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T O U L O U S E Wintersemester 2018/19 BEWERBUNG Wie alle Medizinstudierenden der Charite hatte ich die Ehre, mich ordnungsgemäß über die Erasmus-Sparte der Charite International Cooperations zu bewerben. Der Bewerbungszeitraum läuft in der Regel bis Ende November und umfasst Winter- und Sommersemester. Da es im Jahr meiner Bewerbung keine Auswahlgespräche gegeben hat, erfolgte die Selektion über die Motivationsschreiben und über die Prüfungsergebnisse, wobei ich mir nicht sicher bin, inwieweit letzteres Ausschlag für die Auswahl gegeben hat. STADT Toulouse ist eine wirklich schöne Stadt. Gelegen zwischen Pyrenäen, Atlantik und Mittelmeer besticht die Hauptstadt der Region Okzitanien durch ihren großen Altstadtkern, der durch herrschaftliche Bauten aus rotem Backstein, romanische Kirchen und den imposanten Rathausplatz Place de Capitol gekennzeichnet ist. Besonders während der warmen Monate spielt sich das Leben auf den Straßen des Zentrums, in den Parks oder an den Ufern der Garonne ab. Auch im Zentrum tummeln sich die jungen Leute in den studentischen Bars oder auf den Wochenmärkten bei Straßenmusikbegleitung. Von den 500 000 Einwohnern sind ein Fünftel Studierende, großteils eingeschrieben in einer der drei großen, staatlichen Universitäten Capitole, Jean Jaurès und Paul Sabatier (UPS). Letztere beherbergt neben vielen Ingenieur- und Naturwissenschaften die medizinische Fakultät. Während sich die Université Capitole vornehmlich im Zentrum der Stadt befindet, liegt der brandneue Campus der Uni Jean Jaurès im Westen und das marode, baufällige und sehr weitläufige Universitätsgelände der UPS im Süden. Es gibt zwei universitäre Krankenhäuser sowie zwei gleichnamige medizinische Fakultäten: das moderne Purpan im Norden der Stadt sowie das etwas ältere, auf einem Hügel im Süden gelegene Rangeuil nahe des UPS Campus. WOHNEN Ein Großteil der Eramusstudierenden hatte sich bereits im Vorhinein über ein Formular um einen Wohnheimplatz auf dem Campus beworben. Direkt dort gibt es drei große, gleichförmige studentische Wohnkomplexe, die sogenannten Tripods. Die Zimmer sind günstig, haben aber etwa das Format eines kleinen Wohnwagens mit Küchenecke und Duschbox. Die wenigsten hatten Zugang zu einer zusätzlichen Gemeinschaftsküche. Die meisten meiner Erasmusfreunde waren froh, als sie ausziehen konnten. Ich hatte das Privileg die erste Woche bei Freunden von mir unterkommen zu können. So habe ich mich eine Woche vor Studienbeginn intensiv mit der Wohnungssuche beschäftigt.

TOULOUSE WiSe 2018-19 Erfahrungsbericht · entschieden, welche ich auf der Website Carte de Coloc gefunden habe. Alternativ kann man ... Anschließend habe ich noch einen Monat in

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T O U L O U S E

Wintersemester 2018/19 BEWERBUNG Wie alle Medizinstudierenden der Charite hatte ich die Ehre, mich ordnungsgemäß über die Erasmus-Sparte der Charite International Cooperations zu bewerben. Der Bewerbungszeitraum läuft in der Regel bis Ende November und umfasst Winter- und Sommersemester. Da es im Jahr meiner Bewerbung keine Auswahlgespräche gegeben hat, erfolgte die Selektion über die Motivationsschreiben und über die Prüfungsergebnisse, wobei ich mir nicht sicher bin, inwieweit letzteres Ausschlag für die Auswahl gegeben hat. STADT Toulouse ist eine wirklich schöne Stadt. Gelegen zwischen Pyrenäen, Atlantik und Mittelmeer besticht die Hauptstadt der Region Okzitanien durch ihren großen Altstadtkern, der durch herrschaftliche Bauten aus rotem Backstein, romanische Kirchen und den imposanten Rathausplatz Place de Capitol gekennzeichnet ist. Besonders während der warmen Monate spielt sich das Leben auf den Straßen des Zentrums, in den Parks oder an den Ufern der Garonne ab. Auch im Zentrum tummeln sich die jungen Leute in den studentischen Bars oder auf den Wochenmärkten bei Straßenmusikbegleitung. Von den 500 000 Einwohnern sind ein Fünftel Studierende, großteils eingeschrieben in einer der drei großen, staatlichen Universitäten Capitole, Jean Jaurès und Paul Sabatier (UPS). Letztere beherbergt neben vielen Ingenieur- und Naturwissenschaften die medizinische Fakultät. Während sich die Université Capitole vornehmlich im Zentrum der Stadt befindet, liegt der brandneue Campus der Uni Jean Jaurès im Westen und das marode, baufällige und sehr weitläufige Universitätsgelände der UPS im Süden. Es gibt zwei universitäre Krankenhäuser sowie zwei gleichnamige medizinische Fakultäten: das moderne Purpan im Norden der Stadt sowie das etwas ältere, auf einem Hügel im Süden gelegene Rangeuil nahe des UPS Campus. WOHNEN Ein Großteil der Eramusstudierenden hatte sich bereits im Vorhinein über ein Formular um einen Wohnheimplatz auf dem Campus beworben. Direkt dort gibt es drei große, gleichförmige studentische Wohnkomplexe, die sogenannten Tripods. Die Zimmer sind günstig, haben aber etwa das Format eines kleinen Wohnwagens mit Küchenecke und Duschbox. Die wenigsten hatten Zugang zu einer zusätzlichen Gemeinschaftsküche. Die meisten meiner Erasmusfreunde waren froh, als sie ausziehen konnten. Ich hatte das Privileg die erste Woche bei Freunden von mir unterkommen zu können. So habe ich mich eine Woche vor Studienbeginn intensiv mit der Wohnungssuche beschäftigt.

