32
TOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN (SS 09) BERNHARD HANKE 1. Taylor-Reihen Dieses Kapitel schließt direkt an den Abschnitt gleichm¨ aßige Konvergenz von Funktionenfolgen“ aus dem Wintersemester an. Dieser kann auch mit Hilfe von [F] (=Forster 1), Kapitel 21, nachgeholt werden. Wir besprechen die Grundlagen der Taylorentwicklung und der damit verbundenen Konvergenzfragen. Als Beispiele betrachten wir die Exponen- tialfunktion, die trigonometrischen Funktionen, sowie die Logarithmus- und Arcustangensfunktion. Mit Hilfe des Abelschen Grenzwertsatzes leiten wir aus den letzten beiden Beispielen die genauen Werte der alternierenden har- monischen Reihe, sowie der Leibnizschen Reihe her. Siehe [F], S. 246-255. Die Binomialreihe haben wir bereits im letzten Semester behandelt, aber etwas anders als in [F], S. 256 ff. Wir stellen unser Vorgehen kurz dar. F¨ ur s R und n N setzen wir s n := s · (s - 1) · ... · (s - n + 1) n! falls n> 0 und ( s 0 ) := 1. Satz 1.1. ur s R \ N ist der Konvergenzradius der Binomialreihe B(z,s) := n=0 s n z n . gleich 1. Falls z (-1, 1), so konvergiert sie gegen (1 + z ) s . ur s N bricht die Binomialreihe nach endlich vielen Summanden ab und der Konvergenzradius ist damit unendlich. Die Formel B(z,s) = (1+z ) s ist dann einfach der binomische Lehrsatz. Nach Satz 1.1 stimmt die Taylorentwicklung der Funktion z (1+z ) s um den Punkt 0 mit der Binomialreihe ¨ uberein und konvergiert f¨ ur z (-1, 1) gegen (1 + z ) s . Das Konvergenzverhalten der Binomialreihe f¨ ur z R mit |z | = 1 (also auf dem Rand des Konvergenzkreises) wird in [F], Zusatz zu Satz 7 in Abschnitt 22, gekl¨ art. Wir gehen darauf hier nicht weiter ein. Zum Beweis von Satz 1.1 zeigen wir zun¨ achst 1

TOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN (SS 09)hanke/ana2/skript.pdf · Man zeigt leicht (durch getrennte Betrachtung von Real- und Ima- gin¨arteil), dass das Integral eine C-lineare

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

TOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN(SS 09)

BERNHARD HANKE

1. Taylor-Reihen

Dieses Kapitel schließt direkt an den Abschnitt ”gleichmaßige Konvergenzvon Funktionenfolgen“ aus dem Wintersemester an. Dieser kann auch mitHilfe von [F] (=Forster 1), Kapitel 21, nachgeholt werden.

Wir besprechen die Grundlagen der Taylorentwicklung und der damitverbundenen Konvergenzfragen. Als Beispiele betrachten wir die Exponen-tialfunktion, die trigonometrischen Funktionen, sowie die Logarithmus- undArcustangensfunktion. Mit Hilfe des Abelschen Grenzwertsatzes leiten wiraus den letzten beiden Beispielen die genauen Werte der alternierenden har-monischen Reihe, sowie der Leibnizschen Reihe her. Siehe [F], S. 246-255.

Die Binomialreihe haben wir bereits im letzten Semester behandelt, aberetwas anders als in [F], S. 256 ff. Wir stellen unser Vorgehen kurz dar. Furs ∈ R und n ∈ N setzen wir(

s

n

):=

s · (s− 1) · . . . · (s− n+ 1)n!

falls n > 0 und(s0

):= 1.

Satz 1.1. Fur s ∈ R \ N ist der Konvergenzradius der Binomialreihe

B(z, s) :=∞∑

n=0

(s

n

)zn .

gleich 1. Falls z ∈ (−1, 1), so konvergiert sie gegen (1 + z)s.

Fur s ∈ N bricht die Binomialreihe nach endlich vielen Summanden abund der Konvergenzradius ist damit unendlich. Die Formel B(z, s) = (1+z)s

ist dann einfach der binomische Lehrsatz.Nach Satz 1.1 stimmt die Taylorentwicklung der Funktion z 7→ (1+z)s um

den Punkt 0 mit der Binomialreihe uberein und konvergiert fur z ∈ (−1, 1)gegen (1 + z)s. Das Konvergenzverhalten der Binomialreihe fur z ∈ R mit|z| = 1 (also auf dem Rand des Konvergenzkreises) wird in [F], Zusatz zuSatz 7 in Abschnitt 22, geklart. Wir gehen darauf hier nicht weiter ein.

Zum Beweis von Satz 1.1 zeigen wir zunachst

1

2 germanBERNHARD HANKE

Lemma 1.2. Fur α, β ∈ R und n ∈ N gilt die Formel(α+ β

n

)=

n∑k=0

k

)(β

n− k

).

Beweis. Beweis uber Vollstandige Induktion nach n. Der Fall n = 0 ist klar.Die Aussage fur n lautet nun

(α+β)(α+β−1)·. . .·(α+β−n+1) =n∑

k=0

(n

k

)α(α−1)·. . .·(α−k+1)·β(β−1)·. . .·(β−n+k+1) .

Daraus folgt

(α+β)·. . .·(α+β−n) =n∑

k=0

(n

k

)α·. . .·(α−k+1)β·. . .·(β−n+k+1)((α−k)+(β−n+k)) .

Und das ist gleichn+1∑k=1

(n

k − 1

)α · . . . · (α− k + 1)β · . . . · (β − n+ k) +

n∑k=0

(n

k

)α · . . . · (α− k + 1)β · . . . · (β − n+ k) =

n+1∑k=0

(n+ 1k

)α · . . . · (α− k + 1)β · . . . · (β − n+ k) .

Das ist die Behauptung fur n+ 1. �

Wir fahren nun mit dem Beweis von Satz 1.1 fort. Zunachst zeigen wir,dass die Reihe

∑∞n=0

(sn

)zn fur alle s ∈ R und jedes komplexe z mit |z| < 1

konvergiert und zwar mit der folgenden zusatzlichen Eigenschaft: Sind R >0 sowie z ∈ C mit |z| < 1 gegeben, so ist die Konvergenz bei festem zgleichmaßig in s ∈ [−R,R].

Es sei also z ∈ C mit |z| < 1 fest vorgegeben. Der Betrag des Quotientenzweier aufeinanderfolgender Summanden in der binomischen Reihe ist

|z(

sn+1

)(sk

) | = |z(1− s+ 1n+ 1

)|

Der letzte Ausdruck ist fur |s| ≤ R kleiner oder gleich (1 + R+1n+1 )|z|. Da

limn→∞

(1 + R+1n+1 ) = 1 und |z| < 1, existiert ein Θ mit 0 ≤ Θ < 1 (z.B. Θ :=

1− |z|2 ) und ein n0, so dass (1+R+1

n+1 )|z| ≤ Θ fur alle n ≥ n0. Wir erhalten dannalso fur alle n ≥ 0 ganz ahnlich wie beim Beweis des Quotientenkriteriumsdie Abschatzung ∣∣∣∣∣∣

∞∑k=n0+n

(s

k

)zk

∣∣∣∣∣∣ ≤∣∣∣∣( s

n0

)zn0

∣∣∣∣ ∞∑k=n

Θk

germanTOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN (SS 09) 3

und dieser Ausdruck ist fur |s| ≤ R durch C · Θn

1−Θ nach oben beschrankt,wobei C das Maximum der stetigen Funktion s 7→ |

(s

n0

)zn0 | auf dem kom-

pakten Intervall [−R,R] bezeichnet. Fur ε > 0 existiert ein N > 0, so dass∣∣∣C · Θn

1−Θ

∣∣∣ < ε fur alle n ≥ N . Daraus folgt die behauptete gleichmaßigeKonvergenz in s ∈ [−R,R].

Mit einer ganz ahnlichen Rechnung und der Eulerschen Formel fur denKonvergenzradius (siehe Skript aus WS 08/09) sieht man nun auch, dass furs /∈ N der Konvergenzradius der Binomialreihe gleich 1 ist.

Nach dem eben Gezeigten ist die Funktion

R → R , s 7→∞∑

n=0

(s

n

)zn

stetig (denn auf jedem abgeschlossenen Intervall [−R,R] ist die Konvergenzgleichmaßig in s). Weiterhin gilt fur alle s, t ∈ R die Funktionalgleichung

B(z, s) ·B(z, t) = B(z, s+ t) .

Dies beweist man mit dem Cauchy-Produkt von Reihen mit Hilfe der Formelaus Lemma 1.2. Nach der Charakterisierung der Potenzfunktion nach [F],Abschnitt 12, Satz 6, folgt

B(z, s) = as

wobei a = B(z, 1) = 1+z ist. Also haben wir wie gewunschtB(z, s) = (1+z)s

gezeigt.

2. Fourier-Reihen

Hier versucht man 2π-periodische Funktionen f : R → R als(moglicherweise unendliche) Linearkombination von trigonometrischen Po-lynomen zu schreiben. Dies lasst sich zum Beispiel physikalisch dadurch mo-tivieren, dass man ein periodischen Signal als Linearkombination einfacherSinus- und Kosinusschwingungen schreiben mochte. Vom mathematischenStandpunkt aus bietet die Fourieranalysis einen ersten Einblick in die Theo-rie der Hilbertraume, die in der modernen Analysis eine fundamentale Rollespielt und in der Funktionalanalysis weiter vertieft wird.

Wir richten uns im wesentlichen nach [F], Paragraph 23.Da man in der Fouriertheorie oft mit Integralen komplexwertiger Funk-

tionen umgehen muss, hier dazu einige Bemerkungen.

Definition. Es seien a < b reelle Zahlen und φ : [a, b] → C. Wir nennen φintegrierbar, wenn sowohl der Realteil u : [a, b] → R als auch der Imaginarteilv : [a, b] → R integrierbar sind. Dann setzen wir

b∫a

φ(x)dx :=

b∫a

u(x)dx+ i ·b∫

a

v(x)dx .

4 germanBERNHARD HANKE

Man zeigt leicht (durch getrennte Betrachtung von Real- und Ima-ginarteil), dass das Integral eine C-lineare Abbildung vom C-Vektorraumder integrierbaren Funktionen [a, b] → C nach C definiert. Auch kann manUbergang zur konjugiert komplexen Funktion und Integrieren vertauschen.Schwieriger ist folgende Rechenregel zu zeigen (die fur reelle Funktionenbereits bewiesen wurde, siehe [F], Paragraph 18, Satz 7).

Proposition 2.1. Es sei φ : [a, b] → R integrierbar. Dann ist auch |φ|integrierbar und es gilt

|b∫

a

φ(x)dx| ≤b∫

a

|φ(x)|dx .

Beweis. Wir bezeichnen mit u, v : [a, b] → R den Real- und Imaginarteil vonφ, d.h. φ = u + i · v. Nach Voraussetzung sind dann u und v integrierbar,und somit auch |u| und |v|. Fur gegebenes ε > 0 gibt es also (reellwertige)Treppenfunktionen 0 ≤ φ1 ≤ |u| ≤ ψ1 und 0 ≤ φ2 ≤ |v| ≤ ψ2, so dass

b∫a

(ψ1(x)− φ1(x)) < ε ,

b∫a

(ψ2(x)− φ2(x))dx < ε .

Fur (x, y) ∈ R2 sei ‖(x, y)‖ =√x2 + y2 die Euklidische Norm von (x, y). Die

gleiche Schreibweise verwenden wir, falls x, y Funktionen mit Werten in Rsind. Die Euklidische Norm ist dann punktweise zu bilden. Die Funktionen‖(φ1, φ2)‖ und ‖(ψ1, ψ2)‖ sind dann ebenfalls Treppenfunktionen und es gilt

0 ≤ ‖(φ1, φ2)‖ ≤ |φ| ≤ ‖(ψ1, ψ2)‖ .Weiterhin ist nach zweimaliger Anwendung der Dreiecksungleichung

‖(ψ1, ψ2)‖ − ‖(φ1, φ2)‖ ≤ ‖(ψ1 − φ1, ψ2 − φ2)‖ ≤ |ψ1 − φ1|+ |ψ2 − φ2|und wir folgern

b∫a

(‖(ψ1(x), ψ2(x))‖ − ‖(φ1(x), φ2(x))‖)dx < ε+ ε = 2ε .

