. Kracauer, Geschichte - vor den letzten Dingen [Gesammelte Schriften 4], Kap. V, zit. nach Me-dick, Mikro-Historie, S.49). - Diese Erkenntnisse entsprechen vollkommen meinen Auffassungen von der Notwendigkeit und dem bedeutenden Stellenwert mikro-historischer - lokal-, regional- und landesgeschichtlicher - Forschung innerhalb des breiten wis-senschaftlichen Spektrums der Mediävistik.

20 Mels. hatte eine Fläche von etwa 7,96 Hektar (ohne die jenseits des Stadtgrabens gelegene Burg). Die Länge der spätmittelalterli-chen Stadtmauer betrug 1.075 Meter.

21 Dazu ausführlicher die im Abschnitt F 1.5., S.542-544, vorgestell-ten Verhältnisse, bes., mit der Schätzung der Einwohner- und Haushaltungszahl der Kleinstadt Mels. im 15. Jhd.

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Die eingehende Behandlung der Stadttopographie und die ausführliche Vorstellung der wichtigsten Gebäude der mittelalterlichen Siedlung ermöglicht nicht nur einen tie-fen Einblick in die baulichen Verhältnisse einer Klein-stadt, sondern gibt darüber hinaus Hinweise vielfältiger Natur auf die Funktionen derselben im Innern wie nach außen. Anhand der nachzuweisenden Baulichkeiten der Kleinstadt werden so bereits ihre Aufgaben innerhalb des Städtenetzes und des Territoriums sowie der Bezug zu den Nachbarsiedlungen deutlich; ebenso werden hier Funktion und Stellenwert einzelner Bauten innerhalb der städtischen Gesellschaft erkennbar. Gleichzeitig können dadurch Grundfragen mittelalterlicher Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte angeschnitten werden. Besonderer Wert wurde auf die Verknüpfung von bauge-schichtlichen Befunden mit der historisch-archivalischen Überlieferung gelegt, die sich beide oft gut ergänzen. Die topographischen und baugeschichtlichen Untersu-chungen berücksichtigen das gesamte bekannte ältere historische Abbildungsmaterial (Karten, Pläne, Kupfersti-che, Zeichnungen, Gemälde und Altfotografien)22, so wie sie methodisch andernorts - u.a. auch von mir - angewandt bzw. verwendet werden konnten.23 Die für Melsungen erhaltenen zahlreichen Zeichnungen und ein Stadtplan des 17. Jahrhunderts werden an verschiedenen Stellen ausführ-licher beschrieben bzw. interpretiert und erbringen zahl-reiche Neuerkenntnisse in Hinblick auf die bauliche Ges-talt der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Stadt. Dabei wird sich noch einmal der besondere Wert einer genauen Analyse dieser historischen Abbildungen und Pläne unter Beweis stellen. Für die absolute Datierung verschiedener noch erhaltener mittelalterlicher Bauten wurden besonders das vorhandene Fachwerk und sonstige erhaltene Holzteile mit in die Un-tersuchungen einbezogen.24 Für mein Projekt konnte die Durchführung dendrochronologischer Untersuchun-gen am Dachgebälk der Stadtpfarrkirche, an den Holzkon-struktionen ihres Glockenturmes, des Eulenturmes sowie an der ehem. von Röhrenfurthschen Kapelle und vor allem an den Fachwerkkonstruktionen etlicher Bürgerhäuser ermöglicht werden.25 Zwischenzeitlich wurde ein Teil der ermittelten Fälldaten veröffentlicht.26 Eine eingehende

22 Über den Quellenwert historischer Ansichten vgl. die grundlegen-de Auseinandersetzung bei Schmitt/Luckhardt, Realität und Ab-bild; Keyser, Bild als Geschichtsquelle; auch Jacob, Prolegomena.

23 Vgl. Wolf, Homberg an der Ohm; über den Wert solcher Untersu-chungen vgl. die Besprechung von H. Reyer in Hessisches Jahr-buch für Landesgeschichte 34 (1984), S.317 f.; Wolf, Rodheim im Spätmittelalter; Wolf, Münzenberg; Reyer, Abbildungen Witzen-hausen.

24 Auf die zunehmende Bedeutung dendrochronologischer Untersu-chungen, auch an Holzresten verschiedener romanischer „Füh-rungsbauten“, weist nachdrücklich Großmann, Baugeschichte, S.302 f., 309, hin. Allgemein zum Verfahren und zu seiner Bedeu-tung vgl. Fowler/Klein (hier auch zum von H. Tisje angewandten Verfahren); Großmann, Fachwerkbau, und bes. Neyses, Den-drochronologie und Dendroarchäologie.

25 Die auf meine Anregung eingeleiteten kostenintensiven Untersu-chungen, die von H. Tisje/Neu-Isenburg im Jahr 1984 vorgenom-men wurden, finanzierten dankenswerterweise der Magistrat der Stadt Mels., die Firma Braun (Mels.) und die Ev. Kirchengemein-de Mels.

26 Publiziert (ohne vorherige Rücksprache mit mir!) von Großmann, Fachwerkbau - Ergänzungen, S.275 f., und Großmann/Hoppe,

Auseinandersetzung mit diesen Ergebnissen steht aller-dings bisher aus. Hierbei tritt besonders die enge Verzahnung von topogra-phischer und historischer Entwicklung zutage und erweist den Wert der Kombination von frühgeschichtlichen, kunstgeschichtlichen, geographischen und naturwissen-schaftlichen Untersuchungsverfahren. Bei dem Versuch der Rekonstruktion des wirtschaftli-chen Gefüges einer Kleinstadt wird sich auch hier ein (vielleicht von der Forschung oftmals nicht erwartetes) breites Spektrum städtischen Erwerbslebens feststellen lassen, was allerdings nur durch recht aufwendige Recher-chen erschlossen werden kann. Gleichzeitig habe ich mich bemüht, soweit wie möglich alle erwähnten Personen der spätmittelalterlichen Kleinstadt zu erfassen, die in Urkun-den und Rechnungen namentlich „qualifiziert“ genannt werden. Hier wurde besonderer Wert auf die - wenn auch noch so bescheidenen - weiteren Angaben etwa über deren Berufe und/oder ihre anderen Erwerbstätigkeiten, über ihre Verwandten und Freunde sowie Hinweise sowohl auf ihr Wohnquartier, ihre Arbeitsstätte, und, was nur in selte-nen Fällen möglich war, ebenso auf die Einrichtung oder das Aussehen dieser Arbeitsplätze als auch auf ihre Stel-lung innerhalb einer der verschiedenen Gruppen der klein-städtischen Gesellschaft gelegt. Damit soll wenigstens versucht werden, aufgrund der gewonnenen Hinweise auf die sozialen Verhältnisse auch einen ersten Überblick über die Sozialstruktur dieser Kleinstadt zu vermitteln. Er muß jedoch - zumindest im Rahmen dieser Untersu-chung und in Hinblick auf meine bisherigen Kenntnisse - ausgesprochen bruchstückhaft bleiben. Gerade die Rekonstruktion wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse (auch der Sozialtopographie) würde natürlich durch die Überlieferung von Stadtrechnungen erheblich erleichtert. Leider ist vor dem 17. Jahrhundert keine einzi-ge Melsungener Stadtrechnung erhalten geblieben.27 Die Frage, wie gut die Aussagen territorialer Amts-rechnungen zumindest als Indikatoren für die Rekon-struktion der Wirtschaft eines kleinstädtischen Gefüges verwendbar sind, kann hier sicherlich nicht abschließend beantwortet werden. Es dürfte sich jedoch anhand der aus dem Melsungener Material gewonnenen Ergebnisse er-kennen lassen, daß trotz der zu vermutenden einseitigen Ausrichtung der herrschaftlichen Rechnung auf die Belan-ge der rechnungsführenden „Verwaltung“ und ihrer vor-geordneten Organe einschließlich des Stadt- und Landes-herrn auch eine Teilrekonstruktion kleinstädtischer Sozial- und Wirtschaftsverhältnisse möglich erscheint. Dabei soll die oftmals benutzte wortgetreue Wiedergabe auch des Zusammenhangs, in dem die jeweilige Eintra-gung steht, helfen, auch das „inhaltliche Umfeld“ des Rechnungseintrags zu erkennen und nachzuvollziehen. Damit möchte ich jene Unzulänglichkeiten verhindern, die sich bei benutzten, auf unveröffentlichten Quellen beru-henden Darstellungen aus den zu knappen Angaben über Art, Umfang und Wortlaut der jeweils herangezogenen

Nordhessen, S.225-227 passim. Die sich aus den dendrochronolo-gischen Untersuchungen ergebenden Neuerkenntnisse zur Stadt-kirche wurden knapp vorgestellt bei Wolf/Fenner.

27 Die älteste erhaltene „Kämmereirechnung“ der Stadt Mels. stammt von 1640, die älteste Weinrechnung von 1631 (Sieburg, Stadtar-chiv Melsungen, S.1).

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Quelle ergeben, so daß die Ergebnisse für den Leser oft-mals nicht nachvollziehbar sind.28

Durch die ausgiebige Wiedergabe von Quellenauszügen ergeben sich vielfach erweiterte Fragemöglichkeiten. Es versteht sich von selbst, daß natürlich nicht alle vorgestell-ten Quellenauszüge vollständig und nach allen Richtungen hin ausgewertet werden konnten.29 Andererseits bieten sie Anregung zur weiteren Bearbeitung dieser Auszüge aus historischen Originalquellen für weitergehende Fragestel-lungen. Der Aspekt der Territorialstadt ist natürlich für diese Untersuchung sehr wichtig. Die meisten mittelalterlichen Kleinstädte waren im übrigen Territorialstädte. Die Frage nach der Einordnung der Stadt in das Territorium wird naturgemäß in den verschiedenen Entwicklungsphasen des spätmittelalterlichen Territoriums jeweils zu stellen sein. Da bisher für den Bereich der Landgrafschaft Hessen keine vergleichbare Untersuchung über das Verhältnis des ldgfl. Stadtherrn und seiner Territorialstadt anhand der Auswertung der Aufenthalte des Stadtherrn und/oder sei-ner Familienmitglieder vorliegt, können viele Einschät-zungen von vornherein nur Vermutung bleiben. Überra-schend ist dennoch insgesamt schon jetzt die Fülle des vor allem aus den Amtsrechnungen gewonnenen und auswert-baren Materials. Inwieweit sich die niederhessische Stadt Melsungen als typisches Beispiel für eine mittelalterliche Kleinstadt mittlerer Größe erweist, werden erst weitere Parallelun-tersuchungen mit größerer Sicherheit belegen können. Doch können schon jetzt zahlreiche Vergleiche mit ande-ren „gleich großen“ bzw. mit kleineren und größeren Kleinstädten des hessischen Raumes angestellt werden. Die vorliegende Untersuchung stützt sich auf folgende Materialgrundlagen: Zunächst wurden nicht nur die weitgehend ungedruckten und selten durch Regesten er-schlossenen Urkunden ausgewertet, sondern auch die sehr wertvollen, bisher überwiegend unbekanntes Material enthaltenden mittelalterlichen Amtsrechnungen von Mel-sungen.30 Außerdem wurden die Melsungen betreffenden ldgfl.-hessischen „Zentral-Rechnungen“ sowie (in Aus-wahl) die mittelalterlichen Rechnungen der Melsungen benachbarten Ämter (Spangenberg, Felsberg, Hessisch-Lichtenau bzw. Reichenbach, Homberg/Efze, Kassel, Eschwege und Witzenhausen) herangezogen. Weiter wur-den die in der ldgfl. Kanzlei entstandenen Salbücher, Ein-künfteregister, Lehnsbücher und Kopialbücher31 berück-sichtigt, soweit sie für die in Angriff genommene Untersu-chung in Frage kamen.

28 Z.B. bes. ins Auge fallend bei Orth, Fehden. 29 Dies betrifft insbesondere die vollständige Auswertung der in

Beilage 1.10, S.650-677, aufgeführten 211 (bzw. 214) Landgra-fenaufenthalte, dazu bes. in Abschnitt D 2.1, S.276-312, sowie Tabelle/Beilage 1.9, S.637-649, mit 312 vorgestellten Bußeintra-gungen.

30 Allgemein zur Bedeutung der erhaltenen ldgfl.-hessischen Territo-rialrechnungen für die Forschung vgl. Orth, Amtsrechnungen als Quelle spätmittelalterlicher Territorial- und Wirtschaftsgeschichte (im Überblick); Demandt, Personenstaat, Vorwort S.XXVII; im länderübergreifenden Überblick jetzt Mersiowsky, Anfänge terri-torialer Rechnungslegung.

31 Mittlerweile liegen die Urkunden der wichtigsten ldgfl.-hessischen Kopiare in der vorausgegangenen Regestenveröffentlichung (in der Reihe der Repertorien des StAM) bzw. bei Demandt, Regesten Landgrafen, vor.

Ein für mein Projekt sehr wichtiger, leider recht kleiner Urkundenbestand32 sowie mehrere Hospital- und Kirchen-rechnungen des 16. Jahrhunderts sind im Archiv des E-vangelischen Dekanats Melsungen und im Stadtarchiv Melsungen überliefert.33

Von insgesamt etwa 600 Melsungen betreffenden Urkun-den wurden zunächst meist vollständige Abschriften ange-fertigt. Auch die meisten in Frage kommenden Urkunden lagern im Hess. Staatsarchiv Marburg.34 Einzelne Urkun-den oder Amtsbucheinträge, die Melsungen berühren, konnten außerdem in den Staatsarchiven in Darmstadt, Würzburg, München, Bamberg, Düsseldorf und Dresden, im Institut für Stadtgeschichte (Stadtarchiv) Frankfurt, im Archiv der Universität Gießen und in der Kasseler Lan-deshochschulbibliothek ermittelt und in die Untersuchung mit einbezogen werden. Neben den Urkunden ermöglichen vor allem die 87 Rech-nungsbände aus der Zeit von vor 1430 bis 1514, die in der ldgfl.-hessischen Amtsverwaltung von Melsungen ent-standen, tiefe Einblicke in das Alltags-, Rechts- und Wirt-schaftsleben von Stadt und Amt (Gericht) Melsungen. Die Schultheißen-, Rentmeister-, Kellnerrechnungen (i.d.R. Fruchtrechnungen), Zins- und Einnahmeregister des Rentmeisters, des Kellners oder der Förster bilden auch für die Stadt eine verhältnismäßig dichte Quellengrundla-ge, vor allem für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts. Dieser wertvolle Rechnungsbestand konnte intensiv, weit-gehend alle ins Auge gefaßten Fragestellungen berück-sichtigend, ausgewertet werden. - Es dürfte sich dabei um den ersten Rechnungsbestand eines spätmittelalterlichen ldgfl.-hessischen Amtes handeln, dessen Inhalt in Hinblick auf die Stadtgeschichte so intensiv wissenschaftlich ver-wertet worden ist.35

Außerdem wurden weitere frühneuzeitliche Amtsbücher und Akten des ehemaligen Stadtarchivs Melsungen in Auswahl eingesehen, darunter auch die ältesten Melsun-gener Stadtbücher und zwei modern zusammengefaßte Urkundensammlungen des 18. Jahrhunderts (auch als „Kopialbücher“ bezeichnet).36 Der größte Teil der heran-gezogenen Archivalien, auch das Melsungener Stadtar-chiv, befindet sich im Hess. Staatsarchiv Marburg. Für die Erarbeitung der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Topographie der Kleinstadt Melsungen sind etwa 75 Skizzen mit Ansichten und Plänen von Mel-sungen von größter Bedeutung. Sie entstammen der Feder des hessischen Landgrafen Moritz des Gelehrten und entstanden in den Jahren von 1627 bis 1630. Die Zeich-

32 Aus der Zeit zwischen 1344 und 1500 sind im Arch. Ev. Dek.

Mels. 19, zwischen 1500 und 1550 weitere 16 Originalurkunden überliefert.

33 Das Arch. Ev. Dek. Mels. verwahrt als älteste Gotteskastenrech-nungen der Kirche zu Mels. die Jahrgänge 1547/48, 1551, 1553, 1562, 1575, 1576, 1584, 1586, 1587 sowie eine Hospitalrechnung von 1588. - Im Stadtarchiv Mels. haben sich Frühmeßrechnungen ab 1570, Hospitalrechnungen von 1534 und ab 1572 und Sonder-siechenhausrechnungen lückenhaft ab 1559/60 erhalten (Vgl. die Übersicht bei Sieburg, Stadtarchiv Melsungen, S.2).

34 StAM, X 1, Depositum Mels. Vgl. zuletzt die Übersicht von W.A. Eckhardt, Stadtarchiv Melsungen.

35 Recht intensiv ausgewertet hat lediglich Bartholomäus, Eschwege, die Eschweger Rechnungsbücher (1934).

36 Die neuzeitlichen Bestände des Mels.er Stadtarchivs (ohne den Bestand Urkunden) sind inzwischen als Repertorium veröffent-licht von Sieburg, Stadtarchiv Melsungen.

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nungen werden im Original in der Landes- und Hoch-schulbibliothek Kassel aufbewahrt.37 Ihre Ergänzung finden sie in einem von demselben Ldgfn. gezeichneten gleichzeitigen Plan der Südhälfte der Stadt Melsungen.38

Der bisherige „Forschungsstand Melsungen“ kann wie folgt umrissen werden: Umfangreiches Material zur Ge-schichte der Stadt hat bereits Dr.phil. Ludwig Armbrust39 in seinem 1905 zuerst, 1921 geringfügig erweitert in Zweitauflage erschienenen Buch dargeboten und als erster einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht.40 Arm-brust hat in seinem populärwissenschaftlich gehaltenen Buch nur einen Abriß der Entwicklung der mittelalterli-chen Stadt geben können. Er nahm Einsicht in die wesent-lichen Archivalien zur Stadtgeschichte, konnte sie jedoch im Rahmen seiner Ortsgeschichte meist nur sehr knapp und oftmals nur unzureichend auswerten. Die sehr breit angelegte, fleißige und kenntnisreiche Arbeit Armbrusts wurde jedoch von der zeitgenössischen Forschung recht kritisch bewertet. Ihr wurde (stellenweise) in verfassungs-geschichtlicher Hinsicht Unzulänglichkeit nachgewie-sen.41 Dies hinderte die Verfasser späterer Untersuchun-gen jedoch nicht daran, Armbrusts Ergebnisse weitgehend ungeprüft zu übernehmen.42 - Die Schwierigkeit bei der Einschätzung dieser auf ungedrucktem Material fußenden Monographie liegt in den manchmal ungenauen oder gele-gentlich auch falschen Belegen der Darstellung. Dennoch wird man Armbrusts Leistung nicht zu gering bewerten dürfen: Die vielbenutzte Arbeit bietet trotz allem zahlrei-che brauchbare Hinweise auf die Entwicklung der Stadt Melsungen. In den meisten topographischen sowie bau- und kunstgeschichtlichen Detailangaben und Bewertungen ist die Monographie allerdings äußerst fragwürdig und überholt. Einen größeren verfassungs- und herrschaftsgeschichtlich orientierten Rahmen umspannte die 1941 erschienene Dissertation von W. Krummel über die hessischen Ämter Melsungen, Spangenberg, Lichtenau und Felsberg.43 Sie entstand im Rahmen des von Ed. E. Stengel begründeten Forschungsprogramms zur Erarbeitung des Geschichtli-chen Atlas' von Hessen. Hier wird verhältnismäßig aus-führlich auch die Entstehung von Stadt und Herrschaft (bzw. Amt) Melsungen behandelt. Krummels Ausführun-

37 Gesamthochschul-Bibliothek Kassel, Landesbibliothek u. Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, Handschrift 2° Ms. Hass. 107, Handzeichnungen Ldgf. Moritz, Mels., Nr.1-42 - siehe die beigefügten Abbildungen.

38 Ebd. Nr.35. - Der in einem Verzeichnis des Nachlasses von Georg Landau (im StAM) aufgeführte, dort nicht auffindbare Stadtplan von Mels. (angeblich aus dem 16. Jhd.) dürfte vermutlich auf die-sen Plan (aus der Zeit um 1630) Bezug nehmen.

39 Zur Biographie von Dr.phil. Ludwig Armbrust (geb. 1861 Göttin-gen, gest. 1940 Bad Berka) vgl. Schmidt, Melsungen, S.7; aus-führlich Simon, Till und Armbrust, hier S.209-214.

40 Armbrust, „Geschichte der Stadt Melsungen bis zur Gegenwart“. 41 Schenk zu Schweinsberg, Buchbesprechung zu Armbrust, Mel-

sungen, S.571-574. 42 Dazu gehören u.a. Heß, Städtegründungen (1966), auch Görich,

Manuskript Melsungen (ca. 1978). Es ist verständlich, daß die Mels.er ortsgeschichtliche Forschung die Erkenntnisse von Arm-brust bis heute rezipiert hat. Natürlich wurden auch die von den Ergebnissen Armbrusts abweichenden Erkenntnisse - etwa von Dr. W. Görich oder auch von mir - mit dem vorherigen Kenntnisstand vermischt und weiterverwendet.

43 W. Krummel, Die hessischen Ämter Melsungen, Spangenberg, Lichtenau und Felsberg (1941).

gen zur Entwicklung der ldgfl.-hessischen Ämter bieten noch heute eine weitgehend tragfähige Grundlage. Eine recht wichtige Arbeit zum hochmittelalterlichen Städtewesen des nordhessischen Raumes bildet die 1966 veröffentlichte kunstgeschichtliche (jedoch stark histo-risch orientierte) Frankfurter Dissertation von W. Heß über die hessischen Städtegründungen der Landgrafen von Thüringen.44 Diese Arbeit hat den planmäßigen Grün-dungscharakter vieler hessischer und thüringischer Städte nachgewiesen und die Zusammenhänge zwischen den Territorialplänen der ludowingischen Landgrafen und der Entwicklung des Städtewesens in vorbildlicher Weise dargestellt. Heß ist dabei auch ausführlich auf den Stadt-grundriß und die Entwicklung von Melsungen eingegan-gen. Hierbei sind die siedlungsgeschichtlich orientierten Ergebnisse des Autors von besonderer Bedeutung, wäh-rend seine Kenntnisse der spätmittelalterlichen Stadtent-wicklung vor allem auf Armbrusts Darstellung fußen und weitgehend eigener archivalischer Nachforschungen ent-behren. Die 1978 erschienene Melsungener Stadtchronik von J. Schmidt45 referiert in ihrem mittelalterlichen Teil vor allem Armbrusts Ergebnisse, wenn auch neue Veröffentli-chungen herangezogen werden. Schmidt hat auch die für den Geschichtlichen Atlas von Hessen von W. Görich geleisteten Vorarbeiten zur Stadtgrundrißentwicklung einsehen können und diese abwägend berücksichtigt. Auf Görichs Ergebnisse46 wird mehrfach einzugehen sein. Zu den jüngsten zur Ortsgeschichte Melsungens entstan-denen Monographien gehören u.a. zwei kleinere, von O. Wiegand bearbeitete Bildbände.47 Auch Wiegands Bücher zum historischen Melsungen ergänzen unsere Kenntnisse vom erhaltenen historischen Gebäudebestand und bilden u.a. mehrere bisher bekannte, ursprünglich in Spätmittelal-ter oder Frühneuzeit entstandene Bauten ab. Der Forschungsüberblick zur Stadtgeschichte von Mel-sungen verdeutlicht, daß der Schwerpunkt der Erforschung der Stadtgeschichte im 20. Jahrhundert weitgehend auf die Neuzeit, Moderne und Zeitgeschichte ausgerichtet war und auch Entwicklung und „Strukturen“48 dieser mittelal-

44 W. Heß, Hessische Städtegründungen der Landgrafen von Thürin-

gen (1966). 45 J. Schmidt, „Melsungen. Die Geschichte einer Stadt.“ Hrsg.

Magistrat der Stadt Melsungen (1978). 46 W. Görich, Manuskript Karlsschanze (1938); Görich, Stadtgrund-

riß Melsungen (1978); Görich, Zahlenschlüssel (1978); Görich, Stadtgrundriß Melsungen (1978); Görich, Manuskript Melsungen (ca. 1978).

47 O. Wiegand, „Melsungen in alten Bildern.“ (1986); Ders. „Mel-sungen. Historische Fachwerkstadt am Fulda-Fluß“ (1997). Die 1996 und 1997 von Riemann und Naleppa herausgegebenen orts-geschichtlichen Bände „Melsungen. Ein Bildband.“ „Melsungen. In historischen Bildern I“ sind leider meist nur mit recht knappen Bildunterschriften versehen, ergänzen dennoch viele interessante Einzelheiten zur Entwicklung, besonders zur historischen Topo-graphie der Stadt im 20. Jhd.. Dabei wird bei Riemann/Naleppa, Melsungen. Bildband, mit mehreren Textbeiträgen auch ein Ge-samtbild von der modernes Geschichte der Kernstadt und der heu-tigen Stadtteile entworfen.

48 „Struktur“ wird von mir in diesem Zusammenhang verstanden als die innere Gliederung einer Gesellschaft, ihrer Einrichtungen und Organisationen, die ganz verschiedene Funktionen erfüllen kön-nen und miteinander korrelieren. - Zum Strukturbegriff vgl. u.a. Ellermeyer, Sozialgruppen; Ellermeyer, Schichtung und Sozial-struktur; Kocka, Sozialgeschichte, S.70-82; Mitterauer, Probleme

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terlichen Kleinstadt bisher in vielen Bereichen unerforscht waren. Die hiermit vorgelegte Dissertation geht weit über die reine Darbietung des statistischen Vergleichsmaterials hinaus. Sie strebt vor allem eine möglichst umfassende und vielseitige Untersuchung der ausgewählten Kleinstadt Melsungen im Spätmittelalter an. Eine in den Fragestel-lungen weitgehend „allumfassend“ ausgerichtete, also interdisziplinär arbeitende und stark ins Detail gehende exemplarische Arbeit über den inneren und äußeren Auf-bau einer Kleinstadt in dieser historischen Periode, die in Ansatz und Umfang mit der hier vorgestellten Arbeit ver-gleichbar wäre, fehlt, soweit ich sehe, bisher.

der Stratifikation in mittelalterlichen Gesellschaftssystemen (d.h. über Fragen zur Ermittlung von sozialer oder wirtschaftlicher „Struktur“); ebenso die Mitterauers Referat folgenden Diskussi-onsbeiträge bei Kocka, Theorien in der Praxis des Historikers, S.44-54 passim.

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Übersichtskarte der nordhessischen Städte im Spätmittelalter – moderner Gewässerverlauf Karte von Dieter Wolf (1982)

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B. Überblick über die Entwicklung der Stadt Melsungen in der Neuzeit

Wie sich die kleine, im 12. Jahrhundert von den Ldgfn. von Thüringen gegründete, seit 1247 ldgfl.-hessische Territorialstadt Melsungen an der Fulda im Spätmittelal-ter entwickelte, wird in den nachfolgenden Kapiteln dieser Arbeit aus unterschiedlicher Perspektive ausführ-lich dargestellt. Zuvor soll jedoch kurz auf die histori-sche Weiterentwicklung dieser Stadt in der Neuzeit ein-gegangen werden. Die Stadt Melsungen zeichnet sich heute besonders durch ihren historischen Stadtkern aus, der über einen sehr großen, weitgehend geschlossenen Bestand an Fachwerkhäusern verfügt. Zusammen mit einigen erhal-tenen Teilen der spätmittelalterlichen Stadtbefestigung, der inmitten geschlossener frühneuzeitlicher Bebauung liegenden, einheitlich-spätgotisch wirkenden Stadtkirche, mit dem großen ldgfl. Schloß mit Marstall und Burggra-fenhaus und mit der beachtlichen steinernen „Bartenwet-zerbrücke“ (beide aus dem 16. Jahrhundert) fällt das Urteil leicht, Melsungen zu den schönsten und attraktivs-ten historischen Fachwerkstädten Hessens zu zählen.49 Dabei fällt die große Zahl, die Höhe und die stattliche Erscheinung der Fachwerkhäuser auf, in deren Mitte auf dem Marktplatz das repräsentative Fachwerk-Rathaus steht. Fachwerkhäuser, Fuldabrücke und auch das Areal des ehemaligen Landgrafenschlosses tragen noch wei-testgehend den Baucharakter ihrer Entstehungszeit, des 16. und 17. Jahrhunderts. - Im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit spielten die holzverarbeitenden Handwerke der Stadt aufgrund des vorhandenen Waldreichtums eine dominierende Rolle. Vor einigen Jahrzehnten ist der sein Beil an der Fuldabrücke wetzende Holzfäller zur Sym-bolfigur Melsungens gemacht worden (der sogen. „Bar-tenwetzer“ an der sogen. „Bartenwetzerbrücke“ in der sogen. „Bartenwetzerstadt“).50

49 Zu baugeschichtlicher Entwicklung, Denkmalschutz und Alt-stadtsanierung in Melsungen vgl. verschiedene Beiträge in der Broschüre Landesamt für Denkmalpflege, 4. Tag der Hessischen Denkmalpflege in Melsungen [1978], S.11-42; Fenner, Bauge-schichte und Stadtsanierung; Fenner, Rathaus Melsungen. Zum modernen wie zum historischen Stadtbild vgl. den 1978 erschie-nenen Band von Schmidt, Melsungen (mit zahlreichen Abb.); zu den bedeutendsten Mels.er Fachwerkbauten Helm, Bürgerhaus, S.14-49, T.1-12; zum historischen Stadtbild bereits Ganßauge, Alte Baukunst, der 1986 hrsgg. Bildband von Wiegand, Melsun-gen, aber auch der Stadtführer von Gauland, Melsungen eine his-torische Fachwerkstadt; zur Stadtkirche u.a. die neueren Führer von Ganßauge, Stadtkirche Melsungen, und Wolf/Fenner; im Überblick bes. gut Großmann, Melsungen; Großmann/Hoppe, S.224-227. Zahlreiche historische Abb. auch bei Rie-mann/Naleppa, Melsungen. In historischen Bildern I.

50 Der Name „die Bartenwetzer“ hat sich vermutlich - so wird in Mels. erzählt - aus einem Neck- und Übernamen entwickelt. Auch in den Mels.er Wäldern wurden Bäume bis gegen Ende des 18. Jhds. mit der Axt gefällt und anschließend mit dem Beil zugerichtet. Der Neid der Nachbardörfer über den sehr großen Mels.er Waldbesitz soll dazu geführt haben, die Waldarbeiter (oder Zimmerleute?) der Stadt, die nach ihrer Rückkehr von der harten Arbeit im Wald ihre Äxte und Beile (Barten) an der Ful-dabrücke scharf wetzten (nach Meinung der Neider zu lange),

Die besonders ins Auge fallende, wertvolle Bausubstanz der Stadt muß allerdings nicht unbedingt die Verhältnisse der vorausgegangenen Epoche, das Erscheinungsbild der spätmittelalterlichen Stadt, widerspiegeln. Auch dieser Frage wird noch im einzelnen nachzugehen sein. Mel-sungen scheint im 14. und 15. Jahrhundert, um ein Er-gebnis vorwegzunehmen, eine zwar kleine Gewerbe- und Ackerbürgerstadt gewesen zu sein, ihr damaliges aktives Wirtschaftsleben gibt sich jedoch in vielen Zeugnissen - auch der Architektur - zu erkennen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts erlebte die niederhessi-sche Kleinstadt Melsungen allerdings durch die Nutzung der bescheidenen und überalterten spätmittelalterlichen Burg und der dazugehörigen Stadt als Sitz der Witwe eines abgedankten Ldgfn. (Wilhelm I. d.Ä.), Anna von Braunschweig, - zumindest für einige Jahre - einen stark einschneidenden wirtschaftlichen Rückgang. Die Stadt-herrin selbst hatte wenig Geld, es konnte nirgendwo Geld investiert werden, die in vorausgegangenen Jahrzehnten regelmäßig stattfindenden Besuche des Ldgfn., seiner Familienmitglieder mit ihrem Gefolge und mit Gästen blieben aus und trugen dazu bei, die kleinstädtische Wirtschaft zu ruinieren. Erst nach dem Tod der Anna von Braunschweig (1520) und dem Rückfall an das ldgfl. Regiment bzw. später an den Ldgfn. hat sich das Städt-chen an der Fulda allmählich wieder erholt. Es erlebte sogar im Verlauf des Jahrhunderts einen relativ starken Aufschwung, der sich wohl besonders gut - wie bereits angedeutet - am inneren Ausbau der Stadt erkennen läßt.51 1526 wurde in Melsungen die Reformation einge-führt. Zur Mitte des 16. Jahrhunderts wurden das stattli-che ldgfl. Nebenresidenz-Schloß mit dem ehemaligen Renthof, nach einem Stadtbrand von 1554 um 1565/66 das bekannte, besonders große und repräsentativ wirken-

mit Spott als „die faulen Bartenwetzer“ zu überziehen. Der Neckname wurde schließlich auf alle Mels.er übertragen. Wetz-scharten sind bis heute an der Brücke zu erkennen (nach frndl. Ausk. von Herrn K. Maurer/Mels.). - Im späten 19. Jhd. wurde der Name allmählich populär, wozu auch der Roman „Die Bar-tenwetzer“ der 1859 in Mels. geborenen, 1925 in Regensburg verstorbenen Schriftstellerin Therese Keiter geb. Kellner (unter dem Pseudonym M. Herbert) beigetragen haben mag (Schmidt, Melsungen, S.204). Verstärkt erscheint der positiv verwendete Übername „B.“ als Symbolfigur der Stadt seit den 20er Jahren dieses Jhds., ganz bes. seit dem großen Mels.er Heimatfest von 1928 (Vgl. ebd. S.220 f., 225, 289; Wiegand, Melsungen, [S.42-45]; vgl. dazu auch G[leim], Vom ersten Melsunger Heimatfest). Gabelich, alte Brücke, S.103, bemerkt dazu 1929: „Interessant ist auch die Tatsache, daß die Brücke den Melsungern den frühe-ren Spitznamen und jetzigen Ehrennamen 'Bartenwetzer' ein-brachte, weil die Melsunger, die hauptsächlich in den ausge-dehnten Wäldern als Holzfäller ihr Brot verdienten, häufig ihre Barten bzw. Äxte auf den Sandsteinquadern der Brücke wetzten. Diese Wetzmulden sind heute noch an mehreren Stellen zu er-kennen.“

51 Zur Geschichte der Stadt Mels. in der Frühneuzeit vgl. die einschlägigen Kapitel in den Überblicksdarstellungen von Arm-brust, Melsungen, und Schmidt, Melsungen. Einen vielseitigen Überblick zur Entwicklung der Stadt bietet Keyser, Städtebuch Hessen, Art. Mels., S.329-332.

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de Rathaus und eine Reihe weiterer, recht stattlicher, oft kunstvoll verzierter Fachwerkhäuser errichtet.52 Ldgf. Philipp, sein Sohn Ldgf. Wilhelm IV. und auch dessen Sohn, Ldgf. Moritz der Gelehrte, besuchten Melsungen häufig und konnten nach Erbauung des neuen, zu reprä-sentativen Anlässen genügend Raum bietenden Schlosses auch hier längere Aufenthalte einplanen. Im 16. Jahrhun-dert entstanden in der Stadt, die 1585 266 Haushaltungen aufwies, mehrere Zünfte, die es im 15. Jahrhundert an-scheinend noch nicht oder nur ausnahmsweise gegeben hatte. Die große Brücke über die Fulda, seit früher Zeit der wichtigste Garant für den durch die Stadt strömenden Fernverkehr, war nach mehrfacher Zerstörung durch Eisgang mit Hilfe des Ldgfn. Moritz sehr stattlich wie-deraufgebaut worden. Die kurz vor 1600 erreichte Schiffbarmachung von Teilen der Fulda (durch densel-ben Ldgfn.) erhöhte noch das Verkehrsaufkommen und kurbelte die städtische Wirtschaft an. In größere, ver-nichtende kriegerische Verwicklungen ist die Stadt in der Neuzeit nie geraten, auch nicht im Dreißigjährigen Krieg. Zwischen 1627 und 1632 war die Kleinstadt zu-dem einer der beiden Hauptaufenthaltsorte des abge-dankten Ldgfn. Moritz, womit vielleicht die eine oder andere militärische Beschwerung von der Stadt fern-gehalten werden konnte. Jedenfalls hat Melsungen diesen Krieg im Vergleich zu den meisten Nachbarstädten recht gut überstanden. Dies scheint ein wichtiger Grund dafür zu sein, daß Melsungen hinsichtlich seines Fachwerkbe-standes als die besterhaltene alte Stadt mit Baubestand des 16. und 17. Jahrhunderts in ganz Nordhessen gilt.53 1639 hatte Melsungen allerdings nur noch 187 (steuerba-re) Haushalte.54 Da sich die durch Kriegswirren hervor-gerufenen Verluste der Stadt dennoch stark in Grenzen hielten, profitierten sie und ihre Bürger umso mehr von der florierenden „Nachkriegs- und Wiederaufbau-Wirtschaft“ der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. 1705 werden in der Stadt 329 Haushaltungen gezählt.55

Dennoch müssen wir auch in der Frühneuzeit mit insge-samt bescheidenen Verhältnissen rechnen. Als Ldgf. Moritz der Gelehrte während seiner aktiven ldgfl. Regie-rungszeit (1604-1627) versuchte, niederländische Weber, Glaubensflüchtlinge, im ehemaligen Kloster Breitenau und in Melsungen planmäßig anzusiedeln, lehnten dies die Meister ab, „da sie gewohnt seien, in Kaufstetten zu leben“.56 - Nach der von Ldgf. Karl von Hessen-Kassel am 18. April 1685 zugunsten der französischen Glau-bensflüchtlinge (Hugenotten) erlassenen Freyheits-Consession und Begnadigung wurden den Flüchtlingen neben Kassel durchgehend Kleinstädte, darunter auch Melsungen, als zukünftiger Wohn- und Arbeitsort (zur Einrichtung von Manufakturen) angewiesen. Wie gern oder ungern sich die Hugenotten in Melsungen im Ver-gleich zu den anderen Glaubensbrüdern zugewiesenen

52 Vgl. bes. Fenner, Rathaus Melsungen, hier S.5, 9-11, 20-37 passim; zu den Bürgerbauten des 16. Jhds. bes. Helm, Bürger-haus, S.14-49 passim, T.13-T.25; vgl. etwa auch Großmann, Fachwerkbau, S.109-111 passim; Großmann/Hoppe, S.225 f.; Schmidt, Melsungen, S.48-65 passim.

