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Transformation der Kulturpolitik: Kulturpolitische Ver¤nderungen nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems in Mittel- und Osteuropa

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Maria Davydchyk

Transformation der Kulturpolitik

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Kulturmanagement und Kulturwissenschaft

Herausgegeben von

Armin Klein

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Maria Davydchyk

Transformation der Kulturpolitik Kulturpolitische Veränderungen nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems in Mittel- und Osteuropa

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Bibliografi sche Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Dissertation der Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, 2011

1. Aufl age 2012

Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012

Lektorat: Dorothee Koch | Stefanie Loyal

VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media.www.vs-verlag.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspei-cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergDruck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, MörlenbachGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in Germany

ISBN 978-3-531-18690-0

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Vorwort

Einer höchst naiven, nichtsdestotrotz weit verbreiteten (westlichen) Lesart zufolge sollte nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems das Zu-sammenwachsen Europas nach folgendem Muster gelingen: Beseitigt den Eiser-nen Vorhang bzw. die Mauer, gebt den Menschen Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft und dann wird die Transformation gelingen. Und wo nötig, muss noch mit Geld nachgeholfen werden. Wie mühselig indes diese Trans-formationsprozesse in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft tatsächlich waren (und in manchen ost- und mittelosteuropäischen Ländern noch sind), zeigt nach mehr als zwanzig Jahren jeden Tag der Blick in die Zeitung.

Neben dem politischen und dem wirtschaftlichen stand der kulturelle Be-reich in den Transformationsländern lange Zeit am Rande des wissenschaftli-chen Interesses. Diese Arbeit knüpft zwar an die Ergebnisse bisheriger Transfor-mationsforschung, stellt jedoch ein neues Forschungsfeld – die Kulturpolitik – in ihren Mittelpunkt.

Nach 1989/1990 intensivierten viele westeuropäische Länder, aber auch der Europarat und die Europäische Gemeinschaft neben politischen und ökono-mischen Beziehungen auch ihren Kulturaustausch mit den Ländern Mittel- und Osteuropas. Recht lange sah es so aus, als stünde ein mehr oder weniger homo-gener Kulturraum in Osteuropa – „befreit vom Joch des Kommunismus“ – einem westeuropäischen Kulturraum gegenüber. Allerdings ist es eine völlige Absurdität, betrachtet man die kulturelle Heterogenität Westeuropas von Spa-nien bis Schweden, von Frankreich bis Griechenland, eine kulturelle Vielfalt, die auch im „Kultur“-Artikel 151 von Maastricht festgeschrieben ist. Schaut man genauer hin, so stellt man fest, dass es ganz unterschiedliche Traditionen und Prozesse des Zusammenwachsens im erweiterten Europa gab: Bundes-republik Deutschland und DDR wuchsen, zumindest staatlich, recht schnell zu-sammen; Polen und andere Länder fanden Aufnahme in der Europäischen Union; Estland, Slowakei und Slowenien gar in der Eurozone. Doch wohin wen-det sich die Ukraine, welchen Weg geht Russland?

Bezogen auf die Kulturpolitik bedeutet das, dass sehr viel genauer als bisher üblich hinzuschauen ist auf die ganz unterschiedlichen Transformations-prozesse in den einzelnen Ländern. Das große Verdienst der vorliegenden Ar-

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beit ist es, anhand von vier Beispielländern die Herausforderungen der postso-zialistischen Kulturpolitik zu analysieren. Frau Davydchyk untersucht mit Hilfe des Kategorienrasters (1) Rolle des Staates / Modell der Kulturpolitik, (2) Zweck der Kulturpolitik, (3) Inhaltliche Ausrichtung des Entwicklungsprozesses und schließlich (4) Gegenstand der Kulturpolitik die ganz unterschiedlichen Transformationsprozesse in der Russischen Föderation, in der Ukraine, in Polen und der DDR. Sehr deutlich wird, dass vorsozialistische Traditionen und Prä-gungen nach wie vor eine herausragende Rolle spielen – und auch, dass diese Transformationsprozesse in manchen Ländern noch keineswegs abgeschlossen sind. Für die europäischen Institutionen insbesondere wie die der Europäischen Union und des Europarates, könnte es bedeuten, genau hinzuschauen, mit wel-chen Förder- und Austauschprogrammen auf die ganz unterschiedlichen Ent-wicklungsprozesse adäquat eingegangen werden kann.

Prof. Dr. Armin Klein

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Danksagung Die vorliegende Dissertation ist das Ergebnis einer dreijährigen Untersuchung, die von Juni 2007 bis Juli 2010 am Institut für Kulturmanagement an der Fa-kultät für Kultur- und Naturwissenschaften der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg extern durchgeführt wurde. An dieser Stelle möchte ich mich bei all denen bedanken, die mich auf vielfältige Weise bei meiner Arbeit in diesen drei Jahren unterstützt haben.

Mein ganz besonderer Dank gilt zunächst Prof. Dr. Armin Klein, unter des-sen Leitung die Dissertation angefertigt wurde und der mir mit seinem Fachwis-sen immer zur Seite stand. Noch während des Magister-Aufbaustudiums stärkte er mein Interesse an kulturpolitikwissenschaftlicher Forschung. Die Aufnahme als Doktorandin ermöglichte es mir, mich mit dem faszinierenden Thema „Transformation der Kulturpolitik“ in der Region Mittel- und Osteuropa zu beschäftigen. Für die stets zielgerichtete Betreuung meiner Arbeit, für die Dis-kussionen und wertvollen Anregungen sei ihm von Herzen gedankt. Des Weite-ren danke ich allen Mitarbeitern des Instituts für Kulturmanagement, die für meine Anliegen immer Zeit fanden und mir viele Anregungen gaben.

Ein ganz spezieller Dank gebührt Prof. Dr. Matthias Theodor Vogt vom Institut für kulturelle Infrastruktur Sachsen für die Übernahme des Zweitgut-achtens. Für die wertvollen Diskussionen und die produktive wissenschaftliche Zusammenarbeit sowie für die Möglichkeit, Ergebnisse dieser Arbeit mit Stu-dierenden des Faches „Kultur und Management“ der Hochschule Zittau/Görlitz in zahlreichen Seminaren auf den Prüfstand stellen zu können, möchte ich mich herzlich bedanken. Den Mitarbeitern des Instituts sei für die große Hilfsbereit-schaft während meiner Aufenthalte in Görlitz herzlich gedankt.

Die Untersuchung hätte nicht realisiert werden können, wenn die Friedrich-Ebert-Stiftung mich im Rahmen der Graduierten-Förderung auf meinem Weg nicht begleitet und unterstützt hätte. Für die Betreuung und zahlreichen Weiter-bildungsmaßnahmen sei der FES herzlich gedankt.

Ich möchte meinen tiefen Dank gegenüber all jenen Personen und Organi-sationen in Görlitz, Weimar, Krakau, Lwiw und Sankt Petersburg zum Aus-druck bringen, die bereit waren, ihr Expertenwissen mit mir zu teilen. Daneben sei den Ansprechpartnern in Odessa, Minsk, Kaliningrad und Moskau gedankt,

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die mein Forschungsprojekt durch ihre Ideen, ihre Anregungen und ihre kon-struktive Kritik bereicherten.

Während der Arbeit an der Dissertation erhielt ich die Möglichkeit, am Fo-rum ‚Einheit Europa‘ – Gemeinsame Wege in eine EUropäische Zukunft?! der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V. vom Sommer 2007 bis Frühjahr 2009 teilzunehmen. Ganz herzlich danke ich den Organisatoren und allen TeilnehmerInnen des Forums für den fruchtbaren Austausch über die Transformation in Mittel- und Osteuropa.

Insbesondere bin ich Waltraut Mayer, Manuela Lück und Christoph Bader für ihre große Unterstützung bei der Anfertigung meiner Texte und für ihre kon-struktiven Anmerkungen äußerst dankbar. Daneben möchte ich meinen Promo-tionskolleginnen Yvonne Pröbstle und Katharina Hepp danken. Ihre wertvollen Anregungen und Ratschläge habe ich immer geschätzt.

Beate und Frowin Junker danke ich von ganzem Herzen für ihre unermüd-liche Unterstützung und Motivation. Ich danke meiner Familie und meinem Partner, die mir stets Mut zugesprochen und mich in meiner Arbeit bestärkt haben.

Maria Davydchyk

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Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ............................................................................................... 17 1.1 Aktualität des Themas ............................................................................. 17 1.2 Stand der wissenschaftlichen Forschung................................................... 20 1.3 Problemstellung ....................................................................................... 28 1.4 Forschungsannahmen .............................................................................. 29 1.5 Ziel der Arbeit ......................................................................................... 30 1.6 Eingrenzung der Untersuchung ................................................................ 30 1.7 Methodologie und Gang der Untersuchung .............................................. 31 2 Theoretische Grundlagen ...................................................................... 35 2.1 Kulturpolitik ............................................................................................ 35 2.1.1 Herausforderungen der postsozialistischen Kulturpolitik ................. 35 2.1.2 Transformation der Kulturpolitik – eine Definition ......................... 38 2.1.3 Problematik der begrifflichen Bestimmung von Kulturpolitik.......... 39 2.1.4 Typologie der Kulturpolitik ............................................................ 55 2.1.5 Kulturpolitik bestimmende Faktoren ............................................... 63 2.1.6 Auswirkungen der Kulturpolitik auf die Kulturbetriebe ................... 68 2.2 Systemveränderungen in Mittel- und Osteuropa ....................................... 71

2.2.1 Phänomene der Transformation ...................................................... 71 2.2.2 Veränderungen der Subsysteme ...................................................... 73 2.2.3 Mittel- und Osteuropa: regionale Besonderheiten ............................ 75 2.2.4 Besonderheiten der Transformation in den untersuchten Ländern .... 77

2.3 Zusammenfassung der Ergebnisse ............................................................ 80 3 Kulturpolitik und Kulturbetrieb im sozialistischen System ................. 83 3.1 Kulturpolitische Rahmenbedingungen und ihre Auswirkungen auf den Stellenwert der Kulturbetriebe ..................................................... 83 3.2 Besonderheiten der kulturpolitischen Ziele und der Stellenwert der Kulturbetriebe in den untersuchten Ländern ..................... 91

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3.2.1 Das Sowjetische Russland und die Sowjetunion .............................. 91 3.2.2 Die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik ............................. 102 3.2.3 Die Volksrepublik Polen .............................................................. 110 3.2.4 Die Deutsche Demokratische Republik ......................................... 118

3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse .......................................................... 127 4 Analyse der kulturpolitischen Veränderungen nach dem Systemumbruch ........................................................................... 133 4.1 Die Russische Föderation....................................................................... 133

4.1.1 Die formalen Verpflichtungen der staatlichen Kulturpolitik .......... 133 4.1.2 Die Bewahrung des kulturellen Erbes und seines Potenzials in der neuen sozialwirtschaftlichen Situation ................ 134 4.1.3 Das Überleben der Kultur in Zeiten wirtschaftlicher und politischer Instabilität ............................................................ 138 4.1.4 Die Anerkennung der gesellschaftlichen Bedeutung von Kultur .... 140 4.1.5 Die Verbindung von kultureller und sozialwirtschaftlicher Entwicklung ................................................................................. 141 4.1.6 Fazit ............................................................................................ 143

4.2 Die Ukraine ........................................................................................... 145 4.2.1 Die Bildung einer Nation durch Kultur ......................................... 145 4.2.2 Dezentralisierungsreformen .......................................................... 149 4.2.3 Auf dem Weg zum zweiten politischen Umbruch.......................... 150 4.2.4 Die Einbindung der Kultur in die sozialwirtschaftliche Entwicklung ................................................................................. 152 4.2.5 Fazit ............................................................................................ 154

4.3 Polen ..................................................................................................... 156 4.3.1 „Schocktherapie“ für den Kulturbereich durch Privatisierung und Dezentralisierung ............................................ 156 4.3.2 Die Schutzreaktion auf die radikalen Veränderungen .................... 159 4.3.3 Die Suche nach Balance ............................................................... 161 4.3.4 Die Ausrichtung auf eine langfristige strategische Regionalentwicklung ................................................. 162 4.3.5 Fazit ............................................................................................ 163

4.4 Das Gebiet der ehemaligen DDR ........................................................... 166 4.4.1 Strukturelle Anpassung an das föderale System der BRD .............. 166 4.4.2 Die Erweiterung der Bundeskompetenzen im Kulturbereich .......... 170 4.4.3 Fortsetzung des kulturellen Wiederaufbaus ................................... 172 4.4.4 Fazit ............................................................................................ 173

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4.5 Zusammenfassung der Ergebnisse .......................................................... 175 5 Empirische Untersuchung der Transformation der Kulturpolitik ..... 177 5.1 Aufbau und Ablauf der Untersuchung .................................................... 177

5.1.1 Ziel .............................................................................................. 177 5.1.2 Untersuchungsmethode ................................................................ 177 5.1.3 Auswahl der Interviewpartner....................................................... 178 5.1.4 Operationalisierung und Leitfaden des Experteninterviews ........... 181 5.1.5 Auswertungsverfahren ................................................................. 182

5.2 Auswertung der Expertengespräche ....................................................... 183 5.2.1 Sankt Petersburg .......................................................................... 183 5.2.2 Lwiw ........................................................................................... 190 5.2.3 Krakau ......................................................................................... 195 5.2.4 Weimar ........................................................................................ 200 5.2.5 Schlussfolgerungen ...................................................................... 207

5.3 Untersuchungsergebnisse: Veränderung des Stellenwerts der Kulturpolitik .................................................................................... 211 6 Transformation der Kulturpolitik: Zusammenfassung und Ausblick ........................................................................................ 213

Literaturverzeichnis ................................................................................... 223

Anhang 1: Angaben zu Interviewpartnern und Kultureinrichtungen ....... 233

Anhang 2: Interviewleitfaden für Expertengespräche ............................... 241

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Abkürzungsverzeichnis BGB Bürgerliches Gesetzbuch DDR Deutsche Demokratische Republik ENCATC Europäisches Netzwerk der Schulungszentren für Kulturma-

nagement ENP Europäische Nachbarschaftspolitik EU Europäische Union FDJ Freie Deutsche Jugend GG Grundgesetz GUS Gemeinschaft Unabhängiger Staaten KGB Komitet Gossudarstvennoi Bezopasnosti (rus.), Komitee für

Staatssicherheit KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion, KPSS (rus.) KPR(b) Kommunistische Partei Russlands (Bolschewiki) KPU Kommunistische Partei der Ukraine KSK Sozialversicherungskasse der Künstler KSVG Gesetz über die Sozialversicherung der selbstständigen

Künstler und Publizisten MOE Mittel- und Osteuropa MWSt Mehrwertsteuer NATO North Atlantic Treaty Organization (engl.) NGO Non-Governmental Organization (engl.) OECD Organisation for Economic Co-operation and Development

(engl.) PPR Polnische Arbeiterpartei PPS Polnische Sozialistische Partei PSL Bauernpartei in Polen PZPR Polnische Vereinigte Arbeiterpartei RF Russische Föderation RSFSR Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik SächsKRG Sächsische Kulturraumgesetz SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

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SLD Polnische Partei „Der Bund der Demokratischen Linke“ SMAD Sowjetische Militäradministration SWOT-Analyse Akronym für Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen),

Opportunities (Chancen) und Threats (Gefahren) (engl.) TVG Tarifvertrag-Gesetz UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken USSR Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik UStG Umsatzsteuergesetz WKP(b) Allunion Kommunistische Partei WTO World Trade Organization (engl.) ZK Zentralkomitee

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Abbildungs- und Tabellenverzeichnis Abbildung 1: Begriffskonzepte der Kulturpolitik ............................................. 39 Abbildung 2: Am kulturpolitischen Diskurs beteiligte Akteure ......................... 62 Tabelle 1: Auswirkungen der Kulturpolitik auf die Kulturbetriebe .................... 69 Tabelle 2: Kulturpolitische Rahmenbedingungen im Sozialismus

in den untersuchten Ländern .......................................................... 131 Tabelle 3: Kulturpolitische Rahmenbedingungen nach dem

politischen Umbruch in den untersuchten Ländern ......................... 176

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1 Einleitung 1.1 Aktualität des Themas Worin besteht das Ziel einer historisch, länderübergreifend und vergleichend angelegten kulturpolitischen Untersuchung? Einerseits ist die Anwendbarkeit ihrer Befunde durch unterschiedliche Auffassungen von Kultur begrenzt, denn Kulturbegriffe sind von Traditionen geprägt und abhängig von Politik, Wirt-schaft und der sozialen Entwicklung der jeweiligen Länder. Eine einfache Ge-genüberstellung der verschiedenartigen Systeme ist deshalb wenig sinnvoll (vgl. Heinrichs 1997: 73f.). Andererseits birgt eine Untersuchung über die Transfor-mation der Kulturpolitik in Mittel- und Osteuropa aber auch Chancen. Eine differenzierte Sichtweise auf die postsozialistischen Länder sensibilisiert für eine Region, die häufig pauschalisiert betrachtet wird. Diese Arbeit soll die Komplexität der Beziehungen zwischen Kultur und Politik sowie die Vielfältig-keit ihrer Bedingungen und Zusammenhänge verdeutlichen. Zum ersten Mal stehen der Kulturbereich und die kulturpolitische Entwicklung, die die Rahmen-bedingungen von kreativem Schaffen und kritischer Auseinandersetzung, von Bewahren und Innovation herstellen, im Mittelpunkt einer Untersuchung. In einer Übergangszeit wie der hier behandelten steigt ihre gesellschaftliche Be-deutung. Im Folgenden soll die Suche nach dem neuen Ort der Kulturpolitik in den postsozialistischen Gesellschaften nachvollzogen und damit gleichzeitig ein Impuls zur Reflexion kulturpolitischer Konzepte in anderen europäischen Län-dern gegeben werden.

In Deutschland ist Kulturpolitik aus mehreren Gründen ein wichtiges Thema in der öffentlichen Diskussion: Erstens sind Kulturbereich und Krea-tivwirtschaft längst in globale Prozesse involviert und werden – genau wie an-dere Branchen auch – durch internationale Abkommen und Gesetze reguliert. Zweitens gewinnt die Dimension der Kultur, indem sie über regionale Zusam-menarbeit zum Integrationsfaktor wird, auf europäischer Ebene zunehmend an Bedeutung. Drittens haben die wirtschaftlichen Engpässe infolge der Finanz-krise unter Wissenschaftlern, Politikern und Kulturschaffenden Diskussionen über die Bedeutung der Kulturpolitik ausgelöst. Mithin geht es um ihre inhaltli-chen Problematiken, um die Entwicklung neuer Realisierungsinstrumente und

M. Davydchyk, Transformation der Kulturpolitik, DOI 10.1007/978-3-531-18691-7_1,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012

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um den politischen Willen, sich in diesem Bereich zu engagieren, die Nachhal-tigkeit dieses Engagements sicherzustellen und damit der Wirkung dieser Arbeit Rechnung zu tragen.

Durch den politischen Umbruch wurde in der Kulturpolitik der mittel- und osteuropäischen (MOE) Länder bereits vor zwanzig Jahren eine Veränderung und Umorientierung nötig. Bei näherer Betrachtung weist die folgende Ent-wicklung in diesen Ländern viele Gemeinsamkeiten auf: Das sozialistische System der Verwaltung des Kulturbereichs wurde grundsätzlich kritisiert und stand vor der Herausforderung einer Umwandlung. Die Rolle und die Prioritäten der Kulturpolitik, das Verhältnis von Staat und Kultur, die Verteilung der Kom-petenzen innerhalb der Kulturverwaltung und die Finanzierung der Kultur soll-ten neu bestimmt werden. Wie all das geschehen sollte, war jedoch unklar.

Im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre ist die wirtschaftliche und die geopolitische Bedeutung der Region MOE enorm gewachsen. Parallel dazu wuchs ihre Bedeutung in der Auswärtigen Kulturpolitik Deutschlands – die ab 1991 einen deutlichen Schwerpunkt auf diese Region und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion – Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) – legte. Damals war es das Ziel der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik, die Entwicklung hin zu Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft zu unterstützen und mit den östlichen Nachbarn über Dialog und nachhaltigen Kulturaustausch eine friedli-che und sichere Kooperationsgrundlage zu etablieren. „In der Praxis der aus-wärtigen Kulturpolitik wirkte sich diese neue Schwerpunktsetzung auf allen Gebieten massiv aus: Kulturinstitute wurden gegründet, Lesesäle eingerichtet, Stipendien- und Beratungsprogramme geschaffen (…). Im Jahr 1999 wurde bereits nahezu ein Viertel aller Mittel der auswärtigen Kulturpolitik für Mittel- und Osteuropa sowie die Länder der GUS ausgegeben, wenn man die überre-gionalen Mittel anteilig zurechnet“ (Schmidt / Hellmann / Wolf 2007: 716). Dennoch werden Kompetenzen und Fachwissen der deutschen Politik über die Transformation in Mittel- und Osteuropa als mangelhaft eingestuft. So kritisiert die deutsche Journalistin Gemma Pörzgen in der renommierten Zeitschrift „Ost-europa“, dass „viele deutsche Politiker die Transformation in Osteuropa zu-nächst völlig missverstanden, weil sie dazu neigen, ihre durch die deutsche Politik geprägte Sichtweise auf den Rest der Welt übertragen zu wollen“ (Pörzgen 2009: 10). Dieses Problem ist in der internationalen Zusammenarbeit jedoch weit verbreitet und hat zur Folge, dass Förderungs- und Kooperations-projekte nicht wirksam genug sind.

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Nach der Osterweiterung der Europäischen Union (EU) im Mai 20041 hätte das Interesse am Kulturbereich noch stärker anwachsen sollen: Eine neue Schwerpunktsetzung der Auswärtigen Kulturpolitik der EU auf die osteuropäi-schen Nachbarstaaten war nun vonnöten. Die Teilnehmer des kulturpolitischen Bundeskongresses im Jahr 2007 proklamierten in ihren Forderungen auch die „Entwicklung eigenständiger Regionalprofile sowie interregionaler Kooperatio-nen auch über die Grenzen der EU hinaus“ und riefen dazu auf, den Ausbau des Kulturaustauschs zwischen der EU und ihren Nachbarstaaten zu unterstützen (Hippe / Sievers 2008: 19f.). In der Praxis wurde die Bedeutung des Kulturbe-reichs innerhalb der internationalen Beziehungen wie der europäischen Außen-politik bis 2007 jedoch unterschätzt2. Nur auf der Ebene des Europarats kam die Rolle der Kultur als demokratiefördernde Kraft in Übergangsgesellschaften zum Ausdruck: in dem Regionalprogramm „Kiew-Initiative zur demokratischen Entwicklung durch Kultur in Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Republik Moldau und in der Ukraine“. In der entsprechenden Pressemitteilung des Euro-parats heißt es dazu:

Die Aufgabe dieser Initiative ist die Förderung einer demokratischen und teilnehmenden Gesellschaft (…). Das Ziel ist hierbei, zu einer nachhaltigen kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung beizutragen. Dies soll durch eine multilaterale Zusammenarbeit und einen bereichsübergreifenden Ansatz im Umgang mit Kultur und Kulturerbe geschehen3.

Die postsozialistische kulturelle Entwicklung war einerseits in allen Ländern in das jeweils spezifische und historisch gewachsene wirtschaftliche und politische System eingebettet, aus dem sich auch das kulturpolitische Handeln herausbil-dete. Andererseits dominierte (neben anderen Faktoren) die kulturelle Entwick-lung selbst den Verlauf der Transformation. Die Systemumwandlungen vollzo-gen sich nach dem politischen Umbruch andererseits sehr unterschiedlich. Ihre Bandbreite reichte von der Übernahme des Föderalismus in der ehemaligen

1 Die fünfte Erweiterung der Europäischen Union wird auch EU-Osterweiterung genannt. Die

Staaten Estland, Lettland, Litauen, Polen, Ungarn, Slowenien, Tschechien, Slowakei, Malta und Zypern wurden am 1. Mai 2004 als Vollmitglieder aufgenommen. Am 1. Januar 2007 traten Rumänien und Bulgarien der EU bei. Somit setzt sich die EU (Stand 2010) aus 27 Mitgliedstaaten zusammen.

2 Der Mangel an zeitgemäßen kulturpolitischen Instrumenten wird in einer Analyse kultureller Zusammen-arbeit an der EU-Außengrenze am Beispiel von Belarus kritisiert. Mehr dazu bei Davydchyk 2009.

3 Pressemitteilung des Europarats zur Europarat-Konferenz zum Start eines breit gefächerten Kulturprogramms für Armenien, Aserbaidschan, Georgien, die Ukraine und Moldau vom 11.12.2006. In: http://www.coe.int/T/D/Kommunikation_und_politische_Forschung/Presse_ und__Info/Presseinfos/2006/20061211-773-Kiew-Initiative.asp (18.03.2010).

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DDR bis hin zur Etablierung des autoritären Regimes in Belarus. Entsprechend unterschiedlich verlief auch die Entwicklung der Kulturpolitik. Aufgrund der gewachsenen Bedeutung der Region Mittel- und Osteuropa und der allgemein anerkannten Rolle der Kultur in der Periode des Postsozialismus stieg auch die Aufmerksamkeit für Kulturpolitik als ein politisches Handeln, das die kulturelle Entwicklung maßgeblich mitbestimmt. Der Transformation der Kulturpolitik und den Ergebnissen und Besonderheiten der kulturpolitischen Veränderungen in ausgewählten postsozialistischen Ländern in MOE widmet sich die vorlie-gende Arbeit. 1.2 Stand der wissenschaftlichen Forschung Der Forschungsstand zur Kulturpolitik ist für die einzelnen postsozialistischen Länder und die verschiedenen Bereiche der Kulturpolitik sehr unterschiedlich. Seit Anfang der 1990er Jahre ist sowohl eine Reihe theoretischer Arbeiten zu den Transformationsprozessen in MOE entstanden als auch diverse Länderstu-dien über die Entwicklung der postkommunistischen Gesellschaften. Die Auto-ren behandeln entweder die Transformation eines ganzen Systems (Kollmorgen / Schrader 2003) oder – besonders in jüngster Vergangenheit – gesellschaftliche Teilbereiche, wie etwa Bildung und Wissenschaft (Bachmaier / Blehova 2005; Gorzka 2003) oder Gesetzgebung und Soziales. Eine wissenschaftliche Ausein-andersetzung mit den Umbruchprozessen der Kulturpolitik fand bislang nur in geringem Umfang statt. Grund dafür könnte sein, dass bei einer Systemtrans-formation in erster Linie die Basisstrukturen (Politik und Wirtschaft) rasanten Veränderungen unterworfen werden und ein theoretisch-methodologisches Fun-dament benötigen. Im Folgenden werden Publikationen in den Blick genommen, die sich mit dem Kulturbereich im engeren und im weiteren Sinne sowie mit seinen Veränderungsprozessen und der Rolle der Kulturpolitik darin befassen. Historisch und schwerpunktmäßig lassen sich die Publikationen weitgehend in vier Phasen unterteilen, die sich mit unterschiedlichen Fragen und Aufgaben beschäftigen. In diesem Zusammenhang stellt sich hier die Frage, wie die Trans-formations- und Osteuropaforschung, die Kulturmanagement- und Kulturpoli-tikforschung sowie die Kulturbetriebslehre mit dem Gegenstand der vorliegen-den Untersuchung umgehen.

Die erste Phase lässt sich zeitlich auf 1989 bis 1995/96 eingrenzen. In die-ser Zeit hat die Transformationsforschung den Wandel im Kulturbereich der MOE-Länder wenig beachtet: Im Mittelpunkt des akademischen Interesses ste-hen die politischen und ökonomischen Schwierigkeiten des Systemwandels.

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Dennoch bilden beispielsweise die lokalen kulturpolitischen Herausforderungen, vor denen Transformationsländer wie Polen oder Tschechien angesichts der Modernisierungsstrategien der europäischen Kulturgemeinschaft stehen, 1992 das Zentrum der Tagung „Kulturgesellschaft Europa?“, die die kulturelle und kulturpolitische Dimension des gesellschaftlichen Wandels aus der Perspektive des gesamteuropäischen Einigungsprozesses betrachtet (Weber 1992). Auch eine 1993 erschienene Publikation zur kulturellen Modernisierung Europas (Schwencke 1993) betont die Bedeutung von kulturpolitischen Aktivitäten der europäischen Kulturgesellschaft für die Überwindung der europäischen Teilung (Schwengel 1993).

Anfang der 1990er Jahre wird die Kultur an der Forschungsstelle Osteu-ropa der Universität Bremen zum Untersuchungsgegenstand (1992). Um den Wandel auf diesem Gebiet aufzuzeigen, beschäftigen sich die Wissenschaftler hier mit Entwicklungen in Literatur und Kunst, mit neuen Sinnzuschreibungen und Werteorientierungen, aber auch mit den Institutionalisierungsebenen und Organisationsformen der Gesellschaften, mit der Politik und der politischen Kultur. Sie halten fest, dass die tief greifenden Veränderungen zunächst in den Strukturen des Kulturbetriebs sichtbar wurden. Allen Ländern war „die zuneh-mende Entstaatlichung und Pluralisierung der organisatorischen und institutio-nellen Strukturen sowie die (Wieder)herstellung eines einheitlichen kulturellen Kommunikationsraumes“ gemeinsam (Bock / Schlott / Trepper 1992: 10). Die Untersuchung formuliert außerdem grundlegende Problembereiche, wie

die Neuregelung des Verhältnisses von Kultur und Staat, die Auswirkungen der umfassenden Dezentralisierungsprozesse auf die Kultur und die künftige Balance von staatlichem, regionalem bzw. kommunalem Engagement in der Kultur auf der einen und privater Kulturförderung auf der anderen Seite. (ebd.: 20)

Eine der ersten umfassenden Publikationen, die u. a. die Probleme des kulturpo-litischen Wandels thematisiert, ist „Kulturmanagement in den Staaten Mittel- und Osteuropas“ (Mandel / Schulze / Vorjans 1994). Den Kern der Forschungs-beiträge bilden mehrere Fragen: In erster Linie wird diskutiert, wie Kulturpolitik in den „neuen“ Gesellschaften definiert wird, wie die Entwicklung kulturpoliti-scher Leitlinien aussehen sollte und ob die Förderung der nationalen Identität zu ihren Aufgaben gehört (Cherepansky 1994). Cherepansky weist auf die Proble-matik der überkommenen Vorstellung hin, dass das kulturelle Leben von einer zentralen Macht gelenkt werden kann bzw. sogar sollte. Ukrainische, russische, polnische und deutsche Wissenschaftler und Kulturschaffende (Masurik 1994, Schwydkoy 1994, Slopien 1994, Bendixen 1994) beschäftigen sich zudem mit der Frage, wie die Professionalisierung des Managements kultureller Organisa-

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tionen und der Ausbau der kulturellen Infrastruktur in den MOE-Ländern effek-tiv gefördert werden kann und welchen Stellenwert die Kultur in der jeweiligen sich transformierenden Gesellschaft hat. Außerdem wird versucht, die organi-satorischen Schwierigkeiten des Umwandlungsprozesses bereits im Vorfeld zu erkennen. Die Bandbreite der diskutierten Modelle reicht dabei von staatlicher Finanzierung über Kultursponsoring bis hin zum Public Private Partnership (Wiesand 1994). Auffällig ist, dass die Frage des Wohlfahrtsbegriffs in dieser Epoche kaum systematisch erfasst wird (Vogt 2000). Auch wenn viele spezifi-sche Herausforderungen der Transformation thematisiert werden, sind sich die Autoren in einem einig: Die kulturpolitischen Konzepte aus Westeuropa lassen sich auf die osteuropäischen Verhältnisse nicht ungeprüft übertragen (vgl. Man-del / Schulze / Vorjans 1994: 8).

Nicht nur auf die osteuropäischen Verhältnisse, sondern speziell für Ost-deutschland weist Vogt darauf hin, dass das Kultursystem für die alten Bundes-länder auf einem Wachstumsüberschuss des Bruttosozialprodukts gegenüber den Lebenshaltungskosten gründet und auf die neuen Bundesländer nicht über-tragbar ist (Vogt 1994a). Strittmatter verweist darauf, dass es in Ostdeutschland in erster Linie Nachholbedarf gibt, was die Verknüpfung von kulturellen und politischen Bürgerinitiativen angeht, die „u. a. die Mitbestimmung breiterer Bevölkerungskreise innerhalb kommunaler Entscheidungsfelder“ ermöglichen soll (Strittmatter 1993: 13).

Die zweite Phase kann auf 1996 bis 1999 eingegrenzt werden. Die Er-kenntnis, dass die soziokulturelle Entwicklung eine wichtige Grundlage der politischen und wirtschaftlichen Stabilität und Dynamik ist, ist in dieser Zeit Ausgangspunkt kulturmanagerialer und -politischer Diskussionen. Ein wichtiges Merkmal, das diese Periode von der vorherigen unterscheidet, sind die präzi-sierten Fragestellungen, Ziele und Aufgaben in Bezug auf die Kulturpolitik. Eine der wichtigsten Publikationen dieser Periode ist das nach der ENCATC-Sommerschule 1997 herausgegebene Sammelwerk „Herausforderungen an Kulturpolitik und Kulturmanagement in Mittel- und Osteuropa“ (Wesner 1997). Der Band, dessen Autoren sich größtenteils mit dem Dreieck Dresden, Breslau und Prag beschäftigen, gibt sowohl methodologische als auch inhaltliche Im-pulse. Wichtig ist, dass er die Faktoren untersucht, die Reformen beschleunigen bzw. behindern. Zu den beschleunigenden Faktoren zählt Scott dezentralisierte Verwaltungsstrukturen und die mit ihnen einhergehende wachsende politische Selbstständigkeit von Städten und Regionen, den wirtschaftlichen Wandel und die Gründung privater Unternehmen, die Herausbildung eines anspruchsvolleren Freizeitverhaltens und neuer Kunstformen sowie allgemein die Entwicklung einer offenen Gesellschaft. Gleichzeitig bezeichnet sie Faktoren wie

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„de(n) Zeitaufwand, der benötigt wird, um neue Richtlinien und Strukturen zu erarbeiten, sowie die Herausforderung an die alte Führungsschicht und geistige Elite, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen;

die beharrenden Reste des alten Systems und der alten Verwaltungsstruktu-ren;

eine ablehnende Haltung bei Führungskräften und Personal gegenüber der freien Marktwirtschaft;

Probleme bei Bildung und Ausbildung“ als Hemmnisse des Reformprozesses (Scott 1997: 82).

Bereits in der zweiten Phase werden große Unterschiede zwischen dem Verlauf der Transformation in den einzelnen Ländern sichtbar, die in den unter-schiedlichen kulturellen Traditionen, einem unterschiedlichen Verständnis von Kultur und in verschiedenartigen sozialen und politischen Strukturen begründet liegen. Die Autoren des Bands „Kultur im Umbruch. Transformationsprozesse und Systemwandel in Russland und der Sowjetunion im 20. Jahrhundert“ be-schäftigen sich mit den veränderten Parametern des kulturellen Bewusstseins in Russland, mit Identitätskrisen als Formen gesellschaftlicher Selbstreflexion und mit dem institutionellen Wandel in der ehemaligen UdSSR (Guntermann 1999). Außerdem stehen die politische Kultur sowie einzelne Bereiche wie Film, Mu-sik, Kunst und Literatur im Zentrum ihres Interesses. In Länderstudien setzen Wissenschaftler und Kulturschaffende die Diskussion über die Finanzierung und Verwaltung von Kultur fort (Hauptverwaltung Kultur der Kiewer Stadtverwal-tung 1998). Kultur wird nun auch als ein Wirtschaftssektor begriffen, dessen Verwaltung bzw. Management professionell betrieben werden sollte. Dadurch ergeben sich neue Anknüpfungspunkte zwischen Kultur und Wirtschaft (Blum / Müller / Vogt 1997). So beschäftigt sich etwa die serbische Kulturwissen-schaftlerin Dragićević-Šešić (1997) mit der neuen Rolle des Kulturmanagers sowie mit der neuen Position und neuen strategischen Konzepten des Kulturbe-reichs.

In dieser Phase erscheint auch die Untersuchung der polnischen Wissen-schaftlerinnen Ilczuk und Wieczorek, die im Zusammenhang mit den organisa-torischen, finanziellen und institutionellen Veränderungen im Kulturbereich folgenden Fragen nachgeht: Welche neuen Tendenzen und Reformen gibt es in der polnischen Kulturpolitik bis 1995? Welche Finanzierungsmodalitäten gibt es? Wie vollzieht sich die Anpassung des Kulturbetriebs4 an die veränderten Rahmenbedingungen (Ilczuk / Wieczorek 1997)?

4 Mehr dazu auch bei Instytut Kultury 1998.

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In diesem Zeitraum gewinnen der kulturelle Austausch und internationale Kulturbeziehungen immer mehr an Bedeutung (Palka 1997). Thematisiert wer-den Probleme und Anforderungen, die die internationale Zusammenarbeit für die sich verändernden Gesellschaften mit sich bringt, sowie die Rolle des inter-nationalen Austauschs in einem vereinten Europa. Podkański analysiert die bis 1997 existierende Kooperation zwischen Polen und der EU bei der Pflege und Erhaltung von Kulturdenkmälern und der Organisation von Kulturveranstaltun-gen mit europäischem Charakter und plädiert für eine Erweiterung einer solchen Zusammenarbeit. Um das zu erreichen, soll die Europäische Union nach Mei-nung des Autors Drittländern den Zugang zu kulturellen Programmen ermögli-chen, spezielle Programme erarbeiten und Wege zur Förderung des Integrati-onsprozesses finden (Podkański 1997). In dieser Phase untersuchen die Wissenschaftler, welche kulturellen Veränderungen die Transformation auslöst. Aleksandrowicz stellt dabei folgende vier Arten der kulturellen Veränderung fest: 1) kulturgeschichtliche, 2) solche der sozialen Realität, 3) solche der insti-tutionellen und infrastrukturellen „hardware“ und 4) solche der inhaltlichen „software“. Als „infrastrukturelle Rationalisierung“ bezeichnet der Autor u. a. den massiven Abbau von kultureller Infrastruktur (vgl. Aleksandrowicz 1998: 6f.).

Für die Darstellung der Transformation von Kulturpolitik ist der Beitrag von Zimmer (1997) ein wichtiger Anknüpfungspunkt. Auch er zeigt länderüber-greifende Trends auf und analysiert zudem die Kopplung der Kulturpolitik an den Wohlfahrtsstaat. Ebenso betont Vogt (1999): Was

in der Kulturpolitik als Praxis wie als Wissenschaft wesentlich fehlt, ist die natio-nalökonomische Perspektive, die nach der Bedeutung von Kultur für die Wohlfahrt einer Gesellschaft sowohl im materiellen wie im immateriellen Bereich fragt (als Wissenschaft) bzw. sie zu fördern sucht (als Praxis). (Vogt 1999: 109)

Außerdem gehören zu dieser Phase Publikationen, die sich einzelnen Bereichen des Kulturbetriebs widmen. Die Dokumentation der Arbeitsgemeinschaft der Bibliotheken und Dokumentationsstellen der Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa-forschung (Andreesen 1999) beschäftigt sich etwa mit dem Bibliothekswesen und vergleicht das Bibliotheksrecht. Ihre Autoren analysieren die wirtschaftli-chen Auswirkungen der Transformation auf Büchermarkt und Bibliotheken.

Der von Krasnodębski und anderen Wissenschaftlern herausgegebene Band „Kulturelle Identität und sozialer Wandel in Osteuropa“ umfasst Studien polni-scher und deutscher Kunsthistoriker, Literaturwissenschaftler, Politikwissen-schaftler und Soziologen (Krasnodębski / Städtke / Garsztecki 1999) und analy-siert den Transformationsprozess in einem breiteren kulturgeschichtlichen

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Kontext. Kultur wird aus kultursoziologischer Perspektive – als sozial gegebene Realität und als Produkt menschlichen Schaffens – untersucht. Fassmann weist darauf hin, dass sich Begriffe wie nachholende Modernisierung, Transition und besonders Strukturwandel, die grundlegende Veränderungen des politischen, ökonomischen und sozialen Rahmens bezeichnen, nicht allein auf die materielle Sphäre beziehen und betont, dass in den durch sie bezeichneten Situationen auch gesellschaftlich gültige Werte, Normen und Identitäten radikal verworfen und durch neue ersetzt werden (vgl. Fassmann 1999: 11).

Während in den ersten beiden Phasen die Europäische Kooperation als wichtiger Aspekt des Transformationsverlaufs erst angedeutet wurde, bildet sie einen Kernpunkt der dritten Phase, die auf 2000 bis 2003 eingegrenzt werden kann. In dieser Zeit beschäftigt sich Grangier mit der Erweiterung der Europäi-schen Union und den Schwierigkeiten bzw. Vorteilen für den Kulturbereich, die aus ihr resultieren (Grangier 2000). An dieser Stelle sollen die Aktivitäten des European Institute for Progressive Culture Policies / eiPCP und der IG Kultur Österreich genannt werden (Minichbauer / Mitterdorfer 2000), die sich mit in-ternationalen kulturellen Netzwerken in MOE befassen. „Transversal Study on the Theme of Cultural Policy and Cultural Diversity“, eine weitere länderüber-greifende Studie im Auftrag des Europarates, setzt sich mit Kulturpolitik und kultureller Vielfalt auseinander. In Hinblick auf die Transformationsländer wird u. a. festgestellt, dass sich die Funktion der nationalstaatlichen Kulturpolitik grundlegend verändert hat.

In einem zum 25. Jubiläum der Kulturpolitischen Gesellschaft 2001 her-ausgegebenen Band befassen sich mehrere Autoren mit Transformationsprozes-sen in Ostdeutschland und zeigen die Dynamik dieses kulturellen und politi-schen Umbruchs. Lutz Vogel, der damalige Leiter der Amtsverwaltung für Kultur in Weimar, beschreibt in seinem Beitrag nicht nur die strukturellen Ver-änderungen, sondern auch eine von bestimmten Akteuren getragene Kulturpoli-tik (Vogel 2001). Eine spezifische Annäherung verlangt auch der damalige Bür-germeister von Görlitz, Ulf Großmann. In seinem Beitrag kritisiert er, dass der kultursoziologischen Perspektive des Wiedervereinigungsprozesses nicht genü-gend Bedeutung beigemessen wird. Neben den kulturellen Problemen schildert Großmann ausführlich die sich verändernden Betriebsformen und Träger-schaftsmodelle. Ihr Erfolg ist allerdings auf den politischen Willen angewiesen, diese Veränderung kompromisslos mitzutragen, sowie darauf, dass ihre künstle-rischen und organisatorischen Freiräume anerkannt und kommunale Zuschüsse für die Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden (vgl. Großmann 2001: 192).

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Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird der Kultur als eine weitere die Funk-tion zugeschrieben, Erfolge und Probleme der wirtschaftlichen Entwicklung zu erklären. Die kulturellen Bedingungen werden damit in unmittelbarer Abhän-gigkeit von der wirtschaftlichen Transformation gesehen (Höhmann 2001). Aus unterschiedlichen Perspektiven und von verschiedenen theoretisch-methodi-schen Traditionen herkommend, befassen sich die Autoren von Höhmanns Sammelwerk mit Fragen der wirtschaftlichen Transformation in Osteuropa, mit dem Zusammenhang von formellen und informellen Institutionen und mit tradi-tionellen und sich neu formierenden Normen (Moral, Vertrauen). Erörtert wer-den theoretische Konzepte und empirische Forschungsansätze zur Erfassung der kulturellen Faktoren in der politischen und ökonomischen Transformation. Kultur wird dabei als Gesamtheit der Normen einer Gesellschaft verstanden. Garsztecki untersucht die Kulturkonzepte der politikwissenschaftlichen Trans-formationsforschung und stellt ein klassisches Konzept der politischen Kultur unter dem Aspekt des Sozialkapital-Ansatzes dar (Garsztecki 2001). Auch Meier und Höhmann (2003) thematisieren den Einfluss der „weichen“ Faktoren auf die osteuropäische Wirtschaftstransformation und vervollständigen ihre Publikation durch eine kultur- bzw. sprachwissenschaftliche Perspektive. Au-ßerdem soll hier ein weiterer Bereich Beachtung finden: die Entwicklung einer zivilgesellschaftlichen Kultur. Leipold schlägt in diesem Zusammenhang vor, das Konzept der Zivilgesellschaft als Erklärungsvariable der Wirtschaftsent-wicklung zu nutzen und Faktoren wie Moral, Glaube, ideologische Überzeu-gungen und kritische Vernunft als Kriterien der Ausbildung zivilgesellschaftli-cher Institutionen zu verwenden (vgl. Leipold 2003: 83 f.).

In den letzten Jahren (vierte Phase 2003 bis 2007) kommt dem kulturellen Transformationsprozess mehr Aufmerksamkeit zu als früher. Geografisch gese-hen steht vor allem Südosteuropa, strukturell gesehen der Dritte Sektor im Zen-trum des wissenschaftlichen Interesses. Blehova beschäftigt sich mit der kultur-politischen Entwicklung in der Slowakei seit 1989 und betont den Einfluss des Dritten Sektors auf die Demokratisierungsprozesse (Blehova 2004). Außerdem konzentriert sich die Studie von Ostermann, Rehberg und Vogt (2006) auf das sogenannte Dritte System. Die Transformationsprozesse im Kulturbereich wer-den aus der Perspektive von Stiftungen und NGOs analysiert, besonders hervor-gehoben wird die Rolle der Zivilgesellschaft. Erstmalig leistet die Studie eine empirische Untersuchung der Genese und des Bestands des Dritten Sektors in sieben Kulturstädten – Debrecen (Ungarn), Krakau (Polen), Prag (Tschechische Republik) und Riga (Lettland) sowie in Dresden, Görlitz und Weimar – vor dem Hintergrund des doppelten Transformationsprozesses in den postsozialistischen Ländern.

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In jüngster Zeit kristallisiert sich die Tendenz heraus, von der Untersu-chung des Gesamtsystems zur Analyse einzelner Bereiche überzugehen. So betrachtet etwa Schröder-Esch (2005) das Kulturerbe als Bestandteil nationaler und regionaler Legitimationsstrategien. Die Geschichtswissenschaft stellt Erin-nerungskultur und Identitätsbildung in den Vordergrund. Schröder-Esch fragt aus politisch-geografischer Perspektive nach dem Zusammenhang von kulturel-lem Erbe und dem politischen Umgang mit ihm auf der einen und der Institutio-nalisierung der Regionen auf der anderen Seite. Ein weiteres Projekt (Bachmaier 2005) soll die Entwicklung der Bildungs- und Kulturpolitik in den neuen EU-Mitgliedstaaten in Bezug auf die europäische Integration analysieren. Bachmaier beschäftigt sich mit dem kulturellen Wandel und mit den Verände-rungen und den Perspektiven der Bildungspolitik in der EU. Houben vollzieht den Transformationsprozess in Russland anhand der Kulturpolitik nach und behandelt die Frage, wie sich die Kulturpolitik (als Politikfeld der geistigen Werte) in Russland entwickelt und in welcher Weise die föderale Kulturpolitik ethnisch ausgerichtet ist. Am Beispiel von staatlicher Kunstförderung als Teil-bereich der Kulturpolitik wird hier das Thema Ethnizität erörtert (Houben 2005).

Experten aus Südosteuropa analysieren die Veränderungen und Folgen der Transformation in ihrer Region unter dem Begriff Cultural Transitions. Im No-vember 2005 fragen sie auf der Konferenz „The democratisation of culture vs. cultural democracy“ (Isar 2005) in Budapest nach der Bedeutung der Demo-kratisierung von Kultur und kultureller Demokratie für die moderne Gesell-schaft. Aus historischer Perspektive stellt Gordon (2005) die Entwicklungsten-denzen der beiden Erscheinungen in Westeuropa dar. Das Sammelwerk beschäftigt sich mit dem grundlegenden Kulturwandel der Region Südosteuropa in Hinblick auf kulturelle Identität und die neue soziale Funktion der Kultur. Švob-Đokić (2004) reflektiert Parallelen zwischen System- und kulturellem Wandel und nimmt dazu Kultur als Ressource von Kreativität und als Grundlage einer humanen Gesellschaftsentwicklung in den Blick. Katunarić (2004) betont in seinem Beitrag die Notwendigkeit einer neuen Public Culture, die sich durch hohe Partizipation auszeichnen soll. Postsozialistische Kulturpolitik wird somit als Teil einer neuen Sozialpolitik dargestellt, die zu einer kulturellen Demokra-tie führt und die Teilnahme sämtlicher Gruppen und Akteure an Entscheidungs-prozessen ermöglicht.

Von besonderer Bedeutung ist die Untersuchung „Arts Management in tur-bulent times“ von Dragićević-Šešić und Dragojević. Die Autoren behandeln die Frage, wie sich Kulturorganisationen in turbulenten Zeiten stabilisieren und operational erfolgreich werden können. Dabei verknüpfen sie westliche Mana-

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gementtheorien und die Erfahrungen in der Region Südosteuropa während der turbulenten politischen Veränderungen miteinander (Dragićević-Šešić / Drago-jević 2005) und verfolgen die Frage: „Can arts management act as a panacea for all the ills of the social system, including the effects of ‚therapeutic‘ interven-tions in the social and political system?“ Nach mehr als 15 Jahren Übergangszeit zieht Dragićević-Šešić die Bilanz, dass sogar mehr oder weniger erfolgreiche Länder wie Polen oder Tschechien das Kulturmanagement zur Neutralisierung der negativen Folgen der politischen und wirtschaftlichen Transformation eingesetzt haben, statt das Potenzial der Kultur und der Organisationen für neue kulturelle Initiativen zu nutzen.

Heute spielen die Länderberichte des Europarats eine wichtige Rolle für die Untersuchung der Transformation der Kulturpolitik. Sie gehören zu den wich-tigsten Informationsquellen über die kulturpolitischen Entwicklungen in MOE5, denn mit den Bestandsaufnahmen stellen sie eine breite Basis für eine vielseitige Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Transformation des Kulturbereichs zur Verfügung.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das wissenschaftliche Enga-gement, das sich darum bemüht, den Wandel im Kulturbereich und die Rolle der Kulturpolitik in diesem Prozess theoretisch zu erfassen, stetig zugenommen hat. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der postsozialistischen Transformation der Kulturpolitik fand jedoch eher exemplarisch statt, eine tiefgründige Aus-einandersetzung mit ihr als Ganzer gab es bisher nicht. 1.3 Problemstellung Es existieren zwar Studien zu Teilaspekten der Kulturpolitik in einzelnen post-sozialistischen Ländern. Diese Untersuchungen und die in Bezug auf MOE vor-handenen Materialien sind allerdings in dreierlei Hinsicht zu kritisieren: Erstens können sie zusammenfassend als eine Bestandsaufnahme des Ist-Zustands be-zeichnet werden. Zweitens erfolgt die situationsbezogene Beschreibung und Beurteilung der Veränderungen entweder nur aus der Sicht des einzelnen Lan-des oder nur aus europäischer Perspektive. Drittens fehlt bis jetzt eine differen-zierte Darstellung der Ausgangssituation, also der sozialistischen Kulturpolitik. An dieser Stelle ist zu kritisieren, dass bislang keine fundierte Analyse der Transformation der Kulturpolitik in den postsozialistischen Ländern existiert, 5 Im „Compendium of Cultural Policies and Trends in Europe“ des Europarates und ERICarts

sind zurzeit (2010) 41 von 49 Ländern vertreten, die das Europäische Kulturabkommen unterzeichnet haben.

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die die Ausgangssituation (den Wendepunkt) und den Fortgang der Verände-rung (den Entwicklungspfad) gleichermaßen berücksichtigt.

Die Aktualität des Themas und seine mangelnde wissenschaftliche Aufar-beitung machen die Notwendigkeit einer länderübergreifenden Untersuchung deutlich. Insbesondere zur Weiterentwicklung der grenzüberschreitenden Arbeit im Kulturbereich des erweiterten Europas und zur Legitimation strategischer Programme ist eine Untersuchung der bisherigen kulturpolitischen Entwicklung wichtig.

Die vorliegende Arbeit baut somit auf der bisherigen Forschung auf, er-weitert jedoch die Anwendung der Transformationsansätze auf ein konkretes Gebiet, das noch nicht tiefgründig behandelt worden ist – die Kulturpolitik. Somit werden hier zwei Bereiche zusammengeführt, die bisher noch keiner gemeinsamen wissenschaftlichen Betrachtung unterzogen wurden: Transforma-tion und Kulturpolitik. Das übergeordnete Erkenntnisinteresse gilt der Frage, wie die Transformation der Kulturpolitik charakterisiert werden kann: Welche Dimensionen umfasste sie? 1.4 Forschungsannahmen Die kulturpolitikwissenschaftliche Forschung und die Transformationsforschung haben spezifische Länderstudien hervorgebracht. Diese Arbeit soll jedoch zei-gen, dass die kulturpolitischen Veränderungen einer sich transformierenden Gesellschaft auch als länderübergreifendes Phänomen zu betrachten sind. Ihre Einflussfaktoren sind dabei genauer zu analysieren. Sie können danach unter-schieden werden, ob sie einer Gesellschaft als solcher inhärent oder mit dem Umbruch des sozialistischen Systems entstanden sind. Für die Transformation in den jeweiligen Ländern sind die Konstellation der Rahmenbedingungen und Herausforderungen sowie innere und äußere Einflussfaktoren wichtig. Die Transformation und die Entwicklung der Kulturpolitik in den postsozialistischen Ländern Mittel- und Osteuropas standen vielfachen Herausforderungen gegen-über: der sozialistischen Vergangenheit, der Suche nach einer möglichen An-knüpfung an die vorsozialistische Entwicklung, der Nationenbildung, der euro-päischen Integration, der Übernahme bzw. Ausbildung von politischen und wirtschaftlichen Institutionen. Neben den durch den Systemwandel bedingten auch den Gesellschaften inhärente Faktoren die Transformation der Kulturpoli-tik.

Als Ausgangsthese wird somit formuliert, dass sich die Transformation der Kulturpolitik nach dem Umbruch des sozialistischen Systems länderübergrei-

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fend definieren und untersuchen lässt. Zudem wird davon ausgegangen, dass die Veränderung der Kulturpolitik in den postsozialistischen Ländern ein spezifi-scher und komplexer Prozess war, dessen Verständnis durch drei Perspektiven verbessert werden kann. Vermutet wird, dass für die Analyse der Kulturpolitik nach dem Systemumbruch dreierlei notwendig ist: erstens die Berücksichtigung der besonderen Ziele der sozialistischen Kul-

turpolitik in den jeweiligen Ländern, zweitens die Berücksichtigung des Transformationsfortgangs und drittens eine kritische empirische Betrachtung.

1.5 Ziel der Arbeit Diese Forschungsarbeit untersucht die Transformation der Kulturpolitik in eini-gen postsozialistischen Ländern. Dafür werden die verschiedenen Ausgangssi-tuationen in den Ländern in den Blick genommen, um von ihnen ausgehend plausible Erklärungsansätze für die (inhaltlichen) Veränderungen bzw. Ent-wicklungspfade der Kulturpolitik auszuarbeiten. Schließlich werden die kultur-politischen Veränderungen kritisch analysiert. Im einzelnen soll dabei die Ver-änderung der kulturpolitischen Rahmenbedingungen mit den allgemeinen und länderspezifischen Zielen der sozialistischen Kulturpolitik verbunden werden; eine systematische Bestandsaufnahme der kulturpolitischen Entwicklung im Kontext der politischen und wirtschaftlichen Transformation vorgenommen werden; sowie die Veränderung dieser Entwicklung mittels einer empirischen Untersuchung kritisch hinterfragt bzw. plausibel gemacht werden. Ausgehend von der wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Aktualität und Bedeu-tung des Themas gilt es, relevante Aussagen zur inhaltlichen Entwicklung der Kulturpolitik zu treffen. Die Bearbeitung der oben gestellten Frage strebt ein besseres Verständnis der Veränderungsprozesse in der Kulturpolitik an. 1.6 Eingrenzung der Untersuchung Trotz der gemeinsamen Ausgangssituation durch die sämtlich nach sowjeti-schem Vorbild aufgebauten Institutionssysteme im Kulturbereich sind die Transformationsprozesse in den postsozialistischen Ländern sehr unterschied-lich verlaufen. Die Staaten der sogenannten Visegrád-Gruppe (Ungarn, Tsche-chien, Slowakei und Polen) und des Baltikums (Estland, Lettland und Litauen) führten beispielsweise in die Mitgliedschaft der Europäischen Union. Das Ge-

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biet der ehemaligen DDR wurde 1990 durch die Wiedervereinigung zu einem Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland und zum Vorbild transformatio-neller Veränderungen. Staaten mit hybriden Systemen6 (Juchler 2001: 116–117), wie Russland und die Ukraine, befinden sich weiterhin auf einem schwierigen Transformationsweg, auf dem Bestrebungen in sehr unterschiedli-che Richtungen laufen. Für die vorliegende Arbeit ist es wichtig, kulturpoliti-sche Veränderungen von solchen postsozialistischen Staaten zu zeigen, die historisch, kulturell, politisch und sozial verschiedene Entwicklungslinien verfolgt haben bzw. verfolgen mussten. Durch die Wahl der Beispiele Russland, Ukraine, Polen und ehemalige DDR können unterschiedliche Systeme und unterschiedliche Herangehensweisen an die Transformation auf ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin untersucht werden. Der Untersu-chungsraum der vorliegenden Arbeit kann somit wie folgt eingegrenzt werden: Ihr Hauptinteresse ist die Transformation der Kulturpolitik als staatliches und gesellschaftliches Handeln (Was?) in vier postsozialistischen Ländern (Wo?) in der Zeit nach dem Systemumbruch, also von 1989 bzw. 1991 bis 2008 (Wann?) und unter dem Aspekt der Ausgangssituation und des Fortgangs der Trans-formation (Wie?). 1.7 Methodologie und Gang der Untersuchung Die Arbeit besteht aus sechs Teilen. In der Einleitung wird die Aktualität des Problems erläutert, außerdem werden der Forschungsstand zum Thema sowie Ziel und Aufgaben der Arbeit kurz vorgestellt. Da zur Verarbeitung der empiri-schen Informationen ein strukturierter theoretischer Zugang erforderlich ist, wird – um die Transformation der Kulturpolitik zu behandeln – zunächst eine Reihe theoretisch-methodologischer Fragen bearbeitet.

Die theoretische Erläuterung der Kulturpolitik und ihrer Veränderungen in den sich transformierenden Gesellschaften bildet den Schwerpunkt der „Theo-retische(n) Grundlagen“, die den zweiten Teil der vorliegenden Arbeit darstel-len. Zunächst werden hier die Herausforderungen analysiert, denen die postso-zialistische Kulturpolitik und die Kulturbetriebe in MOE gegenüberstehen (2.1.1). Hierauf wird der Versuch einer Definition der Transformation der Kul-turpolitik unternommen (2.1.2). Der Begriff „Kulturpolitik“ wird geklärt (2.1.3). Anschließend werden verschiedene Herangehensweisen an die Untersuchung von Kulturpolitik analysiert und auf ihre Anwendungsmöglichkeiten im Rah-

6 Mehr dazu im Kap. 2.2.3 Mittel- und Osteuropa: regionale Besonderheiten.

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men dieser Arbeit hin bewertet (2.1.4). Im Folgenden werden die Grundprinzi-pien der Realisierung von Kulturpolitik typologisiert (2.1.5), ihre Bestimmungs-faktoren erläutert (2.1.6) sowie die Auswirkung der Kulturpolitik auf den Kulturbereich in einer Matrix theoretisch aufgezeigt (2.1.7).

Danach wird „Transformation“ (2.2) als Untersuchungsgegenstand und als Kontext der kulturpolitischen Veränderungen in MOE vorgestellt, außerdem werden einige Hintergrundinformationen zu den vier untersuchten Ländern ge-geben (2.2.4). Damit sind die analytischen Grundlagen für die empirische Un-tersuchung gelegt, deren Methoden die theoretische Analyse und die Synthese der bisherigen wissenschaftlichen Literatur zur Kulturpolitik- und zur Trans-formationsforschung sind.

Der dritte Teil widmet sich der Darstellung der Kulturpolitik und des Kul-turbetriebs im sozialistischen System. Dafür werden die Konzeption des Sozia-lismus und die theoretische Grundlage der sozialistischen Kulturpolitik erläutert (3.1), um dann einen Überblick über die kulturpolitische Ordnung in den vier untersuchten Ländern in der Zeit des Sozialismus zu geben (3.2). Die Grundlage dafür sind Primärquellen auf nationaler Ebene, wobei in erster Linie Beschlüsse, Resolutionen und Programme der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und ihrer regionaler Gliederung – der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU), der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR) und der So-zialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) hinsichtlich ihrer jeweiligen kulturpolitischen Ziele analysiert werden. Darüber hinaus werden rechtliche Rahmenbedingungen betrachtet, sofern diese eine kulturpolitische Komponente beinhalten. Außerdem stützt sich die Analyse auch auf Sekundärquellen, die in ukrainischer, belarussischer, russischer, polnischer, englischer und deutscher Sprache vorliegen.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse des vierten Teiles basieren auf einer kritisch-hermeneutischen Analyse, die kulturpolitische Gesetzgebungen, Partei-programme, Dokumente von Ministerien und Ämtern, Programme zur Kultur-entwicklung sowie Reden zur Kulturpolitik auswertet, die für die Zeit nach dem politischen Umbruch kulturpolitische Ziele auf nationaler Ebene definieren. Der vierte Teil über die kulturpolitischen Veränderungen ist somit eine umfassende Darstellung der Kulturpolitik der verschiedenen Länder hinsichtlich ihrer Ge-meinsamkeiten und Besonderheiten. Er befasst sich außerdem mit den expliziten und impliziten Zielen der Transformation der Kulturpolitik in den vier Ländern. Auch hierbei werden die kulturpolitischen Veränderungen anhand der interpre-tativ-analytischen historisch angelegten Methode aufgezeigt.

Während die Daten im dritten und vierten Teil mithilfe einer hermeneuti-schen Methode aus Primär- und Sekundärquellen erhoben und ausgewertet wer-

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den, findet im fünften Teil zur Überprüfung der Untersuchungsannahme eine qualitative empirische Untersuchung anhand von Expertengesprächen statt.

Am Ende der Arbeit werden die Untersuchungsergebnisse des Länderver-gleichs zusammengefasst, die Transformationspfade der Kulturpolitik, die sich für die vier Länder herauskristallisiert haben, skizziert und weitere mögliche Untersuchungsbereiche aufgezeigt.

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2 Theoretische Grundlagen 2.1 Kulturpolitik Den Ausgangspunkt für das folgende Kapitel 2.1 bildet die Frage nach den all-gemeinen Herausforderungen der postsozialistischen Kulturpolitik sowie da-nach, inwieweit diese länderübergreifend darstellbar sind. Anhand der Antwor-ten auf diese Fragen sollen Definitionsmerkmale der Transformation von Kulturpolitik herausgearbeitet werden, die durch die Klärung der Begriffe „Po-litik“, „Kultur“ und „Kulturpolitik“ fundiert werden. Dabei wird das Problem der Mehrdimensionalität dieser Begriffe berücksichtigt, was im Rahmen einer historisch angelegten und länderübergreifenden Forschung wie der vorliegenden unabdingbar ist. Die Darstellungen dienen vor allem dem Aufbau einer Typolo-gie von Kulturpolitik. Aus den gewonnenen Erkenntnissen wird schließlich eine Untersuchungsmatrix entwickelt, anhand derer eine strukturierte Analyse der Primärquellen zur sozialistischen (Teil 3) und zur postsozialistischen Kulturpo-litik (Teil 4) der vier Länder erfolgen kann. 2.1.1 Herausforderungen der postsozialistischen Kulturpolitik Die Faktoren, die die kulturelle Entwicklung in den ausgewählten postsozialisti-schen Ländern maßgeblich bestimmten, sind zwar unterschiedlich7, weisen aber auch Gemeinsamkeiten auf: Demokratisierung und Dezentralisierung führten zu einer Öffnung der sozialen und politischen Systeme, wodurch im Umgang mit der Außenwelt zunehmend auf Kooperation statt auf Konfrontation gesetzt wurde. Die Veränderungen der sozialen Marktwirtschaft bewirkten einen Werte- und Orientierungswandel, der eine Kommerzialisierung der Bereiche Bildung, Medien und Kultur nach sich zog. Der Meinungspluralismus setzte sich durch und äußerte sich in einer Vielzahl von Vorstellungen, Interpretationen und Kommunikationssystemen (verschiedene Kunstbewegungen, Subkulturen etc.). Auch nationalen Traditionen der vorsozialistischen Periode kam viel

7 Mehr dazu im Kap. 2.1.6.

M. Davydchyk, Transformation der Kulturpolitik, DOI 10.1007/978-3-531-18691-7_2,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012

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Aufmerksamkeit zu. Unter diesen Bedingungen veränderte sich die Bedeutung der Kulturpolitik, die sich neu definieren und legitimieren musste. Die im Folgenden aufgeführten Herausforderungen postsozialistischen kultur-politischen Handelns können, da sie in allen untersuchten Ländern zu beobach-ten sind, anhand der Literaturanalyse in Kap. 1.2, länderübergreifend dargestellt werden. a.) Sozialphilosophische und manageriale Betrachtung Klarheit der kulturpolitischen Ziele Eine Besonderheit der postsozialistischen Periode ist ihr außerordentlich wider-sprüchlicher Charakter, der durch die unklaren sozialen, politischen und wirt-schaftlichen Ziele und Perspektiven zustande kommt. Nach der Befreiung vom sozialistischen Auftrag stand die Kulturpolitik vor der Herausforderung, sich neue gesellschaftlich relevante Ziele zu setzen. Das bedeutet, dass die kulturpo-litischen Akteure eine Vorstellung ihrer Wunschperspektive und ihrer Ziele zu entwickeln und klar zu verbalisieren hatten, wobei diese weder abstrakt sein noch operative Steuerungsaufgaben ersetzen sollten. Angemessenheit und Bedürfnisorientierung der kulturpolitischen Ziele Kulturpolitisches Ziel sollte nicht die Unterstützung und Entwicklung kulturel-ler Erscheinungen sein, die nur bestimmten Interessengruppen in Politik und Wirtschaft zugute kommen. Vielmehr sollten die kulturpolitischen Inhalte aus den Möglichkeiten der Kultur selbst heraus entwickelt werden (und nicht aus denen von Politik oder Wirtschaft). Eine unabdingbare Voraussetzung der Ent-wicklung solcher Ziele war deren dauerhafte Kopplung an die reale soziokultu-relle Situation des jeweiligen Landes, was sie vor einer Fremdbestimmung durch Politik und Wirtschaft schützt und ihre Legitimation im gesamtpolitischen System sowie ihre Anerkennung durch die Akteure des Kulturbereichs absi-chert. Umsetzbarkeit der Ziele Da auch im Kulturleben alte Denkmuster und Strukturen fortexistierten, war die Realisierung der von der Politik gesetzten Ziele eine besondere Herausforde-rung. Zusätzlich behindert wurde ihre Realisierung durch bürokratische Ver-

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waltungswege, die mit den Vorstellungen von Prinzipien und Wegen der gesell-schaftlichen Erneuerung nicht kompatibel waren. Verantwortung und Partizipation Die Einbeziehung von gesellschaftlichen Akteuren, der lokalen Ebene und der Kulturbetriebe in kulturelle Gestaltungsprozesse (wie Kulturentwicklungspro-gramme, Fonds zur Kultur- und Kunstförderung, die Festlegung von Zielgrup-pen sowie Evaluation und Monitoring der soziokulturellen Entwicklung) war eine der großen Herausforderungen der postsozialistischen Kulturpolitik. Hier stellte sich die Frage, inwieweit das territoriale Prinzip berücksichtigt wurde und Verwaltungsstrukturen die Potenziale von lokalen Initiativen beachteten, um so die Vielfalt der kulturellen Akteure zu befördern. Zu bewerten war, ob der ad-ministrative Apparat die sogenannten öffentlichen Interessen zum Ausdruck brachte, oder ob diese sich in erster Linie im gesellschaftlichen Diskurs auf lokaler Ebene formierten und hier die zivilgesellschaftliche Entwicklung stärk-ten.

b.) Dialektik von soziokultureller und wirtschaftlicher Entwicklung Um das alte System effektiv zu modernisieren, war die Anerkennung der viel-schichtigen und komplexen Wechselwirkungen zwischen kultureller und wirt-schaftlicher Entwicklung unabdingbar. Die Frage war in diesem Zusammen-hang, ob eine Vision für die Lösung der Transformationsprobleme8 gefunden werden konnte, die Wirtschaft, Politik und auch die Kultur umfasste. Eine Schwierigkeit war dabei, dass sich die neuen wirtschaftlichen Prinzipien in den zerfallenden Gesellschaften nicht entwickeln und diese das komplexe markt-wirtschaftliche System ohne eine dauerhafte Förderung der freiheitlichen Ent-faltung der Individuen nicht übernehmen konnten. c.) Balance zwischen Stabilität und Flexibilität, Tradition und Innovation Trotz der großen Bedeutung der Flexibilität für die kulturpolitischen Rahmen-bedingungen nach dem politischen Umbruch stellte auch deren Stabilität ein wichtiges und wesentliches Element dar. Es betraf Kulturpolitik, Kulturbetriebe, das Publikum und die Beschäftigten im Kulturbereich gleichermaßen: Ohne ein Mindestmaß an Stabilität wären weder gesicherte Arbeitsplätze noch Besucher- 8 Mehr über die Phänomene der Transformation im Kapitel 2.2.1. Die Veränderungen der

Subsysteme wie Politik, Wirtschaft, Kultur und Soziales werden im Kapitel 2.2.2 behandelt.