Daraus folgt die Integrierbarkeit von |φ|.Wir zeigen nun die Ungleichung |

∫φ| ≤

∫|φ|, wobei wir zur Vereinfa-

chung die Integrationsgrenzen und das Argument weglassen. Falls∫φ = 0,

so ist diese Ungleichung klar. Wir nehmen also an, dass∫φ 6= 0. Es sei

I :=∫φ ∈ C

Dann ist das Integral∫

(I ·φ) reell, denn es stimmt mit seinem Konjugiertenuberein. Insbesondere gilt∫

(I · φ) =∫

Re(I · φ) ,

germanTOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN (SS 09) 5

denn das Integral uber den Imaginarteil muss ja verschwinden. Wir erhaltensomit

|I|·|∫φ| = |

∫(I ·φ)| = |

∫Re(I ·φ)| ≤

∫|Re(I ·φ)| ≤

∫|I ·φ| = |I|·

∫|φ| .

Dabei haben wir im ersten Schritt die C-Linearitat des Integrals benutzt,im zweiten Schritt die Bemerkung von vorhin, im dritten Schritt die ent-sprechende Rechenregel fur reellwertige Funktionen, im vierten Schritt dieUngleichung |Re(x)| ≤ |x|, die fur jede komplexe Zahl x gilt, sowie die Inte-grierbarkeit von |I ·φ| (die vorhin bewiesen wurde) und im letzten Schritt dieR-Linearitat des Integrals. Division durch |I| zeigt nun die Behauptung. �

Ist φ : [a, b] → C integrierbar und p ≥ 1 eine reelle Zahl, so definieren wirwie im Reellen die Lp-Norm

‖φ‖p := (

b∫a

|φ(x)|pdx)1p ∈ R≥0 .

Hier benotigen wir naturlich die Integrierbarkeit von |φ|, die wir geradegezeigt haben. Es gelten die

• Holdersche Ungleichung: Fur integrierbare Funktionen φ, ψ : [a, b] →

C und p, q > 1 mit 1p + 1

q = 1 istb∫a|φ(x)| · |ψ(x)|dx ≤ ‖φ‖p · ‖ψ‖q

und die• Minkowskische Ungleichung: Fur integrierbare Funktionen φ, ψ :

[a, b] → C und p ≥ 1 gilt die Dreiecksungleichung ‖φ + ψ‖p ≤‖φ‖p + ‖ψ‖p.

Die Holdersche Ungleichung folgt direkt aus dem schon bewiesenen reellenFall. Fur die Minkowskische Ungleichung beobachtet man

‖φ+ ψ‖p = ‖ |φ+ ψ| ‖p ≤ ‖ |φ|+ |ψ| ‖p

und wendet die schon bewiesene Minkowskische Ungleichung auf die reellen(und integrierbaren) Funktionen |φ| und |ψ| an. Wir definieren noch fur kom-plexwertige integrierbare Funktionen f, g : [a, b] → C das L2-Skalarprodukt

〈f, g〉L2 :=

b∫a

f(x) · g(x)dx

Dies hat alle Eigenschaften eines Hermiteschen Produktes auf dem C-Vektorraum V der integrierbaren Funktionen [a, b] → R, ist aber nichtpositiv definit, sondern nur positiv semidefinit, d.h. 〈f, f, 〉 ≥ 0 (d.h. die-ser Ausdruck ist insbesondere reell) fur alle f ∈ V . Jedoch kann aus demVerschwinden 〈f, f〉 = 0 im allgemeinen nur dann f = 0 gefolgert werden,falls f zusatzlich stetig ist. Das L2-Skalarprodukt und die L2-Norm stehenin der Beziehung

‖f‖2 =√〈f, f〉 ,

6 germanBERNHARD HANKE

die Lp-Normen fur p 6= 2 lassen sich jedoch nicht auf diese Weise mit Hilfeeines Skalarproduktes ausdrucken.

Wir nennen eine komplexwertige Funktion φ : U → C (wobei U ⊂ R)differenzierbar (in x0 ∈ U), falls dies fur den Realteil u und den Imaginarteilv von φ gilt. Wir schreiben dann φ′(x) := u′(x) + i · v′(x). Entsprechenddefiniert man stetig differenzierbare komplexwertige Funktionen, etc. Durchgetrennte Betrachtung von Real- und Imaginarteil beweist man leicht diefolgende Version des Fundamentalsatzes der Integral- und Differentialrech-nung: Fur alle stetig differenzierbaren Funktionen φ : [a, b] → C gilt

b∫a

φ′(x)dx = φ(b)− φ(a) .

Zum Beispiel zeigt man durch eine direkte Rechnung mit Hilfe der Eu-lerschen Formel und den Differentiationsregeln fur die TrigonometrischenFunktionen d

dx(exp(ikx)) = ik exp(ikx) und fur alle k ∈ Z. Daher ist furk ∈ Z \ {0}

b∫a

eikxdx =1ik

(eika − eikb) .

Die Substitutionsregel und die Regel fur partielle Integration gelten fur kom-plexwertige Funktionen wie im Reellen. Dies uberpruft man wieder leichtdurch getrennte Betrachtung von Real- und Imaginarteil.

3. Metrische, normierte und topologische Raume

Definition. Ein metrischer Raum ist ein Paar (X, d) bestehend aus einerMenge X und einer Abbildung, genannt Metrik,

d : X ×X → Rmit den folgenden Eigenschaften: Fur alle x, y, z ∈ X gilt

• d(x, y) = d(y, x),• d(x, y) = 0 ⇔ x = y,• d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z).

Es folgt aus diesen Axiomen, dass d(x, y) ≥ 0 fur alle x, y ∈ X.Wichtige Beispiele sind der euklidische Raum (Rn, d) mit der euklidischen

Metrik d(x, y) := ‖x− y‖. Jede Menge wird mit der diskreten Metrik ddiskr

zu einem metrischen Raum, wobei

ddiskr(x, y) :=

{0 , falls x 6= y ,

1 , falls x = y .

Ist (X, d) ein metrischer Raum, x0 ∈ X und r > 0, so bezeichnet Br(x0) :={x ∈ X | d(x, x0) < r} den offenen Ball um x0 mit Radius r. Wir ubertragennun die ε-δ-Definition der Stetigkeit auf metrische Raume.

germanTOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN (SS 09) 7

Definition. Es seien (X, dX) und (Y, dY ) metrische Raume. Eine Abbildungf : X → Y heißt stetig im Punkt x ∈ X, falls fur alle ε > 0 ein δ > 0 existiertmit

f(Bδ(x)) ⊂ Bε(f(x)) .

Dabei sind die Balle bezuglich der Metriken dX und dY gemeint. Wir nennenf stetig, falls f stetig in jedem Punkt aus X ist.

Ist zum Beispiel X ein metrischer Raum mit der diskreten Metrik und(Y, d) ein beliebiger metrischer Raum, so ist jede Abbildung X → Y stetig.

Wir geben einige weitere Beispiele fur metrische Raume. Es sei X eineMenge und C(X) die Menge der beschrankten Abbildungen X → R. Diesewird zu einem metrischen Raum, wenn wir

d(f, g) := maxt∈X

|f(t)− g(t)|

setzen. Ist (G, ◦, e) eine Gruppe, so betrachten wir auf G sogenannte Wort-metriken. Dazu dazu S ⊂ G ein symmetrisches Erzeugendensystem, d.h.jedes Elements aus G kann durch Elemente in S ausgedruckt werden undfalls s ∈ S so gilt auch s−1 ∈ S. Ist g ∈ G, so definieren wir die Wortlangevon G bezuglich S durch

lS(g) :=

{0 , falls g = e ,

min{n ∈ N \ {0} | ∃s1, . . . , sn ∈ S mit g = s1 ◦ s2 ◦ . . . ◦ sn}

Es ist nun nicht schwer zu sehen, dass man durch die Setzung dS(g, h) :=lS(g−1◦h) auf G eine Metrik erhalt. Diese hangt in der Regel von S ab. Wennman zum Beispiel S = G wahlt, so erhalt man auf G die diskrete Metrik.Die Untersuchung von Gruppen als metrische Raume ist Gegenstand dergeometrischen Gruppentheorie.

Ist (X, d) ein metrischer Raum, so tragt jede Teilmenge A ⊂ X eine(durch Einschrankung von d gegebene) induzierte Metrik.

Definition. Eine Teilmenge U ⊂ X eines metrischen Raumes heißt offen,falls fur alle x ∈ U ein ε > 0 existiert mit

Bε(x) ⊂ U .

Lemma 3.1. Ist (X, d) ein metrischer Raum, x ∈ X und ε > 0, so istBε(x) ⊂ X eine offene Teilmenge.

Beweis. Es sei y ∈ Bε(x). Dann gilt 0 ≤ d(x, y) < ε. Sei λ := ε − d(x, y).Ist nun z ∈ Bλ(y), so ist d(z, x) ≤ d(z, y) + d(y, x) < λ + d(x, y) = ε. Ausdiesen Uberlegungen folgt, dass Bλ(y) ⊂ Bε(x). Somit ist Bε(x) eine offeneTeilmenge von X. �

8 germanBERNHARD HANKE

Proposition 3.2. Eine Abbildung f : X → Y zwischen metrischen Raumenist genau dann stetig, falls fur alle offenen Teilmengen V ⊂ Y das Urbild

f−1(V ) ⊂ X

offen ist.

Beweis. Es sei f stetig und V ⊂ Y offen. Wir wollen zeigen, dass f−1(V ) ⊂X offen ist. Sei also x ∈ f−1(V ). Da V in Y offen ist, gibt es ein ε > 0 mitBε(f(x)) ⊂ V . Nach Definition 3 gibt es somit ein δ > 0 mit f(Bδ(x)) ⊂Bε(f(x)) - insbesondere ist also Bδ(x) ⊂ f−1(V ). Nach Definition 3 ist somitf−1(V ) ⊂ X offen.

Sei nun umgekehrt das Urbild jeder in Y offenen Teilmenge unter f offenin X. Seien x ∈ X und ε > 0. Nach Lemma 3.1 ist Bε(f(x)) ⊂ Y offen.Nach Voraussetzung ist also f−1(Bε(f(x)) ⊂ X offen. Da offensichtlich x ∈f−1(Bε(f(x)), existiert also nach Definition 3 ein δ > 0, so dass Bδ(x) ⊂f−1(Bε(f(x)). Das bedeutet genau, dass f(Bδ(x)) ⊂ Bε(f(x)) und dies zeigtdie Stetigkeit von f (siehe Definition 3).

Proposition 3.3. Es sei (X, d) ein metrischer Raum. Dann sind ∅ und Xoffene Teilmengen von X. Sind weiterhin U und V offene Teilmengen vonX, so auch U ∩ Y . Und ist I eine Indexmenge und ist (Ui)i∈I eine Familievon offenen Teilmengen von X, so ist auch die Vereinigung ∪i∈IUi offen inX.

Zum Beweis siehe Forster 2, Satz 3 in Abschnitt 1.Diese Tatsachen veranlassen uns, den Begriff der Stetigkeit abstrakter zu

fassen und alleine auf den Begriff der offenen Teilmengen abzustellen.

Definition. Ein topologischer Raum ist ein Paar (X, T ) bestehend aus einerMenge X und einer Menge T ⊂ P(X) von Teilmengen von X (genanntTopologie) mit den folgenden Eigenschaften.

• ∅ ∈ T , X ∈ T ,• U, V ∈ T ⇒ U ∩ V ∈ T ,• S ⊂ T ⇒

⋃U∈S U ∈ T .

Die Elemente von T werden offene Teilmengen von X genannt. Eine Teil-menge A ⊂ X heißt abgeschlossen, falls X \A offen ist.

Aus dem zweiten obigen Axiom folgt, dass in einem topologischen Raumder Schnitt endlich vieler offener Teilmengen wieder offen ist. In jedem topo-logischen Raum X sind also ∅ und X sowohl offene als auch abgeschlosseneTeilmengen von X.

Es sei nun X ein topologischer Raum und x ∈ X. Eine Teilmenge U ⊂ Xheißt Umgebung von x, falls es eine offene Menge V ⊂ X gibt, so dass x ∈ Vund V ⊂ U . Falls X sogar ein metrischer Raum ist, bedeutet dies genau,dass es ein ε > 0 gibt, so dass Bε(x, ε) ⊂ U . Umgebungen brauchen selbstnicht unbedingt offene Teilmengen zu sein.

germanTOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN (SS 09) 9

In einem topologischen Raum ist eine Teilmenge also genau dann offen,wenn sie Umgebung aller ihrer Punkte ist.

Wir haben in Proposition 3.3 gezeigt:

Proposition 3.4. Es sei (X, d) ein metrischer Raum. Dann bildet die Men-ge der (bezuglich d) offenen Teilmengen von X eine Topologie auf X.

Wie nennen diese Topologie die von d auf X induzierte Topologie. Eskonnen durchaus verschiedene Metriken die gleiche Topologie induzieren.