53 Helm, Bürgerhaus, S.14. 54 Angabe nach Keyser, Städtebuch Hessen, Art. Mels., S.329

Ziff.6 a. 55 Angabe nach ebd. 56 Dascher, S.32 f., zit. S.33 Anm.189.

Niederlassungsorten Kassel, Hofgeismar und Greben-stein, niedergelassen haben, ist aus bisher veröffentlich-ten Melsungener Quellen offenbar nicht bekannt.57 1742 werden nur 294 steuerbare Häuser registriert, was auf einen Bevölkerungsrückgang schließen läßt.58

Die im Spätmittelalter als „Exportindustrie“ arbeitende Wollweberei überlebte den allgemeinen Niedergang der deutschen Tuchherstellung und konnte ihre früher bedeu-tende Stellung in der kleinstädtischen Wirtschaft in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wiedererringen. - Die Stadt hatte 1768 1.858 Einwohner (860 männlich, 998 weiblich).59 - Zu dieser Zeit entstanden aus der Rei-he zahlreicher Werkstätten der Wollwebermeister mehre-re Manufakturen, die v.a. Uniformtuch für hessische Soldaten herstellten. Aus einem dieser Handwerksbetrie-be entwickelte sich um 1800 eine der ersten Tuchfabri-ken der Stadt (und des Landes).60 Auch die Mitglieder der sehr starken Leinweberzunft konnten bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts beachtliche Exporte (auch nach Übersee) erzielen, bis die Kontinentalsperre der wirt-schaftlichen Blüte ein jähes Ende bereitete.61 Im 18. Jahrhundert entstand vor der Brücke, am rechten Fulda-ufer, eine kleine Vorstadt.62 1804 beträgt die Einwohner-zahl 2.807.63

57 Zumstrull, Gründung von „Hugenottenstädten“, S.158, 166 f. 58 Angabe nach Keyser, Städtebuch Hessen, Art. Mels., S.329

Ziff.6 a. 59 Angabe nach ebd. 60 Dazu ausführlich Armbrust, Melsungen, S.274 f.; Schmidt,

Melsungen, S.79 f. - Engelhard, Erdbeschreibung der Hessischen Lande Casselischen Antheiles 1, § 164, S.193-196, beschäftigte sich 1778 relativ ausführlich mit der Stadt Mels. (§§ 165-169, S.196-203, mit dem zugehörigen Amt): Stadt Melsungen. Sie lieget an dem linken Ufer der Fulde, ueber welche eine steinerne Bruecke gehet, die in 1595 von Quadersteinen mit sechs Schwib-bogen aufgefuehret worden, 2 Stunden von Spangenberg und 5 von Cassel. Auf der anderen Seite der Fulde ist seit 50 Jahren ein neuer Anbau angeleget worden. Sie wird auch von dem Keh-renbache durchstroemet, welcher nahe vor derselben in die Ful-de faellet. Der Ursprung dieser Stadt wird dem Kaiser Carl dem Großen zugeschrieben. Derselbe soll in dem Kriege mit den Sachsen zu Erhaltung einer freyen Gemeinschaft in der Gegend des damaligen Dorfes Melisunge eine Brücke haben schlagen und solche befestigen, auch, um eine Besatzung zu halten, ein Schloß allda anlegen lassen. Woraus denn hernach die Stadt Melsungen entstanden seye (a) [(a) Hartmanns Hist. hass. 1. c. Teuthorns Gesch. der Hessen, 2. Th. 360. S.] Es ist solches aber wohl eine bloße Meynung. [...] Die Stadt hat ein furestliches Schloß [...] Sie gehoeret zwar unter die mittelmaeßigsten La-endstadte; Ist jedoch noch so raeumlich, daß ein ganzes Re-giment darinnen liegen kann. Sie ist mit einer starken Mauer umgeben, und hat 5 Thore, welche das Brueckenthor, das casse-ler, rotenburger, fritzlarische und Todtenthor genannt werden. [...] Auch außer der Stadt ein Hospital- und Siechenhaus, worin-nen 21 Hospitaliten und 13 Expectanten verpfleget werden. Es halten in derselben viele in Holze arbeitende Handwerker, als Zimmerleute, Schreiner, Faßbinder, sich auf; Weil die Stadt ein großes Stueck Waldes, der Schöneberg genannt, besitzet, darin-nen viele starke und gerade Eichenbaeume anzutreffen sind (g). Daher viele Holzarbeit, an Schraenken, Bettspannen, Faessern, u.d.gl. allda verfertiget und auswaerts auf die Maerkte verfuehret wird [...].

61 Armbrust, Melsungen, S.276 f.; Schmidt, Melsungen, S.80 - 1753 hatte die Leinweberzunft 80 Mitglieder.

62 Wiegand, Erdbeschreibung, S.55 § 8, faßte 1822 zu Kreis, Amt und Stadt Mels. wie folgt zusammen: Der Kreis Melsungen liegt an den Ufern der Fulda und der Edder, bestehet aus den Aem-tern Melsungen, Felsberg und Spangenberg. Er graenzt gegen

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Um die Mitte des 19. Jahrhunderts standen in Melsungen - nach einer Beschreibung von Georg Landau - 404 Häu-ser, in denen 4.103 Einwohner lebten. Der Ort hatte zwei bedeutende Tuchfabrikem mit 150-200 Beschäftigten, die eine soll jetzt niedergelegt werden. Im Ort arbeiteten 60 Meister, die Wollentuchweberei betreiben, darunter mehrere Große mittelst Maschinen. In 5 Tuchbereiterei-en hatten 300 Personen, in 7 Wollespinnereien (6 durch Wasser, 1 durch Pferde betrieben) etwa 100 Arbeiter ihr Auskommen. Jährlich wurden hier 1.000-1.200 Zentner Wolle verarbeitet, der Verkauf von Tuch u. Bieber er-brachte Einnahmen in Höhe von 130.000 bis 140.000 Taler. Außerdem arbeitete in der Stadt eine blühende Maschinenfabrik, welche zur Wollenmanufaktur dienen, mit einem Jahrsumsatz von 20.000 Taler. Weiter bestan-den hier 10 Lohgerbereien, 8 Holz-Handlungen, 4 große Leinewandhandlungen, 1 große Ziegelfabrik. Die Schiff-fahrt scheint an Bedeutung verloren zu haben, jetzt nur noch 6 Schiffer mit 13 größeren u. kleineren Schiffen. Unter den zahlreichen Handwerkern der Stadt waren allein 80 Schuhmacher und 25 Schreiner.64 - Die Eröff-nung der Gesamtstrecke der „Kurfürst Friedrich Wil-helms Nordbahn“ (1849) löste die bis dahin bedeutende Fuldaschiffahrt als Transportmittel ab. Die von Landau erwähnten 6 Schiffer hatten keine Nachfolger mehr. Bei der Handwerker- und Ackerbürgerstadt Melsungen ent-standen im 19. und 20. Jahrhundert weitere Fabriken, die nach dem 2. Weltkrieg meist von moderneren Branchen abgelöst wurden. Die letzten drei Melsungener Tuchfab-riken schlossen in den 50er und 60er Jahren für immer ihre Pforten. Von den drei traditionsreichen Druckereibe-trieben der Stadt hat sich bis heute eine erhalten. - Mel-sungen hatte 1900 3.638, 1925 4.481 und 1950 7.625 Einwohner.65 Nach der Gebietsreform, 1974, wohnten in der Gesamtstadt (mit den acht neuen Stadtteilen) 13.510 Einwohner, davon etwa 9.500 in der Kernstadt. In der heutigen Großgemeinde Melsungen leben insge-samt 15.022 Personen, davon in der Kernstadt 10.714.66 -

Morgen an die Kreise Witzenhausen und Eschwege; gegen Mit-tag an die Kreise Rotenburg und Homberg; gegen Abend an den Kreis Fritzlar und gegen Mitternacht an den Kreis Cassel. In-nerhalb dieser Graenze liegen 3 Staedte, 62 Doerfer und 15 Ho-efe, welche zusammen 3.724 Wohnhaeuser und 24.782 Einwoh-ner zaehlen. Das Amt Melsungen liegt an beyden Ufern der Ful-da in der Mitte des Kreises, bestehet aus einer Stadt, 23 Doerfern und 6 Hoefen, welche 1.399 Wohnhaeuser und 9.548 Einwohner zaehlen. 1. Melsungen eine Stadt, Sitz der Kreis-Behoerde und Amts-Hauptort am linken Ufer der Fulda, ueber welche hier seit 1595 eine steinerne Bruecke fuehrt. Am rechten Ufer der Fulda liegen wenige Haeuser, welche erst vor 90 Jahren daselbst an-gebauet worden sind. Die Stadt hat ein von dem Landgrafen Wilhelm IV. erbauetes Schloß, bedeutender Brenn- und Werk-Holzhandel und mit dem Hof Kuhmannsheide 405 W[ohnhäuser] und 2.967 E[inwohner]. - Weitere Angaben nach Keyser, Städ-tebuch Hessen, Art. Mels., S.330 Ziff.6 e.

63 Angabe nach Keyser, Städtebuch Hessen, Art. Mels., S.330 Ziff.6 e.

64 Landau, Kurfürstenthum Hessen, S.265 f. 65 Angabe nach Keyser, Städtebuch Hessen, Art. Mels., S.330

Ziff.6 e. 66 Stand: 31. Dez. 1997 (nach frndl. Mitteilung der Stadtverwal-

tung Melsungen). - Das heutige Stadtgebiet beträgt 63,11 qkm. Seit 1970-1974 (hessische Gebietsreform) gehören die bis dahin selbständigen Dorfgemeinden Adelshausen, Günsterode, Keh-renbach, Kirchhof, Obermelsungen, Röhrenfurth und Schwar-zenberg als Stadtteile zu Mels. (nach Kaiser/Zabbée, Schwalm-Eder-Kreis). - Die Größe der Stadtgemarkung betrug 1895 und

Melsungen ist seit dem späten 18. Jahrhundert, aber besonders erst seit den 20er Jahren stark über die mittel-alterlichen Grenzen hinausgewachsen. Besonders in diesem Jahrhundert ist die Stadt siedlungsmäßig stark ausgeufert und hat sich in den Außenbereichen im Ver-gleich noch zum letzten Jahrhundert stark verändert. Vor allem ein großes medizinisch-pharmazeutisches Unternehmen mit weltweiter Bedeutung (Braun AG) tritt in der modernen Stadttopographie deutlich in Erschei-nung.67 Daneben sind besonders auch mittlere Betriebe des textil-, holz- und metallverarbeitenden sowie graphi-schen Sektors und die Zentrale eines großen Lebensmit-telbetriebes68 zu nennen, die sich im Randbereich der Stadt angesiedelt haben. - Bis zur Gebietsreform war Melsungen Kreisstadt (seit 1821), entsprechend sind hier noch mehrere Behörden (des Schwalm-Eder-Kreises) vorhanden. Kreisstadt und Verwaltungsmittelpunkt des am 1. Jan. 1974 geschaffenen Schwalm-Eder-Kreises ist Homberg/E. Melsungen ist im modernen Raumentwicklungsplan als Mittelzentrum eingestuft worden, ist Sitz von Behörden, Ämtern, Bildungseinrichtungen und Diensteistungs-betrieben für ein Einzugsgebiet von rund 50.000 Men-schen. Als gewerblicher und industrieller Schwerpunkt stellt die Stadt nicht nur ihren Bürgern Arbeitsplätze zur Verfügung, sondern auch mehr als 5.474 Einpendlern (1996). Die Zahl der Auspendler beträgt 1.788 (1996). Von den 8.320 in der Stadt Beschäftigten arbeiteten jeweils etwa 71 Prozent im produzierenden Gewerbe, 12 Prozent im Dienstleistungsbereich und etwa 17 Prozent im Handel.69

Die Bedeutung der Stadt als Einkaufszentrum hat sich in den letzten Jahren noch erhöht. Die landschaftlich reizvolle Umgebung des Fulda-, Eder- und Pfieffetals sowie die Täler und Höhen des kurhessi-schen Berglandes mit seinen ausgedehnten Wäldern machen Melsungen in der zweiten Hälfte dieses Jahr-hunderts zu einem Naherholungs- und Ferienort mit steigender Attraktivität. Auch nach heutigen Vorstellungen ist Melsungen in baulicher Hinsicht (durch sein topographisches Erschei-nungsbild), wirtschaftlich und rechtlich eine Stadt, ein Mittelzentrum, das sich deutlich von dem es umgeben-den Land abhebt, den inzwischen meist eingemeindeten Dörfern.70

Besonders im Vergleich zu der Nachbarstadt und jahrhundertelangen Konkurrentin Spangenberg71,

noch ca. 1957 1.650 Hektar, der Stadtwald umfaßte 1948 557 Hektar (nach den Angaben von Keyser, Städtebuch Hessen, S.321, Art. Mels., Ziff.14 a).

67 Die Zahl der Braun-Beschäftigten in Mels. beträgt z.Zt. ca. 4.200.

68 Es handelt sich um eine Zentrale der Einkaufsgemeinschaft deutscher Kaufleute (EDEKA) mit z.Zt. ca. 700 Beschäftigten.

69 Nach frndl. Angabe der Stadtverwaltung Mels. vom 20. 6. 1998 (Stand der statistischen Angaben: 30. 6. 1996).

70 Nach den Angaben bei Kaiser/Zabbée, Schwalm-Eder-Kreis; vgl. den reichhaltigen, gut ausgestatteten Bildband über die heu-tige Stadt und ihre Stadtteile von Riemann/Naleppa, Melsungen. Bildband.

71 Über mindestens zwei Jahrhunderte hatte Spangenberg (Sp.) die ältere Konkurrenzstadt Mels. einwohnermäßig, wirtschaftlich und politisch überflügelt. - Im Juni 1996 hatte Sp. mit den ein-gemeindeten zwölf Stadtteilen etwa 6.793 Einwohner, wovon in

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dem noch mehrfach in bezug auf die spätmittelalter-lichen Verhältnisse nachzugehen sein wird, ist die langjährige Kreisstadt Melsungen heute nicht nur die größere, sondern auch die bedeutendere und funktionsträchtigere der beiden.

der Kernstadt ca. 3.000 Personen lebten. Siedlungsmäßig hat die Kernstadt Sp., die im Raumentwicklungsplan als Kleinzentrum eingestuft ist, trotz vorhandener Neubaugebiete ihr spätmittelal-terlich-frühneuzeitliches Stadtbild erhalten. Die Kernstadt weist sämtliche Infrastruktureinrichtungen im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen und der privaten Versorgung auf und ist im Verhältnis zu ihrer Größe - wie anscheinend bereits im Spätmit-telalter - überdurchschnittlich gut ausgestattet. Die Stadt hat ei-nen Einzugsbereich von etwa 10.000 Menschen. Das Kleinzent-rum Sp. ist ebenfalls ein Kristallisationspunkt der Versorgung im Nahbereich, des Einkaufs und der öffentlichen Dienste, dazu ein Schulmittelpunkt. In Sp. hat der Einzelhandel seine wichtige zentrumsgestaltende Funktion behaupten können. Die Stadt ver-fügt vorwiegend über mittelständische Betriebe, bes. kleinere Säge-, Maschinen-, Armaturen- und Textilfabriken, ebenso zwei pharmazeutische Betriebe. Im Juni 1996 wies Sp. 1.192 Aus-pendler und 916 Einpendler auf. Viele Auspendler arbeiten bei VW in Baunatal oder bei Braun in Mels. Das historische, ausge-sprochen schön gelegene sogen. „Liebenbachstädtchen“, eben-falls zu den besterhaltenen Fachwerkstädten Hessens gehörend, mit dem malerischen, die Stadt hoch überragenden spätmittelal-terlichen Burgschloß, hat die besten Voraussetzungen, den Wirt-schaftssektor Fremdenverkehr noch weiter erfolgversprechend auszubauen (zu Sp. heute vgl. Stadt Spangenberg. Dorfentwick-lungsplan; Festschrift 675 Jahre Stadt Spangenberg; zur Ge-schichte der bedeutendsten Sp.er Bauten Helm, Bürgerhaus, S.53-59, T.32-38, 39b, 113b; auch Pfeiffer, Geschichte des Schlosses Spangenberg [mit dem wichtigen baugeschichtlichen Beitrag von Fenner, Schloß Spangenberg]; vgl. auch Wittmann, 650 Jahre Stadtrechte; Wittmann, Spangenberg; Knierim, Stadt-kirche und Hospitalkapelle Spangenberg; Knierim, Hospitalka-pelle); als Überblick gut Großmann, Spangenberg; Groß-mann/Hoppe, S.227-231. - Seit der Gebietsreform gehören als Stadtteile Bergheim, Bischofferode, Elbersdorf, Herlefeld, Lan-defeld, Metzebach, Mörshausen, Nausis, Pfieffe, Schnellrode, Vockerode-Dinkelberg und Weidelbach zu Sp. Das Stadtgebiet hat eine Fläche von 94,96 qkm (nach Kaiser/Zabbée, Schwalm-Eder-Kreis).

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C. ZUR STADTTOPOGRAPHIE UND ORTSGRUNDRISSENTWICKLUNG

1. Natürliche Lage und frühe Besiedlung des Melsungener Raumes

Die kleine nordhessische Stadt Melsungen liegt am mitt-leren Lauf der in nördliche Richtung fließenden Fulda, in der verhältnismäßig engen, fruchtbaren Talaue der Fulda. Die Fuldaaue wird im Westen von einem nördlichen Ausläufer des Knülls mit dem Heiligenberg und im Os-ten von einem zwischen Söhre und Stölzinger Gebirge gelegenen Höhenzug (Riedforst) begrenzt.72 Der Boden des von der Fulda durchflossenen Talkessels wird als durchschnittlich und von mittelmäßiger Fruchtbarkeit bezeichnet. Mancherorts erscheint er tonig und steinig.73

Etwa 11 km nordwestlich von Melsungen mündet die Eder bei Grifte in die Fulda. Die Ebene bildet von dort aus einen natürlichen Zugang zum Eder- und Schwalmtal (Fritzlar). Das Fuldatal stellt eine naturräumliche Ver-bindung zwischen dem Süden (Fulda und Hersfeld) und dem Norden (Kassel, Göttingen) dar. Eine weniger be-queme, die Höhen überquerende Verkehrsverbindung von West nach Ost ist allerdings bereits für die Frühzeit anzunehmen.74

Etwa zweieinhalb Kilometer oberhalb von Melsungen mündet die Pfieffe in die Fulda, deren Ost-West-Verlauf auch dem Verkehr die Möglichkeit bot, nach Überwin-dung einer kurzen Höhenstrecke nach Waldkappel in das Wehretal vorzudringen und von dort aus das Tal der Werra und damit die Verbindung zum Thüringer Wald und zum Eichsfeld zu erreichen. Die natürliche Ver-kehrslage des Melsungener Raumes kann als gut be-zeichnet werden.75

Das mittlere Tal der Fulda war ohne Zweifel schon in der Jungsteinzeit besiedelt, wenn sich bisher auch keine

72 Vgl. die Übersicht bei Finis, Die siedlungsgeographischen Verhältnisse in der niederhessischen Senke.

73 Vgl. den Überblick von Armbrust, Melsungen, S.121. - Die besten Böden der Gemarkung Mels. liegen zwischen Hof Kuh-mannsheide (westl. der Stadt) und Bürstoß. Das dort liegende Ackerland erreicht Bonitätswerte zwischen 70 und 75, die in der Gemarkung Mels. im Durchschnitt bei 60 liegen. - Dagegen lie-gen die Wertzahlen im (fruchtbaren) Waberner Becken, bei Wa-bern, zwischen 90 und 95 (Nach frndl. Hinweis vom Vorstands-mitglied des Geschichtsvereins Mels. Kurt Maurer/Kreis-katasteramt Mels.). - Zur Lage Mels.s vgl. auch unsere am Ende von Bd. 3 beigefügte Farbkarte der mittelalterlichen Verkehrs-verhältnisse im Mels.er Raum.

74 Verkehrsgeschichtliche Hinweise zum Mels.er Raum bieten v.a. die Ausarbeitungen W. Görichs: Görich, Manuskript Karls-schanze; Görich, Stadtgrundriß Melsungen; Görich, Manuskript Melsungen, hier bes. S.1 f., 5-8, 10; aber auch Heß, Städtegrün-dungen, S.70 f., 74, 77 f.; Patze, Entstehung Landesherrschaft, S.459; Bruns/Weczerka, S.339-341, 344-346.

75 Zur Verkehrslage von Mels. vgl. bes. die nachfolgenden Ab-schnitte.

neolithischen Funde in der Gemarkung von Melsungen haben nachweisen lassen.76

Die ältesten archäologischen Zeugnisse aus dem Mel-sungener Raum stammen aus urnenfelder- bzw. hallstatt-zeitlichen Flachbrand- und Körpergräbern des frühen ersten vorchristlichen Jahrtausends.77

Die spätere Besiedlung des Melsungener Gebietes bis zum 9. Jahrhundert nach Christi Geburt ist noch immer weitgehend unbekannt.78

76 Vgl. zuletzt Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern

Bd. 50, bes. S.11-78, und Bachmann u.a., Schwalm-Eder-Kreis, ohne Nennung neolithischer Befunde für die Gemarkung Mels.

77 Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern Bd.50, S.101 Abb.12-14, 103 Abb. 3, 106, 126 Nr.38a; Bachmann u.a., Schwalm-Eder-Kreis, S.66; Jockenhövel, Bronzezeit, S.236. - Die Funde stammen aus einem Urnengräberfeld mit mindestens 26 Gräbern in der Flur „In den Steinen“ westl. der Stadt. Außer-dem wurden 1952 im Georgenfeld östl. von Mels. mehrere hall-stattzeitliche Funde geborgen. Darauf bezieht sich wohl auch der Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern Bd. 50, S.126 Nr.38b. Der hallstattzeitliche Flachbrandgrabfriedhof von Mels. ist der größte bekannte in Niederhessen (Jockenhövel, Ei-senzeit, S.257). - Vgl. auch den Überblick von Schmidt, Mel-sungen, S.9-11.

78 Bei drei antiken Bronzemünzen (nach Akten des Hessischen Landesmuseums Kassel) handelt es sich vermutlich um Funde aus Mels. Die Fundumstände für eine um 284/247 v. Chr. in Ä-gypten geprägte Bronzemünze des Ptolemaios Philadelphos, eine 168/170 n. Chr. in Rom geprägte Bronzemünze Marc Aurels und eine nicht näher bestimmte Bronzemünze des 3. Jhd.s sind leider nicht bekannt (Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmä-lern Bd. 50, S.186 Nr.32-34).

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2. Mittelalterliche Verkehrsverhältnisse

Zur Straßenlage Die hessische Altstraßenforschung vermutet für den mittelalterlichen Raum von Melsungen und Obermelsun-gen das Vorhandensein von drei Fuldafurten, die vom west-östlich ausgerichteten Fernverkehr benutzt wur-den.79

Der frühe Fernverkehr bevorzugte danach die oft auf den Wasserscheiden verlaufenden, nur geringe Höhenunter-schiede aufweisenden trockenen Höhenwege und wählte nur im Notfall den Weg durch die besonders im Frühjahr und Herbst hochwassergefährdeten feuchten und deshalb schlecht befahrbaren Niederungen. Wenn dennoch die Täler durchfahren werden mußten, so geschah dies auf dem kürzestmöglichen Weg. Die dafür jeweils in Frage kommende Talenge liegt in der Regel etwas oberhalb der vom Verkehr aufgesuchten Flußdurchfahrten.80

Die Talenge bei Obermelsungen (ca. 1.750 Meter fulda-aufwärts von Melsungen entfernt81) hat im Bereich der heutigen Fuldabrücke eine Breite von etwa 300 m, die Talenge bei der Stadt (Melsungen) eine Niederungs-wegstrecke von etwa 250 Metern und die bei der Fahre - etwa drei Kilometer oberhalb von Melsungen - ebenfalls von etwa 250 Metern aufzuweisen.82

79 Vgl. bes. Görich, Manuskript Melsungen, S.1-3 passim, 5-8, 10;

Görich, Manuskript Karlsschanze. Vgl. auch unsere am Ende von Bd. 3 beigefügte Farbkarte der mittelalterlichen Verkehrs-verhältnisse im Mels.er Raum mit Angabe von insgesamt neun bekannten mittelalterlichen und frühneuzeitlichen bekannten Furten zwischen Malsfeld und Röhrenfurth; gemeint sind hier die drei Fuldafurten Nr.3 (Fahre), 6 (Obermels.) und 7 (St. Ge-orgs- oder St. Georgenfurt) sowie Furt 4, die Straßendurchfahrt durch die Pfieffe (die Pfieffefurt, wohl identisch mit der ortsna-mengebenden 'Schwerzelfurt' bei + Schwerzelfurt).

80 Vgl. u.a. Landau, Heer- und Handelsstraßen, bes. S.14-16, 99 f.; zu den v.a. von W. Görich weiterentwickelten Vorstellungen des frühen Verkehrssystems vgl. etwa Görich, Straße, Burg und Stadt; Görich, Straßen und Burgen in Oberhessen; Görich, Rast-Orte; Görich, Taunus-Übergänge und Wetterau-Straßen; Görich, Ortesweg, Antsanvia und Fulda; Landau, Einleitung zu Landau, Heer- und Handelsstraßen; Görich, Einleitung zu Schellhase; Görich, Grünberg; ausführlicher auch Görich, Manuskript Mel-sungen. - Zusammenfassend Weber, Landstraßen und Chaussee-bau, S.190 f.

81 Gemeint ist die Entfernung zwischen Stadtkirche Mels. und Pfarrkirche Obermels.

82 Görich (Manuskript Karlsschanze und Manuskript Melsungen) hat sich sehr intensiv mit den frühen Verkehrsverhältnissen im Mels.er Raum beschäftigt. Zu den angesprochenen Fernver-kehrsstraßen sowie zu den Straßen von Hessen nach Thüringen und Nürnberg vgl. bereits Landau, Heer- und Handelsstraßen, S.78-80; Bruns/Weczerka, S.340, 344-346; ausführlich Heß, Städegründungen, S.78. - Zur Verkehrslage Mels.s im Mittelalter bisher Landau, Heer- und Handelsstraßen, bes. S.40; Heß, Städ-tegründungen, S.70 f., 74, 77 f.; Patze, Entstehung Landesherr-schaft, S.459; umfassend Görich, Manuskript Melsungen, S.1-3, 6, 10 f., 15, 17-21 passim; Bruns/Weczerka, S.339-341, 344-346. - Furt 3 der am Ende von Bd. 3 beigefügten Farbkarte

Aufgrund dieser naturräumlich bedingten Verhältnisse ist keineswegs als sicher83 anzunehmen, daß sowohl die „ältere Sälzerstraße“84 von Büraberg bzw. Fritzlar über Gensungen vom Südhang des Heiligenberges her als auch die Verkehrsverbindung von Treysa über Berge(-Mardorf) ursprünglich die Fulda nur bei Obermelsun-gen85 durchquerten, um dann über den Melsungener Galgenberg auf die bereits 1057 genannte silvatica via86 zu gelangen. Diese - von Görich favorisierte - Straße ist

83 Görich (Manuskript Karlsschanze und Manuskript Melsungen)

betonte mehrfach die alleinige Bedeutung der Furt bei Obermels. (Furt 6) in der Frühzeit, die uns aber anhand der jetzt ermittelten naturräumlichen Daten als mehr als fraglich erscheint. Die Furt bei St. Georg (Furt 7) liegt jedoch hinsichtlich der benachbarten „Karlsschanze“ genauso günstig wie die Furt bei Obermels. (Furt 6). Folgende Furten im Großraum Mels. müssen hier au-ßerdem erwähnt werden: Die Fuldafurt an der Fahre, die Furt am Pfieffrain (Furt 5), die jedoch in mittelalterlicher Zeit wegen der zu breiten und deshalb nur sehr schwer passierbaren Fuldaaue offensichtlich ohne jede Bedeutung war, und die Pfieffefurt (ver-mutlich identisch mit der ortsnamengebenden Schwerzelfurt; Furt 4). - Nach frndl. Hinweisen vom Vorstandsmitglied des Ge-schichtsvereins Mels. K. Maurer/Kreiskatasteramt Mels.

84 Die Sälzerstraße, hat mit größter Wahrscheinlichkeit ihren Namen von den über viele Jahrhunderte bedeutenden Salinen bei (Bad) Sooden-Allendorf. Über Jahrhunderte waren diese Salz-werke der Ziel- und Ausgangspunkt der Salzhandel betreibenden Träger des Fernverkehrs. - Zur dortigen seit der Karolingerzeit nachweisbaren Salzgewinnung, zu den Salineneinrichtungen und zur bedeutenden Stellung der Pfännerschaft als politische Füh-rungsgruppe der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Kleinstadt Reccius, S.6, 37-51, 72, 90-99 passim (zur Neuzeit); Heß, Städ-tegründungen, S.88-105 passim; ein Überblick u.a. auch bei Lü-ckert, Bad Sooden-Allendorf, S.7-9. - Karl der Große hatte ca. 768/779 seinen Ort Westera (d.i. Sooden) mit Salinen, Siede-pfannen und Leuten sowie Markt und Zoll an Kloster Fulda ge-schenkt (Stengel, UB Fulda I, Nr.140; der Inhalt der Urkunde wurde von Eberhard verfälscht).

85 Herr K. Maurer/Mels. weist auf den Verlauf eines Zweiges des Sälzerweges über Elfershausen (und weiter nach Homberg/E.) hin, der seit 1869 in Elfershausen die Katasterbezeichnung Säl-zerweg bzw. Sälzerstraße trägt. Dieser Weg führte zunächst rela-tiv geradlinig vom Westrand der Stadt Mels. (Fritzlarer Tor) südl. am Schlothang vorbei, dann südwestl. (an Obermels. vor-bei) bis nach Elfershausen, wie bereits die Schleensteinsche Äm-terkarte zeigt (J. G. Schleenstein, Landesaufnahme der Land-grafschaften Hessen-Kassel 1707/1710; Original im Besitz der Staatsbibliothek Berlin; benutzt nach den Kopien im Hess. Lan-desamt für geschichtliche Landeskunde Marburg; inzwischen als Nachdruck hrsgg. vom Hess. Landesvermessungsamt Wiesba-den. Bl.6: LANDKARTE, VON DEN ÄMPTERN GUDENSBERG, FELTZBERG UND MELSUNGEN). Das Mels. betreffende Blatt der Niveau Karte Kurfürstenthum Hessen, auf 112 Blättern nach 1/25000 d(er) w(irklichen) G(röße), aufgenommen 1847 u. 1848 von Vogel (mit Nachträgen bis 1857), Blatt Melsungen (Nd des Hess. Landesvermessungsamtes Wiesbaden) gibt recht genau den Verlauf dieser im Gelände durch mehrere Hohlwegbildun-gen (Runsen) erkennbare Wegstrecke an. - Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, daß auch die Fernstraße „durch die langen Hessen“ (zu ihr weiter unten) über diesen Wegabschnitt führte.

86 Weirich, UB Hersfeld 1,1, Nr.19 (um 1057 auf Karl den Großen gefälschte Urkunde zum Jahr 786). - Zu dieser Urkunde vgl. v.a. die Ausführungen im Abschnitt D 3.1., S.328-331 passim.

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vielleicht auf dem Schöneberg zu lokalisieren.87 Die genannten Verkehrswege führten als Teil eines überregi-onalen Verkehrssystems vor allem zu den wichtigen Werrafurten von Witzenhausen (Ermschwerd), Sooden-Allendorf (Westera) und Niederhone (Eschwege). - Eine Ost-West-Straße, die am Südhang des Heiligenberges (etwa 6 km westlich Melsungen) entlangführt, wurde durch die Gräben und Täler (an der Stelle des heutigen Autobahnzubringers B 253 oberhalb von Hombach und Hilgershäuser Höhle) nach Melsungen heruntergeführt. Diese Straße hätte nur mit Schwierigkeiten und unter Inkaufnahme von Umwegen nach Obermelsungen gelan-gen können, während sie mühelos zur St. Georgsfurt führen konnte und nach Flußüberquerung über das Georgenfeld den Schöneberg erreichte.88

Allerdings hatte der im Hochmittelalter sehr wichtige Sälzerweg, der direkt bei Melsungen die Fulda durch-querte, wohl bereits in früherer Zeit als Fernweg nach den Werra-Übergängen zwischen Witzenhausen und Hannoversch-Münden89 einige Bedeutung. Dennoch soll er weniger wichtig gewesen sein als die über Obermel-sungen führende Straße. Görich deutet den Verlauf eines „untergeordneten Zubringers“ von der Schwalmfurt bei Harle oder von Treysa auch gleichzeitig als Abzweigung von der „älteren Sälzerstraße“. Diese Abzweigung führte über den Obermelsungener Eichelberg zum Kohlberg, am späteren Spital St. Georg vorbei bis zur Melsungener Fuldafurt in der Nähe der Brücke (ursprünglich jedoch vermutlich durch die - ältere - St.Georgen- oder St.Georgsfurt) und von dort zum Sälzerweg. Die Melsungener Fuldafurt (unterhalb der steinernen Melsungener Fuldabrücke?) ist ausgesprochen schwierig zu lokalisieren, da besonders die Böschung im östlichen Uferbereich durch verschiedene Baumaßnahmen (Wehr, Brücke, Eisenbahn) mehrfach verändert wurde.90 Die Sälzer Straße (Waldstraße) führte, von Osten kommend, noch 1842 vom heutigen Fliedergraben (einem mittelal-terlichen Hohlweg) gerade durch, am staatlichen Brü-ckenhaus vorbei, zur Fuldabrücke.91 Bei der Suche nach

87 Herr K. Maurer/Mels. weist auf die Möglichkeit hin, daß die Verlagerung des (frühen) Verkehrs zwischen Reichen-bach/(Hessisch-) Lichtenau und Mels. vom Schöneberg zum Riedforst erst durch den Bau der Brücke bei Mels. (also im 12./13. Jhd.) ausgelöst wurde, die bis dahin vermutlich die St. Georgsfurt benutzt hatte.

88 Nach frndl. Hinweis von Herrn K. Maurer/Mels., der nach nochmaliger Überprüfung des Blattes Melsungen der Niveau Karte Kurfürstenthum Hessen, auf 112 Blättern nach 1/25000 d(er) w(irklichen) G(röße), aufgenommen 1847 u. 1848 von Vo-gel (mit Nachträgen bis 1857) (Nd des Hess. Landesvermes-sungsamtes Wiesbaden), einen Weg nachweisen kann, der noch 1847/1848 auf dieser alten, zuvor beschriebenen Trasse zu ver-laufen schien. - In der am Ende von Bd. 3 beigefügten Farbkarte der mittelalterlichen Verkehrsverhältnisse im Mels.er Raum ist die St. Georgsfurt als Furt 7 bezeichnet.

89 Görich, Manuskript Melsungen. 90 In der beigefügten Farbkarte der mittelalterlichen Verkehrsver-

hältnisse im Mels.er Raum ist diese als Furt 8 bezeichnet. 91 Stadtverwaltung Mels., Städtisches Bauamt, Feldmarck Melsun-

gen, Stadtcharte in 25 bzw. 30 Blättern von 1842, vermessen von Diedel und Gegel 1842, Maßstab 1:500, Darstellung des Gelän-des östl. der Fuldabrücke, der Zetterberg und am Leisehüppel, vor den starken Veränderungen infolge des Baues der Eisenbahn (nach frndl. Hinweisen der Herren K. Maurer/Geschichtsverein Mels. und Howard Westoll M.A./Mels.). - Auf der am Ende von Bd. 3 beigefügten Farbkarte der mittelalterlichen Verkehrsver-

der vor dem 12./13. Jahrhundert vom Fernverkehr be-nutzten Haupt-Fuldafurt in der Melsungener Gegend dürfte jedoch die Furt nahe der jüngeren, erst in Zusam-menhang mit der Anlage der Stadt erbauten Fuldabrücke ausscheiden, da die hier aus verschiedenen Gründen ungünstige Fuldaniederung durchquert werden mußte. Die Niederung war in diesem Bereich recht weit, war sumpfig und deshalb für den Fernverkehr unbequem.92 - Dagegen lag die St. Georgsfurt wesentlich günstiger.93 Topographisch dürften sich die Kirche St. Georg und die ländliche Vorgängersiedlung Melsungen genauso als frühe und günstige Etappenpunkte mit Möglichkeit des Flußüberganges auszeichnen, wie Görich dies für Ober-melsungen herausgestellt hat.94 Der Sälzerweg war jedoch als wichtige Fernverbindung nicht so bedeutend wie die „ältere Sälzerstraße“.95

„Eigentliche Bedeutung“ könnte aber der Furt bei der Fahre oder bei dem nahen Malsfeld in der Zeit der natur-gebundenen Höhenwege zugekommen sein, als der Fernverkehr von hier aus den Anschluß nach Osten und Südosten fand.96 Hier suchte der überörtliche Verkehr die Verbindung zur „Hohen Straße“ auf der Wasser-scheide von Fulda und Werra, zum Thüringer „Renn-steig“ hin, und zu den anderen östlichen Verkehrsverbin-dungen.97

Die Gründe für die stauferzeitliche Gründung der Stadt Melsungen an einer weniger bedeutenden oder stärker nach Nordosten (in Richtung Kassel) ausgerichteten Höhenstraße versuchte v.a. Görich damit zu erklären,

hältnisse im Mels.er Raum wird diese Streckenführung als „Neue Sälzer Straße“ bezeichnet.