Für mich war es verhältnismäßig leicht, ein WG-Zimmer zu finden. Im Endeffekt habe ich mich für ein WG-Hausprojekt mit 15 weiteren Mitbewohner*innen im Viertel St. Cyprien entschieden, welche ich auf der Website Carte de Coloc gefunden habe. Alternativ kann man auf Le bonne Coin und in Facebookgruppen nach WG-Zimmern suchen. Naturgemäß bleiben die Studentenwohnheimzimmer mit etwa 270 Euro Monatsmiete die günstigste Option. Vorteil eines individuell organisierten Zimmers ist es, tendenziell mit netten Franzos*innen in Kontakt zu kommen und etwas Zentrumsnäher zu wohnen. Hat man erst einmal ein Zimmer gefunden oder das Studentenwohnheim bezogen, ist es äußerst ratsam, frühzeitig das französische Wohngeld CAF zu beantragen, da dieses nicht rückwirkend, sondern erst ab Monat der Beantragung bezahlt werden kann. Man kann online einen Antrag stellen und diesen dann peu à peu komplettieren. Dafür sind diverse Unterlagen nötig (französisches Bankkonto!, Geburtsurkunde, Wohnbescheinigung des Vermieters,...). Diesbezügliche Hilfe kann man am Help-Desk der UPS einholen. Der organisatorische Aufwand lohnt sich, da das CAF etwa ein Drittel der Miete deckt. KOSTEN Alles in Allem sind die Lebenserhaltungskosten in Frankreich höher als in Deutschland. Lebensmittel sind grundsätzlich teurer und große Supermärkte in Toulouse nur am Stadtrand (unter anderem Nahe des Krankenhauses Purpan) zu finden. Die Getränke in den Bars übersteigen leider auch das berlinerische Preisniveau. Etwas günstiger sind die Bars Associatifs. Dafür ist der öffentliche Nahverkehr relativ günstig; hat man einmal seine Carte Pastel in einer Toulouser SNCF Filiale (Passbild nicht vergessen), zahlt man als Studierender 10 Euro monatlich. Reisen ins Umland kann man bequem mit der französischen Bahn machen. Die Tickets sind ebenfalls günstiger als bei der Deutschen Bahn. Falls man vorhat, viel in Frankreich herumzureisen, lohnt sich eine Carte Jeune der SNCF. Alternativ darf man auch ein wenig Geld in die Hand nehmen, um es auf Le Bonne Coin in ein gebrauchtes Fahrrad zu investieren. Ich bereue es sehr, dies nicht initial getan zu haben, da Toulouse wirklich eine optimale Fahrradmetropole mit gut ausgebauten Fahrradwegen ist. Ich habe mich mit den Leihfahrrädern Velo Toulouse fortbewegt, das Jahresabonnement kostet lediglich 20 Euro. Stationen gibt es überall in der Stadt, nur leider nicht in nächster Nähe der zwei Unikliniken. BÜROKRATIE Das vielleicht Anstrengendste in meiner Zeit in Frankreich war die Bürokratie und Organisation. Leider gibt es keinen zentralen Stundenplan, staubige PDFs tauchen häufig verspätet auf oder sind bei ihrem Erscheinen bereits überholt. Updates erfährt man oft nur über die Facebookgruppen der jeweiligen Jahrgänge. In beiden Krankenhäusern bedarf es unterschiedlicher Karten für die Kantine. Auch für die Kittel und Scrubs bekommt man im