Durch unsere Ergebnisse auf metrischen Raumen (siehe Proposition 3.2motiviert sagen wir:

Definition. Es seien (X, TX) und (Y, TY ) topologische Raume. Wir nenneneinen Abbildung f : X → Y stetig, falls fur alle offenen Teilmengen V ∈ TY

auch das Urbild f−1(V ) ⊂ X offen ist (d.h. f−1(V ) ∈ TX). Eine Abbildungf : X → Y heißt Homoomorphismus, falls f bijektiv und sowohl f als auchf−1 stetig sind. Ist x ∈ X, so nennen wir f stetig in x, falls es fur jedeUmgebung V ⊂ Y von f(x) eine Umgebung U ⊂ X von x gibt, so dassf(U) ⊂ V .

Falls die Topologien auf X und Y von Metriken induziert sind, erhaltenwir genau die alte Definition von Stetigkeit. Man uberlegt sich leicht, dasseine Abbildung f : X → Y zwischen topologischen Raumen genau dann ste-tig ist, wenn die Urbilder abgeschlossener Mengen in Y immer abgeschlossenin X sind.

Es ist leicht, Beispiele fur stetige, bijektive Abbildungen anzugeben, diekeine Homoomorphismen sind. Die Homomorphismen spielen in der Topolo-gie die gleiche Rolle wie die linearen Isomorphismen in der linearen Algebra,die biholomorphen Abbildungen in der Funktionentheorie, die Gruppeniso-morphismen in der Gruppentheorie, die Isometrien in der RiemannschenGeomtrie, etc. Eines der Grundprobleme der Topologie lasst sich wie folgtformulieren: Es seien topologische Raume X und Y gegeben. Man entschei-de, ob X und Y homoomorph sind oder nicht.

Insbesondere die algebraische Topologie entwickelt effektive Methoden,diese Frage zu entscheiden. Ein prominentes Resultat in diese Richtung lau-tet:

Satz 3.5. Fur n 6= m sind die topologischen Raume Rn und Rm (mit dervon den von Standardmetriken induzierten Topologien) nicht homoomorph.

Man kann auf einer gegebenen Menge X zahlreiche Topologien angeben -die meisten davon sind eher kunstlich und unnutz. Zwei extreme Spezialfallesind die der diskreten Topologie, bei der jede Teilmenge von X als offenerklart wird und die Klumpentopologie mit T = {∅, X}.

Umgekehrt kann man fragen, ob auf einem gegebenen topologischen Raum(X, T ) eine Metrik existiert, so dass die induzierte Topologie mit T uber-einstimmt. In diesem Falle heißt die Topologie T metrisierbar. Die diskreteTopologie ist immer metrisierbar (durch die diskrete Metrik).

10 germanBERNHARD HANKE

Definition. Ein topologischer Raum X heißt Hausdorffsch, falls fur allex, y ∈ X mit x 6= y eine Umgebung Ux von x und eine Umgebung Uy von yexistiert mit Ux ∩ Uy = ∅. In diesem Fall heißt X auch Hausdorffraum.

Falls X mehr als einen Punkt enthalt, so ist die Klumpentopologie nichtHausdorffsch. Damit ist diese auch nicht metrisierbar, denn es gilt

Proposition 3.6. Ist X ein Hausdorffraum und x ∈ X, so ist die einpunk-tige Teilmenge {x} ⊂ X abgeschlossen.

Beweis. Ist y 6= x, so existieren offene Teilmengen Ux, Uy ⊂ X mit x ∈Ux, y ∈ Uy und Ux ∩ Uy = ∅ (man mache sich hier die Definition von

”Umgebung“ klar). Insbesondere ist auch x /∈ Uy. Damit ist X \ {x} =⋃y 6=x Uy und diese Menge ist als Vereinigung offener Teilmengen offen. �

Proposition 3.7. Jeder metrisierbare topologische Raum ist Hausdorffsch.

Beweis. Sind x, y ∈ X zwei verschiedene Punkte, so setze d := d(x, y). Dieoffenen Kugeln um x und y mit Radius d/2 sind nach der Dreiecksunglei-chung disjunkt. �

Definition. Es sei (X, T ) ein topologischer Raum und A ⊂ X eine Teilmen-ge. Die Menge der Schnitte U ∩ A ⊂ A, wobei U ⊂ X offen ist, bildet eineTopologie auf A, die Unterraumtopologie, oder von T induzierte Topologie.

Eine Teilmenge V ⊂ A ist also genau dann offen (abgeschlossen) bezuglichder Unterraumtopologie, falls es eine offene (abgeschlossene) Menge U ⊂ Xgibt mit U ∩ A = V . Falls X ein metrischer Raum ist und A ⊂ X, sostimmt die Unterraumtopologie auf A mit der Topologie uberein, die von Aals metrischem Raum (mit der Metrik von X) induziert ist.

Ist X ein topologischer Raum, A ⊂ X eine Teilmenge und f : X → Y ste-tig, so ist die Einschrankung f |A : A→ Y ebenfalls stetig. Die Kompositionstetiger Abbildungen ist stetig.

Der Begriff des topologischen Raumes ist gerade deshalb so nutzlich, weiler in ganz verschiedenen mathematischen Kontexten auftritt und daherSatze, die wir fur topologische Raume beweisen, in der Regel eine breiteAnwendung finden. Ganz allgemein bietete eine Topologie die Moglichkeit,den Begriff von ”Nahe“ und damit auch z.B. von Konvergenz axiomatischzu fassen.

Es sei nunX ein topologischer Raum und A ⊂ X eine beliebige Teilmenge.Wir definieren das Innere

int(A) ⊂ A

als die Vereinigung aller in A enhaltenen offenen Mengen (da ∅ immer offenist, gibt es mindestens eine solche Teilmenge). Nach Definition ist int(A) ⊂ Aoffen und jede andere (in X) offene Teilmenge, die in A enthalten ist, ist

germanTOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN (SS 09) 11

auch in int(A) enthalten. Damit ist int(A) die großte in A enthaltene in Xoffene Teilmenge. Entsprechende definieren wir den Abschluss

A ⊃ A

als den Durchschnitt aller abgeschlossenen Teilmengen von X, die A ent-halten. Man beachte dabei, dass der Schnitt beliebig vieler abgeschlossenerMengen eines topologischen Raumen wieder abgeschlossen ist. A ist nachKonstruktion die kleinste abgeschlossene Teilmenge von X die A enthalt.

Weiterhin setzen wir∂A := A \ int(A) .

Dies ist der Rand von A. Da A abgeschlossen und int(A) offene Teilmen-ge von X sind, ist ∂A eine abgeschlossene Teilmenge von X. Die folgendeProposition erleichtert den Umgang mit diesen Mengen.

Proposition 3.8. Es sei X ein topologischer Raum, A ⊂ X eine Teilmengeund x ∈ X.

• x liegt genau dann in int(A), falls es eine Umgebung von x gibt, diein A enthalten ist.

• x liegt genau dann in A, falls jede Umgebung von x die Menge Aschneidet.

• x liegt genau dann in ∂A, wenn jede Umgebung von x sowohl Punkteaus A also auch aus X \A enthalt.

Beweis. Ist x ∈ int(A), so gibt es nach Definition eine offene Menge U ⊂ X,so dass x ∈ U ⊂ A. Damit ist U eine Umgebung von x, die in A enthaltenist. Sei umgekehrt U eine Umgebung von x, die in A enthalten ist. NachDefinition gibt es dann eine offene Menge V ⊂ X mit x ∈ V ⊂ U ⊂ A. NachDefinition gilt x ∈ int(A).

Es sei nun x ∈ A. Angenommen, es gibt eine Umgebung U von x mitU ∩A = ∅. Dann gibt es auch eine offene Umgebung V von x mit V ∩A = ∅.Das Komplement von V ist dann eine abgeschlossene Teilmenge von X, dieA enthalt, aber nicht x. Dies widerspricht aber x ∈ A. Sei umgekehrt x /∈ A.Dann gibt es eine abgeschlossene Teilmenge Z ⊂ X mit A ⊂ Z, aber x /∈ Z.Somit ist X \Z eine (sogar offene) Umgebung von x, die A nicht schneidet.

Sei nun x ∈ ∂A. Dann gilt x ∈ A und somit enthalt jede Umgebung vonx Punkte aus A. Da aber auch x /∈ int(A), kann es keine Umgebung von xgeben, die ganz in A enthalten ist. Somit enthalt auch jede Umgebung vonA Punkte aus X \A. Die andere Richtung ist ahnlich einfach zu zeigen.

Mit Hilfe dieser Charaktersierung zeigt man zum Beispiel

A = X \ (int(X \A)) .

Weiterhin haben wir

Proposition 3.9. Es sei X ein topologischer Raum und A ⊂ X eine belie-bige Teilmenge. Dann ist int(A) = A \ ∂A.

12 germanBERNHARD HANKE

Wir nennen eine Teilmenge A eines topologischen Raumes X dicht in X,falls A = X. Beispielsweise ist die Teilmenge Q ⊂ R dicht (bezuglich derublichen Topologie auf R).

Beispiel. Wir betrachten X := {x ∈ Rn | ‖x‖ ≤ 1}. Dann haben wirint(X) = B1(0) und ∂(X) = {x ∈ Rn | ‖x‖ = 1}.

Wir konnen nun auch den Begriff der konvergenten Folge in beliebigentopologischen Raumen definieren.

Definition. Es sei (X, T ) ein topologischer Raum und x ∈ X. Wir sagen,eine Folge (xn)n∈N von Punkten aus X konvergiert gegen x, falls es fur jedeUmgebung U ⊂ X von x ein N ∈ N gibt, so dass xn ∈ U fur alle n ≥ N .Wir schreiben dann lim

n→∞xn = x.

Falls X sogar ein metrischer Raum mit Metrik d ist, bedeutet das: Furalle ε > 0 existiert ein N , so dass d(xn, x) < ε fur alle n ≥ N . Und dies istgleichbedeutend damit, dass lim

n→∞d(xn, x) = 0.

Der Limes einer konvergenten Folge in einem topologischen Raum mussnicht unbedingt eindeutig sein: Ist X eine beliebige Menge versehen mit derKlumpentopologie, so konvergiert jede Folge in X gegen jeden Punkt ausX. In Hausdorffraumen haben wir aber Eindeutigkeit:

Proposition 3.10. Es sei X ein Hausdorffraum und (xn)n∈N eine konver-gente Folge. Gilt limxn = x und limxn = y, so gilt x = y.

Der Beweis ist ganz analog zur ensprechenden Aussage uber konvergenteFolgen in R.

Da metrische Raume immer die Hausdorffeigenschaft haben, sind damitin metrischen Raumen Limiten konvergenter Folgen eindeutig.

Proposition 3.11. Es seien X und Y topologische Raume, f : X → Yeine Abbildung und x ∈ X. Falls f stetig in x ist, so gilt: Fur alle Folgen(xn)n∈N mit xn ∈ X und lim

n→∞xn = x gilt lim

n→∞f(xn) = f(x).

Beweis. Es sei f stetig in x und (xn) eine Folge in X mit limxn = x. Es seiU ⊂ Y eine Umgebung von f(x). Da f stetig in x ist, gibt es eine UmgebungV ⊂ X von x mit f(V ) ⊂ U . Da limxn = x existiert ein N ∈ N, so dassxn ∈ V fur alle n ≥ N . Dann gilt f(xn) ∈ U fur alle n ≥ N . Somit giltlim f(xn) = f(x). �

Die Umkehrung dieser Aussage gilt leider nicht in allen topologischenRaumen, wie man an Beispielen zeigen kann. Falls X aber sogar ein metri-scher Raum ist, so konnen wir die Umkehrung zeigen:

Proposition 3.12. Es sei X ein metrischer Raum, Y ein topologischerRaum, f : X → Y eine Abbildung und fur alle Folgen (xn) in X mit limxn =x gelte lim f(xn) = f(x). Dann ist f stetig in x.

germanTOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN (SS 09) 13

Beweis. Angenommen, f ist nicht stetig in x. Dann gibt es eine UmgebungU ⊂ Y von f(x), so dass fur alle n ∈ N, n > 0, ein Punkt xn in B1/n(x)existiert, so dass f(xn) /∈ U . Dann konvergiert aber xn gegen x, jedoch f(xn)nicht gegen f(x). Dies steht im Widerspruch zur Annahme �

Fur Abbildungen zwischen metrischen Raumen finden wir also die unsschon bekannte Aquivalenz von Stetigkeit und Folgenstetigkeit wieder. Be-trachten wir Konvergenz von Folgen im Rn, so haben wir das folgende ein-fache Kriterium:

Proposition 3.13. Es sei (xk)k∈N eine Folge von Punkten aus Rn. Es seienxk1, . . . xkn die Komponenten von xk. Die Folge (xk) konvergiert genau danngegen einen Punkt x ∈ Rn, falls fur alle ν = 1, . . . , n die reellen Folgen((xkν)k∈N im gewohnlichen Sinne konvergieren und es gilt dann lim

k→∞xkν =

xν .