92 Als Ergebnis einer fruchtbaren Diskussion mit Herrn K. Mau-rer/Geschichtsverein Mels.

93 Vgl. die am Ende von Bd. 3 beigefügte Farbkarte der mittelalter-lichen Verkehrsverhältnisse im Mels.er Raum (Furt 7).

94 Ein Acker zu Mels. vor deme vorte wird bereits um 1350 er-wähnt (StAM, K 1, Bl.75 Nr.156; Demandt, Regesten Landgra-fen, Nr.156). In einer Urkunde von 1394 wird die Furt bei St. Georg ausdrücklich genannt (StAM, X 1, Depositum Mels., 1394 April 1), ebenso im Zinsregister von 1451 bei der Rege-lung der Fischereigerechtsame zu Mels. ([...] daz wasßir pobir der sentt Jorgen fortte [...]; StAM, Rechnungen I, Zinsregister 1451, Kart.81/35, Bl.6v). - Das ldgfl. Salbuch von 1575 nennt drei verschiedene Furten anläßlich der Beschreibung der Fisch-wasser-Abschnitte der Fulda: Zunächst beschreibt es den Ab-schnitt vom Erleswoigk, under der Fahrbrucken, bis uff den Fohrtt, so under der Pfieffe durch die Fuldaw nach Ober-Melsungen gehett; weiter das Waßer von Sanct Georgenfohrt ahn, bis uff das Wehr obig der Muhlen, der Heytwoig genannt; ebenso das Wasser under der Brucken hinab, bis uff den Fohrtt under dem Wendelsberge (StAM, S/481, Bll.9v-10r). - Die St. Georgsfurt dürfte, wie bereits angedeutet, die ältere Furtstelle gewesen sein. Die 8-9 m breite „Hospitalsfurt“ war noch in den 20er Jahren dieses Jhds. erhalten. Sie befand sich östl. des Hos-pitalgebäudes. Im 19. Jhd. ist man noch mit Wagen durch die „Hospitalsfurt“ gefahren (nach frndl. Auskunft von Herrn Adam Schmidtkunz/Mels. + (1915-1998) vom 20. 9. 1984 - nach des-sen eigener Erinnerung und nach Erzählung von dessen Groß-mutter). - Die Furt wird auch von Armbrust, Melsungen, S.144, erwähnt.

95 Görich, Manuskript Melsungen, S.1 f. 96 Auf der am Ende von Bd. 3 beigefügten Farbkarte der mittelal-

terlichen Verkehrsverhältnisse im Mels.er Raum die Furten 3, 2 und 1.

97 Zu den angesprochenen Fernverkehrsstraßen: Landau, Heer- und Handelsstraßen, S.78-80; Bruns/Weczerka, S.340, 344-346; Gö-rich, Manuskript Melsungen.

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daß „man (wie auch sonst gelegentlich zu beobachten) den Ansitz alten Hoheits-Rechtes (zu Obermelsungen) ausschließen wollte“.98 Letztlich sind die Gründe für den Aufbau der neuen Marktsiedlung an genau dieser Stelle konkret nicht einwandfrei zu klären. Wir sind auch hier nur auf Vermutungen angewiesen. Die Bedeutung des ldgfl. Stützpunktes Melsungen be-stand andererseits, dies läßt sich als ein weiteres Motiv für die Stadtgründung vermuten, auch darin, daß hier der kürzeste Weg zwischen den mainzischen Hauptorten Fritzlar und Rusteberg bzw. Heiligenstadt vorbeiführte und daher vom Ldgfn. bzw. seinen Verbündeten (wie durch Burg Reichenbach) gesperrt werden konnte.99

Während Görich sich vor allem mit der Rekonstruktion des Verlaufs der frühen Straßen des Melsungener Rau-mes beschäftigte, hat sich Heß weitgehend auf die Be-schreibung der (besser belegbaren) hoch- und spätmittel-alterlichen Verkehrswege beschränkt.100 Heß betont zunächst einmal die Gründung der Stadt genau an der Fuldafurt. An dieser Furt soll die sehr bedeutende Hö-henstraße des Sälzerweges von Fritzlar nach Westera (Sooden-Allendorf a.d. Werra) den Fluß durchquert haben.101 - Nicht berücksichtigt wurde dabei die günsti-gere Lage der nahen, nur etwas mehr als 500 m flußauf-wärts in der Fuldaschleife gelegenen St. Georgsfurt. Die Verlagerung der Verkehrsführung des Sälzerweges an die flußabwärts gelegene Fuldafurt erfolgte womöglich erst in Zusammenhang mit der Gründung der auf den Bau einer Brücke ausgerichteten Marktsiedlung.102 - Der Sälzerweg war Teil einer Fernstraße, die von den Nieder-landen über das Sauerland ins Thüringische führte.103 Eine nicht weniger wichtige und alte Fernstraße, die durch die langen Hessen, zweigte (zunächst) wohl bei Melsungen in südwestlicher Richtung ab und führte über Homberg/E., Treysa und Grünberg nach Mainz oder Frankfurt/Main.104 Die Bedeutung der Verkehrsführung

98 Zit. Görich, Manuskript Melsungen. - Zu den Straßen von Hes-sen nach Thüringen und Nürnberg Landau, Heer- und Handels-straßen, S.78-80.

99 Görich, Manuskript Melsungen. 100 Heß, Städtegründungen, S.70, 74 f., 77 f. 101 Gemeint ist Furt 8 der die am Ende von Bd. 3 beigefügten

Farbkarte der mittelalterlichen Verkehrsverhältnisse im Mels.er Raum.

102 Für den Bau einer Fuldabrücke war das flach ansteigende Ufer-gelände bei St. Georg weniger geeignet als der ausgesuchte Standort bei der Marktsiedlung, wo am östl. (stark ansteigenden) Ufer keine Brückenrampe notwendig war (nach frndl. Hinweis von K. Maurer/Mels.).

103 Heß, Städtegründungen, S.20, 70, 74 f., 94. 104 Zur Fernverkehrsstraße „durch die langen Hessen“ von Frankfurt

durch die Wetterau nach Norden, durch Niederhessen (über Mels. nach Waldkappel), wo sich der Fernweg gabelte und so-wohl über Eschwege, Mühlhausen nach Leipzig, als auch über Netra, Creuzburg/Werra und Eisenach nach Erfurt führte: Lan-dau, Herr- und Handelsstraßen, S.26, 35-41 passim, 61-69, 71 f., 80; Heß, Städtegründungen, S.19 f., 70; Bruns/Weczerka, S.340-349, 464; Schöntag, Untersuchungen zur Geschichte des Erzbis-tums Mainz unter den Erzbischöfen Arnold und Christian I. (1153-1183), S.11 f.; vgl. zuletzt die Zusammenfassung von Rothmann, Zur regionalen Identität einer Durchgangslandschaft, S.220 mit nachfolgender Straßenkarte. - Der südwestl. Mels. verlaufende Streckenabschnitt der Straße „durch die langen Hes-sen“ bis nach Homberg/E. mag mit dem Weg Richtung Elfers-hausen identisch sein; vgl. auch S.27.

von Treysa nach Melsungen wird von der Forschung allerdings unterschiedlich eingeschätzt.105

Bei den fehlenden frühen verkehrsgeschichtlichen Quel-len ist eine einwandfreie Beurteilung der Verkehrslage bzw. die Einordnung einzelner örtlicher Wegführungen oder Streckenabschnitte in ein überregionales Wegesys-tem nur sehr schwer möglich. Die Anlage eines großen, ursprünglich rechteckigen Marktplatzes (Stadtplatzes) in Melsungen im 12. Jahrhundert ist jedoch nur sinnvoll mit der Annahme zu erklären, daß die zeitgenössische Ver-kehrssituation des Ortes ausgesprochen gut war und eine entsprechend große Zahl von Kaufleuten, Fuhrleuten und Marktbesuchern regelmäßig erwartet werden konnte.106 - Einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit besitzt die Vermutung, daß mit der Anlage der Stadt Melsungen auch der Bau einer Fuldabrücke geplant war, was jedoch nicht weiter nachweisbar ist.107

Bereits im 13. Jahrhundert muß die Stadt Melsungen verkehrsmäßig zumindest teilweise „ins Abseits“ ge-drängt worden sein. Als Grund hierfür wird eine Ver-kehrsverlagerung vom Sälzerweg auf die Pfieffetalstraße (über Spangenberg, Waldkappel, Reichensachsen und Eschwege) verantwortlich gemacht.108 Diese neue Straße überquerte nun wenige Kilometer südlich von Melsun-gen in zwei Armen die Fulda (an den Furten bei der Fahre oder bei Malsfeld 109 und bei Altmorschen).110 Der Verkehr nach Thüringen, der offenbar nicht mehr oder nur noch teilweise durch Melsungen führte, ließ um die Mitte des 13. Jahrhunderts im Pfieffetal bei der Burg Spangenberg eine Stadt entstehen, die einen raschen wirtschaftlichen Aufschwung nahm und vermutlich Mel-sungen „das Wasser abgrub“.111

105 Görich, Manuskript Melsungen, im Gegensatz zu Heß, Städte-

gründungen, S.70. 106 In diesem Sinne deutet auch Heß, Städtegründungen, bes. S.76,

den Stadtplan: „[...] Die geräumige Stadtanlage mit einem Marktplatz, der etwa zweimal so groß ist wie der Grünberger, zeigt, welche Erwartungen der Landgraf in seine Gründung ge-setzt hatte.“ - Der große Marktplatz mag aber auch in seiner Ent-stehungszeit dazu gedient haben, daß sich Fuhrleute und Kauf-leute mit ihren Wagen auf die Überquerung der Fuldafurt vorbe-reiten oder von ihr ausruhen bzw. bei fortgeschrittener Tageszeit auch an diesem sicheren Ort übernachten konnten (Dies ent-spricht auch den Vorstellungen von Dr. Willi Görich).

107 Heß, Städtegründungen, S.82, ist der Meinung, daß die Mels.er Brückenstraße bereits bei ihrer Anlage als „Zufahrt zur Brücke“ gedacht war. Jüngere, noch von Dr. W. Görich + angeregte Kel-lerforschungen des Mels.er Geschichtsvereins lassen jedoch be-rechtigt vermuten, daß diese Straße ursprünglich auf eine - auch von Görich für möglich gehaltene - gleich unterhalb der (1398 zuerst erwähnten) Brücke angenommene Fuldafurt zielte. Dies schließt nicht aus, daß mit der Planung der Stadt bereits die di-rekt oberhalb einer Furt zu bauende Brücke geplant war, aber erst nach Jahren oder Jahrzehnten realisiert wurde, oder eine ers-te Brücke dicht neben der Brücke stand, an deren Stelle sich die Bögen der heutigen Steinbrücke über den Fluß spannen.

108 Heß, Städtegründungen, S.75, 77 f.; auch Görich, Einleitung zu Schellhase, S.11, 28 f.

109 Auf der farbigen Karte der mittelalterlichen Verkehrsverhältnis-se im Mels.er Raum die Furten 3, 2 und 1.

110 Görich, Manuskript Mels.; Görich, Einleitung zu Schellhase, bes. S.10, 12, 27-29 passim.

111 Heß, Städtegründungen, S.76-78. - Zu Spangenberg Bruns/Weczerka S.344 ff., 461, 464. Auch Görich, Einleitung zu Schellhase. S.11 f., 29. Unklar ist, ob die Verkehrsverlagerung durch das Pfieffetal vor der Erbauung der Burg Spangenberg zu-standekam oder ob mit der Gründung von Spangenberg auch

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Die den Melsungener Raum betreffenden zeitgenössi-schen Schriftquellen geben zu den mittelalterlichen Ver-kehrsverhältnissen einige, insgesamt gesehen jedoch nur spärliche Informationen. Wir können zu diesem Zweck vor allem verschiedene Stellen in den mittelalterlichen Amtsrechnungen verwerten. Die urkundliche Überliefe-rung ist hingegen aufgrund ihrer anders ausgerichteten Zielsetzung weitestgehend unbrauchbar.112 Bevor wir die Belege für zeitgenössische Verkehrsver-bindungen vorstellen, sollte zunächst noch die Lage der kleinen Territorialstadt Melsungen innerhalb des Netzes der spätmittelalterlichen Stadt- und Wirtschaftszentren des Großraumes knapp umrissen werden: Melsungen liegt etwa 20 km (alle km-Angaben in Luftlinie)113 süd-lich von Kassel, 53 km südwestlich von Göttingen, 117 km westlich von Erfurt, 198 km südwestlich von Leip-zig, 132 km nordöstlich von Frankfurt, und 183 km öst-lich von Köln. - Die wichtigsten Nachbarstädte von Mel-sungen sind im Norden Kassel, Hessisch-Lichtenau (16 km nordöstlich), Spangenberg (9 km östlich), Roten-burg/Fulda (20 km südöstlich), Homberg/E. (15 km südwestlich) sowie Fritzlar (18 km westlich) und Fels-berg (8 km westlich von Melsungen gelegen). Mit Aus-nahme von Kassel und Fritzlar handelt es sich dabei um Städte, die in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht für den Großraum als Einzelkommunen meist weniger bedeutend waren. Zu allen genannten Städten lassen sich für das 15. Jahr-hundert mehr oder weniger intensive verkehrsmäßige und auch wirtschaftliche Beziehungen Melsungens nachweisen oder doch sehr wahrscheinlich machen. Eine den spätmittelalterlichen Wegeentfernungen näher liegende Zusammenstellung bietet im übrigen eine - nach Ausweis der Handschrift - eindeutig von Ldgf. Moritz dem Gelehrten (1572-1632) um 1630 gezeichnete Karte mit beigefügter Entfernungstabelle, die Landttafell uber die Stede in Niderfurstentums.114 Die Karte selbst, aus einer Zeit mit im Vergleich zum Spätmittelalter wohl nicht entscheidend verbesserter Straßen- und Wegesitua-tion, ist gesüdet, kreisrund und hat in Melsungen, dem Alterssitz des 1627 abgedankten Ldgfn., ihren Mittel-punkt. Die Rückseite enthält den entweder sehr unzuverlässig ausgeführten oder zu einer anderen Karte gehörenden

Maßnahmen zur Verkehrsumleitung durchgeführt wurden. Aus-führlicher zur Gründung von Spangenberg unten.

112 Mels. betreffende Urkunden mit konkretem verkehrspolitischen Inhalt, aus dem sich Hinweise auf Straßenverhältnisse und Stre-ckenverbindungen ergeben könnten, haben sich für den Untersu-chungszeitraum - abgesehen von den in diesem Abschnitt (aus-führlich) mitgeteilten seit dem 15. Jhd. - nicht erhalten.

113 Alle folgenden Entfernungsangaben - wenn nicht anders ver-merkt - in Luftlinie; die tatsächlichen Wegentfernungen waren also noch um einiges größer.

114 StAM, Karten P II, Nr.10.529. Die maßstäblich gezeichnete, runde Landkarte ist rechteckig eingerahmt, wobei in den dadurch entstandenen Randzwickeln die Wappen der jeweiligen Territo-rialnachbarn gezeichnet sind, diente wohl der Reiseplanung und -orientierung des Ldgfn. Die Einrahmung ist 31,6 cm hoch und 29,9 cm breit. Die Karte ist am oberen Rand durch Brandeinwir-kung leicht beschädigt, so daß ein geringfügiger, inhaltlicher Verlust (mit den Orten Fulda und Hersfeld) festzustellen ist. Sie-he die beigefügte Karte S.26.

Maßstab und eine Auflistung der Entfernung von Mel-sungen nach den wichtigeren eingezeichneten Orten.115

115 Die Entfernungstabelle (in Meilen) lautet: Von Milsungen nach:

Cassell 2 ½, Kauffungen 2, Lichtenau 2, Waldtcappel 3, Span-geberg 1, Rotenbergk 2 ½, Sontra 3, Hersfeldt 4 ½, Hombergk 1 ½, Schwarzenborn 2, Neukirche 2 ½, Ziegenhain 3 ½, Treisa 3 ½, Borcken 3, Felßberg 1, Gudensberg 1 ½, Fritzlar 2, Wildunge 3, Waldeck 3 ½, Wolfhage 3 ½, Zirenbergk 3, Libenau 4, Hove Geißmar 4 ½, Grebenstein 4, Immenhausen 4, Trendeburg 6 ½, Helmershausen 6 ½, Lippoldtsberg 6, Geiselwerden [Gieselwer-der a.d. Weser bei Lippoldsberg] 6, [Fursten-?]hagen 2 ½ [? Fürstenhagen bei Hess. Lichtenau?], Munden 4 [Hann.-Münden], Wiczenhausen 4, Allendorf 4, Eschwege 4, Wanfridt 5, Trefurth 5 ½, Fach [Vacha] 5, Bergk [Berka], Creutzburgk 5, [...]brun an der Werra [Wolfsbrunnen bei Breitungen/Werra?] 5 ½ [Angaben in Meilen]. Vielleicht diente der beigegebene Maß-stab der Entfernungs-Ermittlung in einer anderen Landkarte. - Nach Verdenhalven, Alte Maße, Münzen und Gewichte, S.36, hatte die Meile in Kurhessen 32.000 Fuß = 9.206,4 m.

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Verkehr von Norden nach Süden Der bedeutende Nord-Süd-Fernverkehr kam unter ande-rem über Northeim und Nörten nach Göttingen. Von Göttingen zog er in südwestlicher Richtung über Hanno-versch-Münden, von dort aus im Fuldatal bis Kassel. Ein bedeutender Teil des nach Frankfurt ziehenden Verkehrs benutzte die große Fernstraße in südwestliche Richtung, die in ihrer wichtigsten Route über Wabern oder Fritzlar, Jesberg, Gilserberg, Halsdorf, Marburg, Staufenberg, Gießen, Großenlinden, Butzbach, Friedberg, Vilbel nach Frankfurt führte.116

Weniger bedeutend war eine Nebenstrecke der Straße von (Braunschweig über) Göttingen nach Frankfurt, die über Melsungen führte. Sie wird von Bruns/Weczerka zu den „kaum belangvollen Straßen“ gezählt. Von Göttin-gen konnten die Kaufleute am Ostufer der Leine entlang nach Süden ziehen. In der Nähe von Arnstein bogen sie auf die von Heiligenstadt nach Kassel führende Straße ab. Zur Umgehung von Kassel verließen Kaufleute (im 15. und 16. Jahrhundert?) diese Straße und zogen nach Überschreitung der Werra (bei Witzenhausen) in süd-westlicher Richtung nach Walburg, Hessisch-Lichtenau und Melsungen. Wie verschiedene Nachrichten des 16. Jahrhunderts zeigen, führte der Verkehr von dieser Stra-ße in Melsungen auch auf die durch die langen Hessen (die den Verkehr von Eisenach nach Frankfurt brach-te).117

Die sogen. „Frankfurter Straße“ zog von Waldkappel über Hetzerode und Bischofferode durch das Pfieffetal nach Spangenberg. Die beiden sich in Spangenberg tei-lenden Straßenstränge vereinigten sich erst wieder in Homberg/E. Der wichtigere, südlichere Verkehrsstrang führte von Spangenberg in südwestlicher Richtung über Eubach zu der bei Altmorschen und der Wüstung Leim-bach gelegenen steinernen Brücke über die Fulda, die bereits im 15. Jahrhundert erwähnt wird.118 Danach er-reichte dieser Straßenstrang das Dorf Wichte, wo bereits 1238 eine strata publica urkundlich nachgewiesen wer-den kann.119 Nach Landau wurde die Melsungener Brü-cke erst zu der Zeit stärker frequentiert, als die Leimba-cher (Altmorschener) Brücke in Zerfall gekommen war und Hochwasser die Benutzung der dortigen Furt

116 Diese Beschreibung der Streckenführung nach Görich, Blatt „Landstraßen 16.-18. Jh.“ (Geschichtlicher Atlas von Hessen, Karte 29 a).

117 Bruns/Weczerka, S.309, 340 f. 118 Die Brücke bei der Wüstung Leimbach wird nach Angaben der

Literatur 1446 zuerst erwähnt (Landau, wüste Ortschaften, S.80, erwähnt zu 1446 die urkundliche Nennung von Wiesen, die „by der steynen Brugken zu Leymbach“ lagen; Landau, Heer- und Handelsstraßen, S.40; vgl. auch Görich, Einleitung zu Schellha-se, Rotenburg, S.33; Heß, Städtegründungen, S.77 Anm.59).

119 Landau, Heer- und Handelsstraßen, S.40. - Görich in: Geschicht-licher Atlas von Hessen, Blatt 29a, bewertet den über die Wüs-tung Leimbach führenden Verkehrsweg lediglich als unterge-ordnete Landstraße. Der Verkehrsstrang über die Fahre (3 km) südl. Mels. wird von Görich als bedeutende Fernstraße einge-stuft (dazu auch Görich, Einleitung zu Schellhase, Rotenburg, S.33 Anm.128). Bruns/Weczerka, S.346 Anm.463, lehnen diese Einschätzung für die mittelalterliche Zeit ab. - Landau, Heer- und Handelsstraßen, S.40, vermutet, daß der erstgenannte Ver-kehrsstrang nach Verfall der Brücke bei + Leimbach an Gewicht verloren habe. - Die Urkunde von 1238 abgedruckt bei Landau, Familie von Trefurt, S.191 Fußnote *.

schwierig bzw. unmöglich machten. Der Weg von Mel-sungen zum Pfieffetal wurde jedoch durch einen steilen Berg (den Melsungener Pfieffrain) erschwert. Erst im späten 18. Jahrhundert wurde nach einem schweren Postkutschenunfall die Wegführung durch Bau eines um den Berg herumführenden Weges erleichtert.120 Diese ungünstige Straßenführung gab in der Frühneuzeit mehr-fach den Grund dazu, den Kurs der Fahrpost zu verle-gen.121

Der nördlichere Strang der „Frankfurter Straße“ führte von Spangenberg aus nach der Fahre an die Fulda (3 km südlich von Melsungen), weiter durch die Gemarkung von Elfershausen nach Ostheim. An der Fahre war im Mittelalter zum Übersetzen über die Fulda ein ortsna-mengebender Fährbetrieb eingerichtet. Außerdem stan-den hier eine Herberge und eine Kapelle, die bis zur Reformation dem benachbarten Kloster Heydau gehör-ten.122

Die „Fahre“ bei Melsungen Das Gebiet der Fahre zählte im 15. Jahrhundert zum Dienstbezirk des ldgfl. Amtes Melsungen. Die Abgaben von der Fischerei an der Fahre und die Gebühren für die Nutzung der Weiden an Pfieffe und Fulda, die jeweils von einem offenbar an der Fahre wohnenden Fischer entrichtet wurden, sind regelmäßig in den Melsungener Amtsrechnungen verbucht.123 Ein in der Melsungener Schultheißenrechnung von 1466/67 verzeichnetes Un-zuchtsdelikt zeigt auch die gerichtliche Zuständigkeit der Melsungener Beamten.124 In Hinblick auf die verkehrs-mäßige Bedeutung der Fahre als Flußübergang ist jedoch die Erbauung einer Brücke (wohl nach der Mitte des 15. Jahrhunderts) von einiger Bedeutung. Während in den älteren Melsungener Amtsrechnungen nur die Faher, die

120 Landau, Heer- und Handelsstraßen, S.40. 121 Armbrust, Melsungen, S.294. 122 Landau, Heer- und Handelsstraßen, S.40; Armbrust, Melsungen,

S.132; Reimer, Historisches Ortslexikon, S.134, 436; Görich, Einleitung zu Schellhase, S.33 und Anm.128. - Eine Fuldabrü-cke an der Furt bei der Fahre (ca. 3 km südl. Mels.), die Fahr-brücke, wird im ldgfl. Salbuch von 1575 (!) erwähnt (StAM, S/481, Salbuch Mels. von 1575, Bl.9v, vgl. den Abdruck in Bei-lage 2.17, S.731). Vgl. Landau, wüste Ortschaften, S.86 Art. „Schwerzelfurt“). Die um 1597 entstandene Fuldakarte von Joist Moers bildet noch die Brücke neben den mit die Faer bezeichne-ten Gebäuden ab (StAM, R III, 7; zu dieser Karte vgl. Engel, S.165-173). Die Brücke war bereits 1615/16 nicht mehr vorhan-den. Dazu und zu den für Hof Fahre geplanten und weitgehend nicht realisierten Bauprojekten des Besitzers, Ldgf. Moritz: Helm, Bauprojekte, S.185-187, Taf. 1-7, dazu auch Broszinski, Kasseler Handschriftenschätze; Hanschke, Architekturzeichnun-gen des Ldgfn. Moritz, S.268 f., Katalog, S.277 f. Nr.303 a und b (Schloßprojekt nicht realisiert; allein 67 Zeichnungen sind von dem geplanten Sommerhauß in Fahre erhalten). Die 1615/16 beidseits der Fulda gelegenen Baulichkeiten von Fahre und Fahrhoeff hat Dilich in zwei Landtafeln (des Bezirks Malsfeld und des Amtes Mels.) im Bild festgehalten (Stengel, Landtafeln, Bl.XX und XXI); es handelt sich um eine ldgfl. Schenke und um ein Wirtshaus der Riedesel.

123 Z.B.: StAM, Rechn.I, Mels., Zinsregister 1445 (Kart.81/29), Bll.2r, 3r, 8v; ebd. Zinsregister 1446 (Kart.81/30), Bll.2r, 3r; ebd. Zinsregister 1448 (Kart.81/32), Bl.2r (zu Ostern 1447); ebd. Zinsregister 1449 (Kart.81/33), Bl.3r.

124 Ebd. Schhr.1466/67 (Kart.82/1), Bl.15v: Item myt Metzin an der faher mann.

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Fähre, Erwähnung findet, wird im Einnahmeregister des Schultheißen von 1457/58 eine neue Brücke erwähnt, die mit einem Brückenneubau an der Fahre in Verbindung gebracht werden kann.125 Das gleichzeitige Schulthei-ßen-Ausgaberegister vermerkt Ausgaben für einen aus-gesandten Boten, der sich um den mit Bauarbeiten zur Brücke an der Fahre beauftragten Zimmermann küm-mern sollte. Anscheinend war der Schultheiß von Hom-berg allein- oder wenigstens mitverantwortlich für diesen Brückenbau, da er nach einem weiteren Eintrag wegen der Brücke geholt wurde.126

Auch der Schultheiß von Spangenberg war für die Brü-cke an der Fahre zuständig, wie sich aus der Spangen-berger Amtsrechnung von 1462 ergibt, in der Arbeiten am Schlag(baum) und am Stock bei der Fahre Erwäh-nung finden.127 Wahrscheinlich war mit der Erbauung der Brücke gleichzeitig auch die Einrichtung einer ldgfl. Weggeldstation vorgenommen worden, in deren Zu-sammenhang Schlag und Stock erklärt werden können. Ein Zöllner an der Fahre wird zuerst 1509 erwähnt.128

Verkehrsanbindung „durch die langen Hessen“ über Spangenberg nach Waldkappel Die Anbindung des Verkehrs über (Spangenberg und) Waldkappel, „die durch die langen Hessen“ über Wald-kappel, gehörte nach Görich zu einer ‘großen Fernstra-ße’, die im 17./18. Jahrhundert stark an Bedeutung ver-lor. Danach stellte diese Fernstraße (bis zur Frühneuzeit) eine wichtige Verkehrsverbindung auf der Strecke zwi-schen Frankfurt und Eisenach dar. Sie zweigte von der großen Nord-Süd-Verbindung Frankfurt-Kassel von Gießen bzw. Marburg aus ab und führte in nordöstlicher Richtung, über Ebsdorf, an der Amöneburg vorbei, über Kirchhain, Treysa, Frielendorf, Homberg/E., dann in zwei Wegstrecken (davon eine über die Fahre südlich Melsungen nach Spangenberg) bis nach Waldkappel.129 - 1509 gebot der hessische Ldgf. Wilhelm II., daß die von Thüringen, Meißen, Böhmen, Polen oder anderswo kommenden, bei Berka oder Vacha hessisches Geleits-gebiet erreichenden Kaufleute weiter über Spangenberg,

125 Ebd. Schhr.Einn. 1457 (Kart.81/14), Bl.5r: Item 7 phunt ueffge-nomen von dem schultheißin zcu Spanginb(er)g vor daz ho-bephert, als men dem gericht.[?] zcue der nuewien bruegkin ver-kouefft hatte. - Dazu Armbrust, Melsungen, S.129-132 passim; Görich, Einleitung zu Schellhase, Rotenburg, S.33 mit Anm.128.

126 Ebd. Schhr.Ausg.1457/58 (Kart.81/15), Bl.2r: Item 16 d. Andre-ße deme boddin zcue der Lichtnauwe, als er eym zcemerman ho-len solte, der zcu der brugkin an der Faher arbeidin solde. Item demselbin 2 s. keyn Homberg nach dem schulth(eißen), zcu ko-men an die Faher von der brugkin willen. - Ebd., Schhr.Frucht 1457 (Kart.(81/16), Bl.3v (Ausg. Korn): Item 1 fir(te)l dem zcemmermanne an die Faher zcue der brugkin.

127 StAM, Rechn.I, Spangenberg, Schhr. 1462 (Kart.96/12), Bl.13v: Item Kruge 1 lb., das er 3 tage arbeite an der brugkin bie der Fore und den eynne slag machte. Item ußgegeben Memsm. A-peln.[?] uff sontag nach purificacionis [Marie] vor 2 losse, eyn uff de burg und eyn an den slag bie der Fere 15 b(o)h(misch). Item dem kannengisser 7 s. vor blie an den stogk bie der Fere. - In den Mels.er Amtsrechnungen wird die brucken an der Farhe noch 1491 erwähnt (StAM, Rechn.I, Mels., Kellnerrechng. 1491, Kart.82/17, Bl.5r).

128 Demandt, Personenstaat, Nr.984 (Hermann Halbleib). 129 Diese Beschreibung der Streckenführung nach Görich, Blatt

„Landstraßen 16.-18. Jh.“ (Geschichtlicher Atlas von Hessen, Karte 29 a).

Homberg/E., Treysa, Kirchhain, Gießen, Butzbach und Frankfurt ziehen sollten.130 Danach hätten die von Eise-nach kommenden Kaufleute um 1509 über die Hersfelder und dann die Nürnberg-Kasseler Straße einen Umweg in Kauf nehmen müssen, um über Waldkappel zu fahren. Dies scheint aber nicht die Regel gewesen zu sein.131 Im Februar 1558 schlug Kurfürst Joachim von Brandenburg bei seiner Fahrt von Berlin zur Kaiserwahl nach Frank-furt folgende Route ein: Leipzig, Eckartsberga, Weißen-see, Langensalza, Creuzburg/Werra, Waldkappel, Span-genberg, Homberg/E., Treysa etc. Dagegen reiste Kur-fürst August von Sachsen mit seiner Gemahlin, dem König von Dänemark und den Herzögen von Holstein und von Lüneburg von Dresden aus über Treffurt, Wan-fried, Eschwege, Waldkappel, Spangenberg, Melsungen, Homberg/E., Ziegenhain, Kirchhain, Marburg, Gießen, Butzbach zum Wahl- und Krönungsort am Main.132 Die sogen. „Frankfurter Straße“ zog von Waldkappel über Hetzerode und Bischofferode durch das Pfieffetal nach Spangenberg. Die beiden sich in Spangenberg teilenden Straßenstränge vereinigten sich erst wieder in Hom-berg/E. Der wichtigere, südlichere Verkehrsstrang führte, wie bereits geschildert, von Spangenberg in südwestli-cher Richtung über Eubach zu der bei Altmorschen und der Wüstung Leimbach gelegenen steinernern Brücke über die Fulda, die wohl im 15. Jahrhundert zuerst er-wähnt wird.133 Danach erreichte dieser Straßenstrang das Dorf Wichte, das schon 1238 an einer strata publica lag. Die großen Schwierigkeiten, die der sehr steile Weg von Melsungen zum Pfieffetal bereitete, wurden bereits ange-sprochen.134

Über Waldkappel zog eine von Kassel über Hoheneiche, Ifta und Creuzburg/Werra nach Eisenach führende Straße (deren Benutzung als Fernstraße, wie bereits erwähnt, 1509 und 1558 zu erschließen ist).135 Ziel einer Ver-kehrsanbindung über Spangenberg war Waldkappel, das an der bedeutenden, in südöstliche Richtung führenden Fernstraße lag, die von Kassel über Oberkaufungen, Walburg, Waldkappel und weiter über Netra und Creuz-burg/Werra nach Eisenach führte.136 Südlich Waldkappel zweigten von dieser Fernstraße gleich mehrere andere Verkehrsverbindungen ab: Eine in nördliche Richtung gehende Straße führte nach Sooden-Allendorf, eine in nordöstlicher Richtung nach Eschwege und Wanfried, eine oder zwei Straßen führten in Rich-tung Süden nach Sontra. Eine weniger bedeutende Straße, die unmittelbar Mel-sungen berührte, zog von Fritzlar in östlicher Richtung über Felsberg nach Melsungen, wo sie auf die gleicher-weise nach Osten führende Straße nach Hessisch-Lichtenau und Walburg stieß, die sich in Walburg mit

130 Landau, Heer- und Handelsstraßen, S.26 Anm.**, 63.

Bruns/Weczerka, S.344 f. 131 Bruns/Weczerka, S.345. 132 Landau, Heer- und Handelsstraßen, S.63 f., 71 f.;

Bruns/Weczerka, S.345. 133 Wie bereits oben erwähnt (siehe S.27, Anm. 118-119), wird die

Brücke bei der Wüstung Leimbach nach Literaturangaben 1446 zuerst erwähnt (Quelle nicht bekannt).

134 Siehe dazu die vorausgegangenen Anmerkungen. 135 Bruns/Weczerka, Kap. III b Nr.25, S.345. 136 Diese Beschreibung der Streckenführung nach Görich, Blatt

„Landstraßen 16.-18. Jh.“ (Geschichtlicher Atlas von Hessen, Karte 29 a). - Bruns/Weczerka, Kap. III b Nr.25 sowie S.345.

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der von Kassel kommenden Straße Richtung Creuz-burg/Werra und Eisenach kreuzte. In nordöstlicher Rich-tung führte eine andere Straße von Walburg ab weiter und stieß nördlich davon auf eine Straßenverbindung von Kassel über Oberkaufungen und Großalmerode nach Witzenhausen. Die Anbindung des Melsungener Raums an die Ver-kehrsadern nach Osten ist mehrfach überliefert. Am 16. Aug. 1421 war Melsungen militärische Etappen-station Ldgf. Ludwigs I. und seiner Leute bei seinem Zug gegen die Hussiten, der ihn weiter nach Waldkappel (24 km östlich Melsungen), Großenlupnitz und Prag (360 km südöstlich von Melsungen) führte.137 Vermutlich schlug das Heer die Hauptverkehrsrichtung über Mühlhausen, Naumburg, Leipzig und Chemnitz bis Prag ein.138 Ein anderer Teil des in Richtung Süden ziehenden Fern-verkehrs folgte aber von Kassel aus weiter dem Lauf der Fulda (deshalb der Name „Fuldatalstraße“ für diesen Teil der „Nürnberger Straße“). Diese wichtige Fernstraße, die Melsungen berührte, zog von Kassel aus über Dörnha-gen, Nieder-Aula, Ober-Wegfurth, Fulda, Motten, Brü-ckenau und Neu-Wirtshaus nach Hammelburg.139

Wie von der Landesgeschichtsforschung bereits heraus-gearbeitet wurde, hat im Spätmittelalter diese nicht un-bedeutende Verkehrsader für Melsungen an Gewicht gewonnen. Die von Kassel über Hersfeld nach Fulda führende sogen. Fuldatalstraße nahm auch den aus Westfalen kommenden Messeverkehr als Nürnberger Straße auf, war offenbar stark befahren und wurde mit verschiedenen Streckenabweichungen noch in der Neu-zeit häufig benutzt.140

Die sogen. Nürnberger Straße, die Verkehrsanbindung über Rotenburg, Hersfeld und Fulda, tritt in den erhalte-nen Quellen zum Verkehr relativ gut hervor. Die von der verkehrsgeschichtlichen Forschung als „nicht unbedeutend“ eingestufte Route von Göttingen bzw. Kassel über Meiningen nach Nürnberg ist auch durch mehrere Zeugnisse des 16. Jahrhunderts als stark befahren bekannt. Sie führte - wie bereits angedeutet - auch über Melsungen. Mehrfach von der Literatur zitiert wurde die zurückge-legte Strecke der Weinwagen, die im Jahr 1508 den im Auftrag Ldgf. Wilhelm II. von Hessen gekauften Rhein-fall-Wein über München, Nürnberg, Erlangen, Forch-heim, Neuses, Bamberg, Reckendorf, Fischbach, Barch-feld, Berka und weiter über Weiterode, Rotenburg/F. und Melsungen nach Kassel fuhren.141 Die gleiche Strecke benutzten 1580 auch die Markgrafen Georg Friedrich von Brandenburg und Friedrich Ernst von Baden mit ihrem stattlichen Gefolge (238 Reitpferde, 4 Kutschen und 13 Rüstwagen), als sie von ihrem Hof zu Ansbach ins Herzogtum Schleswig zogen. Als Stationen werden u.a. bis Kassel Neustadt, Kitzingen, Schweinfurt, Kö-

137 Küch, Hussitenkrieg, S.283. 138 Vgl. die Übersichtskarte bei Bruns/Weczerka, Atlas, Karte A. 139 Diese Beschreibung der Streckenführung nach Görich, Blatt

„Landstraßen 16.-18. Jh.“ (Geschichtlicher Atlas von Hessen, Karte 29 a).

140 Landau, Heer- und Handelsstraßen, S.40, 94 f.; Bruns/Weczerka, S.340, 344-346; ausführlich Heß, Städtegründungen, S.78. Vgl. auch Armbrust, Melsungen, S.294.