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bindung und Organisationsentwicklung möglich gewesen. Auf der anderen Seite sollte durch Flexibilität die Möglichkeit gesichert werden, sich auf die Rahmen-bedingungen der im Wandel befindlichen Umwelt einzustellen, auf ständig ver-änderte politische, wirtschaftliche und soziale Bedingungen zu reagieren und vor ihnen nicht kapitulieren zu müssen. Die Impulse für die Gestaltung kultu-reller Angebote und eine strategische Kulturentwicklung entsprangen min-destens drei Quellen: dem Rückgriff auf vorsozialistische Traditionen, der Aus-einandersetzung mit der sozialistischen Vergangenheit und der Förderung der kreativen Bewältigung des Systemwandels. 2.1.2 Transformation der Kulturpolitik – eine Definition Nachdem die theoretischen Implikationen der Transformation der Kulturpolitik in der postsozialistischen Periode dargestellt worden sind, stellt sich nun die Frage, anhand welcher konkreten Aspekte sie erläutert werden kann. In Anleh-nung an die drei oben aufgezeigten Herausforderungen wird die Transformation der Kulturpolitik wie folgt definiert: a. Die Transformation der Kulturpolitik nach dem Zusammenbruch des so-

zialistischen Systems bezeichnet den Prozess der Veränderung des Stellenwerts von Kulturpolitik, der sich im politischen und gesellschaftlichen Handeln der Gesellschaft widerspiegelt.

b. Dieser Veränderungsprozess kommt in der Diskussion über die Integration der Kulturpolitik in das gesamte politische System zum Ausdruck.

c. Die inhaltliche Ausrichtung der Kulturpolitik gründet u. a. auf den sozia-listischen Erfahrungen und findet unter Einbeziehung ausgewählter vorso-zialistischer Inhalte im Kontext der allgemeinen Systemtransformation statt.

Zunächst gilt es, diese drei Definitionsmerkmale theoretisch zu fundieren: Die Begriffe „Kulturpolitik“ und „Transformation“ verlangen nach Ein- und Ab-grenzung. Mit Blick auf die Herausforderungen der postsozialistischen Periode werden dazu verschiedene Ansätze der Kulturpolitikforschung diskutiert. Die Reaktionen und konkreten Entscheidungen der kulturpolitischen Akteure in Bezug auf die in Kap. 2.1.1 dargestellten Herausforderungen waren in den einzelnen postsozialistischen Ländern, so die Annahme aufgrund der Literaturanalyse in Kap. 1.2, unterschiedlich. Ziel des folgenden theoretischen Teils ist es deshalb, die Bandbreite der kulturpolitischen Rahmenbedingungen aufzuzeigen sowie sie zu typologisieren und zu systematisieren, um so den Untersuchungsrahmen dieser Arbeit abzustecken.

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2.1.3 Problematik der begrifflichen Bestimmung von Kulturpolitik Um die Transformation der Kulturpolitik zu untersuchen, sollen zunächst ihre theoretischen Grundlagen und deren Veränderungen in der postsozialistischen Gesellschaft erörtert werden. Will man den Begriff „Kulturpolitik“ durch die Bedeutung seiner einzelnen Elemente – Kultur und Politik – erklären, so stößt man auf eine große Zahl von Definitionen, die auf die Breite der methodischen Ansätze zur Untersuchung von Kultur und Politik zurückgehen. Die Diskussio-nen um die Konzeption von Kulturpolitik sind nicht nur eine Folge der unter-schiedlichen Kultur- und Politikbegriffe, sondern auch der pragmatische Versuch, die Grenzen bzw. den Rahmen von Kulturpolitik zu bestimmen. Die Problematik begrifflicher Klarheit liegt, so Klein (2003), auch in dem span-nungsreichen Verhältnis von Kultur und Politik begründet. Um sich ihm anzu-nähern, führt er eine inhaltliche Analyse durch und unterscheidet einen „weiten“ und einen „engen“ Kulturbegriff sowie einen „weiten“' und einen „engen“ Poli-tikbegriff.

(1) Weiter Kulturbegriff: Kultur im

Plural, als Sitten, Gebräuche, Lebensweisen der Menschen

(2) Enger Kulturbegriff: Kultur als

Kunst

(3) Weiter Politikbegriff: Politik als staatliches und gesellschaftliches

Handeln

(4) Enger Politikbegriff: Politik als

staatliches Handeln

Abbildung 1: Begriffskonzepte der Kulturpolitik, Quelle: Klein 2003: 61 Aus obigem Schema ergeben sich verschiedene Kombinationsmöglichkeiten, die verschiedene Kulturpolitikbegriffe nach sich ziehen. Auf der einen Seite wird Kulturpolitik als staatliche Kunstförderung gedeutet (Kombination 2 und 4), während sie auf der anderen Seite als Gesellschaftspolitik verstanden wird (Kombination 1 und 3). Für eine erste Annäherung an die Definitionsfülle der beiden Phänomene ermöglicht die Kleinsche Typologie eine gute Orientierung. Für eine Definition des Begriffs „Kulturpolitik“ in Hinblick auf die Forschungs-frage bringt sie jedoch eine vierdimensionale Herausforderung: Einerseits wird Kulturpolitik im Sozialismus und in der postsozialistischen Zeit unterschiedlich bestimmt. Andererseits gilt es, Konzepte von Kulturpolitik in Westeuropa und im postsozialistischen Raum Mittel- und Osteuropas zu analysieren. Zu fragen

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ist demnach, welcher Begriff von „Politik“ und „Kultur“ – und schließlich von „Kulturpolitik“ – einerseits sowohl für west- als auch für osteuropäische Länder gültig ist und dabei andererseits die sozialistische Periode genauso wie auch die Zeit danach abdecken kann. Problematisch ist dabei die normative Aufladung der Begriffe „Kultur“ und „Kulturpolitik“, ihre Einbettung in die jeweiligen politischen Diskurse bzw. Ideologien und ihre Prägung durch die „Politik“. An-ders als bei beschreibenden oder deskriptiven Definitionen und Darstellungen kulturpolitischer Zustände ist der wertende Soll- und Zielwert eine Hauptkate-gorie der normativen Begriffe. Im Folgenden werden Bestimmungsmöglichkei-ten von „Kultur“ und „Kulturpolitik“ auf dieser Metaebene (deskriptive und normative Bestimmungen) verortet und hinsichtlich der Fragestellung dieser Arbeit bewertet. Zunächst soll dafür der Begriff der „Politik“ präzisiert werden. 2.1.3.1 Politik Wie weit bzw. eng der Begriff „Politik“ gefasst wird, ist Gegenstand der kultur-politischen Analyse. Stellt der postsozialistische Raum den Schwerpunkt der Analyse dar, wird der Begriff besonders relevant und erläuterungsbedürftig. Viele Studien der Transformationsforschung gründen ihr Politikverständnis auf Dichotomien – etwa gouvernementale vs. emanzipatorische, konfliktorientierte vs. konsensbezogene Politik9 –, um bestimmte transformatorische Aspekte eines politischen Systems zu beleuchten. Nohlen betont, dass „die jüngere Diskussion des Politikbegriffs der Politikwissenschaft die Suche nach dem verbindlichen Wesensbegriff aufgegeben [hat] und sieht Politik in der Gesellschaft grundsätz-lich mehrdimensional strukturiert“ (Nohlen 1991: 492). Politik hat nach dieser Auffassung erstens eine institutionelle, zweitens eine normative und inhaltliche und drittens eine prozessuale Dimension. Diese Dreiteilung geht vor allem auf das Englische zurück, wo zwischen polity, policy und politics unterschieden wird, und ist in der Kulturpolitikforschung weit verbreitet. Fuchs (1998) und Heinrichs (1999b) weisen in ihren kulturpolitischen Untersuchungen explizit auf die Trichotomie des Politikbegriffs hin. Heinrichs versteht unter „Politik“ „ei- 9 Der deutsche Politikwissenschaftler Dieter Nohlen zeigt im „Wörterbuch für Staat und Politik“

die Vielzahl der kontroversen, historisch gewachsenen Politikbegriffe. Zunächst handelt es sich um die gouvernementale vs. emanzipatorische Politik, bei der „Führung“, „Herrschaft“, „Macht“ und „Hierarchie“ die zentralen Begriffe bilden. Zweitens nennt Nohlen normative vs. deskriptive Politikbegriffe, denen Prinzipien wie „Friede“, „Demokratie“ und „Ordnung“ zugrunde gelegt werden. Und drittens unterscheidet Nohlen konfliktorientierte vs. konsensbezogene Politikbegriffe. Das „entscheidende Agens jeden sozialen Wandels“ wird im Konflikt bzw. in seiner Lösung gesehen (Nohlen 1991: 492).

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nerseits die Lehre vom Staat (institutioneller Politikbegriff) sowie andererseits den Diskurs (prozessualer Politikbegriff) zur Regelung öffentlicher Belange (Normen setzender Politikbegriff)“ (Heinrichs 1999b: 79). Je nach dem Grad der Beteiligung der Akteure an der Politik wird ein weiter von einem engen Politikbegriff unterschieden. Der enge Politikbegriff bezeichnet staatliches Handeln, während der weite sowohl staatliches als auch gesellschaftliches Han-deln umfasst (vgl. Klein 2003: 61). Der Wille zur Gestaltung gesellschaftlicher Zustände ist diesem Handeln immanent. Zembylas weist bei der Darstellung der österreichischen Kulturpolitik darauf hin, dass Politik „Durchsetzungsmöglich-keiten (Einflussnahme, Normsetzung, Staatsgewalt) und ein gewisses Maß an Legitimität (formale Anerkennung und soziale Akzeptanz)“ erfordert (Zembylas 2008: 145). Damit kann eines der zentralen Probleme der postsozialistischen Periode – das Zusammenwirken staatlicher und gesellschaftlicher Akteure – erläutert werden. Während erstere über Staatsgewalt und Möglichkeiten zur normativen Einflussnahme verfügen, jedoch nur formal anerkannt sind, besitzen die zweiten einen größeren Zugang zu sozialrelevanten Informationen, können Prozesse aufgrund ihrer mangelnden Durchsetzungsmöglichkeiten dabei jedoch nur in geringem Maße beeinflussen. Dieses Verhältnis gilt es in der empirischen Untersuchung zu analysieren. 2.1.3.2 Kultur Die Grenzen des Begriffs „Kulturpolitik“ sind von dem Kulturbegriff abhängig, den Wissenschaftler, Politiker und Kulturschaffende zugrunde legen. Gegen-wärtig existieren zahlreiche Methoden der Darstellung bzw. Untersuchung von Kultur: anthropologische, soziologische, axiologische, zivilisatorische, ethnolo-gische, tätigkeitsbezogene, systembezogene etc. Sämtlich haben sie entweder normativen oder deskriptiven Charakter und werden im Folgenden erläutert. Deskriptive Definitionen von Kultur Die US-amerikanischen Wissenschaftler Kroeber und Kluckhohn (Kroeber / Kluckhohn / Untereiner 1963) definieren Kultur deskriptiv und aus anthropolo-gischer Sicht als Gesamtheit des Wissens. Kultur bildet entsprechend das allge-meine Niveau der gesellschaftlichen Entwicklung ab und stellt die Gesamtheit der Errungenschaften (einschließlich Technologien und Sozialbeziehungen) dar, durch die der Mensch sich von der Natur abhebt. Problematisch ist an dieser Definition allerdings, dass sie keinen Unterschied zwischen den Begriffen

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„Kultur“ und „Zivilisation“ kennt. Das Hauptargument gegen eine solche breite Auffassung von Kultur ist, dass einiges von der Menschheit Geschaffene auf-grund seines destruktiven Charakters nicht als Kultur bezeichnet werden kann (Terrorismus etc.). Es fehlt ihr die moralisch-humanistische Bewertung von Kultur.

Aus ethnologischer Sicht ist Kultur ein spezifisches Wertesystem, das sich in Bräuchen und Traditionen abbildet. Einerseits verbindet es Gesellschaften und/oder ihre Gruppen miteinander, andererseits unterscheidet es sie auch. Kultur vergegenständlicht sich über Generationen hinweg in ausgeprägten Ver-haltens- und Kommunikationsmustern sowie den zugehörigen gesellschaftlichen Institutionen. Hier ist auch die ethnonationale Betrachtung von Kultur zu er-wähnen, die die historischen Erfahrungen einer Nation umfasst, durch die sich beispielsweise die russische von der deutschen oder der japanischen Kultur un-terscheidet. Diese Betrachtung von Kultur und die damit verbundene nationale Definition von Kulturpolitik sind heute in Hinblick auf die Prozesse der Globa-lisierung und der Europäischen Integration aktuell, für die diskutiert wird, wel-che Folgen sie für die Kulturen der einzelnen Nationen haben können und wel-che Aufgaben der Kulturpolitik in diesem Zusammenhang zufallen. Die interaktive Funktion von Kultur rückt hierbei jedoch in den Hintergrund. Normative Kulturbestimmung Aus kultursoziologischer Sicht trägt Kultur normative Anordnungen in sich, die sich in geistigen Werten und Idealen und im Sozialverhalten widerspiegeln. Die russische Kultursoziologie platziert Kultur einerseits als einen der zentralen gesellschaftlichen Bereiche neben Sozialem, Wirtschaft und Politik. Anderer-seits kommt Kultur in der russischen Soziologie die Funktion einer geistigen Dimension und einer alle Sozialbereiche integrierenden Kraft zu: In ihr drückt sich die geistige (moralische)10 Bewertung jeglicher Tätigkeit aus (vgl. Erasov 2000). Auch wenn solche Erkenntnisse für den konzeptionellen Anteil der Kul-turpolitik wichtig sind, kann hier in Anlehnung an Gau festgestellt werden, dass der kultursoziologische Begriff von Kultur wesentlich allgemeiner ist, „als das, was im Alltagsverständnis gemeint ist, wenn von „Kulturpolitik“, „Kulturver-waltung“ oder von „Kulturhaushalt“ die Rede ist“ (Gau 1990: 17).

Im Vordergrund der kulturwissenschaftlichen Perspektive stehen Sub-systeme von Kultur, die kognitive, die ethische und die ästhetische Weltan-schauung. Die durch diese Aufteilung entstehenden Elemente von Kultur –

10 Anmerkung der Autorin.

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Wissenschaft, Religion (und / oder Ideologie) und Kunst – sind dauerhaft miteinander verbunden, was einerseits die Einheit und eine gewisse Stabilität des Systems gewährleistet und andererseits die Quelle dauerhafter Weiterent-wicklung ist. Aus Sicht der Kulturpolitik ist an dieser Stelle die Einschränkung von Kultur auf ihr Subsystem „Kunst“ zielführend. Kultur in ihrer engen Defi-nition, auf den Bereich Kunst reduziert, umfasst dann Musik, Kino, Theater, bildende Kunst, Literatur etc. Levšina zufolge erfüllt Kunst viele Funktionen, zu denen etwa Erkenntnis-, Erziehungs-, Aufklärungs-, Kommunikations-, Bil-dungs-, ästhetische und rekreative Faktoren gehören. Daraus wird ersichtlich, dass Kunst eine Doppelfunktion hat und nur selten als autonom, sondern meist im Kontext ihrer sozial relevanten Aufgaben wahrgenommen wird. Kunst erfüllt somit auch Funktionen, die ihr das sozialpolitische System zuschreibt, zudem nutzt die Gesellschaft ihre Möglichkeiten zur Befriedigung ästhetischer, sozialer und anderer Bedürfnisse (vgl. Levšina 2008: 19). In ihrer institutionalisierten Form – in Kulturbetrieben – existiert Kunst in Form von Kulturgütern und -dienstleistungen. Zembylas erläutert unter diesem Aspekt die funktionale Be-deutung von Kultur. Im Rahmen des Kulturbetriebs erfüllen Kulturgüter und kulturelle Dienstleistungen mehrere Funktionen, die über ihren ökonomischen Tauschwert hinausgehen und von der Stimulierung und Befriedigung individu-eller und kollektiver Bedürfnisse bis hin zu Propagandazwecken und der Kon-struktion von Identität reichen (vgl. Zembylas 2004: 102f.).

In Hinblick auf die Herausforderungen der postsozialistischen Periode spielt die demokratietheoretische Vorstellung von Kultur als einer Kraft, die den freien und partizipativen Charakter der Individuen sowie Kreativität und kriti-sches Denken fördert, eine große Rolle, sind das doch all die Fähigkeiten, die die sozialistische Ideologie unterdrückt hat. Erwähnenswert ist auch die Vor-stellung von Kultur als einem Aneignungsprozess zur Steigerung der Kom-plexitätskompetenz (vgl. Vogt 2010). In diesem Prozess erlangt das Individuum Zugang zu verschiedenen Weltbildern, wird zum kreativen Umgang mit ihnen fähig und leistet so einen Beitrag zum Wandel und zur Erneuerung dieser Welt-bilder. Dieser Kulturbegriff ist prozessual weder eng (ausschließlich Kunst) noch weit (durch seine wertenden und interaktiven Komponenten, die dem an-thropologischen Kulturbegriff fehlen) festgelegt. Die Förderung der Reflexions-fähigkeit der Individuen und somit auch ihrer Kreativitätspotenziale und Kom-plexitätskompetenzen – die in politisch, wirtschaftlich und sozial unbestimmten Situationen zum Tragen kommen können – als Funktion von Kultur und Gegen-stand des politischen Feldes sind für das kulturpolitische Handeln relevant.

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Kulturkonzepte und Besonderheiten der Kulturforschung Das Verständnis von Kultur ist regional und historisch bedingt, Bestimmungen von Kultur unterscheiden sich je nach politischer, wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung, von Epoche zu Epoche und von Region zu Region. Diese Unter-schiede finden sich in den Kulturkonzepten der verschiedenen Staaten wieder. Im Folgenden soll dies am Beispiel der westdeutschen und der russischen Kul-turforschung kurz verdeutlicht werden.

Die Nachkriegsgesellschaft der Bonner Republik sah in der Kultur die Möglichkeit, Werte und Traditionen zurück zu gewinnen, die die Vorstellung vom affirmativen Charakter der „guten, alten“ Kunst und Kultur war sehr ver-breitet. Die Prinzipien der sogenannten „Kulturpflege“ kommen in den „Stutt-garter Richtlinien“ des Deutschen Städtetags vom 18. und 19.01.1952 zum Aus-druck. Mit der affirmativen Sichtweise auf Kultur korrespondierend11, sah dieser sie als Selbstzweck und natürlichen Bestandteil der Lebenswelt der Gesellschaft an12. Im Vordergrund dieser Auffassung stehen die Bestätigung des herrschen-den Wertekanons wie des herrschenden Weltbilds und die kultivierende Funk-tion von Kultur. Im Unterschied zur allgemeinen anthropologischen Auslegung wird Kultur hier in einem engen affirmativen Sinn als Summe öffentlicher Er-rungenschaften verstanden, die sich individuell angeeignet werden sollen.

Mit dem politischen und gesellschaftlichen Wandel Ende der 1960er Jahre wurde das Konzept der „Kulturpflege“ in Frage gestellt. Die sogenannte „Neue Kulturpolitik“ räumte der Kulturarbeit einen höheren Stellenwert ein. Von ei-nem erweiterten Kulturbegriff ausgehend, der jetzt auch Sub- und Alternativ-kulturen umfasste, strebte die Kulturpolitik „Kultur für alle, Kultur von allen“ an. Das Verständnis von einer Kultur allgemeiner Teilhabe und individueller Selbstverwirklichung rückte in den Vordergrund und verdrängte den repräsen-tativen und kompensatorischen Kulturbegriff der Privilegierten (vgl. Langenbu-cher / Rytlewski / Weyergraf 1983: 379f.). Der Deutsche Städtetag verabschie-dete sich 1973 offiziell vom Konzept der „Kulturpflege“. Kulturarbeit bedeutete nun die „Entfaltung und Entwicklung der sozialen, kommunikativen und ästhe-tischen Möglichkeiten“13 (Deutscher Städtetag 1973).

Die rasche Modernisierung der Gesellschaft seit Mitte der 1970er Jahre machte jedoch eine Auseinandersetzung mit den politischen und gesellschaftli-chen Folgen dieser Modernisierung sowie mit den Perspektiven der gesell-

11 Zum affirmativen Kulturbegriff Herbert Marcuse 1979. 12 Mehr dazu bei Klein 2003: 159f. 13 Mehr dazu bei Klein 2003: 161f.

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schaftlichen Entwicklung14 erforderlich. Es bildete sich eine neue Sichtweise heraus, die Kultur nun auch als wichtige Ressource des gesellschaftlichen Fort-schritts sah. Kultur wurde zum Motor der sozialen und wirtschaftlichen Ent-wicklung. Die Vorträge und Beschlüsse der UNESCO-Kommission und des Europarats Mitte der 1990er Jahre unterstrichen die Bedeutung von Investitio-nen in Kultur, die – so die Kommission – einen sozialökonomischen Effekt haben und zur gesellschaftlichen Wohlfahrt beitragen.

Im postsozialistischen Raum und insbesondere in Russland entwickelte sich die Lehre von der Kultur im Rahmen der sogenannten Kulturologie. Diese Wissenschaft untersucht die Kultur, die sie an der Schnittstelle sämtlicher Geisteswissenschaften angesiedelt sieht. Obwohl der Begriff „Kulturologie“ auf den US-amerikanischen Anthropologen Leslie Alvin White (1958) zurückgeht, fand dieser Forschungsansatz in der westlichen Wissenschaft keine Verbreitung. Diese setzte als Teil der russischen Philosophie in den 1960er Jahren ein, als die Wissenschaft in der Sowjetunion durch das ideologische Diktat zunehmend weniger kontrolliert wurde. Jedoch war die kulturologische Forschung mit den Dogmen des marxistischen historischen Materialismus (Kapitel 3.1), nur schwer vereinbar. Deshalb erlebte die Kulturologie erst Anfang der 1990er Jahre eine Renaissance (Sokolov 1994 / Ikonnikova 1996), als sich nach dem Ende des historischen Materialismus und des wissenschaftlichen Kommunismus innerhalb der Sozial- und Kulturforschung eine Lücke auftat. Die russische Kulturologie strebt eine Vereinigung aller Methoden der Kulturforschung zu einer einheitlichen Disziplin zum Themenfeld Kultur an. Ihre Übersetzung ist problematisch: Der Begriff der „human studies“ erfasst die Kulturologie nicht vollständig, sie ist breiter angelegt als die westliche Anthropologie. Eher wird ihr der britische Ansatz der сultural studies gerecht. Während die cultural stu-dies im Wesentlichen gegenwartsbezogen sind, fragt die Kulturologie jedoch auch nach der Genese von Kultur. Fazit Kultur wurde anhand eines vierdimensionalen Untersuchungsrasters dargestellt, wobei einerseits deskriptive und normative Bestimmungen aufgezeigt wurden, sowie andererseits Unterschiede zwischen der westeuropäischen (am Beispiel Deutschlands) und der russischen Kulturauffassung in historischer Perspektive.

14 Unter diesem Namen wurde von der baden-württembergischen Regierung 1982 eine Kommis-

sion ins Leben gerufen. Mehr dazu: ZKP (1982): Bericht der Kommission Zukunftsperspektiven gesellschaftlicher Entwicklungen, erstellt im Auftrag des Landesregierung von Baden-Württemberg, Stuttgart, S.27.

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Für die vorliegende Arbeit sind die kulturwissenschaftliche und die demokra-tietheoretische Sicht auf Kultur besonders wichtig, die Kultur als dynamisches System betrachtet, das nicht nur Traditionen widerspiegelt, sondern sich über ihre Akteure auch weiterentwickelt. Gerade der Prozess der Weiterentwicklung stellt Fragen nach Bildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten, Vervielfältigung und Verbreitung, nach Reproduktion und dem Konsum von Kultur, die nicht zuletzt auch Gegenstand der Kulturpolitik sind. Jedes Untersystem des Gesamt-systems Kultur kann sich nach seinen eigenen Regeln entwickeln (Entstehung von Subkulturen) und hat dabei seine eigene Entwicklungsgeschwindigkeit, eigene Entwicklungsmechanismen und eigene Prioritäten. „Die plurale Struktur von Kultur korrespondiert mit der pluralen Struktur einer demokratischen Ge-sellschafts- und Staatsform“ (Ritter 1996: 103). Entsprechend wird die Komple-xität soziokultureller Prozesse wahrgenommen und eine lineare Entwicklung von Kultur abgelehnt. 2.1.3.3 Deskriptive und normative Definitionen von Kulturpolitik Die jeweilige Perzeption und die jeweils vorherrschenden Konzepte von „Poli-tik“ und „Kultur“ prägten die Kulturpolitik im postsozialistischen Raum. Die Analyse der kulturpolitischen Konzepte in Russland, Polen, Deutschland und anderen Ländern zeigt, dass die meisten Unterschiede sich auf das jeweilige Herangehen an die Kulturpolitik zurückführen lassen. Kulturpolitische Fragen werden aus politik-, kultur-, wirtschafts- und verwaltungswissenschaftlicher, aus soziologischer oder aus pädagogischer Perspektive analysiert. Außerdem kon-zentrieren sich Kulturmanagementlehre und Kulturbetriebsforschung häufig auf einzelne Kunst- und Kultursparten und analysieren beispielsweise Theater-, Bibliotheks- oder Musikpolitik. Während aus sozialwissenschaftlicher Sicht-weise Aspekte wie Integration, Differenzierung oder Partizipation hervorgeho-ben werden, widmen sich politikwissenschaftliche Analysen dem öffentlichen Engagement im Kunst- und Kulturbereich. Aus einer Metaperspektive können sämtliche Auffassungen von Kulturpolitik und Kultur jedoch in deskriptive und normative unterteilt werden. Deskriptives Vorgehen Einige Autoren betrachten Kulturpolitik aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht als Handeln von politischen Entscheidungsträgern, das auf Aneignung und Regulierung der Produktion, Bewahrung, Verbreitung und Nutzung von Kultur

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ausgerichtet ist (Natočij 2001 / Rybina 2001). Diese Sichtweise hat eine lange Tradition. Eine der ersten kulturpolitischen Definitionen beschreibt Kulturpoli-tik als den „Einsatz geistiger Mittel und kultureller Mittel durch den Staat“ (Herders Konversations-Lexikon 1922). Kulturpolitik als staatliche Steuerung im Kulturbereich zu verstehen, bedeutet heute, eine angewandte Sichtweise auf Kulturpolitik zu haben. Jedoch ist dieser Darstellung hinzuzufügen, dass der Staat nicht der einzige kulturpolitische Akteur ist. Auch die Tätigkeit von ge-sellschaftlichen Organisationen, ihr gesellschaftliches Handeln, ist zu berück-sichtigen.

Daneben ist es eine verbreitete Sichtweise, Kulturpolitik allein als Vertei-lung von materiellen Ressourcen zu verstehen. Hier rückt der utilitaristische Charakter von Politik in den Vordergrund. Das Phänomen Kulturpolitik wird auf wirtschaftliche Fragen beschränkt und hauptsächlich unter dem Gesichts-punkt seiner finanziellen Rahmenbedingungen15 betrachtet. Weil sie sich auf den institutionellen Charakter von öffentlicher Kulturpolitik beschränken und diese nicht als gesellschaftliches Handeln zeigen, können solche Positionen das Verständnis der Transformation von Kulturpolitik jedoch nicht fördern.

Im Vordergrund managerialer Analysen steht die politische Tätigkeit als solche. Aus dieser Perspektive umfasst Kulturpolitik mit Planung, Organisation, Führung, Evaluation und Regulierung alle Hauptfunktionen einer Steuerungs- bzw. managerialen Tätigkeit. Heinrichs überträgt das Modell der Betriebswirt-schaftslehre auf das kommunale Kulturmanagement und nimmt damit eine Unterscheidung zwischen strategischer (Kulturpolitik) und operativer Ebene (Kulturadministration) vor (vgl. Heinrichs 1999a: 15f.). Auch Klein (2003) erläutert den öffentlichen Kultur- und Kulturpolitikdiskurs und zeigt die mit ihm entstandenen impliziten Ziele und explizit formulierten Aufgaben. Die Annäherung an Kulturpolitik geschieht hier auf drei Ebenen: Erstens wird nach den (historischen, juristischen und finanziellen) Rahmenbedingungen der Kulturpolitik in Deutschland gefragt; zweitens werden Ebenen, Akteure und Organisationsstrukturen von Kulturpolitik dargestellt; und drittens wird die inhaltliche Ausrichtung der Kulturpolitik erläutert. Zusammenfassend erscheint Kulturpolitik als ein System und setzt Interessengruppen, Objekte, Mittel, Prozesse und Ergebnisse voraus.

Gau beschäftigt sich aus politikwissenschaftlicher Perspektive mit den Ursachen und Hintergründen von kulturpolitischen Entscheidungsprozessen. Wirtschaftliche und soziale Probleme geben ihr Anlass, „danach zu fragen, wie die Kommunen autonome Handlungsspielräume in einem Politik-Feld nutzen,

15 Mehr dazu bei Hofecker 2003.

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dessen Aufgabenerfüllung nicht durch Gesetze und Verordnungen überge-ordneter Instanzen geregelt ist“ (Gau 1990: 7). Gaus Arbeit steht in der Tradition der Policy-Analyse und unterscheidet sich somit von institutionellen bzw. strukturellen Ansätzen in der Politikforschung. Eine Analyse der psychologischen Beweggründe – eine Mikroanalyse der Policy Makers – ist für die kulturpolitische Entscheidungsfindung wichtig, kann jedoch dieser Arbeit keine entscheidenden Informationen über kulturpolitische Transformationen im länderübergreifenden Kontext liefern.

Für die vergleichende kulturpolitikwissenschaftliche Forschung unter-scheidet Heinrichs zwei Ebenen: erstens Traditionen und Werte, welche sich in kultureller Identität widerspiegeln, und zweitens Ordnungen und Instrumente des Kulturbetriebs. Er kommt zu dem Schluss, dass „[e]in internationaler Ver-gleich mit dem Ziel, den Kontext von Kulturpolitik, Kulturbetriebe und Kultur-finanzierung zu diskutieren (…) sich (…) immer nur auf den zweiten Bereich beziehen“ kann (Heinrichs 1997: 74) und entwickelt auf drei Handlungsebenen fünf Dichotomien. Sie fungieren als Bewertungskriterien für die Systeme zur Organisation und Durchführung der Kulturpolitik: Zentralität vs. Dezentralität; staatliche Lenkung vs. sich selbst regulierender Kulturmarkt; staatliche Förde-rung vs. private Kulturförderung; Kontinuität vs. Innovation und Spitzenkultur vs. Breitenkultur. Anhand dieser Kategorien führt der Autor eine kontrastive Analyse der Kulturpolitik in Frankreich, Schweden, Großbritannien und den USA durch – allesamt westliche Demokratien mit etablierten Rechtsordnungen. Die Anwendung der Begriffe „private Kulturförderung“, „Dezentralisierung“ und „liberaler Kulturmarkt“ auf die postsozialistischen Länder, für die ihre Grenzen zunächst untersucht werden sollten, ist allerdings schwierig. Die von Heinrichs entworfenen Dichotomien stellen jedoch einen wichtigen Ansatz zur Entwicklung von Analysekriterien für die kulturpolitischen Veränderungen in MOE dar.

Die angeführten deskriptiven Untersuchungsmöglichkeiten der Kulturpoli-tik zeigen, dass nicht nur die inhaltliche Abgrenzung von „Kultur“ und „Politik“ schwer fällt, sondern auch die Interpretation ihrer wechselseitigen Beziehung für begriffliche Unklarheiten sorgt. Das Problem kann philosophisch und prak-tisch betrachtet werden. Im ersten Fall tritt das grundlegende Problem des Ver-hältnisses von Politik bzw. Macht und Kultur zutage, die einander dichotom gegenüberstehen (vgl. Natočij 2001). Im zweiten Fall wird Kultur zum Objekt von Steuerungspolitik. Der Staat übernimmt zahlreiche Steuerungsfunktionen, etwa als Besitzer von Ressourcen und als Garant der Meritorisierung. Die Frage nach der Rolle des Staates, dem Grad seiner Einmischung und seinen Kompe-tenzen im Kulturbereich ist problematisch. Entsprechend der philosophischen

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Dichotomie kann es zu politischem Druck auf die Kultur, Repressionen, Zensur und ideologischer Kontrolle, zu Ignoranz gegenüber der inneren Entwicklungs-logik der Kultur und ihrer Subsysteme sowie zur Anpassung und Vereinnah-mung von Kultur kommen. Für die Praxis unterscheidet Natočij sechs Formen der Wechselbeziehung zwischen Politik bzw. Macht und Kultur. Zunächst ist Politik ein Bereich und ein Produkt kultureller Entwicklung. Zweitens über-nimmt Kultur in Bezug auf soziale Prozesse im selben Maße wie auch Politik eine regulative Funktion. Drittens gründet die spezifische Art der Realisierung von politischer Macht in einer Gesellschaft in der jeweiligen Kultur dieser Ge-sellschaft. Viertens gerät Kultur als Mittel zur Manipulation der öffentlichen Meinung in die Hände der Macht. Fünftens ist Kultur aufgrund ihrer nicht pro-fitorientierten Natur auf die Macht (des Staates oder anderer Entscheidungsträ-ger) angewiesen und kann ohne materielle Unterstützung nicht überleben. Der sechste Punkt bezieht sich auf die Selbstreproduktion des jeweiligen gesell-schaftlichen Beziehungssystems – also der Macht – über Kultur (vgl. Natočij 2001). Normatives Vorgehen, westliche Sichtweise Davon ausgehend, dass Kultur und Kulturpolitik „auf dem Boden soziokultu-reller Realverhältnisse“ (Lipp 1989: 11) stattfinden, widmen sich Lipp und seine Koautoren Ende der 1980er Jahre einer kulturwissenschaftlichen bzw. kulturso-ziologischen Analyse der Kulturpolitik. Da der Umbruch des sozialistischen Systems einen tief greifenden Veränderungsprozess der soziokulturellen Bedin-gungen ausgelöst hat16, soll dieser Ansatz näher erläutert werden. Um zu Schlussfolgerungen über die Kulturpolitik zu gelangen, werden zunächst die Prozesse ausgemacht, die das kulturelle Leben (der 1980er Jahre) bestimmen. Die Autoren beleuchten dann Tendenzen und Widersprüche der kulturellen Entwicklung und zeigen die Funktionsweise des kulturellen Lebens auf, um die Aufgaben kulturpolitischer Praxis plausibel zu machen. In den 1990er Jahren erscheinen weitere Studien, die mit der Kategorie des gesellschaftlichen Werte-wandels operieren und die Neuorientierung der Kulturpolitik analysieren. In einer soziologischen Studie zur deutschen Kulturpolitik untersucht Pohlmann (1994) die Abhängigkeit der kommunalen Kulturpolitik von den Gestaltungs-konzepten (den vorherrschenden Lebensstilen und Wertehaltungen) der kom-munalpolitischen Akteure. Anhand einer Umfrage in klein- und mittelstädti-

16 Mehr dazu im Kap. 2.2.2.

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schen Kulturämtern stellt er einen Strukturwandel der Kulturadministration17 von geringem Ausmaß fest. Der kulturalistische Ansatz des Wertewandels liegt auch Wolf-Csanádys Analyse zugrunde. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wel-che Beziehungen zwischen Werten, Werthaltungen und Kulturpolitik in Deutschland und Österreich seit Anfang der 1960er Jahre hergestellt werden können, und analysiert die Inhalte ausgewählter kulturpolitischer Dokumente. Die Beziehungen betreffen

die Strukturen, die Akteure, und über die Adressaten auch die Situation; dadurch fließen Wertvorstellungen auf verschiedenste Art in den politischen Diskurs und Willens-bildungsprozess und schließlich auch in die konkreten kulturpolitischen Entscheidungen ein. (Wolf-Csanády 1996: 68f.)

Im Rahmen einer länderübergreifenden Analyse setzen die vorgestellten Ansätze qualitative bzw. quantitative kultursoziologische Studien voraus, was jedoch nicht das Primärziel der vorliegenden Untersuchung ist. Diese Arbeit verfolgt auch nicht das Ziel, anhand einer Darstellung des Ist-Zustandes kulturpolitische Strategien vorzuschlagen. Die von Wolf-Csanády unternom-mene inhaltliche Analyse kulturpolitischer Konzepte scheint dagegen eine brauchbare Untersuchungsmethode zu sein, behandelt sie doch die fassbaren, normativ gesetzten Veränderungen der Kulturpolitik.

Aus demokratietheoretischer Sicht und im Ländervergleich untersucht Zimmer (1997) kulturpolitische Entwicklungen und Veränderungen im Zuge der sich wandelnden wohlfahrtsstaatlichen Politik. Die Autorin fragt dabei nach dem Stellenwert von Kulturpolitik: Was bedeutet die Modernisierung des Wohl-fahrtsstaates für die Kulturpolitik als Bereich wohlfahrtsstaatlichen Handelns? Zunächst stellt Zimmer klar, dass die

funktionalistische Erklärung der Attraktivität der Kulturpolitik in der Blütezeit des Wohlfahrtsstaates durch demokratietheoretische Argumente ergänzt werden [muss]. Hierbei steht weniger das gesamtgesellschaftliche Interesse, sondern vielmehr der einzelne Bürger im Vordergrund. (...) Die partizipative Komponente der Demokratie und nicht ausschließlich ihr Leistungsprofil wird hier in den Vordergrund gerückt und das politische System von seiner Input-Seite her thematisiert. (Zimmer 1997: 26f.)

17 Die kulturellen Einstellungen leitender Mitarbeiter kommunaler Kulturverwaltungen sind

auch der Gegenstand einer kultursoziologischen Untersuchung von Patrick Glogner. Der Autor zeigt in einer empirischen Studie die Unterschiede in der Auffassung von Kultur, Kulturkonsumenten, kulturpolitischen Konzepten und von Kulturmanagement, die mit der Jahrgangszugehörigkeit und der regionalen Herkunft als auch mit der Ausbildungs- und Studiensozialisation korrespondieren und das kulturpolitische Handeln beeinflussen (Glogner 2006).

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Ein weiteres Beispiel für den demokratiepolitischen Ansatz bildet Zembylas Argumentation. Österreichs verschlechterte wirtschaftliche Situation löst eine von der Logik der ökonomischen Rationalität ausgehende Diskussion über Kulturpolitik und Kulturbetriebe aus, in deren Zuge Kultureinrichtungen mit niedrigen Besucherzahlen in die Kritik geraten.

Unter solchen Vorzeichen hat sich eine spezifisch intentional gerichtete Diskussion über das ‚Warum‘, ‚Wofür‘ und ‚Für wen‘ öffentlicher Kulturförderung breit gemacht. (…) Es gibt aber ein kritisches Argument, das auf der demokratiepolitischen Funktion der Kultur und der Kulturpolitik insistiert: Kultur als ‚res publica‘ ist eine Angelegenheit der politischen Gemeinschaft und nicht nur der ökonomischen Rationalität. Es ist folglich bedenklich, wenn allein positive Externalitäten (z. B. Beschäftigung, Umwegrentabilität, Kulturtourismus, Standortsicherung) in den Vordergrund gestellt werden, um die raison d’être der öffentlichen Kulturförderung zu erklären. Solche Externalitätseffekte sind zwar wichtig, aber aus einer demokratiepolitischen Perspektive haben sie nur eine sekundäre Bedeutung. (Zembylas 2008: 158)

Die Frage nach dem Stellenwert von Kultur und Kulturpolitik ist in der For-schung eine zentrale. Ausgehend von der Sozialphilosophie entwickelt Fuchs eine These, derzufolge die zentrale Aufgabe der Kulturpolitik „in der Gestaltung eines symbolischen Diskurses über die Art und Weise, wie wir leben wollen, gesehen werden [kann]. Das ‚Projekt des guten Lebens‘ ist hierbei eine geeig-nete Zielperspektive“ (Fuchs 1998: 16). Der Stellenwert von Kulturpolitik ist auch Gegenstand der kulturpolitischen Untersuchung von Höpel (2007). Anhand von Fallstudien zu Lyon, Leipzig, Saint Etienne und Chemnitz befasst sich der Autor mit der Frage, welche Funktion und welche Bedeutung die städtische Kulturpolitik in Frankreich und Deutschland in der Zwischenkriegszeit besessen hat. Die vergleichende philosophisch angelegte Studie behandelt die Zeit, in der sich angesichts des Durchbruchs der kulturellen Moderne und – vor allem in Deutschland – der Demokratisierung der Gesellschaft neue Konzeptionen von Kulturpolitik etablierten. Diese historische Ausgangslage kann – bezüglich der politischen Veränderungen – entfernt mit der Situation Mittel- und Osteuropas nach dem Untergang des Sozialismus verglichen werden. Die Untersuchungsba-sis sind bei Höpel Metropolen zweiter Ordnung und große Industriestädte bzw. traditionelle und neue kulturelle Zentren. Anhand von Trägern, Zielen, Kon-zepten, Politikfeldern, Institutionen und Auswirkungen von städtischer Kultur-politik führt der Autor einen Kulturpolitikvergleich durch und belegt so die These, dass die Motivation der Kulturpolitik weniger künstlerischer Natur ist, sondern vielmehr durch politische Strategien zu erklären ist. Mit der Legitimität der öffentlichen Kulturpolitik beschäftigt sich weiterhin Wagner (2009) in einer kulturhistorisch angelegten Studie, der „das gegenwärtig gebräuchliche Ver-

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ständnis von Kulturpolitik als Handeln von politischen und gesellschaftlichen Akteuren in einem weit gefassten Praxisfeld künstlerisch-ästhetischer Produk-tion und Rezeption sowie kulturell-kreativer Aktivitäten“ zugrunde liegt (Wag-ner 2009: 26). Die Unterscheidung zweier Sphären öffentlichen Handelns – einer gesellschaftlichen und einer staatlich-politischen – ist für seine kulturpoli-tische Analyse von Bedeutung. „Dieses Auseinandertreten von Staat und Ge-sellschaft ging mit einer Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Gruppen und einer Pluralisierung kultureller Vorstellungen einher“ (Wagner 2009: 34). Die Gesellschaft übernimmt bestimmte Aufgaben und trifft kulturpolitische Ent-scheidungen, um sozialwirtschaftliche und -kulturelle Probleme zu lösen und Bildungsanforderungen zu erfüllen. Im Unterschied dazu ist Kultur aus Sicht der öffentlichen Hand zur Erfüllung repräsentativer Funktionen vonnöten.

In den Studien über die Kulturpolitik der deutschen Besatzungsmächte ist die Frage nach dem Stellenwert der Kulturpolitik grundlegend (Clemens 1994) und rückt als Bestandteil der gesamten politischen Aktivitäten der Alliierten in den Mittelpunkt. Die Autoren beschäftigen sich mit dem Umsetzungsgrad der kulturpolitischen Ziele der Alliierten und mit den Entscheidungsebenen und -trägern ihrer Kulturpolitik, um so die Rolle der Kulturpolitik auszumachen: War sie ein Teil der Deutschlandpolitik der Besatzungsmächte oder stand sie in Opposition zu ihr? Hudemann, ein Vertreter der „Drei-Säulen-Theorie“, zeigt in seinem Beitrag „Kulturpolitik in der französischen Besatzungszone – Sicher-heitspolitik oder Völkerverständigung“, dass Kulturpolitik „einen eigenen Stel-lenwert gehabt [hat] neben der französischen Sicherheitspolitik und neben der Politik der ökonomischen Nutzung der Zone“ und „im Kern eine Kulturpolitik im Sinne der Völkerverständigung“ war (Hudemann 1994: 187). Für das Anlie-gen der vorliegenden Arbeit sind das von Hudemann angewandte Verfahren, Kulturpolitik in ihren gesamtpolitischen Kontext zu stellen, sowie die Frage nach ihrem Stellenwert besonders wichtig, will sie doch aufzeigen, welche Bedeutung Kulturpolitik in einer sich verändernden Gesellschaft zukommt. Da diese von vielen Faktoren beeinflusst wird18 und regionale wie ideologisch bedingte Unterschiede aufweist, werden nun die theoretischen Ausführungen zum Stellenwert der Kulturpolitik in der russischen Wissenschaft kurz dargestellt.

18 Zu Bestimmungsfaktoren der Kulturpolitik siehe Kap. 2.1.6.

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Normatives Vorgehen in der russischen Forschung Die Analyse von Orlova (1993) versteht Kulturpolitik als soziokulturelle Tätig-keit. Nach Orlova stellt Kulturpolitik eine zielgerichtete Regulierung des sozio-kulturellen Lebens dar, die die Aufrechterhaltung und aktive Nutzung des vor-handenen kulturellen Potenzials anstrebt. Ihr zufolge ist das Hauptziel von Kulturpolitik, das Leben der Menschen geistig zu bereichern, den Horizont ihrer Entwicklungsmöglichkeiten zu erweitern und ihren Zugang zu Kultur und krea-tiven Tätigkeiten zu gewährleisten. Übergreifender Sinn der Kulturpolitik ist es dabei, zum intellektuellen Fortschritt der Bevölkerung beizutragen. Diese Defi-nition ist insofern interessant, als sie unter Kulturpolitik die Entwicklung von soziokulturellen Projekten versteht, die die historischen Werte, die kulturelle Vielfalt und die territorialen Besonderheiten einer Gesellschaft berücksichtigen und zur Lösung sozialer Probleme beitragen sollen.

Laut Sorokina (2002) ist die Einführung humanistischer und sozialer Ideale und Werte die Aufgabe von Kulturpolitik. Vetrova (2002) ist der Meinung, Kulturpolitik solle danach streben, Kultur und allgemeine Entwicklung mitein-ander zu verbinden und so die Kultur als eine der wichtigsten Dimensionen der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung zu etablieren (vgl. Vetrova 2002: 72). Laut Žitkov und Sokolov (2001) liegt die Hauptaufgabe von Kulturpolitik in der Etablierung eines Weltbilds. Dementsprechend ist sie darauf ausgerichtet, ein Selbstbild der Nation bzw. eine Weltanschauung zu erschaffen und zu ver-breiten, wobei gleichzeitig auch die traditionelle Weltanschauung weiterzuge-ben ist (Žitkov / Sokolov 2001). Insbesondere in Bezug auf die Kulturpolitik der Russischen Föderation stellt Rybina die These auf, dass Kultur in Krisenzeiten als soziale Konstante fungiert und die Bewahrung und Entwicklung des kreati-ven Potenzials einer Gesellschaft garantiert. Kulturpolitik wird so zum einen als Instrument zur Erzeugung von sozialer Stabilität angesehen und zum anderen als soziokulturelle Tätigkeit. Als solche ist es ihre Aufgabe, den Wohlstand der Gesellschaft zu fördern (vgl. Rybina 2001: 3).

Zu beachten ist, dass der demokratietheoretische Ansatz nicht in gleichem Maße für die Länder des ehemaligen Ostblocks gilt, in denen es zunächst um die Etablierung einer demokratischen Grundstruktur ging. Rozin und Žežko unter-scheiden für eine Definition von Kulturpolitik folgende Kategorien dieser: Kul-turpolitik selbst, Sozialpolitik, die mit kulturellen Mitteln arbeitet, und Kultur-politik, die ein Bestandteil von Sozialpolitik ist (vgl. Rozin / Žežko 1993). Diese Betrachtung von Kulturpolitik gründet in Erfahrungen aus der Zeit des Sozia-lismus, als es den Mitarbeitern kultureller Steuerungsorgane jahrzehntelang nicht erlaubt war, selbstständig eine eigenständige Kulturpolitik zu gestalten.

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Fazit Politik- und kulturtheoretisch, soziologisch, tätigkeitsbezogen – gegenwärtig gibt es viele Methoden zur Untersuchung von Kulturpolitik. Je nachdem wird diese dann als Kunstförderung oder als Gesellschaftspolitik, als Ideologie oder als politisches Wirken im Kulturbereich angesehen. Diese Vielfalt entspringt nicht dem Willen der Forscher, sondern dem Facettenreichtum der kulturpoliti-schen Tätigkeiten selbst. Zusammengefasst können folgende Ergebnisse festge-halten werden: Kulturpolitik ist ein dynamisches Phänomen und befindet sich stetig im

Wandel. Die Diskussion über Inhalt, Ziele und Ausrichtung von Kulturpolitik dauert

an. Kulturpolitik umfasst das Handeln öffentlicher und gesellschaftlicher Ak-

teure. Die Zweckbestimmtheit kulturpolitischen Handelns zeigt sich in ihren In-

halten, d. h. in Konzepten, Ideen und Programmen der Kulturpolitik. Kul-turpolitik hat eine gesellschaftliche Bedeutung.

Alle Bestimmungen von Kulturpolitik haben folgende Faktoren gemeinsam: Der Staat übernimmt als Akteur eine bestimmte Rolle; die Akteure der Kulturpolitik agieren aus bestimmten Motiven heraus,

verfolgen bestimmte Zwecke, die Akteure verbreiten auf diese Motive abgestimmte Inhalte und verfolgen

konkrete Ziele; Kulturpolitik ist auf einen konkreten Gegenstand ausgerichtet.

2.1.3.4 Zusammenfassung der Erkenntnisse und ihre Bedeutung für das

weitere Vorgehen Für den Gegenstand der vorliegenden Arbeit lässt sich aus diesen Erkenntnissen Folgendes festhalten: Erstens fand in der sozialistischen Diktatur keine Tren-nung von Staat und Gesellschaft statt19. Die Gesellschaft wurde durch den Staat nicht nur reguliert, sondern in jeder Hinsicht bestimmt. Für die dieser Arbeit zugrundeliegenden Thesen ist es wichtig, den Prozess der Trennung von Staat und Gesellschaft als eine Art (im Vergleich zu westeuropäischen Demokratien)

19 Zur sozialistischen Kulturtheorie siehe Kap. 3.1.

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nachholende Entwicklung zu betrachten. Die Transformation der Kulturpolitik kann von dieser Annahme ausgehend als Veränderungsprozess betrachtet wer-den, in dessen Verlauf sich gesellschaftliches Handeln und Gesellschaft als ge-sonderte Akteure herausbilden. Außerdem davon ausgehend, dass nach dem politischen Umbruch in Mittel- und Osteuropa besonders die Legitimität der Kulturpolitik in Frage gestellt bzw. nicht mehr gegeben war, scheint zweitens die Frage nach dem Sinn von Kulturpolitik für die Periode des Postsozialismus von besonderer Bedeutung zu sein.

Die sozialphilosophische Herangehensweise, die nach dem Stellenwert der Kulturpolitik für die gesellschaftliche Entwicklung fragt, erschließt wichtige Erkenntnisse über implizite politische Ziele, über die repräsentative Nutzung oder gar die politische Instrumentalisierung von Kunst und Kultur. Bei der Analyse der Transformation von Kulturpolitik stellt sich somit unausweichlich die Frage nach Sinn und Grenzen von Kulturpolitik in einer sich verändernden Gesellschaft. Wie wird sie in den verschiedenen Ländern beantwortet, in denen sich die Staatsideologie aufgelöst hat, innerhalb derer der Stellenwert von Kul-turpolitik bisher angesiedelt gewesen war?

In Hinblick auf die Akteure der Kulturpolitik legt die vorliegende Arbeit den Schwerpunkt zunächst auf die staatliche Ebene (Teil 3 und Teil 4). Danach wird nach den Auswirkungen der Kulturpolitik auf kommunaler Ebene gefragt, wobei öffentliche und gesellschaftliche Akteure in den Blick genommen werden (Teil 5). Der Grund hierfür liegt in der Absicht, die staatliche Kulturpolitik nach dem Systemzusammenbruch in ihrem Verlauf zu analysieren. Außerdem lassen sich aus staatlichem Handeln – das in den Primärquellen der staatlichen Organe zum Ausdruck kommt –, die Freiräume gesellschaftlichen Handelns ablesen. 2.1.4 Typologie der Kulturpolitik Die Erkenntnisse des vorherigen Unterkapitels bilden die Basis einer allgemei-nen Typologie von Kulturpolitik. Ausgehend von Kriterien wie der Rolle des Staates in der Kulturpolitik sowie ihrem Zweck, ihrer inhaltlichen Ausrichtung und ihrem Gegenstand sollen Konzepte und Erscheinungsformen von Kulturpo-litik typologisiert und im empirischen Teil der Arbeit anschließend analysiert werden. Mit der wissenschaftlichen Erkenntnismethode der Typologisierung lässt sich das Wissen über das Untersuchungsobjekt nach bestimmten Kriterien aufteilen und gruppieren.

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2.1.4.1 Die Rolle des Staates als Akteur der Kulturpolitik Die Rolle des Staates in der Kulturpolitik ist sehr unterschiedlich und hängt von vielen Faktoren ab: z. B. davon, welche Rolle die zentrale Administration, der private Sektor und nichtstaatliche Organisationen (Verbände, Vereine) im gesellschaftlichen Leben einnehmen.

Der Staat wird in kulturellen Angelegenheiten entweder im Rahmen der hoheitlichen Verwaltung aktiv, wenn die Staatsorgane mit direkten Weisungen und Zwangsgewalt auftreten, oder als Träger von Privatrechten im Rahmen der nicht-hoheitlichen Verwaltung, z. B. als Auftraggeber oder Förderer. (Zembylas 2008: 150)

Zu untersuchen ist, in welcher Weise die Rolle des Staates neu bestimmt wurde, als sich öffentliches Recht und privatrechtliche Normen nach dem Systemum-bruch im Wandel befanden. Zur besseren Orientierung in der empirischen Un-tersuchung werden hier zunächst verschiedene mögliche Rollen und Funktions-möglichkeiten des Staates in Bezug auf seine Kulturpolitik dargestellt.

Chełmińska (1993) unterscheidet für die Typologisierung von Kulturpolitik drei Kriterien: den Grad des Zentralismus, die funktionalen Präferenzen der Kulturpolitik und die Interventionsformen des Staates. Je nachdem, ob die staatliche Steuerung zentral oder dezentral organisiert ist, und ob die Instru-mente, die dem Staat für die Kulturpolitik zur Verfügung stehen, ausschließlich von staatlichen Exekutivorganen oder von mehreren Akteuren genutzt werden, unterscheidet die Autorin eine starke Zentralisierung (Frankreich), eine ausge-wogene Aufteilung (Schweden, Italien) und eine starke Dezentralisierung (Schweiz, Deutschland). Die funktionalen Präferenzen des Staates untergliedert sie in die Förderung von professionellen Künsten und Kulturbildung im Sinne des affirmativen Kunst- und Kulturverständnisses, in die Demokratisierung von Kultur und in den Schutz des Kulturmarkts. In Hinblick auf staatliche Interven-tionsformen zählt Chełmińska folgende Modelle auf: Reglementierungsmodell: Kultur wird gesetzlich reguliert; voluntaristisches Modell: unmittelbare Interventionen in die Kultur; Popularisierungsmodell: Beauftragung anderer Akteure mit kulturpoliti-

schen Zielen und Aufgaben; Förderungsmodell: Weitergabe von Mitteln an Dritte anhand festgelegter

Kriterien; Stimulierungsmodell: Entwicklung gezielter Programme und Maßnahmen

und ihre Finanzierung. Im transnationalen Vergleich unterscheidet von Beyme vier Modelle: Die eta-tistische Tradition (Frankreich und Österreich); parastaatliche Institutionen wie

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autonome Fonds (Skandinavien und die Niederlanden); föderalistische Institu-tionen (Deutschland und Belgien); zivilgesellschaftliche Kulturpolitik mit geringer staatlicher Förderung (USA) (vgl. von Beyme 2005: 126). Das Modell der Kulturfinanzierung hängt somit von der Rolle ab, die der Staat bei der Reali-sierung der Kulturpolitik einnimmt. Vostrjakov schlägt diesbezüglich folgende Typologie vor: 1) Die charismatische Politik unterstützt vor allem solche Kul-turprojekte (Organisationen und Künstler), die nationale Bedeutung besitzen. 2) Die Politik des Zugangs konzentriert sich auf die Gewährleistung des gleichen Zugangs aller Bevölkerungsschichten zur Kultur. 3) Die Politik des kulturellen Selbstausdrucks erkennt die Rolle der Entwicklung und Etablierung einer kulturellen Identität an (vgl. Vostrjakov 2004).

Dragićević-Šešić untersucht die Rolle des Staates anhand zweier Kriterien: einerseits anhand des Charakters des politischen Systems und andererseits anhand der Konstellation der Akteure bei der Realisierung der Kulturpolitik. Dabei unterscheidet sie vier Modelle. 1) Das Hauptcharakteristikum des ersten Modells, der sogenannten neoliberalen Kulturpolitik, ist die aktive Präsenz des Markts und dessen deutlicher Einfluss auf die Ausbildung des Kulturangebots. 2) Das zweite Modell, das der staatlich-bürokratischen Kulturpolitik, zeichnet sich durch die Dominanz des Staates aus, der den Kulturbereich mithilfe seines Apparats (gesetzgebend, politisch und ideologisch) und seiner Finanzen kon-trolliert. Von diesem Modell war die Kulturpolitik der sozialistischen Länder gekennzeichnet. 3) Im Vordergrund des dritten Modells, der sogenannten kultu-rellen nationalen Befreiungspolitik, steht das Phänomen der geschlossenen Kultur. Hauptmerkmal solcher Kulturpolitik ist die Entwicklung oder Behaup-tung von angeblich unterdrückten ursprünglichen kulturellen Traditionen. In den ehemaligen Kolonien, aber auch in den postsozialistischen Ländern, und dort insbesondere in manchen Nachfolgestaaten der Sowjetunion, wird der Staat über den Wunsch nach Befreiung von einer fremden, herrschenden Ideologie zu einem aktiven Akteur der Kulturpolitik. 4) Als viertes nennt Dragićević-Šešić das sogenannte Übergangsmodell, dessen Merkmal die Inkompatibilität von Zielen und Realisierungsmöglichkeiten der Kulturpolitik ist. Obwohl der Staat demokratisch orientiert ist und nach Liberalisierung strebt, sind die Interessengruppen der Kulturpolitik nicht imstande, auf die kommando-bürokratischen Methoden zu verzichten (vgl. Dragićević-Šešić 1998). Diese Typologie berücksichtigt Spezifika von Übergangssituationen und eignet sich zur Darstellung der postsozialistischen Kulturpolitik in Mittel- und Osteuropa.

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2.1.4.2 Zweck der Kulturpolitik Wie jede Tätigkeit benötigt auch die Kulturpolitik Imperative, die eine Antwort auf die Frage „Wozu?“ geben. Sie bezeichnen den Grund einer zielgerichteten Tätigkeit oder eines zielgerichteten Verhaltens und halten fest, was mit der Kulturpolitik erreicht werden soll. Die Frage nach dem „Wozu?“ ist die nach der Legitimation von kulturpolitischen Aktivitäten, wie etwa staatlicher Kunst- und Kulturförderung, oder auch deren Ausbleiben, also dem Desinteresse der Kul-turpolitik an bestimmten Bereichen. In seinem Nachhaltigkeitskonzept der Kul-turpolitik kritisiert Klein (2005), dass die Debatte über die Kulturpolitik in Deutschland

wesentlich angebotsorientiert [verläuft] und in ihrem Kern strukturkonservativ [ist], da sie sich weitgehend auf den Erhalt einer (…) Infrastruktur beschränkt. Sie stellt daher kaum noch die notwendigen Fragen nach dem Ziel kulturpolitischer Anstrengungen und ihrer möglichen gegenwärtigen (und vor allem zukünftigen!) Adressaten. (Klein 2005: 9)

In Anlehnung an Hennecke20 werden unter Nachhaltigkeit „zum einen eine Begrenzung auf der Nutzungsseite und auf der anderen Seite aktive Maßnahmen zur Regeneration“ verstanden. Basierend auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit stellt Klein die Frage: „Wie gelingt es heute sicherzustellen, dass ein ausrei-chend breites Publikum auch morgen kulturelle und künstlerische Angebote nachfragen wird?“ (Klein 2005: 26) Die Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung von Kultur ist in zweierlei Hinsicht brisant: Denn die Kunst- und Kulturangebote leiden nicht selbst an mangelnder Nachfrage. Problematisch sind vielmehr die mangelhafte kritische Auseinandersetzung mit Kultur und die letzten Endes daraus resultierende ebenso mangelhafte kreative Erneuerung der Gesellschaft.

Die für die Politik grundlegende Frage lautet: Wozu sind „all die Kulturan-gebote in Tanz, Literatur, Theater, Museen etc. gut“ (Fuchs 1998: 12)? In Hin-blick auf das Ziel dieses Unterkapitels und in Anlehnung an Fuchs können solche Zweckbestimmungen der Kulturpolitik aufgezeigt werden: Zu ihrer eigenen Legitimation setzt die Kulturpolitik ökonomische, politische, anthropo-logische, pädagogische und staatstheoretische Argumente ein. Dabei ist zu bedenken, dass die Typisierung der Begründungen nur ein Hilfsmittel zur Reduzierung von Komplexität darstellt und die Argumente sich in der Praxis vermischen. 20 Hennecke, Frank J. (1999): Nachhaltigkeit – Modewort oder ein neues Paradigma für politische

Kultur und Bildungspolitik? Vortrag gehalten am 26.5.1999 vor dem Pädagogischen Zentrum Bad Kreuznach, zitiert nach Klein 2005.

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Als erstes wird Kulturpolitik als eine Politik angesehen, „die Eingriffe in gesellschaftliche Prozesse legitimiert“, die für eine bewusste Gestaltung des Gemeinwesens wichtig sind (ebd., 202).

Die zweite Begründung führt Bildung und Erziehung als Mittel der Kultur-politik (ebd., 206) an.

Die dritte Begründung argumentiert aus staats- und verfassungstheoreti-scher Perspektive: „Das Grundgesetz kennt fünf Staatsziele: Demokratie, Bundesstaat, Republik, Sozial- und Rechtsstaat. Insbesondere das Sozial- und Rechtsstaatsprinzip werden daher wieder zugezogen, wenn es um eine grundsätzliche Verankerung eines Praxis- und Politikfeldes geht (…)“ (ebd., 208).

Die vierte Begründung ist soziologischer Natur und speist sich aus der Bedeutung von Kultur für die Funktionsweise von Gesellschaft und Gemeinschaft (vgl. ebd., 212).

Die fünfte Begründung ist eine ökonomische: „Das Ökonomie-Modell kulturpolitischer Begründung arbeitet mit einer Entmythologisierung von Kunst, da sie – als eine Ware unter anderen – keinen besonderen Nimbus benötigt (…)“ (ebd., 217).

Und die sechste Begründung vollzieht einen kunsttheoretisch-ästhetischen Zugang zur Kulturpolitik. „Kunst selbst muss also nicht bloß Gegenstand und Objekt dieser ökonomischen, sozialen, moralischen etc. Aktivitäten sein können: sie – oder besser: die Kunstwerke und -prozesse – müssen auch Mittel und Medium für diese Prozesse sein können“ (ebd., 219).

Wagner zeigt in seinem kulturhistorischen Werk (2009) die Herausbildung von je nach politischer und sozialwirtschaftlicher Lage ganz unterschiedlichen Motiven der staatlichen Kulturpolitik im Europa der vergangenen Jahrhunderte. Dies kann an einem Beispiel verdeutlicht werden:

Um die Jahrhundertmitte [1850, d. Verf.] setzte in wachsendem Maße eine öffentliche Kunstförderung ein, die einer Legitimation bedurfte, denn sie trat an die Stelle, wo bislang bürgerschaftliche Selbstorganisation, Marktmechanismen oder fürstlicher Wille die kultu-rellen Einrichtungen und künstlerischen Aktivitäten trugen. (Wagner 2009: 289)

In diesem Zitat kommt der Rechtfertigungsdruck zum Ausdruck, der auf den kulturpolitischen Aktivitäten des Staates lastet. Wagner zeigt außerdem, dass ein zweckgerichtetes Kulturpolitikverständnis eine lange Tradition aufzuweisen hat. Kulturpolitik hat, wie ein Beitrag Sprangers im „Politischen Wörterbuch“ zeigt,

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seit ihrem ersten Auftreten nicht nur den Zweck, Kunst und Künstler zu unterstützen, sondern immer auch die Funktion, dass der Staat sich der Kultur als Mittel für seine Zwecke bedient. Kulturpolitik, ‚hat entweder die Hervorbringung von ‚Kultur‘ zum Ziele, oder sie bedient sich der Kultur als Mittel für Machtzwecke. In der kürzesten Antithese: der Sinn der Kulturpolitik ist entweder Kultur durch Macht oder Macht durch Kultur‘.21 (Wagner 2009: 349)

Insbesondere in Hinblick auf die kommunale Ebene ist Kulturpolitik in den Mittelpunkt wissenschaftlicher Diskussionen geraten. Brinckmann führt das Zusammenspiel von strategischer Kulturpolitik und strategischer Kommunalpo-litik vor und stellt heraus, in welchen Dimensionen die erstere auftritt. In Hinblick auf die Kommunalpolitik erklärt er, dass kulturpolitisches Handeln (auch) als Beitrag zu anderen Aufgaben zu verstehen ist, da eine selbstlose Förderung von Kunst und Kultur nur selten vorkommt. Dementsprechend leistet Kulturpolitik einen Beitrag zur Arbeits-, Wirtschafts-, Standort-, Tourismus-, Bildungs-, Jugend-, Geschlechter-, Sozial-, Integrations- und Städtebaupolitik (vgl. Brinckmann 2006: 18). In Anlehnung an McGuigan (2004) unterscheidet Brinckmann zwei Kategorien von kulturpolitischen Motiven: Zum einen dient Kulturpolitik originär kulturellen Zielen, wie der öffentlichen Fürsorge für die Künste und der Sicherung der kulturellen Identität. Zum anderen fördert sie das Prestige des Staates oder ist auf ökonomische Ziele ausgerichtet (vgl. Brinck-mann 2006: 21).

Die Frage nach den Motiven der kulturpolitischen Akteure beantwortet Vogt, indem er anhand ihrer Adressaten sechs Zwecke öffentlicher Kulturpolitik unterscheidet: das subjektive Wohlergehen der Bevölkerung aus wohlfahrts- und demo-

kratietheoretischer Sicht; die Förderung einer kreativ-kritischen Strömung in der Gesellschaft aus

kreativitätstheoretischer Perspektive; die Befriedigung der Wünsche von institutionell eingebundenen Kunst-

schaffenden; die Entwicklung der Zivilgesellschaft als tragendes Element des Staates

und der gesellschaftlichen Strukturen; die wertschätzende Anerkennung natürlicher wie juristischer Personen; sowie die Gestaltung der Zukunft durch ästhetische Arbeit an, für und mit

der jungen Generation (vgl. Vogt 2009a: 3). Gesellschaftspolitisch motivierte Kulturpolitik möchte vor allem die Ver-

bindung von gesellschaftlicher Entwicklung und Kultur stärken, um so „kultu-rellen Dilettantismus“, der durch eine Ungleichmäßigkeit der gesellschaftlichen

21 Wagner zitiert Eduard Spranger 1923: 1087.

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Entwicklung entsteht, zurückzudrängen und eine harmonische Entwicklung der Gesellschaft und/oder ihrer einzelnen Gruppen zu gewährleisten (vgl. Balakšin 2005: 142). Ästhetisch und bildungspolitisch motivierte Kulturpolitik trägt dazu bei, das Leben der Menschen geistig zu bereichern, ihre Fähigkeiten zu erken-nen und zu fördern und ihre Möglichkeit zur kulturellen Integration durch viel-fältige Formen schöpferischer Tätigkeit zu gewährleisten (vgl. Orlova 1993).