Zum Beweis siehe Forster 2, Satz 1 in Abschnitt 2. Mit diesem Resultatund der Charakterisierung von Stetigkeit als Folgenstetigkeit (siehe Propo-sition 3.11) erhalten wir:

Proposition 3.14. Es sei X ein metrischer Raum und f : X → Rn eineAbbildung. f ist genau dann stetig, wenn alle Komponenten fν : X → R furν = 1, . . . , n stetig sind.

Damit beweist man leicht die Stetigkeit der Multiplikation und AdditionR×R → R, sowie der Quotientenabbildung R× (R \ {0}) → R, vgl. Forster2, S. 12 ff.

Wir konnen in metrischen Raumen zum Beispiel abgeschlossene Teilmen-gen durch das Verhalten konvergenter Folgen charakterisieren.

Proposition 3.15. Es sei (X, d) ein metrischer Raum und A ⊂ X eineTeilmenge. A ist genau dann abgeschlossen, wenn folgendes gilt: Es sei (xn)eine konvergente Folge in X mit xn ∈ A fur alle n. Dann gilt auch limxn ∈ A(d.h. Limiten konvergenter Folgen in A liegen wieder in A).

Zum Beweis siehe Forster 2, Satz 2 in Abschnitt 2. Fur topologischeRaume gilt im allgemeinen nur die Implikation, dass fur abgeschlossene Teil-mengen A die Limiten konvergenter Folgen in A wieder in A liegen.

Wir konnen in metrischen Raumen den (topologischen) Abschluss vonTeilmengen wie folgt charakterisieren.

Proposition 3.16. Es sei X ein metrischer Raum und A ⊂ X eine Teil-menge. Dann besteht A genau aus den Limiten von in X konvergenten Fol-gen (xn) mit xn ∈ A fur alle n ∈ N.

Beweis. Da A abgeschlossen ist und A enhalt, folgt aus Proposition 3.15,dass die Limiten von konvergenten Folgen in A in A liegen. Sei nun x ∈ A.Dann gibt es fur jedes positive n ∈ N einen Punkt xn ∈ A ∩ B1/n(x) (sieheProposition 3.8). Die Folge (xn) konvergiert dann nach Konstruktion gegenx. �

14 germanBERNHARD HANKE

Fur topologische Raume X ist in der Regel der Abschluss A eine echteObermenge der Limiten konvergenter Folgen in A. Ein Beispiel dazu wird inden Ubungen konstruiert. Die volle Aquivalenz von Stetigkeit und Folgen-stetigkeit, sowie die problematischen Teile der Aussagen in Proposition 3.15und 3.16 gelten in allen topologischen Raumen, wenn man unseren Konver-genzbegriff durch den allgemeineren der Netzkonvergenz ersetzt. Wir gehenhier darauf nicht weiter ein.

Wir konnen in metrischen Raumen das Konzept der gleichmaßigen Kon-vergenz von Funktionenfolgen allgemein formulieren.

Definition. Es seiX eine Menge, (Y, dY ) ein metrischer Raum sowie (fn)n∈Neine Folge von Abbildungen fn : X → Y . Wir sagen (fn) konvergiertgleichmaßig gegen f : X → Y , falls es fur alle ε > 0 ein N ∈ N gibt, sodass dY (fn(x), f(x)) < ε fur alle n ≥ N und alle x ∈ X.

Proposition 3.17. Es sei X ein topologischer Raum, (Y, d) ein metrischerRaum und (fn) eine Folge stetiger Abbildungen X → Y , die gleichmaßiggegen eine Funktion f : X → Y konvergiert. Dann ist auch f stetig.

Beweis. Sei x ∈ X. Wir zeigen, dass f stetig in x ist. Da x beliebig gewahltwar, folgt daraus die Stetigkeit von f . Wir wahlen ε > 0. Da (fn) gleichmaßiggegen f konvergiert, gibt es ein N , so dass d(fn(x), f(x)) < ε fur alle x ∈ Xund alle n ≥ N . Da fN stetig ist, gibt es eine Umgebung U von x, so dassd(fN (x), fN (y)) < ε fur alle y ∈ U . Dann gilt fur alle y ∈ U

d(f(x), f(y)) ≤ d(f(x), fN (x))+d(fN (x), fN (y))+d(fN (y), f(y)) < ε+ε+ε

Da ε beliebig gewahlt war, folgt daraus die Stetigkeit von f in x. �

Falls auch X ein metrischer Raum ist, findet sich ein Beweis von Proposi-tion 3.17 auch in Forster 2, Satz 9 in Abschnitt 2. Der obige Beweis ist abernur unwesentlich schwerer.

Es ist nicht moglich, gleichmaßige Konvergenz im Rahmen allgemeinertopologischer Raume zu definieren, denn die ”Gleichmaßigkeit“ druckt sichja gerade dadurch aus, dass man fur festes ε > 0 eine Aussage fur allex ∈ X hat und dies ist ohne Bezug auf eine Metrik in Y schwierig. (Imallgemeinen definiert man gleichmaßige Konvergenz von Funktionenfolgenfur Funktionen, deren Bild in sogenannten uniformen Raumen liegt).

Fur die Analysis besonders wichtige metrische Raume sind die normiertenRaume.

Definition. Es sei V ein reeller oder komplexer Vektorraum. Eine Normauf V ist eine Abbildung

‖ − ‖ : V → Rmit den folgenden Eigenschaften:

• ‖v‖ = 0 gilt genau dann, falls v = 0.

germanTOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN (SS 09) 15

• ‖α · v‖ = |α| · ‖v‖ fur alle v ∈ V und alle α aus dem Grundkorper(d.h. R oder C).

• ‖v + w‖ ≤ ‖v‖+ ‖w‖.Ein Vektorraum zusammen mit einer Norm heißt normierter Raum.

Ist V ein normierter Raum, so erhalt man durch die Setzung d(v, w) :=‖v − w‖ eine Metrik auf V . Insofern sind normierte Raume spezielle metri-sche Raume und wir konnen auf normierten Raumen mit allen Konzeptenarbeiten, die wir fur metrische Raume und topologische Raume erarbeitethaben. Ist d eine beliebige Metrik auf V , so definiert v 7→ d(0, v) in derRegel keine Norm auf V (dies passiert zum Beispiel, wenn d die diskreteMetrik ist). Das heißt, der Begriff der Norm ist wirklich spezieller als derder Metrik.

Wichtige Beispiele fur Normen sind:• Auf dem R-Vektorraum Rn haben wir fur alle p ≥ 1 die p-Norm‖(x1, . . . , xn)‖p := (

∑ni=1 |xi|p)

1p . Die Dreicksungleichung folgt da-

bei aus der Minkowskischen Ungleichung. Fur p = 2 erhaltenwir die euklidische Norm. Wir setzen noch ‖(x1, . . . , xn)‖∞ :=max{|x1|, |x2|, . . . , |xn|}. Dies ist die Maximumsnorm auf Rn. In die-sem Fall folgt die Dreicksungleichung leicht mit einer direkten Rech-nung.

• Ist I := [a, b] ⊂ R ein kompaktes Intervall und C0(I) der R-Vektorraum der stetigen Abbildungen I → R, so betrachten wir furp ≥ 1 auf C0(I) die p-Norm ‖f‖p := (

∫ ba |f(x)|p)1/p. Wieder folgt aus

der Minkowischen Ungleichung die Dreiecksungleichung. Wir setzenweiterhin ‖f‖∞ := max{|f(x)| | x ∈ I} (dieses Maximum existiert,da f stetig ist). Dies ist die Maximumsnorm. Man zeigt wieder miteiner kurzen Rechnung (siehe Forster 2, S. 3 unten), dass es sichwirklich um eine Norm handelt).

• Ist X eine beliebige Menge und B(X) die Menge der beschranktenAbbildungen X → R, so haben wir auf B(X) die Supremumsnorm‖f‖X := ‖f‖∞ := sup{|f(x)| | x ∈ X}, (siehe Forster 2, Beispiel1.8).

Man sieht sofort, dass eine Funktionenfolge fn in (B(X), ‖ − ‖∞) genaudann konvergiert, wenn die Folge gleichmaßig konvergiert. Konvergenz in(C0(I), ‖−‖2) ist gleichbedeutend mit Konvergenz im quadratischen Mittel.

In normierten Raumen ist das Konzept der Stetigkeit besonders leichtfassbar (dies ist einer der Vorteile von normierten Raumen).

Proposition 3.18. Es seien V und W normierte Raume und f : V → Weine lineare Abbildung. Dann sind aquivalent:

• f ist stetig.• Es gibt ein C > 0 mit ‖f(v)‖W ≤ C · ‖v‖V fur alle v ∈ V .

Zum Beweis siehe Forster 2, Satz 10 in Abschnitt 2.

16 germanBERNHARD HANKE

Wir behandeln noch die Beispiele 2.3 und 2.4. aus Forster 2.

4. Vollstandigkeit und Kompaktheit

In diesem Abschnitt diskutieren wir zwei fur die Analysis besonders wich-tige Konzepte: vollstandige metrische Raume und kompakte topologischeRaume.

Definition. Eine Folge (xn)n∈N in einem metrischen Raum (X, d) heißtCauchy-Folge, falls es fur jedes ε > 0 ein N ∈ N gibt mit

d(xn, xm) < ε

fur alle n,m ≥ N . Der metrische Raum (X, d) heißt vollstandig, falls jedeCauchy-Folge in X konvergiert.

Jede in einem metrischen Raum konvergente Folge ist automatisch eineCauchyfolge. Dies beweist man mit Hilfe der Dreiecksungleichung genausowie fur Folgen in R.

Proposition 4.1. Rn mit der gewohnlichen Metrik ist vollstandig.

Beweis. Es sei (xk) eine Cauchyfolge in Rn. Da fur alle ν = 1, . . . , n undk, l ∈ N die Abschatzung |xkν − xlν | ≤ ‖xk − xl‖ gilt, sind alle Komponen-tenfolgen (xkν)k∈N Cauchyfolgen. Diese konvergieren also jeweils gegen einenPunkt xν ∈ R, denn R ist vollstandig. Da die Konvergenz von Folgen in Rn

gleichbedeutend mit der Konvergenz der Komponentenfolgen ist, erhaltenwir limxk = x (wobei x = (x1, . . . , xn)). �

Die Menge (0, 1) ⊂ R mit der induzierten Metrik ist nicht vollstandig,denn die Folge (1/n)n≥2 ist eine Cauchyfolge, hat aber keinen Grenz-wert in (0, 1). Auch die Teilmenge Q ⊂ R mit der induzierten Metrik istnicht vollstandig (es gibt rationale Folgen, die in R gegen

√2 konvergie-

ren). Ein interessantes Beispiel fur einen vollstandigen metrischen Raumist (C0([0, 1]), ‖ − ‖∞) und allgemeiner B(R) ∩ C0(R) mit der Supremums-norm. Wir skizzieren einen Beweis der letzten Tatsache. Es sei also (fn) eineCauchyfolge. Dann sind fur alle x ∈ R die Folgen (fn(x)) Cauchyfolgen in R.Sei yx ∈ R der Grenzwert. Wir erhalten eine Funktion f : R → R, x 7→ yx.Wir behaupten, dass (fn) gleichmaßig gegen f konvergiert. Sei ε > 0. Da(fn) eine Cauchyfolge bezuglich der Supremumsnorm ist, gibt es ein N , sodass |fn(x)− fm(x)| < ε fur alle n,m ≥ N und alle x ∈ R. Da die Betrags-funktion stetig ist, folgt somit |fn(x) − f(x)| = lim

m→∞|fn(x) − fm(x)| ≤ ε

fur alle n ≥ N und alle x ∈ R. Dies ist genau die behauptete gleichmaßigeKonvergenz.

In vollstandigen metrischen Raumen gilt das Schachtelungsprinzip, daswir auch schon bei der Untersuchung der reellen Zahlen kennengelernt ha-ben. Siehe dazu Satz 4 in Abschnitt 2 von Forster 2.

Ist X ein vollstandiger metrischer Raum und A ⊂ X ein abgeschlossenerUnterraum, so ist A mit der induzierten Metrik ebenfalls vollstandig. Ist

germanTOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN (SS 09) 17

allgemeiner A ⊂ X ein beliebiger Unterraum, so ist A ⊂ X der kleinstevollstandige Unterraum von X, der A enthalt, denn A besteht genau ausden Limiten von Folgen, die in A liegen und in X konvergieren.