141 Landau, Heer- und Handelsstraßen, S.94; Bruns/Weczerka, S.340.

nigshofen, Römhild, Wasungen, Berka, Rotenburg/F. und Melsungen erwähnt.142 Auch als Pfalzgraf Friedrich sich im Februar 1586 sich zur Vermählungsfeier seines Bruders Karl nach Celle begab, zog er, von Bamberg kommend, über Rotenburg/F., Melsungen, Kassel, Han-noversch-Münden und Göttingen nach Celle.143

Melsungener Verkehrsbelege des Spätmittelal-ters und der Frühneuzeit

Verkehrsbelege des 15. Jahrhunderts für die „Nürnberger Straße“

1438 erhielten die 15 Pferde der ldgfl. Gefolgsleute Otto von Mühlenbach und Eckebrecht von Grifte vom Mel-sungener Schultheißen ihre Heurationen, als sie von Wien (585 km südöstlich von Melsungen) zurückka-men.144 Auch am 3. Juni 1439 fütterte der Schultheiß in Melsungen myne heren dyner mit myne heren pherden, als sy von Estirrich komen waren.145 - Am 28. Jan. 1441 nahmen hier Meister Heinrich146 und Konrad Volk-hard147, als sie in ldgfl. Auftrag von Bamberg (168 km südöstlich von Melsungen) zurückkamen, eine ausgiebi-ge Mahlzeit ein. Drei Tage später, bei ihrer Rückkehr von Bamberg, ließen sich auch die Herren Räte Ldgf. Ludwig I. zum Teil mit ihrem Hofgesinde vom Melsun-gener Schultheißen mit Wein, Gewürzen und Schönbrot verköstigen.148 - Ein anderes Mal, im Jahr 1450, rastete hier Ldgf. Ludwig I. auf dem Rückritt von Nürnberg (ca. 213 km südöstlich von Melsungen).149 - Am 29. Jan. 1455 treffen wir in Melsungen die Ldgfin. (Anna) auf der Durchfahrt, von Spangenberg kommend, an.150 - Ldgf. Ludwig II. kam am 5./6. Nov. 1458 von Kassel und wollte zum Hof des Herzogs von Brandenburg reiten (wohl nach Ansbach, 219 km südlich von Melsungen).151 - Am 21. April 1459 kam Ludwig II. auf dem Ritt nach Franken hier durch (als geplantes Ziel wird Nürnberg angegeben). 17 Tage später, am 8. Mai 1459, machte der Ldgf., auf der Rückreise von Nürnberg, wieder in Mel-sungen halt.152 Anfang März 1461 kamen die ldgfl. Räte auf ihrem Rückritt von Nürnberg nach Melsungen und wurden vom Schultheißen mit Fastenspeise verköstigt.153

142 Landau, Heer- und Handelsstraßen, S.95; Bruns/Weczerka,

S.340. 143 Landau, Heer- und Handelsstraßen, S.95. 144 StAM, Rechn.I, Mels., Schhr.1438/39 (Kart.81/2), Bl.8r. 145 Ebd. Schhr.1439 (Kart.81/3), Bl.2v. 146 Meister Heinrich kann nicht einwandfrei identifiziert werden. 147 Demandt, Personenstaat, Nr.3169; Gundlach, Zentralbehörden 3,

Dienerbuch, S.280. K. Volkhard, der bedeutende ldgfl. Schrei-ber, Heimlicher, Rat und Kaplan, war u.a. Dekan des Martins-stiftes Kassel und erscheint von 1442 bis 1481 als Pfarrer von Mels.

148 StAM, Rechn.I, Mels., Schhr.1440/41 (Kart.81/6), Bl.5v. 149 Ebd. Schhr. Geld 1450 (Kart.81/9), Bl.3r. 150 Ebd. Schhr.1454/55 (Kart.81/12), Bl.7r. 151 Ebd. Schhr.1458 (Kart.81/17), Bl.11r. - Näheres zum Grund

dieses Rittes und zum glanzvollen Hof des Markgrafen von Brandenburg aus dem Hause Hohenzollern, des Kurfürsten Alb-recht Achilles (1440-1486, seit 1470 Kurfürst), und seiner Resi-denz in Ansbach bei der Behandlung von LA 68 im Kapitel D 2.1., besonders S.280, 296, 305; außerdem zu LA 68, S.657.

152 StAM, Rechn.I, Mels., Schhr.1458 (Kart.81/17), Bl.13r, 13v. 153 Ebd. Schhr.1460/61 (Kart.81/21), Bl.14r. - Die Verköstigung der

Gewaltiger des Ldgfn., nämlich des Hofmeisters Konrad Volk-hard, des Kanzlers und des Landvogts Sittich von Berlepsch, wird anläßlich desselben Rittes auch in den Vachaer Amtsrech-

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- Die Melsungener Kellner-Fruchtrechnung erwähnt zum 1. Okt. 1470 die Fütterung der Pferde des ldgfl. Kanzlers, als her quam geretden selbfunffte von Nurenberg.154 - Am 20. Juni 1471 (?) war Ldgf. Ludwig II. bei einem Abstecher in Melsungen, vermutlich auf dem Ritt zum Kaiser, zum Reichstag nach Regensburg (297 km südöst-lich von Melsungen).155 - Vor dem 6. Jan. 1494 kamen hier ldgfl. Wagen mit Pferden durch, als sie die buchssen zcu Norinberg holtten.156 Die Wagenpferde mußten in Melsungen neu beschlagen werden.157- Am 10. Dez. 1499 wurden 13 Pferde der Fuhrknechte vom Melsunge-ner Kellner versorgt, als sie im ldgfl. Auftrag nach der bussen furn gein Norinberg.158 - Erst nach dem 7. Jan. 1500 kamen sie persönlich mit 18 Pferden und dem Büchsenmeister von Nürnberg zurück.159 - Ldgf. Wil-helm II. ist am 9. Febr. 1500 in Melsungen nachweisbar, als er sich auf dem Ritt zum Reichstag nach Augsburg befand.160

Mehreren Rechnungsauszügen zufolge wurde gerne auch die Wegstrecke der „Nürnberger Straße“ über Roten-burg/F. benutzt: Am 23./24. Juni 1441 begegnet uns die Ldgfin. in Mel-sungen auf der Fahrt nach Rotenburg/F. und am 26./27.

nungen verbucht (Vgl. Demandt, Personenstaat, Nr.156 Anm.13). Am 1. März 1461 fanden in Nürnberg Verhandlungen wegen des Krieges zwischen Markgraf Albrecht Achilles von Brandenburg und Herzog Ludwig dem Reichen von Bayern-Landshut statt, die allerdings ergebnislos endeten (Lt. frndl. Ausk. des Stadtarchivs Nürnberg vom 19. 3. 1998).

154 StAM, Rechn.I, Mels., Kellnerrechng. Frucht 1470 (Kart.82/14), Bl.14r. - Der den Lgf. begleitende Kanzler war Dr. Laurentius Schaller, der am 29. Okt. 1467 von Ldgf. Ludwig II. die Bestal-lung als Kanzler auf 5 Jahre erhalten hatte und als dessen Kanz-ler bis zum 5. Dez. 1471 belegt ist (Gundlach, Zentralbehörden 3, Dienerbuch, S.333; Demandt, Personenstaat, Nr.2593). Zu L.Sch.vgl. auch S.302 Anm.2452.

155 StAM, Rechn.I, Mels., Schhr.1471 (Kart.82/7), Bl.22v. 156 Die Metallverarbeitung hatte in Nürnberg bereits im 14. Jhd.

einen sehr hohen Grad der Spezialisierung erreicht, erlebte zur Mitte des 15. Jhds. eine lange behauptete Blüte. Besondere (ü-berregionale) wirtschaftliche Bedeutung erlangte bereits im 13. Jhd. die Waffenherstellung. Im 15. Jhd. wurden auch die haupt-sächlich aus Bronze gegossenen Geschütze der Nürnberger Waf-fenschmiede zum bedeutenden Exportprodukt der oberdeutschen Reichsstadt. Vgl. dazu die breite Gesamtübersicht von Ammann, wirtschaftliche Stellung Nürnberg, wonach das „Kernstück der Nürnberger Gewerbeleistung [...] das zur richtigen Industrie mit umfassendem Fernabsatz auswachsende Metallgewerbe“ dar-stellte (Zit. ebd. S.48), bes. ebd. S.48-69. Zu Herstellung und Absatz der rasch aufkommenden Feuerwaffen (Handbüchsen und Geschütze, Pulver und Munition), die von der Nürnberger Waffenindustrie bereits in kurzer Zeit in großer Anzahl und in allen ihren Arten produziert wurden, bes. ebd. S.50, 53, 57 f., 61 f.; ein knapper Überblick etwa auch bei Wendehorst, Reichsstadt Nürnberg, hier S.20. – Es handelt sich offenbar nicht um jene (in Mels. stehende?) buechsin, die Ende Juni oder Anfang Juli 1497 von dem als Fußknecht aus Mels. stammenden Hermann Lepper (mit Pferden) von Mels. nach Rotenburg/F. und zurück gebracht wurde (StAM, Rechn.I, Mels., Kellnerrechng. 1497 , Kart. 83/8, Bl.11 v).

157 Ebd. Spezialrechnung für Ldgf. Wilhelm 1493/94 (Kammer-schreiber Kassel, Kart.16/6), Bl.10v.

158 Ebd. Rechn.I, Mels., Kellnerrechng. 1499/1500 (Kart.83/9), Bl.12v.

159 Ebd. Bl.13r. 160 Ebd. Kellnerrechng. 1499 (Kart.83/9), Bll.8r, 20v-21v - Augs-

burg liegt 324 km südl. von Mels.

Juni 1441 auf der Rückfahrt von dort.161 - Am 22./24. Aug. 1457 kam hier Ldgf. Heinrich III. durch, der zuvor in Rotenburg/F. war.162 - Am 26./27. Aug. 1458 ist Ldgf. Ludwig II. auf seinem Ritt von Rotenburg/F. in Melsun-gen.163 - Beide Ldgfn., Ludwig II. und Heinrich III., kamen am 15. Juni 1459 um 5 Uhr abends in Melsungen an und ritten aber noch weiter nach Rotenburg/F.164 - In der ersten Augusthälfte 1459 besuchte auch die Ldgfin. Mechthild, die Frau Ludwigs II., in Begleitung von zwei Jungfern, von Rotenburg (aus?) die nördliche Nachbar-stadt an der Fulda.165 - Ldgf. Ludwig II. und seine Frau (Mechthild) kamen am 5. Aug. 1460 mit den Sängern von Rotenburg aus nach Melsungen.166 - Vom 3. auf den 4. Sept. 1460 übernachteten beide Ldgfn., Ludwig II. und Heinrich III., hier in Melsungen, um am nächsten Tag den Weiterritt nach Rotenburg/F. anzutreten.167

Verkehrsbelege für die auch über Hersfeld führende „Nürnberger Straße“

Am 12. März 1433 kam Ldgf. Ludwig I. auf dem Ritt nach Hersfeld (31 km südöstlich Melsungen) in die Stadt.168 - Ldgf. Ludwig II. befand sich am 6.(/7.?) Mai 1464, als er durch Melsungen kam, auf dem Ritt nach und bei seinem Besuch vom 11. Mai 1464 auf dem Rückritt von Hersfeld.169 - Ldgf. Ludwig II. war auch am 9. Jan. 1468 mit zahlreichen Bewaffneten unterwegs, und zwar mit dem ldgfl. Heer in Richtung Hersfeld.170

Die über Buchenau führende „Nürnberger Straße“ wird in folgenden weiteren Rechnungseinträgen erkennbar: Am 9. Nov. 1467 wird Ldgf. Ludwig II. hier auf dem Durchritt nachweisbar in Zusammenhang mit einer mili-tärischen Aktion, dem Zug nach Buchenau171, zwei Tage später bereits auf der Rückkehr von Buchenau.172

Verkehrsbelege für Straßenverbindungen zwischen Melsungen und Kassel

Die Straßenverbindung von Melsungen nach Kassel ist häufig nachweisbar und noch häufiger erschließbar:

Am 7. Juli 1441 befand sich die durch Melsungen kom-mende Herzogin Margarethe von Braunschweig-Lüneburg, Schwester Ldgf. Ludwig I., auf der Durch-fahrt nach Kassel.173 - Am 30. Jan. 1459 machte hier der Ldgf. halt, als er von Waldau (bei Kassel, 17 km nördlich Melsungen) kam.174 - Ldgf. Ludwig II. kam am 23. Aug. 1460 von der Jagd in Beisheim, machte hier Rast und ritt dann weiter nach Kassel.175

161 Ebd. Schhr.1441 (Kart.81/6a), Bl.2v. 162 Ebd. Schhr.1457/58 (Kart.81/15), Bl.3v. 163 Ebd. Schhr.1458 (Kart.81/17), Bl.10r. 164 Ebd. Schhr.Ausg.1459 (Kart.81/20), Bl.2r. 165 Ebd. Schhr.Ausg.1459 (Kart.81/20), Bl.3v. 166 Ebd. Schhr.1460 (Kart.81/21), Bl.12v. 167 Ebd. Schhr.1460 (Kart.81/21), Bl.13r. 168 Ebd. Schhr.1432/33 (Kart.81/1), Bl.10v. 169 Ebd. Rmr.1463/64 (Kart.81/23), Bl.9v; ebd. Rmr.1464

(Kart.81/25), Bll.13r, 17r. 170 Ebd. Fruchtrechng. 1467/68 (Kart.82/5), Bl.7r. 171 Ebd. Schhr. 1467 (Kart.82/3), Bl.6v. 172 Ebd. Fruchtrechng. 1467/68 (Kart.82/5), Bl.6v. 173 Ebd. Schhr.1441 (Kart.81/6a), Bl.3r. 174 Ebd. Schhr.1458 (Kart.81/17), Bl.11r. 175 Ebd. Schhr.1460 (Kart.81/21), Bl.13r.

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Mehrfach wurde als Verkehrsverbindung auch eine Kombination von „Nürnberger Straße“ und „Pfieffe-talstraße“ bzw. „durch die langen Hessen“ benutzt, die z.B. vom Residenzort Kassel aus über Melsungen nach Spangenberg oder von dort zurückführte:

Am 2. Sept. 1457 stoßen wir hier wieder auf Ldgfin. Anna, die Gemahlin Ldgf. Ludwig I., bei einer Fahrt nach Spangenberg.176 - Die Ldgfin. Mechthild, Ehefrau Ldgf. Ludwig II., ist am 21. Juni 1458 in Melsungen auf der Fahrt von Kassel nach Spangenberg177 und zwei Tage später auf der Rückreise von dort nachweisbar.178 - Die ldgfl. Kinder machten am 15. Aug. 1458 in Melsun-gen eine kurze Rast, als man sie von Spangenberg nach Kassel fuhr.179 - Am 7. März 1460 ist Ldgf. Heinrich III., von Spangenberg kommend, in Melsungen nachweis-bar.180 - Am 2. Juni 1467 begegnen uns in Melsungen beide Ldgfn. (die Brüder Ludwig II. und Heinrich III.) auf dem Ritt nach Spangenberg.181

Die Kombination von verschiedenen Straßen: Kassel - Melsungen - Homberg/E. ist in der Melsungener Überlie-ferung ebenfalls faßbar:

Am 7. Juli 1466 kam der Dekan (wohl des Kasseler St. Martinsstiftes) mit sechs Pferden, von denen vier am 22. Juni den Wagen zogen, im ldgfl. Auftrag in Melsungen an und fuhr am Morgen nach Homberg/E. weiter.182 - Am 21. Aug. 1469 besuchten die Räte Ldgf. Ludwig II. ihren Herrn in der Mülmisch. Sie kamen von Hom-berg/E.183

Verkehrsbelege für eine Straße zwischen Fritzlar und Melsungen

Eine nachgeordnete Straßenverbindung von Fritzlar nach Melsungen wird gelegentlich erwähnt: Diese weniger wichtige Straße, die ebenfalls Melsungen berührte, zog von Fritzlar in östlicher Richtung über Felsberg nach Melsungen, wo sie auf die gleicherweise nach Osten führende Straße nach Hessisch-Lichtenau und Walburg stieß, die sich in Walburg mit der Straße von Kassel über Walburg, Waldkappel, Creuzburg/Werra nach Eisenach kreuzte. In nordöstlicher Richtung führte eine weitere Straße von Walburg ab weiter und stieß nördlich davon auf eine Straßenverbindung von Kassel über Oberkaufungen und Großalmerode nach Witzen-hausen.184

Diese „nachgeordnete“ Straßenverbindung von Fritzlar nach Melsungen führte u.U. auch an der Kartause Ep-penberg vorbei: Am 5. April 1468 kam Ldgf. Ludwig II. in die Stadt, nachdem er die Kartause Eppenberg besucht hatte.185

176 Ebd. Schhr.1457/58 (Kart.81/15), Bl.4r. 177 Ebd. Schhr.1458 (Kart.81/17), Bl.8r. 178 Ebd. Schhr.1458 (Kart.81/17), Bl.8r. 179 Ebd. Schhr.1458 (Kart.81/17), Bl.10r. 180 Ebd. Schhr.Ausg.1459 (Kart.81/20), Bl.5v. 181 Ebd. Schhr.1467 (Kart.82/3), Bl.8r. 182 Ebd. Schhr.1465/66 (Kart.81/23), Bl.9v. 183 Ebd. Schhr.1469 (Kart.82/6), Bl.7v; ebd. Fruchtrechng.

(1468/)1469 (Kart.82/9), Bl.18r. 184 Nach Görich, Blatt „Landstraßen 16.-18. Jh.“ (Geschichtlicher

Atlas von Hessen, Karte 29 a). 185 StAM, Rechn.I, Mels., Schhr.Geld 1468 (Kart.82/4), Bl.5r.

Weniger eindeutig zuzuordnende Verkehrsbelege Im Anschluß sollen einige Melsungener Belege aus dem 15. Jahrhundert folgen, die allerdings verkehrsmäßig weniger eindeutig zuzuordnen sind: Als Ldgf. Ludwig I. am 7. Okt. 1450 den Mülmischwäl-dern nahe Melsungen einen (Jagd-) Besuch abstattete, kam er von Eiterhagen (7 km nordöstlich Melsungen).186 - Am 31. Aug./1. Sept. 1457 treffen wir im ldgfl. Städt-chen an der Fulda Ldgf. Ludwig I., der zuvor eine Re-formation des Benediktinerklosters Breitenau (9 km nördlich Melsungen) durchgeführt hatte.187 Er ritt dabei vielleicht über die Fuldatalstraße oder „Nürnberger Stra-ße“. - Am 1./2. Juni 1459 kamen die Landgrafenbrüder Ludwig II. und Heinrich III. von Reichenbach (16 km nordöstlich Melsungen) hierher.188 Sie hatten mögli-cherweise die von Melsungen nach Osten führende Stra-ße nach Hessisch-Lichtenau und Walburg, die sich in Walburg mit der Straße von Kassel über Walburg, Wald-kappel, Creuzburg/Werra nach Eisenach kreuzte, be-nutzt. - Am 22. Juni 1459 machte auch der Graf von Waldeck in Melsungen Rast, bevor er nach Sontra (29 km östlich Melsungen) weiterritt.189 Dabei kommt die von Melsungen nach Spangenberg und Waldkappel füh-rende Verbindung in Frage; südlich Waldkappel zweig-ten von dieser Fernstraße gleich mehrere andere Ver-kehrsverbindungen ab: eine oder zwei Straßen führten Richtung Süden nach Sontra. - Am 9. Sept. 1470 bekam die Jungfrau Margarethe (von Holzheim) hier vom ldgfl. Rentmeister 3 Stübchen190 Wein (das Stübchen zu 6 s.) gereicht, als sie zu ihrer Schwester czu der Tringeln-borgk fahren wollte.191 U.a. 7 s. zahlte der Schultheiß auch der Mätresse des Ldgfn. am 27. und 28. Nov. 1470 (auf ihrer Rückfahrt) vor scho(ne)br(od) uff dinstag unnd myttewochen morgen nach s(an)te Katherinen-daegk, alz jungfrauwe Margareta von Hoelczheym myt erer swester Gerdrude czu Melsungen war myt erin knechten, du se quomen von der Tringelnborgk.192 - Am 5. Okt. 1484 machte hier Ldgf. Wilhelm I. auf dem Rückritt von O-berhessen (von der Lahn) Rast.193 Er hatte zuvor wohl „die durch die langen Hessen“ (bzw. die „Frankfurter Straße“) benutzt. - 1498 nahm der ldgfl. Küchenmeister bei seinem Ritt nach Frankfurt eine Fischmahlzeit in

186 Ebd. Schhr. Geld 1450 (Kart.81/9), Bl.6r. 187 Ebd. Schhr.1457/58 (Kart.81/15), Bl.4r. 188 Ebd. Schhr.1458 (Kart.81/17), Bl.13v. 189 Ebd. Schhr.Ausg.1459 (Kart.89/20), Bl.2v. 190 Stübchen ist ein weit verbreitetes Weinmaß. Vgl. Witthöft,

Umrisse einer historischen Metrologie, S.73 f., 410 f.; Witthöft, Art. Stübchen (Weinmaß).

191 StAM, Rechn.I, Mels. Zinsregister und Rentschreiberrechng. 1470 (Kart.82/20) Bl.15r. - Trendelburg liegt 50 km nördl. von Mels.; Burg und Stadt Dringenberg liegen bei Brakel in Westfa-len. Vgl. Schoppmeyer, Der Bischof von Paderborn und seine Städte, S.44 f. - Zu Jungfrau Margarethe (von Holzheim) vgl. ausführlich Eckhardt, Margarethe von Hessen, hier bes. S.152-163.

192 Ebd. Bl.9v. - Auch unter den Fleischausgaben ist der Besuch vermerkt: Item 5 ½ s. vor grunefleisch uff dinstag unnd mytte-wochen nach s(an)te Katherinentag, du waz jungfrauwe Marga-reta von Hoelczheym myt er swestern Gertrude czu Melsungen (Ebd. Bl.5r); ebenso unter den Weinausgaben: Item 1 ph(u)nt 6 ½ s. 1 d. vor 20 halbe wins, yody halbe 14 d. uff dinstag unnd mittewochen morgen nach s(an)te Katherinentagk vor jungfrau-wen Margareten, alzo sy myt erer swester Gerdrude czu Mel-sungen waz.

193 StAM, Rechn.I, Mels., Kellnerrechng.1484 (Kart.82/15), Bl.5v.

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Melsungen ein.194 Er hatte dabei vermutlich die gleiche Straßenverbindung gewählt.

Straßenverbindungen der frühen Neuzeit (16.-18. Jahrhundert)

Eine von Görich verfaßte Karte des Geschichtlichen Atlas von Hessen versucht übersichtlich, die frühneuzeit-lichen Straßenverbindungen aufzuzeigen. Eine „große Fernstraße“ führte von Northeim in südliche Richtung über Nörten nach Göttingen. Von Göttingen zog sie in südwestliche Richtung über (Hannoversch-) Münden, durch das Fuldatal über Kassel. Der mutmaßliche Haupt-zweig führte weiter in südwestliche Richtung über Wa-bern - oder, als im 17./18. Jahrhundert „abkommende Landstraße“, über Fritzlar, Jesberg, Gilserberg, Halsdorf, Marburg, Staufenberg, Gießen, Großen-Linden, Butz-bach, Friedberg, Vilbel nach Frankfurt. Ein wohl weniger bedeutender Zweig dieser „großen Fernstraße“ führte von Kassel weiter durch das Fuldatal über Dörnhagen, Melsungen, Fahre, Altmorschen, Ro-tenburg, Bebra, Hersfeld, Nieder-Aula, Ober-Wegfurt, Fulda, Motten, Brückenau, Neu-Wirtshaus nach Ham-melburg. Eine dritte im 17./18. Jahrhundert „abkommende große Fernstraße“ führte von Gießen (Abzweiger auch von Marburg) in nordöstlicher Richtung über Ebsdorf, an Amöneburg vorbei, über Kirchhain, Treysa, Frielendorf, Homberg/E., Fahre, Spangenberg nach Waldkappel. - Waldkappel selbst lag an einer in südwestliche Richtung führenden Straßenverbindung („großen Fernstraße“) von Kassel über Oberkaufungen und Walburg. Südlich davon bestanden Abzweigungen nach Norden in Richtung Soo-den-Allendorf, in nordöstliche Richtung nach Eschwege und Wanfried, oder in südliche Richtung nach Sontra - entweder über eine andere, im 17./18. Jahrhundert „ab-kommende Landstraße“oder über die „große Fernstraße“, die in südöstlicher Richtung weiter über Netra nach Creuzburg an der Werra und nach Eisenach zog.

Von Fulda führte in der frühen Neuzeit die in südwestli-che Richtung gehende „große Fernstraße“ über Neuhof, Schlüchtern, Steinau, Salmünster, Gelnhausen und Ha-nau nach Frankfurt. Fulda lag gleichzeitig an des Reiches Straße (von Frankfurt über Hanau, Gelnhausen, Sal-münster, Steinau, Schlüchtern, Neuhof, Fulda, Hünfeld, Buttlar, Vacha, nach Eisenach).195

Melsungen ist gegen Ende des Mittelalters immerhin auf einer bedeutenden Straßenkarte, einer der ersten deut-schen Straßenkarten (von 1501) überhaupt, zu finden. Allein aufgrund dieser Tatsache dürfte sich die gute Verkehrslage Melsungens vermuten lassen: Melsungen ist auf einer der älteren Romwegkarten verzeichnet, allerdings nicht als Etappenpunkt an einer der Hauptrou-ten nach Rom, sondern als verkehrsmäßig nicht unbedeu-tender Nebenort. Es handelt sich hierbei um die zweite verbesserte Auflage der bereits recht genauen, zur Er-leichterung der Reisenden und Rompilger veröffentlich-ten Romwegkarte des Nürnberger Meisters Erhard Etz-

194 Ebd. Rmr. Geld 1498 (Kart.83/4), Bl.5r. 195 Diese Feststellungen nach Görich, Blatt „Landstraßen 16.-18.

Jh.“ (Geschichtlicher Atlas von Hessen, Karte 29 a).

laub.196 Die Erstauflage verzeichnet im nordhessischen Raum neben Kassel Fritzlar, Hersfeld und Fulda. Erst die zweite Auflage, die „Landstraßen-Karte“ von 1501, führt außerdem u.a. Rotenburg/F., Melsungen, Korbach und Treysa auf. Als Melsungen nächstgelegene große Fern-straße erscheint auf der Karte eine als west-östlich ver-laufende Verbindung von Köln nach Siegen, über Mar-burg, Alsfeld nach Hersfeld und von dort nach Thüringen führende Straße. Die wichtige Nord-Süd-Verbindung von Kassel nach Marburg und Frankfurt wird (aus wel-chen Gründen auch immer) hier nicht angedeutet.197

Zusammenfassung Hier gilt festzuhalten, daß sich der Anschluß der Stadt Melsungen und der sie umgebenden Landschaft an die Fernverkehrsverbindungen des Großraumes zur Zeit der Stadtentstehung und auch für die Zeit nach der Gründung der nahe Melsungen gegründeten „Konkurrenzstadt“ Spangenberg (vor der Mitte des 13. Jahrhunderts) rekon-struieren läßt. Sicherer Boden läßt sich jedoch erst auf-grund der erhaltenen schriftlichen Überlieferung für das 15. und das 16. Jahrhundert gewinnen. Aus den ldgfl. Amtsrechnungen des 15. Jahrhunderts geht zunächst einmal hervor, daß von Melsungen aus die benachbarten Städte (vor allem Homberg/E., Roten-burg/F., Spangenberg, Felsberg und Fritzlar sowie Kas-sel), die naturgemäß oft erwähnt werden, in der Regel recht gut zu erreichen waren (mit Ausnahme von stren-gen Wintern, die die Wege durch Schneefall und Eis schlecht passierbar machten).198

196 Die Karte war zum christlichen Jubiläumsjahr 1500 zuerst

erschienen und wurde wegen des großen Erfolges von ihrem Verfasser bereits 1501 noch detailreicher aufgelegt. - Zur „Romweg-Karte“ des Nürnberger Meisters Erhard Etzlaub zum Heiligen Jahr 1500 und zur „Landstraßen-Karte“ des Erhard Etz-laub, gedruckt 1501 bei Jorg Glogkendon zu Nürnberg, zusam-menfassend: Krüger, Rhein-Main-Gebiet; ausführlich Krüger, Älteste Straßenkarten von Deutschland; Krüger, Hessische Alt-straßen, S.13, 24-29 passim.

197 Zwei (von drei) Fassungen (von 1500 und 1501) nebeneinander bei Krüger, Rhein-Main-Gebiet, S.66 f.; beide Karten abge-druckt auch bei Krüger, Älteste Straßenkarten von Deutschland, Taf. IV-V, und die moderne Straßenrekonstruktion Taf. VI; die 2. Kartenauflage von 1501 in Originalgröße und farbig im An-hang von Langosch, Cochlaeus. Brevis Germanie Descriptio (1512); ein guter Farbabdruck des Hessen betreffenden Aus-schnitts (1501) vergrößert bei Wolff, Wetterau und Vogelsberg, S.8 (mit Melsung). Zur Karte u.a. auch Denecke, Art. Romweg-Karte zum Heiligen Jahr 1500, der nach Krüger von drei Fas-sungen und von insgesamt 12 erhaltenen Exemplaren ausgeht (wohl mit Abb. der ältesten Fassung). - Von der Erstausgabe sol-len sich neun Exemplare der Karte erhalten haben, von einer frühen, bald darauf herausgebrachten Kopie sind 3 Abdrucke bekannt. Drescher nimmt an, daß die in der Ausstellung gezeigte Karte als Kopie und „eher als Raubdruck denn als Nachschnitt für den verbrauchten ersten Holzstock anzusprechen ist. [...] Der originale Holzstock war bis in die Mitte, eventuell auch bis zum Ende des 16. Jahrhunderts in Verwendung“ (Zit. Drescher, Art. Romweg-Karte, S.215). - Mels. ist nur auf der hinsichtlich der topographischen Punkte detaillierteren, 1501 bezeichneten, von Georg Glogkendon zw Nurnbergk gedruckten (und verlegten) Karte eingezeichnet.

198 So berichtet z.B. ein Eintrag in der Schultheißenrechnung von 1439/40 folgendes: Item Lumerode dem boden 9 beheimsche, der trug eynen briff keyn Hune in dem grossen sny, dai rechnite ye von eyn myle 3 schillinge, wante anderß nymant ghen wulde. Item demselben 4 schillinge, der trug die antworte geyn Cassel wydderume (StAM, Rechn.I, Mels., Schhr. 1439/40, Kart.81/5,

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Die Stadt Melsungen lag auch im Spätmittelalter keines-wegs abseits vom Fernverkehr. Die Nord-Süd-Verbindung (Fuldatalstraße, Nürnberger Straße) war sicherlich die wichtigste, direkt durch Melsungen füh-rende Verbindung, wenn sich auch in etlichen Fällen west-östlich ziehender Verkehr nachweisen läßt. Dies belegt nicht zuletzt auch die zweite Auflage der Rom-wegkarte von Erhard Etzlaub (1501), die die Stadt an der Fulda als Etappenort aufführt.199 Die Verkehrslage der Stadt in spätmittelalterlicher Zeit ist als recht gut zu bezeichnen.

Bl.82r). - Kloster Haina liegt 43 km westl., Kassel 20 km nördl. von Mels.

199 Zur Etzlaub'schen Karte vgl. S.32 Anm.195-196.

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3. Die ländliche Vorgängersiedlung

Beide Melsungen-Siedlungen, Melsungen und Obermel-sungen, liegen am linken Ufer der Fulda und unterhalb der rechts einmündenden Pfieffe. Sie werden durch eine starke Fuldaschleife und den über dem linken Ufer ge-mächlich ansteigenden Kohlberg voneinander getrennt. Die Entfernung zwischen den mittelalterlichen Pfarrkir-chen beider Siedlungen als deren frühere Ortsmittelpunk-te beträgt etwa 1.550 m.200 Während in der feuchten und hochwassergefährdeten breiten Niederung der Fulda zwischen dem Fluß im Os-ten (in einem Abstand von etwa 150 Metern) und dem Nordosthang des sich steil erhebenden Schloth im Süd-westen die Stadt Melsungen angelegt wurde, scheint die Ortslage von Obermelsungen hochwasserfrei auf der Geländespitze eines Feldrückens in dem noch engeren Fuldatal - siedlungsmäßig - einen günstigeren Standort zu besitzen.201

Über die Anfänge beider Siedlungen ist nur wenig be-kannt. Auch die Ortsnamenforschung kann mit der Deu-tung des Ortsnamens lediglich Vermutungen über das Alter der auf „-ungen“ endenden Siedlungen äußern.202 Zur Deutung des Ortsnamens Melsungen hat die Namen-forschung wiederholt Stellung bezogen. Der Ortsname „Milsungen“ wird gewöhnlich mit dem Flußnamen der Mülmisch in Verbindung gebracht.203 Die Mülmisch mündet allerdings 3,65 km (Luftlinie) unterhalb von Melsungen in die Fulda. Außerdem wurde von der Orts-namenforschung die Möglichkeit eingeräumt, daß auch hier ein Flußlauf - in diesem Fall die Fulda - seinen alten Namen an eine benachbarte Siedlung abgegeben hat und selbst einen neuen Namen oder den Namen eines be-nachbarten Flußabschnitts annahm. So wurde aus dem Ortsnamen Melsungen (Milisungen) der Gewässername * Milisa als Altname der Fulda erschlossen.204 Gelegent-lich wurde auch nicht ausgeschlossen, daß der Ortsname vom Namen einer Person (Miliz oder Milis) abzuleiten ist205, in diesem Fall von dem eines „maßgeblichen Grundherrn“. - Sicherheit läßt sich im Bereich der Orts-namendeutung für Melsungen nicht gewinnen.

200 Topographische Karte 1:25.000 (Meßtischblatt) 4823 Melsun-gen, Hrsg. Hessisches Landesvermessungs-amt, Ausgabe 1968.

201 Nach den von W. Görich entwickelten Vorstellungen. - Görich, Manuskript Melsungen.

202 Vgl. die Zusammenfassung der verschiedenen Ortsnamensdeu-tungen bei Schmidt, Melsungen, S.14 f. - Letztlich ist nicht nachweisbar, ob der Ortsname Mels. (wie auch Gensungen) als einer der „-ungen-Orte“ in vorfränkische Zeit zurückgeht.

203 Der Flußname der Mülmisch zuerst in einer um 1057 auf Karl den Großen (zu 786) gefälschten Hersfelder Urkunde als „Milzi-sa“ (Weirich, UB Hersfeld I,1, Nr.19 mit der Grenzbeschreibung der Pfarrei Grebenau; vgl. Schröder, Deutsche Namenkunde, S.168; Förstemann II, S.290).

204 Schröder, Deutsche Namenkunde, S.369 f.; vgl. K. Heinemeyer, Königshöfe Raum Kassel, S.41 Anm.271, mit weiterer Literatur.

205 Vgl. Förstemann I, S.1123; Arnold, Ansiedelungen und Wande-rungen deutscher Stämme, S.295: „(...) Kaum nach dem viel weiter unterhalb mündenden Bach Milzisa, jetzt die Mülmisch, sondern zu einem Personennamen Miliz (...).“

Auch kann nicht mit letzter Sicherheit entschieden wer-den, welcher der beiden Melsungen-Orte in den frühes-ten urkundlichen Erwähnungen gemeint ist.206

In die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts ist die große Schenkung des Grafen Diterich an das Kloster Fulda zu setzen, die Güter in achtzehn nordhessischen Orten um-faßte, darunter Melsungen.207 Die Erwähnung eines pagus Milisungis in Hessen läßt allerdings die Vermu-tung berechtigt erscheinen, daß diese ländliche Siedlung namens Melsungen bereits Vorort eines wohl landschaft-lich begrenzten Raumes, vielleicht einer Mark, war und gewisse Mittelpunktfunktionen (etwa herrschaftlicher oder wirtschaftlicher Art) wahrgenommen hat.208

In der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts schenkt Megen-her an das Kloster Fulda seine in Hessen in pago Mili-sunge gelegenen Güter, namentlich sieben Hufen mit allen Hofreiten, mit allem Zubehör und fünfzehn abhän-gigen Leuten.209

206 Görich war der Meinung, daß aufgrund von Verkehrs- und

Siedlungslage höchstwahrscheinlich Obermels. in Frage komme. 207 Druck: Dronke, TAF, Cap. 6, S.39 Nr.97; Meyer zu Ermgassen,

Codex Eberhardi 1, S.239 f. Nr.97 (1. Hälfte 9. Jhd.): Diterich comes tradidit Sancto Bonifacio in Holzhusen, Mursna, Tu-westen, Mandrun, Slánare, et in Wâbere, Holabah et Marhdorf et Férene et Melsungen et Mornaha, in Alehesfelt, in Melriche et Waldunna omnem proprietatem et familiam suam cum prole sua. - Faksimile der Abschrift des 12. Jhd.s (Codex Eberhardi) bei Schmidt, Melsungen, S.13. - Die Schenkung steht zwischen da-tierbaren Güterübertragungen aus der Regierungszeit der Fuldaer Äbte Ratger (802-Absetzung 817 vor Juli 26, gestorben 6. Dez. 835) und Hrabanus Maurus (822 - Resignation 842 vor April 2); vgl. Sandmann, Folge der Äbte, S.183 Nr.3, 184-186 Nr.5; Heß, Städtegründungen, S.71 Anm.6. - Zur Person des Grafen Diet-rich lassen sich offensichtlich aus der älteren fuldischen Überlie-ferung keine weiteren Angaben machen (das von Schmid hrsgg. 5-bändige Werk über die Klostergemeinschaft Fulda geht nicht auf ihn ein).