Zusammenfassend und in Anlehnung an Kleins theoretische Erkenntnisse lassen sich die Motive von Kulturpolitik in vier Kategorien unterteilen, die Klein als inhaltliche Ziele von Kulturpolitik kategorisiert (vgl. Klein 2003: 156f.). Sie sind: ästhetisch-inhaltliche Ziele, die zur freien Entfaltung von Kunst und Kultur

beitragen; bildungspolitische Ziele, bei denen Kultur zu individueller Bildung bei-

trägt; gesellschaftspolitische Ziele, bei denen Kultur mit der gesellschaftlichen

Entwicklung verbunden ist; sowie ökonomische Ziele, bei denen durch Kultur ökonomischer Gewinn

angestrebt wird. 2.1.4.3 Inhaltliche Ausrichtung der Kulturpolitik Kulturpolitik ist unterschiedlich motiviert. Sie verbreitet mit ihrer programmati-schen Arbeit Inhalte, die mit einer breiten Palette von Motiven abgestimmt ist: Sie reicht von nationalen oder demokratischen Ideologien über patriarchalische, traditionalistische, identitätsstiftende, demokratiefördernde und soziale Ideen bis hin zur Selbstdarstellung aller gesellschaftlichen Milieus und der Verbreitung der postmodernen Ästhetik. Der Prozess der Bestimmung dieser Motive ist (in einer demokratischen Gesellschaft) komplex. In folgender Abbildung zeigt Heinrichs die Vielfalt der am kulturpolitischen Diskurs beteiligten Akteure:

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Abbildung 2: Am kulturpolitischen Diskurs beteiligte Akteure; Quelle:

Heinrichs 1999b: 82. Aus der Abbildung lässt sich ableiten, dass „Kulturpolitik keine lineare Abfolge von logischen Schlüssen ist, sondern ein sehr lebendiger Prozess mit ungewis-sem und deshalb stets spannendem Ausgang“ (ebd.). Es können jedoch drei Modelle unterschieden werden: Das totalitäre Modell (das in der Sowjetunion herrschte), in dem die inhaltlichen Ziele direkt durch die politischen Eliten bestimmt und von einem paternalistisch agierenden Staat umgesetzt werden. Hier versuchen die kulturpolitischen Akteure, allen Interessengruppen des kulturellen Lebens die staatliche Ideologie aufzudrängen, um so deren Basis zu sichern und zu erweitern. Die elitäre Kulturpolitik (wie sie in postkolonialen Staaten zu finden ist) beschränkt sich auf die Umsetzung von Prioritäten und Zielen, die die herrschende Kulturelite festlegt (und entsprechend auch die Ressourcen verteilt). Die liberale Kulturpolitik ist dagegen darauf ausgerichtet, die Realisierung der Ideen und Konzepte sämtlicher Akteure des Kulturbereichs und des kulturellen Lebens zu ermöglichen und verbreitet eine pluralistische Weltanschauung. Inwieweit in den postsozialistischen Ländern die Teilnahme aller dargestellten Akteure (aus Abbildung 2) ermöglicht wurde, ist schwer zu analysieren: Die Akteursstrukturen wandelten sich bzw. benötigten eine gewisse Zeit, um sich zu etablieren.

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2.1.4.4 Gegenstand der Kulturpolitik Entsprechend ihrer verschiedenen Inhalte und den dahinter stehenden Zwecken konzentriert Kulturpolitik sich auf unterschiedliche Gegenstände. Während auf staatlicher Ebene die nationale Kultur im Vordergrund steht, bilden die Entfal-tungsmöglichkeiten der Individuen den Schwerpunkt der lokalen Kulturpolitik. Im Mittelpunkt einer tätigkeitsbezogenen Politikbestimmung stehen die Kultur-einrichtungen, während z. B. soziokulturelle Besonderheiten ins Zentrum der regionalen Kulturpolitik geraten. So macht Orzechowski beispielsweise darauf aufmerksam, dass die polnische Kulturpolitik dringend die Frage nach ihrem eigentlichen Gegenstand beantworten muss. Am Beispiel anderer Länder zeigt er, welche Dimensionen im Zentrum der kulturpolitischen Aktivitäten stehen können, um dann zu fragen: „Was ist unsere [polnische, d. Verf.] Wahl?“. Ist es die Hauptstadt Warschau, wie in Österreich Wien? Ist es, wie in den Niederlan-den, das Buch? Oder ist es die Auswärtige Kulturpolitik, um ein bestimmtes Image des Landes gegenüber dem Ausland zu fördern, wie das in Ungarn geschieht (vgl. Orzechowski 2004: 65)? Nicht zu unterschätzen ist die Bedeutung der uneinheitlichen Struktur der Gesellschaft – ihre Subkulturen und Interessengruppen, die konfessionellen und Bildungsunterschiede in Bevölke-rung –, durch die einerseits ein Universalismus und andererseits diverse spezifische Lösungen und Programme zur Aufgabe von Kulturpolitik werden. Aus dieser Situation resultiert eine Unklarheit über das Objekt der Kulturpolitik, das es im Kontext der kulturpolitischen Rahmenbedingungen zu bestimmen gilt.

Alle dargestellten Konzepte zum Stellenwert der Kultur im gesellschaftli-chen Leben und zur Rolle der kulturpolitischen Akteure schlagen sich in staatli-chen Entwicklungsprogrammen, Gesetzen, Parteiprogrammen und in den offizi-ellen Dokumenten der Exekutivorgane nieder. Hier formulieren die staatlichen Akteure ihr Kulturverständnis und legen den Gegenstand der Kulturpolitik fest, so dass die jeweils verbreiteten Ziele und Inhalte dem Inhalt dieser Dokumente entsprechen. Sie werden in Teil 3 und Teil 4 untersucht. 2.1.5 Kulturpolitik bestimmende Faktoren Die verschiedenen Modelle von Kulturpolitik entstehen nicht in einem interes-senlosen Raum, sondern sind durch viele Faktoren bedingt. Die wichtigsten werden im Folgenden dargestellt.

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Politischer Diskurs Als kulturelles Phänomen und als System der weltanschaulichen und wertenden Prinzipien hat der politische Diskurs in einer Gesellschaft großen Einfluss auf deren kulturpolitische Ausrichtung. Dieser Diskurs, der die allgemeine Ent-wicklung der Gesellschaft in vielerlei Hinsicht bestimmt, weist auch der Kultur eine bestimmte Rolle zu. Die staatliche Doktrin der Sowjetzeit, die Kultur aus-schließlich als unproduktiven Wirtschaftssektor wahrnimmt, ist, so Purchla (vgl. Purchla 2001: 30), einer der Faktoren, die die Entwicklung der postsozialisti-schen Reformen im Kulturbereich am stärksten behinderten. Die Instrumentali-sierung der Künste, die Verbreitung von Normen und – je nach Epoche – die Präferierung eines inklusiv-deskriptiven oder eines exklusiv-normativen Modells von Kultur gründen in den Prinzipien der liberalen, der nationalsozialistischen oder der kommunistischen Ideologie und bestimmten entsprechend Inhalt und Ausrichtung der jeweiligen Kulturpolitik. Zu betonen ist außerdem, dass der Systemumbruch nicht unmittelbar zur Konstituierung von neuen, unabhängigen Staaten geführt hat. Vielmehr standen zahlreiche Fragen zur Bildung bzw. Konsolidierung der Nationen auf der Agenda, die auch den Rahmen der kulturpolitischen Bestimmungen bildeten. Wirtschaftssituation und Finanzierungsmöglichkeiten Neben seiner politischen Ideologie ist die Bedeutung der wirtschaftlichen Lage eines Landes bzw. einer Kommune nicht zu unterschätzen. Sie beeinflusst nicht nur die Verwirklichung der kulturpolitischen Ziele. Ein Wachstum der Wirt-schaft sorgt auch für eine gewisse Planungssicherheit und Stabilität, die sich in langfristigen kulturpolitischen Entwicklungsstrategien niederschlagen kann. Der Anstieg des Einkommensniveaus sowie in Richtung Event- und Freizeitgesell-schaft veränderte Gewohnheiten der Bevölkerung bringen für die strategische Kulturpolitik Herausforderungen und Chancen und neue Möglichkeiten der Finanzierung von Kulturangeboten mit sich. Kommt es dagegen zu einem wirt-schaftlichen Abschwung oder zu einem Umbruch, werden finanzielle Mittel aus dem Kulturbereich abgezogen. Insbesondere in Umbruchszeiten, in denen auch die Prioritäten des gesellschaftlichen Lebens neu bestimmt werden, mangelt es der Kultur häufig an Geld. Dieser Umstand hängt unmittelbar mit dem nächsten Bestimmungsfaktor zusammen.

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Stellenwert des Kulturbereichs in Gesellschaft und Politik Der Kulturbereich erhält eine jeweils unterschiedliche Bedeutung, je nachdem, ob der Bestimmung von Kultur Kulturbetriebe, historische Denkmäler, die indi-viduelle Entwicklung der Bürger und ihrer Entfaltungsperspektiven oder all diese Bereiche gemeinsam zugrunde gelegt werden. Die Bedeutung, die der Polyfunktionalität von Kultur zugemessen wird, und die Vorstellungen, die über die Natur kultureller Prozesse und ihren Einfluss auf die gesellschaftliche Ent-wicklung vorherrschen, bestimmen die Rangfolge der staatlichen und gesell-schaftlichen Auseinandersetzung mit den Problemen des Kulturbereichs. Zur Verdeutlichung kann eine Studie von Nefedenko herangezogen werden, die die Ursachen der geistigen Krise in Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion analysiert. Der Materialismus der Politik und der Pragmatismus der Wirtschaft, so Nefedenko, entziehen den Reformplänen „die humane Di-mension“, der Mensch mitsamt seinen geistigen Bedürfnissen kommt in den wirtschaftlichen Reformen nur am Rande vor. Entsprechend haben Wissen-schaft, Bildung und Kultur in den ersten Jahren der postsozialistischen Periode in Russland an Bedeutung verloren. Die Intelligenz und die Mitarbeiter des Kulturbereichs, deren Arbeit an Prestige verlor, gerieten dabei durch niedrige Bezahlung an den Rand eines menschenwürdigen Daseins (vgl. Nefedenko 2002: 71). Emanzipation der Kulturpolitik im gesamtpolitischen System Indem Staat und Gesellschaft die Rolle der Kultur anerkennen, bekommt die Kulturpolitik eine gewisse Bedeutung innerhalb des gesamten politischen Systems. Ihre Stellung in Bezug auf andere Politikbereiche kann dabei jedoch sehr unterschiedlich eingeschätzt werden. Mit Blick auf die weit gefächerten Möglichkeiten der Kultur wird Kulturpolitik z. B. als integrierende Kraft des politischen Systems betrachtet. Einen Gegensatz dazu bildet die amtliche „Autonomisierung“ der Kulturpolitik als „Politik im Kulturbereich“, die Kulturpolitik mit der Verwaltung von Kultureinrichtungen gleichsetzt. Proble-matisch ist, dass in den Übergangsgesellschaften auch psychologische Hürden den Stellenwert der Kulturpolitik mindern. Theoretische Modelle Kulturpolitische Praxis hängt nicht zuletzt auch vom Tiefgang der kultursozio-logischen, politik- und kulturwissenschaftlichen Studien ab. Ihre Theorien, von

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der marxistisch-leninistischen Kulturtheorie bis hin zum Konzept der „Kultur für alle, Kultur von allen“, bilden eine Grundlage der Praxis, wobei Erkennt-nisse allerdings erst von Politikern akzeptiert und von den Akteuren der kultur-politischen Praxis angewendet werden müssen. Historische Erfahrungen Die Geschichte des Föderalismus in Deutschland, die marktwirtschaftlich-libe-rale Entwicklung in den USA oder die imperialistische Vergangenheit Russ-lands: All diese historischen Besonderheiten spiegeln sich heute in Struktur und Inhalten der Kulturpolitik der jeweiligen Länder wider. Wagner zeigt beispiels-weise die historische Entwicklung der deutschen Kulturpolitik als Ergebnis von mindestens vier Prozessen, die bis heute ihre Struktur und die Aufteilung ihrer Kompetenzen beeinflussen:

Erstens, die Entstehung der frühmodernen Staaten mit zentralistischen Verwaltungen (…). Zweitens, die Ausbildung einer von der politischen Sphäre getrennten, sich zunehmend ausdifferenzierenden Gesellschaft auf der Grundlage einer frühkapitalistischen Produktions-weise (…). Drittens, der Ausbau der Städte zu Zentren dieser neuen gesellschaftlich-politischen Entwicklungen (…). Viertens, eine gestiegene Bedeutung und zunehmende Einbindung von künstlerisch-kulturellen Aktivitäten beim Aufbau des Staates, der Ausbildung der Gesellschaft und dem Ausbau der Städte. (Wagner 2009: 39)

Zusammengefasst wird deutlich, dass „politisches Handeln niemals an einem historischen Nullpunkt [einsetzt]. ( …) Was für politisches Handeln allgemein gesagt wird, gilt umso mehr für kulturpolitisches Handeln, da das Historische ein ganz wesentliches Element aller Kultur ist, wie es schon Begriffe wie ‚kultu-relles Erbe‘ oder ‚Kulturgut‘ nahe legen“ (Klein 2008b: 100). Die Rahmenbe-dingungen von Kulturpolitik können also u. a. als Konsequenzen historischer Entwicklungen betrachtet werden. Normen und Werte Die historische Entwicklung eines Landes ist sowohl implizit gegenwärtig, in seinen Normen und Werten und in Form von Traditionen und Gewohnheiten, als auch explizit, in Gesetzen und Verordnungen. Der Einfluss herrschender Normen und Werte kann am Beispiel von Jurij Lotmans Kulturtheorie erläutert werden, die zwei Kulturtypen unterscheidet. Die Kulturen der ersten Kategorie betrachten sich als Gesamtheit der Texte, Ereignisse und Präzedenzfälle. Dieje-nigen der zweiten Kategorie sehen sich als Gesamtheit der Normen und Regeln an. Während für die erste Kategorie sämtliche Erscheinungen, die in einer

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Gesellschaft existieren, berechtigt sind, erkennt die zweite nur die an, die sie als berechtigt ansieht (vgl. Lotman 1971). Übertragt man diese Theorie auf die Kulturpolitik, so sind deren Anordnungen im ersten Fall zulassender und im zweiten Fall verbietender Natur. Bedürfnisse und Möglichkeiten der Bevölkerung Während die Bevölkerung der demokratischen Länder ihre kulturellen Bedürf-nisse frei äußern konnte, ordnete das ideologische Diktat des sozialistischen Systems persönliche kulturelle Bedürfnisse den Zielen der Kulturrevolution22 unter. Außerdem beeinflussen persönliche Prioritäten sowie das Bildungs- und Einkommensniveau entscheidend die Möglichkeiten, die Menschen zur Verfü-gung stehen und von ihnen wahrgenommen werden. Äußere Einflüsse Europäische Integration und Globalisierung schaffen auf nationaler wie auf lokaler Ebene neue rechtliche, wirtschaftliche und politische Strukturen und beeinflussen darüber die Bildung von formellen und informellen Institutionen. Schon Mitte der 1990er Jahre wurde die Frage, inwieweit man die Transforma-tionsprozesse von außen fördern bzw. stabilisieren kann, wissenschaftlich be-handelt (Sandschneider 1996). Heute sehen die Wissenschaftler einen unmittel-baren Zusammenhang zwischen der EU-Integration und den Transformations-erfolgen von mittel- und osteuropäischen Ländern. Die Kandidaten und späteren Mitglieder der EU aus Mitteleuropa haben mit deren Unterstützung weitrei-chende Veränderungen auf institutioneller Ebene sowie die auf politischer Ebene notwendigen Reformen vollzogen. Die ost- und südosteuropäischen Staaten, denen keine Beitrittsperspektive eröffnet worden ist, mussten die Trans-formation in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre dagegen allein bewältigen. Außerdem bildet Russland in einem erweiterten Europa weiterhin einen Inte-grationsgegenpol zur EU, der die kulturpolitischen Strategien seiner Nachbar-länder beeinflusst.

Fazit Fasst man die vorliegenden Determinanten zusammen, so lässt sich schließen, dass Zwecke, Inhalte, Gegenstände und Modelle von Kulturpolitik auf die in-

22 Der Begriff „Kulturrevolution“ wird im Kap. 3.1 erläutert.

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nere Logik politischer Ideale und ideologischer Wertungen sowie auf die reale Wirtschaftssituation zurückzuführen sind. Sie sind somit Folgen von histori-schen Entwicklungen, die allerdings durch die moderne Wissenschaft und durch geopolitische Umwandlungen beeinflusst werden. Kulturpolitik konzipiert ihre kurz- und langfristigen Kulturentwicklungsstrategien auf der Grundlage realer oder künstlich geschaffener Bedürfnisse der Bevölkerung sowie aufgrund all-gemein anerkannter Normen. 2.1.6 Auswirkungen der Kulturpolitik auf die Kulturbetriebe Je nach Zweck, inhaltlicher Ausrichtung, Gegenstand und Grad der staatlichen Teilnahme kann sich Kulturpolitik hemmend oder fördernd, direkt oder indirekt, geringfügig oder weitreichend auf den Kulturbereich und den Stellenwert der Kulturbetriebe auswirken. Auf der Basis der gewonnenen theoretisch-methodo-logischen Erkenntnisse werden diese Auswirkungsmöglichkeiten nun anhand einer Matrix systematisiert.

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Tabelle 1: Auswirkungen der Kulturpolitik auf die Kulturbetriebe; Quelle: Eigene Darstellung

Kulturpolitische Rahmenbedingungen

Auswirkung

Rolle des Staates / Modell der Kulturpolitik

neoliberales Modell

Die Kulturbetriebe übernehmen eine aktive, partizipative Rolle, um die kulturellen Bedür-fnisse der Bevölkerung zu erkennen und zu befriedigen.

staatlich-bürokratisches Modell

Die Organisation des schöpferischen Prozesses und seine materielle Sicherung durch den Staat wirken hemmend auf die Selbstbestimmung der Kulturbetriebe.

nationale Befreiungspolitik

Kulturbetriebe von nationaler Bedeutung sowie die Volkskultur (Volksmusik und Volkstänze) haben einen besonders hohen Stellenwert.

Übergangsmodell

Unklare Position von Kulturbetrieben in Ge-sellschaften, die sich auf dem Weg der Befreiung von einem ideologisch bestimmten Auftrag hin zu ihrer Selbstbestimmung befinden.

Zweck

ästhetisch-inhaltlich

Etablierung der Kunstbetriebe, die als Orte der freien Kunstentfaltung zur Hervorbringung von Erzeugnissen mit kulturellem Mehrwert gelten.

bildungspolitisch

Die Bildungsfunktionen der Kulturbetriebe und ihr Beitrag zur individuellen Bildung werden anerkannt.

gesellschaftspolitisch

Die Inspiration der kulturellen und sozialen Realität durch die Kulturbetriebe erhöht deren Stellenwert in der Gesellschaft.

ökonomisch

Die sogenannte Umwegrentabilität von Inve-stitionen in Kulturbetriebe verhilft diesen zu einem Platz neben gewinnorientierten Unter-nehmen.

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Inhaltliche Ausrichtung

pluralistische Weltanschauung

Alle Organisations- und Rechtsformen der Kulturbetriebe werden befürwortet und sollen sich möglichst mit allen Interessengruppenn des kulturellen Lebens befassen.

elitäre Kulturpolitik

Inhaltlich wird Kultur mit bestimmten Ideen der herrschenden Kulturelite gefüllt, die bei gleich-zeitiger Duldung anderer Inhalte gezielt gefördert werden.

totalitäre Ideologie

Politischer Druck auf Kulturbetriebe, Repres-sionen, Zensur und ideologische Kontrolle, Nicht-berücksichtigung der inneren Logik der kultu-rellen Entwicklung, Anpassung und Ausnutzung der Kulturbetriebe.

Gegenstand

Nationalkultur

Kulturbetrieben, die sich mit der Erhaltung und Reproduktion identitätsstiftender Kulturgüter auf nationaler Ebene befassen, gilt eine erhöhte Aufmerksamkeit.

soziokulturelle Besonderheiten

Die Mittlerposition von Kulturbetrieben, die der Lösung von Konfliktsituationen zwischen ver-schiedenen Interessengruppen dienen kann, wird erkannt.

Kultureinrichtungen

Kulturbetriebe stellen die gesellschaftliche Be-rechtigung ihrer Existenz kaum in Frage.

Individuen

Indem sie die individuelle Entfaltung der Menschen ermöglicht, stellt die kulturelle In-frastruktur wichtige Anlaufstellen und Treff-punkte zur Verfügung.

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Kulturpolitik ist, wie in Kap. 2.1.6 gezeigt wurde, von vielen Faktoren abhän-gig. Diese Faktoren sind nicht statisch, sondern im Kontext der gesellschaftli-chen Entwicklung stetig im Wandel begriffen, was Implikationen für Kulturpo-litik und Kulturbetriebe hat. Der politische Umbruch nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems in Mittel- und Osteuropa brachte viele Veränderun-gen mit sich. Ihrer Analyse widmet sich das folgende Kapitel (2.2). 2.2 Systemveränderungen in Mittel- und Osteuropa 2.2.1 Phänomene der Transformation Der Terminus „Transformation“ bedeutet „Umformung oder Umgestaltung“. Mit dem Problemfeld der „Transformation“ beschäftigen sich Politik-, Wirt-schafts-, Sozial- und Kulturwissenschaften und bringen dabei jeweils fachspezi-fische Befunde hervor, wobei jedes einzelne Fach durch seine spezifischen Fra-gestellungen wichtige Teilaspekte der Transformationsprozesse beleuchtet. Die Sozialwissenschaften verwenden den Transformationsbegriff der Theorie des sozialen Wandels „zur Bezeichnung des Übergangs eines Systems in einen neuen Zustand“ (Meyers Enzyklopädisches Lexikon 1978: 645). Versucht man, einen allgemeineren Transformationsbegriff zu finden, fallen eindeutige inhalt-liche Akzentuierungen auf, die sich auf den Wandel von Wirtschaft und Politik beziehen. Klar definiert ist der Transformationsbegriff in der Volkswirtschafts-lehre, die unter Transformation „die Einführung der Marktwirtschaft bzw. noch genauer die Problematik des Überganges von einer ehemaligen Plan- zu einer künftigen Marktwirtschaft“ versteht (Sandschneider 1995: 35). Zur Bezeich-nung des politischen Wandels hat in der politikwissenschaftlichen Literatur23 verstärkt der englische Begriff transition Verbreitung gefunden. Als direkte Übersetzung von transition kann im Deutschen „Übergang“, bzw. noch genauer „Übergang zur Demokratie“ semantisch gleichgesetzt werden.

Der Begriff „Transformation“ wird außerdem speziell zur Bezeichnung der Veränderungsprozesse in Mittel- und Osteuropa verwendet, wo er für den Über-gang auf mehreren Ebenen steht: politisch: von kommunistischen Diktaturen und Autokratien zu demokrati-

schen Repräsentativsystemen; betriebswirtschaftlich: von der Planwirtschaft zur globalisierten Marktwirt-

schaft;

23 Mehr dazu bei Sandschneider 1995 / Merkel 1999.

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volkswirtschaftlich: von der Produktionsorientierung mit starkem landwirt-schaftlichem Anteil zur metropolenzentrierten Dienstleistungsorientierung.

Zwei weitere sind den genannten Ebenen des Übergangs hinzuzufügen: Auf der Verhaltensebene findet ein Übergang vom Dogmatismus zum Re-

lativismus statt; auf der Rechtsebene löst die bürgerliche Privatrechtsordnung die ehemalige

parteiideologische Rechtsordnung ab (vgl. Cvijanović 2002: 9). Um begriffliche Klarheit herzustellen, führt Kornai Merkmale ein, die die Transformation in Mitteleuropa von anderen Formen des Wandels (z. B. Evolu-tion oder Revolution) unterscheiden: Gewaltlosigkeit, eine hohe Geschwindig-keit des Wandels sowie Veränderungen zur Erlangung des kapitalistischen Wirt-schaftssystems und der Demokratie (vgl. Kornai 2005: 8). Außerdem analysiert der Autor Faktoren, die das Tempo der Transformation beschleunigt haben und hebt unter ihnen die Möglichkeit des Rückgriffs auf (vorkommunistische) Tra-ditionen, Verhaltensweisen und Institutionen der Vergangenheit sowie das Fehlen von Widerstand hervor. Neben diesen inneren Einflussfaktoren nennt Kornai auch äußere Einflüsse, die insbesondere durch den Aufbau inter-nationaler Beziehungen (im Rahmen von NATO, OECD, WTO, Weltbank und EU) entstanden sind. Darüber hinaus beeinflussen moderne Technologien, Mobilität, Kommunikationsstrukturen und die mit ihnen einhergehende Verbreitung von Informationen den Transformationsverlauf (vgl. Kornai 2005).

Was die Geschwindigkeit der Transformationsprozesse angeht, können (vor allem bezogen auf die Ebene der gesamten Volkswirtschaft) zwei Pole unterschieden werden. Bei dem einen handelt es sich um die sogenannte „Schocktherapie“, eine radikale Strukturreform bzw. die sehr schnelle Einfüh-rung der Marktwirtschaft. Der andere bezeichnet eine stufenweise Veränderung, die in einem zeitaufwändigeren Prozess versucht, alte Strukturen im Zuge ihrer Überführung in die Marktwirtschaft stärker zu berücksichtigen (vgl. Meyer-Ramien 2003). Hopfmann und Wolf (2001) entwickelten ein Jahrzehnt nach dem politischen Umbruch eine neue systematische Bestimmung von „Transfor-mation“, die sie als einen Doppelprozess verstehen, der nicht graduell verläuft, sondern ein Gesellschaftssystem mit sofortiger Wirkung zugunsten der Bildung eines anderen auflöst (vgl. Hopfmann / Wolf 2001: 21). Anhand dieser Erkennt-nis können die enormen Unterschiede zwischen den theoretisch zwar ähnlichen, praktisch aber sehr unterschiedlichen institutionellen Entwicklungen in den verschiedenen postsozialistischen Ländern erklärt werden.

Anknüpfend an Merkel (1999) macht Tzankoff (2001) vier große Paradig-men innerhalb der Transformationsforschung aus:

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„systemorientierte und modernisierungstheoretisch angeleitete Ansätze, die vor allem den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und gesellschaft-licher Entwicklung thematisieren;

kulturalistische Ansätze, die den Zusammenhang zwischen Religion, Kul-tur und sozialen Interaktionsbeziehungen betrachten;

strukturalistische Modelle, die den Staat und die sozialen Klassen in den Vordergrund ihrer Betrachtung rücken;

und schließlich akteursorientierte Erklärungen, die den Handlungen der politischen und parapolitischen Akteure zentrale Bedeutung zumessen“. (Tzankoff 2001: 13)

Als ein Grundproblem der Transformationsforschung wird häufig die dichotome Gegenüberstellung zweier Paradigmen thematisiert, so dass Transformation dann entweder als Prozess mit einem klaren Zielpunkt oder als komplexe, of-fene und permanente Entwicklung betrachtet wird. In der Folge der Auseinan-dersetzung mit dieser Gegenüberstellung entstehen integrative Ansätze, die die Beiträge ihrer jeweiligen Disziplin nicht mehr als konkurrierende, sondern als einander ergänzende Forschungsmethoden verstehen. So empfiehlt etwa Koll-morgen (2003), die Transformationsprozesse in Theorie und Praxis als kontex-tualisierte und weltgesellschaftlich eingebundene Prozesse zu begreifen. 2.2.2 Veränderungen der Subsysteme Den dargestellten theoretischen Bestimmungen ist zu entnehmen, dass sich in den Ländern Mittel- und Osteuropas seit 1989 bzw. 1991 ein gesellschaftlicher Transformationsprozess vollzieht, für den es kein historisches Vorbild gibt. Seine hohe Komplexität entsteht dadurch, dass alle Subsysteme der Gesellschaft in den Veränderungsprozess einbezogen sind. Diese werden nun im Einzelnen dargestellt. Politik Das Ende des Sozialismus hat in erster Linie den Zerfall des politischen Systems bedeutet. Merkel unterscheidet drei Phasen dieses Übergangs: das Ende des autokratischen Regimes, die Institutionalisierung der Demokratie und ihre Konsolidierung. Gerade in der Phase, in der politische Institutionen wie das Mehrparteiensystem oder die Gewaltenteilung etc. gebildet werden, spielen die vorautokratischen Demokratieerfahrungen einer Gesellschaft sowie die Art und die Dauer des autokratischen Systems eine wichtige Rolle (vgl. Merkel 1999:

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122) und beschleunigen oder verlangsamen die Konsolidierung der politischen Institutionen. In dieser Phase reorganisieren sich die politischen Systeme, um anschließend mit veränderten Normen und Strukturen in eine neue Phase ihrer historischen Entwicklung einzutreten (vgl. Sandschneider 1995: 33). Die poli-tikwissenschaftliche Transformationsanalyse sieht den Prozess der politischen Transformation in erster Linie als Demokratisierung der Gesellschaft bzw. als Transformation auf zivilgesellschaftlicher Ebene an. Wirtschaft Aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive unterscheidet Förster (1999) mehrere Bausteine der Transformation zur Marktwirtschaft. Zu ihnen zählen institutionelle Neuerungen, eine Neudefinition der Wirtschaftspolitik, die externe Liberalisierung bzw. Integration und eine angebotsseitige Modernisierung (vgl. Förster 1999: 24). Die Geld- und Fiskalpolitik erfährt Wohlmuth (2003) zufolge rasante Veränderungen, die zu makroökonomischer Stabilisierung führen sollen. Gleichzeitig werden das Preis- und das Außenhandelssystem reformiert. Neben den makroökonomischen Verände-rungen wird auch der Privatsektor einer umfassenden Entwicklungsstrategie unterworfen, die in erster Linie Privatisierung, eine größere Autonomie der Privatunternehmen und die konsequente Kommerzialisierung der staatlichen Unternehmen vorsieht. All dies soll auf einer Umstrukturierung der staatlichen Aktivitäten basieren, so dass die Transformation auch das Rechtssystem und die administrativen Informations- und Steuerungssysteme betrifft, die den Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft begleiten. Soziales und Kultur Die nachholende Modernisierung und besonders der Strukturwandel, die den Rahmen der grundsätzlichen Veränderungen in Politik und Wirtschaft bilden, finden allerdings nicht nur auf materieller Ebene statt. Aleksandrowicz (1998) analysiert, welche kulturellen Kosten die Transformation mit sich bringt. In einem weiteren Sinne bezeichnet Transformation also auch einen historischen Umbruch im Bereich der Traditionen und Bräuche: Bislang gültige gesell-schaftliche Werte und Normen werden radikal verworfen und durch neue for-melle und informelle Regeln ersetzt. Dieser Prozess bringt den Verlust von Orientierungspunkten zur Selbsterkennung und Selbstversicherung mit sich. Zudem wird die Gesellschaft durch die sozialen Schwierigkeiten der Über-gangszeit gespalten. Mehrere Studien befassen sich mit Kultur als sozial

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gegebener Realität und Produkt menschlichen Schaffens und charakterisieren allgemeine Entwicklungstendenzen in den postkommunistischen Gesellschaften (Krasnodębski / Städtke / Garsztecki / Fassmann 1999). Die Autoren themati-sieren kulturelle Widersprüche und Identitätsprobleme in den sich transfor-mierenden Gesellschaften: So zeigt z. B. Städke (1999), wie „Transformation“ im Rahmen des alten osteuropäischen Problems – dem Konflikt zwischen „fremden“ Denkmodellen und der „eigenen“ Kultur – verstanden werden kann. Er analysiert die Beziehungen zwischen nationalkultureller Selbstreflexion und als universal geltenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Standards. Durch den Systemumbruch und das Wegfallen der Zensur setzte sich ein Meinungspluralismus durch, der zu einer Vielzahl von Vorstellungen, Interpretationen und Kommunikationssystemen führt, die wiederum ein Merkmal zivilgesellschaftlicher Kultur ist. 2.2.3 Mittel- und Osteuropa: regionale Besonderheiten Die Länder des postsozialistischen Raums in Mittel- und Osteuropa weisen einige Gemeinsamkeiten auf. Unter dem Begriff „Ostblock“ zusammengefasst verfügten sie in der Nachkriegszeit über ähnliche institutionelle Systeme von Kulturorganisationen, die sämtlich nach sowjetischem Vorbild aufgebaut waren. Außerdem spielte die sowjetische Prägung in der Wahrnehmung und für die Mentalität der Bevölkerung eine große Rolle. Auch wenn das alte realsozialisti-sche System unterschiedliche Varianten hervorgebracht hatte, etwa die liberale ungarische Ausprägung und die orthodoxe sowjetische Variante, war es insge-samt doch relativ einheitlich. So war den Ländern auch nach dem Zerfall des politischen Systems vieles gemeinsam: das überkommene sozialistische Erbe, das durch die Macht der kommunistischen Partei gekennzeichnet war, der Vor-rang der offiziellen Ideologie, die Planwirtschaft, die Vorherrschaft bürokrati-scher Koordination und die dominante Position des Staatseigentums (vgl. Cvija-nović 2002: 7).

Bereits in den ersten Jahren der Transformation ergaben sich jedoch deutli-che Unterschiede. Im Zuge dieser politischen Veränderungen entwickelte sich in der wissenschaftlichen Literatur eine Diskussion darüber, welche Länder zu Mittel- und welche zu Osteuropa gehören24. Es wird dabei zwischen zwei Län-dergruppen unterschieden, die unter den Abkürzungen MOE (Mittel- und Osteu-

24 Vgl. zur historischen Genese des Begriffs „Mitteleuropa“ u. a. Miloš Havelka (2009); zum

Blick von außen auf Mitteleuropa: Matthias Theodor Vogt (2009c).

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ropa) und GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) zusammengefasst wer-den. Zu MOE gehören: Ostmitteleuropa bzw. die Visegrád-Staaten (Polen, Tschechien, die Slowa-

kei, Ungarn) sowie Slowenien; die baltischen Staaten (Lettland, Estland, Litauen); Südosteuropa (die Nachfolgestaaten Jugoslawiens, Rumänien, Moldau,

Bulgarien, Albanien). Die GUS-Länder gliedern sich (nach Juchler 2001: 113) in: europäisch geprägte slawische GUS-Staaten (Russland, Ukraine, Belarus); europäisch geprägte nichtslawische GUS-Staaten (Kaukasus-Staaten); asiatisch geprägte nichtslawische GUS-Staaten (zentralasiatische Staaten).

Für die vorliegende Arbeit ist diese Binnendifferenzierung nicht relevant, denn sie geht davon aus, dass unter der Region Mittel- und Osteuropa im Wesentli-chen die ehemals sozialistischen Länder des unmittelbaren sowjetischen Ein-flussbereichs verstanden werden.

Nach der ersten Dekade der Transformation beginnen die Forscher (Hopf-mann / Wolf 2001) Bilanz zu ziehen und zu analysieren, welche Optionen bzw. Transformationsstrategien den postsozialistischen Ländern zur Verfügung ste-hen. Folgende Strategien werden dabei festgehalten: die eigenständige Neubildung der Institutionen unter Rückgriff auf Res-

sourcen des zusammengebrochenen Systems; der Rückgriff auf präsozialistische nationale Modelle; der Transfer bzw. das Kopieren externer westlicher Modelle; eine Mischstrategie (vgl. Hopfmann / Wolf 2001: 34).

Die folgenden unterschiedlichen Formen bzw. Systeme, die sich nach zwei De-kaden der Transformation entwickelt haben, sind auch auf die Wahl bzw. Ver-folgung einer dieser Strategien zurückzuführen: ein westlich orientiertes, demokratisch-pluralistisches und privatkapita-

listisch-marktwirtschaftliches System wie in Tschechien, Ungarn, Polen, Slowenien und der Slowakei, in den baltischen Staaten sowie in Rumänien, Bulgarien und Mazedonien. Diese elf Länder haben in der Transformati-onszeit Assoziationsabkommen mit der Europäischen Union geschlossen und sind mittlerweile fast alle EU-Mitglieder;

ein formal westlich orientiertes, faktisch aber autoritäres System mit (a) hauptsächlich privatkapitalistisch-marktwirtschaftlicher Orientierung, z. B. Kasachstan, bzw. (b) einem dominierenden Staatskapital, z. B. Belarus;

hybride Formen (Russland, Ukraine) (vgl. Juchler 2001: 116-117). Dieser Überblick enthält auch die unterschiedlichen Transformationsergebnisse: Der ostdeutsche Raum wurde durch die Wiedervereinigung 1990 zum Bestand-

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teil der Bundesrepublik Deutschland und zum Vorbild einer gelungenen Trans-formation. Auch in den Staaten der Visegrád-Gruppe sowie des Baltikums gilt die Transformation theoretisch als abgeschlossen, was mit der Praxis allerdings nicht gänzlich übereinstimmt. Die Staaten mit hybriden Systemformen wie Russland und die Ukraine befinden sich weiterhin auf einem schwierigen und nicht linear verlaufenden Weg der Transformation. Durch die exemplarische Auswahl sehr unterschiedlicher Länder können in dieser Untersuchung ver-schiedene Transformationssysteme und ihr jeweiliger Einfluss auf die Ausge-staltung der kulturpolitischen Rahmenbedingungen und auf den Kulturbetrieb dargestellt werden; außerdem können kongruente und divergierende Momente dieser Prozesse verglichen werden. 2.2.4 Besonderheiten der Transformation in den untersuchten Ländern Die Russische Föderation Seit der endgültigen Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 befindet sich Russland in einem stetigen Wandel. Die langsame Etablierung und Stabilisie-rung von wirtschaftspolitischen Institutionen und die Widersprüchlichkeit der Transformationsziele wie ihrer Umsetzung unterscheiden den russischen Trans-formationsprozess von dem anderer postsozialistischer Länder. Die Politik der Perestroika wurde bereits Mitte der 1980er Jahre eingeleitet. Jedoch mündete die Transformation nicht in eine institutionell abgesicherte Auflösung des autoritären Systems und auch nicht in eine von einer starken Zivilgesellschaft getragene Demokratiebewegung. Während die Demokratisierung aller Lebens-bereiche von offizieller Seite zwar formell verkündet worden war, funktio-nierten doch zahlreiche resistente Institutionen aus Sowjetzeiten informell weiter. Der wirtschaftliche Systemwechsel fand unkontrolliert statt und der Versuch, eine funktionierende Marktwirtschaft zu etablieren, führte zu einer Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, die „von einem allgemeinen Werte-zerfall und vom Absinken der partizipatorischen Bereitschaft der Bürger, an der Politik des Landes mitzuwirken“ begleitet wurde (Trautmann 2001: 204).

Entsprechend werden die mangelhafte Berücksichtigung „der humanen Dimension“ in den Veränderungsplänen und die Zerstörung gesellschaftlicher Orientierungspunkte kritisiert (Nefedenko 2002). Die Umwandlung des soziali-stischen in ein demokratisches Gesellschaftssystems ist in Russland noch im Gange. Sie vollzieht sich mittlerweile zwar unter den Bedingungen des neuen öffentlichen Systems; ihr kontinuierlicher Fortgang wird jedoch gebremst durch

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Finanzkrisen, die sogenannten frozen conflicts25 und Konflikte zwischen unter-schiedlichen Nationalitäten (wie die Militärkonflikte im Südkaukasus). Die Ukraine Als die Ukraine 1991 ihre Unabhängigkeit wiedererlangte, standen auf der Transformationsagenda neben politischen und wirtschaftlichen Herausforderun-gen auch ethnische Probleme. Die ukrainische Transformation erreichte trotz der regionalen und ethnischen Unterschiede zwischen dem russisch orientierten Osten, dem national geprägten Westen und der historisch zu Russland gehören-den Halbinsel Krim eine Konsolidierung des Landes, in deren Verlauf die au-ßenpolitische und wirtschaftliche Emanzipation von dem großen russischen Nachbarn angestrebt wurde.

Die wirtschaftliche und politische Lage nach dem Systemumbruch war jedoch äußerst schwierig. „1993 war die Inflation auf einen Rekordwert von 9.000 Prozent gestiegen. (…) Mit den makroökonomischen Defiziten ging das fast gänzliche Fehlen struktureller Reformen einher“ (Bertelsmann Stiftung 2003: 22). Wirtschaftliche Reformversuche konnten in den ersten Trans-formationsjahren in der Ukraine nur mangelhaft umgesetzt werden. Die Folge waren Stagnation und eine Krise, die jedoch weniger auf fehlende Transfor-mationskonzepte, sondern vielmehr auf politische Konflikte und eine hohe Korruption zurückzuführen sind. Eng verflochtene politische und wirt-schaftliche Interessengruppen sowie unterschiedliche Sprachen und ethnische Besonderheiten standen einer nachhaltigen Reformpolitik im Weg. Im ersten Jahrzehnt nach der Wende blieb kaum ein Premierminister länger als ein Jahr im Amt, was Unsicherheiten in Hinblick auf den Transformationskurs verursachte. Auch infolge der zweiten Transformationswelle, die nach der sogenannten „Orangen Revolution“ 2004 eingeleitet wurde, führten Machtkämpfe und die aus ihnen resultierenden dauerhaften Reibereien zwischen Parlament und Regierung zu politischer und wirtschaftlicher Instabilität. Polen Die Besonderheit der polnischen Transformation ist, dass der Veränderungspro-zess hier bereits ein knappes Jahrzehnt vor dem endgültigen Systemumbruch eingesetzt hatte. Zeitlich kann sein Beginn mit der Gründung der Gewerkschaft Solidarność und ihrer offiziellen Zulassung im Danziger Abkommen am 25 Als „frozen conflicts“ werden die Konflikte in Transnistrien und bis zum August 2008 in

Abchasien und Südossetien bezeichnet.

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31. August 1980 gleichgesetzt werden. Im September 1989 wurde in Polen die erste nichtkommunistische Regierung des Ostblocks gebildet. Sie leitete keine graduellen, sondern schnelle politische und wirtschaftliche Reformen ein. Diese Vorgehensweise, die (nach dem damaligen Finanzminister) Balcerowicz-Plan genannt wurde, war eine „Schocktherapie“ für die polnische Wirtschaft. In Polen entstand zu Beginn der Transformation „ein capitalism by design oder political capitalism […], der sich nicht auf evolutionär gewachsene kapitalistische Strukturen wie in Westeuropa stützen“ konnte (Franzke 2002: 285) und eine rasche Erhöhung des privatwirtschaftlichen Anteils am BIP zur Folge hatte. Die Fortschritte der wirtschaftlichen Transformation drückten sich innerhalb des ersten Jahrzehnts so aus: „[D]er Privatsektor (einschließlich Landwirtschaft) erwirtschaftete 2001 etwa 70 Prozent des BIP und stellte über 70 Prozent aller Arbeitsplätze“ (Quaisser 2001: 29).

Trotz der wirtschaftlichen Erfolge tat sich in der Gesellschaft eine Kluft auf, die auch in Polen durch soziale Probleme ausgelöst wurde und hohe Ar-beitslosigkeit, einen allgemeinen Orientierungsverlust und massive Identitäts-probleme zur Folge hatte. Allerdings gelang dem Land durch eine konsequente Umsetzung der Wirtschafts- und Systemreformen die schnelle Etablierung der eigenen Volkswirtschaft in den internationalen Netzwerken. Die Bedeutung der externen Einflüsse (z. B. westlicher Berater) dabei ist nicht zu unterschätzen. Die Kooperation mit Weltbank, EU und anderen internationalen Akteuren sowie der Beitritt Polens zur Europäischen Union im Jahr 2004 ging mit gezielten Hilfeleistungen einher und förderte so die politische und wirtschaftliche Stabili-sierung der sich transformierenden Institutionen. Das Gebiet der ehemaligen DDR Die mit dem Fall der Berliner Mauer eingeleitete Transformation der damaligen DDR wird oft als „exogene Transformation“ bezeichnet, was ihre Steuerung von außen zum Ausdruck bringt. Dabei sind drei Aspekte hervorzuheben: Erstens wurde in Ostdeutschland ein bereits fertiges System von wirtschaftlichen und politischen Institutionen installiert. Zweitens fand durch westdeutsche Akteure, die mit Aufbau und Funktionsweise der neuen Institutionen vertraut waren, ein enormer Know-How- und Elitentransfer statt. Zeitaufwändige Diskussionen über das neue System der politischen und wirtschaftlichen Institutionen fanden, verglichen mit anderen Ländern, so gut wie gar nicht statt. Drittens spielten die von Bund und Steuerzahlern bereitgestellten finanziellen Mittel eine entschei-dende Rolle im Transformationsprozess. Hinzuzufügen ist, dass der Handlungs-druck nach der deutschen Wiedervereinigung hoch war und für stufenweise

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Reformen keine Zeit blieb. Daher wurde für die politischen und wirtschaftlichen Umbaumaßnahmen eine klare Reihenfolge beschlossen und umgesetzt. Eine ihrer eigenen inneren Logik angemessene Entwicklung der damaligen DDR rückte gegenüber der „Herstellung von institutioneller Gleichheit zu West-deutschland“ in den Hintergrund der strategischen Ausrichtung (Wiesenthal 1999: 9).

Die mangelnden Erfahrungen mit und die Vertrauensdefizite in die neuen sozialwirtschaftlichen und politischen Institutionen in Ostdeutschland wurden allerdings unterschätzt, während Transfererfolg überschätzt wurde. Somit rich-tete sich die Kritik

nicht [auf] die nahezu unvermeidliche und zudem stabilisierende Institutionenübertragung ‚an sich‘, sondern [auf] die Ausschließlichkeit der Übertragung (nur übertragene Institutionen sind gute Institutionen!) sowie die Kontextdiskrepanz und damit verbundene mangelnde Flexibilität des Institutionensystems. (Thomas 2003: 6)

Nichtsdestotrotz stellt die ostdeutsche Transformation hinsichtlich der aufge-führten Aspekte und verglichen mit den Transformationsvorgängen in den ande-ren Ländern Mittel- und Osteuropas einen Sonderfall dar. Unter den Verände-rungen können insbesondere „die institutionell-organisatorischen und materiell-sozialen Fortschritte und Vorzüge im Transformationsprozess Ostdeutschlands“ (ebd.: 5) hervorgehoben werden. 2.3 Zusammenfassung der Ergebnisse Durch die theoretische Darstellung der Herausforderungen, denen die Kulturpo-litik in der postsozialistischen Periode gegenüberstand, haben sich Definitions-merkmale der Transformation der Kulturpolitik ergeben: Erstens kann die Transformation der Kulturpolitik als ein Prozess der Veränderung des Stellen-werts von Kulturpolitik verstanden werden, der sich sowohl im öffentlichen als auch im gesellschaftlichen Handeln niederschlägt. Die Analyse hat gezeigt, dass die Frage nach der Bedeutung der Kulturpolitik in den kulturpolitikwissen-schaftlichen Untersuchungen zentral ist. Weiterhin wurden die Betrachtung von Kultur als Aneignungsprozess und die Betrachtung von Politik als zielgerichte-tes Zusammenwirken von staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren begründet sowie als für das Anliegen dieser Untersuchung plausibel dargestellt, so dass sie nun den Untersuchungsrahmen der vorliegenden Arbeit bilden. Zweitens wurde gezeigt, dass angesichts der Komplexität des Veränderungsprozesses (Kap. 2.3) zur Bewältigung der in der postsozialistischen Periode stattfindenden politi-

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schen und wirtschaftlichen Veränderungen eine stärkere Integration des Kultur-bereichs erforderlich ist. Diese Veränderungen haben sich in allen Ländern u. a. in einem Wandel der sozialen Normen und einer Entwertung bisheriger Lebens-stile geäußert. Die Anerkennung der konstruktiven Rolle von Kunst und Kultur setzt – zweites Definitionsmerkmal – eine Diskussion über die Integration der Kulturpolitik in das gesamte politische System in Gang. Drittens wurde gezeigt, dass neben den strukturellen Problemen der Kulturpolitik auch ihre inhaltliche Ausrichtung neu bestimmt werden muss, die von vielen Faktoren beeinflusst wird (Kap. 2.2.4). Die Erfahrungen der sozialistischen Periode stellen die Aus-gangsposition für diese Neubestimmung dar und verlangen deshalb nach einer detaillierten Analyse.

Die drei vorgestellten Definitionsmerkmale gilt es, auf zwei Weisen zu überprüfen: Anhand einer Untersuchung von Primärdokumenten – den offiziell verabschiedeten Programmen – soll erstens die Veränderung des Stellenwerts von staatlichem Handeln dargestellt werden. Durch eine empirische Erhebung in Form von Expertengesprächen mit Vertretern des Kulturbetriebs in den unter-suchten Ländern soll zweitens der Wandel des gesellschaftlichen Handelns be-leuchtet werden. Im Folgenden (Teil 3) wird mit der Kulturpolitik des Sozialis-mus zunächst die Ausgangssituation der postsozialistischen Kulturpolitik differenziert dargestellt.

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3 Kulturpolitik und Kulturbetrieb im sozialistischen System

3.1 Kulturpolitische Rahmenbedingungen und ihre Auswirkungen auf den

Stellenwert der Kulturbetriebe Im theoretischen Teil wurde die Annahme formuliert, dass die Logik der post-sozialistischen Transformation nicht zuletzt durch die Besonderheiten der sozialistischen Erfahrungen in den jeweiligen Ländern erklärt werden kann. Diese Erfahrungen gilt es im Folgenden länderspezifisch aufzuzeigen. Um die Frage nach Zweck, inhaltlicher Ausrichtung und Gegenstand der Kulturpolitik im System des Sozialismus zu beantworten und die Rolle des Staates als Akteur der Kulturpolitik darzustellen, ist es zunächst sinnvoll, das Konzept des Sozia-lismus und die ihm zugrunde liegende Weltanschauung zu rekonstruieren. Dieses Konzept hat die (Frei)räume der Existenz und Entwicklung von Kultur in den sozialistischen Gesellschaften bestimmt.

Die praktische Anleitung für den Aufbau des Sozialismus war die marxis-tisch-leninistische Doktrin. Sie lässt sich in drei Bestandteile untergliedern: in den dialektischen und historischen Materialismus, die politische Ökonomie und den wissenschaftlichen Kommunismus. Dem dialektischen und historischen Materialismus zufolge ist die gesellschaftliche Entwicklung ein Prozess, der von der Veränderung der materiellen Grundlagen angetrieben wird. Philosophisch betrachtet setzt sich das Gesellschaftssystem in der marxistischen Theorie aus einer „Basis“ und einem „Überbau“ zusammen, die eine dialektische Einheit darstellen. Als Summe der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse, also der ökonomischen Faktoren, bestimmt die Basis den Überbau. Dieser steht für das gesellschaftliche Bewusstsein und das geistige Leben. Der Wandel des materiellen Zustands bewirkt also Veränderungen auch in der nichtmateriellen Sphäre, die aus der Gesamtheit aller gesellschaftlichen Ideen sowie aus den ihnen entsprechenden Institutionen besteht. Der Überbau umfasst u. a. das poli-tische System, das Rechtssystem, das Bildungswesen, die Wissenschaft, die Kunst und die Kultur. Daraus folgt, dass der Stand der kulturellen Entwicklung vom Stand der Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsverhältnisse ab-

M. Davydchyk, Transformation der Kulturpolitik, DOI 10.1007/978-3-531-18691-7_3,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012

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hängt. Die Entwicklung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse bilden dementsprechend die materielle Basis der Kultur. Entfaltung und Wirk-samkeit von Bereichen wie Wissenschaft, Bildung, Kunst, Gesundheits- und Sozialwesen beeinflussen wiederum auch ihrerseits die Effektivität der materi-ellen Produktion. Somit wirkt der Überbau auf die Basis26 fördernd oder hem-mend.

Der sozialistischen Kulturtheorie zufolge werden die Entwicklungsziele des kulturellen Lebens durch die grundlegenden Ziele des Aufbaus der sozialis-tischen Gesellschaft bestimmt. Die sozialistische Kultur dient dementsprechend dem übergeordneten Ziel der Ausbildung des Kommunismus. Mit seinem Hauptziel einer klassenlosen Gesellschaft ist der Kommunismus darauf ausge-richtet, Rahmenbedingungen für die Entfaltung der Persönlichkeiten zu schaf-fen, deren Potenziale zur Geltung kommen sollen. Da Kunst und Kultur dem Systemüberbau zugeordnet werden, sind „sie nach kommunistischer Auffassung eine gesellschaftliche Angelegenheit, die nicht dem privaten Interesse des ein-zelnen überlassen werden darf“ (Schubbe 1972: 37). Deshalb übernimmt die Partei27 die Leitung im Kulturbereich, wobei ihr Anliegen dabei „die Entfaltung sozial aktiver und kulturell bedürfnisreicher Persönlichkeiten (…)“ ist (Zentral-rat d. FDJ 1988: 16). Das Erreichen dieser Entfaltung ist – so die Theorie – nur durch schöpferische Arbeit der Werktätigen und Bauern sowie durch ein höhe-res kulturelles Niveau des ganzen Volks möglich. Die Vision vom „neuen Men-schen“ tritt als Zielgröße des Sozialismus in den Vordergrund, aufbauend auf den „Geboten“ der neuen sozialistischen Sittlichkeit. Die sozialistische Ideolo-gie beansprucht dabei, christliche und bürgerliche Traditionen und Wertvor-stellungen durch eine sozialistische Moral und Weltanschauung zu ersetzen.

Die dialektisch-materialistische Lehre bestimmt neben der Struktur des Ge-sellschaftssystems und dem Ziel der Entwicklung desselben auch die Struktur der Kultur. Der sogenannten „Zweiklassentheorie“ zufolge ist ihre Entwicklung Ergebnis des Klassenkampfs: In jeder nationalen Kultur existieren zwei Klassen und mit ihnen auch zwei Kulturen, die aufeinander treffen: die sozialistische Kultur der Bauern und Werktätigen und die bourgeoise Kultur der „Unter-drücker“. Aus dieser Vorstellung wird gefolgert, dass es keine einheitliche na-tionale Kultur gibt. Der Inhalt der sozialistischen und der bourgeoisen Kultur

26 Mehr dazu im Lehrbuch zur marxistisch-leninistischen Kulturtheorie Orlov 1976. 27 Die sozialistischen Staaten hatten das sogenannte Einparteiensystem, bei dem nur eine Partei,

auch als Staatspartei genannt, die Regierungsgewalt innehatte. Diese Funktion übten die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU), ihre regionale Gliederung die Kommunistische Partei der Ukraine (KPU), die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PZPR) und die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) aus.

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unterscheiden sich wesentlich voneinander. Darüber hinaus stehen beide Kultu-ren in einem antagonistischen Verhältnis zueinander, das den Ursprung jeglicher Entwicklung darstellt (vgl. Orlov 1976: 40). Dementsprechend wird die Aneig-nung des kulturellen Erbes als parteiischer Prozess gewertet, dem die eine oder andere Klassenzugehörigkeit sämtlicher Beteiligten zugrunde liegt.

Die praktische Anwendbarkeit dieser theoretischen Konstruktionen kam nach der Oktoberrevolution 1917 auf den Prüfstand. Die Machtübernahme der Bolschewiken war der Ausgangspunkt der Entwicklung des sozialistischen Staates in Russland und später in der Sowjetunion. Zwar brachte die sozialisti-sche Revolution 1917 in erster Linie eine veränderte Arbeitsproduktivität mit sich, diese stand jedoch in Abhängigkeit zu den kulturellen Errungenschaften der Bevölkerung. So betonte Lenin nach der Revolution, die Hebung des Bil-dungs- und Kulturniveaus der Bevölkerung sei die wichtigste Voraussetzung des sozialistischen Aufbaus in Russland, so dass die Kulturrevolution einerseits als Ziel und andererseits als Voraussetzung der weiteren Entwicklung angesehen wurde. Sie bedeutete „nicht die Schaffung einer neuen ‚proletarischen Kultur‘, sondern den Erwerb wissenschaftlicher, technischer und organisatorischer Mit-tel zur Überwindung der sozioökonomischen Rückständigkeit des Landes und seiner Bevölkerung“ (Anweiler 1973: 19). Als eine unerlässliche und historische Maßnahme, mit der das Erreichen des nötigen kulturellen Niveaus der Füh-rungsschicht der sozialistischen Gesellschaft angestrebt wurde, gehörte sie au-ßerdem zu den wichtigsten Bestandteilen des historischen Übergangs zum Kommunismus. Die theoretische Grundlage des sozialistischen Kulturaufbaus war also die Kulturrevolution.

Als Vladimir Lenin von der Theorie zu ihrer praktischen Umsetzung über-ging, war ihm bewusst, dass die kulturellen Umwälzungen nicht reibungslos verlaufen würden.

Unsere Gegner sagten uns mehrmals, dass wir die unvernünftige Sache der Implantierung des Sozialismus in einem ungenügend kulturell gerüsteten Land unternehmen. Aber sie haben sich geirrt, wenn sie meinten, dass wir die Sache von hinter her begonnen hätten, wie es der Theorie (irgendwelcher Pedanten) nach verlaufen sollte, und dass sich die politische und soziale Umkehrung bei uns als Vorgänger jener kulturellen Umkehrung erwiesen hat, jener kulturellen Revolution, vor deren Gesicht wir immerhin jetzt stehen. Für uns reicht es auch jetzt noch, diese kulturelle Revolution durchzuführen, um sich als das vollkommen sozialistische Land zu erweisen, aber für uns stellt diese kulturelle Revolution unglaubliche Schwierigkeiten sowohl rein kultureller Natur (weil wir Analphabeten sind), als auch materieller Natur dar (weil, um kulturell zu sein, eine gewisse Entwicklung der materiellen Produktionsmittel notwendig ist, eine gewisse materielle Basis nötig ist). (Lenin 1967e: 375f.)28

28 Übersetzung durch die Autorin.

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Die kulturelle Unterentwicklung der Arbeiterklasse sollte durch die Kulturre-volution schnell überwunden werden. Die Kulturpolitik richtete sich an die breite Masse, die nicht nur Adressat dieser neuen Kultur war, sondern auch zu ihrem aktiven Mitgestalter ausgerufen wurde (vgl. Naučnyj kommunizm: Slo-var´1983: 128). Lenin zufolge stellte die Kulturrevolution für die Entwicklung der Volksmassen einen Umbruch dar, im Zuge dessen sich die Arbeiterklasse im Sinne der höheren geistigen Werte und der kommunistischen Erziehung weiter-entwickeln würde. Ihr langfristiges Ziel war es, die jungen Generationen auf das Vorantreiben der Industrialisierung des Landes vorzubereiten. Für die ideologi-sche Arbeit sollte eine vielfältige kulturelle Infrastruktur aufgebaut werden, wobei die Voraussetzungen der Kulturrevolution die Etablierung der Diktatur des Proletariats, die Verstaatlichung der Produktionsmittel und die Verbreitung einer nach Form und Inhalt „neuen“ Kultur (ebd.) waren. In diesem Sinne wur-den die Grundlagen für die Entwicklung eines sozialistischen Kulturbetriebs geschaffen, der durch staatliche Mittel finanziert werden sollte. Die Rolle des Staates Aufgrund ihrer entscheidenden Rolle für den Aufbau der sozialistischen Gesell-schaft wurde die kulturelle Entwicklung nicht dem Zufall überlassen: Sie war bedingt und geprägt durch die bewusste Steuerung der Volksmassen. Viel wich-tiger war jedoch die gezielte Einflussnahme, die von Seiten staatlicher und von der Partei geleiteter Organisationen und Vereinigungen sowie durch die Partei stattfand. Um für die kulturelle Entwicklung angemessene Rahmenbedingungen zu schaffen, leitete die Partei die Umsetzung des kulturellen Wandels29 an und gab allen kulturell-schöpferischen und wissenschaftlichen Aktivitäten als füh-rende Kraft der Gesellschaft Ziel und Richtung vor. Darüber hinaus sah sich der Staat verpflichtet, eine kulturelle Grundausstattung zu gewährleisten, die die Partei durch die historisch bedingte Mission der Arbeiterklasse legitimierte. Die Rolle des Staates in der Kulturpolitik wurde deshalb besonders hervorgehoben, wie beispielsweise dem Parteiprogramm der SED von 1976 zu entnehmen ist. Ihm zufolge sieht die Partei „ihre Aufgabe darin, die Bewusstheit und das Schöpfertum der Arbeiterklasse umfassend zu entfalten“ (Schneider 1977: 21). Kulturpolitik wird folgerichtig definiert als

29 Mehr zur Planung sozialistischer Kulturentwicklung bei Marten 1984.

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System aller Maßnahmen und Aktionen einer gesellschaftlichen Klasse bzw. deren politischer Partei, Verbände und Organisationen, des von ihr geleiteten Staatsapparates zur Durchsetzung ihrer Politik in der Kultur einschließlich ihrer wissenschaftlichen Grundlagen. (Kultur-politisches Wörterbuch 1970: 310)

Neben der aktiven Planung und Verwaltung des Kulturlebens griff der Staat auch in den künstlerischen Prozess selbst aktiv ein, dessen einfache Fortsetzung angesichts der Bedürfnisse der sich nach der Revolution bildenden sozialisti-schen Gesellschaft ausgeschlossen war. Stattdessen wurde die Gestaltung „eines in der Geschichte der Menschheit nie dagewesenen Verhältnisses von Volk und Künsten, die Gestaltung einer neuen gesellschaftlichen Funktion der Künste“ angestrebt (Zentralrat d. FDJ 1988: 28).

Zusammenfassend können in den kulturpolitischen Zielsetzungen des Staates drei Dimensionen unterschieden werden. Zunächst wurden Ziele gesetzt, die aufgrund der theoretischen Kenntnisse „vom Zustand des kulturellen Lebens als relativ gesichert angesehen und konkret formuliert werden“ konnten (John 1978: 17f.). Als solche bestimmte die Kulturpolitik beispielsweise den Umfang der Investitionen in den Kulturbereich oder die Auflagen von Buchproduktio-nen. Zudem wurden hypothetisch formulierte Zielvorstellungen ausgearbeitet, die in Fünfjahresplänen für einen überschaubaren und angemessenen Zeitraum geplant waren. Darüber hinaus existierten außerdem langfristige kulturpolitische Zielsetzungen in Form allgemeiner Prognosen für den Kulturbereich. Sie sollten im Zuge der Kulturrevolution der sozialistischen Gesellschaft erreicht werden. Zweck Der Staat gestaltete seine Kulturpolitik im Geiste der bolschewistischen Weltan-schauung. Der Haupt- und Dauerauftrag der sowjetischen bzw. sozialistischen Kulturpolitik wurde beschrieben

mit der Hebung des Bildungsstandes der breiten Volksmassen und, damit gekoppelt, ihrer intensiven kommunistischen Indoktrinierung und Erziehung sowie insgesamt mit der Schaffung einer neuen sozialistischen Kultur – in Literatur, Kunst, Wissenschaft usw. (…). (Anweiler / Ruffmann 1973: XIII)

Folgende Merkmale und Bestrebungen der Kulturrevolution bildeten ihren kul-turpolitischen Rahmen: das Verständnis der gesellschaftlichen Entwicklung als Klassenkampf, die gegenseitige Bedingtheit von Kulturrevolution und politischer Ökono-

mie,

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das Einhergehen wissenschaftlich-technischer mit kulturellen Umwand-lungsprozessen,

die Verbreitung des politischen Auftrags im Kulturbereich, das Heranführen von Werktätigen und Bauern an die „kulturellen Traditio-

nen“ und somit die Ermöglichung „kulturellen Fortschritts“. Die strategisch-ideologische Ausrichtung und der Auftrag der Kulturpolitik spiegelten sich auf operationaler Ebene in der sozialistischen Volksaufklärung und der Verbreitung der sozialistischen Ideologie, in der Ästhetik der internatio-nalen sozialistischen Kultur und im Kampf um die Überwindung der bourgeoi-sen Werte und Normen wider. Inhaltliche Ausrichtung Dem vorherigen Abschnitt ist zu entnehmen, dass Kulturpolitik ein fester Be-standteil der allgemeinen politischen Arbeit war. Sie beruhte auf der Staats- und Gesellschaftsauffassung, die die politische Leitung entwickelt hatte, und ver-breitete als Teil des totalitären Systems auch totalitäre Inhalte. Die herrschende Partei maß Kunst und Kultur als Instrumenten der ideologischen Erziehung einen hohen Stellenwert bei. Künstler und insbesondere Schriftsteller – „die Ingenieure der menschlichen Seelen“30 – sollten sich diesem Auftrag entspre-chend nicht mit den realen Problemen der Gesellschaft beschäftigen, sondern einen Beitrag zur Bildung des „neuen sozialistischen Menschen“ leisten. Die Kulturpolitik der Bolschewiken war von der klaren Anforderung motiviert, die Kunst den breiten Massen zugänglich zu machen, die bis dahin mit den Werken der Weltliteratur und der Kunst nicht in Kontakt gekommen waren. Ideologi-sches Engagement (idejnost´), Parteilichkeit (partijnost´) und Volksverbunden-heit (narodnost´) wurden zum Bewertungsmaßstab dafür, ob Kunstwerke für den Sozialismus geeignet waren und leiteten die Epoche des Sozialistischen Realismus ein. Als „realistisch“ wurden Kunstwerke und Kulturgüter jedoch nicht bezeichnet, weil sie im Sinne der Kunstströmung des Realismus „den typi-schen Menschen in einer typischen Situation“ darstellten. Es war vielmehr ihre normative Aufgabe, einen Wunschzustand zu kreieren und wiederzugeben.

30 Der Ausdruck „Schriftsteller - Ingenieure der menschlichen Seelen“ wurde zunächst Stalin

zugeschrieben. Er verwendete diesen Ausdruck bei einem Treffen mit den sowjetischen Schriftstellern im Maxim Gorki Haus am 26. Oktober 1932. Erst in den 1970er Jahren wurde bekannt (aus der Veröffentlichung der Erinnerungen des Literaturwissenschaftlers Viktor Šklovski und des Schriftstellers Jurij Borev in 1971), dass Stalin diese Bezeichnung von einem bekannten sowjetischen Schriftsteller Jurij Oleša (1899—1960) übernahm.

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Gegenstand Im nächsten Schritt soll präzisiert werden, was konkret Gegenstand der sozialis-tischen Kulturpolitik war, auf welche gesellschaftlichen Bereiche sie sich bezog und wo die Grenzen der kulturpolitischen Aktivitäten verliefen. Wie bereits dargestellt, verfolgte die sozialistische Revolution das Ziel eines Systemwandels zur Bildung einer kommunistischen Gemeinschaft. Mit der Kulturrevolution sollte die Ablösung der bourgeoisen durch die sozialistische Produktionsweise von der Entstehung einer sozialistischen Kultur begleitet werden. Die treibende Kraft dieses Ablösungsprozesses waren die Werktätigen und Bauern, so dass deren Persönlichkeitsentwicklung und Sozialisierung im neuen Gesellschafts-system zum Objekt der Leitung und Planung kultureller Prozesse wurden (vgl. John 1978). Die kulturpolitischen Aktivitäten der sozialistischen Gesellschaft bezogen sich also nicht allein auf bereits vorhandene Kulturgüter. Kern ihrer Arbeit war die „Vervollkommnung“ des Menschen mittels Kunst und Kultur. Dementsprechend sollte sich der Einzelne nicht nur kulturelle Kenntnisse und Fähigkeiten aneignen, sondern außerdem in der Lage sein, diese zum Aufbau der sozialistischen Gemeinschaft einzusetzen und aktiv gegen Erscheinungen einzutreten, die diesen Aufbau verhindern könnten. Im Vordergrund der Kultur-politik stand nicht die Reproduktion des Bestehenden unter volkswirtschaftli-chen Gesichtspunkten und auch nicht die Schaffung von kulturellen Gütern oder Leistungen. Nicht allein am Ergebnis des kulturellen Schaffens zeigte die Kul-turverwaltung Interesse, sondern auch an seinen Entstehungsprozess (vgl. Kramer 1983). Entsprechend waren die gesellschaftlichen Verhältnisse Gegen-stand der kulturpolitischen Aktivitäten und die Kulturpolitik fester Bestandteil der Planung der sozialistischen Gesellschaft.