Vollstandige metrische Raume sind zentrale Objekte in der Analysis. Wirwerden nun die erstaunliche Tatsache zeigen, dass jeder metrische Raumeine kanonische Vervollstandigung besitzt. Dazu mussen zu dem gegebenenRaum die ”fehlenden“ Limiten von Cauchyfolgen kunstlich hinzugenommenwerden. Dies macht man mit folgendem raffinierten Trick:

Es sei (X, d) ein metrischer Raum. Wir bezeichnen mit X die Menge allerCauchyfolgen (xn)n∈N in X. Zur Abkurzung schreiben wir Folgen in fettenBuchstaben: x = (x1, x2, . . .). Wir setzen nun x ∼ y, falls

limn→∞

d(xn, yn) = 0 .

Dies definiert eine Aquivalenzrelation auf X (der Nachweis ist leicht).Es sei Y = X/ ∼ die Menge der Aquivalenzklassen. Wir bezeichnen mit

[x] die Aquivalenzklasse der Cauchyfolge x.

Proposition 4.2. Durch die Setzung

dY ([x], [y]) := limn7→∞

d(xn, yn)

erhalten wir eine wohldefinierte vollstandige Metrik auf Y .

Beweis. Wir machen uns zunachst klar, dass in jedem metrischen Raum(M,d) fur alle Punkte p, q, r die Ungleichung |d(p, q) − d(r, q)| ≤ d(p, r)gilt: Die beiden zu zeigenden Ungleichungen d(p, q) − d(r, q) ≤ d(p, r) und−(d(p, q)− d(r, q)) ≤ d(p, r) folgen leicht aus der Dreiecksungleichung.

Der Beweis erfolgt nun in mehreren Schritten.Behauptung 1: Fur Cauchyfolgen (xn) und (yn) in X ist die reelle Folge

d(xn, yn) eine Cauchyfolge und konvergiert somit (wegen der Vollstandigkeitvon R).

Sei dazu ε > 0 und N so groß, dass d(xn, xm) < ε und d(yn, ym) < ε furalle n,m ≥ N . In unserer Situation erhalten wir somit

|d(xn, yn)− d(xm, ym)| ≤ |d(xn, yn)− d(xm, yn)|+ |d(xm, yn)− d(xm, ym)|≤ d(xn, xm) + d(yn, ym) < 2ε

und daraus folgt die Behauptung.Behauptung 2: Sind Cauchyfolgen (xn), (x′n), (yn) und (y′n) gegeben,

so dass lim d(xn, x′n) = 0 und d(yn, y

′n) = 0, so folgt lim d(xn, yn) =

lim d(x′n, y′n). Dies sieht man mit der Abschatzung

|d(xn, yn)− d(x′n, y′n)| ≤ d(xn, x

′n) + d(yn, y

′n) ,

die man genauso wie eben beweist.Aus den Behauptungen 1 und 2 folgt, dass die in der Proposition kon-

struierte Abbildung dY : Y × Y → R wohldefiniert ist. Wir zeigen nun, dasses sich um eine Metrik handelt:

18 germanBERNHARD HANKE

• Dass dY ([x], [y]) = 0 genau dann, falls [x] = [y], folgt genau ausder Definition der Aquivalenzrelation auf X. (Hier sieht man auch,warum wir diese Aquivalenzrelation herausteilen mussen: Sonst hatteman keine Metrik).

• Die Symmetrie ist klar.• Die Dreiecksungleichung folgt direkt aus der Dreicksungleichung furd: Sind (xn), (yn), und (zn) Cauchyfolgen, so gilt

lim d(xn, zn) ≤ lim(d(xn, yn) + d(yn, zn)) = lim d(xn, yn) + lim d(yn, zn) .

Es bleibt noch zu zeigen, dass diese Metrik auf Y vollstandig ist. Dies istder schwierigste Teil des Beweises.

Sei (yk)k∈N eine Cauchyfolge in Y . Fur jedes Element yk dieser Folgewahlen wir eine Cauchyfolge (xkn)n∈N in X, die yk reprasentiert. Fur k ∈N \ {0} sei Nk so groß, dass d(xkn, xkm) < 1/k fur alle n,m ≥ Nk. Wirbetrachten nun die Folge

x := (x1N1 , x2N2 , x3N3 , . . .)

in X. Dies ist eine Art Diagonalfolge (aber nicht ganz). Zunachst behauptenwir, dass x eine Cauchyfolge in X ist. Sei dazu ε > 0 gegeben und K ∈ N sogroß, dass dY (yk, yl) < ε fur alle k, l ≥ K. Wir konnen ohne Beschrankungder Allgemeinheit annehmen, dass K > 1/ε. Fur alle k, l ≥ K und alleN ≥ max{Nk, Nl} ist dann mit der Dreiecksungleichung und der Definitionvon Nk und Nl und wegen K > 1/ε

d(xkNk, xlNl

) ≤ d(xkNk, xkN )+d(xkN , xlN )+d(xlN , xlNl

) < ε+d(xkN , xlN )+ε .

Lasst man hier N gegen unendlich gehen, folgt

d(xkNk, xlNl

) ≤ ε+ dY (yk, yl) + ε < 3ε

nach Wahl von K. Das zeigt, dass in der Tat x eine Cauchyfolge in X ist.Insbesondere reprasentiert also x ein Element y ∈ Y . Wir behaupten nun,dass in (Y, dY )

limk 7→∞

yk = y .

Sei dazu wieder ε > 0 beliebig gewahlt. Es sei K so groß, dass dY (yk, yl) < εfur alle k, l ≥ K. Wieder nehmen wir an, dass K > 1/ε. Fur alle k ≥ K, allen ≥ Nk sowie alle N ≥ max{Nk, Nn} ist dann

d(xkn, xnNn) ≤ d(xkN , xkn)+d(xkN , xnN )+d(xnN , xnNn) < ε+d(xkN , xnN )+ε

Lasst man hier N gegen unendlich gehen, folgt, wenn wir zusatzlich n ≥ kannehmen,

d(xkn, xnNn) ≤ ε+ dY (yk, yn) + ε < 3ε .

Diese Ungleichung gilt fur alle n ≥ max{Nk, k}, somit haben wir

dY (yk, y) = limn→∞

d(xkn, xnNn) ≤ 3ε .

Diese Ungleichung gilt fur alle k ≥ K. Daraus folgt die Behauptung. �

germanTOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN (SS 09) 19

Wir haben nun einen recht abstrakten, aber immerhin vollstandigen, me-trischen Raum (Y = X/ ∼, dY ) konstruiert. Es bleibt noch die Beziehungzu (X, dX) zu klaren.

Dazu betrachten wir fur x ∈ X die konstante Folge x := (x, x, x, x, . . .) ∈X. Dies ist offensichtlich eine Cauchyfolge und representiert daher ein Ele-ment [x] ∈ Y . Fur x, y ∈ X beobachten wir

dY ([x], [y]) = limn→∞

d(xn, yn) = d(x, y)

wobei hier xn := x und yn := y fur alle n ∈ N. Somit ist der Limes gleichd(x, y). Die Abbildung

φ : X → Y , x 7→ [(x, x, x, x, . . .)]

ist also eine isometrische Einbettung, d.h. dY (φ(x), φ(y)) = d(x, y) fur allex, y ∈ X. Insbesondere ist die Abbildung φ injektiv. Wir werden in denUbungen sehen, dass φ(X) ⊂ Y eine dichte Teilmenge ist. Wir fassen zu-sammen:

Satz 4.3. Es sei (X, d) ein metrischer Raum und (Y, dY ) der wie obendefinierte metrische Raum. Dann ist Y vollstandig und die Abbildung φ :X → Y , x 7→ [(x, x, x, . . .)] ist eine isometrische Einbettung, die X miteinem dichten Unterraum von (Y, dY ) identifiziert.

Wir nennen (Y, dY ) die kanonische Vervollstandigung von (X, d). Wennman mit X = Q (und dem ublichen Abstandsbegriff auf Q) startet, kannman auf diese Weise die reellen Zahlen konstruieren.

Definition. Ein Banachraum ist ein vollstandiger normierter Vektorraum.

Wir werden in der Ubung sehen, dass die Vervollstandigung eines normier-ten Raumes ein Banachraum ist (d.h. man kann auf der Vervollstandigungdie Struktur eines normierten Vektorraumes konstruieren, so dass die Normdie von uns eben konstruierte vollstandige Metrik induziert).

Insbesondere erhalten wir (fur a, b ∈ R mit a < b) durch Ver-vollstandigung der normierten Raume (C0([a, b]), ‖ − ‖p), p ≥ 1, die Ba-nachraume Lp([a, b]). Diese spielen in der Analysis eine sehr wichtige Rolle.

Bisher haben wir aber leider nur (durch unsere abstrakte Konstruktion)ein wenig anschauliches Modell dieser Banachraume. In der Vorlesung Ana-lysis 3 wird mit Hilfe der Lebesgueschen Integrationstheorie eine konkreteInterpretation der bei der Vervollstandigung ”neu hinzugekommenen“ Punk-te in Lp([a, b]) gegeben.

Definition. Es sei X ein topologischer Raum. Eine offene Uberdeckung vonX ist eine Familie (Ui)i∈I offener Teilmengen von X, mit⋃

i∈I

Ui = X .

20 germanBERNHARD HANKE

Der Raum X heißt kompakt, falls jede offene Uberdeckung (Ui)i∈I von Xeine endliche Teiluberdeckung besitzt, d.h. es eine endliche Teilmenge I0 ⊂ Igibt, so dass X =

⋃i∈I0

Ui.

Man beachte: Ist X ein topologischer Raum und A ⊂ X eine Teilmenge,so ist A mit der Unterraumtopologie genau dann kompakt, wenn folgendesgilt: Ist (Ui)i∈I eine Familie von offenen Mengen in X, so dass A ⊂

⋃i∈I Ui,

so gibt es eine endliche Indexmenge I0 ⊂ I, so dass A ⊂⋃

i∈I0Ui. Dies folgt

aus der Definition des Teilraumtopologie. Wir erhalten auf diese Weise (furTeilraume von metrischen Raumen) genau die Kompaktheitsdefinition ausForster 2, Abschnitt 3.

Diese in Forster angegebenen Formulierung ist aber in meinem Augeninsofern etwas problematisch als sie suggeriert, dass es bei der Kompakt-heit von A ⊂ X auf den umgebenden Raum X ankommt. Vielmehr istaber Kompaktheit eine absolute Eigenschaft (im Gegensatz zu offener undabgeschlossener Teilmenge, Innerem, Abschluss und Rand), die einem topo-logischen Raum entweder zukommt oder nicht.

Wir behandeln Satz 3.1. und Beispiel 3.2. aus Forster 2.Folgende Umformulierung der Kompaktheitsdefinition ist manchmal

nutzlich (siehe Tutorium):

Proposition 4.4. Ein Raum X ist genau dann kompakt, falls folgendesgilt: Es sei (Ci)i∈I eine Menge abgeschlossener Teilmengen von X, so dassder Schnitt je endlich vieler dieser Teillmengen nicht leer ist. Dann gilt⋂

i∈I Ci 6= ∅.

Proposition 4.5. Jede kompakte Teilmenge eines Hausdorffraumes ist ab-geschlossen.

Beweis. Es sei X Hausdorffsch und A ⊂ X kompakt. Wahle ein beliebigesx ∈ X \ A. Ist a ∈ A, so gibt es (in X) offene disjunkte Umgebungen Ua

von a und Va von x. Da A kompakt ist und A ⊂⋃

a∈A Ua, gibt es endlichviele Punkte a1, . . . , ak ∈ A mit A ⊂ Ua1 ∪ . . . ∪ Uak

. Dann liegt die offeneUmgebung Va1 ∩ . . .∩Vak

von x ganz in X \A. Dieses Argument zeigt, dassX \A offen und somit A abgeschlossen ist. �

Proposition 4.6. Ist X kompakt und f : X → Y stetig, so ist auch f(X) ⊂Y kompakt.

Beweis. Ist (Ui) eine offene Uberdeckung von f(X), so ist (f−1(Ui))i∈I eineoffene Uberdeckung von X. Da diese eine endliche Teiluberdeckung besitzt,gilt dies also auch fur (Ui). �

Proposition 4.7. Jeder abgeschlossene Teilmenge eines kompakten Raumesist kompakt.

Beweis. Sei X kompakt und A ⊂ X abgeschlossen. Sei (Ui)i∈I eine Familileoffener Mengen in X mit A ⊂

⋃i∈I Ui. Da X kompakt ist, hat die offene

germanTOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN (SS 09) 21

Uberdeckung (Ui)i∈I ∪{X \A} von X eine endliche Teiluberdeckung. Somituberdeckt auch eine endliche Teilfamilie von (Ui)i∈I die Menge A. �

Die letzten drei Tatsachen haben folgende wichtige Konsequenz:

Satz 4.8. Es sei f : X → Y eine bijektive stetige Abbildung von einem kom-pakten Raum in einen Hausdorffraum. Dann ist f ein Homoomorphismus.