jeweiligen Krankenhaus eine andere Karte (in Purpan nur durch das Vorzeigen einer Wohnbescheinigung und Personalausweiskopie). Wie bereits erwähnt erfordert die Beantragung des CAF auch den einen oder anderen Behördengang. STUDIUM Am Anfang des Erasmusaufenthalts gibt es ein einmaliges „Willkommenstreffen“, ausschließlich für ankommende Medizinstudierende. Dort werden die Praktika in den klinischen Fächern vergeben. In der Regel ist es nur möglich, innerhalb eines Erasmussemesters zwei Stages zu absolvieren, da diese jeweils zwei Monate lang sind. Diese kann man sich so vorstellen wie Famulaturen in Deutschland. Da man normalerweise nur bis mittags im Krankenhaus ist, hat man nachmittags die Möglichkeit, klinische Kurse zu besuchen. Um Praktika oder die Kurse zu validieren, müssen sich die Erasmusstudenten durch das Anschreiben der Professor*innen mündliche Prüfungen selbstorganisieren. Belegt Kurs und Praktikum im selben Fachbereich, kann man sich aussuchen, ob man das Examen im Rahmen des Kurses oder des Praktikums macht. In Endeffekt validiert man durch eine Prüfung beides. Die französischen Mitstudierenden welche man während der Vormittage im Krankenhaus oder der Nachmittag im Kurs trifft waren immer freundlich und hilfsbereit, doch auf Grund der hohen Lernlast, die diese zu tragen hatten, bildeten sich Freundschaften eher unter den Erasmusstudierenden und außerhalb der medizinischen Fakultät. Mein erstes Praktikum habe ich in der Gynäkologie in Purpan absolviert. Dort wurde ich direkt von der Sekretärin der Klinik einer Oberärztin zugeteilt. Einen Großteil des Praktikums habe ich mit ihr im gynäkologischen OP verbracht. Diese Zeit hat mir nicht sonderlich zugesagt, da wenig gesprochen und erklärt wurde und der obligatorische Mundschutz den anfänglichen Verständnisproblemen nicht zuträglich war. Nach einiger Zeit bin ich nach Rücksprache selbstständig auf andere Stationen und auf die gynäkologische Notaufnahme gegangen, weil es dort für mich mehr zu tun gab. Da ich nach zwei Monaten Aufenthalt schon etwas familiärer mit dem Französischen war, fand ich mich im Praktikum Urgence in Rangueil gut zurecht. Die Organisation ist wirklich gut, Studierende arbeiten in einem Schichtsystem jeweils 10 Stunden am Stück und sind alleinig für die Aufnahmen zuständig. Nachtschichten bleiben den Erasmusstudierenden allerdings erspart. Anschließend habe ich noch einen Monat in der Pädiatrie Praktikum gemacht. Trotz Learning Agreement habe ich in den vorangegangenen Praktikumszuweisungen kein Platz bekommen, weshalb ich meinen Aufenthalt in Toulouse bereitwillig um einen Monat verlängert habe.

FAZIT Der Aufenthalt in Toulouse hat mir sehr gut gefallen. Was bleibt sind Erinnerungen an die vielen Unternehmungen in und um Toulouse, europäische Freundschaften und ein tieferes Verständnis der französischen Sprache und Kultur. EMPFEHLUNGEN Piscine Nakache Hiver

- wunderschönes Schwimmbad auf der Stadtinsel Île du Ramier, leider nur 25m Becken Marché um Eglise Saint Aubin

- Samstags Flohmarkt, sonntags lebendiger Wochenmarkt auf dem sich ganz Toulouse bei Sonnenschein zwischen lokalen Gemüsen und alten Käsesorten trifft

Cinémathèque - Einzigartige Institution für Cineasten, historische Filmselektion mit spannenden Veranstaltungsreihen

Cafe de la Concorde * - alte Bar zum Kaffee- und Weintrinken auf der Terrasse, durchwachsenes Publikum da schon seit mehr

als 40 Jahren besteht Maison Blanche

- Jazzbar mit angenehmer Stimmung, alle Konzerte auf Spendenbasis DADA

- Sympathische, etwas verrückte Bar mit exotischen Konzerten auf Spendenbasis La Candela, Cameleon und Itinaire-Bis

- alle Bars Assiciatifs und damit eher alternativ und günstig Le Cri de la Mouette

- Technoklub auf einem Schiffchen im Canal du Midi, Besitzer kommt natürlich aus Berlin La Chapelle

- Besetzte Kirche, in der politische Veranstaltungen stattfinden, montags Markt und Küfa L’Estaminot

- Café in Kombination mit Antiquariat, perfekt um die ersten französischsprachigen Bücher zu erwerben, sonst einfach ein schöner Ort zum Lernen und Teetrinken

Café des Artistes - Direkt am Platz La Daurade gelegen kann man von dort aus sehr schön auf St. Cyprien über die

Garonne blicken, Ort mit längstem Sonnenlicht Terra Nova

- Schöner kleiner Buchladen mit integriertem Café Le Roquecor

- Delikates kleines Restaurant, Mittagstisch und Mi bis Fr auch abends geöffnet, Reservierung empfehlenswert

Boulangerie Patisserie Cyprien - Bester Croissant der Stadt

Die Gärten Jardin du Plant, der japanischer Garten im Jardin Compans Caffarelli und der Jardin Raymond VI sind bei gutem Wetter herrlich