Darüber hinaus widmete sich die Kulturpolitik auch den einzelnen Kunst-gattungen, den kulturellen Massenmedien und der individuellen kulturellen Betätigung. Diese Bereiche wurden als Kulturbereich oder als „Sphäre der Kul-tur“ bezeichnet. Zu dieser zählte das gesamte Netz der Betriebe, Einrichtungen und Institutionen, die mit der Produktion, Erhaltung und Verbreitung von sozia-listischen Kulturgütern befasst waren. Die „Sphäre der Kultur“ „befriedigte“ die kulturellen Bedürfnisse der Werktätigen und Bauern, die der sozialistischen Kulturtheorie zufolge mit der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft wuchsen. Als ein solches Bedürfnis wurde auch die individuelle künstlerische Betätigung der Angehörigen der Arbeiterklasse eingestuft, die entsprechend auch Gegenstand der Kulturpolitik war. Diese wollte erreichen, dass sich die Werktätigen nicht mehr nur für die Sphäre des Schönen und für die professio-nelle Kunst interessierten, sondern auch selbst künstlerisch aktiv wurden. Dar-

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aus entstand im Sozialismus eine Vorstellung von künstlerischem Schaffen, die dieses weder als spezifische Form der geistigen Weltanschauung ansah, noch als Bereich zur künstlerischen Selbstverwirklichung. Schöpferische Arbeit wurde stattdessen zu einer praktischen Tätigkeit für die Propaganda der Parteinormen und Werte. Der Stellenwert der Kulturbetriebe Die dargestellten kulturpolitischen Rahmenbedingungen wirkten sich stark auf den Stellenwert der Kulturbetriebe aus, den zwei grundsätzliche Anforderungen bestimmten. Ihr Wert wurde erstens in den kulturellen Erziehungsaktivitäten ausgemacht, die das Kulturniveau der Werktätigen und Bauern heben sollten. Zu den Aufgaben der kulturellen Einrichtungen gehörten somit die Verbreitung der sozialistischen Weltanschauung, die Unterstützung beim Erwerb und Aus-bau von fachlichen Kenntnissen, die Anhebung des allgemeinen Bildungsni-veaus und die Befriedigung von Kunst- und Kulturbedürfnissen. Ihren Einsatz für diese Ziele betrachtete die Partei als äußerst wichtig, um „die Fähigkeiten zum praktischen Nutzen und geistigen Aneignen materieller und geistiger Werte sowie das Vermögen und das Bedürfnis zu individuellem und kollektivem Schöpfertum“ auszubilden (John 1978: 14).

Als zweites sollte ein Netzwerk von Masseneinrichtungen aufgebaut wer-den. In diesem Zusammenhang entstanden unter der Anleitung der Politik mit Klubs31, Kulturhäusern und Massenbibliotheken in erster Linie Einrichtungen,

31 In der heutigen Kulturlandschaft gibt es keinen Betrieb, mit dem sich die sozialistischen

Klubeinrichtungen vergleichen ließen. Die Etymologie des russischen Wortes „klub“ geht auf das Englische „club“ (lat. conciliabulum bedeutet „Sammelplatz, Versammlungsort, auch eine heimliche, unrechtmäßige Versammlung, namentlich kirchliche, und wurde auf „geschlossene Gesellschaft“ übertragen). Der Begriff „Gesellschaft / Gemeinschaft“ ist dabei zentral. An der Stelle der vorsozialistischen christlichen Gemeinde bildeten nun Klubs in sozialistischen Ländern Orte, an denen gemeinschaftliches Miteinander der sich schnell bildenden Arbeiter-klasse praktiziert wurde. Der Volkskommissar für Bildung Anatolij Lunačarskij charakterisierte prägnant den Stellenwert der Klubeinrichtungen: „Club work is of great importance. A club must be a slice of socialism, a place for study as well as rest and for the spreading of the basic principles of the new socialist understanding of life and socialist construction among the people“ (Desiatiletie revoluzii i kul´tura, 1927: 12-13). Die Great Soviet Encyclopedia (1976) bezeichnet sie als pädagogische und kulturelle Massen-einrichtungen, die die Freizeit der Arbeiter organisieren und zu ihren kommunistischen Erziehung, Selbstausbildung und kreativen geistigen Entwicklung beitragen sollen (vgl. Great Soviet Encyclopedia 1976: 135). Die Tätigkeit sozialistischer Klubeinrichtungen bestand in politischer Massenarbeit, militärisch-patriotischer, wissenschaftlicher, „moralischer“ und ästhetischer Ausbildung und Propaganda, in der Förderung der künstlerischen Kreativität als Freizeitbeschäftigung. Sie errichteten Räume für Amateurgruppen (sogenannte Interessens-

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die es den Werktätigen und Bauern ermöglichen sollten, ihr kulturelles und kreatives Potenzial zu entfalten sowie ihre kulturellen Bedürfnisse zu „ent-wickeln“ und zu „befriedigen“. Zu betonen ist, dass diese Kulturbetriebe hin-sichtlich ihrer Effektivität im Sinne der genannten Bewertungskriterien über-prüft wurden: Die Anzahl der neu eröffneten Einrichtungen, ihre Besucher-zahlen, die Menge der dort produzierten Werke, die Beteiligung der Arbeiter-massen an den Kulturveranstaltungen und ihre Freizeitbeschäftigung in den Kreisen der künstlerischen Selbstbetätigung lieferten den Parteiorganen Informationen über die Ergebnisse des kulturellen Fortschritts. Da der Staat eine komplette Ausfinanzierung des Kulturbetriebs vorsah, erwies sich dieser als ein in wirtschaftlicher Hinsicht unrentables Unternehmen. „[I]n ideologischer Hin-sicht war er dagegen ein ‚gewinnbringendes Geschäft‘, das zur Festigung und auch zur Modernisierung des Systems“ einen wichtigen Beitrag leistete (Mei-chel 1988: 7).

Diese allgemeine Darstellung der theoretischen Grundlagen und der prakti-schen Umsetzung der Kulturpolitik im sozialistischen System soll in einem nächsten Schritt durch die spezifischen kulturpolitischen Ziele und Erfahrungen in den einzelnen untersuchten Ländern ergänzt werden. Im Folgenden werden die Dokumente und Materialien analysiert, in denen die Sowjetunion32 ein-schließlich der sowjetischen Ukraine, die Volksrepublik Polen und die DDR ihre kulturpolitischen Ziele definierten. 3.2 Besonderheiten der kulturpolitischen Ziele und der Stellenwert der

Kulturbetriebe in den untersuchten Ländern 3.2.1 Das Sowjetische Russland und die Sowjetunion Von der Kulturrevolution zur Stagnation der Kulturentwicklung Im Laufe des ersten Jahrzehnts nach der Oktoberrevolution 1917 bildete sich im sowjetischen Russland die Staatsideologie aus und auf ihr aufbauend pendelte sich ein Verhältnis zwischen politischer33 und künstlerischer Elite ein. Die

zirkel) in den Bereichen Technik, darstellende und bildende Kunst, Musik etc. sowie in di-versen Sportarten.

32 Die Quelle für die Parteidokumente der KPdSU ist u. a. Gospolitizdat: KPSS o kul´ture, prosveščenii i nauke. Sbornik dokumentov 1963-1990.

33 Nach der Oktoberrevolution 1917 benannten sich die Bolschewiki 1918 in Kommunistische Partei Russlands KPR(b) um. 1925 wurde die Partei in Kommunistische Allunions-Partei

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Gleichsetzung von kultureller Entwicklung und politisch-ideologischer Bildung der Massen zeichnete diese Phase aus. Am 9. November 1917 unterzeichneten Lenin und der spätere Volkskommissar für Bildung Anatolij Lunačarskij ein Dekret zur Gründung des Staatlichen Kommissariats für Volksbildung (das russische prosveščenie bedeutet direkt übersetzt „Aufklärung“34). Das Parteipro-gramm von 191935 unterstrich die Notwendigkeit einer umfassenden staatlichen Unterstützung für die individuelle Fort- und Weiterbildung der Werktätigen und Bauern. Die Hebung des kulturellen Niveaus sollte durch Gründung außerschu-lischer Bildungsinstitutionen, z. B. Bibliotheken, erreicht werden sowie durch allgemeinen Zugang zu Kunstwerken, die sich im Besitz der „ausbeutenden Klasse“ befanden. Das Programm betonte die Wichtigkeit der kulturellen Auf-klärungsarbeit auf dem Land als Mittel der kommunistischen Propaganda. Dazu sollten Filme, Theater, Konzerte und Ausstellungen eingesetzt werden, sowohl einzeln als auch mit Vorlesungen und Kundgebungen kombiniert36.

Der Zweck der kulturellen Aufklärungsarbeit wird in der Resolution des ХII. Parteitags der KPR(b) im April 1923 konkretisiert und bestand darin,

(Bolschewiki) [Wsesojuznaja Kommunističeskaja Partija, WKP(b)] umbenannt. Seit 1952 nannte sich die Partei Kommunistische Partei der Sowjetunion KPdSU.

34 Der Begriff „prosveščenie“ (vgl. deutsch: Aufklärung, engl. [Age of] Enlightenment, frz. [Siécle de] Lumières) hat im Russischen mehrere Bedeutungen. Er bezeichnet die Epoche der Aufklärung in der Geschichte der europäischen Kultur. Darüber hinaus bedeutet die Aufklärung im Russischen die Bildung und die Verbreitung des Wissens. Und drittens wurde das Wort „Aufklärung“ zur Bezeichnung des Systems der Erziehungs-, Bildungs- und Kultur-einrichtungen in der Sowjetunion verwendet. Nach dieser dritten Auffassung wird Aufklärung mit der Volksbildung gleichgesetzt, wobei die ideologische Bildungsarbeit im Vordergrund der sozialistischen Kultur- und Bildungspolitik stand. Der Wortstamm „svet“ bedeutet Licht und die Aufklärung soll „Licht bringen“, womit die Umerziehung der Massen durch Schulungsarbeit, Vermittlung von Wissen, Kampf gegen die Unwissenheit, Unkultur und Verwilderung, Erwerb technischer, wissenschaftlicher und organisatorischer Mittel zur Überwindung der sozioökonomischen Rückständigkeit des Landes zum Ausdruck gebracht wurde. Die Errungenschaften des bürgerlichen Zeitalters sollten nicht abgelehnt, sondern angeeignet und verarbeitet werden. In der deutschsprachigen Literatur (Anweiler / Ruffmann 1973) wird für die Bezeichnung der sozialistischen Aufklärung der Begriff „Volksbildung und Erwachsenenbildung“ verwendet. Zu betonen ist, dass die unpolitische volks-aufklärerische Kulturarbeit sich seit 1919 immer mehr zur „politischen Aufklärung“ wandelte. Der Apparat der außerschulischen Bildung sollte den Zielen einer kommunistischen Propaganda dienen. Um den ideologischen Charakter dieser Erwachsenenbildung zum Ausdruck zu bringen, wird in der vorliegenden Arbeit der Begriff der politischen und kultu-rellen Aufklärungsarbeit verwendet. Die sozialistische kulturelle Aufklärungsinfrastruktur umfasste demzufolge Klubeinrichtungen, Kulturhäuser und -Paläste, Bibliotheken, Kinotheater, Theaterhäuser, Museen, Parks etc.

35 Angenommen auf der VIII. Versammlung der KPR(b) 18.-23.03.1919. 36 KPSS v Rezoljucijach i Rešenijach s´ezdov, konferencij i plenumov ZK, Teil 1, Gospoli-

tizdat, 1954, S. 419-420.

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Werktätige und Bauern zu Aktivisten der Revolution zu machen. Der sozialisti-schen Revolution stand allerdings zweierlei im Weg, das die Resolution des ХIII. Parteitags im Mai 1924 benennt: das Analphabetentum und das niedrige Niveau der allgemeinen politischen Bildung37.

Nach der ersten Dekade des sozialistischen Aufbaus war das gewünschte kulturelle Niveau noch nicht erreicht. Davon zeugen die Reden und Diskussio-nen des XV. Parteitags der KPdSU(b) im Dezember 1927. Die „kulturelle Schere“, also das Missverhältnis zwischen Kapazität und Leistung des Bil-dungswesens einerseits und wirtschaftlichen Anforderungen andererseits öffnete sich weiter, die zwischen Stadt und Land existierende wirtschaftliche, soziale, technische und kulturelle Kluft stellte ein großes Problem dar. Das Defizit in der kulturellen Entwicklung im Vergleich zu dem wirtschaftlichen Fortschritt, der bereits erreicht worden war, sollte im Verlauf des ersten Fünfjahresplans besei-tigt werden38. Der bereits erwähnte Lunačarskij verurteilte die mangelhafte kul-turelle Entwicklung: „Wenn der Architekt ein großes Haus bauen möchte (…), soll er schauen, wie der Boden ist, auf dem er baut. (…) Ich behaupte, dass der kulturelle Boden unseres Landes diesen Bau nicht tragen kann und dass die ganzen Gebäude (…) zu Staub zerfallen werden“ (Lunačarskij 1958: 405)39. Um das zu verhindern, enthielt der erwähnte Fünfjahresplan konkrete Aufgaben zur Verbesserung der Volksbildung.

Kunst und Künstler wurden in diesem Sinne zu Bestandteilen des Wandels, eine Auffassung, die deutlich in den langfristigen Zielen von Stalins Kulturpoli-tik zum Ausdruck kommt. 1929 verkündete die Partei den Übergang zu einer „neuen Kulturpolitik“, deren Hauptmerkmal der strategische Wechsel von der exemplarischen Unterstützung proletarischer Künstler hin zu einer Vereinigung aller Kulturschaffenden ist. Als Folge dieser Parteiinitiative veröffentlichte der Schriftsteller Maxim Gorki 1932 den Artikel „Zu wem gehört ihr, Meister der Kultur?“40, in dem er die Kulturschaffenden zu einer Bestimmung ihrer politi-schen Position auffordert.

Während ein spezieller Fonds zur materiellen Unterstützung von partei-treuen Künstlern und Schriftstellern eingerichtet wurde41, nahm gleichzeitig die

37 KPSS v Rezoljucijach i Rešenijach s´ezdov, konferencij i plenumov ZK, Teil 2, Gospolit-

izdat, 1954, S. 54-57. 38 Aus der Resolution nach der XV. Versammlung der WKP(b) 2.-19.12.1927 Über die Zusam-

menstellung des Fünfjahrplans der Volkswirtschaft. In: KPSS v Rezoljucijach i Rešenijach s´ezdov, konferencij i plenumov ZK, Teil 2, Gospolitizdat, 1954, S. 465-466.

39 Übersetzt durch die Autorin. 40 Russisch: S kem vy, „mastera kul´tury“? 41 Aus der Verordnung des Politischen Büros ZKdWKP(b) „Über die Bildung des Literatur-

fonds der UdSSR“ vom 27. Juli 1934.

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Zensur im Kulturbereich zu. 1930 erklärt der XVI. Parteitag die Kulturrevolu-tion zur wichtigsten Aufgabe der Rekonstruktionsperiode und schlägt einen gegen den „reaktionären Einfluss der Religion“ auf die Bevölkerung ausgerich-teten Kurs ein42. Darüber hinaus stand die Frage der nationalen Kulturen der verschiedenen Völker der UdSSR auf der politischen Agenda: Die Partei sollte Rahmenbedingungen schaffen, um eine Verschmelzung sämtlicher nationaler Kulturen zu einer gemeinsamen sozialistischen Kultur (nach Form und Inhalt) zu ermöglichen. Damit verfolgte sie das implizit kulturpolitische Ziel der Bil-dung eines homogenen Kulturraums.

In der Vorkriegsdekade setzte sich die Partei in ihrem zweiten (1933-1937) und dritten (1938-1942) Fünfjahresplan konkrete kulturpolitische Ziele. Wie schon zuvor hatte die Anhebung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus oberste Priorität43. Eine neue Aufgabe war die Schaffung von Rahmenbedin-gungen, die dem Wohlstand und den wachsenden Anforderungen des sowjeti-schen Volks entsprachen. Dazu sollten die staatlichen Ausgaben für kulturelle Bedürfnisse wie soziale Sicherheit, politische Aufklärung, Volksbildung und kulturelle Alltagsversorgung erhöht werden.

Ein weiteres Merkmal der Vorkriegszeit war die Ausrichtung der Kultur-politik auf den Kampf gegen den sogenannten Formalismus und gegen Anders-denkende. Ein Beispiel hierfür ist der Bericht des Vorsitzenden des Komitees für Kunstangelegenheiten Keržencev an Stalin und Molotov im Jahr 1936, der die Notwendigkeit der Beschlagnahmung von Bildern der russischen Avant-garde in Museen erläutert44. Die Intoleranz der Parteiführung gegenüber non-konformen Künstlern und Schriftstellern mündete aber nicht allein in die Be-schlagnahmung „schädlicher“ Werke, sondern auch in die stalinistische „Säuberungspolitik“, die viele Künstler und Kulturschaffende das Leben koste-te.

Diese kulturpolitische Entwicklung wurde durch den (von Stalin so ge-nannten) „Großen Vaterländischen Krieg“ (1941-1945)45 unterbrochen: Wegen einer geringeren Kontrolle konnten sich die Künste während des Kriegs wesent-lich autonomer entwickeln. Die ersten Nachkriegsjahre zeichneten sich dafür

42 Aus der Resolution des XVI. Parteitages WKP(B) vom 26.06.-13.07.1930. In: KPSS v Re-

zoljucijach i Rešenijach s´ezdov, konferencij i plenumov ZK, Teil 3, Gospolitizdat, 1954, S. 18-19.

43 Aus der Resolution „Über den zweiten Fünfjahresplan der Entwicklung der Volkswirtschaft in der UdSSR (1933-1937)“.

44 Mehr dazu bei Artizov 1999: 308. 45 Als Vaterländischer Krieg wird der Teil des Zweiten Weltkriegs bezeichnet, der von 1941 bis

1945 zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der Sowjetunion ausgetragen wurde.

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durch härtere Kontrollen der intellektuellen Kreise aus, wofür die Beschlüsse des Zentralkomitees der KPdSU von 1946 und 194846 entscheidend verantwort-lich waren. In ihnen bringt der damalige ZK-Sekretär für Ideologiefragen Žda-nov sein Anliegen, die Kulturschaffenden wieder auf Parteilinie zu bringen, zum Ausdruck.

Eine weitere Tendenz der Entwicklung nach 1945 entstand mit der in der Nachkriegszeit infolge der Industrialisierung einsetzenden Urbanisierung. Nun wurde die Integration von Migranten in die neuen sozialen Verhältnisse des urbanen Lebens und eine bessere Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmit-teln und Konsumgütern angestrebt. Dies ist dem fünften Fünfjahresplan (1951-1955)47 zu entnehmen, der sich von den früheren durch seine lakonischen Züge auf dem Gebiet der Kultur unterscheidet. Seine Maßnahmen zur Kulturent-wicklung beschränken sich auf eine Erhöhung der Subventionen zur Errichtung neuer Institutionen (z. B. zusammen mit Institutionen des Gesundheitswesens).

Rasante Veränderungen in der kulturpolitischen Entwicklung traten nach Stalins Tod 1953 ein. Der am 25. Februar 1956 stattfindende XX. Parteitag un-terstrich zwar Erfolge des kulturellen Aufbaus wie etwa die sieben- und die zehnjährige schulische Ausbildung, vermerkte jedoch auch Mängel wie z. B. die Loslösung des Kulturbereichs vom gesellschaftlichen Leben48. Nichtsdestotrotz war die staatliche Kulturpolitik in den ersten Jahren des Tauwetters an keinerlei Anweisungen durch den Machtapparat gebunden. Außerdem weckte die Rede von Nikita Chruščov49 über den Personenkult und seine Folgen große Hoffnun-gen auf eine Liberalisierung bei der künstlerischen Elite und war ihr Anlass, nach alternativen Mitteln des künstlerischen Ausdrucks zu suchen.

Doch bereits ein Jahr später, 1957, offenbarte sich die Absicht von Chruščovs Rede: Über die Verbindung von Literatur, Kunst und dem Leben des Volks50 wollte er eine Lenkung der Kulturpolitik begründen. Insbesondere in Hinblick auf die Ereignisse in Ungarn im Oktober 195651 kam in der Rede seine implizite Angst zum Ausdruck, die Situation nicht mehr unter Kontrolle halten

46 Quelle: Artizov 1999, S. 584 und S. 591-596. 47 Verabschiedet auf dem XIX. Parteitag 5.-14.10.1952. 48 Aus der Resolution nach dem Vortrag des Zentralkomitees der KPdSU auf dem XX. Parteitag

vom 14.-25. Februar 1956. 49 Nikita Sergeevič Chruščov wurde nach Stalins Tod am 7. September 1953 zum neuen Ersten

Sekretär des ZK gewählt. 50 Russisch: Za tesnuju svjaz´ literatury i iskusstva s žiznju naroda. In: Prawda vom 28.8.1957. 51 Der Ungarische Volksaufstand im Oktober 1956 war eine Erhebung unterschiedlicher gesell-

schaftlicher Kräfte gegen die ungarische Regierung. Er begann am 23. Oktober 1956 mit einer Demonstration in Budapest und endete am 4. November 1956 durch den Einmarsch der Roten Armee.

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zu können. Dies verdeutlicht auch die Grußadresse des ZK der KPdSU an die Teilnehmer des ersten Allunionskongresses der sowjetischen Künstler am 28. Februar 1957:

Von den sowjetischen Künstlern werden Werke erwartet, die Millionen ein Gefühl ästhetischen Genusses und Fröhlichkeit bereiten, die ihre geistige Welt bereichern werden und den Menschen erhöhen, ihn zum Kampf gegen die imperialistischen Unterdrücker erheben, zum Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit der Völker (…)52.

Somit kehrte die Kulturpolitik unter Chruščov zu den alten Formen der partei-staatlichen Verwaltung der kulturellen Entwicklung zurück. Die Schilderung der Situation im Kulturbereich und die daraus folgenden Ziele des Siebenjahres-plans (1959-1965) unterstützen diese Annahme. Die Verwirklichung des kom-munistischen Aufbaus verlange, so der Plan, eine bessere Erziehung der Bevöl-kerung, eine Stärkung ihres kommunistischen Bewusstseins und die Bildung eines neuen Menschen im Geiste von Kollektivismus, sozialistischem Interna-tionalismus und Patriotismus. Die operationalen kulturpolitischen Ziele des Plans umfassten die Ausstattung aller landwirtschaftlichen Großbetriebe (Sowchos) mit einer Filmvorführanlage und die Ausweitung des Netzes von Massenbibliotheken und Klubeinrichtungen53.

Das neue Parteiprogramm von 196154 bestätigt die bereits gesetzten Ziele. Der Übergang zum Kommunismus strebt ihm zufolge die „Erziehung“ gut aus-gebildeter Menschen an, die fähig sein sollen zu physischer und geistiger Arbeit und zu aktiver Tätigkeit auf verschiedenen Gebieten des öffentlichen und staat-lichen Lebens wie etwa Wissenschaft und Kultur. Die Partei verpflichtete sich, auf die Entfaltung von solcher Literatur, Kunst und Kultur zu achten, die die sozialistische Wirklichkeit wahrheitsgetreu und künstlerisch wertvoll abbildete und so der ästhetischen Erziehung der Menschen diente. Auch wenn die offizi-elle Kulturpolitik der Chruščov-Ära, die 1964 zu Ende ging, keine neuen kultur-politischen Ziele entwarf, hatte die Entstalinisierung doch positive Folgen. So erschienen Ende der 1950er Jahre bereits die ersten Sammelbände des soge-nannten Selbstverlags (Samizdat), unterdrückte Künstler und Intellektuelle wur-den befreit und im Zuge der „Säuberungspolitik“ wurden verbotene Künstler rehabilitiert.

Die Kulturpolitik der ersten Jahre unter Leonid Brežnev formulierte keine neuen Ziele, sondern versuchte, die durch das Tauwetter verursachten Liberali- 52 Abgedruckt in: Iskusstvo, Nr. 2, 1957, S. 3. Übersetzt durch die Autorin. 53 Aus den „Kontrollzahlen der Entwicklung der Volkswirtschaft der UdSSR für 1959-1965“.

Vorgetragen auf der XXI. Versammlung der KPdSU vom 27.01-5.02.1959. 54 Verabschiedet auf dem XXII. Parteitag 17.-31.10.1961, abgedruckt in Pravda vom 2.11.1961.

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sierungstendenzen rückgängig zu machen. Die Bedeutung des Kulturbereichs reichte nun über die Befriedigung der kulturellen Bedürfnisse der Werktätigen und Bauern hinaus. Davon zeugt der Fünfjahresplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft in der UdSSR (1966-1970)55, der sich einen wesentlichen Anstieg des allgemeinen Lebensstandards im Volk – konkret: eine vollständige Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse aller sowjetischen Menschen – zum Ziel machte. Zur verbesserten Befriedigung der kulturellen Bedürfnisse wurde nun auch eine ausreichende Versorgung mit Waren, Le-bensmitteln und Wohnraum gezählt. Im Vergleich zur vorangegangenen Peri-ode, in der Kultur als entscheidende Grundlage des sozialistischen Aufbaus angesehen worden war, wurde in dieser Phase der Zugang zu Gütern und Dienstleistungen zum Schwerpunkt des Kulturverständnisses. Wie aus der Re-solution des XXIV. Parteitags 197156 hervorgeht, sah die Partei sich dabei als einzige zur Formulierung der Bedürfnisse der Arbeiterklasse bevollmächtigte Instanz an. Ihr zufolge war das sowjetische Volk an Werken interessiert, die die sozialistische Wirklichkeit „authentisch“ darstellten. Die Partei stünde für Viel-falt und Reichtum von Formen und Stilen, allerdings nur im Rahmen des Sozia-listischen Realismus. Die Entwicklung der sozialistischen Kultur sei zwar noch immer eine wichtige Aufgabe, so die Resolution. Gehaltserhöhungen und die Entwicklung von Schulen und vorschulischen Einrichtungen wurden jedoch als genauso wichtig eingestuft. Außerdem fehlen in der Resolution, anders als in den vorherigen Dokumenten, konkrete Zahlen. Daraus lässt sich ableiten, dass die Politik allmählich das Interesse an der Kultur verlor: Kulturpolitik wurde ein zweitrangiger Politikbereich.

Somit beschränkten sich die Aufgaben der Kulturpolitik in den 1970er Jah-ren größtenteils auf die Kontrolle der Entwicklungen im Kulturbereich. Die Stagnation der kulturpolitischen Entwicklung kommt in der Resolution des XXV. Parteitags der KPdSU von 1976 zum Ausdruck57, die den Kulturbereich vornehmlich als Mittel zur kollektiven Erholung der Arbeiter behandelt. Kunst und Kulturbereich hatten ihren festen Platz in der Entwicklungsstrategie des Landes verloren, die Verordnungen dieser Zeit bringen die Probleme der Kultur nicht mehr mit den sozialwirtschaftlichen Problemen in Zusammenhang. Die Aufmerksamkeit der Kulturpolitik richtete sich dafür auf die Inhalte der Kunst-werke. Unter diesen Bedingungen entwickelte sich die offizielle sowjetische Kultur in den 1970er Jahren zu einer Pseudokultur, deren Höhepunkt im April

55 Verabschiedet auf dem XXIII. Parteitag vom 29.03-8.04.1966. 56 Die Resolution des XXIV. Parteitages vom 30.03-9.04.1971. 57 Der XXV. Parteitag der KPdSU vom 24.02.-03.03.1976. Aus Resolution und Verordnungen

der Versammlung.

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1979 erreicht wurde, als Brežnev für seine Memoiren die höchste literarische Auszeichnung der Sowjetunion, den Leninpreis, verliehen bekam. Diese Situa-tion veränderte sich bis Anfang der 1980er Jahre nicht mehr, was auch die Re-solution des XXVI. Parteitags 1981 bestätigt58, nach der neben verbesserten Wohnverhältnissen und der Erholung der Bevölkerung eine Anhebung des Bil-dungs- und Kulturniveaus der sowjetischen Bevölkerung zu gewährleisten war. Insgesamt sind dem Kulturbereich nur zwei Absätze gewidmet, die kulturelle Eigenbetätigung und Erholung betreffen. Überdies machte der ehemalige KGB-Chef Andropov nach seinem Amtsantritt als Sekretär für Ideologie im Sekreta-riat des ZK im Februar 1982 deutlich, dass in der kulturpolitischen Praxis kein Wechsel beabsichtigt war. Dies veranschaulicht auch der im August 1982 ver-abschiedete Erlass „Über die Verbindungen der literarisch-künstlerischen Zeit-schriften mit der Praxis des kommunistischen Aufbaus“59.

Humanisierung und Demokratisierung durch Kultur in der Zeit der Perestroika Nach dem Amtsantritt Michail Gorbačovs als Generalsekretär im März 1985 wurde eine Veränderung der politischen und damit auch der kulturpolitischen Ausrichtung verkündet. Im Oktober 1985 stellte die Partei die neuen Inhalte ihres Programms60 vor, das auch einen neuen kulturpolitischen Aspekt beinhal-tet61. Ins Zentrum der kulturpolitischen Aktivitäten gelangten nun die wachsen-den Bedürfnisse verschiedener Bevölkerungsgruppen: Die Resolution des XXVII. Parteitags von 198662 nennt die volle Ausschöpfung des menschlichen Potenzials und die geistige Bereicherung des Lebens als vorrangige Aufgaben der Kulturpolitik. Obwohl angesichts der sozialwirtschaftlichen und politischen Krise Reformen gefordert waren, gingen diese im Kulturbereich nur langsam vonstatten und betrafen in erster Linie nicht Strukturen und Abläufe, sondern künstlerische Inhalte. Gorbačovs Rede auf dem VIII. Kongress der sowjetischen Schriftsteller im Juni 1986 macht deutlich, dass dieser hoffte, Widerstände innerhalb des Apparats mit Hilfe der Kulturschaffenden überwinden zu können: „Zwischen dem Volk, das diese Veränderungen will, das von diesen Verände-

58 Aus der Resolution des XXVI. Parteitags 23.02.-03.03.1981. 59 Verabschiedet am 04.08.1982. 60 Das erste Programm: Der Sturz der Autokratie und die Errichtung des Kommunismus (1903).

Das zweite Programm: Die Aufgaben der Konstruktion des Sozialismus (1919). Das dritte Programm: Die Vervollkommnung des Sozialismus und der Übergang zum Kommunismus (1961).

61 Abgedruckt in Literaturnaja gazeta am 3.10.1985. 62 Der XXVII. Parteitag vom 25.02.-6.03.1986.

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rungen träumt, und der Leitung gibt es eine leitende Schicht, den Apparat der Minister, den Parteiapparat, der keine Reformen will (…)“63.

Erst 1987 hob die Zensurbehörde „Glavlit“ die Kontrolle der literarischen Werke auf. 1988 wurden auch die Verlage von der Vorzensur freigestellt. Das im August 1990 verabschiedete „Gesetz über das Pressewesen“ sollte von die-sem Zeitpunkt an die Pressefreiheit sichern. Auf dem XXVIII. und zugleich letzten Parteitag der KPdSU am 13. und 14. Juli 1990 proklamierte die Partei eine Erneuerungspolitik hin „Zum menschlichen demokratischen Sozialismus“. Auf diesem Kongress musste anerkannt werden, dass die Notwendigkeit einer grundlegenden Veränderung der Politik lange Zeit aufgrund verfälschter sozia-listischer Ideen ignoriert worden und nun umso dringender geworden war. In einem neuen Maßnahmenprogramm werden die freie Selbstbestimmung des Menschen hinsichtlich seiner Weltanschauung und seiner geistigen Interessen sowie seine Gewissensfreiheit als zentrale strategische Aufgaben der Politik normativ bezeichnet. Die Partei trat sowohl gegen eine Verwaltung der geistigen Sphäre als auch gegen die Kommerzialisierung von Kunst, Kultur und Bildung auf. Das Monopol der Ämter auf dem Kulturgebiet soll überwunden und das staatliche Steuerungssystem reformiert werden, so das Programm. Zum ersten Mal wurde offiziell verkündet, die Eigenart und Gleichberechtigung der Kultu-ren aller Völker der UdSSR zu achten, die Multinationalität der sowjetischen Kultur zu fördern und eine Integration des Landes in die Weltkultur anzustre-ben64. Die staatliche Kulturpolitik stand somit vor der Aufgabe, sich von der Verbreitung einer politischen Ideologie zu verabschieden und stattdessen zwischen verschiedenen Zielgruppen zu differenzieren und auf die Probleme und Bedürfnisse der Bevölkerung näher einzugehen. Als problematisch erwies sich dabei die Dialektik zwischen gesellschaftlicher Konsolidierung und der gleichzeitigen Differenzierung verschiedener soziokultureller Zielgruppen. Zudem konnte das neue Programm keine Wirkung zeigen, da der Partei das Machtmonopol bereits im Februar 1990 entzogen wurde. Die neu einge-schlagene Richtung blieb entsprechend unklar, eine Gesamtstrategie für die Veränderungen fehlte. Die Unterzeichnung des Abkommens über die Bildung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten am 8. Dezember 1991 bedeutete das Ende der Ära der UdSSR.

63 Das Gespräch fand am 19. Juni 1986 statt. Übersetzt durch die Autorin. 64 Aus dem Vortrag Michail Gorbačovs über die Realisierung der Beschlüsse des XXVII. Par-

teitages und der Vertiefung der Perestroika auf dem XXVIII. Parteitag.

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Der Stellenwert der Kulturbetriebe Die Notwendigkeit der kulturellen Erziehung der Massen als Hauptbedingung für den Sieg der sozialistischen Revolution machte den Stellenwert der Kultur-betriebe, „der proletarischen kulturellen Aufklärungsorganisationen“, aus. Im folgenden Abschnitt werden einige Beispiele dargestellt, die die Position der Kulturbetriebe als „Helfer des Staates“ verdeutlichen. Insbesondere in Fragen der Finanzierung zeigte sich das selektierende Vorgehen der Parteiführung. Entnehmen lässt es sich zum Beispiel Lenins Korrespondenz mit dem Sekretär des Zentralkomitees, Molotov, vom 12. Januar 1922. Lenin reagiert hier empört auf den Volkskommissar für Volksbildung Lunačarskij, der das Bolschoi Thea-ter für Oper und Ballett erhalten möchte. Aus ökonomischen und ideologischen Gründen könne er nicht zulassen, einen so großen Kulturbetrieb auf Staats-kosten zu unterhalten, so Lenin. Seiner Meinung nach sollte das Theater zwar nicht komplett geschlossen, seine Unterhaltskosten jedoch minimiert werden, um von den gesparten Milliarden nicht weniger als die Hälfte zur Bekämpfung des Analphabetismus und zur Förderung der Lesesäle (der späteren Massenbi-bliotheken) aufzuwenden65.

In dem darauf folgenden Briefwechsel zwischen Lenin und Lunačarskij sind ökonomische Argumente die wichtigsten gegen eine Schließung des Thea-ters. So schreibt Lunačarskij an Lenin, dass das Defizit des Theaters sechsmal niedriger sei als zur Zeit des Zarenreichs, außerdem würden 25 Prozent der Sitzplätze Funktionären der Partei und der Regierung unentgeltlich zur Verfü-gung gestellt. Aus Lunačarskijs Rechnung geht hervor, dass eine Schließung des Theaters nicht wesentlich zu Sparmaßnahmen der Partei beitragen würde, müssten dann doch Mittel für den Unterhalt des Gebäudes, den Erhalt der Aus-stattung des Theaters und für dessen technische Instandhaltung für andere Par-teiveranstaltungen zur Verfügung gestellt werden. Mit einer Schließung des Theaters würde die Partei allein ihre negative Haltung zur Kultur demonstrie-ren66. Der Kampf um die staatlichen Subventionen für das Bolschoi Theater entwickelte sich nicht zu dessen Vorteil. Die Auseinandersetzung, die es in ähn-licher Form auch mit anderen Theatern gab und der ideologische und ökonomi-sche Ursachen zugrunde lagen, zog sich hin. Nach drei Jahren beschloss das Politbüro des ZK der RKP(b) dann in seiner Verordnung zwar die Beibehaltung der Theater und deren staatlicher Finanzierung. Voraussetzung dafür war je-doch, dass die für sie aufgewendeten staatlichen Subventionen nicht höher als

65 Aus dem Brief Lenin an Molotov, Quelle: Artizov 1999: 30-31. 66 Aus dem Brief Lunačarskij an Lenin, Quelle: ebd. S. 32-33.

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der Aufwand für ihre Instandhaltung sein durften67. In dem erwähnten Brief-wechsel sind drei politische Ziele zu erkennen: Erstens soll der ökonomische Aufwand für den Unterhalt der „alten“ Kulturbetriebe nach der Revolution re-duziert werden; zweitens sollen die Werte der sozialistischen Ideologie durch die Einführung neuer kultureller Aufklärungseinrichtungen verbreitet werden; und drittens soll die Massenkultur auf Kosten der sogenannten hohen Kunst gefördert werden.

Der Weiterbetrieb von Theatern und Kinobetrieben wurde über ihre Nut-zung für die sozialistische Propaganda legitimiert. Außerdem hatten das Me-dium Buch und somit die Bibliotheken einen besonders hohen Stellenwert. Ihre Etablierung als Stützpunkte der sozialistisch gesinnten Arbeiter und Bauern sollte angestrebt werden, neben den schon als solchen funktionierenden Bier- und Teehäusern, so Lenin (vgl. Lenin 1967a: 90-91). Ihre Aufgaben fasst er wie folgt zusammen:

Der Stolz und der Ruhm der öffentlichen Bibliothek ist nicht darin zu sehen, wie viele Raritäten sie hat, sondern darin, wie sich die Bücher im Volk verbreiten, wie viele neue Leser gewonnen werden, wie schnell eine Buchbestellung erfüllt wird. (Lenin 1967b: 348)68

In der Folge dieser Politik wuchs der Umfang der neu errichteten kulturellen Aufklärungsinfrastruktur. In ihr spiegelte sich auch der Grad der Umsetzung der Kulturrevolution wider: Bis zum Jahr 1928 stieg die Anzahl der Klubeinrich-tungen im Vergleich zu 1921 um ein Drittel, die Anzahl der Bibliotheken er-höhte sich um 15, ihre Besucherzahl um 40 Prozent. Bereits der erste Fünfjah-resplan (1928-1933) sah die Einrichtung von 89.000 Bibliotheken vor (Diskin 1990: 44f.). Sie stellten die Basis der kulturellen Infrastruktur der Sowjetunion dar, die die Art der Freizeitbeschäftigung der Bevölkerung und ihre Teilnahme am kulturellen Leben bestimmte. Mit nur geringfügigen Veränderungen existierten sie bis in die Zeit der Perestroika fort. Ihre Blütezeit erlebte die kul-turelle Infrastruktur in der Mitte der 1970er Jahre, als es 131.000 Massen-bibliotheken gab und 135.000 Klubeinrichtungen (ebd.: 50). Diese Veränderun-gen wurden allerdings von Nivellierungsprozessen und einer massiven Unter-drückung nicht konformer Formen und Ausdrucksmittel in Kunst und Kultur-betrieben begleitet.

Während die Zahl der neu gebauten Einrichtungen, der verkauften Ein-trittskarten und der ausgeliehenen Bücher zum Bewertungsmaßstab des Fort-schritts wurde, entstand gleichzeitig eine Kluft zwischen sozialer Entwicklung

67 Aus der Verordnung des ZK der RKP(b), Quelle: ebd. S. 58. 68 Übersetzung durch die Autorin.

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und ökonomischen Problemen einerseits und der kulturellen Versorgung der Bevölkerung andererseits. Faktoren, die auf eine verschlechterte Situation hin-wiesen, wurden meistens ignoriert oder als Einzelfälle angesehen. Als Folge dieses Vorgehens entfremdete sich die Bevölkerung zunehmend von den Kul-turbetrieben, was folgende Zahlen bestätigen: Im Jahr 1981 hatten nur 12,7 Pro-zent der Bauern ein oder zwei Mal und nur 2,4 Prozent von ihnen drei Mal oder öfter ein Theater besucht. Nur sieben Prozent der Bauern waren in diesem Jahr in einem Museum oder einer Ausstellung gewesen (ebd.: 52). Die mangelnde Berücksichtigung der kulturellen Bedürfnisse unterschiedlicher Zielgruppen und des technischen Fortschritts führten aber nicht nur dazu, dass die Besuche in den Kultureinrichtungen zurückgingen. Sie bewirkte auch, dass bestimmte Bevölke-rungsgruppen ihre Freizeitaktivitäten – besonders in den 1980er Jahren – selbst-ständig und außerhalb der öffentlichen Einrichtungen organisierten. 3.2.2 Die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik Infolge der Auseinandersetzungen zwischen Bolschewiken, weißer Armee und ukrainischen und polnischen Gruppierungen auf dem Gebiet der heutigen Ukraine etablierten sich in den Jahren 1917 bis 1922 die Sowjets in der Ukraine. Die Gründung und die schnelle Auflösung der Ukrainischen und der Westukrai-nischen Volksrepublik in diesem kurzen Zeitabschnitt zeugen von der politi-schen Instabilität nach dem ersten Weltkrieg und waren u. a. Folgen des Bür-gerkriegs. Ihr Nachfolgestaat, die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik (USSR), wurde im März 1919 ausgerufen. Drei Jahre später, am 30. Dezember 1922, unterschrieb die USSR gemeinsam mit drei anderen sowjetischen Repu-bliken69 das Abkommen zur Gründung der UdSSR und war so eine der Grün-dungsrepubliken der Sowjetunion. Der USSR gelang es jedoch nur für kurze Zeit, ihre territoriale Einheit aufrechtzuerhalten. Infolge des Friedensabkom-mens von Riga nach dem sowjetisch-polnischen Krieg, das am 18. März 1921 zustande kam, wurde Polen ein Teil der Westukraine zugesprochen, der bis 1939 unter polnischer Herrschaft blieb. Der am 23. August 1939 unterzeichnete deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt70 brachte eine Neuaufteilung von Gebie-ten in Mittel- und Osteuropa mit sich. Mit ihm garantierte Deutschland, die

69 Die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR), die Belarussische Sozia-

listische Sowjetrepublik (BSSR) und die Transkaukasische Sozialistische Föderale Sowjet-republik (TSFSR).

70 Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt wird auch als Hitler-Stalin-Pakt oder Molotov-Ribbentrop-Pakt bezeichnet.

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sowjetische Besetzung von Territorien zu tolerieren, die der Sowjetunion nach dem sowjetisch-polnischen Krieg verloren gegangen waren. So besetzte die Rote Armee am 17. September 1939 Westwolhynien und Galizien; einen Monat später wurden beide der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik zugespro-chen. Mit ihrem Anschluss an die USSR begann die Etablierung der Sowjet-macht auch im Westen der Ukraine. Die Politik der „Ukrainisierung“ und die Repressionen gegen die nationale Kultur Zu den Umbrüchen im Zuge der Kulturrevolution, zu Mobilisierung und ideolo-gischer Erziehung der breiten Volksmassen gesellte sich in der sowjetischen Ukraine nun eine neue Komponente: die nationale Frage. Auf dem XII. Partei-tag der KPR(b) in Moskau im April 1923 wurde die Politik der „Ukrainisie-rung“ proklamiert71. Ihr zufolge soll die Sowjetunion die nationalen Kulturen und insbesondere die nationalen Sprachen in der Staatsverwaltung fördern, um die Macht der Bolschewiken zu festigen. Dazu wurde eine auf den Leninschen „Prinzipien der nationalen Politik“ basierende „Lösung der nationalen Frage“ der Sowjetunion beschlossen, die ein Vorbild zur „Befreiung“ der Völker von Kolonialismus und Kapitalismus sein sollte72. Während die Politik der „Ukraini-sierung“ explizit die Entfaltung einer nationalen Volkskultur anstrebte, war es in den 1920er und 1930er Jahren ihr impliziter Wunsch, sich die unter polnischer, rumänischer und ungarischer Herrschaft stehenden ukrainischen Territorien einzuverleiben. In diesem Zusammenhang sollte ein positives Bild der Sowjet-ukraine verbreitet werden, um die ukrainischen Bewohner Galiziens, der Buko-wina und Bessarabiens anzusprechen.

Die Parteibeschlüsse zeigen, dass die Kulturpolitik der sowjetischen Ukraine zunächst Sprachpolitik war. Dementsprechend wurde das Ziel gesetzt, die staatlichen Strukturen und Betriebe bis zum Jahr 1926 zu „ukrainisieren“ und Führungspositionen mit ukrainischen Kadern zu besetzen73. Die Resolution des ZK über die sowjetische Macht in der Ukraine bestätigt das: Ihr zufolge soll die Partei das Recht gewährleisten, sich in sowjetischen Institutionen in der eigenen Muttersprache zu verständigen, um ein Abdrängen der ukrainischen 71 Die Partei unterstrich die Notwendigkeit der sogenannten „nativization“ (engl.) oder der

Bewegung „putting down roots“ (engl.), Politika korenizacii (rus.). Die Politik der „Ukrainisierung“ wurde im April 1923 auf der VII. Konferenz der Kommunistischen Partei der Ukraine proklamiert.

72 Quelle: XII. Versammlung „Zur Frage über die Nationalitäten und Autonomien“ im Dezem-ber 1922. Aus dem stenographischen Bericht, Moskau 1968.

73 Mehr dazu in: Sovetskij ėnciklopedičeskij slovar´ (1987), Artikel 19987.

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Sprache auf den zweiten Rang zu verhindern. Stattdessen soll die Muttersprache zum Werkzeug der kommunistischen politischen Aufklärung der Arbeiter-massen werden74.

Das Verhältnis zu den nationalen Kulturen stammt aus der Leninschen Kulturtheorie. Ihr zufolge wird Internationalismus, also internationale statt nationaler Kultur angestrebt. Zum Internationalismus gehört nur ein Teil jeder nationalen Kultur, ihre „demokratischen und sozialistischen Inhalte“ (vgl. Lenin 1967b: 209). So beschloss die Partei zwar den Kampf gegen jede Unter-drückung von nationalen Bewegungen, nicht allerdings den für eine nationale Entwicklung (vgl. Lenin 1967c: 122-123). Nichtsdestotrotz zeichneten sich die 1920er Jahre durch ein Wiederaufleben der nationalen Bewegungen in den öst-lichen Gebieten des Landes aus. Im Zuge der Ukrainisierung und der Massen-aufklärung wurde insbesondere die Entwicklung literarischer Werke auf Ukrai-nisch gefördert. Nicht zu unterschätzen sind auch Leistungen auf dem Gebiet der bildenden Kunst (Mychailo Boičuk), des Theaters (Les´ Kurbas, Ivan Franko) und des Films (Oleksandr Dovženko), die zur Entwicklung der natio-nalen ukrainischen Identität einen wichtigen Beitrag leisteten (vgl. Stjopin 2003: 105).

Die Wissenschaft unterscheidet zwischen zwei Erscheinungsformen der „Ukrainisierung“. Im ersten Fall bezeichnet der Begriff die Rückkehr der Bevöl-kerung zu ihrer ukrainischen Muttersprache und zu den ukrainischen Tradi-tionen (als Voraussetzung für die Bildung eines eigenen Staates). Eine Ukraini-sierung in diesem Sinne lag der Gründung des ukrainischen Staates im Jahr 1918 als politisches Ziel zugrunde. Die sowjetische Ukrainisierung war dagegen kein Ziel, sondern nur ein Mittel, wie die Rede des Sekretärs des ZK der kom-munistischen Partei der Ukraine Popov bestätigt. Ihr zufolge ist sie ein Mittel, um das Verhältnis zur ukrainischen Bevölkerung zu verbessern. Praktisch sollte die Ukrainisierung der Involvierung der breiten Massen der ukrainischen Bevöl-kerung in den Kommunismus dienen, was wiederum eine effektivere Kontrolle der nationalen ukrainischen Entwicklung ermöglichen sollte (vgl. Bondarčuk 2004: 20-21).

Die ukrainische Kultur entwickelte sich rasch, übernahm dabei allerdings nicht immer die Merkmale der sozialistischen Kultur und war stark national geprägt. Das führte dazu, dass die oben dargestellten impliziten Ziele allmählich auch explizit zutage traten. Der ideologische Druck und die Repressionen gegen die nationalen demokratischen und nichtkommunistischen Bewegungen wurden ausgeweitet. Zudem ging die kommunistische Partei bei der Bekämpfung des 74 Aus der Resolution des ZK über die Sowjetische Macht in der Ukraine, Quelle: Lenin 1967d:

334-335.

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„Nationalismus“ in Kunst und Kultur nicht nur gegen Einzelpersonen, also die Träger dieser Kultur, sondern auch gegen einzelne Kunstrichtungen und -bewe-gungen vor. So wurde etwa der Ukrainische Barock zum bourgeois-nationalisti-schen Stil erklärt. Als Pavel Postyšev 1933 als Abgesandter der Sowjets in die Ukraine berufen wurde, stoppte er die Politik der Ukrainisierung. Tausende von Ukrainern in Führungspositionen wurden gekündigt, der Begriff „Ukrainisie-rung“ wurde aus dem offiziellen Sprachgebrauch gestrichen (vgl. Stjopin 2003: 104). Auf Kosten der alten Kultur – sowohl der Elitär- als auch der Volkskultur – sollte nun eine neue sozialistische Kultur aufgebaut werden. Als Träger der alten Kultur fiel die geistige Elite der ukrainischen Nation insbesondere in den Jahren 1933 bis 1934 und 1937 bis 1938 den stalinistischen „Säuberungen“ der Kulturrevolution zum Opfer75. Die ukrainische Kultur, die noch in den 1920er Jahren eine Blütezeit erlebt hatte, stand nun, zusammen mit dem nationalen Kulturerbe, der neuen Macht im Weg. Die Verwaltungsstruktur Die kulturpolitische Entwicklung der 1930er Jahre ist außerdem durch eine starke Tendenz zur Zentralisierung gekennzeichnet. Die Verwaltung der Kultur war formal zunächst beim Volkskomitee für Bildung angesiedelt, bis das Ko-mitee für Kunst und Ende der 1930er Jahre das unionsrepublikanische Kultur-ministerium der Ukrainischen SSR eingerichtet wurde. Die ukrainischen Ver-waltungsorgane der Kultursphäre, das Ministerium für Kultur und die staatlichen Verlags-, Film- und Rundfunkkomitees, wurden dabei gleich zwei Institutionen zugeordnet: Sie unterstanden dem Ministerrat der Ukrainischen Sowjetischen Sozialistischen Republik und den allgemeinen Verwaltungsorga-nen der Sowjetunion. Dabei spielten die einheimischen Organe eine zweitran-gige Rolle, denn methodische Anweisungen wie Finanzierungspläne wurden ausschließlich zentral in Moskau erarbeitet (vgl. Ukrajins´ki centr kul´turnych doslidžen´ 1995: 12). Kulturelle Infrastruktur Infolge der Kulturrevolution wurde in der sowjetischen Ukraine eine Reihe öffentlicher Kultureinrichtungen ausgebaut, um die traditionellen Institutionen zu ersetzen, die die geistigen Bedürfnisse der Bevölkerung früher befriedigt hatten. In erster Linie betraf diese Neuordnung die Kirchen, die als „reaktionär“ 75 Allein im Jahr 1937 wurden innerhalb von vier Monaten 268 950 Menschen verhaftet. Quelle:

Stjopin 2003: 107.

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angesehen wurden, sowie die „Prosvita“-Vereinigungen, die die Bolschewiken als bourgeois-nationalistisch bezeichneten. Das infrastrukturelle Vakuum der 1930er Jahre sollte nun durch andere Einrichtungen ausgefüllt werden, zunächst durch die sogenannten Dorfhäuser, später durch Klubs und Kulturhäuser. Groß-städte sollten ein Opernhaus, ein ukrainisches und ein russisches Schauspiel-haus, ein Kinder- und Jugendtheater und ein Puppentheater erhalten. Alles andere, das aus diesem Rahmen herausfiel, sollte geschlossen werden. Aufgrund dieser Politik gab es in den 1970er Jahren weniger staatliche nationale Theater in der Ukraine als 1928 (vgl. ebd.: 27). Die Regierung der Ukrainischen SSR eröffnete sozialistische staatliche Theater, Museen, Verlage und Bibliotheken und unterstützte regimekonforme Künstler. Als Gegenleistung forderte sie von Künstlern und Kulturschaffenden nicht nur Loyalität, sondern eine offene Un-terstützung der herrschenden Partei. Die Ziele der neu gegründeten Kulturbe-triebe werden besser nachvollziehbar, wenn man die ihnen übergeordneten Lei-tungsorgane in den Blick nimmt. Für die Arbeit dieser Einrichtungen war zunächst die Hauptverwaltung für politische Aufklärung zuständig, die 1945 in Komitee der kulturellen Aufklärungsarbeit umbenannt wurde und die die kultu-rellen Einrichtungen damit beauftragte, zwischen Staat bzw. staatlicher Ideolo-gie und Bevölkerung zu vermitteln. Außerdem bildeten in der Ukraine wie in allen sowjetischen Republiken Schriftsteller-, Komponisten- und Künstlerverei-nigungen neben den staatlichen Kulturbetrieben die Grundlage einer kulturellen Aufklärungsinfrastruktur, die formal autonom, faktisch aber dem sowjetischen Regime untergeordnet war. Kaderpolitik und Ideologiearbeit Eines der wichtigsten politischen Ziele in der Ukraine der Nachkriegszeit war die Umsetzung der sogenannten Kaderpolitik. Im Jahr 1946 entsandte die Partei beispielsweise zirka 86.000 Parteiagitatoren, Spezialisten der Propagandaabtei-lungen und Kulturschaffende in die westlichen Gebiete der Ukraine. Auch wenn bis Mitte des Jahres 1946 aus der einheimischen Bevölkerung zirka 53.000 Mit-arbeiter für Führungspositionen der Partei-, Kultur- und Aufklärungseinrichtun-gen engagiert wurden, machten diese statistischen Angaben zufolge nur etwa 10 Prozent der Parteimitarbeiter in der Westukraine aus (vgl. Šyška 2005: 145f.).

Laut der in Brežnevs Amtszeit verabschiedeten Verfassung der Sowjet-union war bis Ende der 1950er bzw. Anfang der 1960er Jahre der Sieg des So-zialismus in allen Sowjetrepubliken erreicht worden76. Die weitere Entwicklung

76 Konstitucija Sojuza Sovetskich Sozialističeskich Respublik 1977, Moskva, S. 8.

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des politischen und geistigen Lebens in den sowjetischen Republiken sollte die Ideologie des Sozialismus nun weiter stärken. Dabei sprach die Zahlen der Par-teieintritte, die nach der XXII. Mitgliederversammlung mustergültig anstieg, für einen politisch-ideologischen Aufschwung. Allein im Jahr 1962 zählte die kom-munistische Partei der Ukraine 84.327, im Jahr 1963 – 100.450 und 1964 – 122.058 neue Mitglieder77. Darüber hinaus waren entsprechend den Anfor-derungen des Programms der KPdSU zu Beginn des Jahres 1963 zirka 72.000 Mitglieder in der Agitationsarbeit der regionalen Verwaltungsorgane tätig (Mul-tych 1963: 191). Diesen sogenannten Agitatoren wurde eine bedeutende Rolle zugeschrieben. So wurden bis 1963 über 194.000 Mitarbeiter78 aus dem Kultur-bereich und der Volkswirtschaft für die Agitation ausgebildet, wobei versucht wurde, eine wissenschaftliche Herangehensweise an Fragen der kulturellen Entwicklung zu finden, um so die breiten Massen der ukrainischen Bevölkerung mit Theorie und Methoden des Marxismus-Leninismus vertraut machen zu können. Gefordert wurde eine Ausschaltung jeglichen Subjektivismus innerhalb der Steuerung und Verwaltung der staatlichen und gesellschaftlichen Angele-genheiten. Der Übergang zur Planwirtschaft sollte enorm zu einer Anhebung des kulturellen Niveaus beitragen (vgl. Ševčenko 1982: 39), wobei unter kultureller Entwicklung die materiellen Errungenschaften der Wohlfahrt im sozialistischen System verstanden wurden. Nach 50 Jahren Sowjetregime machte sich die sozialistische Kulturrevolution in der Ukraine vorrangig in einem verbesserten Bildungsniveau bemerkbar: Während bis 1917 noch bis zu 72 Prozent der ukrainischen Bevölkerung Analphabeten waren, war laut offiziellen Berichten bis zum Ende der 1960er Jahre eine vollständige Alphabetisierung erreicht worden (vgl. ebd.: 56).

Den genannten Beispielen ist hinzuzufügen, dass die Tauwetterperiode eine weitere Besonderheit der kulturpolitischen Entwicklung aufweist, bei der bei-spielsweise die Stadt Lwiw ihre Rolle als kulturelles Zentrum der Ukraine unter Beweis stellen konnte: Der Wissenschaftler und Literaturkritiker Ivan Dzjuba, der inoffizielle Anführer der sogenannten 60er-Jahre-Bewegung, veröffentlichte mit seinem Buch „Internationalismus oder Russifizierung?“ (1965) eine kriti-sche Analyse der sowjetischen Politik in der Ukrainischen SSR während der stalinistischen und poststalinistischen Zeit (Dzjuba 1998). Allein die Reaktion der Parteiführung auf dieses Werk macht die Liberalisierung der Politik der 1960er Jahre deutlich; Dzjuba wurde zwar sofort gekündigt, er wurde aber nicht verhaftet. Auf eine Schwächung des Systems kann auch aus den Protokollen der Parteiversammlungen des Lwiwer Gebiets geschlossen werden. Sie kritisieren 77 Quelle: PA IIP pri ZK Kompartii Ukrainy, F. 1, op. 231, d. 15. 78 Mehr dazu in: Naukovi praci u istoriji KPRS. Kyiv, 1966, vyp. 12, S. 143.

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die Art und Weise, auf die der politische Auftrag beim Aufbau des Sozialismus ausgeübt wird, stark79. Zudem wird die „politische Prinzipienlosigkeit“ von Kulturschaffenden und leitenden Akteuren im Kulturbereich verurteilt80. Das Lwiwer Gebietskomitee kommt zu der Schlussfolgerung, viele Leiter der Kul-tureinrichtungen wären von der Rolle ihre Kulturbetriebe im sozialistischen Aufbau selbst nicht genügend überzeugt81. Daher sollten sie nun persönlich die Verantwortung für die in ihren Einrichtungen verbreiteten künstlerischen Inhalte übernehmen. Später wurde in Analysen und offiziellen Dokumenten anerkannt und betont, dass gerade die sozialistische Regierung wesentlich zur Entfaltung „der unterentwickelten westlichen Regionen“ der Ukraine beigetragen habe (vgl. Ševčenko 1982: 106).

Die kulturpolitischen Zielsetzungen der 1970er Jahre übersahen – in der Ukrainischen SSR genauso wie in der gesamten Sowjetunion – die soziokultu-relle Entwicklung in der Zeit nach dem sogenannten Tauwetter. Die Kommu-nistische Partei der Ukraine betonte nach ihrer Mitgliederversammlung vom 17.-20. März 1971 wie auch früher schon die Notwendigkeit, das allgemeine kulturelle Niveau anzuheben, die kulturelle Infrastruktur auszubauen und Ver-lage für die Bildung der Jugend zu gründen82. Damit sollten ukrainischen Schriftstellern und Künstlern bessere Möglichkeiten geboten werden, Werke zu schaffen, die die sozialistischen Ideen, die „neue“ und „einzige Wahrheit des Lebens“, verhandeln. Entsprechend widmete sich die offizielle ukrainische Kunst und Literatur Themen wie den Helden des Großen Vaterländischen Krie-ges, dem Kampf gegen den Faschismus und den Errungenschaften der sozialisti-schen Arbeiter.

Mit dem neunten Fünfjahresplan wurde zwar im sozialen Bereich ein Pro-gramm verabschiedet, das auch Punkte zur kulturellen Entwicklung enthält. Auch hier wird jedoch das kulturelle Niveau am Grad des materiellen Wohl-stands der Bürger bemessen, zu dem auch Aspekte wie Wohnungsbau, Bildung oder Gehaltserhöhungen zählen83. Die Kultur an sich – reduziert auf die kultu- 79 Aus der Rede des stellvertretendes Sekretärs des Parteikomitees Lwiwer Staatlicher Universi-

tät auf der Gesamtuniversitären Parteiversammlung über die Aufklärungsarbeit vom 15.10.1968.

80 Aus der Verordnung des Büros des Lwiwer Gebietskomitees der Kommunistischen Partei der Ukraine über die höhere Verantwortung der Führungskräfte in den Büros der Massenmedien und der Kultur- und Kunsteinrichtungen des Gebiets vom 28.03.1969.

81 Aus der Erklärung des Lwiwer Gebietskomitees der Kommunistischen Partei über die Muse-ums-ausstellungen im Lwiwer Gebiet vom 14.02.1969.

82 Aus dem stenographischen Bericht des XXIV. Parteitages der Kommunistischen Partei der Ukraine, Kiew 1972, S. 293-296.

83 Aus dem stenographischen Bericht des XXV. Parteitages der Kommunistischen Partei der Ukraine, Kiew 1976, S. 49-50.

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rellen Aufklärungs- und Erziehungseinrichtungen – wird dagegen im zehnten Fünfjahresplan, der ihre Rolle in der ideellen Erziehung betont, behandelt. Er-klärtes Ziel ist es hier, die technische und allgemeine Ausstattung der Einrich-tungen zu verbessern. Im Jahr 1980 gab es in der Ukraine infolge der Politik der infrastrukturellen Erweiterung 84 professionelle Theater (im Vergleich 1975 – 77 und 1970 – 66). Die Besucherzahlen stiegen in diesen zehn Jahren von 17,2 Mio. auf 19,3 Mio. pro Jahr (Ševčenko 1982: 171).

Parallel zur Entwicklung in der Sowjetunion erreichte der Ausbau der kul-turellen Infrastruktur auch in der Sowjetukraine in den 1970er Jahren seinen Höhepunkt und entwickelte sich danach nur noch mangelhaft. Die Aufklärungs-einrichtungen fielen der wirtschaftlichen Stagnation der 1970er und 1980er Jahre als erstes zum Opfer, da die realen Bedürfnisse der Bevölkerung beim Aufbau dieser Infrastruktur nur mangelhaft berücksichtigt worden waren. Ge-nauso wenig hatte die Politik ihre Effektivität und ihre Ziele hinterfragt. So sank die Anzahl der Klubs im Zeitraum von 1970 bis 1990 von 25.700 auf 25.140, die der Kinobetriebe von 28.000 auf 26.800 und die der Massenbibliotheken von 27.600 auf 25.600 (vgl. Ukrajins´ki centr kul´turnych doslidžen´ 1995: 14). 1986-1991: Perestroika und der Weg zur Unabhängigkeit Die Gorbačovsche Perestroika veränderte das Leben der sowjetischen Gesell-schaft rasant und brachte eine Chance auf Unabhängigkeit für die Ukraine mit sich. Zunächst soll aber analysiert werden, warum Veränderungen nötig waren, um dann in einem zweiten Schritt die Ziele des Veränderungsprozesses in der Ukraine verstehen zu können. Neben den allgemeinen Gründen, die bereits in dem Kapitel über die Sowjetunion geschildert wurden – den verschlechterten Lebensbedingungen und der Wirtschaftskrise der 1980er Jahre – wurden die Havarie in Tschernobyl von 1986 und die durch sie ausgelöste zivilgesellschaft-liche Bewegung, die die Wahrheit über das Ausmaß der tatsächlichen Folgen der Katastrophe erfahren wollte, zum Anstoß der politischen Veränderungen in der Ukraine.

Die Krise der sowjetischen Gesellschaft in der Mitte der 1980er Jahre löste große Debatten und neue Bewegung in den Kreisen der ukrainischen Intellektu-ellen aus. Der offizielle Kulturbetrieb wandte sich bisher verbotener oder nicht anerkannter Kunst und Kultur zu. So entstanden kulturwissenschaftliche Verei-nigungen, deren Hauptinteresse der ukrainischen Geschichte von 1917 bis 1920, der Hungersnot der 1930er Jahre und den in der Sowjetzeit vernachlässigten nationalen ukrainischen Traditionen galt. Um den Jahreswechsel 1988/89 wurde die erste unabhängige gesamtukrainische zivilgesellschaftliche Organisation –

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der Verband der ukrainischen Sprache Taras Ševčenkos, ab 1991 „Prosvita“ – wiedergegründet84. Die Suche nach einem Ausweg aus der neuen sozialpoliti-schen Situation spiegelt die Publikation Ivan Dzjubas (1988) „Ob die ukraini-sche Kultur als Gesamtheit zu begreifen ist?“ wider, mit der der Weg zur Unab-hängigkeit eingeschlagen wurde. Dzjuba attestiert der ukrainischen Kultur, infolge der mangelnden staatlichen Souveränität unvollständig strukturiert zu sein. Dabei fordert er die Leser auf, wieder über die philosophische und die soziologische Idee einer ukrainischen Nationalkultur zu sprechen und von der ukrainischen Kultur als von einer Ganzheit denken zu lernen (vgl. Dzjuba 1988). Indem so kulturpolitische Aufgaben an allgemeinpolitische Fragen ge-koppelt wurden, wurde die Kultur in der Zeit des Systemumbruchs von 1989 bis 1991 zu einem wichtigen identitätsstiftenden Faktor bei der Herausbildung des ukrainischen Staates.

Mit dem Rücktritt des Ersten Sekretärs der Kommunistischen Partei der Ukraine Ščerbickij im Jahr 1989 begann der administrative Umbauprozess. Unter starkem gesellschaftlichen Druck führte die Regierung 1989 die ersten Veränderungen an der ukrainischen Gesetzgebung durch: Das neue Sprachen-gesetz erklärte Ukrainisch zur Amtssprache, was auch in der Verfassung festgehalten wurde. Am 1. Dezember 1991 bestätigte eine Volksabstimmung die am 24. August 1991 vom Parlament ausgerufene Unabhängigkeit der Ukraine. Die Herausforderung, eine Nation auf der Basis der eigenen nationalen Kultur zu bilden, wurde nun das übergreifende kulturpolitische Ziel. Ein misslungener Übergang zur Eigenfinanzierung des Kulturbereichs und die gleichzeitige Fi-nanzierungskrise, die mangelnden Reformen in der Kulturverwaltung und die bereits seit dem Ende der 1980er Jahre im Zerfallen begriffene sowjetische kul-turelle Infrastruktur beeinflussten jedoch die kulturpolitischen Aktivitäten in der unabhängigen Ukraine nach 1991. 3.2.3 Die Volksrepublik Polen Die Übernahme der sozialistischen Leitideen In der polnischen Republik wurden die kulturpolitischen Aufgaben schon vor der Befreiung des Landes von der deutschen Besatzung aufgestellt. In erster Linie betrafen sie die „Demokratisierung“ der Kultur gemäß der sozialistischen Auffassung. Entsprechend sollten in der Organisation der Kultur bestimmte

84 Gegründet in Lwiw 1868, aufgelöst 1939. Mehr dazu bei Šyška 2005.

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Formen entwickelt werden, die nicht nur die geistigen Bedürfnisse der Massen befriedigen, sondern auch den sozialistischen Einfluss auf die kulturellen Ver-änderungen sichern würden. Die Kulturpolitik sollte also nicht auf die Initiative der Bevölkerung warten, sondern ihr entgegenkommen85 und so trat die Polni-sche Arbeiterpartei86 (PPR) für die allgemeinen Ziele der Kulturrevolution wie Allgemeinbildung, Verbindung von wirtschaftlichem und kulturellem Fort-schritt, Erhöhung der kulturellen Kompetenz der Gesellschaft und Beseitigung des Analphabetismus ein. Das hält auch ihre Parteisatzung fest (vgl. Publicystyka konspiracyjna PPR 1967: 26) 87.

Der Schwerpunkt der kulturpolitischen Aktivitäten lag jedoch bis 1949 ent-sprechend den besonderen Anforderungen der Nachkriegszeit auf dem Wieder-aufbau des Landes. Die Beseitigung von Kriegszerstörungen und die Bekämp-fung des Analphabetismus werden im Dreijahresplan (1947-1949) als Aufgaben mit hoher Priorität bezeichnet (vgl. Miechowicz 2002: 107). Die kulturellen Veränderungen beim sozialistischen Umbau sollten durch das 1945 errichtete Ministerium für Kultur und Kunst zentral organisiert werden. Eine Folge davon war die in der Programmerklärung PPR offiziell verabschiedete Schirmherr-schaft des Staates über die Kultur88. Der Staat sollte die mit der kulturellen Ent-wicklung verbundenen Aufgaben übernehmen und die Richtlinien der Kultur-politik festlegen. Die Politik verfolgte dabei nicht explizit das Ziel, Formen und Inhalte der Kunst zu bestimmen, sondern wollte Künstler (und ihr Milieu) für sich gewinnen, insbesondere jene, die schon vor dem Krieg berühmt gewesen waren (vgl. Cieślińska 1998: 4). Mit ihrer Hilfe hoffte sie, sich gegenüber dem Volk legitimieren zu können. Davon zeugt auch die Rede des ersten Generalse-kretärs Władysław Gomułka89 am 9. Juni 1946 in der Kulturakademie in Bres-lau: „Gebt der Nation eine Kultur, die aus der polnischen Wirklichkeit erwach-sen ist“90, proklamierte der Generalsekretär und legte damit die Programmatik der kulturellen und künstlerischen Entwicklung fest. 85 Quelle: Zagadnienie organizacji kultury „Rada Narodowa”, 1944, nr. 12 z 11 lipca 1944 r. 86 Die Polska Partia Robotnicza (Polnische Arbeiterpartei, PPR) wurde am 5. Januar 1942 im

Warschauer Untergrund gegründet und war eine polnische kommunistische Partei. Am 21. Dezember 1948 erfolgte der Zusammenschluss mit der Polska Partia Socjalistyczna (Polnische Sozialistische Partei, PPS) zur Polska Zjednoczona Partia Robotnicza (Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, PZPR).