Beweis. Wir mussen zeigen, dass f−1 stetig ist. Da f bijektiv ist, konnenwir gleichbedeutend nachweisen, dass f abgeschlossen ist, d.h. ist A ⊂ Xabgeschlossen, so auch f(A) ⊂ Y . Ist aber A ⊂ X abgeschlossen, so ist Akompakt, somit auch f(A) ⊂ Y und damit ist f(A) als kompakter Teilraumdes Hausdorffraumes Y abgeschlossen. �

Beispiel. Die Abbildung [0, 1) → S1, x 7→ exp(i2πx) ist stetig (wobei wirS1 ⊂ C mit der Teilraummetrik versehen) und bijektiv. Dies folgt leicht ausder Stetigkeit von exp : C → C mit Hilfe des ε-δ-Kriteriums. Die Umkehr-abbildung f−1 ist aber nicht stetig: Das Bild der in [0, 1) abgeschlossenenTeilmenge [1/2, 1) ⊂ [0, 1) unter f (d.h. das Urbild unter f−1) ist nicht ab-geschlossen in S1, denn 1 ∈ S1 liegt zwar im Abschluss von f([1/2, 1)), abernicht in f([1/2, 1)).

Wir betrachten nun wieder den Spezialfall der metrischen Raume. Zur Er-innerung: Wir nennen einen metrischen Raum X beschrankt, falls diamX =sup{d(x, y) | x, y ∈ X} <∞.

Proposition 4.9. Ist X ein kompakter metrischer Raum. Dann ist X be-schrankt.

Beweis. Es sei x ∈ X. Dann bildet die Familie von offenen Kugeln(Bn(x))n∈N eine offene Uberdeckung von X. Da X kompakt ist, existierteine endliche Teiluberdeckung, d.h. ein N mit X = BN (x). Daraus folgt,dass X beschrankt ist. �

Da jeder metrische Raum die Hausdorffeigenschaft hat, folgt aus Propo-sition 4.5: Ist X ein metrischer Raum und A ⊂ X ein kompakter Teilraum,so ist A abgeschlossen in X. Zusammen mit dem letzten Resultat erhaltenwir so Satz 3.3. in Forster 2.

Fur metrische Raume ist Kompaktheit gleichbedeutend mit Folgenkom-paktheit.

Definition. Wir nennen einen topologischen Raum X folgenkompakt, wennjede Folge in X eine konvergente Teilfolge besitzt.

Das heißt, in folgenkompakten Raumen gilt eine verallgemeinerte Formdes Satzes von Bolzano-Weierstraß.

Satz 4.10. Es sei X ein metrischer Raum. Dann sind die folgenden Aus-sagen aquivalent:

22 germanBERNHARD HANKE

• X ist kompakt.• X ist folgenkompakt.

Beweis. Es sei X kompakt. Angenommen, X ist nicht folgenkompakt. Essei (xn) eine Folge in X ohne konvergente Teilfolgt. Dann gibt es fur jedenPunkt x ∈ X eine offene Umgebung Ux ⊂ X, die nur endlich viele Folgen-glieder enthalt (ansonsten konnte man eine Teilfolge konstruieren, die gegenx konvergiert). Die offene Uberdeckung X =

⋃x∈X Ux von X hat nach Vor-

aussetzung eine endliche Teiluberdeckung. Dann enthalt aber X insgesamtnur endlich viele Folgenglieder xn, was absurd ist.

Es sei umgekehrt X folgenkompakt. Wir betrachten eine offeneUberdeckung (Ui)i∈I von X und mussen eine endliche Teiluberdeckung fin-den.

Wir beweisen zunachst die Existenz einer sogenannten Lebesguezahl furX,d.h. einer Zahl ε > 0, so dass jeder offene Ball inX mit Radius ε ganz in eineroffenen Menge Ui aus der gegebenen Familie enthalten ist. Angenommen, soein ε existiert nicht. Dann gibt es zu jeder naturlichen Zahl n ≥ 1 ein xn ∈ X,so dass der offene Ball B1/n(x) in keiner offenen Menge Ui enthalten ist.Da X folgenkompakt ist, existiert eine Teilfolge (xnk

)k∈N, die gegen einenPunkt x ∈ X konvergiert. Dieses x ist in einem Ui0 enthalten. Da dieseMenge offen ist, gibt es ein N , so dass B1/N (x) ⊂ Ui0 . Wir wahlen nk sogroß, dass d(xnk

, x) < 1/(2N) und so dass nk ≥ 2N . Dann ist nach derDreiecksungleichung B1/nk

(xnk) ⊂ B1/N (xnk

) ⊂ Ui0 , was der Wahl von xnk

widerspricht. Damit muss eine Lebesguezahl ε existieren.Wir zeigen nun, dass sich mit dieser Lebesguezahl ε der Raum X durch

endlich viele offene ε-Balle uberdecken lasst. Angenommen, dies ist nicht derFall. Dann konnen wir induktiv eine Folge (xn) in X konstruieren, so dassfur alle n ≥ 0 das Folgenglied xn+1 von allen schon konstrierten Punktenx0, x1, . . . , xn einen Abstand mindestens ε hat (denn die endlich vielen BalleBε(x0), . . . , Bε(xn) uberdecken ja X nach Annahme nicht). Dann hat aber(xn) keine konvergente Teilfolge, im Widerspruch zur Annahme.

Wir konnen also doch X durch endliche viele ε-Balle uberdecken. Da jederdieser Balle ganz in einem Ui enthalten ist, besitzt also (Ui) eine endlicheTeiluberdeckung und X ist kompakt. �

Mit Hilfe dieses Kriteriums konnen wir folgenden Satz beweisen:

Satz 4.11 (Heine-Borel). Eine Teilmenge A ⊂ Rn ist genau dann kompakt,wenn sie beschrankt (bzgl. der Euklidischen Metrik) und abgeschlossen ist.

Beweis. Es sei A ⊂ Rn kompakt. Wir haben bereits in den Propositionen4.5 und 4.9 gezeigt, dass dann beschrankt und als Teilmenge von Rn abe-schlossen ist.

Sei umgekehrt A beschrankt und abgeschlossen. Wir zeigen, dass A fol-genkompakt ist. Sei also (xk) eine Folge in A. Dann ist die Folge (xk1)k∈Nder ersten Komponenten beschrankt und besitzt somit nach dem Satz vonBolzano-Weierstraß (aus Analysis 1) eine konvergente Teilfolge (xkl1)l∈N.

germanTOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN (SS 09) 23

Die entstehende Teilfolge (xkl2)k∈N der zweiten Komponenten ist ebenfallsbeschrankt und besitzt daher eine konvergente Teilfolge. Induktiv konnenwir so eine Teilfolge der ursprunglichen Folge (xk) konstruieren, so dass jedeKomponentenfolge konvergiert. Damit konvergiert dann die Teilfolge selbst.Sei x ∈ Rn der Grenzwert. Da A abgeschlossen ist, gilt x ∈ A. �

Im Buch von Forster wird dieses Ergebnis mit einem anderen, direkterenArgument bewiesen. Wir folgern es aus der Aquivalenz von Kompaktheitund Folgenkompaktheit fur metrische Raume, was ja fur sich genommenauch ein recht interessantes Resultat ist.

Beispiel. Die Menge O(n) ⊂ Rn×n der orthogonalen (n × n)-Matrizen(mit der von Rn2

induzierten Topologie) ist kompakt: Die Menge O(n) istbeschrankt, denn die Zeilenvektoren in orthogonalen Matrizen haben alleLange 1, damit sind die Betrage der Eintrage in orthogonalen Matrizen durch1 beschrankt. Weiterhin ist O(n) abgeschlossen in Rn×n. Dies liegt daran,dass die Transposition von Matrizen, sowie die Matrizenmultiplikation stetigsind und dass O(n) = φ−1({En}), wobei φ : Rn×n → Rn×n, φ(A) := AAT

und En ∈ Rn×n die Einheitsmatrix ist. An dieser Stelle sollte man sich dar-an erinnern (siehe Proposition 3.6), dass in jedem Hausdorffraum (wie z.B.Rn×n mit der Metrik von Rn2

) jede einpunktige Menge abgeschlossen ist.

Wir besprechen zum Abschluss dieses Kapitels noch den Satz von Stone-Weierstraß. Es sei dazu K ein kompakter topologischer Raum und C(K)sei der reelle normierte Raum der stetigen Funktionen K → R versehenmit der Supremumsnorm (die mit der Maximumsnorm ubereinstimmt, dajede stetige Funktion auf K ihr Maximum und ihr Minimum annimmt). Wirbezeichnen die Maximumsnorm im Folgenden mit ‖ − ‖ (anstatt ‖ − ‖∞).Wir erinnern, dass dies die Norm der gleichmaßigen Konvergenz ist: EineFolge (φn)n∈N konvergiert genau dann in (C(K), ‖ − ‖)) gegen φ ∈ C(K),falls es fur alle ε > 0 ein N ∈ N gibt, so dass |φ(x) − φn(x)| < ε fur allex ∈ K und alle n ≥ N .

Es gilt nun das folgende erstaunliche Resultat.

Satz 4.12 (Approximationssatz von Stone-Weierstraß). Es sei A ⊂ C(K)eine Teilmenge mit den folgenden Eigenschaften:

• A ist ein reeller Untervektorraum und sind f, g ∈ A, so gilt f ·g ∈ A.• A enthalt die konstante Funktion 1K : K → R, x 7→ 1.• Fur alle s, t ∈ K gibt es ein f ∈ A mit f(s) 6= f(t). Man sagt auchA trennt die Punkte aus K.

Dann liegt A dicht in C(K) (d.h. A = C(K)). Mit anderen Worten: Fur alleφ ∈ C(K) und alle ε > 0 existiert ein f ∈ A mit supx∈K |f(x)− φ(x)| < ε.

Dies ist neben der Taylorapproximation und der Fourierentwicklung dasdritte wichtige Approximationsresultat, das wir in dieser Vorlesung bespre-chen.

Zur Vorbereitung des Beweises zeigen wir:

24 germanBERNHARD HANKE

Proposition 4.13. Es sei f : [0, 1] → R definiert durch f(x) :=√x. Dann

gibt es eine Folge von Polynomfunktionen pn : R → R, deren Einschrankungauf [0, 1] gleichmaßig gegen f konvergiert.

Beweis. Wir definieren die Folge (pn)n∈N induktiv durch p0 := 0, pn+1(x) :=pn(x) + 1

2(t− p2n(x)). Wir beweisen durch Induktion nach n:

• p2n(x) ≤ x,

• pn+1(x) ≥ pn(x)fur alle x ∈ [0, 1] und alle n ∈ N. Beide Aussagen sind klar fur n = 0. Wirberechnen nun

x− p2n+1(x) = (x− p2

n(x))(1− pn(x)− 14(x− p2

n(x))) .

Nach Induktionsvoraussetzung ist x − p2n(x) ≥ 0. Es ist aber auch (wegen

x ≤ 1)

4− 4pn(x)− (x− p2n(x)) ≥ 4− 4pn(x)− 1 + p2

n(x) = (pn(x)− 2)2 − 1 ≥ 0

da 0 ≤ pn(x) ≤ 1 (denn 0 ≤ p1(x) ≤ . . . ≤ pn(x) ≤ x ≤ 1 wurde fur allex ∈ [0, 1] bereits gezeigt). Damit ist in der Tat p2

n+1(x) ≤ x. Die Aussagepn+2(x) − pn+1(x) ≥ 0 folgt nun aus dieser Aussage und aus der Rekursi-onsformel fur pn+2.

Da fur alle x ∈ [0, 1] die Folge (pn(x)) monoton wachsend und beschranktist, existiert der Grenzwert. Nennen wir diesen px, so liefert einsetzen in dierekursive Gleichung, dass p2

x = x fur alle x ∈ [0, 1].Damit ist (pn) eine monoton wachsende Folge stetiger Funktionen, die

auf dem kompakten Intervall [0, 1] punktweise gegen die stetige Funktion fkonvergiert. Nach dem Satz von Dini konvergiert dann (pn) auf [0, 1] sogargleichmaßig gegen f . �

Der Satz von Dini wurde zwar auf dem ersten Ubungsblatt behandelt. Derfolgende Beweis stellt aber nocheinmal klar heraus, wie effektiv der Begriffder Kompaktheit genutzt werden kann.

Proposition 4.14 (Satz von Dini). Es sei K ein kompakter topologischerRaum und (fn) eine monoton wachsende Folge stetiger Funktionen fn : K →R, die punktweise gegen die stetige Funktion F : K → R konvergiert. Dannkonvergiert fn auf K sogar gleichmaßig gegen F .