208 Zum pagus-Begriff ausführlich Niemeyer, Pagus. Niemeyer (ebd.) geht jedoch leider nicht auf den singulären Fall des pagus Milisungis ein und diskutiert dementsprechend auch nicht die Möglichkeit, daß mit pagus u.U. auch eine kleinere Siedlungs-gemeinschaft oder siedlungsräumliche Einheit als Gau und Graf-schaft (eine Art von 'Kleingau' [?] oder auch eine 'Großmark') gemeint sein könnten. - Zum Markbegriff vgl. W. Klötzer, Art. „Mark I“ (Gemeine Mark, Allmende). In: HRG III, Sp.280-286; in unserem Zusammenhang wenig brauchbar Schmidt-Wiegand, Marca, S.74-91; zusammenfassend zu verschiedengroßen früh-mittelalterlichen Marken (und ihrer Bedeutung für den Lan-desausbau) in Hessen und Thüringen Gringmuth-Dallmer, Lan-desausbau, bes. S.71-75.

209 Druck: Dronke, TAF, Cap. 6, S.39 Nr.115; Meyer zu Ermgas-sen, Codex Eberhardi 1, S.241 Nr.115 : Megenhere de regione Hessorum tradidit Sancto Bonifacio bona sua in eadem regione in pago Milisunge: VII hubas cum totidem areis, et cum ceteris sibi adiacentiis et XV. mancipiis. - Die ältere Forschung (von H.B. Wenck abgesehen) sah in diesem „pagus“ Mels. einen Un-terbezirk des Hessengaues, eine Zent, aus der sich später das Ge-richt (Amt) Mels. entwickelt habe; ähnlich Landau, Hessengau, S.98 f.; nach ihm Armbrust, Vom Melsunger Gerichte, S.451; Krummel, Hessische Ämter, S.101; Franz, Art. „Melsungen“, S.302. - Schenk zu Schweinsberg, Buchbesprechung zu Arm-brust, Melsungen, S.573, sieht, nach H.B. Wenck (1773), in dem pagus Milisungis einen der Irrtümer (oder Fälschungen) des Ful-

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Die Vermutung der hessischen Siedlungs- bzw. Straßen-forschung (bes. W. Görichs), daß zumindest alle urkund-lichen Erwähnungen Melsungens vor der Mitte des 12. Jahrhunderts auf Obermelsungen zu beziehen sind - da Obermelsungen hochwasserfrei an einer angenommenen wichtigen Fulda-Furt liege und die „hofmäßige Lage“ der Kirche an eine frühmittelalterliche Siedlung erinne-re,210 kann bisher weder bestätigt noch widerlegt werden, da keine archäologischen Neufunde bekannt geworden sind, die diese Frage klären könnten. Für die besondere Bedeutung Obermelsungens in früh-mittelalterlicher Zeit dürfte allerdings die Lage der so-gen. „Karlsschanze“ nicht ausreichen, da die ländliche Vorgängersiedlung Melsungen nahe der St. Georgskirche genauso günstig liegt wie Obermelsungen. Die Ab-schnittsbefestigung „Karlsschanze“ liegt in der Gemar-kung Melsungen, und zwar nördlich der Pfieffemündung. Sie befindet sich auf einer nach Westen, zum Fuldatal hin, vorspringenden Bergnase (etwa 2.200 m südlich der Melsungener Stadtpfarrkirche gelegen) in unmittelbarer Nachbarschaft östlich von Obermelsungen. Ihre Entste-hung in frühgeschichtlicher Zeit wird vermutet.211 Da

daer Mönches Eberhard und wiederholt Wencks Vorschlag, pa-gus einfach durch villa zu ersetzen. - Kuchenbecker, Analecta Hassiaca IX, S.38, nennt Melisungen 1735 einen Minor Pagus in provincia Hassiae, ad Fuldam prope Milsungen, mit ausdrückli-cher Bezugnahme auf die Schenkung Megenhers in den Summ-arien der Fuldaer Traditionen. Er führt damit die Vorstellung von einem 'Kleingau' ein.- K. Wenck, Hessengau, geht leider nicht auf den 'pagus Milisungis' ein; ebenso Heß, Städtegrün-dungen, S.71. - Zu den Gauforschung betreffenden Beiträgen von Kuchenbecker, H.B. Wenck, Landau, Schenk zu Schweins-berg und K. Wenck ausführlich historiographische Übersicht von Niemeyer, Pagus, S.20 bzw. 28-63 passim.

210 Vgl. Görich, Legenden [und Kartenentwurf]; Görich, Manu-skript Melsungen, S.1-8; Wolf/Görich, S.271.

211 Nach der von Görich 1938 durchgeführten Grabung war die - inzwischen stark gestörte - halbkreisförmige Abschnittsbefesti-gung im Osten ursprünglich durch Spitzgraben, Berme, Tro-ckenmauer und Wall-Hinterschüttung geschützt (Görich, Manu-skript Karlsschanze). Dr. Görich + glaubte als erster, den früh-mittelalterlichen Ursprung der Anlage erkennen zu können, und datierte die Abschnittsbefestigung aufgrund ihres sichelförmigen Gesamtgrundrisses in die spätkarolingisch-ottonische Zeit („viel-leicht weit hin um 900“). Wie aus Görichs Manuskript hervor-geht, zielte die Grabung 1938 leider nur auf das Feststellen der Umwehrung und erbrachte keine datierenden Funde. Görich hat auch die Karlsschanze (Name neuzeitlich) in das im Hessischen v.a. von ihm erforschte System karolingerzeitlicher Befesti-gungsanlagen eingereiht, die von ihm (nach Stengel) als „curtes“ bezeichnet wurden. Dazu Görich, Hessische Curtis-Fahrt, Karte 1 („Vermutete Königsstraßen des 8./9. Jahrhunderts“), wo der Verf. die Mels.er Karlsschanze als curtis (Königshof), „durch Grabungen überprüft“, aufführte. Die geschichtliche Zuweisung dieser Anlagen erweist sich allerdings bei dem weitgehenden Fehlen schriftlicher Quellen als außerordentlich schwierig. Vgl. dazu den Forschungsüberblick von Schwind, Die Franken in Althessen, bes. S.258-263. - Im Überblick zusammenfassend (und ablehnend) zur Frage, ob diese Burganlagen mit den in schriftlichen Quellen erwähnten curtes identifiziert werden kön-nen, Uslar, Art. „Burg“, S.185-193 passim. - Aufgrund der Lage, Grundrißform und Befestigung wird auch in der sonstigen Lite-ratur die Entstehung der Karlsschanze in die frühmittelalterliche Zeit gesetzt. Uenze, Art. „Karlsschanze“, S.252; Dahmlos, Ar-chäologische Funde, S.171 („wohl karolingerzeitliche ... Befes-tigungsanlage“); Gensen, Althessische Frühzeit, S.96 (mit Uenze übereinstimmend); auch Weidemann, Niederhessen, S.202 f., stellt die Karlsschanze in die Reihe weiterer niederhessischer Wallburgen, datiert ihre Entstehung in das frühe Mittelalter,

jedoch bis jetzt datierende Funde völlig fehlen, kann die Befestigungsanlage zeitlich nicht sicher eingeordnet werden. Sie muß deshalb außerhalb unserer Betrachtun-gen bleiben. Außerdem könnte sie, auch wenn sich eine frühmittelalterliche Entstehungszeit nachweisen ließe, bei ihrer ebenfalls geringen Entfernung zur Stadt Mel-sungen nicht unbedingt als Argument für die Bedeutung Obermelsungens in die Diskussion eingebracht wer-den.212

Die Forschung hat außerdem das im Breviarium Sancti Lulli, dem ältesten Güterverzeichnis des Klosters Hers-

wohl ins 9. Jhd., und sieht ihre Aufgabe in der Sicherung des königlichen Grundbesitzes im niederhessischen Raum. Zurück-haltender Schwind, hessischer Raum im Frühmittelalter, S.39, der die Karlsschanze unter den von Görich als „fränkische cur-tes“ bezeichnenden Anlagen aufzählt. - Zuletzt hat sich auch Gö-rich, Manuskript Melsungen, S.5 f. bei der Datierung der Karls-schanze zurückhaltender geäußert, räumte deshalb auch die frühgeschichtliche Entstehung des Erdwerkes als möglich ein, hielt jedoch jetzt die Errichtung der Anlage im späten 9. oder frühen 10. Jhd. für wahrscheinlich. - Bei den wenigen bisher be-kannten urkundlichen und v.a. archäologischen Zeugnissen für die zuvor bezeichneten niederhessischen Burganlagen hat jedoch auch der Interpretationsversuch Weidemanns, der Görichs Ver-mutungen aufgenommen hat, einen weitgehend hypothetischen Charakter. Vielleicht besteht noch durch weitere archäologische Untersuchungen in vergleichbaren Anlagen die Möglichkeit, in dieser Frage weiterzukommen. Deshalb kann die Mels.er Karls-schanze, die 1757 als (alte) Schanze erwähnt wird (Armbrust, Melsungen, S.140; Görich, Manuskript Melsungen, S.6), auch vorerst nicht als Argument, weder für die vermutete ältere Be-deutung von Obermels. (vgl. Heß, Städtegründungen, S.71), noch für die der Siedlung bei St. Georg herangezogen werden, zumal ihre Entfernung nach Mels. selbst ebenso gering ist wie nach Obermels. Die südl. Bebauungsgrenze der Stadt ist zwi-schenzeitlich bis in unmittelbare Nähe der Karlsschanze gerückt (vgl. etwa TKV 10 Nr.4823 Mels. mit der Eintragung „Karls-schanze“). Dementsprechend ist der archäologisch wertvolle Be-stand des Bodendenkmals Karlsschanze in den letzten Jahrzehn-ten trotz Denkmalschutz zunächst durch Abgrabungen und An-lage von Gartenanlagen sowie anderweitige Nutzungen nicht re-versibel geschädigt worden. Die Anlage ist durch das Baugebiet Erfurter Straße, Gisbertzstraße und das Schützenhaus Georgen-feld bis auf wenige, unbedeutende Reste zerstört worden. Bei Erdarbeiten auf dem jetzigen Grundstück Erfurter Straße 6 ka-men große Mengen Steine zum Vorschein, die ohne Zweifel mit der Wallanlage in Verbindung zu bringen sind (Nach frndl. Mitt. der Herren H. Westoll M.A. und K. Maurer/Mels.).

212 Die strategische Lage der Karlsschanze war - aus früh- und hochmittelalterlicher Sicht - ohne Zweifel recht günstig, da von hier aus die drei bzw. vier Fuldafurten an der Fahre, bei Ober-mels., bei St. Georg vor Mels. und eventuell die Furt am Pfief-frain (die im Mittelalter vermutlich wegen der hier zu breiten Fuldaaue bedeutungslos war) sowie die Pfieffefurt (Schwerzel-furt) kontrolliert werden konnten. - Im übrigen zielen die aus den neuzeitlichen Karten bekannten, von der Karlsschanze ausge-henden Wege auf die St. Georgsfurt. Dazu vgl. v.a. die Niveau Karte Kurfürstenthum Hessen, auf 112 Blättern nach 1/25000 d(er) w(irklichen) G(röße), aufgenommen 1847 u. 1848 von Vo-gel (mit Nachträgen bis 1857), Blatt Melsungen (Nachdruck des Hess. Landesvermessungsamtes Wiesbaden), mit dem erkennba-ren Streckenverlauf der nach Süden führenden ehem. Straße von Kassel, über die St. Georgsfurt durch das St. Georgsfeld, am Galgenberg und an der Schanze vorbei, durch das Mündungsge-biet der Pfieffe, durch das Fahrfeld, über den Wildsberg nach Osten („durch die langen Hessen“), nach Heina, Altmorschen und Heydau etc. (Nach frndl. Hinweisen von Herrn K. Mau-rer/Mels.).

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feld213, zwischen der Aufzählung von Vellmar und Mos-heim genannte Elisungun mit Melsungen (und nicht mit Nieder-/Ober-Elsungen) identifiziert.214 Die in den Zeit-raum zwischen 802 und 815 zu datierende, in bezug auf ihren Umfang nicht näher bekannte Güterschenkung in Elisungun (Melsungen?) könnte den Grundstock für die umfangreichen Rechte des Klosters Hersfeld gebildet haben, die sich im Hochmittelalter im Melsungener Raum nachweisen lassen.215

Nach der um 1057 auf Karl den Großen gefälschten Beschreibung des Sprengels der hersfeldischen Pfarrkir-che Grebenau gehörte auch das Gebiet von Melsungen und Obermelsungen zur Pfarrei Grebenau. Die Urkunde dürfte die kirchlichen Verhältnisse zur Mitte des 11. Jahrhunderts widerspiegeln.216

Die 1106 erfolgte urkundliche Erwähnung eines sich nach Melsungen nennenden hersfeldischen Ministerialen als Zeugen läßt für diese Zeit - aus dem Blickwinkel des Klosters Hersfeld - in dem Herkunfts- oder Dienstort dieses Dienstmannes eine gewisse Bedeutung (und Gü-termassierung) vermuten.217 Auch hier ist keine ein-wandfreie Zuweisung nach Melsungen oder Obermel-sungen möglich. Erst eine urkundliche Erwähnung von 1151 kann mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das heutige Melsungen bzw. eine seiner Vorgängersiedlungen bezogen werden. Die 1151 erwähnte Siedlung wurde von der Forschung bereits mit dem „ersten Gründungskern der späteren Stadt, als es offenbar planmäßig aus wilder Wurzel in der feuchten Talebene angesetzt erscheint“, gleichgesetzt.218 In dieser Urkunde von 1151219 bestätigt Erzbischof Heinrich von Mainz dem nordhessischen Benediktiner-

213 Weirich, UB Hersfeld I,1, Nr.38: In pago Hassorum [...] in Hebelide et in Filmare et in Elisungun et in Mazheim et in Wil-dungen et in Beisheim et in Felmide hobas XL mansus XXX.

214 Wenck, Hessische Landesgeschichte Bd. 2,1 (1789), S.363; Schenk zu Schweinsberg, Buchbesprechung zu Armbrust, Mel-sungen, S.572; Krummel, Hessische Ämter, S.54, Heß, Städte-gründungen, S.71.

215 Zusammenfassend Heß, Städtegründungen, S.71 f. mit weiterer Literatur.

216 Weirich, UB Hersfeld I,1, Nr.19, mit der Grenzbeschreibung der Pfarrei Grebenau (Fälschung von ca. 1057 auf Karl den Großen zu 786 Aug. 31); dazu Hölk, S.39 f., 43 f.; Classen, S.200 f. - Görich, Manuskript Melsungen, geht mehrfach auf die um 1057 entstandene Pfarreibeschreibung ein.

217 Adelhart de Milsungen steht mit etlichen Standesgenossen unter den Hersfelder Dienstmannen der Zeugenreihe (servientes S. Wigberthi) - Druck: Wenck, Hessische Landesgeschichte II,1 Nr.44, S.53 f. (1105; 1106! - die Originalurkunden sind mittler-weile verloren): Der hersfeldische Dienstmann Winold von Da-gobertshausen (Vinnolt nomine de Dageboldeshusun ex servien-tibus sancti Wigberthi in Herveldia) befreit seine Frau und seine Töchter von der Dienstmannschaft des Grafen Friedrich von Arnsberg und versetzt sie in die Dienstmannschaft Hersfelds. - Ebd. Nr.45 S.54-56 (1107 April 30-Mai 13), wird als Zeuge un-ter den servientes Herveldensi ecclesie auch Adelhart genannt, der mit dem Mels.er identisch sein könnte. - Görich, Manuskript Melsungen, S.7, möchte den hersfeldischen Ministerialen aus Mels. nach Obermels. ziehen.

218 Zit. Görich, Manuskript Melsungen. 219 Acht, UB Mainz, Nr.160. - Patze, Entstehung Landesherrschaft,

S.488, nennt (ohne Quellennachweis und wohl irrtümlich) auch 1074 als Beleg für ein maior Melsungen, was jedoch wohl auf einer Verwechslung mit der Urkunde von 1151 beruht.

kloster Hasungen220 zunächst die Güterschenkung der Matrone Gisela von Metze (matrona quedam Gisla no-mine de Mezzene) an das Kloster. Die Güterübergabe geschieht mit Zustimmung des Rupert von Metze221 und seiner Brüder Ludwig, Adelbert und Gumpert.222 Die Schenkung umfaßt vier Hufen in dem Ort, der ‘größeres Melsungen’ (‘Groß-Melsungen’) genannt wird (IIII man-si, qui habuit in villa, que maior Milsuongen dicitur). Diese vier Hufen in Melsungen, die in der Urkunde als Gut (predium) bezeichnet werden, hatte Kloster Hasun-gen, wie aus der Urkunde weiter hervorgeht, zusammen mit einer Hufe in Hesserode und je einer halben Hufe in Lobenhausen, Solenhausen (Wüstung) und Melgershau-sen223 gegen Eigengüter des Heinrich von Uttershausen in Lutwardessen (spätere Wüstung)224 und Dörnberg225 getauscht. Damit wurde Heinrich von Uttershausen Grundbesitzer in Melsungen (oder konnte weiteren Grundbesitz zu bereits vorhandenem erwerben).226

Aus der Urkunde läßt sich für Melsungen lediglich er-schließen, daß es 1151 bereits mindestens zwei Siedlun-gen diesen Namens von unterschiedlicher Größe gegeben hat. Wann die Namensdifferenzierung nach einer vo-rausgegangenen Siedlungsdifferenzierung (und eventuell auch Siedlungskonzentration) oder eine Siedlungsneu-gründung erfolgte, läßt sich daraus nicht entscheiden. Das Jahr 1151 ist lediglich als terminus ante quem anzu-sehen. Die (edelfreie) Familie von Metze verfügte in dem grö-ßeren Dorf Melsungen über Grundbesitz, der über das Kloster Hasungen tauschweise an Heinrich von Utters-

220 Zur Frühgeschichte des Klosters Hasungen vgl. Schroeder-

Petersen, S.40-43; Patze, Entstehung Landesherrschaft, S.392 f.; zum Hasungener Besitz in der Umgebung Mels.s Krummel, S.41 Anm.13.

221 Ein miles liber Rupertus nomine de Mezzahe ist ca. 1151/55 als Schenker (zu Kirchbauna) des Klosters Breitenau nachweisbar (Grotefend, Breitenau, S.55).

222 Die nicht namentlich genannten Eltern schenkten ca. 1151/55 an Kloster Breitenau zuerst ½ Hufe bei Metze (apud Mezzaha) zum Seelenheil ihres verstorbenen Sohnes, des Ritters Gumbert (mili-tis Gumberti occisi), die sie später aber mit einer bei Besse gele-genen tauschten (Grotefend, Breitenau, S.55).

223 Die Orte liegen in der Nähe von Mels. - Zur Wüstung Solenhau-sen vgl. Landau, wüste Ortschaften, S.99.

224 Zur Wüstung Lutwardessen (mit ehem. Kirche) in der Gemar-kung Zierenberg zuletzt Sippel, Archäologische Fundstellen und Funde Stadtgebiet Zierenberg, S.52 Nr.21.

225 Auch das Dorf Dörnberg liegt in der Nähe der jüngeren Stadt Wolfhagen.

226 Die Familie von Uttershausen gehört in der 1. Hälfte des 13. Jhds. zu den angesehenen (edelfreien) Familien der Region. Ein dominus Heinricus de Utershusen erscheint um 1230 in einem Streit zwischen dem Grafen von Reichenbach und dem Kloster Haina als iudex des (Provinzial-) Gerichts in Maden (Regest: Franz, UB Haina 1, Nr.56). Der Edle Heinrich von Uttershausen und seine Ehefrau übertrugen 1238 - mit Zustimmung der ge-nannten Verwandten - dem Kloster Haina Güter und Zehntrechte in Lendorf, Allendorf, Struth, Grenzebach und + Ulmes zu Ei-gen, die er in Maden, Homberg und Fritzlar aufließ (Franz, UB Haina 1, Nr.102; damit stehen Verzichtserklärungen und Schen-kungen der Lehnsherren von Ziegenhain zugunsten Haina in Zu-sammenhang, vgl. ebd. Nr.100, 105. Dazu Demandt, oberste Amtmannschaft, S.281; Patze, Entstehung Landesherrschaft, S.508 f.; Eisenträger/Krug, S.53, zum Besitz derer von Utters-hausen ebd. S.53-55 passim). Zu Familienmitgliedern bzw. Na-mensträgern v.U. vgl. Demandt, Personenstaat, Nr.3119-3125.

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hausen gelangte. Das vier Hufen umfassende predium ist sonst nicht weiter nachweisbar. Die Annahme, daß die villa que maior Milsuongen dici-tur bereits mit der planmäßig um einen rechteckigen Platz angelegten Siedlung identisch ist, die sich aus einer Stadtgrundrißanalyse herauszuschälen scheint, ist als rein hypothetisch einzuschätzen, liegt aber im Bereich des Möglichen.227

Die im 12. Jahrhundert vorkommende Klassifizierung villa kann eine offene bäuerliche Siedlung meinen, könn-te aber auch an die unmittelbare Vorstufe des späteren burgus denken lassen. Sie läßt sich letztlich - in Hinblick auf Aufbau, Funktion und Rechtsstatus der Siedlung Melsungen zur Mitte des 12. Jahrhunderts - nicht ein-wandfrei zuordnen.228

In diesen Zusammenhang gehört auch die bald nach der Mitte des 12. Jahrhunderts an das Kloster Breitenau229 erfolgte Schenkung der Herrin Gisela von Elben (domina Gisela dicta de Elbena) zum Seelenheil ihres Mannes Cunradus, die zwei Hufen bei Obermelsungen umfaßte (duae hubae apud superiorem Milsungun).230 Damit tritt auch der Ortsname Obermelsungen zum ersten Mal gesi-

227 Acht, UB Mainz, Nr.160, Anm.7, identifiziert ohne Begründung - wie bereits oben erwähnt - maior Melsuongen mit Obermels.

228 Bekanntlich wird die bereits durch eine Burg und ein Stift he-rausgehobene (frühstädtische) Marktsiedlung Kassel 1152 und 1154 als villa bezeichnet (Schultze, Kasseler Klöster, Nr.1 u. Anh. Nr.1). - Schich, Kassel, S.13, faßt den Forschungsstand zu-sammen: „Die Bezeichnung villa ist in dieser Zeit nicht eindeu-tig. Sie wird nicht nur für agrarische Siedlungen, sondern - vor allem im Sprachgebrauch der Kanzlei des Reiches - auch für Siedlungen städtischen Charakters benutzt. Der Sprachgebrauch für die neben den älteren Städten, vor allem den Bischofsstädten (civitates), neu aufblühenden städtischen Siedlungen, die aber in vieler Hinsicht noch einen Rückstand jenen gegenüber aufwie-sen, schwankte im Lateinischen in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts zwischen villa und civitas, bevor sich am Ende des Jahrhunderts (seit etwa 1180) in Deutschland civitas (im Deut-schen: stat) weithin durchsetzte. [...] Die im 12. Jhd. als villa be-zeichneten nichtagrarischen Siedlungen können am ehesten als Marktorte charakterisiert werden, die eine frühe Stufe der Stadt bildeten. In manchen Gegenden begegnet auch der besondere Begriff villa forensis oder forum (dieses nicht im Sinne von Marktplatz, sondern Marktort.“ - Dazu vgl. auch Stoob, Karto-graphische Möglichkeiten, S.22; Schlesinger, Bischofssitze, Pfalzen und Städte, S.374 f.; W.A. Eckhardt, Kaufungen und Kassel, S.50 f. (mit einem Hinweis auf die Erwähnung der Stadt Eschwege 1249 und 1250 als villa regia - dazu bereits Zipperer, S.259 f.); zur Begriffsdeutung im Umfeld Schlesinger, Forum, villa, ius fori. - Nach dem sogen. Rechenschaftsbericht des Ful-daer Abtes Marquard (1150-1165) hat dieser die gesamte (be-reits 1019 mit Marktrecht begabte) villa Fulda mit einer festen Mauer umgeben und mit einem Walle befestigt ([...] Et ut per omnia bellorum pericula locum ac populum nostrum in securita-te et quiete habitare facerem, totam Fuldensium villam muro firmissimo circumdedi valloque et aggere firmavi, propugnacula locavi, portas ferratas ac seratas aptavi [...]); zit. Meyer zu Ermgassen, Codex Eberhardi 2, 11., S. 357; Dronke, TAF. cap.76, S.155; vgl. Schwind, Grundlagen und Anfänge des Städ-tewesens, S.36 f.; Braasch-Schwersmann, Stadt Fulda, S.377-379.

229 Zu Breitenau vgl. Krummel, S.23-25; Noll, Kloster Breitenau; Jungermann/Löber, Kloster Breitenau; Unglaube, Das Kloster Breitenau zwischen geistlichen und weltlichen Interessen. Seine Gründung, Entwicklung und Bedeutung für die Region; knapp zusammenfassend Schich, Der hochmittelalterliche Landeaus-bau, S.33.

230 Grotefend, Breitenau, S.55.

chert in das Licht der schriftlichen Überlieferung. - Das zeitgenössische Vorkommen des Ortsnamens superior Milsungun spricht eher dafür, daß mit der villa que maior Milsuongen dicitur die Vorgängersiedlung der Stadt gemeint war. Das frühe Bestehen der späteren Spitalkirche St. Georg vor den Mauern der Stadt - etwa 300 Meter südlich der Stadtpfarrkirche - läßt durchaus eine ländliche Vorgän-gersiedlung der Stadt (möglicherweise jene villa que maior Milsuongen dicitur) vermuten, die in unmittelbarer Nähe zu lag, und möglicherweise erst im 13. Jahrhundert aufgegeben wurde. Zu dieser Siedlung wird die 1332 urkundlich erwähnte alte (d.h. nicht mehr vorhandene oder verfallene) Mühlenstatt vor dem Rotenburger Tor gehört haben.231 Darauf ist außerdem der 1456 und 1470 belegte Flurname 'Altstadt' bzw. 'alte Stadt' zu bezie-hen.232

231 StAM, X 1, Depositum Mels. 1332 o.T. (Beschreibung eines

Gartens, dy da lyget vor deme Rodenbergertore, bi der alden mylenstatt). - Auf die Urkunde von 1332 wird noch an verschie-denen Stellen näher einzugehen sein.

232 StAM, Rechn.I, Mels., Zinsregister des Rentmeisters 1456 (Kart.81/39), Bl.5v, (Gartenzinse): Item Clauws Schoeten 12 s. de orto in der aldinstadt. - Ein Eintrag im Mels.er Zinsregister von 1470 (StAM, Rechn.I, Kart. 82/20, Bl.9v) lautet: Item Elze Falcken hat eyn garten vor deme Rodeberger thore in den al-denstaedt, davon 2 d. rentgeld.

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4. Der landgräfliche „burgus“ Melsungen

Die zwischen Mai 1189 und dem 18. Febr. 1190 angefer-tigte Aufstellung des Mainzer Erzbischofs Konrad I. (aus dem Hause Wittelsbach) über Verluste und Erwerbungen seiner Kirche nennt auch unter dem nach 1183 hinzuer-worbenen Besitz burgum quoque Milsungen cum atinen-tiis suis a comite palatino de Thuringia et uxore sua CCCL marcis emimus et ad usum nostrum conservavi-mus.233 Der Erzbischof hatte demnach vom ludowingi-schen Pfalzgrafen (Hermann I. von Sachsen), seit 1190 auch Ldgf. von Thüringen, und von dessen Frau zu eige-nem Gebrauch den burgus Melsungen mit seinem Zube-hör für 350 Mark gekauft.234

Während Armbrust irrtümlicherweise burgus mit Burg übersetzte235, was bereits Schenk zu Schweinsberg zu-rückgewiesen hat und mit „befestigter, größerer Wohn-ort“ wiedergab, hat letzterer seinerzeit schon festgestellt, daß burgus und Burg nicht gleichzusetzen sind. Dies ergibt sich allein aus der Beobachtung, daß im gleichen Erwerbsbericht des Mainzer Erzbischofs der Kauf des castrum Wasungen cum burgo adiacente erwähnt wird.236 Heß, der weitere burgus-Belege überprüft hat, möchte im burgus Melsungen die „junge Stadt“ sehen. Der Begriff burgus wird meist in staufischen Diplomen gebraucht und dürfte auf italienisches oder burgundi-sches Vorbild zurückgehen. Burgus bedeutet dort meist kleinere Stadtsiedlung. Da Erzbischof Konrad237 sein Exil in Italien verbrachte, könnte die Benutzung des Begriffes von dieser Zeit herrühren. Allerdings ist auch die Nähe der erzbischöflichen Schreiber zur königlichen Kanzlei eines Erklärungsmöglichkeit für das Auftauchen des Begriffes in einer mainzischen Urkunde.238

233 Acht, UB Mainz, Nr.531. Dort auch die ausführliche Begrün-dung für die Datierung des Rechenschaftsberichts (Heß, Städte-gründungen, S.71: „kurz vor 1190“; K. Heinemeyer, Homberg in Hessen, S.19: zwischen Mai 1189 u. 18. Febr. 1190; vgl. dazu die Ausführungen im Kapitel D 1.1., bes. S.183-185.

234 Zu Pfalzgraf Hermann I. von Sachsen, Landgrafen von Thürin-gen (1190-1217), Schwind, Landgrafschaft Thüringen, S.33; Schwind, Thüringen und Hessen um 1200, S.190-193, 196-215 passim; vgl. Winkelmann, Hermann, Landgraf von Thüringen; Eberhardt, Hermann, Landgraf von Thüringen, Pfalzgraf von Sachsen. Zur Datierung dieses Verkaufes in die 2. Jahreshälfte 1189 oder Anfang 1190 vgl. zuletzt K. Heinemeyer, Homberg in Hessen, S.19, bzw. die Ausführungen im Kapitel D 1.1., bes. S.183-185.

235 Armbrust, Melsungen, S.41, 51. 236 Schenk zu Schweinsberg, Buchbesprechung zu Armbrust, Mel-

sungen, S.573. 237 Zu Erzbischof Konrad vgl. Wodka, Art. „Konrad v. Wittels-

bach“. 238 Vgl. dazu Heß, Städtegründungen, S.70. - Die maßgeblichen

wissenschaftlichen Arbeiten zur Begrifflichkeit „Stadt“ und „Burg“ stammen aus der Feder von W. Schlesinger: Burg und Stadt (1954), S.97-150 (1963 wesentlich kürzer, jedoch inhalt-lich erweitert); Schlesinger, Burg und Stadt im Lichte der Wort-geschichte. - Auch Sydows jüngere Untersuchung der für Würt-temberg bekannten burgus/burgum-Belege (aus dem 13. Jhd.) legt ebenfalls nahe, daß der Begriff für Siedlungen verwendet wurde, deren „Stadtentwicklung schon weit vorangeschritten war“, „die oft bereits schon weit „auf dem Wege“ zur civitas vo-

Wir können annehmen, daß der burgus Melsungen, mög-licherweise sogar die 1151 erwähnte villa que maior Milsuongen dicitur, von den Ludowingern (als Ldgfn. von Thüringen oder Grafen von Hessen) angelegt wurde. Die Grafen von Thüringen, die seit 1130 als Ldgfn. er-scheinen, hatten durch Heirat aus der Erbschaft der Gi-sonen 1122 umfangreiche Besitzungen und herrschaftli-che Rechte in Nieder- und Oberhessen erhalten. Diese Besitz- und Rechtstitel stammten wiederum teilweise aus der Erbschaft der Grafen Werner, die mit dem Tod Graf Werner IV. am 22. Febr. 1121 im Mannesstamm ausge-storben waren, namentlich das Amt des Reichsbannerträ-gers und die Grafschaft Hessen (oder auch Maden-Gudensberg genannt).239 Während Maden-Gudensberg den Mittelpunkt des ldgfl.-thüringischen Güterbesitzes und die Ausgangsbasis der frühen territorialpolitischen Aufbaupläne der Landgrafen im niederhessischen Raum bildete, übernahm diese Funktion in Oberhessen die Burg Marburg, zu deren Füßen bereits um 1140 eine Marktsiedlung nachweisbar ist.240

Als Gründer des burgus Melsungen kommt Ldgf. Lud-wig II. der Eiserne (1140-1172) in Frage241, wenn auch dessen Söhne bzw. sein Nachfolger Ldgf. Ludwig III. der Fromme (1172-1190)242 oder Graf Heinrich Raspe III. (comes Hassiae; gest. 1180)243 - je nach Einschätzung

rangeschritten“ waren (Sydow, Stadtbezeichnungen Württem-berg, hier S.240 f.; zit. ebd. S.241).

239 Demandt, Geschichte Hessen, S.169-172; Patze, Entstehung Landesherrschaft, S.192-209.

240 Zusammenfassend bes. für Marburg Schwind, Marburg, S.168; Heß, besondere Rolle Marburgs, S.734-737; zur für die Zeit um 1140 archäologisch nachweisbaren Burg vgl. vorläufig Mei-borg/Roth/Dobiat, Ausgrabungen Marburger Landgrafenschloß; Meiborg, Vom wehrhaften Saalgeschoßhaus zur Landgrafenre-sidenz; zur frühen Marburger Marktsiedlung jetzt Strickhausen, Entwicklung der Marburger Altstadt im Hochmittelalter, bes. S.11-18.

241 Görich, Manuskript Melsungen, S.10, spricht sich für Ldgf. Ludwig „den Eisernen“ als Stadtgründer aus und bezieht bereits die Nennung von Groß-Mels. von Ende 1151 (villa que maior Milsuongen dicitur, von Acht, UB Mainz, Nr.160, ohne sichtli-chen Grund mit Obermels. identifiziert) auf die planmäßige Neugründung. - Zu Ldgf. Ludwig II. dem Eisernen vgl. Heine-meyer, Ludwig II. der Eiserne; ausführlich Patze, Entstehung Landesherrschaft, S.211-230 passim; Schwind, Landgrafschaft Thüringen, S.32; Schwind, Thüringen und Hessen im Mittelalter, S.11-13 passim; Schwind, Thüringen und Hessen um 1200, S.190 f., 194 - Zur Gründungssituation in Mels. vgl. umfassend Heß, Städtegründungen, bes. S.72-75.

242 Heß, Städtegründungen, S.33, deutet vorsichtig an, in Ldgf. Ludwig III. den Stadtgründer von Mels. zu sehen; desgl. Schön-tag, Untersuchungen zur Geschichte des Erzbistums Mainz unter den Erzbischöfen Arnold und Christian I. (1153-1183), S. 182; K. Heinemeyer, Homberg in Hessen, S.22. - Zu diesem Ldgfn. vgl. Wenck, Ludwig III. (der Fromme); Heinemeyer, Ludwig III. der Fromme; ausführlich Patze, Entstehung Landesherrschaft, S.229-249 passim; Schwind, Thüringen und Hessen im Mittelal-ter, S.13 f.

243 Patze, Entstehung Landesherrschaft, S.238 f., vermutet, daß „Melsungen an der Straße von Gudensberg nach Thüringen“ als „vermutlich hessisches Lehen [...] der Abtei [Hersfeld] wohl durch Heinrich Raspe III.“ entfremdet wurde (Zit. ebd.). - Bis

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der Bezeichnung villa zu 1151 - als solche nicht ausge-schlossen werden können.244 Leider fehlen weitestge-hend schriftliche Zeugnisse der Zeit zwischen ca. 1123 und ca. 1180, die weiterführende Hinweise auf die terri-torialpolitischen Pläne der ludowingischen Ldgfn. im Nebenland Hessen geben könnten.245 Aufgrund dieses Quellendefizits bleiben auch die Rekonstruktionsversu-che der Frühzeit der Marktsiedlung Melsungen weitge-hend spekulativ. Als „rechtlicher Hintergrund“ für die Gründung des burgus wird die Vogteiherrschaft der Ludowinger246 über die als Grundherren im Melsungener Raum sehr bedeutenden Kirchen Hersfeld247 und Fritzlar248 angese-

zum Tod Graf Heinrich Raspes III. 1180 war Hessen lediglich ein Nebenland der Ldgfn., wobei die Herrschaft in Hessen je-weils von den jüngeren Brüdern der regierenden Ldgfn. über-nommen wurde. Erst danach reservierten die regierenden Ldgfn. die Herrschaft in Hessen für sich selbst (Vgl. Schwind, Thürin-gen und Hessen um 1200, S.195). Zu Heinrich Raspe III. vgl. auch Patze, Entstehung Landesherrschaft, S.394 (als Nachfolger Ldgf. Ludwig II. wurde der Sohn Vogt von Hersfeld).

244 K. Heinemeyer, Homberg in Hessen, S.22, geht davon aus, daß die erste ludowingische Stadtanlage in Mels. vor 1189/90 wie auch Alsfeld und Grünberg „mit Sicherheit ebenfalls von Lud-wig III. vor 1189/1190 gegründet“ wurden, ebenso von ihm die Stadtgründung von Homberg/E. im Rahmen „seines tatkräftigen Ausbaues seines hessischen Landes“ veranlaßt wurde (Zit. ebd.).

245 Den Versuch eines knappen Überblicks für Hessen gibt Patze, Entstehung Landesherrschaft, bes. S.235-239, 241-243.

246 Heß, Städtegründungen, bes. S.75; zustimmend Patze, Entste-hung Landesherrschaft, S.459; Görich, Manuskript Melsungen; K. Heinemeyer, Homberg in Hessen, S.18, 22. - Zu den Vogtei-rechten der Ludowinger an den Stiften Hersfeld und Fritzlar vgl. Patze, Entstehung Landesherrschaft, S.390-396.