87 Mehr dazu in: Kształtowanie się postaw programowych PPR 1958: 95, 148-149, 444-445. 88 Ebd.: 149. 89 Władysław Gomułka wurde auf dem ersten Parteitag der PPR vom 6.-13.12.1945 zum ersten

Generalsekretär gewählt. 90 Polnisch: Dajcie narodowi kulturę wyrosłą z rzeczywistości polskiej. Übersetzung durch die

Autorin.

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Gebt dem Volk, gebt der Jugend die Lieder, die die tausendjährigen Traditionen unserer Väter in uns wieder beleben (...). Gebt uns die Dichter, gebt uns die Komponisten, die Worte und die Melodie der Nationalhymne, die unsere historische Epoche gebührend vertreten91. (Aus der Rede Gomułkas in der Kulturakademie in Breslau am 9. Juni 1946)

Aus der Rede wird ersichtlich, dass aus den Volkstraditionen eine Auswahl getroffen worden war, aus der heraus sich nun die neue sozialistische Kultur entfalten sollte. Die Absicht, Künstler für den sozialistischen Aufbau zu gewin-nen, kam auch deutlich zum Ausdruck in den Vorträgen auf dem Intellektuel-lenkongress in Breslau 1948, bei der Wiedereröffnung der Kunstakademien von Krakau und Warschau, bei der Eröffnung neuer Hochschulen für bildende Künste in Breslau sowie bei der Gründung des „Verbandes polnischer bildender Künstler“. Dabei herrschte in Polen genauso wie auch in anderen sozialistischen Staaten die Auffassung vor, dass das kulturelle Leben den gleichen Gesetzen wie das Wirtschaftsleben gehorchen würde (vgl. Borejsza 1997: 86). Diese Ein-stellung offenbaren die vom Staatspräsidenten Bolesław Bierut am 16. Novem-ber 1947 anlässlich der Eröffnung eines Radiosenders in Breslau formulierten Grundlagen der Kulturpolitik, die u. a. aus der „Harmonisierung der kulturellen mit den wirtschaftlichen und politischen Veränderungen“ bestehen92. Außerdem hob die neu gegründete Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PZPR) 1948 be-sonders die Rolle des Kulturausbaus hervor93. All diese Beispiele weisen darauf hin, dass die Politik versuchte, an die durch den Krieg unterbrochene kulturelle Entwicklung anzuknüpfen.

Während der Phase des Stalinismus verbreiteten sich nach 1949 auch in Polen die Grundsätze des Sozialistischen Realismus. In dieser Zeit herrschte die Auffassung vor, dass die Kulturpolitik eine ideologietreue Beteiligung der Künstler am Aufbau des sozialistischen Systems gewährleisten und Phänomene beseitigen sollte, die der Verwirklichung der „humanistischen“ Ziele der sozia-listischen Kultur im Wege stehen könnten. Mit der Erklärung des Sozrealismus zur bevorzugten Kunstrichtung im Jahr 1950 begann die Gleichschaltung des künstlerischen Lebens. In Polen wurden seine Prinzipien nun zu Bewertungs-kriterien für den ästhetischen, politischen und moralischen Wert von Kunstwer-ken und entsprechend an sie angelegt. Der polnische Wissenschaftler Andrzej Szpociński kommt in seiner Analyse dieser Zeit zu dem Schluss, dass die Machtinhaber die polnische Kultur durch eine „Säuberung der Tradition“, nicht

91 Z przemówienia Władysława Gomułki wygloszonego na Akademii Kultury Polskiej we

Wrocławiu 9.06.1946 r., „Nowe Drogi”, 1948, nr. 7, s. 76. 92 Aus dem Vortrag O upowszechnienie kultury. Przemówienie Prezydenta Rzeczypospolitej

Bolesława Bieruta na otwarciu radiostacji we Wroclawiu 16 listopada 1947 r. 93 Aus der Deklaration Deklaracja ideowa PZPR, „Nowe Drogi“, 1949, nr. 1.

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durch eine Trennung von ihr radikal umzubauen versuchten. Das übergeordnete strategische Ziel der Kommunisten war dabei die Enteignung der Gesellschaft von ihren kollektiven Identifikationssymbolen zur Legitimierung der eigenen Macht (vgl. Szpociński 1992: 80). Mit der offiziellen Gründung der Volksrepu-blik Polen 1952 sollte dieser Kurs noch konsequenter durchgesetzt werden94.

Wie in anderen Ländern des Ostblocks begann auch im kulturellen Leben Polens mit dem Tod Stalins 1953 eine neue Ära. Den Reden Bieruts und Gomułkas kann entnommen werden, dass die Parteiführung einerseits versuchte, die „erzieherische Rolle“ der Kunst im Sinne des Sozialismus zu nutzen. Kunstwerke, so Bierut, sollten das Volk formen und großziehen. Diese Auffas-sung verbreitete auch Gomułka, der nach Bieruts Tod auf dem VIII. Plenum des ZK PZPR vom 19.-21.10.1956 wieder zum Ersten Sekretär gewählt wurde. Ihm zufolge entwickelte sich „das geistige Antlitz des Volkes“ durch seine Wissen-schaft, seine Kunst und seine Literatur. Andererseits war die kulturpolitische Entwicklung dieser Jahre geprägt von künstlerischen Differenzen, die durch liberale Ansichten über Kunst und Kultur im kapitalistischen Westen wie auch im sowjetischen Osten beeinflusst wurden. In ihrer Folge entstand im polni-schen Künstlermilieu eine Untergrundszene und es wurde zunehmend der Wunsch deutlich, den Dogmatismus beim Aufbau des Sozialismus zu überwin-den und kulturelle Bedürfnisse zu reflektieren. Ein Zeichen der kulturpolitischen Entwicklung auf dem Weg der Entstalinisierung war auch die Suche nach einer neuen Identität innerhalb der Kulturpolitik und des Künstlermilieus. Diese sollte sozialistisch, aber nicht sowjetisch sein (vgl. Cieślińska 1998: 12). Entlang die-ses Leitgedankens entstanden viele Konzepte zur Kulturpolitik; die historischen Ereignisse in Ungarn von 1956 verhinderten jedoch ihre Verwirklichung.

Bereits im Jahr 1957 bekam der Kulturbereich die Ablehnung gegen die sich vollziehende Liberalisierung zu spüren: Die Zeitschriften „Przegląd Kultu-ralny”, „Nowa Kultura” und „Po prostu” wurden eingestellt, außerdem wurde im Jahr 1959 über eine Erweiterung der Kompetenzen des Ministeriums für Kunst und Kultur eine Zentralisierung der Kulturverwaltung angestrebt. Zu den Aufgaben des Ministeriums zählten nun die Realisierung der Kulturpolitik in den Bereichen Literatur, Theater, bildende Kunst, Fotografie, kulturelle Bildung sowie in den öffentlichen Kulturvereinigungen, die seiner Kontrolle unterstellt wurden95. Auf dem XIII. Plenum des ZK der PZPR im Juli 1963 bestätigte Gomułka die Rückkehr zum Dogmatismus beim Aufbau des Sozialismus. Er kritisierte, dass sich in Polen literarische Werke und Filme verbreiten würden, 94 Aus der Verfassung der Volksrepublik Polen. Konstytucja Polskiej Rzeczpospolitej Ludowej,

Dz. Ust. Nr 33. poz. 232 z dn. 23.07.1952. 95 Original: Biuletyn Ministerstwa Kultury nr 12, poz. 103, z 1959.

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die die Ansichten der kapitalistischen Welt gutheißen, obwohl diese doch von der Geschichte zum Untergang verurteilt worden seien. Die Reaktion auf die März-Ereignisse von 1968 in Polen96 zog eine weitere Verhärtung in der offizi-ellen Kulturpolitik nach sich, die – so steht es in der Resolution des V. Partei-tags der PZPR von 1968 – nun beabsichtigte, das künstlerische Milieu stärker in die Politik einzubeziehen. Die 1960er Jahre waren also auch in der Volksrepu-blik Polen von mangelnden Reformen im Kulturbereich gekennzeichnet, obwohl in dieser Zeit bereits offensichtlich war, dass nonkonforme Künstler begannen, nach Nischen zu suchen, in denen sie ihre Ansichten vertreten konnten.

Erst in den 1970er Jahren machten sich erste Dezentralisierungstendenzen bemerkbar. 1973 wurden die Arbeitsprinzipien der Kulturabteilungen für die Präsidien der Volksräte auf der Ebene der Woiwodschaften und der Powiety97 verändert. Zu ihren Kompetenzen zählten nun die Organisation der „selbststän-digen Arbeit im Kulturaustausch“ und die „Erarbeitung von Entwicklungsplä-nen“ für das kulturelle Leben der jeweiligen Sparten. In der Folgezeit entstan-den in Polen die ersten kommerziellen Kulturbetriebe – Kunstgalerien.

Ähnlich wie in anderen sozialistischen Staaten wurden in den 1970er Jah-ren auch in Polen neue Prioritäten für die Kulturpolitik formuliert. Während das Ziel der vergangenen Periode die Verbreitung von Kultur gewesen war, wid-meten die staatlichen Akteure der Kulturpolitik sich nun der Aufgabe, die wohl-verdiente Erholung des werktätigen Volks zu organisieren, wie dem Parteibe-schluss des VI. Parteitags der PZPR im Dezember 1971 zu entnehmen ist98. Darüber hinaus beschloss das Ministerium für Kunst und Kultur 1974 langfristi-ge kulturpolitische Ziele, die die kulturelle Entwicklung Polens in den kommen-den 25 Jahren – bis 1990 – prägen sollten99. Der Staat strebte die Übernahme der nationalen Schirmherrschaft für Kunst und Kultur an, um so eine künstleri-sche Entwicklung zu ermöglichen und die Beteiligung sämtlicher Bevölke-rungsschichten an der Kultur zu fördern. Allerdings wirkte sich die Wirtschafts-krise der 1970er Jahre hemmend auf die Verwirklichung dieser Ziele und auf die Entwicklung des Kulturbereichs aus.

96 Sie werden auch als März-Unruhen 1968 bezeichnet. An fast allen polnischen Hochschulen

kam es zu Protesten, in mehreren Städten zu Straßendemonstrationen und Auseinander-setzungen. Die Unruhen wurden niedergeschlagen.

97 Eine Woiwodschaft ist ein polnischer Verwaltungsbezirk als oberste Stufe der territorialen Gliederung. Ein Powiat ist die nächstkleinere Selbstverwaltungseinheit.

98 Mehr dazu bei Bernarek 1997: 91. 99 Program Ministerstwa Kultury i Sztuki na lata 1975-1990, Warszawa 1974, broszura do

użytku służbowego.

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Die brisanten Ereignisse der 1980er Jahre: Polen als Vorreiter der Überwindung des Sozialismus Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den Leistungen des Realsozialismus löste Anfang der 1980er Jahre eine Protestwelle gegen die wenig effiziente So-zialpolitik in Polen aus. Die katholische Kirche erweiterte ihre gesellschaftspo-litischen Aktivitäten und erhöhte die Auflage ihrer Zeitschriften, z. B. der „Tygodnik Powszechny“100. Die wichtigsten Veränderungen trieben jedoch die Anhänger der Gewerkschaft „Solidarność“ voran, deren Forderung nach sozia-len Reformen breite Zustimmung in der Bevölkerung erntete. Der politischen Reaktion auf diese Forderungen – der Ausrufung des Kriegszustands im Dezember 1981101 – folgte eine Reihe von Restriktionen gegenüber der Sphäre von Kunst und Kultur, die u. a. die Auflösung etlicher mit geistigem Schaffen befasster Vereine zur Folge hatte. Es kam zu einer Verlagerung der zeitgenössi-schen Kunst in Räumlichkeiten der katholischen Kirche, in Privatwohnungen oder in Ateliers. Durch die Untergrundorganisation von Solidarność sowie durch die katholische Kirche wurde sie dort finanziell, ideell und organisato-risch unterstützt. So wurde die Kirche zum einzigen legalen Ort des öffentlichen Widerstands in Polen. Der deutsche Wissenschaftler Wolfgang Schlott stellt bei der Analyse dieser Periode der kulturpolitischen Entwicklung in Polen fest, dass

die vom Regime 1982/1983 erwirkte Auflösung von künstlerischen und anderen Berufsverbänden (…) eine kathartische Funktion [hatte]. (…) Gleichzeitig entfalteten sich – nicht zuletzt unter dem politischen Druck – organisatorisch und künstlerisch ausdifferenzierte Szenen und Milieus, deren Ziel in der Schaffung einer demokratisch orientierten Kultur bestand. (Schlott 1992a: 63)

Noch während des Kriegszustands sollte basierend auf dem Gesetz vom 4. Mai 1982 ein ab dem 1. Januar 1983 geltendes neues Finanzierungssystem im Kul-turbereich eingeführt werden. In seinem Rahmen sollte der Fonds für kulturelle Entwicklung entstehen. Das Regime bemühte sich also um zusätzliche finan-zielle Mittel für den Kulturbereich (vgl. Miechowicz 2002: 118), dessen Finan-zierung allerdings auch in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre mangelhaft war, wobei die ohnehin knappen Mittel zusätzlich ineffizient verteilt wurden. Die allgemeine sozialpolitische Situation in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre bestimmte immer mehr auch die kulturelle Entwicklung. Eine in der zweiten Hälfte des Jahres 1985 durch die Kulturabteilung des ZK und den Gesamtpolni- 100 Allgemeine Wochenzeitung. Während des Kriegszustandes wurde das Erscheinen des Ty-

godnik Powszechny für einige Monate gestoppt. 101 Vom 13.12.1981 bis zum 31.07.1983.

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schen Verband der Parteischriftsteller organisierte Konferenz stellte eine Ana-lyse zum Stand der Literatur in der Volksrepublik Polen vor. Die Teilnehmer benannten dabei eine Menge von gesellschaftspolitischen Veränderungen, die auch die literarische Entwicklung beeinflussten. Zunächst wurde eine zuneh-mend antisozialistische Stimmung und offene Angriffe auf die Partei und den Kommunismus an sich kritisiert sowie die Notwendigkeit anerkannt, Polens Stellung im sozialistischen Lager zu überdenken. Außerdem wurden die immer intensiveren Beziehungen zwischen Kunst und Kirche als problematisch be-zeichnet. Weiterhin stellten die Teilnehmer der Konferenz fest, dass das nach der Aufhebung des Kriegszustands verabschiedete Parteiprogramm der Restau-rierung nach zwei Jahren immer noch keine Wirkung zeigen würde102.

Die Haltung der Partei zu den wachsenden Problemen im Kulturbereich veränderte sich jedoch nicht, wie das Referat des Staatsratsvorsitzenden Wojciech Jaruzelski auf dem X. Parteitag der PZPR am 29. Juni 1986 zeigt. Er betonte die Bedeutung der Kultur für die sozialistische Entwicklung in Polen und versteht die Kultur als „humanistische Bereicherung“ dieser Entwicklung, als wesentlichen Inhalt ihrer Arbeit und des Zusammenlebens sowie als ent-scheidender Faktor des zivilisatorischen Wandels in Polen. Der Kulturbereich litt Jaruzelski zufolge allerdings unter einer Vernachlässigung, die sich in Frustration, Chaos und in einer größer werdenden Kluft zwischen Bedürfnissen und Mitteln äußerte. Schriftsteller, Komponisten, bildende Künstler und Schau-spieler wurden daher aufgefordert, diese negativen Erscheinungen zu überwin-den. Der Redner betonte, Kultur sei schon immer eine Inspirationsquelle Polens gewesen. Sie habe fortschrittlichen Ideen den Weg gebahnt und die patriotische Gemeinschaft wieder belebt. Die Krise des Staatshaushalts Ende der 1980er Jahre verhinderte jedoch auch in Polen, dass ein Engagement der staatlichen Kulturpolitik, deren Legitimation ohnehin immer weiter zurückging, die Situa-tion unter Kontrolle halten konnte.

Aus den Treffen von Parteivertretern und Vertretern der gesellschaftlichen Opposition am Runden Tisch des Frühjahrs 1989 resultierten radikale Verände-rungen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. Das mit ihnen einhergehende Streben nach Pluralismus und der Wiederzulassung der Gewerkschaft Solidar-ność führte zu den ersten als frei geltenden Wahlen im gesamten Ostblock und zur Selbstauflösung der PZPR auf dem XI. Parteitag im Januar 1990.

102 Quelle: Literatura Polski Ludowej - oceny i prognozy. Materiały z konferencji pisarzy w

lutym 1985 roku, red. Jerzy Adamski, PIW, Warszawa 1986, s. 5.

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Der Stellenwert der Kulturbetriebe Auch in der Volksrepublik Polen sollten die kulturpolitischen Ziele durch Aus-bau der kulturellen Bildungs- und Aufklärungsinfrastruktur erreicht werden. Dies bestätigt das Gesetz über den Sechsjahresplan der wirtschaftlichen Ent-wicklung für 1950-1955103. Ihm zufolge beabsichtigt die Partei, die Anzahl der Bücher und Zeitschriften, der Klubs, Kinobetriebe und Kinoproduktionen und der Schauspielstätten und Radiosender zu erhöhen. Anzumerken ist, dass die dafür zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel die höchsten der ersten 25 Jahre nach dem Krieg waren (vgl. Miechowicz 2002: 110). Auch die Verfassung von 1952 garantiert das Recht auf Zugang zu den kulturellen Gütern und Werten in Bibliotheken, Museen, Ausstellungen und Kulturhäusern104. Soweit unter-schied sich der kulturpolitische Auftrag der staatlichen Kulturbetriebe kaum von dem anderer sozialistischer Länder. Drei Besonderheiten sollen jedoch festge-halten werden.

Zum einen ist das die Auffassung der Romantik, die der polnische Kultur-betrieb in der Zeit des Sozialismus hatte. Die Romantik, die das Pathos des re-volutionären Kampfs nach den Teilungen105 Polens thematisiert, sollte nämlich das Fundament der sozialistischen Kultur Polens bilden. Der Staatspräsident Bolesław Bierut betonte:

Es genügt beispielsweise zu erwähnen, welch große Rolle […] für die Mobilisierung der ganzen Gesellschaft Mickiewicz und Słowacki106 gespielt haben. Unsere Kulturschaffenden sollen wissen, dass ihre Werke das Volk bilden, mitreißen und erziehen sollen107. (Bierut 1948: 19)

Zweitens gesteht die staatliche Kulturpolitik mit dem Gesetz „Information, Gut-achten und Bewertung der Situation in der polnischen Kultur“ bereits 1985 einen Krisenzustand im staatlichen Kulturbereich ein. Schlott kommentiert das Gesetz so:

103 Original in: Dziennik Ustaw z 1950 r. Nr. 37 vom 21. Juli 1950. 104 Konstytucja Polskiej Rzeczpospolitej Ludowej, Dz. Ust. Nr 33. poz. 232 z dn. 23.07.1952. 105 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in den Jahren 1772, 1793 und 1795 wurde der

damalige Doppelstaat Polen-Litauen (die gemeinsame Adelsrepublik existierte von 1569 bis 1795) zwischen den drei Nachbarmächten Russland, Preußen und Österreich aufgeteilt.

106 Die Nationaldichter Adam Mickiewicz (1798-1855) und Juliusz Słowacki (1809-1849) gelten als wichtigste Vertreter der polnischen Romantik.

107 Übersetzung durch die Autorin.

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Es bildete den Offenbarungseid eines Regimes, das seinen Staatsbürgern keinerlei wesentliche Finanzmittel für die Aufrechterhaltung der meisten Kulturinstitutionen versprechen konnte und eingestand, dass es aufgrund der völlig unzureichenden kulturellen Infrastruktur zu deren weitgehender Erstarrung gekommen sei. (Schlott 1992a: 24)

Die dritte polnische Besonderheit ist die Entstehung nichtstaatlicher kultureller Organisationsformen – etwa Verlage und Privatgalerien – noch während der Zeit des Sozialismus sowie die enorme Stärkung, die der Einfluss der katholi-schen Kirche für das gesellschaftliche Engagement, u. a. im Kunst- und Kultur-bereich, bedeutete. 3.2.4 Die Deutsche Demokratische Republik Von der Sowjetischen Besatzungszone zum Deutschen Sozialistischen Nationalstaat Den Ursprung des deutschen sozialistischen Staates stellt nicht eine sozialisti-sche Revolution dar, sondern die Niederlage Deutschlands und seine Teilbesat-zung durch die Sowjets. Diese Niederlage und die Besatzung beeinflussten auch die kulturpolitische Entwicklung des Landes. Nach dem Sieg der Roten Armee sollte eine „antifaschistisch-demokratische Ordnung“ errichtet werden, um de-rentwillen zunächst sozialistische Schul- und Bildungsreformen ins Leben geru-fen wurden. Wie dem Befehl der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) vom 16. Mai 1945 zu entnehmen ist, strebte die sowjetische Besatzungsmacht zur Überwindung der Folgen des Nationalsozialismus nach einer schnellen Ent-faltung des kulturellen Lebens in der Besatzungszone. Dies bestätigt der dama-lige Leiter der Informationsabteilung der SMAD Sergej Tulpanov, der die Kul-turarbeit als einen Teil des Gesamtkonzepts der „Entnazifizierung und der sozialistischen Demokratisierung“ in Deutschland ansieht108. Die geistige Elite und die Exilkünstler und -kulturschaffenden sollten sich für die sozialistische Ordnung engagieren, was sich zum Teil, etwa bei Bertolt Brecht, einfach durch ihre Heimkehr aus dem Exil ergab109. Die Kontinuität der kulturellen Entwick-lung sollte u. a. durch ein Anknüpfen an die humanistische Tradition, insbeson-dere die der Weimarer Klassik, gewährleistet werden, wobei die „antifaschis-tisch-demokratische Ordnung“ durch Instrumentalisierung dieser Traditionen für die sozialistische Propaganda gefestigt werden sollte. 108 Aus dem Gespräch mit Sergej Tulpanov. In: Schriftstellerverband der Deutschen Demokrati-

schen Republik (Hrsg.) (1979): Zeit des Neubeginns. H. 9, S. 42f. 109 Mehr dazu bei Altvater u. a. 1974.

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Kulturpolitik wurde nicht nur während der ersten Nachkriegsjahre, sondern auch langfristig als öffentliche Aufgabe konzipiert. Besonders in der Anfangs-zeit trug dazu der „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ bei, den Johannes Robert Becher unter Zustimmung der SMAD gegründet hatte. Sein Programm verdeutlicht auch die allgemeinen kulturpolitischen Ziele: Sie umfassen neben der Vernichtung der NS-Ideologie auf allen Gebieten und der Wiedervereinigung des deutschen Volks unter sozialistischen Vorzeichen auch die Wiederentdeckung und Förderung von „freiheitlichen humanistischen, wahrhaft nationalen“ Traditionen. Zu betonen ist, dass der Kulturbund die Zu-sammenarbeit mit demokratisch eingestellten religiösen und kirchlichen Bewe-gungen zu diesem Zeitpunkt nicht offiziell ablehnte, sondern die Bildung „einer nationalen Einheitsfront der deutschen Geistesarbeiter“ und die Schaffung „einer unverbrüchlichen Einheit der Intelligenz mit dem Volk“ sowie eine Einbeziehung „der geistigen Errungenschaften anderer Völker in den kulturellen Neuaufbau Deutschlands“110 anstrebte.

Diese Ziele korrespondieren mit den im Zuge der kulturellen Umwälzung entstehenden Aufgaben, die die Zentrale Kulturtagung der KPD vom 3. bis zum 5. Februar 1946 behandelte. Dabei wurden eine Berücksichtigung „der huma-nistischen Kulturtradition“ und antifaschistische Bestrebungen von politischen und kulturellen Bildungszielen nach sowjetischem Vorbild ergänzt, was folgen-dermaßen formuliert wird:

[D]ie kulturelle Erneuerung zur Sache des ganzen Volkes zu machen, alle Kultur- und Bildungsmöglichkeiten dem Volke zu erschließen und dafür zu wirken, dass allen Menschen der Zugang zur Wissenschaft und Kunst geöffnet wird. (Schulmeister 1980: 12)

Die sozialistische „Demokratisierung“ der Kultur verfolgte zu diesem Zeitpunkt das weit über den Kulturbereich hinausweisende Ziel, „eine demokratische und fortschrittliche Entwicklung in ganz Deutschland zu erreichen und die imperia-listische Politik der Spaltung Deutschlands zu durchkreuzen“, wie in der Sat-zung der im April 1946 gegründeten SED zu lesen ist.

Mit der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 begann allerdings eine neue Phase der Kulturpolitik, deren Hauptaugenmerk der Herausbildung der sozialistischen Nation galt. Schon nach wenigen Wochen, auf dem zweiten Bundeskongress des Kulturbunds im November 1949, erfolgte eine Konkretisie-rung des kulturpolitischen Auftrags. Der Ministerpräsident Otto Grotewohl hob

110 Aus dem Manifest und Ansprachen bei der Gründungskundgebung des Kulturbundes am 4.

Juli 1945 im Haus des Berliner Rundfunks, Berlin o. J. Quelle: Aufbau, kulturpolitische Monatszeitschrift, Berlin, H.2/1945, S. 200.

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in seiner Eröffnungsrede „Die Deutsche Demokratische Republik und ihre Intel-lektuellen“ die Bedeutung der Geistesarbeiter111 hervor, die in der Produktion und im öffentlichen Leben noch steigen sollte. Diese Rede wurde zum Anlass für die Gründung des Deutschen Schriftstellerverbands, der sich zunächst inner-halb des Kulturbunds und 1952 dann als selbstständige Organisation konstitu-ierte. Für ihn stand der ideologische Kampf im Mittelpunkt, der u. a. durch eine offensive Bloßstellung der feindlichen westlichen Ideologie geführt wurde. Eine solche findet sich in dem Entwurf für den Beschluss des Politbüros zum III. Parteitag von 1950, in dem Alexander Abusch die aktuellen Fragen der Kulturpolitik formuliert. Laut ihm bestand

die grundlegende Aufgabe darin, eine neue demokratische deutsche Kultur zu schaffen, die – auf dem großen deutschen Kulturerbe aufbauend – auf allen Gebieten der Wissenschaft und Kunst die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse in der Deutschen Demokratischen Republik zum Ausdruck bringen würde. (Abusch 1972: 140)112

Die Erfolge dieses Kulturkampfs hob der III. Parteitag der SED im Juli 1950 hervor113, als die SED den ersten Fünfjahresplan für die Jahre 1951 bis 1955114 verkündete. Dass die kulturpolitischen Aufgaben, die er beinhaltete, mit der sowjetischen Kulturplanung identisch waren, verdeutlicht, dass die Ausrichtung des kulturellen Lebens auf das sowjetische Vorbild zu diesem Zeitpunkt einen Höhepunkt erreicht hatte. Das zeigt sich auch in einem der Schlüsseldokumente dieser Phase – in der Entschließung des V. Plenums des ZK der SED im März 1951, das allein den Sozialistischen Realismus als künstlerische Schaffensrich-tung anerkennt.

Die Zentralisierungstendenzen der Kulturverwaltung zeugen von der Über-nahme des sowjetischen Steuerungssystems: Im August 1951 nahm die „Staatli-che Kommission für Kunstangelegenheiten“, der die Aufgaben einer zentralen Zensurbehörde zugewiesen worden waren, ihre Arbeit auf. Die Intention der Einrichtung einer solchen Stelle brachte der Ministerpräsident Otto Grotewohl deutlich zum Ausdruck, als er anlässlich ihrer Einrichtung verkündete, dass die „Idee in der Kunst (…) der Marschrichtung des politischen Kampfes folgen [müsse]. (…) Was sich in der Politik als richtig erweist, ist es auch unbedingt in der Kunst“115. Zur gleichen Zeit, im September 1951, wurde in der Regierung

111 Quelle: Schubbe 1972: 122-127. 112 Quelle: Schubbe 1972: 140-144. 113 Entschluss auf dem III. Parteitag der SED vom 20. bis 24. Juli 1950. 114 Gesetz über den Fünfjahrplan der Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik

(1951 bis 1955) vom 01. November 1951. 115 Quelle: Schubbe 1972: 208.

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das „Amt für Literatur und Verlagswesen“ eingerichtet, das Verlagslizenzen genehmigen und geplante Bücher begutachten sollte. Die Partei setzte sich in den ersten Jahren nach der Gründung der DDR also aktiv dafür ein, den Aufbau des Sozialismus und dabei auch den Aufbau der sozialistischen Kultur nach sowjetischem Muster zu beschleunigen. Das wurde auf der II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 auch offiziell beschlossen.

Mit Stalins Tod veränderte sich allerdings mit der gesamten Kulturland-schaft des Ostblocks auch die der DDR. Vor allem in der ersten Hälfte des Jah-res 1953 kam es zu innenpolitischen Spannungen, die am 17. Juni in einen Volksaufstand mündeten. Die künstlerische Elite forderte eine grundlegende Revision der Kulturpolitik und trat mit dieser Forderung auch an die Öffentlich-keit. Als Reaktion darauf verkündete die Partei einen neuen kulturpolitischen Kurs, der Grotewohl zufolge entscheidende Änderungen mit sich bringen sollte, indem er nämlich ein neues „menschliches Verständnis und Verhalten des Staatsapparates und der Funktionäre zu den Kulturschaffenden“ anstrebt116. Wie sich aus der Rede des damaligen Präsidenten des Kulturbundes Johannes Robert Becher ersehen lässt, verfolgte die Parteiführung in der Praxis jedoch weiterhin vor allem das Ziel, die eigene Herrschaft zu sichern:

Der neue Kurs unserer Regierung bedeutet auf allen Gebieten, so auch auf dem der Kulturpolitik, eine Festigung und Stärkung der Staatsmacht. (…) die Festigung und Stärkung unserer Staatsmacht [besteht] vor allem darin, die Initiative der Bevölkerung zu wecken und sie zur mitverantwortlichen Arbeit an allen Staatsorganen heranzuziehen (…). (Becher 1972: 319)

Statt der Tendenz zur Liberalisierung verstärkte sich die der Zentralisierung. Das führte 1954 zur Gründung des Ministeriums für Kultur. Gleichzeitig wur-den die Kunstkommission und das Staatliche Komitee für Filmwesen aufgelöst. Ihre Aufgaben bekam das neu gegründete Ministerium zugeschlagen.

Der bereits erwähnte XX. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956 in Moskau, der die Normen des Sozialismus in Frage gestellt hatte, beeinflusste allerdings auch die kulturpolitische Entwicklung in der DDR und rief Kritik an der bishe-rigen SED-Politik hervor. Ein Beispiel ist die Rede des deutschen Schriftstellers Willi Bredel auf der III. Parteikonferenz der SED im März 1956, in der er dar-auf hinwies, dass „die schädlichen und hemmenden Folgen eines Dogmatismus als Folge eines sakrosankten Personenkults auf die Literatur und Kunst“117 grö-ßer seien, als allgemein angenommen werde. Auch der Literaturkritiker Hans 116 Zu den Fragen der Kulturpolitik. Aus der Rede Otto Grotewohls auf der 15. Tagung des ZK

der SED vom 24. bis 26. Juli 1953. Quelle: Schubbe 1972: S. 296-297. 117 Quelle: Schubbe 1972: 433.

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Mayer lehnte auf der Konferenz der Literaturwissenschaftler im Mai 1956 die in der Zeit des Stalinismus verbreitete Definition des Schriftstellers ab: „Sind Schriftsteller wirklich Ingenieure der menschlichen Seele? (…) Die menschliche Seele ist kein Gegenstand, an den man einen Ingenieur heranlassen könnte“118.

Jedoch zeigte bereits die ein Jahr später, im Herbst 1957, stattfindende Kulturkonferenz der SED, dass die Kulturpolitik der DDR nicht von ihrem ge-planten Kurs abweichen wollte und stattdessen gegenüber Vertretern der Libe-ralisierung zur Gegenoffensive überging. Der V. Parteitag der SED im Juli 1958 verdeutlichte ausdrücklich, dass die kulturpolitischen Anstrengungen der DDR nach wie vor auf eine Festigung des Sozialistischen Realismus und auf die Ver-breitung der sozialistischen Kultur ausgerichtet seien119. Gleichzeitig gewann jedoch ein weiteres kulturpolitisches Konzept an Bedeutung, das den erzieheri-schen Charakter von künstlerischer Betätigung betonte und unter der Bezeich-nung „Bitterfelder Weg“ in die Geschichte der Kulturpolitik einging. Die am 24. April 1959 im Kulturpalast des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld organi-sierte Konferenz wollte die Kluft zwischen Kunst und Leben überwinden, und so rief Walter Ulbricht: „Greif zur Feder, Kumpel, die sozialistische deutsche Nationalkultur braucht dich!“ Eine Modernisierung des Bitterfelder Wegs auf der II. Konferenz im April 1964 sah dann vor, Berufskünstler mit schreibenden Arbeitern zusammenzubringen, damit beide gemeinsam die Entfaltung von so-zialistischen Persönlichkeiten fördern könnten. Die Idee scheiterte jedoch an der mangelhaften Teilnahmebereitschaft der Kulturschaffenden und an der ihr zugrunde liegenden expliziten Instrumentalisierung der Künste.

Parallel zu dieser Initiative verstärkten sich die Abgrenzungstendenzen ge-genüber der damaligen Bundesrepublik immer mehr, so dass auch die kulturelle Spannung zwischen den beiden deutschen Staaten zunahm. Das hatte schließlich die offizielle Ablehnung einer einheitlichen deutschen Kultur zur Folge, die sich u. a. Ulbrichts während der Vorbereitung des VI. Parteitags120 1962 aufgestellter Forderung nach einer „Vertiefung des sozialistischen Patriotismus und des so-zialistischen Internationalismus“ entnehmen lässt. Entsprechend verurteilte der VI. Parteitag 1963 dann auch alle Erscheinungen, die einer „Entwicklung der sozialistischen Nationalkultur“ im Wege standen121. Zugleich war mit Chruščovs Sturz im Jahr 1964 das Ende der Liberalisierungsphase im Ostblock 118 Quelle: ebd.: 437. 119 Aus dem Beschluss des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (10.-

16. Juli 1958). 120 Aus dem Referat W. Ulbrichts zur Vorbereitung des VI. Parteitages auf dem 17. Plenum des

ZK der SED 3.-5.10.1962. Quelle: Schubbe 1972: 778. 121 Aus dem Bericht des Zentralkomitees an den VI. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei

Deutschlands, 15. bis. 21. Januar 1963.

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gekommen. Aus Furcht, die Kontrolle über den Kulturbereich zu verlieren, be-fasste sich die Plenarsitzung des ZK im Dezember 1965 fast ausschließlich mit Kulturpolitik.

Die folgenden Ereignisse und kulturpolitischen Beschlüsse deuten auf zu-nehmende Spannungen zwischen Parteiführung und Künstlermilieu hin. Der für das Jahr 1965 geplante Schriftstellerkongress fand nicht statt, an der für No-vember 1966 einberufenen Jahreskonferenz des Schriftstellerverbands beteilig-ten sich nur wenige Autoren122. Die Partei versuchte, die Kulturschaffenden durch weitere Maßnahmen an sich zu binden und sie besser zu kontrollieren und schuf dafür 1966 den Verband der Theaterschaffenden der DDR sowie ein Jahr später den Verband der Film- und Fernsehschaffenden der DDR. So versuchte die Kulturpolitik in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre immer noch, Kultur-schaffende und Intellektuelle und ihr Engagement für den sozialistischen Auf-bau zu gewinnen. Auch die auf dem VII. Parteitag im April 1967 formulierten kulturpolitischen Schwerpunkte bilden die allgemeinen Ziele der Kulturrevolu-tion ab ohne neue Akzente zu setzen. Dabei betont Ulbricht das selektive Vor-gehen in der Kunst- und Kulturförderung und die Konzentration der ökonomi-schen Mittel auf die Produktion und die Verbreitung von vor allem solchen Kunstwerken, die ausgesprochen massenwirksam seien und besonders eindeutig im Sinne der sozialistischen Kulturpolitik „erzieherisch“ wirkten. Auch die Rede Ulbrichts in der Vorbereitung des VIII. Parteitags im Januar 1971123 be-handelt die bereits bekannten Ziele: Stärkung des sozialistischen deutschen Na-tionalstaates, Verbesserung der Lebensbedingungen des Volks und Weiterent-wicklung der sozialistischen deutschen Nationalkultur. Die kulturpolitische Lage änderte sich bis zu Ulbrichts Rücktritt im Mai 1971 also nicht. Mit der Wahl Erich Honeckers zum Generalsekretär des Zentralkomitees der SED setzte dann die nächste Phase der Kulturpolitik ein. Die Politik zwischen Abgrenzung und Wiedervereinigung Viele der Tendenzen, die sich seit den 1970er Jahren in der kulturpolitischen Entwicklung der DDR beobachten ließen, waren auch im gesamten restlichen Ostblock verbreitet. Eine davon ist die Anstrengung der Parteiführung, nach dem politischen Tauwetter im Kulturbereich eine ruhige Lage herzustellen und diese während der wirtschaftlichen und politischen Krise, die sich in der Folge-zeit schon immer stärker abzeichnete, zu bewahren. In diesem Zusammenhang sprach die Partei im Namen der Arbeiterklasse von dem kulturellen Bedürfnis 122 Mehr dazu bei Schubbe 1972: 1220. 123 Rede Walter Ulbrichts auf der 15. Tagung des ZK der SED, 28. Januar 1971.

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nach Kunsterlebnissen und eigenem künstlerischen Schaffen124. Die innen- und außenpolitische Lage konnte allerdings jederzeit durch Probleme der Wirtschaft und der inneren Sicherheit in Gefahr geraten. Insofern scheint Honeckers mehr-deutig interpretierbare Rede auf der IV. Tagung des Zentralkomitees der SED im Dezember 1971 strategisch durchdacht zu sein. Ihm zufolge galt:

Wenn man von der festen Position des Sozialismus ausgeht, kann es meines Erachtens auf dem Gebiet von Kunst und Literatur keine Tabus geben. Das betrifft sowohl die Fragen der inhaltlichen Gestaltung als auch des Stils – kurz gesagt: die Fragen dessen, was man die künstlerische Meisterschaft nennt. (Honecker 1976: 287-288)

„Freiheit und Enttabuisierung“ wurden jedoch nur im Rahmen des Sozialisti-schen Realismus anerkannt. Die weitere kulturpolitische Entwicklung der 1970er Jahre war hauptsächlich von außenpolitischen Ereignissen geprägt: Der im Dezember 1972 unterzeichnete Grundlagenvertrag zwischen der DDR und der damaligen Bundesrepublik bewirkte die Anerkennung der DDR als zweiter deutscher Staat und regelte den Aufbau friedlicher Beziehungen zwischen BRD und DDR. Die VI. Tagung des ZK der SED im Juli 1972 formulierte eine kul-turpolitische Erklärung und die Entwicklung der deutschen sozialistischen Na-tionalkultur rückte immer mehr in den Vordergrund der staatlichen Kulturpoli-tik. Dies zeigt Kurt Hagers Vortrag125 von 1972. Hager fasst den Begriff der Kultur sehr weit und schließt „Kultur am Arbeitsplatz, sinnvolle Gestaltung der Freizeit und Kultur der menschlichen Beziehung“ in seine Definition mit ein (Hager 1972: 493). Im vierten Teil des Vortrags, der die höhere Verantwortung der Leitung für die Entwicklung der sozialistischen Kunst und Kultur behandelt, benennt Hager konkrete Einsatzbereiche der sozialistischen Kulturpolitik. Ihm zufolge besteht ihre Hauptaufgabe in der Entwicklung der verschiedenen Ele-mente der sozialistischen Kultur. Zu ihnen gehört

die sozialistische Arbeitskultur, der Schutz und die Gestaltung der Umwelt, die Kultur in den menschlichen Beziehungen und im persönlichen Lebensstil, die Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Weltanschauung und ihre Verbreitung im Volk, die Förderung von Wissenschaft und Bildung, die Pflege des humanistischen Kulturerbes und seine Aneignung durch die Werktätigen, [der] Aufschwung der Kunst und ihre gesellschaftliche Wirksamkeit sowie die Entwicklung aller schöpferischen Begabungen und Talente des Volkes. (ebd.: 497)

Die Verabschiedung des neuen Parteiprogramms auf dem IX. Parteitag 1976 bedeutete auch einen kulturpolitischen Kurswechsel hin zu einer stärkeren Inte- 124 Aus dem Protokoll des VIII. Parteitags der SED, 15.-19. Juni 1971. 125 Rede Kurt Hagers „Zu Fragen der Kulturpolitik der SED“ auf der 6. Tagung des ZK der SED

am 6. Juli 1972.

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gration des Kulturbereichs im sozialistischen Lager. Damit rückte auch die „Abgrenzungspolitik“ gegenüber der damaligen Bundesrepublik stärker in den Vordergrund der kulturpolitischen Aktivitäten. Ihr Ziel war es, den Mythos ei-ner gemeinsamen deutschen Kultur und damit auch der deutschen Nation an sich zu beseitigen. Diese Haltung zur nationalen Frage ist das Hauptmerkmal dieser Entwicklungsphase. Sie umfasst alle Bereiche und schlägt sich auch in einem neuen Parteiprogramm nieder126. Indem hier der Abstand von der „impe-rialistischen deutschen Nation“ verkündet wird127, wird die Vorstellung einer gemeinsamen Geschichte und eines gemeinsamen kulturellen Erbes begraben. In der Folgezeit benannten sich die Verbände der Kunst- und Kulturschaffenden um, so dass aus „deutschen“ „DDR“-Verbände wurden. Auch der auf dem IX. Parteitag verabschiedete Fünfjahresplan für die Jahre 1976 bis 1980 128 verkün-dete eine stärkere Ausrichtung des Kulturbereichs auf sozialistische Kunst und Kultur. Er sah den kulturpolitischen Auftrag darin, „die Entwicklung sozialisti-scher Persönlichkeiten und deren bewusste schöpferische Tätigkeit zu fördern, zur Stärkung des sozialistischen Bewusstseins und zur Ausprägung der sozialis-tischen Lebensweise beizutragen“129.

Die staatlichen kulturpolitischen Ziele konnten aufgrund der angespannten sozialwirtschaftlichen und politischen Lage in den 1980er Jahren in der DDR wie auch in anderen sozialistischen Staaten nicht verwirklicht werden. Daher behandelten sowohl der X. als auch der XI. Parteitag der SED kulturpolitische Themen nur am Rande. Erst im November 1989, nach dem Erfolg der Massen-proteste im Herbst 1989, verkündeten der zum Ministerpräsidenten gewählte Hans Modrow und der neue Kulturminister Dietmar Keller eine „Entstaatli-chung der Kulturpolitik“130. Beabsichtigt waren „demokratische“ Veränderun-gen, auf die sich das „Aktionsprogramm der SED“ festlegte. In ihm verpflich-tete sich die Partei, „für künstlerische Freiheit und für Eigenverantwortung“ der Künstler und Kulturinstitutionen einzutreten und schloss administrative Ein-griffe und Zensur für die Zukunft aus (vgl. Koller 1989: 71).

126 Mehr dazu bei: Friedrich-Ebert-Stiftung 1980: 14. 127 Aus dem Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschluss des IX. Par-

teitages vom 22. Mai 1976. 128 Direktive des IX. Parteitag der SED zum Fünfjahresplan für die Entwicklung der Volkswirt-

schaft der DDR in den Jahren 1976-1980, 22. Mai 1976. 129 Ebd. 130 Mehr dazu bei Keller 1990.

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Die Rolle der Kulturbetriebe Die Stellung der Kultureinrichtungen in der DDR, deren Aufgaben hauptsäch-lich aus dem bereits funktionierenden Sowjetsystem übernommen worden wa-ren, unterschied sich kaum von der Stellung der Kultureinrichtungen im übrigen Ostblock. Staatliche Institutionen, künstlerische Einrichtungen, Museen und Schulen und sämtliche sonstigen gesellschaftlichen Organisationen, wie zum Beispiel der sozialistische Jugendverband und der Kulturbund, hatten den Auf-trag, den kulturellen Reichtum der DDR zu mehren und die Ausstrahlung des Sozialismus zu erhöhen (vgl. Zentralrat d. FDJ 1988: 119). Die Einrichtungen des öffentlichen kulturellen Lebens wurden hauptsächlich betrieben vom Kul-turbund, dem Schriftstellerverband der DDR, der Akademie der Künste und der Akademie der Wissenschaften, vom FDJ, von Organisationen und Betrieben der DDR sowie von Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten. Im Hintergrund des Kulturbetriebs stand ein Netz von Entscheidungsträgern: das Ministerium für Kultur, die Abteilungen der Exekutive auf der niedrigeren Ebene der Bezirke und Städte und die Kulturabteilung im Zentralkomitee der SED.

Genau wie in anderen Staaten hinterließ die Kulturrevolution auch in der DDR ihre Spuren. Ihre Effektivität wurde an dem Grad der Erweiterung des Netzes kultureller Einrichtungen und an der Erhöhung ihrer Besucherzahlen gemessen:

im Jahre 1985 nutzten über 200 Millionen Besucher die mehr als 20.000 staatlich geleiteten Kultureinrichtungen und Einrichtungen gesellschaftlicher Organisationen, darunter 1.406 Kultur- und Klubhäuser, 183 Theater und Spielstätten, 692 Museen, 819 Filmtheater. Zu den beliebten Stätten sinnvoller Freizeitgestaltung junger Leute [gehörten] 10.144 Jugendklubs der FDJ mit einer jährlichen Besucherzahl von über 30 Millionen. (Zentralrat d. FDJ 1988: 168)

In den 1980er Jahren konnten allmählich Lücken der kulturellen Infrastruktur im privaten und kommerziellen Sektor genutzt werden. Genau wie in den ande-ren Staaten gewann der halböffentliche informelle Betrieb damit auch in der DDR immer mehr an Bedeutung. Insbesondere waren es kirchliche Aktivitäten, die die freie Kulturszene förderten, ein Phänomen, das ähnlich in der Volksre-publik Polen zu beobachten war.

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3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse Fasst man die vorliegenden Befunde zu den kulturpolitischen Rahmenbedin-gungen und ihrer jeweiligen Entwicklung in der Sowjetunion, der sowjetischen Ukraine, der Volksrepublik Polen und der Deutschen Demokratischen Republik zusammen, so werden viele Gemeinsamkeiten der revolutionären Umwälzungen im Kulturbereich sichtbar. Das Hauptziel beim Aufbau des Sozialismus war der Aufbau von Kultur; der Kultur wurde dabei eine utilitaristische Funktion zuge-schrieben, die durch das politisch-wirtschaftliche System determiniert war. Die kulturpolitischen Ziele und somit auch die Ziele der staatlichen Kulturbetriebe wurden sämtlich dem großen übergreifenden Ziel des Übergangs zum Kommu-nismus untergeordnet. Aufgrund der kontinuierlichen sozialwirtschaftlichen Mängel, die den Aufbau des Sozialismus kennzeichneten, war die Kulturpolitik permanent mit einer Diskrepanz zwischen dem Ist- und dem Sollzustand der kulturellen Entwicklung konfrontiert. Zudem kam in ihr das Streben der sozia-listischen Staaten nach Machtsicherung und ideologischer Selbstlegitimation zum Ausdruck. Diese Schlussfolgerungen werden insbesondere dadurch bestä-tigt, dass sich in allen untersuchten Ländern hohe Parteifunktionäre persönlich mit Fragen der Kulturpolitik auseinandergesetzt haben.

Dennoch weist die Kulturpolitik in den untersuchten Ländern während des Sozialismus auch zahlreiche Unterschiede auf. Die Kulturpolitik der Sowjet-union, die über die Ziele der Kulturrevolution allgemein richtungweisend wirkte, kann durch ihre sehr kontinuierliche Ausführung der kulturpolitischen Aufgaben charakterisiert werden. Eine weitere Besonderheit bildet ihre muster-hafte Verwirklichung des sozialistischen Auftrags auch in Zeiten unklarer politi-scher Prioritäten. Für die Sowjetukraine als Mitglied der Sowjetunion brachte das die Verpflichtung zur Unterordnung unter die in Moskau zentral verab-schiedeten Richtlinien mit sich, die auch erfolgte. Die besondere Lage einiger Gebiete, etwa diejenige des hier dargestellten Gebiets um Lwiw, spielte eine Rolle für die Entwicklung der spezifisch ukrainischen kulturpolitischen Zielset-zungen, die im vorangegangenen Kapitel am Beispiel der Kaderpolitik und der ideologischen Aufklärungsarbeit dargestellt wurden.

Besonders viele Spezifika weist die sozialistische Kulturpolitik Polens auf. Vor allem in der Nachkriegszeit orientierten sich ihre Maßnahmen schwer-punktmäßig an den (sozialistisch geprägten) slawischen Völkern und strebten nach der kulturellen Integration der durch die Verschiebung der Westgrenze (Oder-Neiße-Grenze) neu hinzugekommenen polnischen Territorien. Darüber hinaus hinterließ die christlich-katholische Basis der polnischen Kultur starke Spuren im Aufbau des Sozialismus. Sie war die Grundlage, auf der sich der

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Sozialismus in Polen samt seiner „Abweichungen“ in Hinblick auf die katholi-sche Kirche, die Kleinbauern und den Kontakt mit der westlichen Kultur her-ausbildete; durch sie wurde auch die Befreiung von der ideologisch-politischen Fremdherrschaft gerechtfertigt.

Auch die kulturpolitischen Ziele des deutschen sozialistischen Staates wie-sen viele Besonderheiten auf. Nicht zu unterschätzen sind in diesem Zusam-menhang die Rückkehr von führenden Parteimitgliedern und Kulturschaffenden aus dem sowjetischen Exil nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bzw. ihre Anstrengungen, die Kriegsfolgen mithilfe der sozialistischen Weltanschauung zu überwinden. Darüber hinaus stellte in der DDR auch die Kulturrevolution als solche eine Besonderheit dar: Nach dem Ende der sowjetischen Besatzung wurde der Umbau von Kulturbereich und kulturellem Leben zunächst nicht als sozialistische, sondern als „antifaschistisch-demokratische“ Revolution ange-strebt. Die aufgeführten Beispiele zeigen außerdem, dass Veränderungen der kulturpolitischen Zielsetzungen als Reaktion auf innen- und außenpolitische Unsicherheiten zu verstehen sind. Zunächst zeichnete sich die DDR-Kulturpoli-tik durch ihre Besinnung auf die gemeinsame Kultur der beiden deutschen Staaten und durch ein Streben nach dem Erhalt deutscher Traditionen, insbeson-dere der klassischen, aus. Später war sie dagegen von der fortwährenden Ge-genüberstellung ihrer sozialistischen und der kapitalistischen Kultur der damali-gen Bundesrepublik gekennzeichnet. Nichtsdestotrotz waren gerade das gemeinsame kulturhistorische Erbe und die gemeinsame kulturelle Identität ein Impuls der deutschen Wiedervereinigung.

Die Re-Interpretation kultureller Traditionen war in den untersuchten Län-dern unterschiedlich. Während in der Volksrepublik Polen eine Besinnung auf die romantische Tradition stattfand, war die DDR-Kulturpolitik vor allem auf die Klassik ausgerichtet. Auch im sowjetischen Russland und in der Sowjet-ukraine wurden die Kulturgüter aller Epochen zunächst strengstens auf ihre Vereinbarkeit mit der kommunistischen Ideologie überprüft. Gemeinsam war allen Ländern die Manipulation und Verfälschung künstlerischer Intentionen im Sinne der kommunistischen Propaganda.

In allen sozialistischen Ländern wurde der Aufbau politischer und kultu-reller Aufklärungsinfrastruktur als Mittel zur Durchführung der Kulturrevolu-tion betrachtet. Dabei gab es jedoch spezielle länderspezifische Intentionen. So sollten z. B. in den ländlichen Gebieten des sowjetischen Russlands mithilfe der Aufklärungsinfrastruktur ideologische Erziehungsmaßnahmen durchgeführt werden, um das Kultur- und Bildungsniveau der Bevölkerung anzuheben. Im Unterschied dazu war die Kulturpolitik der Ukraine darauf ausgerichtet, die teilweise unter österreichischer oder polnischer Herrschaft entstandenen Kultur-

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betriebe durch mit dem Sozialismus konforme Kultureinrichtungen zu ersetzen. Ein weiteres Ziel der sowjetischen Volksbildung war die Bekämpfung des Analphabetismus. Im von der Sowjetmacht besetzten Ostdeutschland wurde unter Volksbildung zur gleichen Zeit dagegen in erster Linie die sozialistische „Aufklärung“ zur Bekämpfung der NS-Ideologie verstanden.

In allen untersuchten Ländern gelang es der sozialistischen Kulturpolitik, eine „kulturelle Minimalversorgung“ der breiten Volksmassen zu gewährleisten, was nicht zuletzt auf die niedrigen Preise der staatlich finanzierten Kulturein-richtungen zurückzuführen ist. Über das flächendeckende Kulturangebot propa-gierte die offizielle Kulturpolitik die Ideologie des Sozialismus und des Kom-munismus. Der hochgradig ausgebaute Kulturbereich trug aber auch zur Überwindung des Analphabetismus und zur Verbreitung von Wissen über den internationalen Kanon der Kunst enorm bei.

Als problematisch erwies sich jedoch, dass die Kulturbetriebe ihre Aktivi-täten und Botschaften entsprechend ihrer politischen Aufklärungsfunktion an alle Bürger richteten, ohne dabei zwischen bestimmten Zielgruppen zu unter-scheiden. So war die Vorstellung, die Werktätigen und Bauern hätten per se ein Bedürfnis nach Kulturangeboten, weit verbreitet. Dass die Bevölkerung die Kulturangebote insbesondere Ende der 1970er und in den 1980er Jahren nicht mehr im gleichen Ausmaß wie früher in Anspruch nahm, wurde mit einer man-gelhaften Entwicklung der Bevölkerung und mit einem ungenügenden Ausbau der Infrastruktur erklärt. Die Notwendigkeit zur Reformierung des Kulturbe-reichs bzw. zum Wechsel der kulturpolitischen Prioritäten wurde in den unter-suchten Ländern nur mancherorts gesehen.

Zur besseren Veranschaulichung dieser Schlussfolgerungen dient die fol-gende tabellarische Darstellung (Tabelle 2). Zusammenfassend lässt sich fest-halten: In den untersuchten Staaten des Ostblocks konnte aufgrund der unter-schiedlichen kulturhistorischen Entwicklungen vor dem Sozialismus, aufgrund innen- und außenpolitischer Spannungen, aufgrund wesentlicher soziokultureller Unterschiede und nicht zuletzt auch wegen der unterschiedlichen geografischen Lagen keine homogene sozialistische Kulturpolitik betrieben werden. Und so soll als Schlussfolgerung festgehalten werden: Auch wenn durch die Kulturre-volution die kulturpolitischen Ziele in allen Ländern vorgegeben waren, be-stimmte die sozialpolitische Situation in den einzelnen Ländern über ihre An-gemessenheit und die Art ihrer Erfüllung. Die nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems entstandenen bzw. festgesetzten kulturpolitischen Rah-menbedingungen gründen, so die Annahme, auf den jeweils spezifischen kultur-politischen Erfahrungen der einzelnen Länder („Ziele und Inhalte“ in Tabelle 2). Im Kontext der allgemeinen politischen Zielvorstellungen bilden sie die Aus-

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gangssituation, aus der heraus nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems die kulturpolitischen Prioritäten neu bestimmt wurden. Eine detaillierte Analyse der postsozialistischen kulturpolitischen Prioritäten erfolgt im nächsten Kapitel.

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Tabelle 2: Kulturpolitische Rahmenbedingungen im Sozialismus in den untersuchten Ländern; Quelle: Eigene Darstellung

Rolle des Staates

Zweck

Ziele & Inhalte

Gegenstand

Die UdSSR

Für alle vier Staa-ten gilt in diesem Punkt: bewusste Aktivität der Partei als Auf-traggeber des kul-turellen Aufbaus Leitender Akteur bei der Gestaltung des kulturellen Wandels Als führende Kraft gab die Partei Ziel und Richtung vor Gewährleistung der kulturellen Le-bensbedingungen

Für alle vier Staaten gilt in diesem Punkt: Unterstützung des Systemwandels zur Bildung der soziali-stischen Gemein-schaft und zur Ent-wicklung des soge-nannten sozialisti-schen „Neuen Men-schen“ Kulturpolitik ist fes-ter Bestandteil der allgemeinen politi-schen Arbeit

- Kampf gegen den Anal-

phabetismus und das niedri-ge Niveau der politischen Bildung;

- Kurs gegen den „reaktio-nären Einfluss“ der Reli-gion;

- Verschmelzung der Na-tionalkulturen zu einer ge-meinsamen sozialistischen Kultur

Für alle vier Staaten gilt in diesem Punkt: Persönlich-keitsentwick-lung, Sozia-lisierung; Nicht nur das Ergebnis kul-turellen Schaffens ist von Bedeu-tung, sondern auch dessen Entstehungs-prozess; Gesellschaft-liche Verhält-nisse Kultursektor

Die Sowjet-Ukraine

- Sprachpolitik; - Politik der „Ukrainisie-

rung“; - ideologischer Druck und

Repressionen gegen die nationalen demokratischen Bewegungen;

- ideologische Kaderpolitik

Die Volks- republik Polen

- Orientierung an den slawi-schen Völkern;

- kulturelle Integration der neuen Territorien nach der Verschiebung der West-grenze Polens;

- Wiederaufbau des Landes; - „Selektion der Tradition“

und Instrumentalisierung der Romantik;

Die DDR

- sozialistische „Demokrati-sierung“ und Überwindung der Kriegsfolgen;

- Überwindung der „imperia-listischen Politik“ der Spal-tung Deutschlands;

- Anknüpfen an die huma-nistischen Traditionen, ins-besondere an die Weimarer Klassik;

- später: Ablehnung einer ge-meinsamen deutschen Kul-tur

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4 Analyse der kulturpolitischen Veränderungen nach dem Systemumbruch

Im Folgenden werden die kulturpolitischen Entwicklungen während der Trans-formationszeit in Russland, in der Ukraine, in Polen und in der ehemaligen DDR überblickartig dargestellt. Die Analyse leiten folgende Kriterien: die Rolle des Staates als Akteur der Kulturpolitik, der Zweck der Kulturpolitik (Was soll mit die Kulturpolitik erreicht werden?), ihre inhaltliche Ausrichtung (Was soll in der Kulturpolitik erreicht werden?) sowie ihr Gegenstand. Die Darstellung er-folgt anhand der offiziellen Dokumente und Programme. 4.1 Die Russische Föderation 4.1.1 Die formalen Verpflichtungen der staatlichen Kulturpolitik Bevor die kulturpolitischen Entwicklungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den Blick genommen werden, sollen zwei Beschlüsse aus der Zeit der Perestroika analysiert werden. Obwohl sie formal der sowjetischen Periode angehören, verändern sich mit ihnen die kulturpolitischen Inhalte be-reits prinzipiell. Im Mai 1991 verabschiedete die Regierung der Russischen Sowjetischen Föderation der Sozialistischen Republiken (RSFSR) zwei Verord-nungen: „Über den sozial-ökonomischen Schutz und die staatliche Unterstüt-zung der Theater und Theaterorganisationen in der RSFSR“ und „Über die Prin-zipien der staatlichen Finanzierung der staatlichen und Kommunaltheater in der RSFSR“131. Ihre Bedeutung war spartenübergreifend, beabsichtigte die Kultur-politik mit ihnen doch, ideologische Öffnung und staatliche Patronage mitein-ander zu vereinbaren. Dazu garantierte der Staat den Theatern öffentliche Unter-stützung zu und bezeichnete sie als eine seiner wichtigsten sozialökonomischen Verpflichtungen, wodurch er unter Beweis stellen wollte, wie sehr er sich seiner Verantwortung für die Weiterentwicklung des Theaters bewusst war. Die Politik betonte den Stellenwert der Theater auch allgemein, indem sie sie als Quelle 131 Postanovlenie i Položenie Soveta Ministrov vom 31.05.1991 Nr. 297.

M. Davydchyk, Transformation der Kulturpolitik, DOI 10.1007/978-3-531-18691-7_4,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012

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„moralischer Genesung“ und als Mittel zur Bildung und Festigung moralischer Werte sowie zum Erhalt des nationalen Selbstbewusstseins anerkannte (Art.1). Dadurch wurde den Theatern normativ das Recht zu freier schöpferischer Tätig-keit, also zur freien künstlerischen Ausrichtung und Gestaltung des Repertoires zugesprochen. Der Umgang der Regierung mit den Theatern war allerdings insofern weiterhin paternalistisch geprägt, als trotz einer grundsätzlichen Aner-kennung der wirtschaftlichen und inhaltlichen Selbstständigkeit der Theater viele Steuerungskompetenzen nach wie vor bei der staatlichen Exekutivgewalt liegen sollten. So sah etwa Artikel 4 vor, dass die staatliche Kulturpolitik auch künftig über sogenannte „zweckgerichtete“ kulturelle Aufträge agieren sollte. Gleichzeitig wurde den Kulturbetrieben Unterstützung bei der Organisation von Aufführungen, Gastspielen und Festivalteilnahmen garantiert. Darüber hinaus sollten innovative Projekte von Theaterorganisationen sowie die Entwicklung des Theaters als Kunstsparte und als Ort gesellschaftlicher Begegnung gefördert werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Staat dem Kulturbe-reich sowohl Freiheiten als auch Sicherheiten garantierte. Als problematisch erwiesen sich jedoch die Umsetzung der Verordnungen durch die Exekutive, ihr widersprüchlicher Charakter sowie ihr unklarer Status nach dem Systemzusam-menbruch, waren sie doch noch vom Ministerrat der RSFSR verabschiedet wor-den. 4.1.2 Die Bewahrung des kulturellen Erbes und seines Potenzials in der neuen

sozialwirtschaftlichen Situation Die Liberalisierung der Wirtschaft und der Übergang zur Marktwirtschaft wur-den für die Kultureinrichtungen und -verbände der Russischen Föderation132, dem Rechtsnachfolger der Sowjetunion, zu einer schweren Belastung. Um sie abzufedern, verabschiedete die russische Regierung im April 1992 die Verord-nung „Über die Maßnahmen der staatlichen Unterstützung der Kultur und der Kunst im Zuge der Wirtschaftsreformen“133, die Ministerien und Ämter zur Erarbeitung angemessener Besteuerungsmodelle verpflichtete. 132 Die amtliche Bezeichnung Rossijskaja Federazija wird korrekt als die Russländische Födera-

tion (nicht die Russische) übersetzt. Die Russländische Föderation ist ein Zusammenschluss von 83 Interessengruppenn mit einer gewissen politischen und administrativen Autonomie. Die Föderation setzt sich aus 21 Republiken, einem autonomen Gebiet, vier autonomen Kreisen (Okrug), neun Regionen (Krai), 46 Gebieten (Oblast) und zwei Städten mit föderalem Status zusammen. In der vorliegenden Arbeit wird jedoch in Anlehnung an das deutsche Auswärtige Amt die Bezeichnung „Russische Föderation“ verwendet.

133 Postanovlenie Pravitel´stva RF vom 22.04.1992.

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Wenige Monate später, im Oktober 1992, wurden die Pflichten und Ver-antwortungsbereiche des Staates im Kulturbereich in einem weiteren Gesetz, den „Grundlagen der Gesetzgebung der Russischen Föderation über die Kul-tur“134 [im Folgenden: Grundlagen] festgehalten. Sie betonen die große Bedeu-tung der Kultur für die Entwicklung und die Selbstverwirklichung der Men-schen, die Humanisierung der Gesellschaft und die Erhaltung der nationalen Eigenheiten der Völker Russlands und führen das Prinzip der Kulturverträglich-keit ein (Art.7). Das Gesetz sollte das verfassungsmäßige Recht auf kulturelle Betätigung gewährleisten und schützen, gesetzliche Garantien für eine freie Arbeit der Kulturorganisationen schaffen und Prinzipien und gesetzliche Nor-men in Bezug auf kulturelle Tätigkeiten und die Kulturpolitik festlegen (Art.1). Staatliche Kulturpolitik definieren die „Grundlagen“ als Politik des Staates im Bereich der kulturellen Entwicklung; diese umfasst die Gesamtheit der Prinzi-pien und Normen, an denen sich der Staat bei der Erhaltung, Entwicklung und Verbreitung von Kultur ausrichtet.

In den „Grundlagen“ werden außerdem die Kompetenzen sämtlicher Ebe-nen der Exekutivgewalt bestimmt: In der Verantwortung der föderalen Organe befand sich die Entwicklung von kulturpolitischen Zielen sowie die Erarbeitung von Realisierungsstrategien und Finanzierungsprogrammen für diese (Art.37). Der Staat verpflichtete sich, Sorge für die Sicherung von kulturellen Rechten und Freiheiten zu tragen. Die Verantwortung für die Kulturausgaben wurde bei den föderalen Exekutivorganen angesiedelt, die eine nationale Statistik und ein nationales Register der historischen und kulturellen Denkmäler führen sowie Standards für kulturelle Dienstleistungen und die Sozialfürsorge der im Kultur-bereich Beschäftigten festlegen sollten. Für die Kultureinrichtungen von föde-raler Bedeutung und für die auswärtige Kulturpolitik sollten künftig die födera-len Exekutivorgane zuständig sein.

Die Umsetzung der föderalen und die Entwicklung der regionalen Kultur-politik fielen den verschiedenen Subjekten der Russischen Föderation auf der regionalen Ebene zu. Diese waren außerdem verpflichtet, die Wahrung des na-tionalen Kulturerbes sicherzustellen. Darüber hinaus zählten die Verabschie-dung regionaler Kulturgesetze sowie Gründung und Unterhalt von Kulturein-richtungen mit regionaler Bedeutung zu ihren Kompetenzen.

Die Zuständigkeit der lokalen Ebene war auf die Umsetzung der staatlichen Politik und die Bildung lokaler Budgets und Fonds für kulturelle Entwicklung beschränkt (Art.40). Lokale Kulturadministrationen waren zwar zur Gründung von Kultureinrichtungen berechtigt und konnten selbst verwaltetes Eigentum

134 Gesetz der RF vom 09.10.1992 Nr. 3612-1.

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kommissarisch führen und aufrechterhalten, das Gesetz sah jedoch weder eine politische Selbstständigkeit der lokalen Ebene vor, noch ihre Verantwortung für die kulturelle Entwicklung vor Ort.

Das Gesetz bestimmte auch die Grundsätze der Kulturfinanzierung (Art.45)135: Der Staat verpflichtete sich, Regionen und Kommunen, Kultur zu fördern – über Kulturausgaben in Höhe von zwei Prozent des föderalen und mindestens sechs Prozent der regionalen und lokalen Budgets.

Außer in den „Grundlagen“ wurden die Grundwerte und mit ihnen auch die Grundrechte 1993 in der Verfassung der Russischen Föderation anerkannt. In ihren Artikeln 29 und 44 werden Meinungsfreiheit, die Freiheit des literari-schen, künstlerischen, wissenschaftlichen und technischen Schaffens, der Schutz geistigen Eigentums sowie der freie Zugang zu kulturellen Werken normativ gesichert. Außerdem hebt die Verfassung die besondere Rolle der Bürger für die Bewahrung des historisch-kulturellen Erbes und der Denkmäler hervor.

Die Umwandlung des Wirtschaftssystems führte in den ersten Transforma-tionsjahren zu finanziellen Engpässen im Kulturbereich, aufgrund derer sich die Regierung für gezielte Fördermaßnahmen entschied. Eines ihrer Instrumente war ein für den Zeitraum 1993-1995 entwickeltes Programm136. Seine kulturpo-litische Priorität war der Erhalt der Kultur in der sich so rasant verändernden politischen und sozialwirtschaftlichen Situation: Der Staat sicherte dem Kultur-bereich ausdrücklich seine Unterstützung sowie den Erhalt des Kulturerbes in der Zeit des Übergangs zur Marktwirtschaft zu.