Beweis. Es sei ε > 0 beliebig. Da fn punktweise konvergiert und jedes fn

stetig ist, existiert fur jedes x ∈ K eine offene Umgebung Ux ⊂ K vonx und ein Nx ∈ N, so dass |fNx(x) − F (x)| < ε fur alle x ∈ Ux. Da dieFolge (fn) monoton wachsend ist, gilt letzter Abschatzung sogar fur alle fn

mit n ≥ Nx. Die Familie (Ux)x∈K bildet eine offene Uberdeckung von Kund besitzt wegen der Kompaktheit von K eine endliche Teiluberdeckung(UNx1

, . . . , UNxk). Wir setzen N := max{Nx1 , . . . , Nxk

}. Dann gilt fur allen ≥ N und fur alle x ∈ K die Abschatzung |fn(x)−F (x)| < ε und dies warzu zeigen. �

germanTOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN (SS 09) 25

Wir kommen nun zum Beweis des Satzes von Stone-Weierstraß. Es sei A ⊂C(K) eine Teilmenge mit den in Theorem 4.12 beschriebenen Eigenschaften.In einem ersten Schritt uberzeugen wir uns davon, dass auch die TeilmengeA diese Eigenschaften hat.

Seien also f, g ∈ A. Dann gibt es Folgen (fn), (gn) in A, die gleichmaßiggegen f und g konvergieren. Wir behaupten, dass dann die Folge (fn·gn) (ausFunktionen in A) gleichmaßig gegen f ·g konvergiert. Da fn nur aus stetigenFunktionen besteht (die alle auf K jeweils ihr Maximum und Minimumannehmen) und gleichmaßig gegen eine stetige Funktion konvergiert (dieauch ihr Maximum und Minimum auf K annimmt), ist diese Folgen globalbeschrankt, d.h. es gibt ein C > 0, so dass |fn(x)| ≤ C fur alle x ∈ K. Dag stetig ist, konnen wir daruberhinaus annehmen, dass |g(x)| ≤ C fur allex ∈ K. Sei nun ε > 0 beliebig und N ∈ N so groß, dass |fn(x)− f(x)| < ε

2Cund |gn(x)− g(x)| < ε

2C fur alle n ≥ N und alle x ∈ X. Dann gilt

|fn(x)gn(x)− f(x)g(x)| ≤ |fn(x)(gn(x)− g(x))|+ |g(x)(fn(x)− f(x))| < ε .

Der Beweis, dass fur alle α, β ∈ R die Funktion αf + βg ∈ A fuhrt manganz ahnlich. Wegen A ⊃ A ist klar, dass 1K ∈ A und dass A Punkte in Ktrennt.

Zu Beweis des Satzes von Stone-Weierstraßzeigen genugt es also zu zeigen:Es sei A ⊂ C(K) eine abgeschlossene Teilmenge mit den Eigenschaften ausTheorem 4.12. Dann gilt A = C(K). Wir zeigen zunachst:

Proposition 4.15. Es seien f ∈ A. Dann liegt auch die Funktion |f | : K →R, x 7→ |f(x)| in A.

Beweis. Da f ihr Maximum und Minimum annimmt, konnen wir annehmen,dass −1 ≤ f(x) ≤ 1 fur alle x ∈ K. Nach Proposition 4.13 konvergiert dieFolge (pn ◦ f2)n∈N gleichmaßig auf K gegen

√f2 = |f |. (Die Verkettung

pn ◦f2 bedeutet, dass man die Funktion f2 in das Polynom pn einsetzt). �

Als Folgerung notieren wir, dass mit f, g ∈ A auch max{f, g} = 12(f +

g + |f − g|) ∈ A und min{f, g} = 12(f + g − |f − g|) in A liegen.

Es sei nun φ ∈ C(K) und ε > 0. Wir wollen zeigen, dass es ein f ∈ Agibt, so dass ‖φ− f‖ < ε.

Es seien s, t ∈ K mit s 6= t. Da A Punkte trennt, gibt es ein h ∈ A mith(s) 6= h(t). Sind λ, µ ∈ R, so setzen wir

h(x) := µ+ (λ− µ)h(x)− h(t)h(s)− h(t)

Es ist h(x) ∈ A und h(s) = λ, h(t) = µ.Daraus folgt: Fur alle s, t ∈ K existiert ein fs,t ∈ A mit fs,t(s) = φ(s) und

fs,t(t) = φ(t). Fur s 6= t nehmen wir dazu h mit λ := φ(s) und µ := φ(t).Fur s = t setzen wir fs,t(x) := φ(s) · 1K .

Da fs,t stetig ist, approximiert fs,t die gegebene Funktion φ in Umgebun-gen von s und von t und stimmt in s und in t sogar mit φ uberein. Es sei

26 germanBERNHARD HANKE

nun s ∈ K fest. Fur variables t ∈ K setzen wir

Ut := {x ∈ K | fs,t(x) < φ(x) + ε} .

Da die Funktion φ und fur alle t ∈ K die Funktion fs,t stetig sind und t ∈ Ut,bildet (Ut)t∈K eine offene Uberdeckung von K. K ist kompakt. Also gibt esendlich viele Punkte t1, . . . , tn ∈ K, so dass K = Ut1 ∪ . . .∪Utn . Wir setzennun hs := min{fs,t1 , . . . , fs,tn}. Dies fuhren wir fur alle s ∈ K durch. Es giltdann fur s ∈ K

• hs ∈ A ,• hs(s) = s ,• hs < φ+ ε.

Wir setzen nun Vs := {x ∈ K | hs(x) > φ(x) − ε}. Jede Menge Vs istoffen in K und wegen s ∈ Vs gilt K =

⋃s∈K Vs. Da K kompakt ist, gibt es

endlich viele Punkte s1, . . . , sm ∈ K mit K = Vs1 ∪ . . . ∪ Vsm . Wir setzenf := max{hs1 , . . . , hsm}. Dann ist f ∈ A und

φ− ε < f < φ+ ε ,

das heißt ‖f − φ‖ < ε.Wir haben somit gezeigt, dass fur jedes φ ∈ C(K) eine Folge (fn) in A

existiert, die gleichmaßig gegen φ konvergiert. Da A abgeschlossen in C(K)ist, folgt daraus φ ∈ A.

Damit ist der Satz von Stone-Weierstraß bewiesen.

Korollar 4.16 (Appromimationssatz von Weierstraß). Es seien a < b reelleZahlen und Es sei φ : [a, b] → R eine stetige Funktion. Dann gibt es fur alleε > 0 eine Polynomfunktion P : R → R in einer Variablen, so dass

maxt∈[a,b]

{|P (t)− φ(t)|} < ε

Kurz gesagt: Stetige Funktionen auf kompakten Intervallen lassen sichbeliebig genau gleichmaßig durch Polynome approximieren.

Beweis. Es sei A ⊂ C([a, b]) die Menge der Einschrankungen von Polynom-funktionen auf das Intervall [a, b]. Dann erfullt A die Voraussetzungen desSatzes von Stone-Weierstraß: Linearkombinationen und Produkte von Po-lynomfunktionen sind wieder Polynomfunktionen. Die konstante Funktion1[a,b] : [a, b] → R ist Einschrankung der Polynomfunktion 1R : R → R,x 7→ 1. Sind außerdem s, t ∈ [0, 1], s 6= t, so gilt fur das Polynom P (x) := x,dass P (s) = s 6= t = P (t), d.h. A trennt Punkte in [a, b]. Damit folgt dieBehauptung aus dem Satz von Stone-Weierstraß. �

Die systematische Untersuchung von Funktionenraumen mit Hilfe topo-logischer Methoden ist Gegenstand der Funktionalanalysis.

germanTOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN (SS 09) 27

5. Kurven im Rn

Dies ist wieder etwas anschaulicher. Wir diskutieren Kurven im Rn, alsostetige Abbildungen [a, b] → Rn, wobei a < b ∈ R. Besonders wichtig istdabei der Begriff der Rektifizierbarkeit und die Berechnung der Lange vonstetig differenzierbaren Kurven. Siehe Forster 2, Kapitel 4.

6. Differentialrechnung im Rn

Dieser Abschnitt entspricht den Abschnitten 5 und 6 in Forster 2, wodie grundlegenden Begriffe der Differentialrechnung im Rn eingefuhrt unddiskutiert werden: Partielle Ableitungen, hohere Ableitungen und Satz vonSchwarz uber die Vertauschbarkeit der Ableitungsreihenfolge k-ter partiellerAbleitungen bei k-mal stetig differenzierbaren Funktionen Rn → R, Definiti-on der Operatoren grad, bzw. ∇ (Gradient), div (Divergenz), rot (Rotation)und ∆ (Laplaceoperator) sowie deren Rolle in partiellen Differentialgleichun-gen aus der Physik (Wellengleichung, Warmeleitungsgleichung etc.), totaleDifferenzierbarkeit.

Die Definition der totalen Differenzierbarkeit einer Funktion f : U → Rm,U ⊂ Rn, in einem Punkt x ∈ U , ist fundamental (siehe Forster 2, Kapitel6). Die dabei auftretende Matrix A ∈ Rm×n heißt Jacobimatrix oder auchDifferential von f in x und wird mit Df(x) oder mit Dxf bezeichnet. DieZeilen von Df(x) sind genau die Gradienten der Komponentenfunktionenf1, . . . , fm : U → Rm von f im Punkt x.

Sind n = m = 1, so ist die totale Differenzierbarkeit von f im Punktx ∈ U nichts anderes als die gewohnliche Differenzierbarkeit von f in x (alsFunktion einer Veranderlichen). Es gilt dann Df(x) = f ′(x).

Falls f (wieder fur beliebiges n und m) im Punkt x stetig partiell diffe-renzierbar ist (d.h. alle partiellen Ableitungen existieren in einer Umgebungvon x und diese sind stetig in x), so ist f in x auch total differenzierbar(siehe Forster 2, Satz 2 in Abschnitt 6). Da dann alle Eintrage der Jaco-bimatrix stetig in x sind, nennt man dann auch f stetig differenzierbar inx. Es kann aber durchaus sein, dass f total differenzierbar in x ist, jedochdort nicht stetig differenzierbar. Dies kann schon bei Funktionen f : R → Rpassieren: Es gibt Funktionen f : R → R, die differenzierbar, aber nichtstetig differenzierbar sind, z.B. ist die Funktion f : R → R, x 7→ x2 sin(1/x),falls x 6= 0, und 0 7→ 0 differenzierbar, aber f ′ ist nicht stetig in 0.

Der Mittelwertsatz der Differentialrechnung im Rn muss anders formuliertwerden als im R1 (siehe Forster 2, Abschnitt, Satz 5). Als Anwendung erhaltman eine Normabschatzung der Differenz f(x) − f(y) einer stetig differen-zierbaren Funktion f : U → Rm an zwei Punkten x, y ∈ U mit Hilfe derMaximums der Norm der Jacobimatrix auf der Verbindungsstrecke dieserbeiden Punkte (falls diese ganz in U liegt), siehe Forster 2, Corollar nachSatz 5 in Abschnitt 6.

28 germanBERNHARD HANKE

7. Taylorformel, lokale Extrema

Siehe Forster 2, Abschnitt 7. Wichtig ist hier, dass das Verschwinden desGradienten nur dann ein notwendiges Kriterium fur das Auftreten von Ex-trema ist, wenn man innere Punkte des Definitionsbereiches betrachtet. Furlokale Extrema auf dem Rand sind in der Regel weitergehende Uberlegungennotwendig, vgl. Aufgabe 2 auf dem 10. Ubungsblatt.

8. Implizite Funktionen, Untermannigfaltigkeiten, lokaleExtrema mit Nebenbedingungen

Oft (z.B. in der algebraischen Geometrie) sind Teilmengen M ⊂ Rn alsNullstellengebilde von Gleichungen gegeben. Ein Beispiel ist die n-Spare

Sn = {(x1, . . . , xn+1) ∈ Rn+1 | x21 + . . .+ x2

n = 1} .

Allgemeiner betrachten wir Teilmengen M = F−1(0) ⊂ Rn, wobei F : U →Rm eine stetig differenzierbare Abbildung und U ⊂ Rn offen ist (in obigemBeispiel haben wir F (x) := ‖x‖2 − 1) und wir stellen die Frage ob nebendieser ”impliziten“ Beschreibung von M (als Urbild der 0 von F ) auch eine

”explizite“ Beschreibung moglich ist, d.h. ob man einen Teil der Koordinatenauf M als Funktion eines anderen Teils der Koordinaten ansehen kann. Inder Regel ist dies nicht machbar: Es gibt keine Funktion f : U → R auf einerTeilmenge U ⊂ R, so dass der Graph von f mit S1 ⊂ R2 ubereinstimmt,denn meist gehoren auf S1 zu einem x-Wert zwei y-Werte und zu einemy-Wert zwei x-Werte.