247 Seit 1057 hatte das Stift Hersfeld eine Gesamtvogtei unter einem Obervogt, dem mehrere Untervögte unterstellt waren. Seit etwa 1000 war das Vogtamt erblich. Als Obervögte erscheinen seit 1099 die Grafen Giso (Wenck, Hess. Landesgeschichte II, UB, Nr.42, 44 f., 47, III, UB, Nr.62). 1133 wird zum ersten Mal ein Ldgf. von Thüringen als Vogt genannt (Loduicho regionario comite advocatiam tenente Heresfeldensis ecclesie; Druck: Cod.Sax. I,2 Nr.93; Reg.: Dobenecker I, Nr.1284). Ldgf. Ludwig I. von Thüringen heiratete die Tochter Hedwig des Grafen Giso IV. Durch die „gisonische Erbschaft“ kamen die Ludowinger in den Besitz der Vogtei des Stiftes Hersfeld. Ldgf. Ludwig er-scheint noch 1139 als Obervogt, sein Sohn Ludwig II. der Eiser-ne erbte dieses Amt (1142, 1144-1146 u. 1156-1157 bezeugt). Auf ihn folgte dessen zweiter, 1180 verstorbener Sohn Heinrich Raspe III. als Vogt (1179 bez.). Mit dem Tod Heinrich Raspes versuchte der Abt die als drückend empfundene Vogtei abzu-schütteln. Dagegen setzte sich der Bruder des Verstorbenen, Ldgf. Ludwig III., energisch zur Wehr. Ein Kompromiß wurde 1182 vor dem Schiedsgericht des Kaisers erzielt. Danach erhielt der Abt bestimmte entfremdete Vogteigüter wieder zurück; eini-ge Einzelvogteien wurden dem Abt wieder zugeteilt. In den fol-genden Jahren kam es auch hier zu zahlreichen weiteren Strei-tigkeiten zwischen Abt und Ldgf. Hermann I. mußte 1192 und später auf weitere hersfeldische Vogtei-Orte Verzicht leisten. Diesen Verzicht mußten jedoch die Äbte erst teuer erkaufen. Be-sonders im Norden des hersfeldischen Immunitätsgebietes ge-lang es den späten Ludowingern bzw. ihren Nachfolgern, den Ldgfn. von Hessen, aufgrund ihrer Vogteigewalt Landesherr-schaft aufzubauen (Vgl. bes. die ausführliche Zusammenfassung von Ziegler, Territorium Hersfeld, S.15-17).

248 Um 1000 ist die Vogteigewalt über das Stift St. Peter zu Fritzlar in den Händen der Grafen Werner. Durch Erbschaft fiel sie wahrscheinlich an die Gisonen und nach deren Aussterben im Mannesstamm 1122/23 an die Familie der Ludowinger, Ldgfn. von Thüringen. Ldgf. Ludwig II. ist 1171 als Vogt bezeugt, e-benso sein Sohn Ludwig III. - Dem Mainzer Erzbischof Sieg-

hen. Auch die Beanspruchung der Vogtei des Klosters Breitenau ist in diesem Zusammenhang zu sehen.249 Dabei ist die von den Ldgfn. von Thüringen beanspruch-te Vogteiherrschaft nicht als rechtmäßige Grundlage für die Gründung von Burgen und Städten auf geistlichem Gebiet anzusehen, obwohl sich auch hier die Vogtei als der entscheidende Ausgangspunkt zur Schaffung eines faktisch stark erweiterten Handlungsspielraums der Vög-te erwiesen hat.250 Unter Ausnutzung der eindeutigen Kräfteverhältnisse haben die Ludowinger ihre herrschaft-liche Machtausübung und den Ausbau ihres Territoriums in ihrem Nebenland Hessen im 12. und frühen 13. Jahr-hundert konsequent betrieben und durchgeführt.251

Wie bereits angedeutet, ist hier nicht unbedingt an eine rechtmäßige Grundlage zu denken, aufgrund derer diese „Territorialisierungsmaßnahmen“ stattfanden. Aufgrund der angedeuteten politischen Rahmenbedingungen ist mit einer herrschaftlichen Machtentfaltung innerhalb eines schon zuvor faktisch stark erweiterten Handlungsspiel-raumes zu rechnen. Die Ludowinger analysierten ver-mutlich zunächst die tatsächlichen Kräfteverhältnisse und dehnten danach ihren Machtbereich auch im nord-hessischen Raum mit den verschiedenen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln weiter aus.252

Die frühe ludowingische Markt- bzw. Stadtsiedlung Melsungen dürfte unter der Leitung eines ldgfl. villicus gestanden haben, der jedoch erst später urkundlich nachweisbar wird. Ein ldgfl.-thüringischer villicus in Melsungen wird zuerst 1235 erwähnt.253

Auch der Stadtgründungsvorgang einer relativ kleinen Stadt wie Melsungen (mit später fast 8 Hektar ummauer-ter Stadtfläche) hat man sich um 1200 jedoch als viel-schichtiges Unternehmen vorzustellen, das nicht nur des Gründungswillens eines Territorialherren bedurfte, son-dern auch einer ganzen Reihe von ihm beauftragter Funktionäre (wohl oftmals Ministerialen), zur Heranzie-

fried II. gelang es seit dem späten 12. Jhd., die Bedeutung der Fritzlarer Vogtei (und ihrer ldgfl. Inhaber) stark zu reduzieren. - Zur Vogtei Fritzlar vgl. Eisenträger/Krug, S.46-52 passim; De-mandt, RQ Fritzlar, bes. S.117-121; Schulze, Chorherrenstift Fritzlar, hier S.147, 162 f.

249 Krummel, S.24; Heß, Städtegründungen, S.72. - Zu Breitenau vgl. Krummel, S.23-25; Noll, Kloster Breitenau; Junger-mann/Löber, Kloster Breitenau, S.26, 28; Unglaube, Das Kloster Breitenau zwischen geistlichen und weltlichen Interessen. Seine Gründung, Entwicklung und Bedeutung für die Region, hier bes. S.191-194 passim knapp Schich, Der hochmittelalterliche Lan-deausbau, S.33.

250 Die Vogteiherrschaft der Ludowinger über die Reichsabtei Hersfeld wird auch als Grundlage für die um 1190 erfolgte Gründung der Städte Rotenburg/F. und Homberg/E. angesehen. Vgl. zuletzt K. Heinemeyer, Homberg in Hessen, S.18-22 pas-sim.

251 Gewisse Hinweise auf das gewaltsame, unrechtmäßige Vorge-hen der Ldgfn. von Thüringen sind auch aus dem Verhalten des Hersfelder Abtes erschließbar, als dieser nach dem Tod des lu-dowingischen Vogtes Heinrich Raspe III. 1180 versuchte, die Vogtei für erledigt zu erklären (Ziegler, Territorium Hersfeld, S.17). Zit. ebd.: „[...] aber aus dem Bestreben des Abtes Sieg-fried, die Last der Vogtei abzuschütteln, läßt sich doch schlie-ßen, daß auch die Ldgfn. von Thüringen sich widderrechtliche Eingriffe in die Rechte des Hersfelder Abtes erlaubt haben.“

252 Vgl. Exkurs 5, S.579-581 (zu gewaltsam erfolgten Burgbauten oder Stadtgründungen der Ludowinger).

253 StAM, A II, 17, Kl. Heydau, 1235 Jan.23 (Orig.); Druck: Lan-dau, Familie von Trefurt, S.189 f. Anm.***.

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hung von Planungs- und Baufachkräften, Fachhandwer-kern und Facharbeitern, zur Ansiedlung in der neuen Stadt bereiter Burgmannen, zum Einzug interessierter Kaufleute (woher auch immer), zum Umzug in die neue Stadt aufgeforderter (oder Umsiedlung gezwungener?) Bewohner von Nachbardörfern, einer zum Befestigungs-bau verpflichteten Landbevölkerung (?) usw.254 Ausschlaggebend für die Gründung der Stadt bzw. den Ausbau der älteren, dörflichen Siedlung war - in ver-kehrspolitischer Hinsicht - ihre Lage am Fuldaübergang des bedeutenden Sälzerweges, weiter an den Straßenver-bindungen zwischen dem alten Mittelpunkt der Graf-schaft Hessen (Maden und Gudensberg) und den ludo-wingischen Gründungen Waldkappel, Creuzburg/Werra und Eisenach sowie das Abzweigen bzw. Einmünden der Straße durch die langen Hessen.255

„Wer in Melsungen Stadtherr war, beherrschte die Fulda-furt und damit die Straße nach Fritzlar und Mainz.“256 Damit ist auch bereits der Hauptinteressent an der ludo-wingischen Gründung Melsungen angesprochen: der Mainzer Erzbischof. Gerade er mußte an diesem festen Platz an der bedeutendsten Straße zwischen seinen Besit-zungen in Thüringen und Niederhessen und seiner Met-ropole größtes Interesse besitzen. Schließlich kam die junge Stadtsiedlung auch an den Mainzer Erzbischof, anscheinend jedoch nur für kurze Zeit. Um 1194 kam es zwischen dem Erzbischof und dem Ldgfn. zum Krieg. Nach dem gut informierten Rein-hardsbrunner Chronisten257 wurde infolge der kriegeri-schen Maßnahmen die (mainzische) civitas Melsungen zerstört.258. Die Äbte von Fulda und Hersfeld sollen später auf dem Felde vor Melsungen die Friedensver-handlungen zwischen den beiden Erzbischöfen von Mainz und Köln einerseits und dem Ldgfn. Hermann andererseits vermittelt haben.259

Die Bezeichnung civitas meint im allgemeinen eine Stadt in vollem rechtlichen Sinne. Die Erwähnung als civitas in einer zwar zeitgenössischen, aber erzählenden Quelle ist hingegen - im Vergleich mit dem Aussagegehalt von

254 Vgl. dazu die (eigentlich in Zusammenhang mit Planung, Grün-dung und Aufbau der mittelalterlichen Großstadt Lübeck ent-standenen) grundsätzlichen, auf jahrzehntelange Überlegungen und Diskussionen zurückgehenden Erwägungen von Reincke, Städtegründung. Betrachtungen und Phantasien, hier bes. S.344-352, 354-358 sowie dessen Nachwort und Literaturhinweise, S.359-370 passim; vgl. etwa auch den geradezu klassischen Auf-satz von Keyser, Stadtgrundriß.

255 Zur Verkehrslage Mels.s im Mittelalter vgl. bisher Landau, Heer- und Handelsstraßen, bes. S.40; Heß, Städtegründungen, S.70 f., 74, 77 f.; Patze, Entstehung Landesherrschaft, S.459; umfassend Görich, Manuskript Melsungen, S.1-3, 6, 10 f., 15, 17-21 passim; Bruns/Weczerka, S.339-341, 344-346.

256 Zit. Heß, Städtegründungen, S.75. In diesem Sinne auch Schön-tag, Untersuchungen zur Geschichte des Erzbistums Mainz unter den Erzbischöfen Arnold und Christian I. (1153-1183), S.182, oder Görich, Manuskript Melsungen, S.3.

257 Zur Reinhardsbrunner Chronik vgl. Werner, Art. „Cronica Reinhardsbrunnensis (Reinhardsbrunner Chronik)“, Sp.353 f.

258 Holder-Egger, Cronica Reinhardsbrunnensis, S.552. Vgl. dazu ausführlich die Ausführungen im Abschnitt D 1.1., S.184 f.

259 Diemar, Chroniken Wigand Gerstenberg, S.148 (zu 1195, kor-rekt: 1194). Vgl. dazu ausführlich im Kapitel D 1.1., S.184 f.

Urkunden - von geringerem Quellenwert.260 Höchst-wahrscheinlich gelangte Melsungen, nach seiner Zerstö-rung wohl durch Ldgf. Hermann, mit dem Frie-densschluß vor der Stadt an den Ldgfn. zurück. Die Lehnshoheit des Erzbischofs über die Stadt und die Rückgabe an den Ldgfn. könnte eines der bei dieser Gelegenheit erreichten Verhandlungsergebnisse gewesen sein. Wie der 1263 abgeschlossene Langsdorfer Vertrag vermuten läßt, war der konkrete Rechtsstatus der Stadt unklar.261

Es ist anzunehmen, daß der Wiederaufbau Melsungens von den Ldgfn. (bzw. deren Beauftragten) sofort nach den Friedensschluß von ca. 1194 in Angriff genommen wurde. In Zusammenhang mit diesem Wiederaufbau dürften dann auch die ersten schriftlichen Quellenbelege entstanden sein, die von einer Stadt Melsungen seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts etwas ausführlicher berichten.262

Denkbar ist, daß die 1151 erwähnte Siedlung que maior Milsuongen dicitur (Groß-Melsungen) bereits an der Stelle der späteren Stadt gelegen hat.263 Allerdings muß darauf hingewiesen werden, daß sich bisher von dieser Siedlung keine (etwa archäologisch nachweisbaren) Spuren finden lassen.264 Auch kann nicht ausgeschlossen werden, daß Melsungen bis zur Anlage des burgus aus mehreren in der Gesamtgemarkung verstreut liegenden Weilern und Höfen bestand und sich als geschlossene Siedlung erst im späten 12. Jahrhundert im Zuge einer Siedlungskonzentration ausbildete.265 Vermutlich wur-den bei der Neuplanung der Marktsiedlung im Fuldaknie neben der Bevölkerung des Dorfes Melsungen auch die Einwohner der (späteren) Dorfwüstungen Reinwerker-ode, Stonichenrode, Berterode, Wendesdorf und Schwer-zelfurt umgesiedelt.266 Sie konnten von ihrem neuen

260 Dazu ausführlich Schlesinger, Burg und Stadt (1954), S.97-150;

Schlesinger, Burg und Stadt im Lichte der Wortgeschichte, S.102-129.

261 Druck: Gudenus, Codex diplomaticus I, S.702 ff. Nr.311; Re-gest: Grotefendt/Rosenfeld, Nr.77 (1263 Sept. 10); Dobenecker III, Nr.3104.

262 Das nicht genau datierte Stiftungsverzeichnis des Benediktiner-klosters Breitenau aus der 2. Hälfte des 12. Jhds. erwähnt, wie bereits dargestellt, eine Schenkung in Obermels. (Grotefend, Breitenau, S.56). Welche der beiden Siedlungen im Güterver-zeichnis in der 1196 Jan. 25 von Papst Coelestin III. für das Prämonstratenserstift Spieskappel ausgestellten Besitzbestäti-gungsurkunde gemeint sind, Mels. oder Obermels., muß unge-wiß bleiben. Damals bezog das Stift einen Zins von acht Schil-ling aus Mels. (Druck: Wenck, Hessische Landesgeschichte II,1 Nr.90, S.125-128, hier S.126; List, Spieskappel, S.38 f. Anm.4).

263 Heß, Städtegründungen, S.78 f.; Görich, Manuskript Melsungen. 264 Heß, Städtegründungen, S.79 Anm.64, will nach Armbrust,

Melsungen, S.132, in dem 1456 bezeugten Flurnamen Aldinstat eine Vereinfachung der älteren Namensform in der aldin muy-len[-]stat sehen.

265 Heß, Städtegründungen, S.79, 92 f. - Die jüngst von Kiesow, Gesamtkunstwerk - Die Stadt, gebotene Vorstellung, daß „die äl-tere Burg und der überlieferte ‘burgus’ [...] wohl an anderer Stel-le [lagen], die jüngere Forschung [...] sie im heutigen Stadtteil Obermels. [vermute]“, und „Die planmäßige Neuanlage der Stadt [nach 1193] auf einer bis dahin unbebauten Freifläche [er-folgte]“, dürfte auf ein Mißverständnis in der Interpretation der Görich’schen Thesen zur Mels.er Stadtentwicklung beruhen.

266 Armbrust, Melsungen, S.224; Heß, Städtegründungen, S.79. Zu den Wüstungen im Mels.er Raum vgl. Landau, wüste Ortschaf-ten, S.83-87; Armbrust, Verschwundene Burgen und Ortschaf-ten; Armbrust, Melsungen, S.122-129; Weidemann, Wüstungen;

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Wohnort aus auch weiterhin ihre Äcker und Wiesen bewirtschaften.267

Vielleicht erinnert das beispielsweise im Jahr 1464 von achtzehn Melsungener Zinspflichtigen an den ldgfl. Rentmeister gezahlte hobestatgelt an frühe Grundbesitz-lasten oder persönliche Abhängigkeitsverhältnisse in Melsungen.268

Der Versuch, anhand der Grundstücksgrenzen die älteste Marktsiedlung Melsungen zu rekonstruieren, ist jedoch vor allem im Nordosten der vermuteten Siedlungsfläche nicht einwandfrei durchführbar und bleibt bestenfalls

zum Wüstlegen und Aufbau neuer Städte durch die Ludowinger knapp Weidemann, Niederhessen, S.206. Der neue Bericht von Maurer, Wüstungen zwischen Kirchhof und Elbersdorf, faßt ne-ben allgemeinen Ausführungen über mittelalterlichen Siedlungs-gang und Wüstungsprozeß die Ergebnisse mehrjähriger Ortsbe-gehungen und archäologische Erkenntnisse der letzten Jahre zu-sammen. Maurer kann aufgrund eigener guter Ortskenntnis u.a. den (vermutlichen) Siedlungsstandort von Reinwerkerode (ebd. S.26, 29 f.) am unteren Ende des Hospitalsgrabens, Stonichenro-de (ebd. S.26, 32), Berterode und des unmittelbar benachbarten Dörfchens Wendesdorf am Steinwaldskopf (ebd. S.26, 32 f.) re-lativ genau lokalisieren.

267 Zu den Wüstungen bei Mels. u. zum Umzug der umgesiedelten Dorfbewohner mit ihren dörfl. Häusern Heß, Städtegründungen, bes. S.79, 92, 103-105 mit Anm.64a, 173 mit Anm.9, 174, 183 f., zum in den historischen Quellen nur allenthalben zu bemer-kenden (meist nur punktuell und spät feststellbaren) Wüstwer-dungssprozeß rund um entstehende Städte ebd. S.160 f. - Die Umsiedlung der bäuerlichen Dorfbewohner mit Häusern ist durch eine - allerdings jüngere! - Chronik des Joh. Crämer (um 1514), für Creuzburg/Werra überliefert: [...] Circa annum domi-ni vero MCCXIII gloriose memoratus Hermannus landgravius summa jucunditate loci allectus de condenda etiam urbe medita-ri coepit. Jussit igitur viciniores rusticos ex Meylingen in parvo campo, ex Colbendorf, ex Rumpfreyn et ex Hebsberg casas et domicilia sua ad Montem Crucis transferre donans eis jus civita-tis et insignia, quae sunt tres turres valde conspicuae (Zit. nach Heß, Städtegründungen, S.119, außerdem ebd. S.103 f., 173). - Vgl. allgemein die noch immer grundlegende Arbeit von Schar-lau, Wüstungsforschung; Historische Geographie und Namen-forschung können zur Wüstungsforschung oftmals nur zweitran-gig weitere Hilfen liefern; vgl. zusammenfassend Jäger, Wüs-tungsforschung in geographischer und historischer Sicht (mit hess. Beispielen, auch zu unserem engeren Fragenkreis); exem-plarisch zu den Ursachen des spätmittelalterlichen Wüstungs-vorganges, mit Beobachtungen aus Sachsen aus historischer Sicht, Blaschke, Wüstungsvorgang. Zu genauerer Kenntnis vom Wüstwerden der Siedlungen kann bes. die Archäologie gelan-gen; vgl. zusammenfassend zu Forschungsstand und Methode Janssen, Methoden und Probleme archäologischer Siedlungsfor-schung, passim; instruktiv der Katalog von Bergmann u.a., Zwi-schen Pflug und Fessel. Mittelalterliches Landleben im Spiegel der Wüstungsforschung.

268 StAM, Rechn.I, Mels., Rmr.1464 (Kart.81/25), Bl.10r: 9 Zinser zahlen 4 Schilling, 4 zahlen 6 s., je 2 zahlen 8 oder 2 s., einer zahlt 7 s. Hofstättenzins. - Die von Armbrust, Melsungen, S.224, erwähnte Rauchhühnerabgabe von 1332 von einem Haus (StAM, X 1, Depositum Mels., 1332 Aug. 8) in Mels. ist hier nicht zu berücksichtigen, da in der Urkunde lediglich von Hüh-nern die Rede ist, die wohl als Miet- oder Pachtzins vom Haus jährlich fallen. - Heß, Städtegründungen, S.79, gibt dazu irrtüm-lich das Jahr 1356 an. - Die von Armbrust, Melsungen, S.224, und nach ihm von Heß, Städtegründungen, S.79, angeführte Ab-gabeleistung von Hühnern und Gänsen im Jahr 1456, die auch in den meisten anderen Mels.er Rentmeister- oder Schultheißen-rechnungen und Zinsregistern in wechselnder Höhe zu finden ist, wurde als Michaelis-Gült erhoben. Die Herkunft dieser Abgabe ist ungewiß.

begründete, aber sonst kaum abgesicherte Vermutung.269

269 Heß, Städtegründungen, S.81 f. Dagegen hat Görich diese Re-

konstruktion gewagt, allerdings doch „mit allem Vorbehalt“ (Vgl. Görich, Manuskript, Melsungen; Görich/Wolf). Nach dem von Görich rekonstruierten Stadtentwicklungsplan wäre die erste Marktsiedlung eine rechteckige Anlage mit großem echteck-Platz in ihrer Mitte, der bereits die Erbauung von Kirche und Kirchhof in seiner westl. Hälfte vorsah. Wenn man von einer Randbebauung des Marktplatzes ausgeht, so hätte die Siedlung aus 60 bis 65 Hausgrundstücken bestanden - bei einer Gesamt-fläche von etwa 175 m x 130 m. Vgl. dazu den am Ende von Bd. 3 beigefügten farbigen Stadtplan.

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5. Aufbau und Aussehen der spätmittelalterlichen Stadt und ihrer nächsten Umgebung

5.1. Der Aufbau der landgräflichen Stadt Verschiedene Forschungsbereiche geben uns Hinweise auf den Aufbau der Stadt im Spätmittelalter. Die Stadtgrundrißforschung versucht, die verschiedenen Entwicklungsphasen einer Stadt relativ und chronolo-gisch einzuordnen. Die Ähnlichkeiten zwischen ver-schiedenen Stadtgrundrissen und dem Aufbauschema der Stadt Melsungen sind von der Forschung mehrfach er-kannt und nahezu erschöpfend besprochen worden.270

Besonders ausführlich hat Heß den Melsungener Stadt-plan mit sehr ähnlichen Stadtgrundrissen verglichen, namentlich von Göttingen, Hannoversch-Münden, Span-genberg, Grünberg oder Homberg/E. Der Vorbildcharak-ter von Hannoversch-Münden wird für Melsungen mehr-fach unterstrichen und macht eine Stadtanlage vor oder um 1190 wahrscheinlich.271

270 Zur Stadtgrundrißentwicklung allgemein immer noch grundle-gend Keyser, Stadtgrundriß, speziell zu Mels. vgl. recht ausführ-lich Heß, Städtegründungen, bes. S.84 f., 87. - Vgl. zusammen-fassend zur vielschichtigen Entwicklung von städtischen Parzel-len - nach archäologischen Ergebnissen - Vogel, Parzellengefüge in der Stadt um 1200.

271 Auf die Ähnlichkeiten der Stadtgrundrisse wies bereits Graefe, Ist Münden von Heinrich d. L. gegründet?, hin. Vgl. dazu bes. Heß, Städtegründungen, S.153-156. Heß setzt die Entstehung der beiden Städte aufgrund des Stadtgrundrisses etwa gleichzeitig an (vor 1190) und sieht die Vorbilder im welfischen Herrschaftsbe-reich (Der Grundriß-Typ kommt in Braunschweig-Altstadt, Göt-tingen und Braunschweig-Hagen vor; vgl. ebd. S.140-156 pas-sim); zu den Ähnlichkeiten auch ausführlich K. Heinemeyer, Münden, S.181-183, der aufgrund der Ähnlichkeiten mit dem Mels.er Stadtgrundriß in den Ldgfn. von Thüringen auch die Stadtgründer Mündens (vor 1183) vermutet. Zuletzt ist Diestel-kamp, Heinrich der Löwe und die entstehenden Städte in Nord-deutschland, S.393 f., der schwer zu entscheidenden Frage nach Stadtgründer und früher Stadtherrschaft von Hannoversch-Münden zusammenfassend nachgegangen. Er bevorzugt dabei offenbar Heinrich den Löwen als Stadtgründer: „(...) Für Hanno-versch-Münden schien bei dieser Sachlage eine Untersuchung des Stadtgrundrisses zu sprechen, weil ein Vergleich zeigte, daß er in seiner planvoll-regelmäßigen Anlage den Zähringerstädten ähnelt, die Heinrich der Löwe durch seine Ehe mit Clementia von Zähringen kennengelernt und in seinem Herrschaftsbereich eingeführt habe. Doch diese Argumentation stieß auf Ableh-nung. Eine weitere Untersuchung verschob erneut das Gewicht zugunsten des Löwen, weil Hannoversch-Mündens Stadtgrund-riß nicht die charakteristischen Züge landgräflich-thüringischer Stadtgründungen aufweist. Fügt man diese Indizien zusammen, ließe sich folgern, Heinrich der Löwe habe kurz vor 1180 Mün-den zur Stadt ausbauen lassen, die dann nach seinem Sturz an die Ludowinger gefallen und von ihnen in der begonnenen Form vollendet worden sei. Eine solche Hypothese könnte auch erklä-ren, weshalb trotz einer Gründung der Stadt durch Heinrich den Löwen das Mündener Stadtrecht eine enge Verwandtschaft zu dem anderer thüringisch-hessischer Städte aufweist, wohingegen keine Ähnlichkeit mit Stadtrechten des welfisch-sächsischen Be-reichs feststellbar ist“ (Ebd. S.394). - Die referierte Argumenta-tion überzeugt m.E. nicht. Vgl. z.B. die zum Resümé kommende Untersuchung von Schwineköper, Zur Problematik von Begrif-fen wie Stauferstädte, Zähringerstädte, „daß die allein aufgrund

Görich hat im Rahmen der für den Geschichtlichen Atlas von Hessen vorgesehenen Blätter zur Ortsgrundri-ßentwicklung hessischer Städte auch eine Interpretation des Melsungener Stadtplans vorgelegt, die jedoch oft-mals spekulativen Charakter besitzt.272 Auf die von Heß und Görich entwickeltenVorstellungen von der Orts-grundrißentwicklung der mittelalterlichen Stadt Melsun-gen muß im Folgenden weiter eingegangen werden. Heß hat den Melsungener Stadtgrundriß vorbildlich beschrieben, weshalb wir in Auszügen seinen Beschrei-bungen ausführlich folgen und lediglich in den Fußnoten jeweils auf unseren Standpunkt bzw. unsere Erkenntnisse hinweisen273:

„Die Planmäßigkeit der Gründung läßt sich am bes-ten heute noch am Stadtgrundriß ablesen. Ihm dient ein rechtwinkliges Achsenkreuz, das nach den Zwischen-himmelsrichtungen orientiert ist, als Gerippe. Längsach-se ist die dem Fluß parallel geführte Kasseler Straße und ihre Fortsetzung, die Rotenburger Straße. Der in leich-tem S-Schwung auf die Fulda zulaufende Sälzerweg ist die Querachse. Ihre Schenkel heißen Fritzlarer Gasse und Brückengasse. Obwohl zur Zeit der Stadtgründung diesem Fernweg die größere Bedeutung zukam, hat sich die Stadt längs der Kasseler Straße ausgedehnt, zweifel-los weil das Gelände keine andere Möglichkeit zuließ.274 Die Siedlungsfläche ist zwischen Flußbett und Berghang eingezwängt. Daß die Fuldatalstraße schon vor der Stadtgründung hier verlaufen sei, ist auf Grund der to-pographischen Verhältnisse wenig wahrscheinlich. Of-fensichtlich ist sie erst im Zusammenhang mit der Anlage

des Stadtplanes vorgenommene Zuweisung einer Stadt an eine bestimmte Gründerfamilie nicht möglich ist“ (Zit. ebd. S.154). M.E. kann beim gegenwärtigen Forschungsstand nicht mit letz-ter Sicherheit entschieden werden, ob Münden eine Gründung Heinrichs des Löwen oder der Ludowinger ist (zurückhaltend schon Schwind, Landgrafschaft Thüringen, S.42 Anm.32).

272 Görich, Stadtgrundriß Melsungen; Görich, Legenden [und Kartenentwurf]; Görich, Zahlenschlüssel, S.49-51; ausführlich Görich, Manuskript Melsungen; Wolf/Görich, S.271-273. - Bei den Mels. betreffenden Ausarbeitungen konnte sich Görich im-merhin auf seine mehr als 50-jährige Erfahrung in der Beurtei-lung der Entstehungsgeschichte und Weiterentwicklung von Städten stützen. Zu der von Görich angewandten Methodik be-reits 1952 Görich, Stadtgrundriß als Geschichtsquelle, speziell zu den von ihm entwickelten Stadtentwicklungsplänen des Ge-schichtlichen Atlas und ihrer Problematik Schwind, Vorbemer-kung zu den Stadtplänen, S.231. Zur Vorgehensweise dieses Forschers vgl. u.a. Görich, Stadtgrundriß als Geschichtsquelle; Görich, Kassel; Görich, Nochmals: Hersfeld; Görich, Neues hess. Stadtplanforschung; Görich, Grünberg; Görich, Alt- und Neustadt Marburg.

273 Zit. Heß, Städtegründungen, S.79-84. 274 Die Ausdehnung der Stadt längs der Achse der Kasseler Straße

(und ihrer verschobenen Verlängerung über die Rotenburger Straße kann auch als Hinweis darauf gewertet werden, daß zur Zeit der Entstehung des Markt- oder Stadtgrundrisses noch keine Brücke vorhanden war und der Fernverkehr den Flußübergang über die südlich der Stadt gelegene Fuldafurt(en?) suchen mußte.

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der Stadt entstanden, vielleicht durch Verlegung eines bisher nicht nachgewiesenen älteren Verbindungswegs.

Das Achsenkreuz teilt die Stadt in ungleiche Viertel. Um so regelmäßiger ist der Stadtkörper gegliedert. In etwa gleichen Abständen sind Neben- und Stichgassen gezogen, die in Längs- und Querrichtung mit den Haupt-achsen parallel laufen. So begleitet auf der Flußseite die leicht geschwungene Mühlengasse vom Marktplatz an die Kasseler Straße, biegt schließlich nach Westen um und mündet vor dem Kasseler Tor fast rechtwinklig in sie ein. Entsprechend verlaufen Burgstraße und Eisfeld auf der Bergseite. Die Burggasse ist in der Mitte abgeknickt und läuft, wie z.B. die Fulder Gasse in Alsfeld, auf den Kirchturm zu. Da sie sich jedoch am Kirchhof vorbei-zwängen muß, ist die südwestliche Straßenfront zurück-geklappt, so daß eine trichterförmige Erweiterung ent-steht. Das Eisfeld divergiert etwas nach Süden.

Die vier Längsstraßen sind vor dem Kasseler Tor zu-sammengefaßt. Die Mühlengasse endet hier mit einer starken Krümmung. Burgstraße und Eisfeld [Anm.67: Neben der Schreibung „Eisfeld“ (1559, 1797) begegnet häufiger der Name „Eichsfeld“ (1607, 1617, 1757. - Armbrust, S.134). Der gleiche Straßenname auch in Fulda (vgl. A. Papst, Woher kommt der Name Eichsfeld in der Stadt Fulda, Hessenland 1906, S.190), Hersfeld und Creuzburg] münden in die Entengasse (der ältere, sinnvollere Name ist Endegasse), die im rechten Winkel auf die Kasseler Straße auftrifft. Im Gegensatz zur Mün-dung der Mühlengasse ist sie erheblich vom Kasseler Tor abgerückt. Zwischen ihr und der Stadtmauer füllt ein Streifen, der so breit ist wie die Grundstücksfelder bei-derseits der Kasseler Straße, die Westecke der Stadt aus. Hier lagen die mittelalterliche Burg275, der Fronhof und drei Burgsitze. Indem dieses Rechteckfeld sich völlig dem Gesamtplan unterordnet, bekundet es, daß es bei der Stadtgründung ausgespart wurde. Burg und Stadt haben also das gleiche Alter. 276

Der vierfache Zug der Längsstraßen wird von der Querachse aufgefangen. Jenseits von Markt, Kirchplatz und Fritzlarer Gasse findet nur die Kasseler Straße in der Rotenburger Gasse ihre Fortsetzung. Zu dieser sind in gleichen Abständen vier Stichgassen gezogen. Eulen-turm- und Rosengasse führen von der Fritzlarer Gasse zur Oberen Mauergasse; Obere und Untere Steingasse vermitteln zwischen Brückengasse und unterer Mauer-gasse. Ähnlich läuft die Flemmergasse vom Markt zur Stadtmauer bei der Fulda. Ihr entspricht das Zülchgäß-chen zwischen Burggasse und Eisfeld. Auch die leicht geschwungene Zwerggasse [Anm.68: Zwerggasse (1749, 1757) oder Dwersgasse (1757). Der Name bedeutet Zwerch, Quergasse (Armbrust, S.140).] dient lediglich der weiteren Aufteilung des Stadtgebiets. Vom Hinteren Eisfeld bis zur Mühlengasse schneidet sie alle Längs-straßen, wobei sie mehrmals abgeknickt ist. Sie ist so

275 Nach unseren Erkenntnissen lag die Burg feldseitig (nördlich) vor dem ldgfl. Vorhof, also nicht auf dem beschriebenen Strei-fen.

276 Diese Beobachtung ergibt jedenfalls eine Gleichzeitigkeit der von der spätmittelalterlichen Stadtbefestigung eingefaßten Ge-samtanlage ungeachtet der Möglichkeit von älteren Siedlungs-Teilbereichen .

eng, daß sie im Straßenbild völlig zurücktritt; man be-merkt sie erst, wenn man vor ihr steht.

Die Straßen und Gäßchen sparen Rechteckfelder aus. Die drei südöstlich von Markt und Kirchplatz gelegenen sind am regelmäßigsten. Sie weisen etwa die gleichen Maße (46 x 70 m) auf. Das mittlere von ihnen, zwischen Rotenburger und Rosengasse, läßt noch die innere Auf-teilung erkennen. Deutlich hebt sich eine längs laufende Mittellinie ab, die den Block in gleiche Hälften zerlegt. Demnach haben alle Grundstücke nach der Rotenburger wie nach der Rosengasse dieselbe Tiefe von 23 m, sind aber verschieden breit. Das Gleiche gilt für die auf die Frtzlarer Gasse stoßenden Parzellen. Der ganze Bau-block ist also zusammengesetzt aus drei gleich großen, doppelt so lang wie breiten Rechtecken. Seine Proporti-onen (2 : 3) fußen auf dem Grundmaß der Hausstellen-tiefe (23 m). Die ist um weniges geringer als in Grünberg (etwa 25 m).

Die gleiche Aufteilung und Länge, wenngleich bei mehr oder weniger schwankender Breite, zeigen die gegenüberliegenden Felder beiderseits der Kasseler Straße und auch der Block zwischen Flemmergasse und Brückenstraße. Er reicht auf dem Plan bis zur Stadtmau-er. Jedoch fällt auf, daß die vorletzte (in ihrer Länge unterteilte) Parzelle in der Brückengasse besonders schmal ist. Sie hat etwa die gleiche Breite wie die untere Steingasse, in deren Fluchtlinie sie liegt. Offenbar geht dieses Grundstück auf ein überbautes Mauergäßchen zurück. Demnach hatte der Grundstücksblock ehedem wohl die gleiche Länge wie die anderen um den Markt gelegenen Felder, nach deren System er auch aufgeteilt ist.

Die zwei nordwestlichen Baublöcke beiderseits der Kasseler Straße sind etwas schmäler angelegt, die Grundstücksgrenzen laufen bis zur nächsten Parallel-straße durch. In diesen sehr tiefen Parzellen stehen die Wohnhäuser an der Hauptstraße. Es ist anzunehmen, daß die Rückseite nach den Nebenstraßen vorerst offen blieb oder mit Schuppen und Scheunen bestanden war. Auch die Felder zwischen Burggraben und Eisfeld waren wohl anfangs nur einseitig bebaut, ebenso der Streifen zwischen Vorderem und Hinterem Eisfeld. Die Stadt-mauer wird in der ersten Zeit freigeblieben sein, denn die hier angeklebten Häuschen und Hütten konnten die Verteidiger am raschen Besteigen der Mauern hindern.

Die Stadtmauer beschreibt ein Trapez mit abgerunde-ten Ecken. Folgt sie der Linie der ältesten Befestigung? Im Südosten gewiß, denn hier reicht die regelmäßige Blockeinteilung bis zur Mauergasse. Im Nordwesten war der Abschluß durch die Burg gegeben. 277 Die Abgren-zung nach der Fluß- und der Bergseite ist schwieriger. Man könnte erwägen, ob die Mauer auf der Bergseite über eine erste Wallinie hinaus vorgeschoben wurde, denn zwischen Vorderem und Hinterem Eisfeld streckt sich ein schmaler, weniger regelmäßig bebauter Streifen. Er scheint jedoch früher einheitlich breit gewesen zu sein. Versucht man, die Begrenzungslinie nach dem Hinteren Eisfeld zu begradigen, so erhält man das Tie-fenmaß von 23 m, das sich im übrigen Stadtgebiet häufig als Grundstückstiefe wiederfindet. Es ist demnach ohne

277 Vgl. dazu die vorletzte Anm.

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weiteres möglich, daß dieser Streifen bei der Stadtgrün-dung mit abgesteckt wurde.278 Der recht ähnliche Grundriß von Allendorf weist ebenfals einen verkümmer-ten Randstreifen auf, der offensichtlich in die Grün-dungszeit der Stadt zurückreicht.

Auf der Flußseite folgt die Stadtmauer vom Kasseler Tor zunächst im Abstand von 10-15 m der Mühlengasse bis zu dem Punkt, wo die Zwerggasse auftrifft. Dann macht sie einen Knick und holt weiter zum Fluß hin aus. Die Annahme jedoch, daß der ältere Wall gradlinig in gleichbleibendem Abstand zur Mühlengasse weitergelau-fen sei und etwa hinter den Häusern am Markt und der oberen Steingasse seine Fortsetzung gefunden hätte - mit anderen Worten, der Versuch, eine ältere Befestigung von rechteckigem Grundriß zu rekonstruieren - findet im Verlauf der Grundstücksgrenzen keine Stütze. Vielmehr spricht die Feststellung, daß der Block zwischen Flem-mergasse und Brückengasse die gleiche Aufteilung, wahrscheinlich gleiche Länge279 und am Markt auch die gleiche Breite wie die meisten um den Platz gruppierten Felder hat oder hatte, für die Tatsache, daß er mit diesen zusammen abgesteckt wurde. Auch der Block zwischen Oberer und Unterer Steingasse ordnet sich völlig der alten Gliederung ein. Demnach wird schon die erste Befestigung sich hier so weit an den Fluß vorgeschoben haben wie die spätere Mauer. 280 Deren Reste gestatten keine genaue Datierung. Die erste zufällige Erwähnung stammt aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts. Jedoch darf vorausgesetzt werden, daß die Stadt ebenso wie andere ludowingische Gründungen bald ummauert wur-de, im späten 12. oder im frühen 13. Jahrhundert, als die strategische Bedeutung des Platzes am größten war.