Das bevormundende Agieren der staatlichen Kulturpolitik in dieser ersten Transformationsphase kam nicht nur in der allgemeinen Kulturgesetzgebung zum Ausdruck, sondern auch in den Spartengesetzen für Bibliotheken und Mu-seen, die ihr Funktionieren im Detail regeln sollten. Das föderale Gesetz „Über das Bibliothekswesen“137 vom Dezember 1994 bildete die rechtliche Basis für den Erhalt und die Entwicklung der Bibliotheken in der Russischen Föderation. Es bestimmte die Prinzipien des Bibliotheksbetriebs und garantierte den freien Zugang zu Informationen und zu nationalen und internationalen kulturellen Werten. Das Gesetz bezeichnet die Bibliotheken als Informations-, Kultur- und Ausbildungsinstitutionen (Art.1) und der Staat verpflichtete sich, das Recht der Bürger auf die Nutzung einer Bibliothek zu gewährleisten (Art.5). Dies sollte durch den Aufbau eines staatlichen und kommunalen öffentlichen Bibliotheks-netzes, durch „Artenvielfalt“ der Bibliotheken und durch einen von den jeweili-

135 Dieser Artikel wurde am 01.01.2005 außer Kraft gesetzt. 136 Russisch: Programma sochranenija i razvitija kul´tury Rossii. Das Programm wurde um ein

Jahr bis 1996 verlängert. 137 Gesetz der RF vom 29.12.1994 Nr. 78.

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gen Rechts- und Eigentumsformen der Bibliotheken unabhängigen staatlichen Protektionismus erreicht werden. In Art. 10 wurde die Finanzierung der Biblio-theken durch ihren (meistens öffentlichen) Träger zugesichert.

Außerdem legt das Gesetz die staatliche Unterstützung für die Entwicklung der Bibliotheken durch deren Finanzierung und eine angemessene Steuer-, Kre-dit- und Preispolitik fest (Art.14). Zweck einer solchen Kulturpolitik war, so das Gesetz, die Verbreitung von Informationen in der Gesellschaft. Der Staat ver-pflichtete sich außerdem zur Ausbildung von Bibliothekaren über Umschu-lungsmaßnahmen und sprach ihnen Sozialgarantien zu. Art. 16 erklärt Biblio-theken und ihre Bestände zum Kulturgut der Völker der Russischen Föderation. Insgesamt ist allerdings der technische Charakter dieses Gesetzes zu kritisieren: Es hat eher organisatorische Aspekte wie die Gründung, den Unterhalt und die Auflösung von Bibliotheken im Blick als deren gesellschaftliche Bedeutung.

Ein weiteres Beispiel für die staatliche Reglementierung verschiedener Be-reiche ist das erwähnte Gesetz „Über den Museenbestand und über die Museen“ von 1996138. Zentral an ihm ist seine Definition von „kulturellen Werten“, unter denen es die in den Museen aufbewahrten Gegenstände religiöser und säkularer Art versteht (Art.3). Die Museumsbestände gehören laut Art. 5 genau wie die Bestände der Bibliotheken zum Kulturerbe der Völker Russlands. Entsprechend verpflichteten sich der Staat und die Subjekte der Russischen Föderation, die Bewahrung und Nutzung dieser Gegenstände und Kollektionen zu finanzieren (Art.18). Darüber hinaus übernimmt der Staat auch für die nichtstaatlichen Mu-seumsbestände Verantwortung (Art.24). Außerdem weist das Gesetz den Mu-seen feste Aufgaben zu, denen ein klassisches Museumsverständnis zugrunde liegt: die Aufbewahrung der musealen Gegenstände und Sammlungen sowie Forschungs-, Publikations-, Aufklärungs- und Bildungstätigkeiten (Art.27). Unternehmerisches Handeln war Museen nur erlaubt, sofern es ihren primären Zielen diente. Die gesellschaftliche Bedeutung der Museen wurde dagegen nicht bestimmt. Darüber hinaus fällt auf, dass das Gesetz weniger die Einrichtungen als vielmehr die dort verwahrten Gegenstände in den Vordergrund stellt. Rolle und Zweck der Museen werden also traditionell aufgefasst und damit unter-schätzt.

Die staatliche Bevormundung während der wirtschaftlichen Transformation traf im Russland der frühen 1990er Jahre allerdings auf Zustimmung. In seinem Artikel „Deklaration der Rechte der Kultur“ (1995) vertritt etwa der berühmte russische Philologe Dmitrij Lichačov die Auffassung, der Staat solle Verant-wortung für den Erhalt, die Reproduktion und die Ausbildung von kulturellen

138 Gesetz der RF vom 26.05.1996 Nr. 54.

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Werten übernehmen. Dabei sollte der Kultur in all ihren Ausdrucksformen das Recht auf finanzielle Unterstützung durch den Staat in dieser Zeit zustehen (vgl. Lichačov 1996).

Neben der Patronage über die öffentlichen Kultureinrichtungen beabsich-tigte der Staat auch, die rechtliche und finanzielle Lage von Kulturbetrieben mit anderen Eigentumsverhältnissen zu regeln. Diese Tendenz wurde ab Mitte der 1990er Jahre deutlich, als eine Reihe weiterer Gesetze verabschiedet wurde: Das Gesetz „Über Wohltätigkeit und wohltätige Organisationen“139 vom September 1995 regelte die Anwerbung von Drittmitteln, legte jedoch keine speziellen Rahmenbedingungen für den Kulturbereich fest, sondern ließ Wohltätigkeit in Bildung, Kultur, Kunst und der geistigen Entwicklung der Persönlichkeit allge-mein zu (Art.2). Mit dem Gesetz „Über nichtkommerzielle Organisationen“140 wurden im Januar 1996 Non-Profit-Organisationen legalisiert, indem ihnen die entsprechende Rechtsform verliehen wurde. Außerdem bekamen Vereine durch das im April 1995 verabschiedete Gesetz „Über die Bürgervereinigungen“ eine gesetzliche Grundlage zugesprochen 141.

Die Sozialgesetzgebung wurde während der ersten Transformationsperiode nur wenig modernisiert. Die Sozialhilfe für Künstler, die in der UdSSR durch professionelle Vereinigungen abgesichert gewesen waren, konnte nicht mehr im gleichen Ausmaß wie zu Sowjetzeiten gewährleistet werden. Zwar sicherte das Gesetz „Grundlagen“ bereits 1992 die soziale Unterstützung der Beschäftigten im Kulturbereich zu (Art.55), die in der Praxis das allgemeine Arbeitsgesetz-buch regeln sollte, das Mindestlöhne für den „öffentlichen Sektor“ festschrieb. Der Mindestlohn für Künstler, Schriftsteller und in der Filmbranche Beschäf-tigte belegte jedoch nach dem landwirtschaftlichen Sektor den niedrigsten Rang. Zu kritisieren sind außerdem die fehlenden Regelungen für selbstständige Künstler, deren Status nicht klar definiert und deren Sozialhilfe nicht gesichert war. 4.1.3 Das Überleben der Kultur in Zeiten wirtschaftlicher und politischer

Instabilität Im Juli 1996 verabschiedete der damalige Präsident der Russischen Föderation Boris Jelzin die Verordnung „Über die Maßnahmen der Verstärkung der staatli-

139 Gesetz der RF vom 11.09.1995 Nr.135. 140 Gesetz der RF vom 12.01.1996 Nr. 7. 141 Gesetz der RF vom 14.04.1995.

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chen Unterstützung der Kultur und der Kunst in der Russischen Föderation“142. In der Folge wurde ein Präsidentenfonds geschaffen, der 100 innovative Kunst- und Kulturprojekte unterstützen sollte und ausschließlich für Projekte von na-tionalem Rang zur Verfügung stand.

Außerdem kam mit dem zweiten föderalen Programm für die Periode 1997-1999143 zum zweiten Mal das Instrument der gezielten föderalen Förde-rung zum Einsatz. Es hatte die Bildung eines einheitlichen Kulturraums in der Russischen Föderation zum Ziel, betrachtete Kultur als „demokratiefördernde Kraft“ und sollte über Patriotismus, Meinungsfreiheit und die Achtung der künstlerischen Freiheit ein ideologisches und moralisches Fundament für einen demokratischen Rechtsstaat legen. Dabei setzt es die grundlegende Bedeutung der einheimischen Kultur für das Leben des Staates und der Gesellschaft voraus und betrachtet Kultur als geistiges Wertesystem. Konkret sollte es einen allge-meinen Zugang zu Werken der heimischen wie der internationalen Kultur er-möglichen, das historische Kulturerbe der Völker der Russischen Föderation erhalten und das Ansehen der russischen Kultur im Ausland fördern.

Zur Realisierung dieser hoch gesteckten Ziele war eine Weiterentwicklung des Föderalismus vorgesehen, wie aus dem Ziel, die Machtverteilung zwischen zentralen, regionalen und lokalen Verwaltungsorganen deutlicher voneinander abzugrenzen, ersichtlich wird. Außerdem sah auch dieses Programm die techni-sche und materielle Unterstützung der führenden Kultureinrichtungen vor. In diesem Zusammenhang wurde explizit eine Zusammenarbeit zwischen staatli-chen und unabhängigen Organisationen sowie die materielle Unterstützung nichtstaatlicher Organisationen angestrebt, wobei diesmal auch konkrete För-derbereiche festgelegt wurden. Zu ihnen gehörten Filmkunst, Archivwesen und Zirkuskunst.

Das Gesetz machte allerdings gleichzeitig die marginale Stellung der Kul-turpolitik deutlich: Die von ihm formulierten kulturpolitischen Ziele standen nicht mit der allgemeinen Gesetzgebung im Einklang. Das neue Steuergesetz-buch vom Juli 1998 unterstützte die kulturelle Produktion nur geringfügig und förderte Investitionen des privaten Sektors im Kulturbereich gar nicht. Von der Steuer konnten ausschließlich Kultureinrichtungen befreit werden, die mit der Wiederherstellung und Restaurierung kultureller Denkmäler befasst waren.

In den Jahren 1998-1999 versuchte der Staat, unter den turbulenten wirt-schaftlichen Veränderungen der ausgebrochenen Wirtschaftskrise weiterhin als ein zuverlässiger Garant der kulturellen Entwicklung zu agieren. Acht Jahre

142 Präsidentenerlass vom 1.07.1996 Nr. 1010. 143 Russisch: Federal´naja programma razvitija i sochranenija kul´tury Rossii.

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nach den Theaterverordnungen wurde 1999144 ein Beschluss verabschiedet, der einen erneuten staatlichen Versuch darstellt, im Theaterbereich bessere rechtli-che, ökonomische und organisatorische Rahmenbedingungen zu schaffen. Er bestimmt als Hauptprinzipien der Theaterarbeit unter den neuen Rahmenbedin-gungen die grundlegende Rolle des Theaters für die Entwicklung und Selbst-verwirklichung der Persönlichkeit, die Humanisierung der Gesellschaft und den Erhalt der nationalen Eigenart der russischen Kultur. Ziel der Verordnung war es, Kreativität zu fördern und eine Kommerzialisierung des Theaters zu verhin-dern (Art.2). Die genannten Prioritäten sollten durch traditionelle und durch innovative Projekte sowie durch die Förderung von Gastspielen realisiert wer-den. So hoffte man, eine gleichmäßige Entwicklung und damit die Ausbildung eines einheitlichen Kulturraums in Russland zu begünstigen. Außerdem sollten weiterhin staatliche Aufträge vergeben werden und das Ministerium sollte Maß-nahmen zur Drittmittelanwerbung entwickeln sowie deren Vergabe durch ent-sprechende Verfahren unterstützen. Weiterhin empfahl die Verordnung, den Organen der Exekutivgewalt in den Subjekten der Russischen Föderation und den Organen der Gemeindeverwaltung finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen und die Theater von Zahlungen für die Nutzung und die Ausstattung der Gebäude zu befreien. Unternehmerische Tätigkeiten von Theatern wurden nur erlaubt, wenn sie ihren Hauptzielen nicht zuwiderliefen (Art.24). 4.1.4 Die Anerkennung der gesellschaftlichen Bedeutung von Kultur Mit dem Amtsantritt des Präsidenten Putin im Jahr 2000 änderte sich der politi-sche wie auch der kulturpolitische Kurs in Russland. Putin ernannte den Thea-ter- und Kunstwissenschaftler Michail Schwydkoj zum Kulturminister und im Jahr 2001 bewilligte die Regierung das dritte föderale Programm „Kultur Russ-lands“ für den Zeitraum 2001-2005145. Von den vorherigen Programmen unter-schied es sich durch seine realistische Analyse der Situation im Kulturbereich und durch eine erweiterte Sichtweise auf Kultur. Indem es den Aufbau jener soziokulturellen Bedingungen anstrebte, die für eine konsequente und verhält-nismäßig schnelle Modernisierung der Gesellschaft notwendig waren, war es auch ein Bestandteil der sozialwirtschaftlichen Politik Putins. Entscheidend war die neue Wertorientierung der Menschen, die es anstrebte, weiterhin hatte auch dieses Programm einen einheitlichen Kulturraum zum Ziel. Im Einzelnen rei- 144 Postanovlenie Pravitel´stva RF „O gosudarsvennoj podderžke teatral´nogo iskusstva v RF“

vom 25.03.1999. 145 Russisch: Federal´naja celevaja programma „Kul´tura Rossii“.

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chen die Aufgaben, die es formuliert, von der staatlichen Unterstützung der professionellen Kunst über den Erhalt und die effektive Nutzung des Kulturer-bes bis hin zum Ausbau der kulturellen Infrastruktur und der Integration Russ-lands in den weltweiten Informationsraum.

Der Beginn des neuen Jahrtausends zeichnete sich kulturpolitisch durch die Verwaltungsreform von 2003 aus. Das Gesetz „Über die allgemeinen Prinzipien der Organisation der lokalen Selbstverwaltung in der Russischen Föderation“146 wies den verschiedenen Verwaltungsebenen jeweils bestimmte Kulturbetriebe zu, die sie selbstständig verwalten sollten. Von nun an waren die Organe der lokalen Selbstverwaltungen verpflichtet, Freizeitangebote und kulturelle Dienstleistungen bereitzustellen, indem sie das Netz von Bibliotheken, Klubs und Kulturhäusern betrieben und die Objekte des Kulturerbes schützten. Ob-wohl der erweiterte Kulturbegriff längst verbreitet war, kam hier die alte Auf-fassung vom Kulturbereich als einem Netz von öffentlichen Einrichtungen noch einmal zum Tragen. Dieses Netz stellt einer Erklärung des Kulturministe-riums147 zufolge die Basis der kulturellen Dienstleistungen und der Freizeitge-staltung dar und ist für die Bewahrung des nichtmateriellen Erbes sowie für die künstlerisch-patriotische Erziehung der Bevölkerung verantwortlich. Diese Aufteilung der Kompetenzen auf lokaler Ebene konnte jedoch erst 2006 in die Praxis umgesetzt werden. 4.1.5 Die Verbindung von kultureller und sozialwirtschaftlicher Entwicklung Auf einer Tagung des Koordinationsrats für Kultur kritisierte der Kulturminister Aleksandr Sokolov148 den politischen Umgang mit der kulturellen Entwicklung in Russland und kritisierte, dass die geltenden Gesetze weder zum Erhalt des Kulturerbes beigetragen hätten, noch einen gleichen Zugang zur Kultur (laut Verfassung Art.44) gewährleisten konnten. Sokolov kritisierte auch die Ver-waltungsreform149 von 2003, die den Artikel über staatlichen Protektionismus sowie die staatliche Verantwortung für den Zustand der Kultur außer Kraft ge-setzt hatte.

146 Gesetz der RF vom 6.10.2003 Nr. 131. 147 Aus den Erläuterungen des Ministeriums für Kultur und Massenkommunikation zum födera-

len Gesetz aus dem Jahr 2003 „Über die allgemeinen Prinzipien der Organisation der lokalen Selbstverwaltung in der Russischen Föderation“ vom 1.03.2005 Nr. 4-01-16/05.

148 Die Amtszeit vom 9.03.2004 bis zum 12.05.2008. 149 Gesetzliche Verordnung über die Veränderungen wegen der Verwaltungsreform Nr. 122 vom

August 2004.

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Daran anknüpfend formulierte er fünf strategische Ziele für die Politik: An erster Stelle stand ganz traditionell der Erhalt des multinationalen Kulturerbes Russlands. Zweitens sollten die besten Traditionen der multinationalen russi-schen Kultur gefördert und weiter verbreitet werden. Drittens sprach der Minis-ter sich für die Bildung eines einheitlichen Kultur- und Informationsraumes aus. Darüber hinaus betonte er viertens die Bedeutung der Meinungsfreiheit und der Freiheit der Kunst für die Entwicklung des kulturellen und geistigen Potenzials der Nation. Und fünftens befürwortete er die Integration der russischen Kultur in den weltweiten Kultur- und Informationsraum.

Dann verkündete Sokolov die von seinem Amt vorgesehenen kulturpoliti-schen Veränderungen: Anders als es das traditionelle Verständnis von Kultur vorsah, sollten zum Kulturbereich künftig auch private und Betriebe des Dritten Sektors zählen. Weiterhin wurde eine Überprüfung der Effektivität und Effizi-enz der Kulturbetriebe angekündigt sowie der Übergang von der bloßen Bewah-rung hin zu einer optimalen wirtschaftlichen Nutzung des materiellen Kulturer-bes. Schließlich forderte Sokolov eine größere Partizipation am politischen Entscheidungsprozess.

Einige der angekündigten Veränderungen finden sich im vierten föderalen Programm für den Zeitraum 2006-2010150 wieder. Hier stellt die Regierung fest, dass sie ihre Investitionen in die Kultur als Investitionen in das „menschliche Kapital“ ansieht. Außerdem erkannte das damalige Ministerium für Kultur und Massenkommunikation die Bedeutung der Public Private Partnership an und beabsichtigte die Förderung von Mäzenatentum, Kreativwirtschaft und profit-orientierten Projekten. Die einzelnen Maßnahmen reichten dabei von Begabten-förderung und einer gezielten Unterstützung der professionellen Kunst und Lite-ratur bis hin zur Innovationsförderung. Außerdem strebte die staatliche Kulturpolitik mehr kulturellen Austausch und einen Protektionismus der Film-industrie an.

Im Jahr 2006 verkündete das Kulturministerium dann die Schwerpunkte seiner Politik bis 2015 und präsentierte einen dazugehörigen Realisierungsplan. Neu war die Ausrichtung der Kulturpolitik auf soziale Stabilität, Wirtschafts-wachstum und Staatssicherheit, die auch den Kürzungen der staatlichen Leistun-gen in der vorangegangenen Phase geschuldet war. So waren mehrere Artikel des Museumsgesetzes außer Kraft gesetzt worden, etwa im Jahr 2004 die Re-gelung der ersten Version von 1996, in der es heißt, dass die Regierung der Rus-sischen Föderation und die Organe der Exekutivgewalt des Staates Museen

150 Russisch: Federal´naja celevaja programma”„Kul´tura Rossii“ (2006-2010).

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steuerliche und andere Vergünstigungen gewährleisten können151 (Art.18 Ab.2). Anders als noch 1996 konnten Kollektionen aus nichtstaatlichen Museumsbe-ständen nun auch nicht mehr in staatliche Depots und Aufbewahrungsorte über-geben werden (Art.24).

Viele Veränderungen brachte auch die neue und noch aktuelle Version des Bibliotheksgesetzes aus dem Jahr 2007 mit sich. Es setzt die Artikel außer Kraft, die die Sozialgarantien und Ermäßigungen für Bibliotheksmitarbeiter regeln (Art.15 Ab.3). Die Version von 1994 hatte außerdem festgeschrieben, dass am Jahresende nicht verbrauchte Mittel weder entzogen noch für die nächste Rechnungsperiode berücksichtigt werden können. Auch diese Regelung schaffte die Gesetzgebung von 2004 ab. 4.1.6 Fazit Die kulturpolitische Entwicklung in Russland nach der Auflösung der Sowjet-union im August 1991 kann anhand der dargestellten Beispiele folgendermaßen beschrieben werden: Die Liberalisierung der Wirtschaft führte in den öffentli-chen Kulturbetrieben zu Finanzierungsproblemen. Deshalb bemühte sich der Staat in den ersten Transformationsjahren vor allem um die Schaffung einer gesetzlichen Basis für den Erhalt der Kulturbetriebe, um deren Sicherheit ga-rantieren zu können. Zudem sollten die Kulturbetriebe durch steuerliche Ver-günstigungen unterstützt werden, wie der Erlass vom April 1992 zeigt. Die „Grundlagen“ sicherten eine kontinuierliche staatliche Kulturfinanzierung zu. Dass die Kulturverträglichkeitsprüfung gesetzlich verankert wurde, könnte als Anzeichen eines erhöhten gesellschaftlichen Stellenwerts der Kultur interpretiert werden, in seiner ersten Version von 1992 sieht das Gesetz allerdings nur die föderalen Organe als Träger der Überprüfung vor. Das föderale Zentrum beab-sichtigte dagegen, die eigene Gewalt und Kontrolle über alle Bereiche aufrecht-zuerhalten und weiterhin als einziger richtungweisender Akteur der Kulturpoli-tik aufzutreten. Die Bedeutung der lokalen Ebene blieb also gering. Den Kommunen fehlte die Befugnis zu kulturpolitischem Engagement und zur Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für eine effektive Nutzung des lo-kalen kreativen Potenzials.

Diese Beispiele machen die Veränderungen der kulturpolitischen Ziele in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre verständlich. Während bisher die Schutz-funktion der Politik im Vordergrund gestanden hatte, änderte sich der Kurs der 151 Verantwortlich dafür war das Föderale Gesetz vom 22. August 2004 Nr. 122 „Über die Ver-

änderungen in der Gesetzgebung“.

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Kulturpolitik mit dem ersten Regierungsprogramm, das auf die Förderung von Entwicklungen setzte. Die Ineffektivität der Kulturpolitik während der ersten Transformationsjahre wurde allerdings kaum reflektiert. Die Wirtschaftskrise von 1998 verhinderte zudem eine effektive Umsetzung der neuen kulturpoliti-schen Ziele, da die Kulturausgaben nun massiv gekürzt werden mussten. Des-halb hat das zweite Programm rückblickend betrachtet nur eine Aufgabe: das Überleben bestimmter Kultureinrichtungen in der wirtschaftlich instabilen Zeit zu ermöglichen.

Aus diesen Beispielen wird ersichtlich, dass während des gesamten ersten Transformationsjahrzehnts Unklarheit über den Gegenstand der Kulturpolitik herrschte. Die Regierungsprogramme erkannten die Bedeutung der Kultur für die gesellschaftliche Entwicklung zwar explizit an, bei den konkret geförderten Projekten war sie jedoch zweitrangig: Priorität hatte weiterhin der Erhalt des kulturellen Erbes. Das verdeutlicht auch eine Studie der russischen Wissen-schaftlerin Vetrova, der zufolge über 60 Prozent der kulturpolitischen Förder-gelder Restaurierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen zugute kamen (Vetrova 2002: 69). An erster Stelle wurden nicht Projekte und Veranstaltungen, also nichtinstitutionelle Formen von Kultur, gefördert, sondern Einrichtungen. Au-ßerdem wurden bei der Mittelvergabe vorrangig Projekte von nationaler Be-deutung in Moskau und Sankt Petersburg berücksichtigt.

Ein Gesamtkonzept der staatlichen Kulturpolitik im Russland der 1990er Jahre wird aus den dargestellten Beispielen nicht erkennbar. Der Staat regulierte den Kulturbereich durch direkte Interventionen und führte Reglementierungen fort. Die Suche der Öffentlichkeit nach einer neuen Ideologie zeugt davon, dass es der russischen Gesellschaft nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems und seiner Ideologie an kulturellen Orientierungspunkten mangelte. So startete z. B. „Die Russländische Zeitung“152 die Rubrik „Ideen für Russland“, in der die Leser zur Formulierung neuer Ziele für die gesellschaftliche Ent-wicklung aufgefordert wurden.

Nach Putins Amtsantritt fand ein signifikanter Kurswechsel in der Kultur-politik statt, die nun eine Modernisierung der russischen Gesellschaft und eine Stärkung der russischen Wertegemeinschaft anstrebte. Die staatliche Kulturpo-litik wurde dabei als Bestandteil der sozialwirtschaftlichen Politik angesehen und nahm für sich in Anspruch, die ideologische Grundlage aller anderen Poli-tikbereiche darzustellen. Allerdings griff sie immer wieder zu den alten Ver-waltungsmethoden. So sprachen ihre Akteure etwa vom Kulturbereich als von

152 Russisch: Rossijskaja gazeta.

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einem „Netz kultureller Aufklärungseinrichtungen“. Insgesamt schwankte die Rolle des Staates zwischen Paternalismus und Populismus.

Die Kultur verlor in der postsowjetischen Zeit als Motor der gesellschaftli-chen Entwicklung wesentlich stärker an Bedeutung als die sozialistische Ideolo-gie. Ihre Bedeutung als Wertefundament nahm dagegen infolge der Identitäts-krise stetig zu. Die in der postsozialistischen staatlichen Kulturpolitik vorherr-schende Definition von Kultur umfasste in den 1990er Jahren keinerlei Sub-kulturen, so dass die vielfältigen kulturellen Bedürfnisse einer pluralistischen Gesellschaft bei der staatlichen Kulturpolitik nicht auf Interesse stießen. Noch bis zum Beginn des neuen Jahrtausends war auch die Auffassung von Kultur als Wirtschafts- bzw. Standortfaktor wenig verbreitet.

In der letzten hier vorgestellten Phase erkannte der Staat, dass eine effek-tive Lösung der Probleme, die mit der wirtschaftlichen Rezession im Kulturbe-reich entstanden waren, seine finanziellen Möglichkeiten überschreiten würde und kündigte daher eine Reform des Verwaltungssystems und das Anwerben von Drittmitteln an. Einerseits wurden in diesem Zusammenhang die Wechsel-beziehungen zwischen kulturellen und sozialwirtschaftlichen Entwicklungen diskutiert, andererseits unterlag die Kultur dem Primat der wirtschaftlichen Entwicklung. Dies ist der Einleitung des vierten Föderalen Programms zu ent-nehmen. Sie verkündet die politische und wirtschaftliche Stabilität Russlands in der Zeit von 2001 bis 2005, bezeichnet sie als Vorbedingung eines Wirtschafts-wachstums in Russland und folgert, Staat und Gesellschaft könnten sich nun wieder den Problemen der Kultur zuwenden. Der Stellenwert der Kulturpolitik im gesamten politischen System Russlands war also nach wie vor marginal: Kulturpolitik folgte der Stabilität der Wirtschaft. 4.2 Die Ukraine 4.2.1 Die Bildung einer Nation durch Kultur Im Februar 1992 verabschiedeten die ukrainischen Sozialdemokraten mit den „Grundlagen der Gesetzgebung über die Kultur“153 [im Folgenden „Grundla-gen“] das erste kulturpolitische Dokument der unabhängigen Ukraine im ukrai-nischen Parlament (der Verchovna Rada). Sie erklären die Entwicklung der ukrainischen Nationalkultur zur vorrangigen Aufgabe des Staates und legen grundlegende Prinzipien seiner Kulturpolitik fest (Art.2). Zu ihnen gehört, dass

153 Gesetz „Osnovy zakonodavstva Ukrajiny pro kul´turu“ vom 19.02.1992 Nr. 2141-XII.

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die Einzigartigkeit der ukrainischen Nation hauptsächlich in der Kultur und in der Stärkung der humanistischen Grundwerte im gesellschaftlichen Zusammen-leben gründet. Zu einem weiteren kulturpolitischen Prinzip wird der Vorrang der Kultur vor politischen und Klasseninteressen erklärt. Außerdem regelte das Gesetz die Rechte und Verantwortlichkeiten von Kulturschaffenden und Bür-gern. Den Akteuren des Kulturbereichs wurden die Freiheit der künstlerischen Betätigung, die Nichteinmischung des Staates in Fragen der Kunst und die Schaffung von Anreizen für die finanzielle Unterstützung der Kunst durch Un-ternehmen, Privatpersonen und öffentliche Organisationen normativ zugesi-chert, die Bürger bekamen unabhängig von ihrem sozialen Status und ihrer Na-tionalität das Recht auf kulturelle Dienstleistungen, künstlerische Entwicklung und ästhetische Bildung zugesprochen.

Die Prioritäten der kulturellen Entwicklung wurden folgendermaßen be-stimmt: Vorrangig waren nach Art. 3 die Bewahrung und der Schutz des kultur-historischen Erbes der Ukraine, die ästhetische Bildung von Kindern und Jugendlichen, die Grundlagenforschung im Bereich der ukrainischen Kultur-geschichte sowie der Ausbau der kulturellen Infrastruktur in den ländlichen Gebieten. Dabei sollten die staatlichen Verwaltungsorgane der Exekutive eine Renaissance sowie die Weiterentwicklung der ukrainischen Nationalkultur fördern und angemessene Rahmenbedingungen für eine solche Entwicklung schaffen. Diese implizierten die Vergabe von staatlichen Aufträgen an Literatur und Kunst, die Erarbeitung wissenschaftlicher Standards für die Befriedigung der kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung in den verschiedenen Regionen und den Aufbau eines Netzes von staatlichen Bildungs- und Forschungsein-richtungen. Außerdem wurden Kulturaustauschprogramme und die Unterstüt-zung von nichttraditionellen Kunstformen abgesichert (Art.12).

Der Staat verpflichtete sich mit dem Gesetz auch zu einer Finanzierung der Kultur (Art.23) in der Höhe von acht Prozent des ukrainischen Bruttoinlands-produkts (BIP), wobei die Gemeinderäte befugt waren, diesen Prozentsatz zu erhöhen. Zudem wurden Privatfinanzierungen durch Unternehmen, Organisa-tionen und öffentliche Vereinigungen ermöglicht. Die „Grundlagen“ schufen weiterhin das Recht, Kulturstiftungen zu gründen (Art.24). Ziel war es dabei, die finanzielle Unterstützung und den Schutz von Kultureinrichtungen, -organi-sationen und -betrieben unter den neuen Bedingungen der Marktwirtschaft zu gewährleisten. Hervorzuheben ist außerdem, dass die Ukraine bereits in den ersten Jahren nach dem Systemumbruch eine rechtliche Grundlage für nicht-staatliche Organisationsformen schuf: Das Gesetz „Über die Bürgervereinigun-

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gen“154 vom Juni 1992 erlaubte die Gründung von Vereinen zur Verwirklichung und zum Schutz sozialer, wirtschaftlicher, künstlerischer und nationalkultureller Interessen (Art.3).

1996 wurde die Bedeutung der Kultur für die nationale Sicherheit in der Verfassung festgeschrieben. Mit ihr verpflichtete sich der Staat, den Konsolidie-rungsprozess der ukrainischen Nation, ihres historischen Bewusstseins und ihrer Traditionen zu fördern (Art.11 der Verfassung). Außerdem garantiert die Ver-fassung die Freiheit literarischen, künstlerischen, wissenschaftlichen und techni-schen Schaffens und den Schutz geistigen Eigentums, also die Urheberrechte, und erklärt darüber hinaus den Schutz des Kulturerbes zu einer öffentlichen Aufgabe (Art.54).

In den ersten Jahren der Transformation setzte sich die ukrainische Regie-rung also für bessere Rahmenbedingungen von Kulturinstitutionen ein, um so die Nachfrage nach Kunst und Kultur zu beleben. Dafür legte Art. 26 der „Grundlagen“ auch Steuervergünstigungen für den Kulturbereich fest: Zum einen befreite er Kunst- und Kulturverbände und andere öffentliche Vereinigun-gen und Kultureinrichtungen von der Steuer; zum anderen senkte er die Be-steuerung von Unternehmen und Privatpersonen, die Spenden an Kulturein-richtungen getätigt hatten. Ein Dekret vom Dezember 1992155 verhinderte jedoch das Inkrafttreten des Artikels. Stattdessen galt ab 1994 das allgemeine Gesetz „Über die Besteuerung des Gewinns der Unternehmen“156 auch für drei Sektoren des Kulturbetriebs.

Ähnlich wie in der Russischen Föderation wurde auch in der Ukraine die Arbeit von Museen und Bibliotheken in der ersten Transformationsperiode ge-setzlich geregelt: Der Staat legte die Unterstützung der öffentlichen Bibliothe-ken fest und bestimmte mit dem Gesetz „Über die Bibliotheken und das Biblio-thekswesen“157 vom Januar 1995 Sozialgarantien für die Bibliotheksangestellten. Gleichzeitig sollte dieses Gesetz das Anrecht der Bevölkerung auf Information sichern. Bibliotheken versteht das Gesetz als soziale und wissenschaftliche Kultur- und Aufklärungsinstitute, die den Zugang der Öffentlichkeit zu den Ressourcen Dokumentation und Information gewährleisten. Diese sind bei den Bibliotheken konzentriert und haben einen hohen Stellenwert, da sie laut dem Gesetz einer stärkeren Nutzung des in der Gesellschaft vorhandenen intellek-tuellen und kulturellen Potenzials dienen.

154 Gesetz vom 16.06.1992. 155 Dekret vom 26.02.1992 Nr. 12-92. 156 Gesetz vom 28.12.1994. 157 Gesetz vom 27.01.1995.

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Die staatliche Kulturpolitik sollte außerdem staatliche Steuerung und bür-gerliche Selbstverwaltung miteinander verbinden (Art.4). Die wichtigsten kul-turpolitischen Aufgaben im Bibliotheksbereich sollten eine verbesserte materi-elle Ausstattung der Bibliotheken, die Belohnung von nichtstaatlichem Engage-ment in den Bibliotheken und die Schaffung angemessener Rahmenbedingun-gen für die Aufbewahrung der Buchbestände sein. Zudem verpflichtete sich der Staat, die Forschung zu fördern und spezielle Entwicklungsprogramme für Bibliotheken durchzuführen. Die Finanzierung der Bibliotheken sollte aus dem staatlichen und den kommunalen Budgets erfolgen (Art.27). Außerdem sollten nichtstationäre Formen der Bibliotheksversorgung in ländlichen Regionen gefördert werden.

Zwei Jahre später, im Mai 1997, verabschiedete das Kabinett die Verord-nung „Über Minimalstandards der Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Bibliotheken in der Ukraine“158. Sie legte anhand der Einwohnerzahlen Stan-dards für die Gründung und den Unterhalt öffentlicher Bibliotheken fest: Bereits Siedlungen mit 500 bis 3.000 Einwohnern sollten eine öffentliche Bibliothek unterhalten, in größeren Städten sah die Verordnung eine öffentliche Bibliothek pro 3.000 bis 5.000 Einwohner vor, in Großstädten eine pro 20.000 bis 30.000 Einwohner. Darüber hinaus sollte in Gemeinden von über 75.000 Einwohnern eine Kinderbibliothek finanziert werden, in großen Städten sollte eine Kinder-bibliothek auf acht bis zwölf Schulen kommen.

Wie erwähnt fiel die Verabschiedung des Gesetzes „Über die Museen und das Museumswesen“159 im Juni 1995 in die erste Transformationsphase der Ukraine. Es betrachtet Museen als Kultur-, Ausbildungs- und Forschungsein-richtungen, deren Auftrag die Erforschung der materiellen und geistigen Kultur inklusive ihrer Objekte sowie der Erhalt und die Nutzung dieser Objekte ist. Außerdem sollen die Bürger mit ihrem nationalen und internationalen histori-schen Kulturerbe vertraut gemacht werden (Art.1). Zu den Tätigkeiten von Mu-seen gehören nach Ansicht des Gesetzes also kulturelle Bildungsarbeit, For-schung, der Aufbau von Sammlungen und ihre Bewahrung und die Erarbeitung von Publikationen und Ausstellungen. Museumspolitik schließt laut Art. 3 sämtliche Richtungen und Prinzipien staatlicher wie gesellschaftlicher Tätigkeit auf dem Gebiet des Museumswesens ein. Der Staat verpflichtet sich zur Finan-zierung der Museen und zur Unterstützung der angewandten Forschungen und der Grundlagenforschung in den verschiedenen Museumsbereichen. 158 Verordnung vom 30.05.1997. 159 Gesetz vom 29.06.1995.

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4.2.2 Dezentralisierungsreformen Fünf Jahre nach der Verabschiedung der „Grundlagen der Gesetzgebung über die Kultur“ erließ das Kabinett im Juni 1997 die Verordnung „Über die konzep-tionelle Richtung der Tätigkeiten der Exekutivorgane in Hinblick auf die kultu-relle Entwicklung“160. Ihr oberstes Ziel war die Schaffung eines einheitlichen ukrainischen Kulturraums, der zur Konsolidierung eines ukrainischen Staates beitragen sollte. Dazu strebte sie die Verbreitung der ukrainischen Sprache in allen Sphären des kulturellen Lebens an und betonte die Bedeutung des künstle-rischen Engagements der Bürger, der Begabtenförderung und der Unterstützung der professionellen Kunst unabhängig von politischen und wirtschaftlichen Konjunkturen. Außerdem kündigte die Regierung an, Kulturorganisationen und -vereinigungen unabhängig von ihrer Rechtsform zu unterstützen sowie rechtli-che und wirtschaftliche Anreize für die Vergabe von Drittmitteln zu schaffen.

Die weitere kulturpolitische Entwicklung wurde von den Dezentralisie-rungsreformen beeinflusst, die mit dem Gesetz „Über die Selbstverwaltungsor-gane in der Ukraine“161 vom Mai 1997 die Finanzierung der Kultureinrichtun-gen an die Lokalverwaltungen übertrugen. Art. 2 dieses Gesetzes führte das Subsidiaritätsprinzip ein, nach dem Fragen von lokaler Bedeutung in die Zu-ständigkeit der lokalen Selbstverwaltungsorgane fielen. Zu ihnen gehörten unter anderem die Verabschiedung und Finanzierung von Kulturentwicklungspro-grammen (Art.27). Auch die Administration der kommunalen (Kultur)einrich-tungen sowie ihre technisch-materielle und ihre finanzielle Unterstützung oblagen nun den Selbstverwaltungsorganen, die berechtigt waren, selbstständig Kulturvereine zu unterstützen, die sich der Renaissance von Volkskultur und Kunstgewerbe widmeten (Art.32). Das Gesetz übertrug die Zuständigkeit für kulturelle Dienstleistungen und die Förderung der kulturellen Entwicklung also an die lokale Verwaltungsebene.

In der Folgezeit setzte der Staat die Dezentralisierung noch fort: 1999 ver-abschiedete er das Gesetz „Über die staatlichen lokalen Administrationen“162, das auch den sogenannten staatlichen Administrationsorganen (Oblast´ Exeku-tive) der staatlichen Exekutivgewalt neue Kompetenzen zusprach. Ihnen oblag nun die Finanzierung der ihnen zugeordneten Kultur-, Bildungs- und Wissen-schaftseinrichtungen (Art.18). Der Staat hoffte, dass sich so staatliche Admi-nistrationen und Selbstverwaltungsorgane in Fragen der sozialwirtschaftlichen

160 Die Verordnung des Kabinetts vom 23.06.1997 Nr. 675. 161 Gesetz vom 21.05.1997. 162 Gesetz vom 9.04.1999.

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und kulturellen Entwicklung gegenseitig ergänzen könnten und entsprechend stark kooperieren würden (Art.35).

Zur zweiten Etappe der Transformation gehören zwei weitere regulierende Maßnahmen. Erstens wurde 1997 das Gesetz „Über die Wohltätigkeit und wohltätige Organisationen“163 verabschiedet, das die Bildung unabhängiger Fonds erleichterte. Die Steuergesetzgebung von 1994 reglementierte aber wei-terhin Steuerermäßigungen für Unterstützer der Kultur und legte außerdem fest, dass das Spendenvolumen einer Organisation nicht weniger als zwei Prozent und nicht mehr als fünf Prozent ihres Gesamtbudgets ausmachen durfte (Art.5.2.13). Unter den Bedingungen der Schattenwirtschaft in der Ukraine der 1990er Jahre und da seine Umsetzung durch keine anderen politischen oder sozialen Instrumente unterstützt wurde, blieb die Bedeutung dieses Gesetzes allerdings gering.

Mit der zweiten Regulierungsmaßnahme wurde die Verantwortung des Staates für die Unterstützung der professionellen Kunst- und Kulturverbände164 gesetzlich verankert. Das Gesetz „Über die professionellen Künstler und die Kunst- und Kulturverbände“ (1997) sollte die Beziehungen zwischen dem Staat und den auf nationaler Ebene organisierten Kunst- und Kulturvereinigungen regeln; ihnen wurde das Recht auf finanzielle Förderung durch den Staat und das Recht, sich an der Diskussion politischer Fragen und an den Kulturent-wicklungsprogrammen zu beteiligen, zugesprochen. 4.2.3 Auf dem Weg zum zweiten politischen Umbruch Im Herbst 1999 wurde auf einen Parlamentsbeschluss hin eine Kommission zur Erarbeitung eines neuen Kulturgesetzes gebildet. Diese präsentierte auf einer Sitzung des parlamentarischen Komitees für kulturelle und geistige Angelegen-heiten und des Kulturministeriums einen Entwurf165, der eine gänzlich neue Auffassung des Kulturbetriebs erkennen lässt, indem er neben den traditionellen staatlichen Kultureinrichtungen auch private Tonstudios und Verlage, neue Technologien, die Unterhaltungsindustrie und die Massenmedien als Teil des Kulturbetriebs versteht. Außerdem sieht er die Teilnahme der Zivilgesellschaft an kulturpolitischen Entscheidungen durch den sogenannten Rat der gesamt-

163 Gesetz vom 16.09.1997. 164 In der Ukraine sind elf Künstlerverbände registriert (Stand 2009). Die meisten sind Nachfol-

ger der sowjetischen Kultur- und Kunstverbände. 165 Der Volltext befindet sich auf der Homepage des Instituts für Kulturpolitik Kiew: unter

http://www.culturalstudies.in.ua/zv_2003_2.php (09.06.09).

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ukrainischen Kunst- und Kulturorganisationen vor. Das Parlament ratifizierte den Entwurf jedoch nicht.

In der dritten Transformationsperiode führten wirtschaftspolitische Verän-derungen zur Veränderung von geltenden Gesetzen, etwa dem Museumsgesetz. So wurden 1999166 der Erhalt wichtiger historischer Denkmäler und anderer kulturell wertvoller Objekte sowie Forderungen nach einer Rückgabe von ukrai-nischen Kunstwerken im Ausland zu Staatsaufgaben erklärt. Das Gesetz von 1995 betrachtet Museen in erster Linie als wissenschaftliche Institutionen, 1999 rückt dagegen ihre künstlerische und historische Bedeutung in den Mittelpunkt. Eine weitere Neuerung des Gesetzes ist, dass es die Museumsbestände zum nationalen Reichtum der Ukraine und zum Bestandteil ihres Kulturerbes erklärt und öffentlich schützen will. Die letzte Neuerung besagt, dass Museen ihre Rechtsform zukünftig frei wählen können, so dass nun sowohl Exekutivorgane als auch juristische oder Privatpersonen Museen gründen können (Art.6).

Leonid Kučmas Präsidialprogramm der Wirtschaftsreformen bis zum Jahr 2001 hebt dann die besondere Rolle hervor, die dem geistigen Leben neben der materiellen Grundsicherung zukomme. Außerdem stand der Kulturbetrieb mehrmals im Mittelpunkt von parlamentarischen Sitzungen, wie folgende Sit-zungsthemen zeigen: „Ukrainische Kultur: Gegenwärtiger Stand und Entwick-lungsperspektiven“ (11. Dezember 2002), „Über das Funktionieren der ukraini-schen Sprache in der Ukraine“ (12. April 2003) und „Die geistige Krise der Gemeinschaft und die Wege ihrer Überwindung“ (5. November 2003). Darüber hinaus erklärte Kučma das Jahr 2003 zum Jahr der Kultur in der Ukraine.

In der Folgezeit wurde die kulturelle Entwicklung in der Ukraine mehrfach kritisiert, was nicht zuletzt auf ihre mangelnde Finanzierung zurückzuführen ist. Beispielsweise waren die Ausgaben für Neuerwerbungen in den öffentlichen Bibliotheken so niedrig, dass der Staat hier zu gezielten Fördermaßnahmen griff: Im Juli 2002 verkündete das Kabinett „Das staatliche Programm zur Er-gänzung und Vervollständigung der Buchbestände bis 2005“. Außerdem be-schloss das Gesetz „Über die staatliche Unterstützung der Verlage in der Ukraine“ im Jahr 2003 gezielte Fördermaßnahmen für den Verlagsbereich. Da für kulturelle Dienstleistungen oder Güter bislang keine speziellen Mehrwert-steuersätze existiert hatten, entlastete das Gesetz die ukrainischen Verlage durch Steuerermäßigungen bis zum Jahr 2008.

Mit dem Programm zur kulturellen Entwicklung bis 2007167 verabschiedete das Kabinett im August 2003 eine weitere Maßnahme zur Unterstützung des Kulturbereichs. Ziel dieses Programms war es, seine rechtlichen, wirtschaftli- 166 Eingeführt durch das Gesetz über die Veränderung der Gesetzgebung N 28, Art. 231, 1999. 167 Ukrainisch: Depžavna programa pozvitku kul´tury na period do 2007 roku, 6.08.2003.

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chen und organisatorischen Rahmenbedingungen zu verbessern (Art.2). Beson-ders um die Konkurrenzfähigkeit der kulturellen und künstlerischen Leistungen der Ukraine sicherzustellen, wurde die staatliche Finanzierung der Kulturein-richtungen für notwendig erachtet. Die konkreten Einsatzbereiche des Pro-gramms waren die Aktivierung der wissenschaftlichen Forschung, die gezielte Unterstützung von Theatern und Kulturvereinigungen sowie der Schutz des staatlichen Museumsbestands und des historisch-architektonischen Erbes. 4.2.4 Die Einbindung der Kultur in die sozialwirtschaftliche Entwicklung Nach der sogenannten Orangen Revolution im Jahr 2004168 gab es in der Ukraine zwei Runde Tische169, die Probleme der Kulturpolitik behandelten. Im Mittelpunkt des ersten Runden Tischs stand eine mögliche Partnerschaft zwi-schen den Kulturbetrieben und dem Staat, der zweite behandelte die Frage, wie sich kommerzielle Interessen mit der Nationalkultur vereinbaren ließen. Die Ergebnisse beider Sitzungen flossen im März 2005 in das Gesetz „Über die Konzeption der staatlichen Politik im Kulturbereich für die Periode 2005-2007“ ein170, das Strategien, Prinzipien, Aufgaben und Mechanismen der Kulturpolitik festlegte. Sein Ziel war es, die kulturelle Entwicklung als einen sozialwirt-schaftlichen Entwicklungsfaktor anzuerkennen und einen Markt für kulturelle und künstlerische Dienstleistungen zu schaffen. Das sollte durch Transparenz, Demokratie, De-Ideologisierung Toleranz, Effektivität und Innovationen er-reicht werden (Art.4).

Weiterhin wurde beschlossen, der Kultur in den langfristigen Entwick-lungsprogrammen der staatlichen Administration und der lokalen Selbstverwal-tungen einen höheren Stellenwert einzuräumen. Dafür waren veränderte Ver-waltungsmethoden und Finanzierungsmodelle sowie die Einbeziehung der Öffentlichkeit in Verwaltungsprozesse vorgesehen. Durch die Erstellung einer Datenbank mit kulturellen Ressourcen wurde außerdem die Bildung eines über-greifenden Informations- und Kulturraums angestrebt. Als ein wirksames Finan-zierungsmodell dafür sah das Gesetz erstens größere öffentliche Kulturausgaben 168 Im Herbst 2004 fanden in der Ukraine Präsidentschaftswahlen statt. Der seit 1994 amtierende

Präsident Leonid Kučma durfte laut Verfassung nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Die Ereignisse um die Stichwahl am 21. November mündeten in der sogenannten Orangen Revolution, einem mehrwöchigen friedlichen Protest gegen Wahlfälschungen, woraufhin nach einem Beschluss des Obersten Gerichts am 26. Dezember 2004 die Stichwahl wiederholt wurde.

169 Sie fanden am 4. und 8. Februar 2005 statt. 170 Gesetz Nr. 2460-IV03.

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und zweitens zielgerichtete Projektfinanzierungen an. Drittens sollten Mäzena-tentum und Sponsoring durch steuerliche Begünstigungen gefördert werden, wobei auch die Einrichtungen selbst dazu angeregt werden sollten, Drittmittel einzuwerben. Diese privaten Investitionen sollten in erster Linie für den Schutz des kulturhistorischen Erbes und für seine touristische Nutzung aufgewendet werden.

Nach der Orangen Revolution gehörte die Kulturpolitik zur unmittelbaren Interessenssphäre des Präsidenten Viktor Juščenko. Davon zeugt der Erlass „Über die vorrangigen Maßnahmen in Hinblick auf die Bereicherung und Ent-wicklung der Kultur und des geistigen Potenzials in der ukrainischen Gesell-schaft“171, den dieser im November 2005 formulierte, und dem zufolge das kul-turpolitische Ziel des Staates die Wiederherstellung der ukrainischen Kultur durch einen respektvollen Umgang mit ihren Traditionen war. Der Erlass sieht die Gründung eines Nationalrats für kulturelle und geistige Angelegenheiten unter der Kontrolle des Präsidenten vor. Außerdem wollte Juščenko ein ge-samtukrainisches Förderprogramm für Filmindustrie, Literatur, Museen und das Archivwesen entwickeln und versprach in diesem Zusammenhang auch günsti-ge Rahmenbedingungen für historisch-kulturelle Zentren und Denkmäler, die an ukrainische Unabhängigkeitskämpfer und andere wichtige Personen der ukraini-schen Geschichte erinnern.

In der letzten Transformationsperiode, im Mai 2005, wurde das Gesetz „Über Theater und Theaterwesen“172 verabschiedet. Es sollte der Ausbildung und Befriedigung der künstlerischen Interessen und Bedürfnisse der Bürger dienen, ihrer ästhetischen Erziehung sowie der „Erhaltung, Entwicklung und Bereicherung des geistigen Potenzials des ukrainischen Volkes“. Es definiert das Theater in einem ausschließlich auf dessen Tätigkeit ausgerichteten Sinn als eine Kultureinrichtung, die ihre Leistung im Ensemble erbringt, und behandelt auch die darstellende Kunst (Art.1), die sich besonders durch künstlerische Ab-bildung des Lebens auszeichnen soll. Auch hier kommen dem Staat viele regu-lative Aufgaben zu, wobei seine Politik sich normativ auf die Prinzipien des Humanismus und der Demokratie, auf den Vorrang der allgemeinen geistigen Werte und auf die Freiheit des Schaffens stützen soll. Die darstellende Kunst wird zum Kulturgut des ukrainischen Volks erklärt (Art.4).

Das Bild der Bibliotheken veränderte sich: Die Gesetzgebung vom Mai 2008173 behandelt nicht mehr primär ihre Informationsfunktion, sondern ihre kulturellen Aufgaben und ihren Bildungsauftrag. 171 Erlass des Präsidenten vom 24.11.2005 Nr. 1647. 172 Gesetz vom 31.05.2005. 173 Veränderungen eingeführt durch das Gesetz von 22. Mai 2008

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Im November 2005 wurde eine Arbeitsgruppe aus Vertretern des Zentrums für Kulturforschung und des Nationalrats ins Leben gerufen, die ein Konzept und einen Handlungsplan für die kulturpolitische Entwicklung erarbeitete. Die-ses Konzept legte das Ministerium für Kultur und Tourismus 2007 dem Kabinett vor. Nach einer umfangreichen SWOT-Analyse benannte es drei strategische Schwerpunkte: die Einheit des nationalen sprachlich-kulturellen Raums, den Erhalt des nationalen Kulturerbes und den Protektionismus der nationalen Krea-tivwirtschaft. Auf ihm aufbauend entwickelte das Kabinett 2007 „Das Konzept des staatlichen Kunst- und Kulturförderprogramms bis 2012“. Ein Jahr später lag bereits ein neuer Entwurf vor, „Das Konzept des staatlichen Kunst- und Kulturförderprogramms 2009-2013174. Allerdings wurden beide nicht vom Par-lament ratifiziert. 4.2.5 Fazit Anhand der dargestellten Dokumente kann folgende Bilanz gezogen werden: Die „Grundlagen der Gesetzgebung über die Kultur“ waren zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens ein progressives Gesetz. Davon zeugen vor allem die Berücksich-tigung verschiedener Zielgruppen, wie Jugendlicher oder der ländlichen Bevöl-kerung, und die Anerkennung von privatem Engagement im Kulturbereich. Die sozialdemokratische Regierung betrachtete Kultur allerdings in erster Linie als ein Instrument, mit dem der Prozess zur Bildung der ukrainischen Nation beför-dert werden konnte. Somit war die Herausbildung einer ukrainischen National-kultur nicht selbst das Ziel, sondern stellte vielmehr ein Mittel zur Konsolidie-rung des ukrainischen Nationalstaates dar. So konnten kulturpolitische Ziele bereits zur Zeit der Perestroika nicht von innenpolitischen Fragen getrennt wer-den. Insbesondere in den ersten Jahren der Unabhängigkeit wurde die National-kultur auf staatlicher Ebene als ethisch-moralische Dimension der Gesellschaft wahrgenommen und war als solche auch Gegenstand der Kulturpolitik. Entspre-chend hatte die Kulturpolitik den Anspruch, sich als Teil der Gesellschaftspoli-tik zu etablieren und für diese eine geistige Basis zu entwickeln. Die Betonung des gesellschaftlichen Stellenwerts der Kultur ging jedoch nicht mit einer Auf-lösung des alten Systems zu ihrer Verwaltung einher: Weiterhin oblag dem Kulturministerium und den Kulturabteilungen der regionalen und kommunalen Verwaltungen die administrative Steuerung der ihnen zugeordneten Einrichtun-gen. 174 Das Konzept ist im Volltext zu finden unter http://mincult.kmu.gov.ua/mincult/uk/publish/

article/129791 (9.06.2009).

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Festzustellen ist außerdem, dass im Zuge der „Grundlagen“ zu Beginn der 1990er Jahre keine konkreten Mechanismen zur Kulturförderung und zur Dritt-mittelakquise entwickelt wurden. Die versprochene Finanzierung in Höhe von acht Prozent fand nie statt. 1992 machten die Kulturausgaben zwei Prozent aus, 1995 nur 0,5 Prozent (Ukrajins´ki centr kul´turnych doslidžen´ 1995: 15), 1998 gingen sie auch in der Ukraine aufgrund der Finanzkrise noch einmal deutlich zurück. 2001 wurde die Regelung über die staatliche Finanzierung der Kultur schließlich außer Kraft gesetzt.

Viele Wissenschaftler beteiligten sich an der Diskussion über die kulturpo-litische Entwicklung der Ukraine. Bereits 1995 zog das Zentrum für Kulturfor-schung in Kiew Bilanz über den Zustand der Kultur und konstatierte: Infolge der mangelnden Finanzierung waren viele Kinos, Kulturhäuser und Bibliothe-ken geschlossen und die nationale Filmproduktion stillgelegt worden. Die An-zahl der Theater und Museen wuchs zwar, gleichzeitig fanden sie aber kein ausreichend großes Publikum, da die Einkommen ihrer potentiellen Besucher zurückgingen (vgl. ebd.: 35). Die Politik versuchte, einen Zusammenbruch der staatlichen und kommunalen Kultureinrichtungen zu verhindern und das Institut für Kulturforschung schlug Vertretern des Kulturministeriums die Erarbeitung von neuen Finanzierungsmechanismen vor. Diese sahen dann die direkte Projektförderung statt der Finanzierung von Infrastruktur vor sowie außerdem angemessene Rahmenbedingungen für alle Kulturbetriebe, gleich welcher Rechtsform, und die Akquise von Drittmitteln (vgl. ebd.: 36). Die politische und wirtschaftliche Instabilität der Ukraine in der Mitte und zum Ende der 1990er Jahre konnten diese Überlegungen jedoch nicht vorhersehen.

Die staatliche Kulturpolitik suchte den Dialog mit Vertretern des Kulturbe-reichs und formulierte die Bedeutung dieses Dialogs in ihren Zielen auch expli-zit. So hoffte sie, von öffentlicher und privater Seite Unterstützung zu bekom-men, um die finanziellen Engpässe abdecken zu können. Mit der Neudefinition des Kulturbereichs und der Einbeziehung der Kreativwirtschaft, die die Kultur-politik vornahm, sollte der Eindruck eines Staates erweckt werden, der die Kul-turverwaltung zu modernisieren beabsichtigt. Diese Vorhaben scheiterten jedoch. Indem sie die Ausbildung einer ukrainischen Nation fördern sollte, entwickelte sich die Kulturpolitik als Bestandteil der Innenpolitik zwar aktiv weiter; sie konnte sich vom gesamtpolitischen System allerdings nie emanzipie-ren und wurde nicht als selbstständiger Politikbereich oder gar als Schnittstelle aller Politikbereiche wahrgenommen. Das Verhältnis der Macht zur Kultur blieb im Verlauf der 1990er Jahre auf paternalistische Schirmherrschaft beschränkt. Davon zeugt die zweitrangige Bedeutung, die den „Kulturgesetzen“ zukam: Während das Parlament z. B. das Privatisierungsgesetz vorrangig debattierte,

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beachtete es die Anpassung der „Gesetzgebung über die Kultur“ über lange Zeit gar nicht. Außerdem wurden viele Gesetze vor ihrer Verabschiedung nicht mit den kulturpolitischen Zielen abgestimmt. So schloss etwa der Budgetkodex die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung von privaten Kulturbetrieben fak-tisch aus und die Steuergesetzgebung von 2003 sah keine Begünstigungen für die Produktion und den Verkauf von kulturellen Gütern und Dienstleitungen vor.

Aus den Dokumenten wurde ersichtlich, dass die im Zuge der Transforma-tion entstandenen Probleme erst nach der zweiten politischen Wende zutage traten. Der komplette Kulturbereich hatte sich bisher nur scheinbar gewandelt. Ein Beispiel hierfür sind die öffentlichen Ausschreibungen, die über die Ver-gabe von Mitteln entschieden hatten. Eine mangelnd transparente Entschei-dungsfindung und die fehlende Evaluation der durchgeführten Projekte hatten die Effektivität dieses Instruments stark beeinträchtigt. Die Kulturpolitik setzte sich in der letzten Transformationsperiode deshalb ausdrücklich das Ziel, das gesamte System der Kulturverwaltung in Frage zu stellen und zu reformieren.

Nach der Orangen Revolution wuchs die Bedeutung der ukrainischen Na-tionalkultur. Das kommt auch in den seit dem Frühling 2005 erhöhten Kultur-ausgaben zum Ausdruck. Die Dokumente und Programme lassen erkennen, dass der Staat in dieser Zeit beabsichtigt hat, mit seiner Kulturpolitik den Mythos von der Ukraine als einer „unterdrückten Nation“ zu beseitigen. Die Bewältigung „postkolonialer Stereotype“ über die und in der ukrainischen Kultur lag seiner Kulturpolitik stets als implizites Ziel zugrunde.

So entwickelte die Kulturpolitik das Modell der sogenannten Nationalbe-freiung, in dem eine Mischung aus staatlichem Populismus und Paternalismus zum Ausdruck kommt. Die staatliche Kulturpolitik war also von Liberalisie-rungsabsichten, staatlicher Patronage und der mangelnden eigenen Durchset-zungskraft geprägt.

4.3 Polen 4.3.1 „Schocktherapie“ für den Kulturbereich durch Privatisierung und

Dezentralisierung Nach den Wahlen vom Juni 1989 wurde die Steuerung der Kultur durch den Staat in Polen als kommunistische Erfindung abgelehnt. Bereits drei Monate vor diesen Wahlen waren bürgerliches Engagement und nichtstaatliche Organisa-

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tionsformen durch das Gesetz „Über die Vereine“ im April 1989175 legalisiert worden, das die normative Grundlage für die Verwirklichung der freien Teil-nahme am öffentlichen Leben, der freien Meinungsäußerung und der freien Realisierung individueller Interessen gelegt hatte.

Die Veränderung der polnischen Gesetzgebung nach der politischen Wende brachte auch neue Rahmenbedingungen für den Kulturbetrieb mit sich. 1990 wurden die Zuständigkeiten der staatlichen und der Selbstverwaltungsorgane im Kulturbereich durch die Gesetze „Über die territoriale Selbstverwaltung“176 und „Über die regionalen Organe der allgemeinen Regierungsverwaltung“177 neu bestimmt. Im September 1990 präsentierte das Ministerium für Kunst und Kul-tur dem Ministerrat seine Vision einer „Kultur in der Übergangszeit“ (vgl. Siciński / Dąbrowski / Gmurek 1998: 323). In ihrem Mittelpunkt standen eine Situationsanalyse für den Kulturbereich, ein neues Finanzierungssystem und die Schaffung günstiger rechtlicher Rahmenbedingungen. Als Ziel wurde eine Anpassung der Gesetze wie der Mittelvergabe an die wirtschaftspolitischen Veränderungen formuliert. Die „Aufgaben der Kulturpolitik im demokratischen Staat“ verkünden Rechtsschutz für freie künstlerische Tätigkeit und Beteiligung am kulturellen Leben.

Während Vertreter des Kulturministeriums ihre neuen Aufgaben zu be-stimmen suchten, zweifelte die Öffentlichkeit grundsätzlich an der Notwendig-keit dieses Ressorts und diskutierte eine Übertragung seiner Kompetenzen an das Bildungsministerium (vgl. Instytut Kultury 1992: 66). Der polnische Kul-turkritiker Andrzej Mencwel unterschied in diesem Zusammenhang eine Mini-mal- und eine Maximalpolitik im Kulturbereich (vgl. Mencwel 1990: 9f.). Die Minimalvariante sah eine protektionistische Kulturpolitik während des Über-gangs zur Marktwirtschaft vor. Bei der Bestimmung der Maximalpolitik und ihrer Grenzen wurde dagegen eine kontroverse Diskussion erwartet. Der stell-vertretende Kulturminister und spätere Staatssekretär Michał Jagiełło178 entwarf 1991 in einem Artikel kulturpolitische Leitlinien für die Übergangsphase und kritisierte dabei die mangelnde politische Diskussion der staatlichen Kulturstra-tegie, die weder im Parlament stattfand noch unter dessen Schirmherrschaft. Ihm zufolge stand der Wechsel

175 Gesetz vom 7.04.1989. 176 Gesetz vom 8.03.1990. 177 Gesetz vom 22.03.1990. 178 Michal Jagiełło war seit dem 1. November 1989 stellvertretender polnischer Kulturminister

und seit 1990 unter den Kulturministern Rostworowski und Siciński Staatssekretär.

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von einer staatlich gelenkten Repräsentativkultur zu einer sowohl von staatlicher Finanz-förderung als auch von privaten Investitionen und Spenden lebenden Kulturlandschaft bevor, in der nationale und transnationale Elemente vorurteilslos präsentiert werden. (Jagiełło 1991)179

Das Modell der institutionalisierten und verstaatlichten Kultur sollte aufgehoben werden. An seine Stelle trat die Auffassung von Kultur als einem Wertesystem bzw. der Lebensweise eines Volks.

Die Befreiung von der staatlichen Herrschaft untermauerten auch Gesetze: Das Gesetz „Über die Organisation und Durchführung kultureller Tätigkeiten“ vom Oktober 1991180 regelte die Übertragung dieser Bereiche an die territoria-len Selbstverwaltungsorgane (Gmina) (Art.9). Die Grundaufgaben der Kultur-einrichtungen sind dem Gesetz zufolge kulturelle Bildung und Kunsterziehung, Aufbau und Erhalt von Sammlungen, der Schutz und die Gewährleistung des Zugangs zu Kulturgütern und Dienstleistungen, die Entwicklung der Amateur-kunst wie der Volkskultur und eine Verbesserung der kulturellen Bildung. Überdies verpflichtete das Gesetz die Kulturbetriebe zu einer nutzerorientierten Gestaltung ihrer Angebote (Erkennung, Motivation, Bildung und Befriedigung der kulturellen Bedürfnisse) (Art.32).

Die „Schocktherapie“ für die Wirtschaft verlief in den ersten Jahren nach dem Systemumbruch nicht reibungslos und verursachte auch im Kulturbereich finanzielle Probleme. Einen Ausweg aus dieser Situation präsentierte 1992 der Vizeminister für Kultur Piotr Łukasiewicz. Seine Strategie sah eine konsequente Übergabe der Kulturbetriebe in die Verantwortung der lokalen Verwaltung und die Auflösung einiger Kultureinrichtungen vor. Außerdem äußerte er die Hoff-nung, dass sich ihre Lage durch Professionalisierung des Managements, Dritt-mittelakquise, einen erhöhten Eigenanteil der Einrichtungen und durch Rationa-lisierungsmaßnahmen verbessern könnte (vgl. Łukasiewicz 1993: 15). Insbeson-dere für die Akquise von Drittmitteln schuf der Staat neue Rahmenbedingungen. Gemäß dem neuen Einkommensteuergesetz konnten Abzüge für sogenannte „öffentliche Wohlfahrtszwecke“ von bis zu zehn Prozent der Einkünfte von der Einkommensteuer befreit werden. Außerdem befreite das Gesetz „Über die Be-steuerung der Waren und Dienstleistungen“ vom Januar 1993181 kulturelle Dienstleistungen von der Steuer. Die Kulturbetriebe wurden von der Mehrwert-steuer (MWSt) zwar nicht befreit, ihnen wurde jedoch ein ermäßigter MWSt-Satz von null oder sieben Prozent beim Verkauf von bestimmten Produkten wie beispielsweise Büchern zugesprochen. 179 Zitiert nach Schlott 1992b: A 644. 180 Gesetz „O organizowaniu i prowadzeniu działalności kulturalnej” vom 25.10.1991. 181 Gesetz vom 8.01.1993.

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4.3.2 Die Schutzreaktion auf die radikalen Veränderungen Vor den Parlamentswahlen von 1993 formulierten die Parteien ihre kulturpoliti-schen Visionen in ihren Wahlprogrammen. „Der Bund der Demokratischen Linken“ (SLD) sah die Kultur beispielsweise als wichtige Grundlage für den Aufbau einer „demokratischen, offenen und toleranten Gesellschaft“ an und befürwortete öffentliche Schirmherrschaften und die Kulturförderung durch den Staat. Die Pflicht des Staates bestand ihm zufolge in der Schaffung von Frei-räumen für die Kultur beim gleichzeitigen Schutz der allgemeinen menschli-chen, humanistischen Werte182. Weder die liberalen noch die zentralistischen Parteien räumten der Kulturpolitik in ihren Wahlprogrammen einen Platz ein und gingen stattdessen davon aus, dass sich der Staat in Kulturangelegenheiten nicht einmischen darf. Nach den Parlamentswahlen im September 1993 bildete sich eine Regierungskoalition aus dem SLD und der gemäßigt konservativen Bauernpartei PSL. Der damit verbundene politische Kurswechsel ging auch mit einer kulturpolitischen Neuorientierung einher.

Noch 1993 führte der Ministerrat „Die Grundsätze der Kulturpolitik“183 ein. Diese neue Kulturpolitik wollte ausgewählte Bereiche vor den Einflüssen des Markts schützen – das historische Erbe, architektonische Denkmäler, Mu-seen, Bibliotheksbestände, die Filmindustrie, den internationalen Kulturaus-tausch und Institutionen von nationaler Bedeutung. Das Ziel der Kulturpolitik war u. a. die Förderung der Demokratie und der Zivilgesellschaft. Der Staat sah sich nun verpflichtet, für die Unterstützung der privaten Kulturbetriebe und für die Einführung von Mechanismen zu sorgen, die die öffentliche Finanzierung ergänzen konnten.

Diese Grundsätze befürwortete auch der bereits erwähnte Staatssekretär Michał Jagiełło. Er forderte, die Arbeit von Freischaffenden durch ausgewogene staatliche Interventionen zu unterstützen. Ausgewählte Bereiche benötigten eine finanzielle Absicherung durch den Staat. Außerdem bedauerte Jagiełło, dass im Kulturministerium keine Thematisierung jener Werte stattfinde, die die ideolo-gische Grundlage der Arbeit im Kulturbereich bilden (vgl. Jagiełło 1993).

Auch der 1993 zum Kulturminister berufene Theaterregisseur Kazimierz Dejmek setzte sich für eine staatliche Kulturförderung ein, vor allem jener Bereiche, die die kulturelle Identität Polens förderten. Dafür verlangte er eine Wiederbelebung des „Fonds der polnischen Nationalkultur“ aus den 1980er Jahren. Zwei Bereichen der Kultur – dem Buch und dem kulturellen Erbe – 182 Zitiert nach Golka 1997: 27. 183 Polnisch: Polityka kulturalna państwa – założenia opracowane przez Ministerstwo Kultury i

Sztuki (rzegląd Rządowy nr 9(27)/IX/93).