Der Satz uber implizite Funktionen gibt hier eine umfassende Antwort.Siehe Forster 2, Satz 2 in Abschnitt 8. Ist F (a, b) = 0, so ist die Ableitungder in diesem Satz konstruierten Funktion g : V1 → V2 im Punkt a durchdie Formel

Dg(a) = −∂F∂y

(a, b) · ∂F∂x

(a, b)

gegeben, siehe Forster 2, S. 91 oben.In der Vorlesung haben wir den Beweis so gegliedert, dass wir zunachst da-

von ausgehen, wir hatten bereits eine stetige Funktion g mit den verlangtenEigenschaften konstruiert, und daraus die stetige Differenzierbarkeit folgern,Siehe Forster 2, S. 93 f. Der Beweis hierfur verlauft geradlinig, besonderserwahnenswert ist vielleicht die Abschatzung an ‖g(x)‖ auf S. 94 oben, wozunachst diese Norm auf beiden Seiten der Ungleichung auftritt, jedoch mitverschiedenen Koeffizienten.

Die Konstruktion der stetigen Abbildung g beruht auf dem BanachschenFixpunktsatz (Forster 2, Satz 1 in Abschnitt 8), der auch fur sich genommenein sehr anwendungsreiches Resultat in vielen Bereichen der Mathematikdarstellt.

Fur die Konstruktion von g wenden wir den Banachschen Fixpunktsatzauf den Banachraum der beschrankten stetigen Funktionen V1 → Rm (miteiner geeigneten offenen Teilmenge V1 ⊂ Rk) mit der Supremumsnorm und

germanTOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN (SS 09) 29

den abgeschlossenen Unterraum derjenigen Funktionen an, deren Bild inder abgeschlossenen Kugel Br(0) ⊂ Rm enthalten ist (mit einem geeignetenr > 0). Details finden sich in Forster 2, S. 92.

Der Satz uber implizite Funktionen ist wohl eines der tiefliegendsten Re-sultate in der Grundausbildung in Analysis. Man sollte neben dem Studiumdes Beweises insbesondere versuchen, eine gute Anschauung uber den Inhaltdieses Satzes zu gewinnen. Dies kann man gut an Hand der Diskussion vonHohenlinien tun (siehe Forster 2, S. 94 f.) und - allgemeiner - von Unter-mannigfaltigkeit (siehe unten).

Eine wichtige Anwendung des Satzes uber implizite Funktionen ist derSatz uber Umkehrabbildungen, siehe Forster 2, Satz 3 in Abschnitt 8. DiesesResultat verallgemeinert die folgende Tatsache aus der Differentialrechnungeiner Unbekannten: Ist f : R → R differenzierbar und x ∈ R ein Punkt mitf ′(x) 6= 0 (d.h. Df(x) = f ′(x) ∈ R1×1 stellt eine invertierbare Matrix dar),so ist in einer Umgebung von x die Abbildung f streng monoton wachsendoder streng monoton fallend und somit dort umkehrbar. Außerdem ist dieUmkehrfunktion f−1 in y = f(x) differenzierbar und (f−1)′(y) = 1

f ′(x) , sieheForster 1, Satz 3 in Abschnitt 15.

Eine interessante Anwendung liegt in der Behandlung von Koordinaten-transformationen. Im Forster 2 werden in Beispiel (8.4.) ebene Polarkoordi-naten diskutiert, auf dem Ubungsblatt 12, Aufabe 4, findet sich das Beispielder Zylinderkoordinaten.

Aus Zeitgrunden besprechen wir Untermannigfaltigkeiten wenigerausfuhrlich als in Forster 2, Abschnitt 9.

Wir gehen von folgender Definition aus (siehe Forster 2, Satz 2 b in Ab-schnitt 9).

Definition. Wir nennen eine Teilmenge M ⊂ Rn eine Untermannigfaltigkeitder Dimension k, falls folgendes gilt: Es sei a ∈ M . Dann gibt es - nacheventueller Umnummerierung der Koordinaten - offene Umgebungen U ′ ⊂Rk von a′ := (a1, . . . , ak) und U ′′ ⊂ Rn−k von a′′ := (ak+1, . . . , an) sowieeine stetig differenzierbare Abbildung g : U ′ → U ′′, so dass

M ∩ (U ′ × U ′′) = {(x′, x′′) ∈ U ′ × U ′′ | x′′ = g(x′)} .Mit anderen Worten: M ist lokal Graph einer auf einer k-dimensionalenKoordinatenumgebung U ′ ⊂ Rk definierten Abbildung U ′ → U ′′.

Mit Hilfe des Satzes uber implizite Funktionen konnen wir Untermannig-faltigkeiten auf folgende Weise erhalten.

Proposition 8.1. Es sei U ⊂ Rn sowie F : U → Rm stetig differenzierbar,und fur alle x ∈ F−1(0) sei das Differential DF (x) ∈ Rm×n (betrachtet alslineare Abbildung Rn → Rm) surjektiv . Dann ist M := F−1(0) ⊂ Rn eineUntermannigfaltigkeit der Dimension k = n−m.

Beweis. Es sei a ∈ M . Nach geeigneter Umnummerierung der Koordina-ten konnen wir annehmen, dass die Matrix ∂F

∂y (a′, a′′) invertierbar ist. Hier

30 germanBERNHARD HANKE

schreiben wir wieder die Koordinaten in Rk × Rm als (x, y) und zerlegen aentsprechend in (a′, a′′). Aus dem Satz uber implizite Funktionen folgt nundie Behauptung. �

Dieses Resultat motiviert die folgende Definition.

Definition. Es sei U ⊂ Rn offen und F : U → Rm sei stetig differenzierbar.Ein Punkt c ∈ Rm heißt regularer Wert von F , falls fur alle x ∈ F−1(c) dasDifferential DF (x) : Rn → Rm surjektiv ist. Ist c kein regularer Wert, soheißt c ein singularer Wert von F .

Man beachte, dass insbesondere dann c ein regularer Wert ist, falls c /∈imF .

Korollar 8.2. Es sei c ein regularer Wert von F . Dann ist F−1(c) ⊂ Rn

eine Untermannigfaltigkeit der Dimension m − n (die moglicherweise leerist).

Dies ist das nichtlineare Analogon des folgenden Resultates aus der linea-ren Algebra: Ist F : Rn → Rm eine surjektive lineare Abbildung, so ist derKern von F ein Untervektorraum von Rn der Dimension n−m.

Beispiel. Wir betrachten F : R2 → R, (x, y) 7→ x2 + y2. Wir behaupten,dass jedes c > 0 ein regularer Wert ist. Dazu betrachten wir DF (x, y) =gradF (x, y) = (2x, 2y) ∈ R1×2. Dieses Differential ist (aufgefasst als lineareAbbildung R2 → R) genau dann surjektiv, falls (2x, 2y) 6= 0. Falls F (x, y) =c gilt, so folgt aber wegen c > 0 die Eigenschaft (x, y) 6= 0. Daher ist in derTat DF (x, y) an allen Stellen (x, y) ∈ F−1(0) surjektiv.

Wir haben damit aufs Neue gezeigt, dass der Kreis mit Radius√c in R2

eine eindimensionale Untermannigfaltigkeit ist.Der Punkt c = 0 ist ein singularer Wert von F . Die Punkte c < 0 sind

wieder regulare Werte, allerdings ist dann F−1(c) leer.

Untermannigfaltigkeiten der Dimension 1 nennt man auch eingebette-te Kurven, zweidimensionale Untermannigfaltigkeiten eingebettete Flachen.Das Studium von Untermannigfaltigkeiten und - allgemeiner - von abstrak-ten Mannigfaltigkeiten ist zentraler Gegenstand der Differentialgeometrieund Differentialtopologie. Mannigfaltigkeiten spielen auch in der mathema-tischen Physik eine wichtige Rolle.

Als weitere Anwendung des Satzes uber implizite Funktionen erhaltenwir notwendige Bedingungen an Extrema unter Nebenbedingungen. Wir be-trachten hier nur den Fall einer einzigen Nebenbedingung (siehe die alterehellblaue Ausgabe von Forster 2, Kapitel 8), der weniger allgemein ist alsSatz 4 in Abschnitt 9 von Forster 2 (dunkelblau):

Satz 8.3. Es sei U ⊂ Rn eine offene Teilmenge und f : U → R stetigdifferenzierbar. Wir setzen M := f−1(0) ⊂ Rn. Sei a ∈ M so gewahlt,dass Df(a) : Rn → R surjektiv ist (d.h. gradf(a) ∈ R1×n ist als Abbildung

germanTOPOLOGIE UND ANALYSIS MEHRERER VARIABLEN (SS 09) 31

Rn → R surjektiv - insbesondere ist also M in einer Umgebung von a eineUntermannigfaltigkeit von Rn der Dimension n− 1).

Es sei nun h : U → R stetig differenzierbar und a sei ein lokales Maximum(Minimum) von h unter der Nebenbedingung f = 0, d.h. es existiert eineUmgebung V ⊂ U ⊂ Rn von a, so dass h(x) ≤ h(a) (h(x) ≥ h(a)) fur allex ∈M ∩ V .

Dann gibt es ein λ ∈ R mit gradh(a) = λ · gradf(a).

Man nennt dieses λ einen Lagrange-Multiplikator.Wir betonen, dass man auf diese Weise nur ein notwendiges Kriterium

dafur hat, dass a ein lokales Extremum von h|M ist. Um zu zeigen, dasses sich wirklich um ein Extremum handelt, sind in der Regel weitergehendeUberlegungen notwendig. Beispielsweise kommt es oft vor, dass M kom-pakt ist. Dann folgt automatisch, dass h auf M ein Maximum und Mini-mum annimmt. Falls diese verschieden sind und die Methode der Lagrange-Multiplikatoren genau zwei Kandidaten fur lokale Extrema liefert, so folgtautomatisch, dass es sich um das Maximum und Minimum handeln muss.

Als Anwendung dieser Methode besprechen wir Beispiel (9.2.) aus Forster2: Es sei A ∈ Rn×n eine symmetrische Matrix. Wir suchen die Extremader zugehorigen quadratischen Form h(x) := 〈Ax, x〉 auf der EinheitskugelSn−1 ⊂ Rn, d.h. unter der Nebenbedingung ‖x‖ − 1 = 0. Die Methodeder Lagrangen Muliplikatoren zeigt, dass jedes Extremum x ∈ Sn−1 dieGleichung Ax = λx mit einem geeigneten λ ∈ R erullt. Jedes Extremumist also ein Eigenvektor von A. Da Sn−1 kompakt ist, nimmt die stetigeFunktion h auf Sn−1 ihr Maximum und Minimum an Punkten xmin undxmax an. Wir schließen daraus, dass xmin und xmax Eigenvektoren von Asind. Per Induktion kann man auf diese Art zeigen, dass jede symmetrischereelle Matrix eine Basis aus Eigenvektoren besitzt.

9. Parameterabhangige Integrale

Wir diskutieren Stetigkeit und Differenzierbarkeit von parameter-abhangigen Integralen. Als erste Anwendung zeigen wir, dass ein stetig dif-ferenzierbares Vektorfeld v : Br(p) → Rn auf einer offenen Kugel im Rn (mitr > 0 und p ∈ Rn) genau dann ein Gradientenfeld ist, wenn ∂vi

∂xj= ∂vj

∂xifur

alle 1 ≤ i, j ≤ n gilt. Im Spezialfall n = 3 reduziert sich diese Bedingung zurot v = 0. Siehe den hellblauen Forster 2, Kapitel (9.2). Wenn man Br(p)durch eine allgemeinere offene Teilmenge U ⊂ Rn ersetzt, ist die angege-bene Bedingung zwar immer noch notwendig, aber nicht mehr unbedingthinreichend dafur, dass v ein Gradientefeld ist. Im allgemeinen muss manzusatzlich fordern, dass die sogenannte erste de Rhamsche Kohomologie-gruppe H1

dR(U) gleich 0 ist. Dies ist fur U = Br(p) automatisch der Fall.Wir gehen auf die Definition dieser Kohomologiegruppen hier nicht weiterein - dies geschieht zum Beispiel in Vorlesungen zur Differentialtopologieoder zur algebraischen Topologie. Bei Interesse stelle ich gerne ein Skript zudiesem Thema zur Verfugung.

32 germanBERNHARD HANKE

Als zweite Anwendung leiten wir die Eulersche Differentialgleichung derVariationsrechnung her und bestimmen damit kurzeste Verbindungen zwi-schen zwei Punkten im Rn und leiten die Newtonschen Bewegungsgleichun-gen aus dem Prinzip der kleinsten Wirkung in der mathematischen Physikher. Fur Details siehe Forster 2 (dunkelblau), Abschnitt 10.