Von der Fuldabrücke, die im 15. Jahrhundert auf der Stadtseite in einer Zugbrücke endete 281, liegt erst von 1398 eine Nachricht vor. Sie ist jedoch sicherlich älter. Ihr Bau wird schon bei der Stadtgründung geplant gewe-sen sein, denn die Brückenstraße ist bereits als Zufahrt zur Brücke angelegt. 282 Zu diesem Zweck verläßt sie den Marktplatz nicht in der bisherigen nordöstlichen Rich-

278 Die in Mels. mehrfach errechenbare oder erschließbare Grund-stückstiefe von 23 m kann nicht unbedingt als Beweis für ihr bis in die Stadtgründungszeit zurückreichendes Alter gewertet wer-den, da auch denkbar ist, daß dieses Grundstücksmaß auch bei später erfolgenden Parzellenvermessungen für neue Grundstücke innerhalb der bestehenden Siedlung oder bei Siedlungserweite-rungen aufgrund eines uns nicht bekannten (Orts-) Gewohnheits-rechtes Verwendung fand.

279 Die Grundstückstiefe ist demnach auf dieser Marktplatzseite keineswegs einwandfrei rekonstruierbar. Anhand der uns über-lieferten Grundstücksgrenzen kann die östl. Begrenzung dieser Grundstücke genauso gut zu einer Linie rekonstruiert werden, die eine geradlinige Verlängerung der östl. Stadtmauer in der Nordhälfte der Stadt bildet und auch von Görich so vorgeschla-gen wurde.

280 Dementsprechend ist diese Schlußfolgerung zumindest fraglich. 281 Das Vorhandensein einer Zugbrücke ist für das Spätmittelalter

nicht nachweisbar und geht auf eine fehlerhafte Deutung Arm-brusts zurück.

282 Die Brückengasse verlief, wie Kellerforschungen und nach Süden erweiterte Gebäude der Nordseite der Brückengasse nahe-legen, ursprünglich an eine Uferstelle leicht nördlich der heuti-gen Fuldabrücke. Dies könnte darauf hinweisen, daß der Ver-kehr auch hier zeitweise die Möglichkeit zur Zufahrt zu einer Furtstelle erhielt (bereits von Dr. Görich erkannt und beschrie-ben).

tung, sondern ist gegen das im Stadtgebiet ziemlich ein-heitliche Straßengitter nach Ost-Nord-Ost abgewinkelt. [...] Zu den aus dem Grundriß abgeleiteten Kriterien für einen frühen Brückenbau in Melsungen treten entspre-chende Nachrichten von anderen landgräflichen Stadt-gründungen. [...] Markt und Kirchplatz, die zusammen ein Rechteck ergeben, werden durch eine Häusergruppe so voneinander geschieden, daß zwei etwa quadratische Felder entstehen. Für die Beurteilung der architektoni-schen Form ist die Frage nicht unwesentlich, ob der Häuserstreifen dem Plan des 12. Jahrhunderts angehört - also von Anbeginn Markt und Kirchplatz trennte wie im gleich alten landgräflichen Grünberg - oder erst später entstanden ist; dannn hätte, etwa wie in Lippstadt, der Markt an den Kirchhof gegrenzt und die freistehende Kirche das Platzbild beherrscht. Die schriftliche Über-lieferung reicht nicht aus, um diese Frage zu beantwor-ten. Es ist nicht einmal sicher, ob ein 1303 genanntes Haus am Kirchhof in jenem Streifen gelegen hat. Jeden-falls setzt die ausgewogene Lage der Häusergruppe eine wohldurchdachte Planung voraus. 283 Sie ist genau in die Mitte des großen Rechtecks gesetzt, das sie in zwei Qua-drate zerlegt. Die stattlichen Häuser auf dem Streifen sind übrigens wohl kaum aus überbauten Verkaufsstän-den hervorgegangen. Sie haben die in Melsungen häufi-ge Grundstückstiefe von 23 Metern und sind sämtlich unterkellert. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Anlage des Streifens bald nach der Stadtgründung erfolgte, wird auch gestützt durch vergleichbare Häusergruppen, die in Allendorf, Creuzburg und anderen ludowingischen Städ-ten in die Platzfläche gesetzt sind.

Der quadratische, im 13. Jahrhundert noch freie Marktplatz wirkte weit und geräumig, denn die Häuser rundum waren nur etwa halb so groß. 284 Nur eine der beiden Achsen, die Fritzlarer Gasse, tangiert ihn. Die Kasseler Straße trifft nicht genau auf seine westliche Ecke. Noch stärker ist der Eintritt der Rotenburger Gas-se von der Südecke abgesetzt und nach der Mitte hin verschoben. Diese Anordnung ist dadurch erreicht, daß die Häusergruppe nach dem Kirchhof zurückspringt. Die gegenüberliegende Platzwand schiebt sich um den glei-chen Abstand auf den Markt vor und verstellt so der Mühlengasse den freien Zutritt zum Platz. Man könnte denken, daß es hier den Hausbesitzern gelungen sei, durch schrittweises Vorrücken des einen, dem die andern folgten, sich wertvollen Baugrund zu erschleichen. Hier-gegen spricht allerdings, daß der Grundstücksblock, wie bereits erwähnt, die gleiche Tiefe hatte wie die übrigen,

283 Diese Planung geht zweifelsohne in die Frühzeit der Stadt

zurück, da davon auszugehen ist, daß mit der Errichtung des ers-te Gotteshauses auch der Kirchhof abgesteckt und eingefriedet wurde, dessen Begrenzung seitdem einen geweihten Bezirk ein-schloß. Die Verkürzung des sowieso engen Kirchhofs in vorre-formatorischer Zeit wegen der geplanten Erbaung von zum Marktplatz hin geöffneten Händlerständen, -buden oder Bürger-häusern ist eher unwahrscheinlich. Die (m.E. wahrscheinlich erst im 15. Jhd. erfolgte) Erbaung eines Häuserstreifens genau in der Mitte des (längst mit Überlegung) gleichmäßig geteilten großen Stadtplatzes dürfte auf die längst vorgenommene Begrenzung des Kirchhofs zurückzuführen sein. Die auch hier festzustellende „Einheits-“Grundstückstiefe von 23 m mag, wie bereits oben an-gedeutet, auf ein in Mels. ortsübliches Maß zurückzuführen sein.

284 Es kann nach heutigem allgemeinen Wissensstand nichtunbe-dingt davon ausgegangen werden, daß die Bürgerhäuser des 13. Jhds. nur aus ein oder zweigeschossigen Gebäuden bestanden.

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den Markt begrenzenden Felder. Wir müssen also an-nehmen, daß das Ende der Mühlengasse von jeher blo-ckiert war. Das ist um so wahrscheinlicher, als auch auf dem Kirchplatz die Straßen nicht an den Ecken einmün-den. Diese Platzform hat Melsungen mit mehreren gleichalten Städten gemeinsam. Quadratische Plätze mit versetzten Straßen sind typisch für die Stadtbaukunst des späten 12. und frühen 13. Jahrhundert. [Anm.79: Z.B. in Havelberg, Naumburg und Großenhain bei Meißen, auch in Coburg, Karlstadt am Main und Rothenburg o.T.]“

Für das hohe, bis in die Zeit der Stadtgründung zurück-gehende Alter der meisten Grundstücke innerhalb des gesamten Stadtgrundrisses, wie er sich mit seiner Um-wallung bis in das 16. Jahrhundert hinein erhalten hat, nimmt demnach auch Heß v.a. eine ursprüngliche, weit-gehend übereinstimmende Parzellengröße an, die er auf allen Seiten des Marktplatzes nachwies oder (an der Ostseite) wahrscheinlich machte. Die Planmäßigkeit dieser Gesamtanlage von Burg und Stadt ist nach der Untersuchung von Heß an den sehr regelmäßig aufgeteil-ten Baublöcken zu erkennen, die sich in ihrem gesamten Aufbau an einem Straßenkreuz orientierte, und auch an der bereits erwähnten, vielfach feststellbaren Grund-stückstiefe von 23 m.285 - Anhand des regelmäßigen Verlaufs der Hauptstraßen und der seitlichen Querver-bindungen und Stichgassen ist Heß der Überzeugung, daß die Gesamtanlage „in einem Guß“ geschaffen wurde. So gehört nach Heß auch die deutlich bemerkbare Aus-buchtung der südlichen Stadtanlage nach Osten, in Rich-tung auf Fluß und Brücke, zum ursprünglichen Stadt-grundriß. Heß geht davon aus, daß der von der spätmittelalterli-chen Stadtmauer eingeschlossene Melsungener Stadt-grundriß anhand des Verlaufs der Straßen und Gassen und besonders anhand der erhaltenen Parzellengrenzen und der Regelmäßigkeit der Baublocks in allen wesentli-chen Zügen (eventuell mit Ausnahme der Westseite) ihren Ursprung in einer einheitlichen Planungsmaßnah-me der Stadtgründungperiode hat. Dementsprechend spiegele sich hierin weitgehend die im späten 12. bzw. frühen 13. Jahrhundert herausgebildete Ortsgrundrißsitu-ation wider.286

Dagegen hat Görich in seinen Vorschlägen zur Melsun-gener Ortsgrundrißentwicklung u.a. im Verlauf der Par-zellengrenzen Indizien (oder mehr oder weniger „Bewei-se“) für die Vermutung zu erkennen geglaubt, daß die Ausbildung des Stadtgrundrisses, die insgesamt zwar sehr regelhaft wirke, sich dennoch in mehreren Phasen vollzogen habe. Heß hat allerdings bereits die später von Görich als Indiz (bzw. „Beweis“) für bestimmte Entwicklungsstufen im Stadtgrundriß bewerteten Grundstücksgrenzlinien und sonstigen topographischen Anhaltspunke eingehend behandelt, sie jedoch meist aufgrund des Fehlens weite-rer Hinweise abschlägig beurteilt. Heß wertet lediglich im Westen der Stadt Grundstücksgrenzen zwischen Vor-derem und Hinterem Eisfeld mit einem schmalen, ver-hältnismäßig wenig regelhaft bebauten Streifen als mög-lichen Hinweis auf eine frühere Siedlungsbegrenzung (in

285 Grundsätzlich stimmen Heß, Städtegründungen, S.79-87 passim, und Görich (bes. Manuskript Melsungen) darin überein.

286 Bes. Heß, Städtegründungen, S.80 f.

Form von Wall und Graben) und damit auf eine später vorgenommene Siedlungserweiterung (hier wohl in Zu-sammenhang mit dem Mauerbau).287

Nach dem Stadtentwicklungsplan von Görich wäre die erste Melsungener Marktsiedlung (wohl der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts) eine rechteckige Anlage mit großem Rechteck-Platz in ihrer Mitte (Görich, Phase I). Görich rekonstruiert rund um den großen freien Platz, der ver-mutlich in seiner Westhälfte bereits die Möglichkeit zur Anlage eines ersten Gotteshauses mit Kirchhof ein-schloß, eine regelhafte Blockbebauung. Geht man von dieser allseitigen Randbebauung des Stadt-Platzes bzw. dieses frühen Marktplatzes aus, so hätte die erste Markt-siedlung bei einer Seitenlänge von 175 m x 130 m und einer vermuteten Wallbefestigung von innen etwa 610 m eine Grundfläche von etwa 2,8 ha eingenommen. Zu dieser Siedlung hätten lediglich 60-65 Hausgrundstücke gehört, da der große Stadt-Platz (unter Einschluß der Fläche des späteren Kirchhofs) allein etwa 40 Prozent der vermuteten Gesamtfläche dieser Siedlungsphase ausgemacht hätte. Das Verhältnis von Marktplatz und Gesamtsiedlung würde eindrucksvoll Funktion und Be-deutung des Platzes unterstreichen. Als zweiten Siedlungsschritt nimmt Görich eine (nach Görich im späten 12. Jahrhundert, nach 1189/90) nach Norden und Westen (zur später erbauten) Burg hin er-folgte Erweiterung beidseits der Kasseler Straße an (Gö-rich, Phase II). Er rekonstruiert diese etwa 1,5 ha umfas-sende planmäßige Siedlungserweiterung vor allem auf-grund der Abweichung der nordwestlich vom Marktplatz abgehenden Gassen und der Grundstücksgrenzen in den dortigen Baublöcken von dem stark rechteckig ausge-führten „Bauplan“ des Gebiets unmittelbar am Markt-platz. Danach erfolgte die Vergrößerung des Ortes durch Anlage mehrere Baublöcke in lockerer Randbebauung vermutlich in Zusammenhang mit der Errichtung des ldgfl. Fronhofes (dem späteren ldgfl. Renthof), wohl der ursprünglichen sogen. Hobestatt. Der spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Befestigungsgür-tel geht nach diesem Stadtentwicklungsplan erst auf eine Stadtanlage der Zeit um 1200 oder auf jeden Fall der ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts zurück (Görich, Phase III). In Zusammenhang mit dem etwas weiterfas-senden Stadtmauerbau setzte die bisherige Forschung (Görich wie Heß) die Errichtung der ldgfl. Burg und die mitten im Südwestdrittel des großen Stadt-Platzes errich-tete romanische Kirche an. Dabei wurde von der Vorstel-lung ausgegangen288, daß die mittelalterliche Burg genau an der Stelle des nach einer Inschrift 1577 errichteten Marstalls und der Zehntscheune gelegen hat, also inner-halb des (inneren) Stadtgrabens.289 Hier, auf der nord-westlichen Schmalseite der Siedlungsfläche, wäre eine besonders große Erweiterung der Siedlungsfläche er-folgt, wo neben der vermuteten Burg in der benachbarten Nordwestecke des Stadtmauerrings die zugehörige Hof-statt lokalisiert wurde. Dort standen am Ende des Mittel-alters drei Burgmannensitze, deren Errichtung demnach

287 Ebd. S.81. 288 Heß, Städtegründungen, S.85; dem folgt auch Görich, Manu-

skript Melsungen. 289 V.a. nach Armbrust, Melsungen, bes. S.151-153, der allerdings

nicht den Versuch unternahm, den Standort der spätmittelalterli-chen Burg genau zu lokalisieren.

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im 13. Jahrhundert erfolgte. Folgen wir weiter Görichs Vermutungen, so wurde im Westen die Stadtmauer, die mit starken Tortürmen versehen wurde, an den die Stadt verteidigungsmäßig bedrohenden Schloth weiter heran-gerückt. Dieser Hang konnte dennoch - wie Görich ver-mutet - durch die stärkeren Befestigungswerke auch weiterhin angemessen kontrolliert und ein von hier kommenden Angreifer gut abgewehrt werden. Offen muß allerdings weiterhin bleiben, wann die hier wohl notwendige Verstärkung der westlichen Stadtmauer mit Schalentürmen vorgenommen wurde, entweder noch in spätstaufischer Zeit oder erst im 14. Jahrhundert. - Für weitere von Görich angenommene Schalentürme an den drei anderen Seiten der Stadtbefestigung gibt es aller-dings nicht den geringsten baulichen oder archivalischen Nachweis. Ihr früheres Vorhandensein ist sehr unwahr-scheinlich. Auf den ersten Blick vermittelt der von Gö-rich rekonstruierte Stadtgrundriß (Görich, Phase IIIa-IIIb) den Eindruck einer sehr starken und regelmäßig ausgebauten, mit zahlreichen Türmen versehenen, „Fes-tungsstadt“. Dieser Eindruck wird noch dadurch ver-stärkt, daß nach diesem mutmaßlichen Plan die ältere östliche Stadtmauer an der Mühlenpforte noch nicht so stark nach Nordosten umknickte, sondern in ihrem südli-chen Abschnitt zunächst westlicher verlief. - Dabei er-scheint m.E. die Vermutung, daß eine ältere, wie auch immer feldseitig befestigte Siedlung im Osten, zur Fulda hin, das öfters von Hochwasser überflutete Gelände zunächst nicht einschloß und erst eine frühe Stadterwei-terung die Siedlungs nach Osten bis an das Ufer der Fulda heranrückte, nicht unberechtigt, wenn auch nicht nachweisbar. - Görich vermutet, daß mit dem Bau einer ersten Fuldabrücke die Stadtmauer möglichst nahe an den Fluß herangeschoben wurde (Görich, Phase IV: „wahrscheinlich erst um 1230“), um den gleichfalls für den Brückenbau notwendigen Dammwerk ein festes Widerlager zu geben. - Letztlich kann jedoch beim heu-tigen Kenntnisstand nicht geklärt werden, ob die in der südlichen Stadthälfte nach Osten ausbuchtende Stadt-mauer bereits eine frühe Stadterweiterung in Richtung Fuldabrücke darstellt, oder ob ob sie schon zur Befesti-gungskonzeption der 1. Hälfte oder der Mitte des 13. Jahrhunderts gehörte. Allerdings fällt auf, wie bereits Heß und Görich erkannten, daß zum in Hinblick auf die Plazierung der vier Stadttore gleichmäßig angelegten spätmittelalterlichen Befestigungsring im Süden die Anlage des Rotenburger Tors gehörte, auf das vom Marktplatz aus völlig regelhaft die als Hauptstraße aus-gebildete Rotenburger Straße (Gasse) zuführte. Die An-lage dieser innerstädtischen Hauptverbindung in Rich-tung auf die ldgfl. Nachbarstadt im Süden wird jedoch feldseitig nicht weiter fortgesetzt. Entweder war in einer frühen Phase der Stadt, als Stadtbefestigung und Stadttor in dem uns gut bekannten Umfang und an dem bekann-ten Standort angelegt wurden, eine Fuldabrücke für die Hauptwegeverbindung nach Rotenburg noch an anderer, einer weiter südlich gelegenen Stelle als später vorge-nommen gedacht (möglicherweise an der Stelle der mo-dernen, zuerst 1890 erbauten sogen. Zwei-Pfennig-Brücke), oder diese Verbindung führte (auf einem nicht mehr erhaltenen bzw. auch in den ältesten Karten nicht mehr eingezeichneten Weg) am St. Georgsspital vorbei zur wichtigen St. Georgsfurt, wo der Fernverkehr am gegenüberliegenden Ufer den Hang in Richtung Karls-

schanze/Pfieffrain gut bewältigen konnte. In dem Maß, wie aber die planmäßige Anlage von Rotenburger Straße und Rotenburger Tor mit hoher Wahrscheinlichkeit die Verkehrssituation des Melsungener Raumes vor Anlage der Fuldabrücke bei der Stadt widerspiegelt, so nimmt die Ausbuchtung der südlichen ummauerten Stadtanlage nach Osten einen deutlichen Bezug auf die konkrete Planung oder den im Entstehen begriffenen, mehrjähri-gen oder bereits vollzogenen Bau der großen Fuldabrü-cke. Deshalb dürften sich im bekannten Verlauf des spätmittelalterlichen Befestigungsringes und im bekann-ten spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Ortsgrundrißbild der Stadt (mindestens) zwei Entwicklungsphasen erken-nen lassen. Falls demnach die östliche Ortsbegrenzung der Südhälfte der Stadt zunächst westlicher entlang der bis heute erkennbaren Hochwassergrenze lag, so dürfte diese allerdings nicht, wie Görich in seinem Stadtent-wicklungsplan (Phase IIIa) mutmaßte, aus Stadtmauer und etlichen Türmen bestanden haben, sondern eher aus einem Wallgraben mit Holz-Erde-Befestigung und einer Pforte in der Nähe der späteren Brückengasse (die zu-nächst vielleicht leicht nördlich verschoben auf eine weitere frühe Fuldafurt zielte). Die Bebauung des restlichen, nun von der spätmittelal-terlichen Mauer eingeschlossenen Stadtgebietes (Ge-samtfläche: knapp 8 ha) erfolgte erst allmählich. Nach meinen Untersuchungen wurde allerdings die ldgfl. Burg nördlich des älteren Fronhofes - vor der Stadt - in den bereits vorhandenen feldseitigen Befestigungsgürtel erst um 1300 (zwischen 1263 und 1325) eingepaßt. Trotz aller Vorläufigkeit und allen Mutmaßungscharak-ters von Görichs ‘Vorschlägen’ zur frühen Stadtentwick-lung kann nicht in Abrede gestellt werden, daß auch die älteste Marktsiedlung, die Görich mit einer Bebauung rund um den ursprünglichen Markt- oder Stadtplatz e-benso aufgrund der Parzellengrenzen zu erkennen glaubt (Görich, Phase I), das von Heß rekonstruierte „ursprüng-liche“ Parzellengefüge rund um den Marktplatz aner-kennt und berücksichtigt. Über diese Phase der Sied-lungsentwicklung kann zwar bisher weder durch archäo-logische noch durch urkundliche Zeugnisse irgendein Nachweis erbracht werden, sie ist jedoch aufgrund des Fehlens entgegengesetzter Befunde auch nicht auszu-schließen. - Ob der von Görich vermutete nächste Schritt in der Siedlungsentwicklung der jungen Stadt Melsungen (Görich, Phase II), der danach im wesentlichen aus einer Erweiterung von der ältesten Marktsiedlung bis zum ldgfl. Fronhof bestanden hätte, tatsächlich so vorge-nommen wurde, ist - wie bereits angedeutet - allerdings keineswegs näher belegbar, wenn auch nicht auszu-schließen. Andererseits darf nicht vergessen werden, daß auch die von Heß ausgearbeiteten und mit großer Vorsicht und Zurückhaltung vorgelegten Vorschläge zur Entwicklung des Stadtgrundrisses von Melsungen lediglich auf be-gründeten Vermutungen zurückgehen, die keineswegs das Vorhandensein einer älteren, kleineren Vorgänger-siedlung am selben Platz ausschließen können. - Auch die Ausführungen von Heß können nicht vorbehaltlos übernommen werden, sind stellenweise unrichtig. Heß hat, wie bereits angedeutet, nicht genügend die Über-schwemmungsprobleme der Stadt an der Fulda berück-sichtigt und erkannt, daß die deutliche Ausbuchtung der

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östlichen Stadtmauer in der südlichen Stadthälfte das regelmäßig vom Fuldahochwasser bedrohte Gebiet mit einschloß, was ein Nicht-Einbeziehen in einer älteren Entwicklungsphase der frühen Stadt- oder Marktsiedlung wahrscheinlicher macht. M.E. widersprechen sich dennoch letztlich die von Heß und von Görich erarbeiteten Entwicklungsphasen - trotz unterschiedlicher Ableitungen - nur in Einzelheiten290, zumal die beiden von Görich vermuteten Frühphasen der Stadt zeitlich so früh datiert werden müssen, daß sie durchaus vor der Ausformung des spätmittelalterlichen Stadtgrundrisses (nach der Datierung von Heß im späten 12. oder frühen 13. Jahrhundert) datiert werden könnten. An dieser Stelle können die verschiedenen von Heß und Görich rekonstruierten Entwicklunghasen nicht noch detaillierter vorgestellt werden. Es soll abschließend genügen, noch einmal auf die großen Schwierigkeiten hinzuweisen, die sich vor allem durch die von den Gren-zen der Haus- und Hofgrundrisse abgeleiteten Schlüsse auf stattgefundene Stadterweiterungen oder andere Stadtplanänderungen ergeben, wenn diese in den schrift-lichen Quellen nachgewiesen werden sollen oder doch wenigstens aufgrund des archivalischen Materials wahr-scheinlich zu machen. Der Stadtplan von Melsungen mit seinem gitterförmigen Gesamtaufbau - den wir oben ausführlich dargestellt haben - hat sich vermutlich seit dem späten 12. oder frühen 13. Jahrhundert nur wenig verändert; er ist in seinem Grundriß bis heute weitgehend erhalten geblie-ben. Wir haben jedoch damit zu rechnen, daß die Bebau-ung der einzelnen Blöcke erst allmählich voranschritt und daß sich so das Bild der Stadt in ihrem Innern doch ständig veränderte. Heß291 hat sehr anschaulich gerade für Melsungen zu beschreiben versucht, wie wesentlich sich die Stadt des 13. Jahrhunderts von der heute vom frühneuzeitlichen mehrgeschossigen Fachwerkhaus ge-prägten Altstadt unterschieden haben kann, als vielleicht noch weitgehend die niedrige, eingeschossige Bauweise vorherrschte, die dann erst im Verlauf der nächsten bei-den Jahrhunderte allmählich verdrängt worden wäre.292

Die erst in den letzten Jahren vor allem mit Hilfe der Dendrochronologie allgemein gewonnenen Neuerkennt-nisse zu städtischen Wohnhäusern des 13. Jahrhunderts

290 Heß ist insgesamt wesentlich zurückhaltender bei der Frage, mit wieviel einzelnen Stufen der Entwicklung einer städtischen Sied-lung zu rechnen ist. Görich räumt regelmäßig in seinen „Vor-schlägen zur Ortsgrundrißentwicklung“ ein, daß eine große An-zahl von Siedlungserweiterungen stattgefunden haben, die mög-licherweise nicht in der erhaltenen schriftlichen Überlieferung belegbar sind.

291 Heß, Städtegründungen, S.84 f., 87. 292 Dennoch dürfte das von Heß beschriebene Bild vom Aussehen

der Bauten der Siedlung Mels. nur als idealtypisch anzusehen sein. - Einen guten modernen Gesamtüberblick (vorwiegend aus archäologischer Sicht) über Bautopographie, Baugefüge und Le-bensweise der Bewohner v.a. deutscher Städte um 1200 vermit-teln u.a. Fehring, Stadtarchäologie in Deutschland; Vogel, Par-zellengefüge in der Stadt um 1200; Binding, Baubetrieb zu Be-ginn der Gotik; Kühnel, Zu den Lebensverhältnissen; Steuer, Zur Lebensweise in der Stadt um 1200; Janssen, Handwerksbetriebe und Werkstätten in der Stadt um 1200; Baart, Werkzeug, Gerät und Handwerksarten in der Stadt um 1200; Schütte, Brunnen und Kloaken, und weitere Beiträge im Sammelband Steuer, Zur Lebensweise in der Stadt um 1200.

scheinen aber bereits jetzt erkennen zu lassen, daß die mehrgeschossige Bauweise auch in den hessischen Städ-ten des 13. Jahrhunderts schon stark verbreitet war.293 In diesem Zusammenhang könnten außerdem archäologi-sche Untersuchungen in Stadtwüstungen, etwa in der nur wenige Jahre bestehenden, wohl 1231 zerstörten kleinen Stadt Landsberg bei Wolfhagen294, der um 1288 gegrün-deten, bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts wieder aufge-gebenen kleinen Kleinstadt Stoppelberg (südwestlich von Schwalenberg und ostsüdöstlich von Steinheim295) oder in der um die Mitte des 13. gegründeten, gegen Ende des 14. Jahrhunderts zerstörten Stadt Blankenrode nördlich von Marsberg296 weitere wesentliche Aufschlüsse geben. Wie bereits mehrfach angedeutet, können die Melsunge-ner schriftlichen Quellen zu den angesprochenen Fragen nur verhältnismäßig wenig beisteuern. Für die Entwick-lung des frühneuzeitlichen Fachwerkhauses sind jedoch sehr wichtige Melsungener Dokumente erhalten geblie-ben. Es handelt sich hierbei um die Handzeichnungen des Ldgfn. Moritz des Gelehrten, die zahlreiche Einbli-cke in die Kleinstadt Melsungen der Zeit um 1630 ver-mitteln.297 Der Ldgf. hielt sich seit seiner Abdankung Mitte März 1627 bis zu seinem Tod am 15. März 1632 in Eschwege sehr oft in Melsungen auf.298

293 Vgl. Großmann, Fachwerkbau; Großmann, Fachwerkbau -

Ergänzungen; z.B. zu Limburg und seinen ältesten bekannten Häusern (des 13. Jhds.) Lippert, Das Haus in der Stadt und das Haus im Hause, passim, und den ergänzenden Sammelband zu Limburger Fachwerkbauten (bes. Altwasser u.a., Limburger Fachwerkbauten des 13. Jahrhunderts, und Altwasser/Klein, Be-deutung der Limburger Bauten des 13. Jahrhunderts), dessen hausgeschichtliche Forschungen Lipperts Gesamtüberblick z.T. weiter konkretisieren.

294 Vgl. dazu u.a. Landau, Der Landsberg und die Burg Rödersen; Landau, Nachträge Landsberg; Günther, Quando oppidum Lan-desberg vastatum est; Helm, Bürgerhaus, S.152 f., Abb. T.134, Fotos T.135a-d; Heß, Siegelstempel Landsberg und weitere Bei-träge in ZHG 77/78, 1966/67, S.71-124; Halfar u.a., Führer Kir-che im Mittelalter, Burg und Stadt im Mittelalter, S.27; Klinck-hardt, Zur Gestalt der Städte in der Region Wolfhagen, S.137 f.

295 Zu Stoppelberg, das an der wenig geschützten Stadtseite mit Graben und Doppelmauer, sonst neben einer kleiner Stadtburg und zwei festen Pfortenbauten oder Tortürmen mit Wall und Graben geschützt war, zusammenfassend Bergmann, Relikte mittelalterlicher Siedlungen in Westfalen, S.61-70.

296 Blankenrode wird als ‘vermutlich besterhaltene Stadtwüstung Mitteleuropas’ bezeichnet; vgl. u.a. Bockshammer, S.149 Anm.6; Schoppmeyer, S.36 f., 38-41; Wöhlke, Kulturlandschaft des Hardehausener und Dalheimer Waldes; Stoob, Doppelstädte, S.172 f.; Engemann; Janssen, Bedeutung der mittelalterlichen Burg, S.310 f. Blankenrode war eine Doppelstadt, die bereits mit einer Steinmauer befestigt war, was im Gelände bis heute noch gut erkennbar ist (ebenso sind die Trümmer vieler Wohnhäuser als Hügel deutlich zu erkennen).

297 Die Originalzeichnungen befinden sich in der Gesamthochschul-Bibliothek Kassel (Landesbibliothek u. Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel), Handschrift 2° Ms. Hass. 107 (Handzeichnun-gen Ldgf. Moritz), Mels., Nr.1-36. - Zu den Mels.er Zeichnun-gen v.a. Helm, Bürgerhaus in Nordhessen, S.15-49, Tafeln 1-12 bzw. 1-25; vgl. auch Helm, Bauprojekte; eine Übersicht gibt Broszinski, Kasseler Handschriftenschätze; umfassend der Ü-berblick von Hanschke, Architekturzeichnungen des Ldgfn. Mo-ritz, Mels. betr. bes. S.266, 270 f., Katalog, S.281-283 Nr.309 a und b.

298 Zu den letzten Lebensjahren und zum Tod des abgedankten Ldgfn. vgl. Rommel 6, S.704 ff., Rommel 7, S.633 f.; zu seinem Verhältnis zu Mels. Schmidt, Melsungen, S.70; Löwenstein, Hessen-Eschwege, S.101-107; Bepler, Monumentum Sepulcrale.

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Dies hat uns aber nur insofern zu interessieren, als diese Zeichnungen des Ldgfn. manche Hinweise auf das Aus-sehen der spätmittelalterlichen Stadt geben können. Im-merhin gehört Melsungen zu den Orten Hessens, über deren inneren Aufbau wir für das 17. Jahrhundert am besten abbildungsmäßig unterrichtet sind. Dicht neben den Bürgerhäusern stehen hier beispielsweise in mehre-ren Fällen die Burgmannenhöfe, die zum Teil mitten in der Stadt liegen. Aus der spätmittelalterlich/frühneuzeitlichen Epoche haben sich in Melsungen neben Teilen der Stadtbefesti-gung, der Pfarrkirche und zwei Kapellen auch etliche Fachwerkbauten erhalten. Letztere lassen erkennen, daß auch das Straßenbild der Kleinstadt Melsungen bereits um die Mitte des 15. Jahrhunderts von mehrstöckigen Fachwerkhäusern bestimmt wurde. In den folgenden Abschnitten wird neben den nur aus der schriftlichen Überlieferung bekannten Baulichkeiten auch den noch erhaltenen spätmittelalterlichen Gebäuden der Kleinstadt Melsungen nachgegangen; sie werden meist vergleichend eingeordnet. Neben der Analyse der frühneuzeitlichen Stadtansich-ten299 und Pläne, die uns im wesentlichen Informationen über das äußere Erscheinungsbild der Stadt vermitteln, ermöglichen die bereits erwähnten Zeichnungen des 17. Jahrhunderts wichtige Erkenntnisse über den inneren topographischen Aufbau von Melsungen. Als wichtigste Quelle für die ehemals in dieser Stadt vorhandenen Ge-bäude erweisen sich jedoch in erster Linie die schriftli-chen Zeugnisse, Urkunden und Angaben in den ldgfl. Amtsrechnungen. Aus der schriftlichen Überlieferung erhalten wir vielfältige Nachrichten zur Fuldabrücke, zu Mauern, Toren und Türmen der Stadtbefestigung, zur Burg des ldgfl. Stadtherrn und zum anschließenden ldgfl. Hof (Renthof). Burg und Renthof selbst waren ein viel-teiliger Gebäudekomplex am Rande der Stadt. Im Stadt-gebiet befanden sich außerdem mehrere Höfe der ldgfl. Burgmannenfamilien. Hier stand - an nicht bekannter Stelle - auch ein steinernes Haus. Viele Nachrichten besitzen wir über die Pfarrkirche. In ihrer Umgebung, auf dem Kirchhof, standen weitere Gebäude, die Schule und wahrscheinlich das Gebeinhaus. In der Nähe befand sich der Pfarrhof. Es gab weitere Kapellen innerhalb der Stadt und vor den Toren. Auch für die Kleinstadt Melsungen kann eine erstaunlich große Zahl weiterer öffentlicher Bauten mit speziellen Aufgaben nachgewiesen werden: Hierzu gehören das Rathaus, das Kaufhaus, zahlreiche Wirtshäuser und Her-bergen (Weinhaus, Bierhaus, Weinschenke und Herberge finden Erwähnung), die Badestube, das Back- und Brau-haus und die Fleischschirnen. Hospital und Siechenhaus lagen vor den Mauern. Mehre-re wichtige Produktionsstätten der städtischen Handwer-ker und Müller waren vom fließenden Wasser abhängig und lagen am Fluß oder an den Bächen außerhalb der Mauern, so verschiedene Getreidemühlen, die Walkmüh-le der Wollweber, die Öl- oder Schlagmühlen, die Loh-

Zu Ldgf. Moritz insgesamt jetzt der Katalog von Borggre-fe/Lüpkes/Ottomeyer, Moritz der Gelehrte.

299 Die wenigen durch Druck verbreiteten Stadtansichten von Mels. sind auch von der überregionalen Literatur erfaßt; vgl. etwa. Bachmann, Die alten Städtebilder, S.168 f. Nr.1363 [unter „Mel-sungen (Nassau)“].

mühlen der Gerber und die Schleifmühlen der Schmiede. Vor den Toren der Kleinstadt lagen außerdem mehrere Vorwerke und Schafhöfe, eine Ziegelei, in weiterer Ent-fernung auch (mindestens) eine Glashütte, die in Einzel-nachrichten Erwähnung finden. Über die vorhandenen Flurbefestigungen (Landwehr, Warten, Schläge) sind nur wenige Nachrichten bekannt, ebenso über die Richtstät-te(n). Den Stadtansichten, Karten und Plänen wie all den ver-schiedenen erwähnten Gebäudegruppen und Einzelbau-ten soll im folgenden so detailliert wie möglich nachge-gangen werden, um eine möglichst facettenreiche Re-konstruktion eines topographischen Gesamtbildes für diese Kleinstadt und ihre nächste Umgebung in der un-tersuchten Periode anzustreben.

5.2. Frühneuzeitliche Stadtansichten, Karten und Pläne

Einleitung Die schriftlichen Quellen überliefern uns nur ein sehr ungenügendes Bild von der Kleinstadt Melsungen wäh-rend des Mittelalters. Deshalb sollen alle sonst erreichba-ren Materialien herangezogen werden, um die Lücken wenigstens teilweise zu füllen.300 Die Bedeutung historischer Ansichten als Quelle für den Historiker ist längst erkannt und setzt sich im zunehmen-den Maße auch im Arbeitsbereich der Landesgeschichte durch. Methodisch schließt sich diese Untersuchungen andere bekannte Analysen historischer Stadtansichten an. Die historischen Ansichten werden nach vorausgegangener möglichst genauer Beschreibung analysiert und nach ihrem Quellenwert befragt.301

Wie bei den meisten anderen kleineren Städten stammen jedoch die frühesten bildlichen Zeugnisse, die uns erhal-ten geblieben und für die Stadttopographie von Bedeu-tung sind, erst aus dem späten 16. Jahrhundert.302

Wie bereits erwähnt, hat sich allerdings für das 17. Jahr-hundert eine außergewöhnlich große Zahl von Abbildun-gen Melsungens erhalten. Sie sind dem Umstand zu

300 Über den Quellenwert historischer Stadtansichten vgl. die grund-

legenden, auch methodisch wichtigen Erörterungen von Schmitt/Luckhardt, Realität und Abbild; Schmitt, Vorbild, Ab-bild und Kopie; Schmitt, Stadtbild in Druckgraphik und Malerei; Keyser, Bild als Geschichtsquelle; auch Jacob, Prolegomena. - Zu hessischen Ortsansichten vgl. methodisch die große, aus-schließlich und ausführlich der Darstellung der Stadttopographie gewidmete Darstellung zur Druckgraphik von Schenk zu Schweinsberg, Ansichten und Pläne der Stadt Marburg (metho-disch so, wie Schmitt dies in mehreren Darstellungen gefordert hat); für kleinere Städte vgl. z.B. Reyer, Abbildungen Witzen-hausen; Wolf, Homberg an der Ohm, passim; jetzt auch Kögler, Das Bild Friedbergs.