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räumte er einen Vorrang bei der staatlichen Finanzierung ein, um einem Absin-ken des Bildungsniveaus entgegenzuwirken (vgl. Dejmek 1993). Ähnliche Ansätze finden sich auch in dem Arbeitsplan, den das Kulturministerium 1995 für die Jahre 1996-1997 vorlegte. Die staatliche Unterstützung der Verlage und der Lesekultur, des nationalen Kulturerbes und der kulturellen Bildung werden auch hier explizit als vorrangige Aufgaben bezeichnet, die Förderung der polnischen Kultur wird als langfristige Verpflichtung des Staates bezeichnet. In dieser Zeit betrachtete der Staat die Kultur als Grundlage für die Entwicklung des Volks184.

Die Bedeutung der staatlichen Schirmherrschaft für die polnische Natio-nalkultur betonte 1996 auch der Präsident Aleksander Kwaśniewski in der soge-nannten „Charta Polnischer Kultur“. Mit ihr verpflichtete sich der Staat zur Schaffung von organisatorischen und rechtlichen Rahmenbedingungen für kul-turelle Bildung und Entwicklung. Im April 1997 wurde die staatliche Verant-wortung für Kultur auch im polnischen Grundgesetz verankert, das Kultur als „Quelle“ der polnischen Identität anerkennt (Art.6). Darüber hinaus wurde die Freiheit der Kunst, der Forschung, der Bildung und der Nutzung des kulturellen Vermögens in Art. 73 gesetzlich verankert.

Ähnlich wie in den bereits dargestellten Ländern übernahm die Regierung in dieser Periode auch in Polen die Verantwortung für die rechtlichen Rahmen-bedingungen. Das äußerte sich in der Verabschiedung von Gesetzen, die ausge-wählte Bereiche wie Museen oder Bibliotheken behandelten. Das Gesetz „Über die Museen“185 von 1996 bestimmte die Aufgaben von Museen, etwa den Schutz der Kulturgüter, die Information der Öffentlichkeit, aber auch die Ver-breitung von Werten der polnischen und der internationalen Geschichte sowie Wissenschaft und Kultur. Als Funktion von Museen wurde auch die Erweite-rung der kognitiven und ästhetischen Wahrnehmung der Besucher betrachtet (Art.1). Außerdem wurde der Rat für Museale Angelegenheiten im Ministerium für Kultur zu einem Meinungsbildungs- und Beratungsorgan erklärt, das für die Kulturpolitik im Bereich des Museumswesens sowie für die Verwaltung und Finanzierung der Einrichtungen verantwortlich sein sollte (Art.7). Zu betonen ist, dass das Gesetz Museen dazu verpflichtete, Besuchern den kostenlosen Be-such von Sammlungen zu ermöglichen, die „den Unabhängigkeitskampf Polens und den Leidensweg des polnischen Volks“ behandelten. Erinnerungs- und Ge-schichtspolitik wurden so zu einem festen Teil der postsozialistischen polni-schen Kulturpolitik.

184 Mehr dazu bei Krzysztofek 1999: 274. 185 Gesetz vom 21.09.1996.

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Während der zweiten Transformationsperiode wurde im Juni 1997 mit dem Gesetz „Über die Bibliotheken“ ein neues Gesetz für den Bibliotheksbereich verabschiedet. Es erklärte die Bibliotheken und ihre Sammlungen zu polnischen Nationalgütern und fixierte ihre Aufgaben, die es sehr traditionell auffasste. Aufgaben wie die aktive Verbreitung von Informationen über die eigenen Bestände und die von anderen Bibliotheken, Museen und wissenschaftlichen Informationszentren (Art.4) veränderten allerdings die öffentliche Wahrneh-mung der Bibliotheken, die in der Folgezeit stärker als kooperative und inter-aktive kulturelle Einrichtungen angesehen wurden. 4.3.3 Die Suche nach Balance Nach den Parlamentswahlen im September 1997 bildeten das sogenannte Wahl-bündnis Solidarność und die Freiheitsunion die neue Regierung. Neben dem Schutz des kulturellen Erbes gehörte die Förderung lokaler Initiativen zu ihren kulturpolitischen Hauptzielen. 1998 konkretisierte das Kulturministerium diese Ziele anhand von zehn Prioritätsbereichen. Zu den bereits formulierten Aufga-ben kamen nun die Nivellierung der ungleichmäßigen Entwicklung von Wirt-schaft und Kultur und die Verbesserung der Ausbildung von Kulturmanagern hinzu (vgl. Miechowicz 2004: 43).

Im Zuge einer Fortsetzung der Dezentralisierungsreformen wurden außer-dem den sechzehn neu gebildeten polnischen Verwaltungsbezirken oder regio-nalen Verwaltungseinheiten, den „Woiwodschaften“, im Jahr 1999 bestimmte Kultureinrichtungen unterstellt, damit kulturelle Besonderheiten auf regionaler Ebene eigenverantwortlich gepflegt werden könnten. Alle vier Ebenen der ter-ritorialen Gliederung – die zentrale Ebene (der Staat), die Regionen (woje-wództwo), die Provinzen (powiat) und die Städte oder Gemeinden (gmina) – erhielten erweiterte Verwaltungskompetenzen im Kulturbereich, wobei die Städte und Gemeinden aufgefordert wurden, öffentliche Aufgaben wahrzuneh-men und die Bedürfnisse der Bevölkerung vor Ort u. a. auch im Kulturbereich zu befriedigen.

Die Suche nach einer Balance zwischen staatlicher Förderung, die beson-ders in der zweiten Transformationsphase an Bedeutung gewann, und der Schaf-fung von Rahmenbedingungen zur Förderung der Eigeninitiative setzte sich fort. Das Gesetz „Über die öffentlich nützliche Tätigkeit und die freiwillige Arbeit“186 vom April 2003 definierte Rahmenbedingungen für den Dritten

186 Gesetz vom 24.04.2003.

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Sektor und sah vor, eine enge Kooperation zwischen Verwaltung und NGOs voranzutreiben.

Die staatliche Kulturpolitik sah den Rückzug aus der Kulturfinanzierung durchaus als problematisch an, denn es war unklar, ob den Kulturschaffenden in Zukunft genügend Finanzierungsquellen zur Verfügung stehen würden. Die staatlichen Kulturausgaben im Jahr 2003 hatten gezeigt, dass der polnische Staat bei der Kulturfinanzierung im Vergleich zu anderen Staaten eher zurückhaltend agierte, mit 24 Euro pro Einwohner lag Polen weit hinter anderen europäischen Ländern: In Dänemark betrugen die Ausgaben 216 Euro, in Frankreich 191 Euro und in Estland 39 Euro (vgl. Ministerstwo Kultury 2003: 50). Ob diese zurückhaltende Position als bewusste strategische Entscheidung der polnischen Kulturpolitik zur Liberalisierung des Markts oder als Folge der wirtschaftlichen Anpassungszwänge zu begreifen ist, ist die Frage. 4.3.4 Die Ausrichtung auf eine langfristige strategische Regionalentwicklung Mit der EU-Osterweiterung erhielt Polen 2004 vollständige Zugriffsmöglich-keiten auf die Fonds der Europäischen Union. Um die Kulturpolitik unter diesen neuen Bedingungen zu planen, wurde die „Nationale Strategie für die Kultur-entwicklung 2004-2013“ verabschiedet187. Ihr übergreifendes strategisches Ziel war eine ausgeglichene kulturelle Entwicklung in allen Regionen Polens. Kultur wurde nun als Teil der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung wahrgenommen, wodurch ihr neue Funktionen zugeschrieben wurden, etwa die Entfaltung des intellektuellen Potenzials und die gesellschaftliche Integration in den verschie-denen Regionen. Das kulturelle Potenzial umfasste sowohl sämtliche histori-schen, künstlerischen und zivilisatorischen Errungenschaften als auch (in einem engeren Sinne) die Kunstwerke und das Netz der Kultur- und Bildungseinrich-tungen und der NGOs. Überdies wurde der Kulturbereich als eine Ressource der gesellschaftlichen wie der wirtschaftlichen Entwicklung angesehen, die die demokratische Entwicklung als ganze beeinflusst.

Daneben erkannte die Politik in der Kultur auch einen Wirtschaftssektor, der mit 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts einen wichtigen Teil des Arbeits-markts darstellte und daher für die Wirtschaftspolitik wie für die sozialwirt-schaftliche Entwicklung relevant war. Die Kulturbetriebe wurden aufgefordert, die Effektivität ihrer Aktivitäten zu evaluieren und den zivilisatorischen und technischen Fortschritt sowie die kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung in

187 Polnisch: Narodowa Strategia Rozwoju Kultury na lata 2004-2013, vom 21.09.2004.

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Betracht zu ziehen, ohne dabei an künstlerischer Qualität einzubüßen. Public Private Partnership sollte eine Grundlage der kulturellen Entwicklung werden. NGOs waren nun gleichermaßen zur Beantragung öffentlicher Mittel berechtigt, deren Fluss effektiver kontrolliert werden sollte. Außerdem verpflichtete das Gesetz „Über die öffentlichen Aufträge“188 vom Januar 2004 Kulturbetriebe zur öffentlichen Ausschreibung.

In Tourismuskonzepten zur regionalen Wirtschaftsentwicklung wurden vorrangig der Kulturbereich und Kulturindustrien behandelt. Auch die Förde-rung der zeitgenössischen Kunst geriet in den Blick der Kulturpolitik. Überdies wurde eine Vielzahl operativer nationaler Kulturprogramme verabschiedet, etwa zur Förderung der Kreativität oder zur Entwicklung lokaler Initiativen etc. Um all die umfangreichen Ziele der Kulturpolitik zu erreichen, verkündete der Kul-turminister Kazimierz Michał Ujazdowski189 2005 eine 25prozentige Erhöhung der Kulturausgaben. Ujazdowskis Programm sah zudem mehr Transparenz bei der Mittelvergabe und eine effektive Nutzung der EU-Mittel vor. Allerdings konnte der staatliche Kulturetat 2006 nur um 7,8 Prozent erhöht werden.

Im Rahmen des nationalen Entwicklungsprogramms für den Zeitraum 2007 bis 2013 entstanden im Juni 2005 „Die Ergänzungen zur Nationalen Strategie der Kulturentwicklung bis 2020“190, die zu den bereits erwähnten Zielen die Förderung der Kulturindustrie und eine Erhöhung ihres Anteils am BIP hinzu-fügten. Daneben wurden ein effektiver Urheberschutz und eine höhere Stunden-zahl für kulturelle Bildung an den Schulen angestrebt. 4.3.5 Fazit Aus den dargestellten Beispielen lässt sich ableiten, dass die Privatisierung der Wirtschaft und die Dezentralisierung der Politik nach 1989 die wichtigsten Be-tätigungsfelder der Politik waren. Dabei verfolgte die Regierung die Dezentrali-sierung und Privatisierung des Kulturbereichs als operative Ziele ihrer wirt-schaftspolitischen Reformen, ohne sie durch strategische Überlegungen über den Stellenwert der Kultur in der postsozialistischen Gesellschaft zu begleiten. Außerdem ist zu betonen, dass vor allem marktwirtschaftliche Methoden ge-schätzt wurden. So macht etwa die Strategie des Vizekulturministers Łukasie-

188 Gesetz vom 29.01.2004. Dieses Gesetz ersetzte die alte Version vom 10.06.1994. 189 Die Amtszeit vom 31.10.2005 bis zum 16.11.2007. 190 Polnisch: Uzupełnienie Narodowej Strategii Rozwoju Kultury na lata 2004-2020 vom

14.06.2005.

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wicz deutlich, dass die finanziellen Probleme des Kulturbereichs nach dem Systemumbruch durch marktwirtschaftliche Methoden gelöst werden sollten.

In den 1990er Jahren blieb die Ausrichtung der Kulturpolitik unklar. Die polnische Wissenschaftlerin Monika Miechowicz kritisierte die mangelnde Strategie der postsozialistischen Kulturpolitik, die anders als das sozialistische Modell damit überfordert war, ein Programm für die kulturelle Entwicklung zu formulieren (vgl. Miechowicz 2004: 42-43). Einerseits rückte Kultur – ganz im Gegensatz zur Überbau-Theorie des Marxismus – als wichtiges Fundament der gesellschaftlichen Modernisierung in den Mittelpunkt der Debatten. Im Mittel-punkt des Gesetzes „Über die Organisation und Durchführung der kulturellen Tätigkeit“ von 1991 standen dann aber fast ausschließlich institutionelle Kultur-formen. Dem liberalen Modell zufolge standen eine mangelnde kommunale und private Finanzierung, reformbedürftige kommunale Strukturen, sinkende Besu-cherzahlen und die Wirtschaftskrise einem reibungslosen Übergang zu einer neuen Kulturpolitik im Weg. Ein Kurswechsel hin zu einer staatlichen Kultur-förderung wurde bereits 1993 proklamiert.

In der zweiten Transformationsphase veränderte sich die kulturpolitische Entwicklung deutlich. Die Diskussion über die Abschaffung des Kulturministe-riums verlor an Schärfe und der staatliche Protektionismus nahm zu, was als Schutzreaktion auf die radikalen Veränderungen interpretiert werden kann. Das Gesetz „Über die Organisation und Durchführung der kulturellen Tätigkeit“, das in seiner ersten Version von 1991 die Rolle des Staates nicht explizit festgelegt hatte, wurde in der zweiten Phase der Transformation um einen Artikel zur staatlichen Schirmherrschaft erweitert. Zugleich wollte der Staat aber nicht in Konkurrenz zu möglichen Drittmittelgebern treten oder diese gar ersetzen. Insgesamt strebte die Kulturpolitik eine ausgewogene Kulturförderung an, die sich aus gesellschaftlicher Selbstverantwortung und staatlichem Schutz zusam-mensetzen sollte. Problematisch blieb jedoch die öffentliche Wahrnehmung von der Kultur als einem nichtproduktiven Bereich, der sich unter den Bedingungen der Marktwirtschaft entwickeln sollte.

Langsam änderte sich die Herangehensweise an kulturpolitische Aufgaben, wobei die Höhe der Kulturausgaben auch nach der Annahme der ersten explizit formulierten kulturpolitischen Richtlinien präsent blieb und die Diskussion prägte. Das bestätigte der polnische Kulturkritiker Piotr Sarzyński, indem er den allgemeinen Umgang mit Problemen im Kulturbereich kritisierte: Bei der Pla-nung des Haushalts von 1994 war die Verteilung der finanziellen Mittel strittig, wobei dem polnischen Filmwesen 80 Milliarden Złoty entnommen und stattdes-sen für den Denkmalschutz aufgewendet werden sollten. Sarzyński bedauerte, dass es zu keiner grundsätzlichen Diskussion der Probleme gekommen war.

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Man konnte den Eindruck gewinnen, dass diese Art der Diskussion die Möglichkeiten beider Seiten, der des zuständigen Ressorts und der des Parlaments, überschritt. Die Abgeordneten einigten sich in diesem Fall auf das Umlegen der Milliarden von einem in das andere Ressort. Es ist schade, dass die Grundsätze, der Aufbau des Kulturhaushaltes und die allgemeine Vision der Kulturpolitik des Ministeriums ziemlich unklar zu sein scheinen. Die Bestätigung des Haushaltes sollte eine Gelegenheit zur grundsätzlichen Diskussion und eine Gelegenheit zum Erkennen der Prioritäten, Ziele und wichtigen Strategien darstellen. (Sarzyński 1993)191

Dies weist auf die geringe Bedeutung der Kulturpolitik innerhalb des gesamten politischen Systems und auf die mangelnde Bestimmung ihrer Funktion in der ersten Hälfte der 1990er Jahre hin. Die Wahrnehmung des Ministeriums für Kultur war von vielen Vorurteilen geprägt, denen zufolge es sich nicht nur mit Kultur, sondern auch mit einer Bestimmung seiner eigenen Position beschäf-tigte, um das Image einer Propagandainstitution zu überwinden und die Legiti-mität der staatlichen Kulturpolitik unter Beweis zu stellen (vgl. Grangier 2000: 2).

In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre versuchte die Politik für Klarheit im Kulturbereich zu sorgen, indem sie die Rolle und Funktion der kulturellen Iden-tität und der Erinnerungspolitik betonte, etwa bei der Errichtung historischer Denkmäler. Die Übertragung der Zuständigkeit für den Kulturbereich an die Gebietskörperschaften war allerdings kein Ergebnis der Reformen im Kulturbe-reich, sondern eine Folge der allgemeinen Verwaltungsreform in Polen. Die Kulturpolitik versuchte in diesem Zeitraum, der bipolaren Anforderung gerecht zu werden, der zufolge sie einerseits Dezentralisierung und Selbstverantwortung zu fördern und andererseits die staatliche Pflicht zur Kulturförderung zu erfüllen hatte.

In der Entwicklungsstrategie der letzten Transformationsperiode kommt eine erweiterte Auffassung von Kultur zum Ausdruck: Die Kulturpolitik hatte sich von ihrem anfänglich affirmativen Kulturverständnis und der Instrumentali-sierung der Kultur für nationale Zwecke zunehmend abgewendet und betrach-tete Kultur nun als einen Entwicklungsmotor und einen eigenen Wirtschafts-sektor. In diesem Zusammenhang versuchte sie auch, den Kulturbereich verstärkt in die regionale Entwicklung einzubeziehen.

Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild der kulturpolitischen Ent-wicklung in Polen nach 1989: Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems räumte der Liberalismus der staatlichen Kulturpolitik nur einen gerin-gen Stellenwert ein. Bis Mitte der 1990er Jahre blieb die Rolle der staatlichen kulturpolitischen Akteure umstritten, was ihre strategischen Zielsetzungen 191 Zitiert nach Schlott 1995: 37.

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beeinträchtigte. Auf ihrer Handlungsagenda standen daher ausschließlich operative Maßnahmen wie die Dezentralisierung von Kompetenzen und die Überantwortung von Einrichtungen an die lokalen Selbstverwaltungen sowie deren teilweise Privatisierung im Zuge der wirtschaftspolitischen Umstellungen. In der zweiten Phase wurde für ausgewählte Bereiche zwar ein staatlicher Protektionismus angestrebt, seine Umsetzung blieb allerdings problematisch, u. a. aufgrund der marginalen Stellung der Kulturpolitik im gesamten politi-schen System. Allein die Tatsache, dass es seit 1989 fünfzehn Kulturminister gegeben hat, zeugt von der Unfähigkeit zur kontinuierlichen Planung und Umsetzung von kulturpolitischen Zielen. Erst in der dritten Etappe der Trans-formation wurden im Kulturbereich langfristig angelegte Strategien erkennbar. Seit 2004 wurde Kultur aus verschiedenen Perspektiven betrachtet: als Anzeiger der gesellschaftlichen und der Regionalentwicklung, als Wirtschaftssektor und als identitätsstiftendes Element. Dazu ist allerdings anzumerken, dass die Förderprogramme der europäischen Strukturfonds auf einer ähnlichen Kultur-auffassung aufbauen. Daher bleibt die Frage offen, ob der Strategiewechsel das Verdienst einer veränderten polnischen Kulturpolitik war oder lediglich eine strategische Anpassung an die Förderkriterien der Europäischen Union darstellte. Nichtsdestotrotz erhielt die Kulturpolitik einen Platz bei der Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung. 4.4 Das Gebiet der ehemaligen DDR 4.4.1 Strukturelle Anpassung an das föderale System der BRD Aus der Überzeugung heraus, dass neben politischem Engagement und wirt-schaftlichem Umbau auch die Kultur den Vereinigungsprozess beschleunigen könnte, entwickelten Kulturpolitiker und Kulturschaffende gemeinsam konkrete Handlungsempfehlungen. In einem Entschluss des Präsidiums des Deutschen Städtetags zur „Kommunalen Kulturarbeit in der DDR“ vom 12. Juni 1990 und in der Resolution „Neubeginn ohne Kultur? Erklärung zu kulturpolitischen Fra-gen der deutschen Einigung“ vom 18. Juni 1990 formulierten sie ihre Sorgen und ihre Forderungen192. Sie münden in die Forderung nach einer „verfassungs-rechtlichen Absicherung der Verpflichtung staatlicher und kommunaler Stellen zum Schutz und zur Förderung einer vielfältigen kulturellen Entwicklung, Aus-bau der steuerlichen Bedingungen der Kunstförderung und Kulturarbeit“ aus 192 Der Text der Resolution „Neubeginn ohne Kultur? Erklärung zu kulturpolitischen Fragen der

deutschen Einigung“ ist abgedruckt in: Kulturpolitische Mitteilungen 1990/II.

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(Neubeginn ohne Kultur? 1990: 46). Die Verfasser der Erklärung forderten außerdem ein Fortbildungsprogramm für den Kulturbereich, das die Vermittlung europäischer Erfahrungen einschließt, eine Überprüfung der sozialen Absiche-rung der im Kulturbereich Tätigen sowie ihrer vertraglichen und urheberrechtli-chen Bedingungen in Ost und West und anschließende Reformen in diesen Be-reichen.

Die Verantwortung der Politik für die Kultur floss in den am 31. August 1990 verabschiedeten Einigungsvertrag ein, der Kultur als eine Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation anerkennt. Laut Art. 35 hängen „Stellung und Ansehen eines vereinten Deutschlands in der Welt (…) außer von seinem politischen Gewicht und seiner wirtschaftlichen Leistungskraft ebenso von seiner Bedeutung als Kulturstaat ab“. Deshalb verpflichtete sich der Staat, die kulturelle Substanz (was immer dieser Terminus bedeuten sollte) in der ehemaligen DDR zu erhalten und entsprechend auch die Erfüllung der kulturel-len Aufgaben einschließlich ihrer Finanzierung zu sichern. Allerdings übernah-men gemäß dem deutschen Grundgesetz (GG) nicht der Bund, sondern die Län-der und Kommunen die Zuständigkeiten für den Schutz und die Förderung von Kunst und Kultur. Das legen zwei Artikel des GG fest: Art. 30 bestimmt die Länderhoheit in politischen Entscheidungen; Art. 28 (2) hebt die selbstständige Verantwortung der Kommunen in allen lokalen Angelegenheiten einschließlich der Organisation des Kulturangebots hervor. Folglich wurde im Einigungsver-trag beschlossen, die bisher zentral geleiteten kulturellen Einrichtungen in die Trägerschaft der Länder oder Kommunen zu übergeben. Einen Schritt weiter ging der Freistaat Sachsen, der die Kulturpflege zur Pflichtaufgabe erhob. Die gesetzliche Basis dafür war das Sächsische Kulturraumgesetz (SächsKRG)193, hinter dem die Erkenntnis stand, dass die Schaffung neuer finanzierbarer Orga-nisations- und Leistungsstrukturen im Kulturbereich sowie eine ergänzende Förderung der kommunalen Kultureinrichtungen notwendig waren194. So wollte die Kulturpolitik bürgernahe und effiziente Strukturen schaffen. Die gesetzliche Verankerung der Pflicht zur Kulturpflege auf Länderebene blieb allerdings eine Ausnahme. Ein anderes Beispiel für sie ist die allgemeine Anerkennung und Achtung der „Kulturpflege und -verantwortung“ in der Verfassung des Frei- 193 SächsKRG von 20.01.1994, vgl. Vogt 1994a. 194 Der Sächsische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Prof. Dr. Hans Joachim Meyer,

sprach von der „Notwendigkeit, für Kunst und Wissenschaft neue, der freiheitlichen Gesellschaft entsprechende institutionelle und Förderungsformen zu finden, um inmitten gravierender Transformationsprozesse auch für ihr geistiges Leben geeignete Foren zu erhalten und weiterzuentwickeln.“ Meyer, Hans Joachim: Zum Gründungsimpuls des Instituts für kulturelle Infrastruktur Sachsen. Online abrufbar unter: www.kultur.org/iks/das-institut (26.03.2010).

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staats Thüringen195. Diese sichert die Freiheit von Kunst, Wissenschaft, For-schung und Lehre (Art.27), wobei der Schutz und die Förderung von Kultur, Kunst und Brauchtum beim Land und seinen Gebietskörperschaften liegen sol-len. Dies gilt ebenso für Kultur-, Kunst-, Geschichts- und Naturdenkmale (Art.30). Auch wenn die Denkmalspflege in erster Linie den Besitzern der Denkmale obliegt, sollen diese der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, so die Thüringer Verfassung.

Für die ersten Transformationsjahre schloss der Bund die Mitfinanzierung der Umwandlung der Verwaltungs- und Finanzierungsstrukturen in den ostdeut-schen Ländern nicht aus. Daher beschloss das Kabinett eine befristete Über-gangsfinanzierung und für den Zeitraum 1991-1993 wurden zahlreiche Förder-programme eingerichtet196 (1994 wurden sie eingestellt). Einige Organisationen wurden 1991 in die Dauerförderung des Bundes eingeschlossen wie beispiels-weise die Stiftung Bauhaus Dessau oder die Stiftung Weimarer Klassik. Eine Reihe von Einrichtungen mit bundesweiter Bedeutung kam 1995 im Rahmen des sogenannten „Leuchtturm-Programms“ hinzu, ein Jahr später wurde dann das Sonderförderprogramm „Dach und Fach“ zur Förderung von Denkmalsanie-rungen eingerichtet197.

Die Bedeutung der Kultur schien auf Bundesebene unumstritten zu sein: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung betonte die wichtige Rolle der Kultur für die Entwicklung einer neuen Identität im vereinigten Deutschland und warnte vor Versuchen, „angesichts der akuten wirtschaftlichen Probleme im anderen Teil Deutschlands, Kunst und Kultur als ‚vermeidlichen Luxus‘ mit nachrangiger Förderungswürdigkeit zu betrachten“198.

Der Transformationsprozess betraf den Kulturbereich nicht nur in Form der neu aufgeteilten politischen Zuständigkeiten. Hinzu kam die Übernahme von sämtlichen in der Bundesrepublik geltenden rechtlichen, steuerlichen und so-zialen Rahmenbedingungen, die die Entwicklung von Kunst und Kultur durch keine spezifischen Spartengesetze oder Regelungen bestimmen199. Die gesetzli- 195 Verabschiedet am 25.10.1993. 196 Folgende Programme wurden verabschiedet: das Substanzerhaltungsprogramm mit dem Etat

von 1,5 Mrd. DM, das Infrastrukturprogramm mit 720 Mio. DM, das Denkmalschutz-programm mit 190 Mio. DM und sonstige Förderprogramme wie u. a. die Kirchenbauförderung mit 160 Mio. DM, Kulturelle Einheit mit 25 Mio. DM, Künstlerförderung Kulturfonds mit 21 Mio. DM und ein Sonderprogramm für repräsentative kulturelle Einrichtungen in Ostberlin mit einem Etat von 54 Mio. DM.

197 Mehr dazu in der Publikation des Bundesministeriums des Innern 1996. 198 Zitiert nach Kultur und Sport 3/31 in: ZMD Nr. 31-42 vom 10.-17.10.1990. 199 Es gibt einige spartenbezogene Gesetze auf Länderebene wie das Gesetz zur Förderung der

Musikschulen im Land Brandenburg vom 19. Dezember 2000, oder das Thüringer Bibliotheksgesetz vom 4. Juli 2008.

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che Grundlage dafür bildet in erster Linie der Art. 5 (3) des deutschen Grundge-setzes, der die Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre garan-tiert. Es gibt darüber hinaus auch keine speziellen Bundesgesetze, die die Arbeit von öffentlichen Kulturbetrieben wie Museen, Theatern oder Bibliotheken re-geln. Für die Bibliotheken spielt Art. 5 (1) des GG eine entscheidende Rolle: Er gewährleistet die Meinungsfreiheit und den freien Zugang zu Informationen und stellt so die rechtliche Grundlage der öffentlichen Bibliotheksdienstleistungen dar. Indem Kulturverbände in der Bundesrepublik Empfehlungen aussprechen und der Politik damit wichtige Anhaltspunkte an die Hand geben, treten sie nicht nur als Meinungsträger, sondern auch als Gestalter von Standards und Richtlinien auf und fördern so einen ständigen Entwicklungsprozess200. Seit der allgemeinen Übernahme der gesetzlichen Regelungen aus der alten BRD gilt auf dem Gebiet der ehemaligen DDR auch das Recht zur freien Bildung von Verei-nen, das im Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts vom August 1964 festgeschrieben ist.

Anders als in der DDR, in der es feste Finanzierungsbeträge für Kultur ge-geben hatte, wurden im vereinten Deutschland keine gesetzlichen Bestimmun-gen verabschiedet, die den Umfang der Kulturfinanzierung – einen festgelegten Betrag des öffentlichen Budgets für Kultur – geregelt hätten. Die Ausnahmen davon sind das erwähnte Kulturraumgesetz in Sachsen sowie die gesetzlich verankerte Förderung bedeutsamer Kultureinrichtungen in Berlin durch die Bundesregierung. Die Einführung der Finanzierung nach dem sogenannten arm's length-Prinzip erlaubte die Bildung zusätzlicher Finanzierungsfonds. Ein verstärktes kulturpolitisches Engagement des Bundes fand erst zwölf Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung statt, u. a. mit der Gründung der Kulturstif-tung des Bundes im Jahr 2002. Von diesen Ausnahmen abgesehen sollten nun die Haushalte der Länder und Kommunen die Finanzierung der öffentlichen Kultureinrichtungen und der allgemeinen kulturellen Tätigkeiten abdecken, die bisher zentral finanziert worden waren.

Für die ostdeutschen Länder galten u. a. die den Kulturbereich betreffenden Bundesgesetze wie das Umsatzsteuergesetz (UStG), das beispielsweise die Um-sätze von Einrichtungen wie Theatern, Orchestern und Chören von der USt von derzeit 19 Prozent201 befreit (Art.4). Für bestimmte kulturelle Produkte sieht das Gesetz eine ermäßigte Besteuerung von sieben Prozent vor (Art.12 Abs.2 Ziffer 7 UStG). Überdies trugen steuerliche Anreize für Spender, Stifter und Sponso-

200 Ein Beispiel dafür sind die vom Deutschen Museumsbund veröffentlichten Richtlinien. Siehe

dazu: Deutscher Museumsbund, ICOM-Deutschland 2006. 201 Die Umsatzsteuersätze in Deutschland betrugen bis zum 31. Dezember 1992 14 %, bis zum

31. März 1998 15 %, bis zum 31. Dezember 2006 16 % und seit dem 1. Januar 2007 19 %.

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ren, wie sie beispielsweise das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen aus dem Jahr 2000 vorsieht, zur Förderung von Kulturinstitutionen und Kulturveranstaltern bei. Dieses Gesetz ermöglicht es, bis zu fünf Prozent der eigenen Einkünfte für kulturelle Zwecke zu stiften und von der Einkommen-steuer zu befreien.

Neben den bereits genannten Regelungen galt auch das Sozialversiche-rungssystem für die neuen Länder, das die Angestellten der öffentlichen Kultur-einrichtungen durch allgemeine Sozialversicherungsgesetze schützen sollte. Nach der Wiedervereinigung traten die Künstler aus den neuen Bundesländern der Künstlersozialkasse (KSK) bei, die 1983 zum sozialen Schutz der Künstler in der damaligen Bundesrepublik eingerichtet wurde. Die gesetzliche Basis da-für war das Gesetz über die Sozialversicherung der selbstständigen Künstler und Publizisten (KSVG)202 vom Juli 1981, das diese verpflichtet, sich der Sozialver-sicherung für Künstler anzuschließen. Andere spezielle Gesetze, die die Arbeits-bedingungen für Künstler und Angestellte im Kulturbereich regeln sollten, gibt es nicht, so dass hier das allgemeine Arbeitsrecht gilt. Sind Künstler und Kultur-schaffende in kommunalen, Länder- oder Bundeseinrichtungen angestellt, gelten die Regelungen des öffentlichen Dienstes. Auf Grundlage des allgemeinen Tarifvertragsgesetzes (TVG) werden außerdem spezielle Tarifverträge für den Kulturbereich geschlossen. 4.4.2 Die Erweiterung der Bundeskompetenzen im Kulturbereich Die strukturellen Umgestaltungs- und Anpassungsprozesse in Ostdeutschland verliefen nicht reibungslos. Trotz der eingeschränkten Gültigkeit der Über-gangsfinanzierung beschloss die Bundesregierung zunächst eine Fortsetzung der laufenden Finanzierungsprogramme, die die neue rot-grüne Bundesregierung noch einmal verlängerte. Sie verabschiedete das Programm „Kultur in den neuen Ländern“, das den infrastrukturellen Nachholbedarf Ostdeutschlands im Kulturbereich von 1999 bis 2004 beheben sollte.

Die Verlängerung der Übergangsfinanzierung war ein Teil der neuen kul-turpolitischen Ziele des Bundes. Die rot-grüne Koalition beabsichtigte, der Kultur- und Medienpolitik in Deutschland einen höheren Stellenwert einzuräu-

202 Das Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) vom 27. Juli 1981 bezog als rechtliche

Grundlage erstmals zum 1. Januar 1983 die selbstständigen Künstler und Publizisten in die gesetzliche Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung ein.

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men und artikulierte diesen Willen in ihrem Koalitionsvertrag von 1998203 auch explizit. Um die kulturpolitischen Zuständigkeiten und Kompetenzen des Bun-des zusammenzuführen, wurde in der 14. Legislaturperiode der Bundesrepublik im Bundeskanzleramt das Amt eines Beauftragten für kulturelle Angelegenheit geschaffen204. Zu seinen Kompetenzen gehörte unter anderem die Prüfung der Kulturverträglichkeit. Die neue Bundesregierung bekannte sich außerdem zur kulturellen Förderung der Hauptstadt Berlin und der neuen Länder. Im Mittel-punkt ihrer Aufmerksamkeit standen sowohl die neuen Kultureinrichtungen und -projekte als auch die Pflege des kulturellen Erbes in den neuen Ländern. Dieser Auftrag galt insbesondere für den Denkmalschutz sowie für Gedenkstätten, Museen und Forschungseinrichtungen der jüngeren deutschen Geschichte205.

Drei Jahre später, im Jahr 2001, stellte der Kulturbeauftragte der Bundesre-gierung Julian Nida-Rümelin mit einer Studie zur Investitionspolitik206 eine vorläufige Evaluation der kulturellen Infrastruktur in den ostdeutschen Ländern vor und bilanzierte damit gleichzeitig den Stand des kulturellen Aufbaupro-gramms. Dieser Studie zufolge hatte die „Kultur in den neuen Ländern“ erhebli-che ökonomische Impulse ausgelöst, die weit über den Kulturbereich selbst hinausreichten. Insbesondere kleine und mittelständische Betriebe hätten von der geförderten baulichen und technischen Modernisierung der kulturellen In-frastruktur profitiert, so Nida-Rümelin.

Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass die erweiterten Bundeskompeten-zen im Kulturbereich teilweise durch den ihnen zugrunde liegenden Zweck der Unterstützung des Einigungsprozesses legitimiert wurden. Dies löste Diskussio-nen über die Verletzung der Länderhoheit aus, denn trotz der erweiterten Bun-deskompetenzen sollte die lokale Ebene weiterhin eine entscheidende Rolle spielen. Wie wichtig die Entwicklung der lokalen Ebene sei, betonte auch Julian Nida-Rümelin207. Ihm zufolge konkurrierte die Kulturpolitik als eine überwie-gend freiwillige Kommunalaufgabe jedoch mit anderen Politikfeldern der Städte 203 In Abschnitt X, Neue Offenheit von Politik und Kultur in der Koalitionsvereinbarung zwi-

schen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bonn, 20. Oktober 1998.

204 Die 1999 geschaffene Position wurde zunächst mit dem Journalisten und Verleger Michael Naumann besetzt. Es folgte der ehemalige Münchner Kulturreferent und Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin, danach die ehemalige Hamburger Kultursenatorin Christiane Weiss und seit dem 31. Januar 2006 Bernd Neumann.

205 Mehr dazu unter: http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/artikel/95/736895/multi.htm (26.03.10).

206 Mehr dazu unter: http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/artikel/31/59731/multi.htm (26.03.10).

207 Mehr dazu unter: http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/67/29267/multi.htm (26.03.10).

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und Gemeinden und bedürfe deshalb der zusätzlichen Unterstützung. Außerdem betonte er, dass die wesentlichen Züge seiner Kultur das Bild von Deutschland nach innen wie nach außen prägen würden. Entsprechend legte die Kulturpolitik der Bundesregierung großen Wert auf die Förderung von kulturellen Einrich-tungen und Projekten mit nationaler Bedeutung. 4.4.3 Fortsetzung des kulturellen Wiederaufbaus Nachdem die rot-grüne Regierung durch die Bundestagswahlen vom September 2002 im Amt bestätigt worden war, widmete sie der Kultur- und Medienpolitik in ihrer Koalitionsvereinbarung wiederum viel Aufmerksamkeit208. Diese ver-steht Kultur als grundlegende Voraussetzung einer offenen, gerechten und zu-kunftsfähigen Gesellschaft. Entsprechend kündigte die Bundesregierung an, das Kulturförderprogramm für die „Neuen Länder“ fortzusetzen und mit dem „Leuchtturm-Programm“ die Wiederherstellung und den Erhalt von Kulturein-richtungen von nationaler Bedeutung zu fördern.

Bedeutsam waren weiterhin die Verbindung des öffentlichen und des zivil-gesellschaftlichen Engagements in der Kulturpolitik und die Förderung des Sub-sidiaritätsprinzips. So sollte der Staat, wo immer möglich, nicht selbst handeln, sondern lokale öffentliche und gesellschaftliche Akteure mit Aufgaben betrauen. Die Koalitionsvereinbarung betont die zentrale Stellung der Kommunen für die Kulturausgaben, die diese in der Praxis allerdings immer schwerer erfüllen konnten. Aus diesem Grund wurde die Bildung einer Kommission gefordert, die die Lage der Kultur in Deutschland evaluieren und Verbesserungsvorschläge ausarbeiten sollte. Eine solche Enquête-Kommission wurde unter dem Titel „Kultur in Deutschland“ im August 2003 ins Leben gerufen. Ihr Abschlussbe-richt vom Dezember 2007 stellt eine Bestandsaufnahme des kulturellen Lebens in Deutschland dar, die von mehr als 400 Empfehlungen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen begleitet wird. Sie kritisiert, dass Deutschland sich zwar als Kulturstaat definiert, auf Bundesebene jedoch über keine gesetzliche Grund-lage für kulturpolitisches Handeln verfügt. Dies wurde zur Hauptbotschaft der Enquête-Kommission, die für die Aufnahme eines Artikels in das Grundgesetz (Art.20b) plädiert, der besagt: „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ (Deutscher Bundestag 2007: 68).

208 Aus dem Koalitionsvertrag 2002-2006: Erneuerung – Gerechtigkeit – Nachhaltigkeit.

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Auch die Große Koalition räumte der Kultur in ihrem Koalitionsvertrag von 2005209 einen wichtigen Platz ein. Im Mittelpunkt ihrer Kulturpolitik stand die Förderung von Kunst und Künstlern, wobei deren Kreativität als wichtige Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft anerkannt wurde. Kulturförderung sei nicht Subventionierung, sondern Investition in die Zukunft. Die Fortsetzung der Kulturförderung in den neuen Ländern war also auch für die neue Bundesregierung ein wichtiger Bereich. Ab 2005 konnten die im Rah-men des Solidarpakts II210 erfolgenden Ergänzungszuweisungen des Bundes (105 Mrd. EUR bis 2019) auch zur Verbesserung der kulturellen Infrastruktur eingesetzt werden. Außerdem stellte die Bundesregierung im Rahmen verschie-dener Programme jährlich rund 395 Mio. Euro zur Förderung städtebaulicher Maßnahmen in den neuen Ländern zur Verfügung, von denen etwa 103 Mio. Euro auf den städtebaulichen Denkmalschutz entfielen (vgl. Griefahn 2003: 18).

So wird ersichtlich, dass der kulturelle und strukturelle Wiederaufbau in den neuen Bundesländern in den offiziellen Programmen der Kulturpolitik der vergangenen Jahre immer präsent geblieben ist. Das kann darauf zurückgeführt werden, dass die Wiedervereinigung Herausforderungen für den Kulturbereich mit sich brachte, die kurzfristig nicht zu bewältigen waren. 4.4.4 Fazit Vor dem Hintergrund der aufgeführten Beispiele lassen sich folgende Beson-derheiten der kulturpolitischen Entwicklung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR erkennen: Kulturpolitiker und Kulturschaffende beider deutscher Staaten wollten die Kultur fest in den Einigungsprozess einbinden und schrieben ihr identitätsstiftende und demokratiefördernde Funktionen zu.

Da der bundesdeutschen Kulturpolitik die Prinzipien des Kulturföderalis-mus und der Subsidiarität zugrunde lagen, forderte der Deutsche Städtetag früh-zeitig die Einbeziehung der Kommunen als entscheidende Träger der Kulturar-beit in den ostdeutschen Ländern. Dies implizierte eine Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen, wobei die Rolle des Staates in den Entscheidungsprozessen zugunsten der lokalen und regionalen

209 Der Koalitionsvertrag vom 11.11.2005, Abschnitt VII. Lebenswertes Deutschland, Punkt 2.

Kultur. 210 Der Solidarpakt I trat 1995 in Kraft und lief bis 2004. Durch ihn erhielten die neuen Länder

und ihre Gemeinden über den Finanzausgleich vom Bund und den alten Ländern insgesamt 94,5 Milliarden Euro. Mehr dazu bei unter: http://www.bmvbs.de/beauftragter/artikel-,931.22854/ Bundesstaatliche-Solidaritaet-.htm (17.11.2009).

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Selbstverantwortung zurückgehen sollte. So erhielten Städte und Gemeinden eine neue entscheidende Stellung in der Kulturpolitik. Entsprechend den Prinzi-pien Dezentralisierung, Subsidiarität und Pluralität wurde eine gemeinsame Verantwortung von gesellschaftlichen und staatlichen Kulturträgern für die Kultur angestrebt, eine Verknüpfung von kulturellen und politischen Bürger-initiativen.

Der Einigungsvertrag sicherte eine nicht nur kurzfristige Förderung von vielen Kultureinrichtungen in der ehemaligen DDR. Diese Übergangsfinanzie-rung des Bundes war mit der Absicht verbunden, den Ländern und Kommunen und den einzelnen Kultureinrichtungen Zeit zu geben, um Organisations- und Finanzierungskonzepte zu erarbeiten, die der föderalen Struktur angemessen waren. Von der Übergangsfinanzierung erhoffte sich die Bundesregierung eine möglichst baldige Übernahme der Kulturaufgaben durch die ostdeutschen Län-der und Kommunen. Die Politik wollte also die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten vorantreiben und gleichzeitig eine Grundlage für die zukünf-tige kulturelle Entwicklung im vereinten Deutschland schaffen.

Die dargestellten Beispiele legen die Besonderheiten der kulturpolitischen Entwicklung in der ehemaligen DDR nach der Wiedervereinigung offen: Der Know-how-Transfer, der nach der Wende aus der alten Bundesrepublik in die ostdeutschen Gebiete stattfand, stellte genauso eine Sondersituation dar wie der Umstand, dass sowohl die rechtliche Grundlage als auch die Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern zur Gänze aus dem als bewährt gel-tenden westdeutschen System übernommen wurden.

Aus den Dokumenten wird ersichtlich, dass die Politik dem Kulturbereich eine wichtige Rolle zugestanden hat. Die Kulturpolitik spielte damit im gesam-ten politischen und wirtschaftlichen Prozess der Wiedervereinigung eine wich-tige Rolle. Dies führt die Einführung der Kulturverträglichkeitsprüfung vor Au-gen, die die vorgesehene Änderung der Körperschaftssteuer und die Erhöhung der Umsatzsteuer für Kunstgegenstände verhindern konnte. Kulturpolitik wurde so zu einer Querschnittsaufgabe und kam mit allen anderen Politikbereichen in Berührung.

Den dargestellten Beispielen kann entnommen werden, dass die Auffas-sung von Kultur und damit auch der Gegenstand der Kulturpolitik kontinuierlich bestehen geblieben sind. Entsprechend war Kultur nicht nur eine demokratieför-dernde Kraft, sondern auch ein weicher Standortfaktor in der kommunalen Ent-wicklung, in der die Kulturpolitik als anregende und vermittelnde Kraft zum Zuge kam. Die Rolle des Staates umfasste die Schaffung und kontinuierliche Verbesserung der Rahmenbedingungen der kulturellen Entwicklung. Da die

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Politik nach dem Subsidiaritätsprinzip handelte, wurde für genauso wichtig allerdings die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements erachtet. 4.5 Zusammenfassung der Ergebnisse Die Analyse der kulturpolitischen Veränderungen nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems in Mittel- und Osteuropa hat viele Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern in der Region gezeigt, die zur Veranschaulichung in einer Tabelle zusammengefasst werden. Diese Tabelle 3 macht deutlich, dass die Veränderungen der kulturpolitischen Rahmenbedin-gungen sich in jedem Land unterschiedlich auswirkten. Unterschieden sich wäh-rend der Zeit des Sozialismus vor allem Ziele und Inhalte der Kulturpolitik, so ergaben sich auf der Basis dieser Unterschiede nun auch Differenzen im Bereich der anderen drei Bewertungskriterien. Betrachtet man die Veränderung ihrer Zwecke, so kann festgehalten werden, dass die neuen Zwecke der postsozialisti-schen Kulturpolitik in den vier untersuchten Ländern mit den jeweiligen kultur-politischen Zielen und der inhaltlichen Ausrichtung der Kulturpolitik während des Sozialismus in Verbindung standen (siehe Tabelle 2). Die Bildung eines einheitlichen Kommunikations- und Kulturraums in der Russischen Föderation sollte separatistische Bewegungen in ihren administrativ-territorialen Interes-sengruppen schwächen. Aufgrund der Unterdrückung der ukrainischen Natio-nalkultur durch die Sowjetunion bezweckte die Kulturpolitik der ukrainischen Regierung die Konsolidierung und Modernisierung eines unabhängigen ukraini-schen Nationalstaates. In Polen wurde staatliche Kulturpolitik zunächst grund-sätzlich abgelehnt, um Kunst und Kultur vor Instrumentalisierung zu schützen. Erst nach der EU-Osterweiterung strebte man dort explizit die Entwicklung der Regionen an. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR sollte mit der Wende die Ablehnung einer gemeinsamen deutschen Kulturtradition, die der Sozialismus vertreten hatte, überwunden werden. Die Kulturpolitik wollte hier also die Ver-einigung der zwei deutschen Staaten vorantreiben. Die nach dem Zusammen-bruch des sozialistischen Systems entstandenen bzw. festgelegten kulturpoliti-schen Rahmenbedingungen gründen also deutlich auf den kulturpolitischen Erfahrungen während der Zeit des Sozialismus. Der Stellenwert der Kulturpoli-tik als staatliches Handeln war in allen vier postsozialistischen Ländern einer rasanten Veränderung unterworfen.

Im Folgenden gilt es in einer empirisch-qualitativen Analyse zu untersuchen, wie die Akteure des Kulturbetriebs diese Umwandlung wahr-

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genommen haben und inwieweit gesellschaftliches Handeln innerhalb der Kul-turpolitik an Bedeutung gewonnen hat.

Tabelle 3: Kulturpolitische Rahmenbedingungen nach dem politischen

Umbruch in den untersuchten Ländern; Quelle: Eigene Darstellung

Rolle des Staates

Zweck

Ziele & Inhalt

Gegenstand

Die Russische Föderation

Der Staat blieb wäh-rend der Transforma-tionszeit der wichtigste Geldgeber; Die politisch gesetz-ten Ziele wurden nicht aus-reichend durch Reali-sierungsmechanismen unterstützt

Bildung eines ein-heitlichen Kommu-nikations- und Kul-turraums

Patriarchalische, traditionalistische und antilibeärale Ideen sollten ver-breitet werden

Kulturerbe; Kultureinrichtungen von nationaler Be-deutung; erst in der späteren Phase: Kultur als Wertesystem und Motor von Entwick-lung

Die Ukraine

Beitrag zur Entwicklung eines ukrainischen Na-tionalstaates durch sein Patronat; Mischung aus staat-lichem Populismus und Paternalismus

Konsolidierung und Modernisierung des ukrainischen Natio-nalstaates

Verbreitung einer nationalen demo-kratischen Ideolo-gie

Kultur als Instru-ment im Prozess der Bildung der ukraini-schen Nation; in der letzten Phase: Kultur als Standort-faktor

Polen

Zunächst Verminderung des staatlichen Einflus-ses; danach Rückkehr zum staatlichen Paternalis-mus; Stärkung der regionalen und der lokalen Ebene

Unklare Zweckbe-stimmung; nach der EU-Ost-erweiterung: Ent-wicklung der Regio-nen

zunächst unklare Ziele; die liberalen Ide-en der ersten Pha-se wurden später von einer natio-nalen Ideologie abgelöst

Unklar und inkonse-quent: von den Kul-turbetrieben bis zum Wertefundament

Das Gebiet der ehemali-gen DDR

Kulturföderalismus und Subsidiaritätsprinzip; Bildung und kontinuier-liche Verbesserung der Rahmenbedingungen

Vereinigung der zwei deutschen Staaten fördern; eine Grundlage für die zukünftige kul-turelle Entwicklung schaffen

Verbreitung iden-titätsstiftender, demokratieförde-rnder und sozialer Ideen

Kultur als Grundlage der gesellschaftli-chen Entwicklung; Kulturbetriebe von nationaler Bedeu-tung

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5 Empirische Untersuchung der Transformation der Kulturpolitik

5.1 Aufbau und Ablauf der Untersuchung In dem nun folgenden nächsten Schritt werden die theoretischen Überlegungen anhand einer qualitativen empirischen Erhebung überprüft. In diesem Kapitel soll zunächst die dafür gewählte Vorgehensweise vorgestellt und begründet werden. 5.1.1 Ziel Das Ziel der empirischen Erhebung war die Klärung der Frage, ob die in der Theorie gewonnenen und durch die Inhaltsanalyse der ausgewählten Primär-quellen überprüften Erkenntnisse über die Veränderung des Stellenwerts der Kulturpolitik insbesondere in Hinblick auf ihr gesellschaftlich politisches Han-deln auch durch die empirische Realität bestätigt werden. Dabei galt es, die aufgestellte These empirisch zu überprüfen und sie gegebenenfalls durch Erfah-rungen aus der Praxis zu vervollständigen. Ziel war es nicht, statistisch reprä-sentative Rückschlüsse auf die kulturpolitischen Veränderungen zu ziehen. Als Methode wurde eine qualitative Untersuchung gewählt, da diese durch die Be-trachtung der verschiedenen konkreten Situationen in den postsozialistischen Ländern die besonderen Umstände der Transformation in den einzelnen Ländern verdeutlichen kann. 5.1.2 Untersuchungsmethode In Hinblick auf das Untersuchungsfeld wurde die qualitative Expertenbefragung als Methode gewählt, da die Anwendung eines offenen, qualitativen Erhebungs- und Auswertungsansatzes angemessen schien (vgl. Flick / von Kardorff / Stein-

M. Davydchyk, Transformation der Kulturpolitik, DOI 10.1007/978-3-531-18691-7_5,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012

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ke 2008: 13). Bei der Wahl eines konkreten Untersuchungsinstruments standen als Methoden die qualitative Beobachtung, die Textanalyse oder die Befragung zur Auswahl (vgl. Kromrey 2006: 369f.). Eine qualitative Textanalyse wurde bereits in den vorangegangenen Kapiteln zur Darstellung der Veränderungen des staatlichen Handelns durchgeführt. Der nun zu untersuchende Aspekt ließ sich einer Textanalyse oder einer qualitativen Beobachtung kaum unterziehen, da die theoretischen Vorannahmen erwarten ließen, dass sich die Einstellungen zur und die Wahrnehmung der postsozialistischen Kulturpolitik einerseits nicht in textbasierten Daten niederschlagen und andererseits aus einer Beobachtung nicht erschließbar sein würden. Aus diesem Grund kam hier die Unter-suchungsmethode der qualitativen Expertenbefragung in relevanten Handlungs-situationen zum Einsatz. Da diese Arbeit einerseits dazu beitragen soll, Erkenn-tnisse über einen neuen Forschungsgegenstand – die Transformation der Kultur-politik – zu gewinnen, andererseits jedoch ihre theoriegeleitete These über-prüfen will, schien es sinnvoll, die für die Analyse nötigen Daten durch offene, halbstrukturierte aber problemzentrierte Interviews mit Experten zu erheben.

Das Interview lässt den Befragten möglichst frei zu Wort kommen, um einem offenen Gespräch nahezukommen. Es ist aber zentriert auf eine bestimmte Problemstellung, die der Interviewer einführt, auf die er immer wieder zurückkommt. Die Problemstellung wurde vom Interviewer bereits vorher analysiert; er hat bestimmte Aspekte erarbeitet, die in einem Interviewleitfaden zusammengestellt sind und im Gesprächsverlauf von ihm angesprochen werden. (Mayring 1999: 50)

In diesem Sinne zeichnen sich die Interviews also durch ein qualitativ-offenes Verfahren und durch erzählungsgenerierende, offene Fragen aus. Dennoch wird davon ausgegangen, dass der Interviewer bei seinem Einstieg ins Untersu-chungsfeld bereits theoretische Vorkenntnisse einbringt. In der vorliegenden Studie soll mithilfe eines explorativen Ansatzes die Transformation der Kultur-politik näher beleuchtet werden, indem Erfahrungen und Kontextwissen von Experten aus dem Kulturbereich erfragt werden. Im Fokus stehen dabei der von den Experten subjektiv wahrgenommene Wandel der Kulturpolitik sowie die objektiv beschreibbaren Veränderungen der Kultureinrichtungen unter den neuen Rahmenbedingungen des Postsozialismus. 5.1.3 Auswahl der Interviewpartner Als nächstes sollte die Frage geklärt werden, welche Expertenkenntnisse für die vorliegende Arbeit als relevant galten. Je nach Fragestellung wären Extremfälle,

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Idealtypen, häufige oder besonders seltene Fälle, Grenzfälle und theoretisch interessante Fälle211 denkbar gewesen. Da die vorliegende Studie ihre Stich-probe nicht repräsentativ sondern exemplarisch zusammenstellt, hat sie explora-tiven Charakter. Ziel dieser Forschungsarbeit war es also nicht, die Häufigkeit bestimmter Aspekte aufzuzeigen (Repräsentativität), sondern möglichst ver-schiedene und zugleich wesentliche Handlungsmuster darzustellen (Repräsen-tanz).

Über die Auswahl der vier untersuchten Länder konnte einerseits gezeigt werden, dass es unterschiedliche Arten von Transformationsprozessen gab bzw. gibt. Andererseits wurde die Vielfalt der Veränderungen und der entstandenen Konzepte staatlichen und gesellschaftlichen Handelns aufgezeigt. Durch den Wechsel von der Bundes- bzw. der nationalen Ebene auf die Ebene der Kom-munen und ihrer kulturellen Infrastruktur konnten Entwicklungstendenzen bei-spielhaft und damit präziser untersucht werden. Für eine kritische Betrachtung der Veränderungen sind jedoch Kenntnisse und Kontextwissen notwendig, die in der Sekundärliteratur und in Statistiken nicht vorhanden sind. Die befragten Leiter bzw. Direktoren von Kulturbetrieben gelten in dieser Untersuchung als Experten und als Träger von Kontextwissen. Die Auswahl der Fallbeispiele erfolgte nach folgendem Prinzip: Die Kultureinrichtungen wurden in Städten mit einer ausgeprägten kulturellen Tradition exemplarisch ausgewählt. Die Wahl fiel dabei auf Sankt Petersburg in Russland, Lwiw in der Ukraine, Krakau in Polen und Weimar in Ostdeutschland. Als Auswahlkriterium dienten also die kulturelle und historische Bedeutung der Städte sowie ihre Funktion als „kultu-relle Zentren“. Sie stellen Extremfälle dar, an denen Veränderungen in der Kul-turpolitik und im Kulturbereich besonders sichtbar werden.

Um ein breites Spektrum ihrer Wirkungsmöglichkeiten aufzuzeigen, wurde bei der Auswahl der Kulturbetriebe berücksichtigt, inwieweit sie von der staatli-chen Kulturpolitik abhängig waren bzw. sind. Wichtig war auch, sämtliche be-reits besprochenen Sektoren des Kulturbetriebs zu berücksichtigen: den öffentlichen Sektor am Beispiel von Theatern, Museen und Bibliothe-

ken, den privaten, kommerziellen Sektor am Beispiel von Kunstgalerien und den privaten Nonprofit-Sektor.

Die Breite der Auswahl soll auch die intensiven Austauschbeziehungen zwi-schen der Kulturpolitik und den Kulturbetrieben zeigen. Die Spartenauswahl ist keine zufällige. So waren Theatereinrichtungen im Sozialismus offiziell zwar am engsten an die Kulturpolitik angebunden, nutzten ihre wenigen Freiräume

211 Mehr dazu bei Flick 2006: 97f.

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jedoch am stärksten und wurden zu Vorreitern der postsozialistischen Organisa-tions- und Strukturumwandlungen und der gesellschaftlichen Interessenvertre-tung. Die anderen genannten öffentlichen Kulturbetriebe – Museen und Biblio-theken – repräsentieren eine weniger enge Verbindung zwischen Kulturein-richtungen und Kulturpolitik. Die privaten gemeinnützigen und kommerziellen Kultureinrichtungen sind am stärksten von der Politik distanziert und agieren am ehesten unabhängig von ihr. Entsprechend diesem Schema wurden in den vier untersuchten Städten Experten aus „möglichst ähnlichen“ Kultureinrich-tungen in „möglichst unterschiedlichen“ Systemen befragt, um so systematisch Übereinstimmungen und Kontraste zu ermitteln.

Zunächst wurden im Juni 2008 in einem Pre-Test-Verfahren vier offene Interviews mit leitenden Akteuren von Kultureinrichtungen in der sächsischen Stadt Görlitz geführt. Sie fanden in persönlichen Sitzungen in einem Theater, einem Museum, einer Galerie und einer Kulturvereinigung statt. Ziel dieser Orientierungsgespräche war es, nicht dokumentierte Hintergrundinformationen zur Veränderung des Stellenwerts der postsozialistischen Kulturpolitik zu erfassen, den inhaltlichen Aufbau des Leitfadens zu überprüfen und eine geeignete Stichprobenauswahl aus der Gesamtheit der Kulturbetriebe in den vier untersuchten Städten zu treffen. Dieses Vorgehen führte zu einer Ausdifferenzierung der zwanzig Fälle umfassenden Stichprobe. Berücksichtigt wurde, wie lange die Experten bereits in der leitenden Position der jeweiligen Einrichtung gearbeitet hatten und ob sie über die sozialistische Kulturpolitik aus eigener Erfahrung berichten konnten. Anhand dieses Merkmals ergab sich folgende Ausdifferenzierung: Neun Ansprechpartner haben ihre leitende Position im Verlauf der vergangenen zwanzig Jahre angetreten, elf Experten konnten aus eigener Erfahrung über die Zeit vor dem politischen Umbruch erzählen. Ein anderer Aspekt war, ob die Kulturbetriebe vor der Wende bzw. Anfang der 1990er Jahre gegründet wurden oder erst nach dem politischen Umbruch. Hier ergab sich, dass alle öffentlichen Kulturbetriebe schon zur Zeit des Sozialismus bestanden, während die privaten kommerziellen und die nichtprofitorientierten Einrichtungen erst in der Transformationszeit gegründet wurden.

Das endgültige Datenmaterial entstand in zwanzig zirka einstündigen Interviews mit leitenden Akteuren von Kultureinrichtungen, die im Juni, Juli und Oktober 2008 in deutscher, polnischer, ukrainischer und russischer Sprache212 in den vier Städten durchgeführt wurden. Die Anonymität wurde zugesichert. Die Kurzbeschreibung der Einrichtungen mit Angaben zu den 212 An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Ansprechpartner in Lwiw für die Erleichterung des

Verständnisses bereit waren, die Interviews auch auf Russisch zu führen.

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Interwiepartnern befindet sich im Anhang 1. Die Interviews wurden digital und zusätzlich in Form handschriftlicher Notizen aufgenommen. Besonders hervor-zuheben ist die hohe Kooperationsbereitschaft der Befragten.

5.1.4 Operationalisierung und Leitfaden des Experteninterviews Es war nur schwer möglich, Aussagen über die Veränderung des Stellenwerts der Kulturpolitik als staatliches und öffentliches Handeln direkt zu erfragen. Die direkte Frage „Welche Rolle spielt das staatliche und welche Rolle das gesell-schaftliche Handeln?“ führte in der Regel zu knappen Antworten bzw. zu einer Konzentration auf die staatlich-ideologischen Politikinhalte bzw. die für den Kulturbereich zuständige Exekutive213. Anhand eines Gesprächs über die Hand-lungssituation und die konkreten Erfahrungen der Befragten konnten jedoch Aussagen festgehalten werden, in denen der Stellenwert der Kulturpolitik zum Ausdruck kam. Somit erfolgte das Gespräch anhand eines halbstrukturierten Interviewleitfadens (siehe Anhang 2), um einerseits individuelles Erzählen zu ermöglichen und andererseits – in Hinblick auf die aufgestellte These – die zentralen Veränderungsaspekte der Kulturpolitik erfassen zu können.

Das Interview unterteilte sich in fünf Hauptteile (siehe Anhang 2). Im Ein-führungsteil wurden allgemeine Fragen zur Person und zur Ausgangssituation vor der politischen Wende (von 1989 bzw. 1991) gestellt. Die Auswirkungen der Systemumwandlung auf die Kulturbetriebe standen im Zentrum des zweiten Teils. Im dritten Teil galt die Aufmerksamkeit den Konsequenzen dieser Aus-wirkungen, außerdem wurde nach dem aktuellen Zustand der Kulturpolitik ge-fragt. In diesem Teil wurde gemäß der These nach Aspekten gesucht, die auf eine veränderte Bedeutung der Kulturpolitik bzw. auf die Ausbildung von gesellschaftlichem kulturpolitischem Handeln in der Praxis der befragten Kul-turmanager hinweisen. Im vierten Teil wurde nach der Bewertung der Trans-formation durch die leitenden Personen gefragt, nach ihrer Einstellung zur Transformation und nach den mit der Transformation einhergegangenen Verän-derungen in den Kultureinrichtungen. Der letzte Teil behandelte die Entwick-lungsperspektiven der Kultureinrichtungen. Während der erste und der letzte Block dazu dienten, dem Gespräch einen Orientierungsrahmen zu geben, bilde-ten die drei mittleren Blöcke des Leitfadens den eigentlichen Kern des Inter-views und flossen unmittelbar in die Auswertung ein.

213 Erkenntnis aus den Test-Interviews in Görlitz.

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5.1.5 Auswertungsverfahren Die Auswertung konzentrierte sich auf folgende Fragen: 1. Welche Aspekte der Kulturpolitik wurden aufgezeigt, um den Wandel dar-

zustellen? 2. Welche Unterschiede und welche länder- und spartenübergreifenden Ge-

meinsamkeiten wies dieser Umwandlungsprozess auf? 3. Inwieweit ließen sich bestimmte Faktoren erkennen, die auf die Verände-

rung des Stellenwerts der Kulturpolitik als gesellschaftliches Handeln hin-weisen?

Die geführten Interviews wurden zunächst transkribiert, anschließend wurden nebensächliche Passagen entfernt. Da die Themenbereiche im Leitfaden klar definiert waren, konnten aus der Fülle des Materials bestimmte inhaltlich rele-vante Aspekte herausgefiltert und in die Validierung des Konzepts einbezogen werden.

Ausgangspunkt der Untersuchung war die Vermutung, dass sich die Trans-formation der Kulturpolitik nach dem Umbruch des sozialistischen Systems in Hinblick auf die Veränderung des Stellenwerts staatlichen und gesellschaftli-chen Handelns länderübergreifend untersuchen lässt. Die abgebildeten Faktoren der Transformation wurden mithilfe der Oberbegriffe des im theoretischen Teil dargestellten Konzepts festgehalten: Die Rolle des Staates, Zweck, inhaltliche Ausrichtung sowie Ziele und Gegenstand der Kulturpolitik. Die Expertenaussa-gen wurden anhand dieser Sinneinheiten zerlegt, die Daten gruppiert und diesen vier Kategorien zugeordnet.

Die zwanzig transkribierten Interviews in russischer, polnischer und deut-scher Sprache umfassen zirka 100 Seiten. Diese Rohdaten wurden zunächst in den Originalsprachen analysiert. Eine vollständige Übersetzung der polnischen und russischen Texte war daher nicht erforderlich, die relevanten Zitate wurden durch die Autorin ins Deutsche übersetzt. Die Originalinterviews sind zugäng-lich.

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5.2 Auswertung der Expertengespräche 5.2.1 Sankt Petersburg Theaterbereich Die erste Annäherung an das Thema Kulturpolitik zeigt, dass der Interviewpart-ner der staatlichen Politik eine große Bedeutung für den Kulturbereich zu-schreibt. Er betont, dass der Staat sich nach dem Systemumbruch seiner Verantwortung für das Theater nicht mehr bewusst war. Dies äußerte sich beispielsweise im Zusammenbruch des staatlichen „Vertriebs“, der zentralen Organisation der Gastspieltruppen. Besonders wird hervorgehoben, dass die staatliche Aufgabe der öffentlichen Finanzierung infolge des Wirtschaftswan-dels und der Abschaffung der sozialistischen Ideologie nicht mehr wahrgenom-men werden konnte. „Das Land geriet auf den Weg des Marktes, der Markt-wirtschaft. Mit dem Wegfall der politischen Ideologie ging auch die Finanzierung zurück. (…) Wir sind zum ersten Mal auf das Problem gestoßen: Wie kann sich ein Theater selbst versorgen?“ Die mangelnde staatliche Finan-zierung machte im Theaterbereich eine stärkere Besucherorientierung notwen-dig und führte zu einer Umorientierung bei der Preispolitik. „Das Mariinski Theater kann seine Preise bis auf 100 Dollar erhöhen. Unsere Gäste sind aber überwiegend Studenten und Intellektuelle, die dieses Geld nicht haben“. So sind die öffentlichen Theater auf Drittmittel angewiesen. Deren Akquise wird jedoch durch eine mangelhafte Gesetzgebung behindert. „Es fehlt uns an ganz vielen Gesetzen, die die Tätigkeit des Theaters in der modernen Welt bestimmen, sie regulieren und erleichtern sollten. Beispielsweise fehlt uns immer noch ein Ge-setz über Sponsoring und Mäzenatentum. Wie soll ich denn Drittmittel ins Theater holen ohne dieses Gesetz?“ Diese rhetorische Frage zeigt, dass von der staatlichen Kulturpolitik gefordert wird, Verantwortung zu übernehmen, insbe-sondere für eine angemessene rechtliche Basis. Die mit der Arbeit eines Thea-ters wenig kompatiblen rechtlichen Rahmenbedingungen stellen ein Problem dar. „Wir haben heute zirka 250 Mitarbeiter, davon sind nur 45 Schauspieler. Unsere Arbeitsgesetzgebung verpflichtet mich dazu, diese Leute, auch wenn sie in Rente gehen, weiterhin zu versorgen. Denn sie kommen doch nicht nur mit ihrer Rente aus. So bleiben sie in meiner Belegschaft. (…) Und so habe ich keine jungen Schauspieler im Haus“. Dieses Zitat weist darauf hin, dass die Realisierung kreativer Vorhaben für die Kultureinrichtungen unter den Bedin-gungen der russischen Sozial- und Beschäftigungspolitik problematisch ist und

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zeigt damit die mangelnde Übereinstimmung von Gesetzgebung und Kulturent-wicklungsstrategien.