301 Vgl. grundlegend Keyser, Bild als Geschichtsquelle; methodisch wertvoll die allgemeingültigen Auseinandersetzungen bei Schmitt/Luckhardt, Realität und Abbild; Schmitt, Vorbild, Ab-bild und Kopie; Schmitt, Stadtbild in Druckgraphik und Malerei; vgl. Jacob, Prolegomena; für hessische Ortsansichten vgl. z.B. Reyer, Abbildungen Witzenhausen; Wolf, Homberg an der Ohm, bes. S.219-223, 253, 258, 260, 265 Anm.32.

302 Vgl. die Übersicht von Schuricht.

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verdanken, daß sich Ldgf. Moritz von Hessen-Kassel sehr oft und seit seiner Abdankung 1627 bis zu seinem Tod 1632 überwiegend im Melsungener Schloß auf-hielt.303

Die Federzeichnung Wilhelm Dilichs von Mel-sungen (1591) Die älteste uns erhalten gebliebene Stadtansicht ist eine sehr genaue Federzeichnung des hessischen Festungs-baumeisters, Landvermessers, Künstlers und Historio-graphen Wilhelm Dilich aus dem Jahr 1591.304 Die au-ßergewöhnlich feine Zeichnung ist von Dilich vom rech-ten Fuldaufer aufgenommen worden. Sie zeigt die ge-samte Stadt von ihrer nordöstlichen Seite. Das Bild ist sehr sorgfältig angelegt worden und enthält genaue An-gaben über das Aussehen der Stadt gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Melsungen erreichte man damals noch über eine hölzerne Notbrücke, da die steinerne Brücke 1552 durch eine starke Flutwelle zerstört worden war. Erst 1596 wurde die noch heute vorhandene Steinbrücke erbaut, die sogen. Bartenwetzer-Brücke.305 Die Zeich-nung Dilichs läßt noch die aus dem Wasser ragenden Pfeilerstümpfe der mittelalterlichen steinernen Vorgän-gerbrücke deutlich erkennen.306 Flußaufwärts ist das große Fuldawehr zu erkennen, das zwei Mühlen mitein-ander verband. Links von der Brücke steht steht das Gebäude der wohl im Kern noch mittelalterlichen Wag-mühle. Sie ist uns besonders durch mehrere Handzeich-nungen des Ldgfn. Moritz bekannt, der eine Befestigung der Brückenvorstadt plante.307

Die von Mauer und Türmen umstandene Stadt war dicht bebaut, wie die zahlreichen Dächer zeigen. Den Zutritt zur Stadt gewährten zur Fulda hin der hohe, mit Walm-dach versehene, viereckige Turm des Brückentores, dem eine niedrigere Pforte als Vortor vorgelagert war. Zwi-schen beiden Gebäuden, Torturm und Vortor, standen einige Häuser.308

Die nordöstliche Mauerfront309 wurde durch einen Rund-turm mit hohem Kegeldach an der Ostecke der Stadtbe-festigung und einen weiteren rechteckigen Turm etwa in der Mitte des Mauerabschnitts rechts vom Brückentor verstärkt. Bei diesem hohen Turm lag wohl die spätgoti-sche Mühlenpforte für Personen-, Reiter und Karrenver-

303 Armbrust, Melsungen, S.41. 304 Orig. Federzeichnung im StAM; Druck: Dilich, Ansichten

hessischer Städte, Taf. 19. - Zu Wilhelm Dilich vgl. Stengel, Landtafeln; Niemeyer, Nachwort, in Dilich, Hessische Chronica. S.3-21; jetzt umfassend Nieder, Wilhelm Dilich.. - Dilichs Fe-derzeichnung von Mels. von 1591 als Titelbild und unten abge-bildet auf S.51.

305 Dilich, Hessische Chronica, S.151. 306 Heß, Städtegründungen, S.85 Anm.84. 307 Gesamthochschul-Bibliothek Kassel (Landesbibliothek u.

Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel), Handschrift 2° Ms. Hass. 107 (Handzeichnungen Ldgf. Moritz), Mels., Nr.1, 7, 9, 20-22.

308 Es handelt sich dabei, wie die Zeichnungen des Ldgfn. Moritz vermuten lassen (besonders ebd. Mels. Nr.7, 21 und 23), um die Herberge rechts vom Brückentor und um Handwerkerhäuser links davon.

309 Zur Stadtmauer vgl. bisher u.a. Görich, Stadtgrundriß Melsun-gen; Görich, Legenden [und Kartenentwurf] zu Wolf/Görich; Görich, Zahlenschlüssel; Wolf/Görich.

kehr, deren (damals bereits vermauertes?) Tor durch davorstehende Bäume verdeckt ist.310

Von der Stadtbefestigung sind weiter das südöstliche Rotenburger Tor als rechteckiger Turm mit hohem Walmdach und Dachaufbauten und der noch vorhandene Diebs- oder Eulenturm in der Südwestecke des Stadtbe-rings als sehr hoher Rundturm mit Kegeldach und Dach-häuschen zu erkennen. Außerdem ist als niedrigerer Rundturm mit Kegeldach und Gauben in der Nordwest-ecke (hinter dem ldgfl. Marstall bzw. der Zehntscheune) ein ebenfalls noch vorhandener runder Stadtmauerturm eingezeichnet. Den Abschluß nach Norden bildete 1591 das von 1550 bis 1557 erbaute Schloß311, das durch eine hohe Mauer mit zwei niedrigen runden Ecktürmen geschützt wurde. Unter den Gebäuden innerhalb des Stadtmauerringes sind besonders gut die spätgotischen Dachaufbauten der Melsungener Pfarrkirche und ihr spitzer Turmhelm zu erkennen, die aus den meist niedrigeren Dächern der Stadt herausragen. Nicht einwandfrei zu identifizieren sind dort die ohne Zweifel aufwendigeren Gebäude des Pfarrhofes und des von Röhrenfurthschen Hofes. Aller-dings sind gerade an deren Standort einige hohe Dächer, die nicht genauer einzuordnen sind, von Dilich gezeich-net worden. Links vor der Kirche ist deutlich das hohe Krüppelwalmdach des 1565/66 erbauten Rathauses mit seinen Ecktürmchen zu sehen.312 Die verschiedenen Burgmannensitze innerhalb der Stadt werden auf dieser Stadtansicht nicht eindeutig erkennbar. Wir haben dennoch in Dilichs Federzeichnung von 1591 eine an Genauigkeit kaum zu übertreffende Stadtansicht vor uns, die noch gut den Eindruck von der spätmittelal-terlichen Kleinstadt (des 15. Jahrhunderts) wiedergibt: Lediglich das im sogen. Stil der „Deutschen Renais-sance“ erbaute, sehr schlichte Schloß mit seinen Neben-gebäuden haben wir uns hierbei wegzudenken, wenn wir an seiner Stelle auch für das Mittelalter ein wesentlich kleineres und bescheideneres Burghaus annehmen kön-nen.313 Auch das mittelalterliche Rathaus dürfte nicht die erstaunliche Höhe seines Nachfolgers erreicht haben.

Melsungen auf der Fuldakarte des Joist Moers (um 1597) Eine weitere, erst vor wenigen Jahren bekannt geworde-ne kleine Stadtansicht von Melsungen befindet sich auf der um 1597 von W. Dilichs Nachfolger als ldgfl.-hessischer Landmesser, Joist Moers, geschaffenen farbi-

310 Armbrust, Melsungen, S.149, kannte die Pforte vielleicht noch

aus eigener Anschauung: Die kleine, spitzbogige Mühlenpforte, die von der Mitte der Mühlengasse nach dem Sande hinausführ-te, ist früh wieder zugemauert.

311 Zur Erbauung des Mels.er Schlosses vgl. Armbrust, Melsungen, S.152 f.; Armbrust, Melsunger Schloß; Schmidt, Melsungen, S.49 f.

312 Zum Rathaus ausführlicher im Abschnitt C 5.4., S.137-140. - Zur Erbauung des Rathauses 1565/1566 besonders Fenner, Rat-haus Melsungen, S.9.

313 Bisher hat sich die Forschung unter der eigentlichen Mels.er Burg einen räumlich viel zu großen Gebäudekomplex vorge-stellt, vgl. bes. die Ausführungen im Kapitel C 5.4, bes. S.80-89, zur ldgfl. Burg.

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gen Fuldakarte.314 Die Karte wurde in Zusammenhang mit der Schiffbarmachung der Fulda gegen Ende des 16. Jahrhunderts von Moers gezeichnet und hält alle Städte, Dörfer, Mühlen, Klöster, Brücken, Richtstätten und an-dere Baulichkeiten im damaligen Zustand, wenn auch schematisiert, als Federzeichnung fest. Dabei sind dem Landmesser Moers315 bei seiner vermutlich aus der Erin-nerung reingezeichneten Ansicht der Stadt Melsungen offenbar einige Irrtümer unterlaufen. Auf dem rechten Fuldaufer ist im Vorfeld der Stadt an der Einmündung des Kehrenbachs eine Sägemühle abge-bildet, die durch das eingezeichnete Fuldawehr mit der gegenüberliegenden Wagmühle verbunden ist, deren zwei Mühlräder zu erkennen sind. Ebenfalls ist die 1552 zerstörte, 1594 von der Stadt wiederaufgebaute schoene steinerne brueck zu erkennen. Sie war bereits im Frühjahr des Jahres 1595 durch starken Eisgang nochmals umge-worfen und 1596 mit Hilfe des Ldgfn. Moritz wiederauf-gebaut worden.316

Das Brückentor der Stadtbefestigung ist vielleicht leicht verzeichnet wiedergegeben: Nach unserer Vermutung sind das niedrigere Vortor und der hohe Torturm mit Walmdach zu einem Gebäude bildlich zusammengezo-gen worden. Zu erkennen ist der Turm in der Nähe der Mühlenpforte, die vielleicht bereits zu diesem Zeitpunkt vermauert war, da kein Eingang angedeutet ist. Rechts dahinter erhebt sich das ldgfl. Schloß mit vier Dacher-kern an den beiden Giebelfronten. Ein weiterer, dem Schloß vorgelagerter, nur angedeuteter Turm ist vermut-lich mit dem Rondell der Schloßmauer zu identifizieren, das in Dilichs Federzeichnung von 1591 besser zu er-kennen ist. An der entgegengesetzten Ecke der dem Fluß zugewandten Stadtmauerfront steht ein starker Rund-turm, wie wir ihn auch von anderen Ansichten Melsun-gens und verschiedenen Plänen her kennen. Über die Dächer der Stadthäuser ragen noch drei weitere Türme. Sie sind jedoch zweifelsohne ungenau wiedergegeben bzw. der Zeichner hat sie miteinander verwechselt. So ist vermutlich der mit Dachaufbauten versehene höchste Turm im Mittelpunkt der Stadt der Kirchturm, der (nach meiner Vermutung nachträglich und aus Versehen) von Moers die kleinen Dachtürmchen aufgesetzt erhielt, die eigentlich der links dahinter stehende Rundturm trug.

314 StAM, R III, 7: Moerssche Karte (um 1597). Zu dieser Fuldakar-te ausführlich: Engel und auch Wolff/Engel, Taf. 31 S.42 f. und Abb. S.33. - Für frndl. Beratung und Hinweise bei der Benut-zung der als Rotulus hergestellten Karte, die eine besonders wertvolle Quelle zur Kultur-, Wirtschafts- und Baugeschichte al-ler Siedlungen des Fuldatales zwischen Kassel und Bad Hersfeld darstellt, danke ich Herrn Archivamtmann Engel/Marburg. – Der beschriebene Ausschnitt der Fuldakarte von ca. 1597 mit der Ortslage Mels. hier abgebildet auf S.52. Jüngst stellt Gross, Bau- und Nutzungsgeschichte, S.31, offenbar die Autorenschaft des J.M. in Frage und führt einen „Jan van Moers (?)“ ein.

315 Joist Moers war im Auftrag Ldgf. Wilhelms IV. (reg. 1567-1592) seit etwa 1568 als Landmesser in Niederhessen tätig. Er war schon vor 1578 bestallter Landmesser in der Grafschaft Waldeck (bis 1606), außerdem seit seiner Bestallung 1582 auch staatlicher Landmesser in Hessen. Seit ca. 1580 lebte er in Kas-sel und starb 1625. Vgl. jetzt Kahlfuß, Amtliche Kartographie, S.9-12 mit S.11 Abb. 2, die den Landmesser J. M. aus Korbach 1575 auf seiner gedruckten Karte der Grafschaft Waldeck mit seinem wichtigsten Arbeitsgerät (Zirkel und Boussole) auch fi-gürlich wiedergibt (auch auf der Titelseite).

316 Nach Dilich, Hessische Chronica, S.151, der 1605 zur Brücke ausführliche Angaben macht.

Schließlich ist der dritte, zwischen Kirchturm und Schloß eingezeichnete Turm entweder eine Verzeichnung des wesentlich bescheideneren Rathausdachreiters, was wahrscheinlich ist, oder er ist der von seinem Standort an der Stadtmauer hinter dem Schloß von Moers mitten in die Stadt versetzte Rundturm, der noch erhalten ist.317 Außerhalb der Stadt hat Moers außerdem das Hosspital mit zwei Gebäuden (Kapelle und Haus) schematisch dargestellt und im Gebiet des sogen. Galgenberges die Richtstätte mit Rad und Galgen gezeichnet.

Die Stadt in der Radierung Wilhelm Dilichs (1605) Wilhelm Dilich hat seine Melsungener Federzeichnung von 1591 als Vorlage zu seiner Radierung in der Hessi-schen Chronica (1605) verwendet, leider jedoch stark vergröbert.318 Dilich hat andererseits 1605 mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit statt der hölzernen Notbrü-cke von 1591 die fünf Jahre später erbaute starke Stein-brücke (mit dem einer Brückenkapelle ähnelnden Brü-ckenhäuschen), in dem vermutlich der Zoll erhoben wurde319, abgebildet. Leider sind in Dilichs Radierung zahlreiche Ungenauigkeiten vorhanden, so daß sie in ihrem Quellenwert erheblich hinter die Originalzeich-nung von 1591 zurücktritt. Dilichs Radierung von 1605 diente 1628 den Kupferstechern des Frankfurter Verle-gers Eberhard Kieser in dessen u.a. von Daniel Meisner mit Sentenzen versehenen Thesaurus Philopoliticus (Politisches Schatzkästlein) als Vorlage für ihren wesent-lich ungenaueren Kupferstich.320 Merian hat diese Vor-lage um 1646 wesentlich genauer kopiert.321

317 Gemeint ist der sogen. „Schloßturm“, im 17. Jhd. auch als

„Eulenturm“ bezeichnet. 318 Dilich, Hessische Chronica, nach S.152. Vgl. u.a. Heß, Städte-

gründungen, S.85 mit Anm.84. – Dilichs Radierung von Mel-sungen hier abgebildet auf S.52.

319 Zeiller, Topographia Hassiae, S.108, erwähnt 1655 den starke Zoll an einer 'vornehmen Landstraße', der hier erhoben wurde (siehe Zitat .60).

320 Meisners Thesaurus Philopoliticus, 2. Band, 2. Teil, Nr.31 (hrsgg. von Eberhardt Kiesern, erschienen Frankfurt am Main bey Eberhard Kiesern, im Jahr 1628) - Texterläuterung der Sen-tenz zum Kupferstich Milsung an der Fulda: Ebd. S.11 Nr.31.- Die Mels.er Ansicht erschien außerdem 1638 in der bei dem Nürnberger Verleger P. Fuerst herausgebrachten Sciographia Cosmica (Nr.6/65). – Der Kupferstich aus dem Politischen Schatzkästlein bzw. der Sciographia Cosmica hier abgebildet auf S.53.

321 Zeiller, Topographia Hassiae, nach S.106. – Merians Kupferstich von Mels. von ca. 1646 hier abgebildet auf S.53.

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Wilhelm Dilichs Landtafel des Amtes Melsungen (1615) Ein weiteres kartographisch wie künstlerisch hochinte-ressantes Werk von Wilhelm Dilich stellen seine Landta-feln hessischer Ämter dar, die unter anderem auch den Bezirck der Stadt Milsungen 1615 als V. Sp.taffel des Amptes Milsungen als Karte mit einer Ansicht der Stadt Melsungen von Süden aus der Vogelperspektive ge-zeichnet und koloriert wiedergeben.322 An der Südseite der Stadt steht ein hoher Turm mit Walm- oder Pyramidendach ohne Vortor, jedoch wohl beidseitig der Straße mit einer Mauer versehen (Roten-burger Tor). Vor dem Tor befindet sich vielleicht ein Schlag.323 Die Anlage vor dem Pfortenturm stellt eine Art von „Zangentor“ dar. Im Westen erscheint das Fritz-larer Tor mit einem mehrgeschossigen Walm- oder Py-ramidendach, wohl eher einem Walmdach. Das deutlich erkennbare Vortor des Fritzlarer Tores hat ein Ziegel-dach. Zwischen den Türmen des Rotenburger und Fritz-larer Tores steht der weniger gut erkennbare heutige Eulenturm (früher auch Diebsturm genannt). Zwischen beiden Toren steht außerdem, leicht aus der Mauer he-raustretend, ein offenbar rechteckiger Turm oder Torbau mit Schieferdach, höchstwahrscheinlich die sogen. To-tenpforte.324 Allerdings ist bei diesem Gebäude kein Tor erkennbar.325 In der südöstlichen Mauerrundung, nahe der Fulda, befindet sich ein niedrigerer Turm. Das Gebiet vor dem weniger genau wiedergegebenen Brückentor ist nur locker bebaut. Erkennbar ist eine Häuserreihe an der Mauer und ein Mühlengebäude (die Wagmühle) direkt am Flußufer, von dem das Fuldawehr schräg zur Schnei-demühle führt. Auf der anderen Straßenseite der nicht befestigten Brückenvorstadt stehen die beiden Gebäude der Herberge. Auf der wuchtigen Brücke ist ein ziegel-gedecktes Häuschen sichtbar, die vermutete Zollstätte. Im Zuge der nach Norden verlaufenden Stadtmauer ist außerdem ein weiterer Turm, der Mühlenturm, zu erken-nen. Schlecht erhalten ist die Zeichnung im Bereich des Schlosses, dessen Mittelrisalit und Dachaufbauten nur schwach wahrgenommen werden können. Vor dem Schloß stehen die Gebäude des Renthofes. Weitgehend unbebaut ist die Nordwestecke der Stadt. Der direkt angrenzende „Lustgarten“ ist anscheinend von Dilich zeichnerisch nicht angedeutet worden. Dagegen hat er den Rundturm an der Nordwestecke der Stadtmauer, den sogen. „Schloßturm“, und das daneben liegende Burg-mannenhaus der Familie Riedesel deutlich wiedergege-ben. Die kleine Baulücke im südlichen Vorfeld der Rie-deselschen Vogtei dürfte mit der ehemaligen Hofstätte der Familie von Berlepsch identisch sein. Auf halber Strecke zwischen dem nordwestlichen Stadtmauerturm und dem Fritzlarer Tor wird außerdem ein niedriger,

322 Stengel, Dilichs Landtafeln, Bl.XVII: Melsungen, Bezirk der Stadt, Spezialtafel des Amtes Mels. 1615, Farbdruck (Farbdru-cke unterschiedlicher Qualität). - Einen guten Abdruck hatte Schmidt, Melsungen, S.67, zur Vorlage. - Vgl. unsere am Ende von Bd. 3 beigefügte Farbabbildung.

323 Unter 'Schlag' ist eine verschließbare Vorrichtung zu verstehen, mit der ein Weg blockiert werden konnte (Schlagbaum oder möglicherweise auch Falltor).

324 Die Totenpforte wurde nach Anlage des Friedhofes im bisheri-gen südl. Stadtgraben im Jahr 1556 in die Mauer gebrochen (Armbrust, Melsungen, S.149).

325 Vielleicht war es um 1615 vermauert.

ziegelgedeckter Rundturm (Rondell?) gut erkennbar dargestellt. Im Innern der Stadt, die noch innerhalb der Baublöcke zahlreiche Grünflächen (Gärten) aufweist, fällt die Kirche zuerst ins Auge. Sie hat bereits ein schie-fergedecktes, einfaches Dach über der Halle sowie Spitzgiebel an Querhaus und Chor. Sie ist von der Kirchhofsmauer umgeben. Das abgebildete Querhaus ist allerdings ein Irrtum Dilichs, ein solcher Gebäudeteil war nie vorhanden. Als zweiter städtischer Mittelpunkt ist außerdem das wuchtige Rathaus mit fast quadrati-schem Grundriß eingezeichnet. Die Straßen und die innere Bebauung von Melsungen sind ziemlich gut er-kennbar. Der Künstler hat relativ genau den Verlauf der einzelnen Straßen und Gassen in der Stadt wiedergege-ben. Vermutlich hat Dilich zunächst einen kleinen Stadt-plan skizziert, bevor er das Städtchen aus der Vogelschau darüberzeichnete. Südöstlich der Stadt hat auch Dilich den Galgen dargestellt.326 Dilichs Ansicht von Melsungen diente um 1708/10 Schleenstein als Vorlage für seine Karte.327

Die Skizzen des Landgrafen Moritz Wie bereits erwähnt, besitzen wir aus der Zeit von 1627 bis 1632 auf 42 Blättern ungefähr 75 Skizzen mit An-sichten und Plänen von Melsungen. Sie entstammen der Hand des Ldgfn. Moritz des Gelehrten, der sich seit seiner Abdankung im Jahr 1627 oft auf das Melsungener Schloß zurückzog.328

Seine meist mit geplanten Umbauten in Verbindung stehenden, Melsungen betreffenden Federzeichnungen geben uns allerdings keinen Gesamtüberblick über das Aussehen der Stadt zu dieser Zeit. Sie ermöglichen uns jedoch tiefgehende Einblicke in die damalige Bebauung der Stadt. Allerdings hat sich bis heute ein erstaunlich großer Teil an frühneuzeitlichen Fachwerkhäusern erhal-ten. - Melsungen gilt als die am besten erhaltene alte nordhessische Fachwerkstadt.329 - Von den um 1630

326 In der Gemarkung Mels. sind durch Flurnamen zwei Richtstätten

bzw. Galgenstätten bezeugt (hinter dem Schlot, in der Nähe des Melgershäuser Weges, und unter der Kuppe des Schönebergs - 1436 als Galgenhecke erwähnt (StAM, A II, Eppenberg, 1436 März 16; Regest: Becker, UB Riedesel, Nr.533), 1496 'der Gal-genberg' genannt. - Ein Stück Land, unter der Wiese in der Nähe des Spangenberger Weges gelegen, wird 1495 als an der alten galligen-hecken gelegen bezeichnet (StAM, A II, Eppenberg, 1495 Juni 5). Vgl. zusammenfassend Armbrust, Melsungen, S.135.

327 J. G. Schleenstein, Landesaufnahme der Landgrafschaften Hessen-Kassel (1707/1710). Original im Besitz der Staatsbiblio-thek Berlin (benutzt nach den Kopien im Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde Marburg). Inzwischen als Druck herausgebracht vom Hessischen Landesvermessungsamt Wies-baden. Bl.6: LANDKARTE, VON DEN ÄMPTERN GUDENSBERG, FELTZBERG UND MELSUNGEN. Eingezeichnet auch die Grenzen des Amtes Melsungen. Mels. als ummauerte Stadt mit Toren, Türmen und Stadtkirche; mit Fuldabrücke; Mühle am linken und am rechten Ufer der Fulda (Wagmühle und Bachmühle); drei Mühlen nördl. vom Kehrenbach eingezeichnet. Südl. des in die Fulda einmündenden Heidegrabens (zusammen mit dem Bürs-graben) das Spital; nördl. der Stadt das Siechenhauß; leicht sü-döstl. der Bachmühle der Galgen.

328 Zu Ldgf. Moritz vgl. den Katalog von Borggre-fe/Lüpkes/Ottomeyer, Moritz der Gelehrte. – Vgl. die Abb. S.90-91, 109-111.

329 Helm, Bürgerhaus, S.14. - Vgl. andererseits die kritische Ge-samtbewertung des Umganges mit der noch vorhandenen Origi-

vorhandenen Häusern war um 1960 immerhin noch etwa die Hälfte, wenn auch oftmals verändert, baumäßig er-halten.330 Die Zeichnungen des Ldgfn.331 konzentrieren sich je-doch, von einem bisher kaum beachteten Plan der südöst-lichen Stadthälfte abgesehen, weitgehend auf den Be-reich der Umgebung von Schloß,332 Lustgarten333, Renthof334 und Burgmannensitzen der Riedesel335 und der von Berlepsch336 sowie der Kasseler Straße337 und der Mühlenstraße338, weiter auf das Gebiet vor dem Brückentor und der Brückenvorstadt.339 Dabei enthalten sie auch einige Hinweise auf Stadtmauer, Tore und Tür-me der Stadtbefestigung.340

Allerdings befindet sich unter den von Ldgf. Moritz abgebildeten Häusern innerhalb der Stadt nur ein mit Sicherheit noch mittelalterliches Gebäude, und zwar die Riedeselsche Vogtei, auf die noch später näher einge-gangen wird. Spätmittelalterliche Entstehungszeit ist auch zumindest für ein dargestelltes, traufseitig zur Stra-ße stehendes Gebäude mit steinernem Erdgeschoß (oder Hochkeller) und Fachwerkobergeschoß (vielleicht der Vorgängerbau des Hauses Kasseler Straße 26) anzuneh-men.341

M.E. ist auch das mehrfach gezeichnete Haus mit der Badestube im Erdgeschoß (Mühlengasse Nr.50) spätmit-telalterlichen Ursprungs.342

Markante Punkte wie Kirche und Rathaus hat Ldgf. Moritz leider nicht abgebildet. Da beide Hauptgebäude noch heute weitgehend in ihrem spätgotischen Zustand erhalten sind, ist dies allerdings von untergeordneter Bedeutung.

nal-Bausubstanz in Mels. in jüngerer Zeit von Fenner, Bauge-schichte und Stadtsanierung.

330 Helm, Bürgerhaus, S.14-17. Vgl. die kritische Zusammenfas-sung von Fenner, Baugeschichte und Stadtsanierung.

331 Vgl. den Übersichtsplan bei Helm, Bürgerhaus, S.16 Abb.1. - Darunter befinden sich allerdings auch etliche Entwürfe, die den vollständigen Umbau von Schloß und Stadt beinhalten und kaum noch an den tatsächlich vorhandenen Baubestand erinnern.

332 Schloß: Gesamthochschul-Bibliothek Kassel (Landesbibliothek u. Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel), Handschrift 2° Ms. Hass. 107 (Handzeichnungen Ldgf. Moritz), Mels., Nr.1, 3-5, 7-9, 11, 29-32, 36, 38-42.

333 Lustgarten: Ebd. Nr.7, 14, 30-32, 39. 334 Renthof: Ebd. Nr.1, 3, 4, 7-14, 16, 31-32, 36, 38-42. 335 Burgmannensitz der Riedesel: Ebd. Nr.1-3, 10-11, 13-14, 16, 17,

39, 41. 336 Burgmannensitz der von Berlepsch: Ebd. Nr.1-3, 11, 13, 14-15,

17-19. 337 Die Kasseler Straße ist u.a. abgebildet ebd. Nr.1, 3, 12, 41. 338 Mühlenstraße: Ebd. Nr.3, 36, 38, 41. 339 Brückentor und Brückenvorstadt: Ebd. Nr.1, 7, 9, 20-23. 340 Stadtmauer, Tore und Türme: Ebd. Nr.1-3, 7-11, 13-20, 22-23,

30, 35-36, 38-42. 341 Kasseler Straße: Ebd. Nr.41; zwei Häuser weiter südl., im Haus

Kasseler Straße 22, hat sich der wohl spätgotische, tonnenge-wölbte Hochkeller mit straßenseitiger Mitteltür als Unterbau ei-nes neuzeitlichen, giebelständigen Fachwerkhauses erhalten (Maße i.L. ca.10,35 x 4,64-5,74 m, Scheitelhöhe heute ca. 2,35 m).

342 Badestube Mühlenstraße 50: Ebd. Nr.3, 36, 38. - Zur Badestube siehe im Abschnitt C 5.4., S.144-146.

Der von Landgraf Moritz um 1630 gezeichnete Plan der südöstlichen Stadthälfte Der Plan zeichnet an drei Seiten die Stadtmauer ein.343 Dabei sind drei der vier Stadttore abgebildet: Oben das Brückentor, rechts das Rotenburger Tor und unten das Fritzlarer Tor. Davon ist das letztgenannte Tor das einzi-ge, das etwas aus dem Zug der Mauer heraustritt. Die Stadtmauer wird in der oberen rechten Mauerecke durch einen runden Schalenturm verstärkt, in der gegenüberlie-genden Ecke der Befestigung durch einen weiteren run-den Turm, den noch heute erhaltenen Diebs- oder Eulen-turm. An einem Mauerknick zwischen Rotenburger Tor und Diebs- oder Eulenturm ist die bereits erwähnte To-tenpforte als rechteckiger Bau (mit vermutlich vermauer-tem Tor) eingezeichnet. Zwei weitere, links neben dem Brückentor im Verlauf der Stadtmauer abgebildete recht-eckige Bauten können nicht eindeutig identifiziert wer-den. Der leicht schematisch gezeichnete Bereich innerhalb der Stadtmauer hatte bereits damals sein heutiges Ausse-hen.344 Interessant erscheint vor allem, daß der Kirchhof bzw. die Kirchhofsmauer nicht nur in ihrer südwestli-chen, sondern auch in ihrer südöstlichen Ecke leicht abgeknickt war. Dies könnte ein Beleg dafür sein, daß der Häuserstreifen zwischen Kirchhof und Marktplatz, den Heß345 in seiner Planung bereits der Frühzeit der Stadt zuweisen möchte, doch erst verhältnismäßig spät entstanden ist. Auch Görich nimmt eine späte, wohl nachmittelalterliche Bebauung dieses Geländes an.346 Der auffällige, im Stadtplan von ca. 1630347 überlieferte Grundriß des Kirchhofs, den Görich nicht kannte, be-günstigt zwar diese Vermutung. Allerdings dürfte die westliche Häuserzeile des Marktplatzes spätestens im 15. Jahrhundert errichtet worden sein, wie eine Urkunde von 1454348 und das im Rahmen meiner Untersuchungen

343 Ebd. Nr.35. Das Original mißt etwa 50 cm x 30 cm. Vgl. die

Abb. S.57. 344 Der Stadtplan nennt folgende Straßen und Gassen: die Straßen-

verbindung zwischen Fritzlarer Tor und Brückentor (Fritzlarer Straße und Brückenstraße) heißt die Brücksgasse. Parallel dazu verlaufen nördl. von ihr die Schulgasse (Cyllsgasse und Kirch-gasse) und im Nordosten die Molngasse (Mühlengasse). Die Straßen zwischen Brücksgasse und südl. Stadtmauer heißen die Schindergasse (Untere Steingasse), die Steingasse (Obere Stein-gasse), die Rotenburgergasse (Rotenburger Straße), die Rosen-gasse und die Todengasse.

345 Heß, Städtegründungen, S.83, läßt letztlich die Frage offen, hält jedoch offenbar die Bebauung dieses Streifens im Jahr 1303 für wahrscheinlich (W.A. Eckhardt, Stadtarchiv Melsungen, datiert die Urkunde nun auf 1333 Dez. 7; siehe Beilage 2.3, S.718 f.; dazu auch Abschnitt D 3.3, S.358 f.

346 Vgl. Görich, Stadtgrundriß Melsungen. 347 Gesamthochschul-Bibliothek Kassel, Landesbibliothek u.

Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, Handschrift 2° Ms. Hass. 107, Handzeichnungen Ldgf. Moritz, Mels., Nr.35 - siehe beigefügte Abbildung.

348 1454 beurkundeten Konrad Schuler und seine Frau Emmel, daß sie ihr Haus und Hofreite mit Zubehör, gelegen zu Mels. an der eckin, alseman von den kirchobe an daß margkt gheyt, uff enn unde also dann myd Heinczen Steyngoses husunge in eyn buw und dach begreffin ist, uff dy andern syden, an die Stadt Mels. zum Preis von 55 ½ rhein. fl. verkauft haben. Nach der Rückbe-schriftung der Urkunde des 17. Jhds. handelte es sich um das Eckhaus, dorin in anno 1623 Hans Brandaw der Junge wohnet (StAM, X 1, Depositum Mels., 1454 Aug. 14). - Die genaue Lo-kalisierung des offensichtlich großen Hauses ist leider nicht möglich.

dendrochronologisch ermittelte Fälldatum für das Holz-werk des dreigeschossigen Fachwerkhauses Markt 10, dem nördlichen Eckhaus der Häuserzeile, nahelegen (d 1496/1497). Auf dem Marktplatz steht, wenn wir in der Beschreibung des Stadtplans weiter fortfahren, das noch heute vorhan-dene Rathaus, allerdings ohne den späteren Anbau. Da-von etwas abgerückt befindet sich das ebenfalls sehr große Brauhaus mit rechteckigem Grundriß, das anschei-nend unter einem Dach mit einem anderen Gebäude steht (Beschriftung nicht einwandfrei zu lesen, vielleicht Wacht).349 Nachweislich waren hier im Jahr 1640 die Fleischschirnen untergebracht.350

Jüngere Stadtansichten und Pläne Auch für das späte 17. und 18. Jahrhundert sind bis auf wenige Ausnahmen kaum Stadtansichten oder Pläne von Melsungen überliefert.351 Hier sind lediglich zwei Karten von einigem Wert, mit denen dieser Überblick abge-schlossen werden soll. Es handelt sich zum einen um eine nur schlecht erhaltene, um 1711 geschaffene Karte der Stadtgemarkung Melsungen. Sie stellt im Gebiet der Ortslage die Stadtbefestigung, das Schloß und den Renthof sowie das Gelände zwischen Brücke und Brü-ckentor leicht schematisiert dar.352

Nach dieser Karte war damals der Mauerring noch voll-ständig erhalten. Eingezeichnet sind die vier Stadttore, wobei das Fritzlarer Tor noch ein Vortor besitzt. Die Mühlenpforte ist gar nicht wiedergegeben, ebenso nicht die Totenpforte. Eingezeichnet sind lediglich der Scha-lenturm der südöstlichen Mauerecke (als Eckbollwerk bezeichnet), der Eulen- oder Diebsturm an der Südwest-ecke sowie zwei Rondelle (eines als Rondl bezeichnet) an der Westfront der Stadtbefestigung. Bei der zweiten, am 2. April 1738 in Melsungen angefer-tigten Karte der Stadtgemarkung353 sind ebenfalls der Mauerzug, die Brücke und das Gebiet des herrschaftli-chen Schlosses, des Renthofs und Vorwerks sowie der „Lustgarten“ eingezeichnet. Außer den vier Stadttoren und den beiden Eulenturm und Diebsturm genannten Ecktürmen wird jedoch die Stadtbefestigung lediglich von der als Torbogen dargestellten Todenpforte unter-brochen.

349 Fenner, Rathaus Melsungen, S.17, schlägt diese Lesart vor. 350 Armbrust, Melsungen, S.105, 149 ff., 279 f.; Heß, Städtegrün-

dungen, S.83 Anm.78. 351 So fällt z.B. auf, daß von den verschiedenen, erst im späten 18.

und 19. Jhd. abgebrochenen Stadttoren bisher keine einzige jün-gere Zeichnung bekannt geworden ist. Lediglich vom Rathaus, von der Stadtkirche und von der Fuldabrücke sind neben einer Gesamtansicht der Stadt Bilder aus dem 19. Jhd. (vor 1860) er-halten bzw. der Mels.er Heimatgeschichtsforschung bekannt. So erstaunlich dies auch sein mag: Aus dem 17. Jhd. sind von Mels. mehr Zeichnungen mit Gebäudeansichten bekannt als aus dem 19. Jhd.

352 StAM, Karte C 259 lit. a. Dazu gehört auch das Einzelstück mit der Lage des Schlosses und des Renthofes der um 1711 geschaf-fenen Konzeptkarte (StAM, Karte C 212 C), auf der sonst die Stadtlage bis auf die Stadtmauer fehlt, die ganz schematisch dar-gestellt wird. - Für die Hilfen bei der recht schwierigen Benut-zung ist Herrn Archivamtmann Engel/Marburg recht herzlich zu danken. - Vgl. die beigefügte Nachzeichnung S.74.

353 StAM, Karte B 810 (abgebildet im Ausschnitt S.75).

Zusammenfassung Damit sind bereits alle erreichbaren Ansichten, Karten und Pläne vorgestellt, die zu unseren stadttopographisch orientierten Fragen herangezogen werden können. Dieser Teil der Untersuchung macht die räumlich und bevölke-rungsmäßig geringe Entwicklung der Stadt vom 15. bis zum 18. Jahrhundert deutlich. Erst im 18. Jahrhundert wurden durch die Anlage einer Neustadt jenseits der Fulda die Enge der noch an den mittelalterlichen Gren-zen verhafteten Kleinstadt sowie der vorwiegend von Fachwerkhäusern des 15. und 16. Jahrhunderts geprägte Stadtkern etwas aufgelockert. Hier schließt sich die Frage an, inwieweit das topogra-phische Erscheinungsbild der frühneuzeitlichen Klein-stadt Melsungen auch in Einzelheiten auf mittelalterli-chen Vorformen beruht und welche stadttopographisch interessanten Punkte, die uns seit dem 16. Jahrhundert durch die verschiedenen hier vorgestellten bildlichen Darstellungen bekannt sind, sich auch in der mittelalter-lichen Überlieferung nachweisen lassen.

Folgende Seite: S T A D T P L A N V O N M E L S U N G E N ( U M 1 8 5 0 ) mit eingezeichneten Grundstücksgrenzen. Zustand um 1850 (nach 1842). Original: StAM, Karten, P II, Nr.15671. Benutzt nach der Fotografie in Kartensammlung des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde Marburg