Nicht zuletzt wird auch die ideologische Komponente der Kulturpolitik thematisiert. Der Kulturpolitik, so die Beobachtung des Experten, fehlen die zweckgerichteten Aufgaben von früher, wie etwa die Instrumentalisierung zum Aufbau der sozialistischen Gesellschaft. Stehen die neuen kulturpolitischen Ziele im Mittelpunkt des Gesprächs, dann wird das Theater nicht aus einer betrieblichen Perspektive betrachtet. Im Vordergrund steht seine Veränderung als Kunstform. Der Interviewpartner in Sankt Petersburg analysiert die durch die veränderte Öffentlichkeit entstandenen Rahmenbedingungen und kritisiert dabei die gesunkene Fähigkeit der Zuschauer zur „moralischen Bewertung“. „Heute gibt es keine Zensur mehr. Aber was uns fehlt, ist die innere Zensur, die innere Moral (…). Heute darf man alles sagen. Und vielleicht hat das Theater deswe-gen sein Alleinstellungsmerkmal verloren, nämlich die Möglichkeit allegorisch zu sein. Alle wollen nur die Wahrheit auf der Bühne. Die Öffentlichkeit verliert somit den Geschmack und das Gefühl des Schönen. Man will Unterhaltung. Auf diesem Boden wächst doch sehr schnell der Zynismus“. In diesem Zusammen-hang stellt er die Existenz der Kulturpolitik als solche in Frage. „Gibt es sie? Wir sind froh, dass wir eine Finanzierung bekommen, auch wenn das nicht aus-reichend ist. Es ist schon mal wichtig. Aber ich kann keine aktive Kulturpolitik beobachten“. Unabhängig von den Inhalten, die an die Stelle der sozialistischen Ideologie treten könnten, sieht der Interviewpartner den Zweck des Theaters in seinen Bildungs- und Erziehungsfunktionen und somit darin, dass es allgemein anerkannte menschliche Werte verbreitet. „Das Theater existiert nicht erst seit diesem Jahrzehnt. Es hat schon viele verschiedene Transformationen überstan-den. Die ethischen Aspekte und Probleme der Entwicklung einer Gesellschaft lagen ihm immer zugrunde. Das Theater knüpft dabei als Kunstform an eine tausendjährige Tradition an. (…) Wir können nicht gelenkt werden. Ich lehne Konjunktur im Theater ab“. Bemerkenswert ist, dass im Theaterbereich zwar kritisiert wird, die russische Gesellschaft verfüge über keine Werte mehr, die Bildung und Verbreitung von Werten aber als Aufgabe der Kulturpolitik wahr-genommen wird. Gleichzeitig wird jeglicher ideologische Eingriff abgelehnt. Bibliotheksbereich Das mangelhafte politische Handeln, das sich u. a. im Rückzug des Staates aus Finanzierungen äußert, wird im Bibliothekssektor als Chance auf mehr ökono-mische Selbstständigkeit dargestellt und entsprechend positiv bewertet. Vor allem gilt das, wenn die Möglichkeit besteht, außerstaatliche Finanzierungs-

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quellen zu erschließen – insbesondere von ausländischen Fonds und Organisa-tionen. „Nach der Perestroika erhielten wir bestimmte Rechte, unsere Finanzie-rung so zu bilden, wie es für uns richtig war (…). Da die öffentliche Finan-zierung damals mangelhaft war, mussten wir selbstständig arbeiten. Es wurden Verträge mit dem Goethe-Institut und dem British Council über gegenseitige Unterstützung geschlossen. Wir haben eine gute finanzielle Unterstützung von ihnen bekommen“. Die Erweiterung der Finanzierungsmöglichkeiten wird im Bibliotheksbereich als eine der wichtigsten Veränderungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wahrgenommen, entsprechend werden die Auflösung der staatlichen Finanzierungsmonopole in den 1990er Jahren und die Einführung der projektbezogenen Mittelvergabe befürwortet. Die Tendenz zu stärkerer staatlicher Kontrolle nach dem ersten Transformationsjahrzehnt (und dem politischen Machtwechsel) wird dagegen kritisiert, die ihr folgende Inkom-patibilität von Finanzierungsvorschriften für Bibliotheken und spartenübergrei-fenden Gesetzen wie dem russischen BGB wird als Problem angesehen. Weiter-hin wird die fehlende Bereitschaft der föderalen Regierung bemängelt, die sektorenspezifische Gesetzgebung in Sankt Petersburg anzuerkennen. „Das alte Gesetz ist nicht mehr zeitgemäß. Die Juristen der Regierung sehen Probleme der Übereinstimmung des regionalen Gesetzes mit dem föderalen. Unser Ziel ist aber, dass alle öffentlichen Bibliotheken der Stadt eine angemessene Finanzie-rung erhalten können“. Außer der Kritik kann diesem Zitat entnommen werden, dass die Interviewpartnerin sich dazu berufen fühlt, sich am kulturpolitischen Gestaltungsprozess zu beteiligen. Dabei kommt eine Konfrontation zwischen politischen und gesellschaftlichen Akteuren zum Ausdruck: Der Kulturbereich (hier die Bibliotheken) und die Regierung (als Machthaber) stehen einander gegenüber.

Die Interviewpartnerin aus dem Bibliotheksbereich kritisiert also wie auch der Vertreter des Theaterbereichs die gesellschaftliche Entwicklung. Dennoch sucht sie in der soziokulturellen Situation einen Anstoß zur Neubestimmung der Rolle der Bibliothek. Die Entstehung von Freiräumen und ihre Nutzung zu einer Umorientierung der Bibliothek werden jedoch nicht als Verdienst der Kulturpo-litik gewertet, sondern auf die allgemeine politische und wirtschaftliche Situa-tion zurückgeführt. Die aktive und vor allem kreative Nutzung der Freiräume wird außerdem als Leistung der Akteure des Kulturbereichs angesehen. Aus ihr entwickelt sich, so die Interviewpartnerin, eine neue soziale Vermittlerfunktion der Bibliotheken, die an der Schnittstelle verschiedener Gruppen agieren. „Die Bibliothek kann die Rolle einer Austauschplattform am besten übernehmen“. Die eigenständige Neubestimmung zeigt sich ebenfalls in der Entstehung enger Kooperationen mit anderen Kulturbetrieben sowie in der Beteiligung der

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Bibliothek am kulturellen Entwicklungsprozess der Stadt. Die Bibliothek orientiert sich also an der neuen Realität und versteht sich als eine offene und dynamische Struktur, die sich an alle Bevölkerungsschichten wendet. Dieser Selbstdarstellung folgt eine Kritik an der traditionellen Methode zur Evaluation der Leistungen einer Bibliothek. Aus dem Gespräch wird ersichtlich, dass das Verhalten der Leser genau beobachtet wird und sinkende Besucherzahlen Anstoß für strategische Arbeiten geben. Die Bibliotheksbesucher zeichnen sich durch neue Merkmale aus, wie etwa das Bildungsniveau der Stammbesucher und ihr intensiverer Kontakt mit der Bibliothek zeigen. „Das ist eine neue Qualität unserer Arbeit. Solche Veränderungen sollen auch in der Politik diskutiert werden“. Es scheint der Interviewpartnerin wichtig zu sein, dass die Nutzungsintensität der verschiedenen Bibliotheksbereiche zu einem ihrer Bewertungskriterien wird.

Auch wenn die Möglichkeit zu selbstständiger Entwicklung positiv be-wertet wird, hat die Expertin aus dem Bibliotheksbereich bestimmte inhaltliche Erwartungen an die staatliche Kulturpolitik. Entscheidend für die Bibliotheks-entwicklung ist seit der Mitte der 1990er Jahre weniger die föderale Kultur-politik, so die Leiterin, sondern vielmehr das Engagement bestimmter Per-sönlichkeiten. „Ich finde, sehr viel hängt von den Personen in der Politik ab, und davon, ob bestimmte Personen tatsächlich in die Politik kommen“. Trotz-dem erwartet sie, dass die staatliche Kulturpolitik richtungweisend agiert: „Bis jetzt gibt es auf der föderalen Ebene keine Zukunftsvision für die öffentlichen Bibliotheken, die ihre Lage vielleicht verbessern könnte“. Dass durch die Libe-ralisierung der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch ohne das Vorhandensein inhaltlicher kulturpolitischer Vorschriften ein großer Spiel-raum für eine neue Selbstbestimmung der öffentlichen Bibliothek existiert, wird jedoch kaum reflektiert. Museumsbereich Die interviewte Interviewpartnerin aus dem Museumsbereich nimmt die Erschließung der neuen gesellschaftlich relevanten Grundlagen für die Neu-ausrichtung der Museumstätigkeit als positive Veränderung der 1990er Jahre wahr. Die in dieser Zeit notwendig gewordene Besucherorientierung führt sie auf die finanziellen Schwierigkeiten zurück. Im Zuge der Abschaffung des sozialistischen kulturpolitischen Auftrags kam es im Museumsbetrieb zu programmatischen und konzeptuellen Veränderungen, die sämtlich dem aktiven Handeln der im Museumsbereich tätigen Akteure geschuldet waren. Sie trieben eine Entwicklung voran, die im Falle dieses Museums in der Einführung einer

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Museumspädagogik mündete. So entstanden viele mehrjährige didaktisch begleitete Bildungsprogramme. „Früher, wenn wir eine Ausstellung konzipieren mussten, sollten wir zunächst mit Zitaten von Brežnew und den Bewertungen der Partei beginnen. Das ist alles weg. (…) Die heutige Zeit ist eine wunderbare Zeit, die viele Möglichkeiten erschließt. (…) Das Museum hat heute das Ziel, die Liebe zur eigenen Stadt zu wecken und zu pflegen, damit die Leute die Geschichte ihrer Vorfahren kennen und ihre Wurzeln nicht verlieren. Das Museum war die erste Einrichtung nach der Wende, die ein Programm für Kinder zur Genealogieforschung eingerichtet hat. Das heißt, die eigene Geschichte durch die Stadtgeschichte zu verstehen“. Nun ist das Ziel, das Bildungsniveau der Bevölkerung zu erhöhen. Mit seiner offenen Betrachtung von Geschichte und Kultur erschließt sich das Museum, so die Interviewpartnerin, neue Geschäftsbereiche und bestimmt darüber auch seine gesellschaftliche Stellung.

Für die Verwirklichung dieses Vorhabens wird der administrativen Steue-rung allerdings eine entscheidende Rolle zugeschrieben. In diesem Zusammen-hang wird es als Problem dargestellt, dass die Kulturadministration die verän-derte Bedeutung des Kulturbereichs nicht genügend wahrnehme. Die Interviewpartnerin stellt also einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der veränderten Kulturpolitik und der Administrationselite her und kritisiert, dass es keine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Kulturbetrieben bzw. kultur-politischen Akteuren und der lokalen Administration gibt. Der häufige Wechsel der Zuständigen in der städtischen Kulturabteilung erschwert die Kommunika-tion und setzt das Museum immer wieder unter Druck, sich angesichts der je-weiligen politischen Schwerpunkte neu zu behaupten. Dennoch wird hervorge-hoben, dass „der nächste Leiter der Kulturabteilung mit eigenem Vorwissen [kommt]. Je jünger der neue Leiter ist, desto liberaler ist er“. Der Museumsbe-trieb ist in den Augen der Kulturpolitik, so die Interviewpartnerin, nichtsdesto-trotz immer noch eine „Sphäre der Befriedigung kultureller Bedürfnisse“. Dies verringert ihr zufolge nicht nur den Status der Museen sondern den der Kultur im Allgemeinen. „Das Museum ist in der Stadt weiterhin für die sogenannte Massenkulturarbeit zuständig, das bedeutet, dass die Stadt uns einfach ver-pflichten kann. So bekommen wir von ihr z. B. den Auftrag, Feierlichkeiten zu organisieren. Wenn wir versuchen etwas dagegen zu sagen, etwa dass solche Veranstaltungen für das kulturelle Erbe der Stadt und die Kulturgüter schädlich sein können, diktiert die Stadt uns trotzdem ihre Regeln“. Dieser Aussage lässt sich eine Kritik an einer fortbestehenden Instrumentalisierung der Kulturbe-triebe durch die Administration entnehmen.

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Nichtstaatlicher Nonprofit-Sektor Der nichtstaatliche Sektor in Sankt Petersburg – der nicht profitorientierte wie auch der kommerzielle – nimmt die Kulturpolitik kaum als auf ihn einwirkende Institution wahr. Stattdessen wird auf die allgemeine wirtschaftliche Situation und auf die kommunale Steuerung durch die administrative Ebene Bezug ge-nommen. Einerseits wird dabei die reglementierende Rolle des Staates im nicht-staatlichen Sektor kritisiert, andererseits gibt es gleichzeitig den Wunsch nach einer stärkeren Anerkennung des Geleisteten. Bemerkenswert ist die Wahrneh-mung der Entstehungsphase des Nonprofit-Sektors zu Beginn der 1990er Jahre, die als eine Zeit erinnert wird, in der „ein chaotischer Zustand im Rechtssystem herrschte“. Die Möglichkeit zur Gründung einer Kultur-NGO wird auf eine mangel- bzw. lückenhafte Gesetzgebung zurückgeführt. „Es fing in der Zeit an, in der es in Russland keine Gesetze gab. Der Staat hatte keine Möglichkeit, diese Arbeit und diese Aktivitäten zu kontrollieren. Das war eine Welle der Freiheiten. Unternehmerische Tätigkeit wurde erlaubt“. Die Gründerin einer NGO kritisiert jedoch, dass sich die Situation seit den 1990er Jahren nicht ver-ändert hat und verweist in diesem Zusammenhang auf das mangelnde grund-sätzliche Interesse der staatlichen Kulturpolitik am nichtstaatlichen Sektor. Eine stärkere Kontrolle der Tätigkeiten der NGO behindert ihre Arbeit zusätzlich, so dass die Leiterin sich wünscht, „dass die Politik unsere Organisation in Ruhe [lässt]“. Zwar wurde ein offizielles Programm zur Einbindung von Nichtregie-rungsorganisationen in Entscheidungsprozesse verabschiedet. Die Inter-viewpartnerin ist jedoch der Meinung, dass unabhängige Expertisen von den verantwortlichen Beamten kaum berücksichtigt werden. „Unsere Organisation wird nicht gefragt, wenn es darum geht, soziokulturelle Probleme in unserer Stadt zu lösen, sondern dann, wenn politische Ziele wichtig sind, nicht kulturelle oder gesellschaftliche“. Ihrer Meinung nach sollte der Staat NGOs nicht aktiv finanzieren, sondern Anreize zur Gründung von Bürgerinitiativen im Kulturbe-reich schaffen und deren Popularität fördern. Denn „die zeitgenössische Kunst muss vom Staat grundsätzlich getrennt sein. Wenn der Staat zahlt, will er auch nur bestimmte Sachen sehen (…). Und die zeitgenössische Kunst muss das offi-ziell Anerkannte hinterfragen und in Opposition zu ihm stehen“. Problematisch ist dabei nicht die fehlende Förderung der zeitgenössischen Kunst. Prekär, so die Interviewpartnerin, ist die komplett fehlende Anerkennung von privater Initia-tive. Das weist auf das allgemeine Problem der mangelnden Wertschätzung der Zivilgesellschaft hin. „In unserem Land versteht man immer noch nicht, was wir hier machen. Solche gemeinnützigen gesellschaftlichen Tätigkeiten werden im Ausland schon längst von Staat und Gesellschaft anerkannt. (…) Bei uns ver-

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steht man den Unterschied zwischen uns und einer kommerziellen Galerie nicht. Wenn wir kein Eintrittsgeld verlangen, dann sind wir in ihrer Wahrnehmung einfach dumm. (…) Es ist uns gelungen, eine Organisation im Kulturbereich zu bilden, die sich selbst trägt und selbstständig arbeitet, eine Zone des unabhän-gigen Schaffens. Es hat sich eine Bürgerinitiative entwickelt“. Die Inter-viewpartnerin überträgt das Problem von der lokalen auf die föderale Ebene in Russland und kritisiert eine kurzfristig orientierte Politik, die die kulturelle Ent-wicklung außer Acht lässt. „Unsere Organisation ist eine Basisstruktur. Wenn das russische Museum an der Spitze der Pyramide steht, dann sind wir doch ihr Fundament: einerseits in Hinblick auf die Entfaltung der Künstler, andererseits für die Bildung der Bevölkerung. Wenn es uns einmal nicht mehr geben sollte, woher bekommt dann das russische Museum seine Besucher und interessante und begabte Künstler? Unsere Aufgabe ist es, für alle Künstler frei zugänglich zu sein und die Bevölkerung zu bilden, den Kunstgeschmack zu entwickeln. (…) Das kulturelle Niveau der Menschen ist in der Zeit der Transformation rasant gesunken. In der Schule bekommt man (wenn überhaupt) nur rudimentäre Kenntnisse über die zeitgenössische Kunst vermittelt. Hier sehen wir unsere Aufgabe“. Die Interviewpartnerin sieht also nicht nur ein gesunkenes „Kultur-niveau der Bevölkerung“ als Konsequenz der Nichtbeachtung der Bürgerinitia-tiven an. Diese Nichtbeachtung kann sich ihrer Meinung nach genauso nachtei-lig auf die Entwicklung der russischen Kunst auswirken. Privat-kommerzieller Bereich Dem Interviewpartner aus dem privaten kommerziellen Bereich zufolge geht die Entstehung des privaten Kulturbereichs in erster Linie auf die Liberalisierung der Wirtschaft zurück, eine Position, die bereits im vorangegangenen Abschnitt vertreten wurde: „Es sind Rahmenbedingungen entstanden, um sich selbststän-dig machen und ein Unternehmen gründen zu können“. Mit dem Wirtschafts-wachstum entstand eine wohlhabende Bevölkerungsschicht, aus ihr heraus ent-wickelte sich ein Mäzenatentum. Die Bedeutung der Kulturpolitik in diesem Prozess wird als gering eingeschätzt. „Kulturpolitik? Nein, die interessieren sich nicht für uns. Die private Galerie ist nur der Handel. Es spielt für die Be-hörden keine Rolle, womit wir handeln, mit Bildern oder mit Zigaretten. Unsere Steuerabgaben unterscheiden sich nicht von den Steuern eines Lebensmittelge-schäfts“. Ebenso wie die Vertreterin des Nonprofit-Bereichs kritisiert auch der Vertreter des privaten kommerziellen Bereichs die mangelnde Bereitschaft der Kulturpolitik zur Förderung zeitgenössischer Kunst. „Es gibt im Ausland Pro-gramme, die es dem privaten Sektor ermöglichen, in Kunst zu investieren. Sie

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bekommen steuerliche Vergünstigungen. So was gibt es bei uns nicht. Das ist hier nicht das Ziel der Kulturpolitik“. Ein Veränderungsprozess hin zu einer Aufwertung der Kunstgalerien wäre, so der Interviewpartner, nur stufenweise möglich: Zunächst müsste die Bedeutung der zeitgenössischen Kunst in den strategischen Kulturentwicklungsprogrammen überdacht werden. Anschließend könnte die Schaffung finanzieller Sicherheiten dazu führen, dass sich die mögli-che Rolle und die möglichen Funktionen von Kunstgalerien in ihrem sozialen Kontext herausbilden. 5.2.2 Lwiw Theaterbereich Die kulturpolitischen Veränderungen nach der Unabhängigkeit der Ukraine werden im Theaterbereich vor allem in Hinblick auf die vorhandenen Instru-mente ihrer Umsetzung betrachtet. Dabei wird die rechtliche Dimension der Kulturpolitik als einer ihrer wichtigsten Bereiche angesehen und entsprechend in den Vordergrund gestellt. In diesem Zusammenhang werden die rechtlichen Rahmenbedingungen der Theater als Teil einer staatlichen Steuerung des Kul-turbereichs kritisiert. „Was die [Kultur-]Politik angeht, so ist es einfacher ge-worden zu leben. Aber wir haben immer noch keine effektive Gesetzgebung. Das ist der Sowjetmacht zu ‚verdanken’, die die Gleichschaltung der Theater und eine mangelnde Förderung von Leistungen verursacht hat“. Die postsozialisti-sche Kulturpolitik ist in der Wahrnehmung des ukrainischen Interviewpartners also ein Akteur, der Veränderungen anstoßen sollte. Neben den rechtlichen Rahmenbedingungen wird auch der wirtschaftlichen Dimension der Kulturpoli-tik eine wichtige Rolle zugeschrieben. In der Wahrnehmung des Theaterinten-danten ist diese unmittelbar mit der Ebene verbunden, der die Kulturbetriebe administrativ zugeordnet sind, da sich aus ihr Kompetenzen und Finanzierungs-volumina ergeben: „Wir waren vor der Wende das republikanische Theater mit Nationalstatus. Nach der Perestroika war das Theater der Regionalverwaltung zugeordnet. Das war eine schmerzhafte Erfahrung. Mit der Rückkehr zur natio-nalen Administration hat sich die Finanzierung verbessert“. Der Gesprächs-partner macht die Veränderung der Kulturpolitik an einer fast ausschließlichen Ausrichtung des politischen Interesses auf staatliche Einrichtungen und mehr noch auf Kulturbetriebe von nationaler Bedeutung fest. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass es die im Museumsbereich herrschende Konkurrenz zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen im Theaterbereich nicht gibt.

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Der Grund dafür ist, dass Theater „in der Ukraine nur als öffentlich geförderte Organisationen existieren können. Ein nichtstaatliches Theater kann nicht existieren, weil es mit einer kommerziellen Organisation gleichgesetzt wird“.

Nach der administrativen, der finanziellen und der rechtlichen Dimension der Kulturpolitik werden auch ihre inhaltlichen Ziele thematisiert. Der Inter-viewpartner stellt allerdings fest, dass der inhaltliche Einfluss der Kulturpolitik im Theaterbereich gering ist – bedeutsamer sind die Pflege und die Entwicklung der Traditionen des Theaters als Kunstsparte. Die soziale Funktion des Theaters verändert sich, so der Interviewpartner, und ihre Ausübung wird durch die ver-änderten Publikumsansichten und -einstellungen erschwert. Zudem kritisiert er der Wunsch der Zuschauer nach einfachem Konsum sowie, dass diese keine aktiv-schöpferische Rolle einnehmen. „Das Theater soll in der Öffentlichkeit eine Bedeutung besitzen wie eine Bildungseinrichtung (…), in der die Verhält-nisse zwischen den Menschen auf den Prüfstand gestellt werden, man zu fühlen lernt. Indem der Zugang zum Theater demokratischer wird, verliert das Theater seine Tempelrolle“. Das zeigt sich darin, dass das Theater nach dem Zerfall des sozialistischen Systems seine ideologische Mission verloren hat – als Kulturbe-trieb wie als Kunstform. Die Leiter der politischen Organe des sozialistischen Systems haben das Wesen von Ideologie gut verstanden und das Theater als ideologisches Instrument bewusst eingesetzt. Eine Instrumentalisierung des Theaters findet nun zwar nicht mehr statt, der Staat fährt mit der gewohnten Finanzierung der Theaterbetriebe aber dennoch fort und verlangt nichts anderes von ihnen als Wirtschaftsberichte. Bei einer Ideologie, so der Theaterintendant, handelt es sich um einen Vektor der Entwicklung und um ein Wertesystem. Das führt ihn zu der Beobachtung, dass das Theater seine Funktion als ideologische Institution nicht mehr wahrnimmt und der Staat keine Antwort auf die Frage findet, warum er die Theater bezahlt. Die Suche nach einem ideologischen Fun-dament mündet schließlich in die Rückkehr zu nationalen ukrainischen Tradi-tionen: „Unser Theater musste sich als nationales Theater entwickeln. In den 1990er Jahren waren alle Vorstellungen ausverkauft, weil die Vergangenheit aufgearbeitet werden musste. Wohin sollte sich die Einrichtung entwickeln? Das Schicksal des Theaters ist es doch immer, an der Spitze des politischen Lebens zu stehen. Unser Theater muss sich als ein nationales Theater entwickeln. Ich glaube, Theater und Kunst müssen immer national sein. Und wir sollten die Stücke über unser ukrainisches Wesen erschließen“. Bemerkenswert ist an dieser Aussage, dass die Notwendigkeit betont wird, ein national geprägtes Schauspiel zu fördern. Ein solches zu sein, ist in der Vorstellung des Interview-partners eine der wichtigsten Aufgaben seines Theaters. Hier kommt deutlich

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die Herausforderung zum Ausdruck, die die „postkoloniale Zeit“ für die ukrai-nische Kultur mit sich bringt. Bibliotheksbereich Die Finanzierungsprobleme der Bibliotheken werden vorrangig dahingehend thematisiert, dass der Staat seinen Aufgaben im Kulturbereich nicht mehr nach-kommt. „Das Geld reicht nicht aus, um die Kataloge zu digitalisieren. (…) Nur wenige Bibliotheken verfügen über einen Internetzugang. (…) Bis 2005 gab es zwar ein Ministeriumsprogramm zur Erweiterung der Bibliotheksbestände, doch nicht alle Mittel wurden uns ausgezahlt, die versprochen waren“. Nach Ansicht der Interviewpartnerin kann der Versorgungsgrad der Bevölkerung mit öffentli-chen Bibliotheken als Bewertungskriterium für die Aktivitäten der Kulturpolitik gelten, wobei auch die postsozialistische Kulturpolitik kritisiert wird. „Früher wurde das Netz der Bibliotheken als Teil der ideologischen Arbeit vergrößert. Heute haben wir in der Stadt Bezirke, in denen es keine Bibliotheken gibt. Der Entwicklungsplan sieht keine Neueröffnungen vor, obwohl es offensichtlich ist, dass sie gerade dort wichtig wären“. Die Interviewpartnerin betont also, dass die Kulturpolitik die realen Bedürfnisse der Bevölkerung und die soziale Ent-wicklung der Stadt nur wenig berücksichtigt. Finanzielle Engpässe bewirken außerdem eine Verschiebung der Arbeitsprioritäten ihrer öffentlichen Biblio-thek, die sich nun verstärkt auf eine Modernisierung der Technik richten, was die inhaltliche Arbeit in den Hintergrund treten lässt. Schließlich wird das Fazit gezogen, dass die meisten Einrichtungen nicht bereit sind, die veränderten Be-dürfnisse und Anforderungen der Bevölkerung an eine moderne Bibliothek zu erkennen und zu befriedigen. Die Interviewpartnerin berichtet jedoch auch von einigen strukturellen Veränderungen: „Auf unserer Website sind Informationen über die Beschlüsse der Stadt abrufbar. Es gibt Informationen über die Arbeit der lokalen Selbstverwaltungsorgane, darüber, wie man bestimmte Anträge stellt und welche Öffnungszeiten diese Organe haben“. Außerdem richtet sich auch der Bibliotheksbereich auf Themen aus, die das Nationalbewusstsein stär-ken sollen. „Wir erziehen die Leser zur christlichen Ethik und zum Patriotismus. Die Bibliothek hat nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Abteilungen zur Ukrainistik und zur Geschichte des Staates eingerichtet“. Offen bleibt jedoch die Frage, ob das auf eine selbstständige Entscheidung der Bibliotheksleitung zurückgeht oder ob die öffentlichen Bibliotheken damit einen (kultur)poli-tischen Auftrag erfüllen. Es existiert jedoch fast keine Vorstellung von der Rolle der Bibliotheken in der sich wandelnden Gesellschaft. Von den neuen Themen-gebieten abgesehen, die die öffentliche Bibliothek jetzt zugänglich macht, hat

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eine Umorientierung nur in geringem Ausmaß stattgefunden. Auch die sinkenden Besucherzahlen gaben keinen Anlass für eine strategische Neube-stimmung. Museumsbereich Wie schon am Theaterbereich deutlich wurde, erhofften sich die Akteure des ukrainischen Kulturbereichs von ihrer neuen administrativen Zuordnung eine bessere Finanzierung. Auch für den Museumsbereich wird diese Zuordnung, gemeinsam mit den Dezentralisierungsreformen, als eine der wichtigsten Ver-änderungen der Rahmenbedingungen nach dem Systemzusammenbruch darge-stellt. Als Problem wird dabei die mangelhafte Kooperation der verschiedenen Administrationsebenen bezeichnet, aus der eine genauso mangelhafte Koopera-tion zwischen auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelten Kulturbetrieben folgt. Das Fehlen einer langfristigen kommunalen Kulturentwicklungsstrategie führt zu Frustration und schränkt den Wirkungshorizont der Kulturbetriebe ein. „Mit der Stadt arbeiten wir gar nicht zusammen. Wir sind doch der regionalen Ver-waltung zugeordnet“. Wie in Sankt Petersburg macht auch in Lwiw der häufige Wechsel der für die Kultur zuständigen Politiker und Beamten eine nachhaltige Zusammenarbeit unmöglich: „Die Politik in der Stadt ändert sich immer wie-der. Der eine Leiter der kommunalen Kulturabteilung kommt, wir fangen an, über die Prioritäten zu reden, uns vorzustellen, und dann geht er schon wieder samt seinen Ideen. Es gibt keine langfristige Zusammenarbeit mit der Stadt“. Entsprechend werden die neuen Rahmenbedingungen nicht als kulturpolitisch geplante Strategien wahrgenommen. Dagegen werden die wirtschaftlichen Ver-änderungen und die politische Öffnung des Landes als Gründe für eine Neupo-sitionierung des Museums dargestellt. Wie in Sankt Petersburg steigt auch in Lwiw die Besucherorientierung. „Das Museum hat angefangen für die Besucher zu arbeiten. Die Besucher stellen große Anforderungen an die Arbeit eines solchen Museums. (…) Diejenigen Besucher, die heute ins Museum kommen, tun das bewusst. Sie wissen, was sie möchten, sie sind gebildet. Sie möchten ihre Kenntnisse vervollständigen. Menschen kommen zu uns, um ihre Identität in dieser Welt zu finden, in dieser schwierigen Situation, in der wir leben. Und sie finden hier die Möglichkeit dazu“. Die Beobachtung der soziokulturellen Situa-tion und die kreative Einbettung der Museumsarbeit in sie geben dem Museum, so die Interviewpartnerin, neue Impulse.

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Nichtstaatlicher Nonprofit-Sektor Die hier gewählte Nonprofit-Organisation hat die Kulturpolitik in ihrer Entste-hungsphase genauso wenig wie die in Sankt Petersburg befragte als eine sie beeinflussende Institution wahrgenommen. Neu war in dieser Zeit, dass nicht-staatliche Organisationen sozial relevante Aufgaben übernehmen konnten, wo-bei es das Anliegen der NGO war, die Vorstellung von Kunst und Kultur als einem Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklung in der Ukraine zu ver-breiten. Denn „gerade Kunst und Kultur sind die Bereiche, die die Gesellschaft in der Transformation unterstützen könnten und die Ukraine in der globalen Welt präsentieren sollten. Die Möglichkeiten der Kultur sind noch lange nicht ausgeschöpft (…). Kultur soll die Gesellschaft, den Staat und die Weltanschau-ung ändern. Kultur ist das, was einen bleibenden Wert darstellt“. Dabei ist für diese ebenso wie für die Sankt Petersburger NGO der Bildungsaspekt der stärkste Impuls ihrer Arbeit. „Es bildet sich langsam ein Publikum, das sich für mehrdimensionale ästhetische Modelle interessiert. Menschen fangen an, zu bewerten“. Dennoch wird die in den 1990er Jahren in der Ukraine nur mangel-haft vorhandene Bereitschaft der öffentlichen Hand, unabhängige nichtkommer-zielle Organisationen des Kulturbereichs finanziell zu unterstützen, als Problem genannt und auf eine spartenbezogene Sicht auf die Kultur zurückgeführt. Die nichtstaatlichen Akteure sind lange Zeit ohne Rechtsform geblieben, da der Status von NGOs und kommerziellen Unternehmen im Kulturbereich nicht ge-regelt war. „Es gab in der Ukraine damals solche Begriffe wie ‚Kreativwirt-schaft‘ oder ‚Management im Kulturbereich‘ nicht. Es gab wohl Showbusiness, also rein profitorientierte Kulturangebote“. Die Kulturpolitik wird also für ihre mangelnde Beachtung der Selbstverwirklichung der Menschen kritisiert. „Heute können wir uns zwar durch ein Café finanzieren. Es gibt ein bisschen Projekt-förderung. Allerdings gibt es keine Sponsoren in unserem Bereich, weil wir klein sind und ihre Zielgruppen nicht ansprechen. Für uns ist das nicht mehr wichtig. Aber es erschwert enorm die Entstehung und Entwicklung von anderen nichtkommerziellen von der Gesellschaft getragenen Kulturbetrieben. Hier ist große Unterstützung durch die Kulturpolitik gefragt“. Nichtsdestotrotz wertet der Interviewpartner die Kulturpolitik auf, indem er sie auch als offenen Prozess betrachtet. Der Grund dafür ist, dass sie die Leistungen seiner NGO anerkannt und ihren Leiter in der Verwaltung aufgenommen hat, wo er in politische Ent-scheidungsprozesse über die lokale kulturelle Entwicklung einbezogen ist. Die-sem Leiter ist es gelungen, eine wichtige Position im Stadtrat einzunehmen und hier Lobbyarbeit für alternative und nichtkommerzielle Kunst und Kultur zu betreiben, was letztendlich eine Erhöhung der staatlichen Ausgaben für nicht-

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institutionelle Kulturformen bewirkt hat. „Wir haben bewiesen, dass sich Inves-titionen in Kultur lohnen. Mit diesem Verständnis kam auch die Finanzierung“. So wird also die Bedeutung der Kulturpolitik als offene Institution unterstrichen, deren Veränderungsfähigkeit durch eine bottom-up Initiative bewiesen werden konnte. Privat-kommerzieller Bereich Eine Tendenz zur Liberalisierung und Demokratisierung der kulturpolitischen Strukturen und Entscheidungen beobachtet auch der Interviewpartner aus dem profitorientierten Kulturbereich. Sie kommt in der sich wandelnden Einstellung des Staates gegenüber dem privaten Sektor zum Ausdruck. Die gesellschaftli-chen und ästhetischen Leistungen der kommerziellen Kulturbetriebe werden von der Politik langsam anerkannt, meint dieser Galerieleiter. Problematisch findet er allerdings, dass „unsere Stadt heute in der internationalen Szene nicht prä-sent, nicht bekannt [ist]. Das ist ein wichtiges Ziel, aus dieser Provinzrolle her-auszukommen. Das Ziel ist, durch die Arbeit dieser Galerie möglicherweise dazu beizutragen, dass ein Künstlername aus unserer Stadt in die Weltge-schichte eingeht. Das größte Problem ist dabei aber, das Publikum zu ‚erzie-hen‘, zu bilden, es dafür offen zu machen. Der größte Erfolg ist, wenn sich das Publikum entwickelt“. Auch in dieser nichtstaatlichen Kultureinrichtung stehen also gesellschaftliche Aufgaben im Vordergrund. Die marktorientierte Wirt-schaft und die administrative Steuerung werden dafür allerdings als ein wirksa-merer Hebel dargestellt als die sozialistische Ideologie. Es fehlt den modernen Kunstbetrieben der Stadt jedoch an strategischer Unterstützung, so der Galerie-leiter.

5.2.3 Krakau Theaterbereich Wie bereits seine Kollegen in Sankt Petersburg und in Lwiw thematisiert auch der Interviewpartner aus dem Krakauer Theaterbereich bei der Annäherung an das Thema kulturpolitische Veränderungen vorrangig die finanziellen Rahmen-bedingungen. Die Gewährleistung einer partiellen Finanzierung im Theaterbe-reich hat, so der Gesprächspartner, zwar die kulturelle Infrastruktur sicherge-stellt. Anschließend weist er darauf hin, dass der Staat diese auch als öffentliche Aufgabe angesehen hat. Die Suche nach einer Restfinanzierung für das Theater

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wird jedoch als eine der großen Herausforderungen der postsozialistischen Zeit beschrieben. „Nach der Wende sind die Gelder zwar geblieben, wir mussten aber unter neuen Rahmenbedingungen arbeiten. (…) Wir werden auch weiter-hin finanziert. Von der Stadt bekommen wir 75 Prozent unserer Finanzierung. Mit diesem Geld können wir das Theater aufrechterhalten. 25 Prozent müssen wir verdienen. Aber wie?“ So wird auch in Krakau nach Strategien zur Erhö-hung des Eigenanteils an der Finanzierung gesucht. In diesem Zusammenhang werden Räume vermietet und Unternehmens-Events organisiert, wobei der Interviewpartner darauf hinweist, dass auch dabei der Bildungsaspekt eine Rolle spielt. „Auch wenn die Gäste ursprünglich zu einem anderen Zweck ins Theater kommen, sehen sie nach ihrem Event eine Theateraufführung. Es ist für viele Besucher die erste Begegnung mit Theater“. Wie schon in den anderen Städten wird auch in Krakau die rechtliche Dimension der Kulturpolitik als ein Faktor dargestellt, der die Tätigkeit des Theaterbetriebs stark beeinflusst. Auch hier erweist sich die Kulturgesetzgebung als ineffektiv, da sie nicht mit der Arbeit der Kultureinrichtungen kompatibel ist. So werden im Theaterbereich bei-spielsweise das Gesetz über öffentliche Ausschreibungen und das Arbeitsgesetz kritisiert, die beide unmittelbar in die künstlerische Arbeit eingreifen. „Es ist wirklich absurd, dass ich z. B. einen Regisseur nicht mehr nach seiner Leistung bewerten muss, sondern nach dem Preis“. Kritisiert werden weiterhin die feh-lende Möglichkeit des Theaters, sich in seiner Komplexität zu realisieren und die kurzfristig orientierte Kulturpolitik. „Die Politik interessiert sich enorm für die Finanzierung, aber nicht dafür, was im Theater passiert und was es für die Menschen bewirkt“. Die Kulturbetriebe, die ihr Angebot auf ein breites Publi-kum und die Touristen ausrichten, haben bessere Chancen auf öffentliche Kul-turfinanzierung, die lokale Kultur wird entsprechend nur mangelhaft berück-sichtigt: „Die Angebote des Theaters sind überwiegend für das einheimische Publikum bestimmt und für Touristen wenig attraktiv und fallen somit nicht in den strategischen Förderungsbereich“. Der inhaltlichen Dimension der Kultur-politik wird also keine Bedeutung zugemessen, dafür wird auf die traditionellen Aufgaben und Funktionen des Theaters Bezug genommen. „Theater ist ein Kommunikationsort. Man kommt hierher, um sich mit anderen Leuten zu treffen und sich mit Hilfe der Kunst auszutauschen. Theater gibt Impulse, es ist ein Aggregat für den Diskurs. (…) Wir müssen noch viel mehr Leistungen außer-halb des eigentlichen Theaterstücks erbringen“. Die Reflexion über den gesell-schaftlichen Wert der Theater und seine mangelhaften gesetzlichen und finan-ziellen Realisierungsmöglichkeiten münden in die Schlussfolgerung, dass der Kulturbereich in der Wahrnehmung von Politik und Verwaltung nur eine margi-nale Rolle spielt. Ebenso wird die geringe Bedeutung der staatlichen Kulturpo-

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litik innerhalb des gesamten politischen Systems und gegenüber anderen Poli-tikbereichen kritisiert. „Die Probleme im Kulturbereich – keiner will sich damit befassen. Sie sind nicht so relevant wie z. B. die im Gesundheitswesen oder im Bildungsbereich“. Die mangelnde Durchsetzungskraft der staatlichen Kulturpo-litik gegenüber anderen Politikbereichen betrachtet der Intendant des Theaters als ein strukturelles Problem in Polen. Bibliotheksbereich Das Fortlaufen der öffentlichen Finanzierung und die Aufrechterhaltung der sozialistischen Kulturbetriebe werden als Teil der postsozialistischen polnischen Kulturpolitik im Bibliotheksbereich, als eine notwendige Leistung und als Auf-gabe der öffentlichen Hand wahrgenommen und positiv bewertet. In Hinblick auf die kontinuierliche staatliche Finanzierung der Kulturbetriebe wird auch die sozialistische Kulturpolitik hervorgehoben, deren Erweiterung der Infrastruktur genauso befürwortet wird wie ihre Gewährleistung eines allgemeinen Informa-tionszugangs. Nach dem Ende des Sozialismus ist die Bibliothek in ein Span-nungsfeld von qualitativen und quantitativen Leistungen geraten. Die politische Linie des Postsozialismus, alle Bibliotheken auf Kosten der Qualität ihrer Dienstleitungen zu erhalten, sieht die Interviewpartnerin kritisch und schlägt eine Umstrukturierung des Bibliotheksnetzes als wichtigen Punkt vor. „Viel-leicht wäre es sogar besser, weniger Standorte zu haben, aber dafür bessere Räumlichkeiten, gut ausgebildete Fachkräfte und längere Öffnungszeiten“. Ihre Kritik bezieht sich auch auf die strategische Ausrichtung der lokalen Kulturpo-litik, deren Angebotsorientierung – wie zuvor im Theaterbereich – auch im Bibliotheksbereich ein Problem darstellt. „Die Politik interessiert sich nicht besonders für die Bibliotheken. Es ist ihr nicht besonders wichtig, ob wir viele oder wenige Besucher haben. In der Stadt werden die Kräfte auf die Einrichtun-gen konzentriert, die die Stadt ausmachen. Bibliotheken gehören nicht dazu. Sie sind für Einwohner eingerichtet und nicht für Touristen“. Der Handlungsrah-men der Bibliothek, so ihre Leiterin, wird einerseits von der städtischen Ver-waltung bestimmt und andererseits durch die besondere Lage in einer Stadt mit viel Kulturangebot. „Es ist schwierig, am Beispiel dieser Bibliothek in Krakau allgemeine Aussagen zu treffen. Warum? Weil die Stadt eine hohe Anzahl kultu-reller Sehenswürdigkeiten hat. Die Bibliothek kann hier nur kleine Veranstal-tungen durchführen. Die öffentlichen Büchereien in Poznań oder Wrocław sind anders als unsere Bibliothek richtige Kulturzentren. Die städtische Bücherei in Krakau hat weder die Räume noch den Auftrag dafür“. Die Ziele ihrer Einrich-tung „sind mit den Programmen der Stadt verbunden, wenn die Stadt z. B. ein

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Programm ausschreibt, um etwas für die Freizeit von Kindern und Jugendlichen zu organisieren“. Solche Ziele sind laut der Interviewpartnerin der in der loka-len Politik verbreiteten engen Auffassung von den Funktionen einer öffentlichen Bibliothek geschuldet. Museumsbereich Im Museumsbetrieb werden zwei Aspekte der Kulturpolitik hervorgehoben: ihre mangelhaften rechtlichen und ihre mangelhaften finanziellen Realisierungsme-chanismen. Die problematische Kulturfinanzierung entsteht durch die geringe Anzahl außerstaatlicher Finanzierungsquellen. „Die Kulturabteilung der Stadt ist verpflichtet, die Grundbedürfnisse, also den Unterhalt der Einrichtung zu bezahlen. Für andere Zwecke muss das Geld aus anderen Quellen geholt wer-den. Sponsoren zu gewinnen, ist für uns schwierig. Schloss Wawel214 hat Spon-soren. Wir sind klein und unattraktiv“. Die Vorstellung von einer angemessenen Kulturpolitik wird so auf Finanzierungsfragen reduziert. Als ein weniger pro-blematischer aber dennoch wichtiger Aspekt der Transformation der Kulturpo-litik wird die Suche nach angemessenen Rechtsformen für die öffentlichen Kulturbetriebe thematisiert. Hier wird der Staat als ein Akteur angesehen, der auch technisch-infrastrukturelle Probleme lösen sollte. Transformation wird so als Veränderung der Infrastruktur wahrgenommen. „Als die Wende kam, gab es als erstes das Problem mit den staatlichen Räumen. Die Transformation löste doch die Reprivatisierung aus. Der neue Bau wurde zwar 1988 für das Museum renoviert, dann haben die neuen Privatbesitzer die Preise aber nach ihren Vor-stellungen erhöht und die öffentliche Hand konnte sie nicht mehr bezahlen. Die Suche nach einer neuen Rechtsform begann. Zur Zeit der Volksrepublik war das Museum eine staatliche Einrichtung. Für kurze Zeit wurde es von der Stadt verwaltet. Später kam die neue Struktur, die Organe der Selbstverwaltung: städtische Selbstverwaltung und Woiwodschaft Selbstverwaltung. Der neue Verantwortliche war somit die städtische Selbstverwaltung. Und seit einigen Jahren ist der Präsident der Stadt selbst für uns verantwortlich. Er ist der Organisator bzw. Betreiber aller städtischen Kultureinrichtungen“. Der Inter-viewpartner unterstreicht außerdem, dass Polen seit einigen Jahren eine aktive Kulturpolitik betreibt, eine Vision für Kultur hat und diese auch verfolgt. Kriti-siert wird jedoch, dass „Kultur zu einem Produkt geworden [ist]“. Auf der ande-ren Seite sind aber nicht nur die kulturpolitische Vision, sondern auch die Stel-lung, die der Kultur in der Gesellschaft eingeräumt wird, und die besondere

214 Schloss Wawel ist die ehemalige Residenz der polnischen Könige in Krakau.

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Rolle der Stadt Krakau als ein anerkanntes kulturelles Zentrum von Bedeutung. „Die Substanz, die das Museum jetzt besitzt, muss einen ästhetischen Wert haben und sich auf Traditionen stützen (…). Dass die Stadt Krakau schon in die UNESCO-Liste des Welterbes aufgenommen wurde, bedeutet viele Verpflich-tungen für die politischen Entscheidungsträger und die Leiter der Kulturein-richtungen. Das verbindet uns alle“. Der Interviewpartner betont also die Not-wendigkeit eines verantwortungsvollen Umgangs mit den Traditionen, auf denen die kulturelle Entwicklung aufbauen sollte. Nichtstaatlicher Nonprofit-Sektor Im Krakauer NGO-Sektor wird die Frage nach der Transformation der Kultur-politik damit beantwortet, dass „es bis 1989 jemanden [politisch gesehen; d. Verf.] gab, gegen den die Organisation kämpfte. Heute haben wir so etwas nicht. Alles läuft bei uns gut“. Als eine Folge davon sieht der Interviewpartner den Umstand an, dass „die Besucher zu gemeinsamer Arbeit und Gestaltung nicht mehr bereit [sind]. Heute findet nur Kulturkonsum statt“. Während die Kulturpolitik als richtungweisende Institution im nichtstaatlichen Sektor in Sankt Petersburg als störend empfunden wird, bewertet der Leiter der Kultur-NGO in Krakau die Kulturpolitik und damit den Staat als Akteur als wichtigen Einflussfaktor. Diese Einstellung ergibt sich aus der partiellen projektbezogenen Förderung von Kulturveranstaltungen seiner Einrichtung durch die öffentliche Hand. „Die Arbeit des Vereins basiert auf Zuschüssen der Stadt, der Woiwod-schaft und zum Teil des Ministeriums. Wenn die Stadt sagen würde, dass sich die Ziele und ihre Politik ändern, wäre die Durchführung unserer Veranstaltun-gen auf dem gleichen Niveau nicht mehr möglich“. Kulturpolitik wird hier mit Mittelverteilung gleichgesetzt. Die besondere Situation der Stadt Krakau mit ihrem stark ausgebauten infrastrukturellen Netz bereitet seiner NGO dabei, so der Interviewpartner, große Probleme. „Die Schwierigkeiten sind nicht nur finanzieller Natur. Krakau hat viele historisch geprägte Kultureinrichtungen, die auf einem sehr hohen Niveau arbeiten, und das bedeutet harte Konkurrenz und hohen Druck“. Als eine kulturpolitische Aufgabe des Staates sieht er die Unterstützung von langfristigen Projekten an, die eine dauerhafte Finanzierung der NGO unter den harten Wettbewerbsbedingungen gewährleisten soll. Daraus lässt sich ableiten, dass die NGO durch unreflektierte Annahme von Förderan-geboten in eine finanzielle Abhängigkeit von ihrem staatlichen Geldgeber gera-ten könnte.

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Privat-kommerzieller Bereich Der Leiter einer kommerziellen Kunstgalerie in Krakau kritisiert die Kulturpoli-tik: Sie habe ihre Bedeutung für die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens verloren. Er ist der Meinung, es reiche nicht „eine schöne Stadt zu sein, sondern die Politik muss sich mit der Substanz und den Traditionen beschäftigen. Das heißt, eine aktive Kulturpolitik durchführen“. Die Existenz der Kulturpolitik als solche wird nun auch hier in Frage gestellt. „Es ist gut, wenn eine Stadt eine Kulturpolitik hat und sie durchsetzt und verwirklicht. Aber nicht bei uns. (…) Die Stadt Krakau versteht, dass sie die Kultur irgendwie unterstützen soll. Ein Beispiel: die Belebung des Bezirks Kazimierz215. Die Stadt wollte dort Galerien und Kunst ansiedeln und vermietete die Räume zu niedrigen Preisen. Das ist aber auch alles“. Auch hier wird also das Problem thematisiert, dass die zeitge-nössische Kunst von der strategischen Kulturpolitik nicht in den Blick genom-men wird. Bei der Betrachtung des Objekts der Kulturpolitik kritisiert der Inter-viewpartner, dass zwischen staatlichen und privaten Einrichtungen unter-schieden wird, was zu verzerrten Vorstellungen über die Möglichkeiten einer Kunstgalerie führt. Die Bedeutung der privaten Kulturbetriebe wird dem Interviewpartner zufolge unterschätzt. Wichtig wäre, dass „die privaten Gale-rien genauso wie andere Institutionen an Programmen teilnehmen können. Au-ßerdem sollte die Politik uns beim Zugang zu EU-Projekten unterstützen und Weiterbildungen in dieser Richtung organisieren. Denn es sollte im Interesse der öffentlichen Geldgeber in Polen sein, dass private Institute nach Drittmitteln suchen und internationale Projekte durchführen“. Außerdem kann in Krakau beobachtet werden, dass die Unterstützung privater Kulturbetriebe durch die Kulturpolitik im Unterschied zu Sankt Petersburg nicht nur für wichtig, sondern auch für möglich gehalten wird.

5.2.4 Weimar Theaterbereich Die Überwindung des sozialistischen Auftrags und der Zensur hat das Theater in einen gesellschaftlichen Spannungsraum verwandelt und bewirkte so in der Wahrnehmung des Interviewpartners eine vorübergehend gewandelte soziale 215 Kazimierz ist ein Stadtteil in Krakau, der vor dem Zweiten Weltkrieg die Jüdische Gemeinde

beheimatete. Inzwischen sind viele der Gebäude saniert worden. Der Bezirk ist ein Anziehungspunkt für Touristen.

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Bedeutung der Theater. Er ist der Meinung, dass die Kulturbetriebe vor der Herausforderung standen und stehen, eine qualitativ neue Herangehensweise an ihren Kultur- und Bildungsauftrag entwickeln zu müssen, um gesellschaftliche Entwicklungen begleiten und ihre Tätigkeit legitimieren zu können.

Dass es im Zuge der Transformation zu einer Umorientierung des Theaterbetriebs kam, wurde in keinem anderen Gespräch vergleichbar klar zum Ausdruck gebracht. Es kam nicht nur zu einer institutionellen und ökonomi-schen Umgestaltung und zu programmatisch-konzeptionellen Veränderungen, also zu einer Entpolitisierung und zur Befreiung von der sozialistischen Doktrin; auch in den leitenden Positionen der Theater und in ihren Aufsichtsgremien fanden personelle Wechsel statt. Sie sind eine Besonderheit des Umstrukturie-rungsprozesses in Weimar. Die Rationalisierung im Zuge der kulturpolitischen Maßnahmen während der deutschen Wiedervereinigung und der damit verbun-dene Rückbau von Infrastruktur werden als Folgen des Systemwandels themati-siert. „Fast jeder mittelgroße Ort hatte eine Theaterspielstätte zumeist mit festen Ensembles. (…) Aber nach der Wiedervereinigung war der Erhalt aller dieser Standorte strukturell nicht mehr vorgesehen. Als Argument wurde angeführt, dass nicht genug Geld zur Verfügung steht, womit Kultur als Standort- und Wirtschaftsfaktor, aber auch als Bildungsfaktor und sozialer Aspekt im Sinne des Erhalts wichtiger Arbeitsplätze erst einmal marginalisiert wurde. Das hat sich inzwischen verändert, auch wenn das Ringen um den Erhalt der bestehen-den Theater, ihrer Standorte und Ensembles nach wie vor opportun bleibt. (…) Vor allem in den ersten Jahren nach der Wende waren die Theaterleute damit beschäftigt, ihre Theater zu erhalten und neu zu positionieren. Bedauerlicher-weise sind im Rahmen dieses Prozesses viele Theater und Orchester in kleineren und mittleren Städten geschlossen oder zusammengelegt (fusioniert) worden. Andere Theater wiederum haben deutlich an Substanz verloren, müssen nun mit weniger Personal und Mittel auskommen und können demzufolge auch weniger spielen und anbieten. Einige wenige Häuser in Berlin, in Leipzig, in Dresden und in Weimar hatten das Glück aufgrund ihrer Standorte und zum Teil kluger konzeptioneller und struktureller Ideen, ihre Substanz fast vollständig zu erhal-ten, trotz der erheblichen Einsparungen, die ihnen immer wieder auferlegt wur-den“. Während in den anderen Interviews in Sankt Petersburg, Lwiw und Kra-kau die ordnende Dimension der Kulturpolitik als mangelhaft wahrgenommen wird, lobt der Weimarer Vertreter das differenzierte Rechtssystem für den Theaterbereich. „Die rechtliche Situation im Osten war schwierig, weil der Staat und die Partei Recht gesprochen haben. (…) Heute hat man im Theater ein sehr diversifiziertes Recht, auf dessen Basis man arbeitet. Die Arbeit beruht auf dem BGB, dem Gesellschafts- und dem Arbeitsrecht, wir verfügen für die

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einzelnen Mitarbeitergruppen (Solisten, Chor, Orchester, künstlerisch Beschäf-tigte, Technik und Administration) über verschiedene, ausdifferenzierte Ta-rifrechte. Das Urheberrecht spielt ebenso eine große Rolle, wie die Sozialversi-cherungsrechte. (…) Und natürlich sind die rechtlichen Beziehungen, die ein Theater nach außen eingeht, beispielsweise im Rahmen von Kooperationen oder Gastspielen sehr klar strukturiert und grundsätzlich vertraglich untersetzt“.

Auch wenn es keine inhaltlichen kulturpolitischen Vorschriften mehr gibt, wird ein politischer Rechtfertigungsdruck wahrgenommen, und zwar vor dem Hintergrund der finanziellen Situation der öffentlichen Geldgeber, also der Bundesländer und Kommunen. „Der Legitimationsdruck ist der, dass er aus dem finanzpolitischen Kontext entsteht und insbesondere daraus, dass die ver-schiedenen Bereiche, die der freiwilligen Zuwendung, insbesondere der Kom-munen, unterliegen, also Kultur, Sport und Bildung, nun um die immer geringer werdenden Mittel konkurrieren müssen“. Diese Veränderung der kulturpoliti-schen Rahmenbedingungen führt zu einer wettbewerbsorientierten Entwicklung der Angebote. „Wir konkurrieren um zwei Dinge, um die finanzielle Zuwendung und um die Zuschauer. (…) Fernsehen, Internet, Film, Evententwicklung, Musi-cal – das ist unsere Konkurrenz im engeren Sinne. Im weiteren Rahmen gehören auch der Sport und andere Freizeitangebote dazu. Aber das größte Problem für die Theater ist die hohe strukturelle Arbeitslosigkeit in den Regionen, die sin-kende Zahl der Arbeitsplätze, die sinkenden Nettohaushaltseinkommen, die da-mit verbundene, auch finanzielle Unzugänglichkeit für Kinder und Jugendliche zum Beispiel zu Theater und Konzerten. Und dort schaffen wir natürlich auch wieder Angebote, indem wir die Preise sozial staffeln, aber auch indem wir Projekte mit Kindern aus sozial benachteiligten Familien machen und diese so an das Theater als Bildungsort heranführen. (…) Und das ist ein ganz wichtiger strategischer Punkt, der der Nachhaltigkeit der Existenz, der Bedeutung von Theatern und letztlich ihrer Zukunftsfähigkeit und Legitimation dient. Wir ‚er-wirtschaften‘ viel mehr an Sozialprodukt als mit den reinen Einnahmen rech-nersich dargestellt werden kann“. Der Interviewpartner ist also der Meinung, dass die Notwendigkeit, sich gesellschaftlich und politisch zu legitimieren und das Ziel der Nachhaltigkeit der eigenen Kultur- und Bildungsangebote die Su-che nach einer sozialen Ausrichtung der Tätigkeiten und Angebote der Theater-betriebe verstärken. Das Ergebnis dieser Suche zeigt sich beispielsweise in theaterpädagogischen Programmen, in der Einrichtung von Theaterjugendclubs und der Ausrichtung von Schultheatertagen.

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Bibliotheksbereich Die Interviewpartnerin aus dem Bibliotheksbereich thematisiert als eine struktu-relle Veränderung in Zuge der ostdeutschen Transformation in erster Linie die Autonomie der lokalen Kulturträger. Diese Selbstständigkeit war nach der Wende allerdings durch die finanziellen Engpässe der kommunalen Haushalte gefährdet, die schon mit ihren „Pflichtaufgaben“ finanziell überfordert waren. Der Übergang zur Freiwilligkeit der Leistungen im Kulturbereich verursachte eine „Unterversorgung im Bibliotheksbereich“. „Die öffentlichen Bibliotheken dürfen keine freiwillige Aufgabe der Kommunen sein! (…) Die Aufgabe der Kulturpolitik sollte sein, sich damit zu beschäftigen, den finanziellen Rahmen und den Anspruch der Bürger gesetzlich zu verankern. Denn wir beziehen uns jetzt auf unsere Verfassung, die den freien Zugang zu Information und Medien zusichert. Da steht aber nicht explizit, dass sich die Bürger in Bibliotheken in-formieren können. Und der Zugang wird auch gewährleistet, wenn die Biblio-thek in größerer Entfernung ist“216. Auf der anderen Seite bringt das Fehlen kulturpolitischer Vorgaben die Notwendigkeit mit sich, das lokale Potenzial und die soziokulturellen Besonderheiten vor Ort auszuloten, aus denen dann Impulse für die eigene Tätigkeit gewonnen werden können. „Noch gibt es in Weimar das sogenannte Bildungsbürgertum, das einen besonders hohen Anspruch an Bil-dung und Kultur hat. Wenn man jedoch jüngere Generationen betrachtet – ist das nicht mehr in jedem Fall so. Für diese Bevölkerungsschichten können Bibliotheken ein Grundstein in Sachen Bildung und Kultur sein. Auch durch die PISA-Studie wurde sehr deutlich, wie wichtig und notwendig solche Einrichtun-gen für das individuelle und selbstbestimmte Lernen sind. Die Bibliotheken sind Stätten des ‚lebenslangen Lernens‘. Sie tragen zur Leseförderung bei und unter-stützen die Aus- und Weiterbildung“. Die Interviewpartnerin kritisiert, dass diese Bedeutung der Bibliotheken von der Politik nur ungenügend anerkannt wird. Zudem erschwert die mangelhafte Formulierung eines expliziten Bil-dungsauftrags eine langfristige Entwicklung. Zwar ist die Meinung verbreitet, so die Interviewpartnerin, dass „eine Investition in die Bibliothek eine Investition in die Zukunft ist. Doch wenn ein Politiker hört, was eine solche Bibliothek be-nötigt, dann denkt er zumeist an die dafür notwendigen Finanzen“. Die Biblio-thek ist somit aufgefordert, ihre Angebote aktiv und vor allem partizipativ zu gestalten: „Die Zusammenarbeit mit allen Schulen, den Universitäten und wei-teren Bildungsträgern, mit anderen Kulturanbietern ist uns sehr wichtig, denn nur dadurch gelingt uns ein vielfältiges interessantes Veranstaltungsprogramm

216 Das Gespräch wurde vor der Verabschiedung des Bibliotheksgesetzes in Thüringen geführt.

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für alle Bevölkerungsschichten. Die Kosten für diese Veranstaltungstätigkeit der Bibliothek können und müssen durch gemeinsame Programme relativ niedrig gehalten werden“. Die Einbettung in eine reiche infrastrukturelle Landschaft aus anderen Bibliotheken und Kultureinrichtungen zeigt sich in zwei neuen Tendenzen: einerseits Kooperationen einzugehen und andererseits deutliche Akzente zu setzen. Museumsbereich Die Übernahme der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Zuge der deutschen Wiedervereinigung schuf für die Kulturbetriebe ein Spannungsfeld, das sich als „relative Freiheit“ beschreiben lässt. „Wir haben jetzt Demokratie, wir haben Freiheit, aber wir sind die finanziellen Zwänge nicht los. Das heißt, auch heute sind wir von der Politik sehr abhängig“. Die soziale Entwicklung ist dabei eine der größten Herausforderungen für Museen, die Suche nach An-schluss an diese Entwicklung eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Das Problem ist dabei, dass „die Angebote anderer größer geworden sind und auch, dass die Leute viele Möglichkeiten bekommen haben, z. B. zu reisen. Warum muss man dann unbedingt nach Weimar kommen? Natürlich haben wir die Konkurrenz von außen bekommen, weil die Leute überall unterwegs sein konnten. (…) Die Bedingungen sind nicht leichter geworden“. Die neuen Rahmenbedingungen werden also als komplex empfunden und verlangen den Kulturbetrieben eine klare Bestimmung ihrer neuen Position ab. Dafür ist auch die Bestimmung von Zielgruppen und eine Besucherorientierung nötig. „Wir müssen irgendwie klar-kommen mit der Konkurrenz, mit den Politikern, die verstehen sollen, dass es wichtig ist, ein Museum zu haben“. Eine wichtige Rolle wird also der gesell-schaftlichen Anerkennung zugeschrieben, wobei auch für den Weimarer Muse-umsbereich kritisiert wird, dass die Politik die Kultureinrichtungen überwiegend quantitativ bewertet. „Es geht sehr viel um die Besucherzahlen. Uns wird ge-sagt, dass das Museum so und so viele Besucher haben sollte. (…) Ja, wir wol-len natürlich die Besucherzahlen bringen. (…) Wir möchten aber nicht nur daran gemessen werden. Das heißt, auch die anderen Aufgaben eines Museums – bewahren, restaurieren und publizieren – sind wichtig, auch wenn man das erst später bewerten kann“. Nichtsdestotrotz wird eine positive Veränderung der Rahmenbedingungen konstatiert, aus denen heraus nun Freiräume für eine kreative und zielgerichtete Arbeit des Museums entstehen. „Man muss dann die positive Seite sehen und sagen, aus diesem Druck entsteht auch eine Chance für uns. Wir müssen besonders gut sein, wir müssen besonders schnell reagieren. Wir müssen versuchen, mit wenig Mitteln viel Erfolg zu bringen“. Dies verlangt

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den Kulturbetrieben die Fähigkeit zu strategischer Steuerung und damit eine neue Kompetenz ab. „Natürlich steht das Angebot auch unter dem Rechtferti-gungsdruck. Aber man kann nicht von Ausstellung zu Ausstellung denken. Man muss den gesellschaftlichen Rahmen größer spannen. Wo befinden wir uns ge-rade, in welchem Arrangement von verschiedenen Angeboten schwebt die Ein-richtung?“ Als problematisch sieht der Interviewpartner die mangelnde Bereit-schaft der Kulturpolitik an, den neuen Stellenwert der Kulturbetriebe in ihrem gesellschaftlichen Kontext zu sehen bzw. ihn gemeinsam mit Vertretern des Kulturbereichs zu bestimmen. Nichtstaatlicher Nonprofit-Sektor Auch dank einer Kulturpolitik, die Anreize schuf und die Beliebtheit von Kul-turangeboten in der Bevölkerung förderte, haben sich die Rahmenbedingungen nach der Wende, so der Interviewpartner, zum Positiven hin verändert. „Die politischen Veränderungen in der DDR kamen uns zu Gute. Die Wende hat uns die Möglichkeit gegeben, aktiv zu werden, in die Öffentlichkeit zu gehen“. Meh-rere Regierungsprogramme – wie etwa Pilotprojekte zur Gebäudesanierung – begünstigten die aktive Rolle der freien Kulturträger bei der Gestaltung ihrer Angebote. Es wird betont, dass es ein Ziel der Politik war, den privaten und nichtkommerziellen Sektor zu unterstützen, um so zur Pluralität der Kulturan-bieter beizutragen. Anders als seine Kollegen aus den anderen Städten berichtet der Interviewpartner aus Weimar, dass die Abschaffung der ideologischen Prä-missen zu einer gesellschaftlichen Neupositionierung der freien Kulturträger geführt hat. Neben den gezielten Förderprogrammen misst er auch der rechtli-chen Versorgung und den steuerlichen Begünstigungen einen hohen Stellenwert bei. Diese ermöglichen seiner Organisation, so der Interviewpartner, die Unab-hängigkeit von staatlichen Einflüssen. „1990 haben wir aus unserer Initiative einen Verein gemacht. (…) Und damit hatten wir die Möglichkeit, durch eine anerkannte Gemeinnützigkeit steuerlich begünstigt zu werden und Förderan-träge zu stellen. (…) Wir haben eine gemischte Finanzierung, aber keine insti-tutionelle Förderung. (…) Das ist für uns sehr wichtig, weil niemand uns da-durch Vorschriften machen kann, sondern wir selber bestimmen können und potenzielle Geldgeber auswählen können. Je gemischter die Finanzierungs-quellen sind, desto besser“. Die Transformation der Kulturpolitik wird hier als eine Chance gesehen, die die Möglichkeit erschließt, die Gesellschaft über Kunst zu hinterfragen. Der damit verbundene Rechtfertigungsdruck wird positiv bewertet: „Da die demokratische Gesellschaft eine pluralistische Gesellschaft ist, ist es heute einfacher, sich zu rechtfertigen. Wir müssen uns gegenüber Ge-

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sellschaft und Individuum rechtfertigen. Und das kann sehr fruchtbar sein“. Der so definierte Handlungsrahmen gibt laut dem Interviewpartner Antrieb für die kulturelle Arbeit. „Es gibt keinen öffentlichen Raum mehr, der frei interpretier-bar ist, das sieht auch die Kulturpolitik so, deswegen versuchen wir dagegen zu steuern oder dagegen zu halten und die kulturellen Möglichkeiten, die Weimar bietet, zu unterwandern“. Was dazu führte, dass diese Nichtregierungsorganisa-tion als wichtiger Meinungsträger anerkannt wird. Privat-kommerzieller Bereich Aus der Perspektive des kommerziellen Kulturbetriebs wird der Kulturpolitik in Weimar wie auch schon in den anderen Städten kein großer Stellenwert beige-messen. Die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen begünstigten die Entstehung privater Kunstgalerien, die ebenso wie die Nonprofit-Organisa-tionen vor allem gesellschaftliche Anerkennung erhielten. „Das war ein Auf-schwung, ein Neubeginn, wo die Leute freudig mit solchen Milieus umgegangen sind“. Die Kulturpolitik wird dabei in einem engen Sinn als Institution der Mit-telvergabe bzw. der staatlichen Kunstförderung angesehen, ihre Wirkung im kommerziellen Bereich wird als sehr gering wahrgenommen. „Kulturpolitik (…) hat bei mir nur eine geringe Rolle gespielt. Am Anfang haben wir versucht, öffentliche Unterstützung zu bekommen. Wir hatten aber keinen Erfolg“. Den Grund dafür sieht die Leiterin darin, dass die Kulturpolitik kommerzielle Ein-richtungen damals per se kaum beachtet hat. „Aber wir verfolgen auch soziale Aspekte (…). Und so haben wir Projekte durchgezogen, die öffentlichkeitswirk-sam waren, für die wir aber keine staatliche oder städtische Unterstützung hat-ten“. Dennoch ist die Erwartungshaltung an die Kulturpolitik groß: „Was aber wirklich ein bisschen schade war, dass es damals wenig Anerkennung für un-sere Arbeit von der Stadt gab. Diese Einstellung ändert sich langsam. Vielleicht weil wir uns mit zeitgenössischer Kunst beschäftigten. Und die Klassik in Wei-mar, das ist nicht das einzige, was uns heute reicht (…)“. Hier kommt die Vor-stellung zum Ausdruck, dass die Kulturpolitik mehr Gewicht in der strategi-schen Kultur- und Kunstförderung haben sollte. „Früher war es mit der Unterstützung von Landesfürsten möglich. Heute ist es so, dass die Politik ent-scheidenden Einfluss haben sollte“. Es wird also wie in den anderen Städten auch eine kurzfristig orientierte Kulturpolitik kritisiert, weil die die aktuelle gesellschaftliche Situation, die sich in der zeitgenössischen Kunst wiederfindet, nicht behandelt. „Ich glaube, da ist wirklich die Politik gefragt. Die Politiker sollen einfach einsehen, es ist kein Widerspruch, dass wir in so einem kleinen ‚Nest‘ so viel ‚verschiedene‘ Kultur haben“. Kritisiert wird außerdem eine

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Kulturpolitik, die die Effektivität von Kulturangeboten an Besucherzahlen, vor allem an der Zahl der Touristen in Weimar, misst sowie die institutionsbezogene Förderung der sogenannten kulturellen Leuchttürme, die auf keinerlei Syner-gieeffekte ausgerichtet sind. Insgesamt wird der mangelnde politische Wille, eine ausbalancierte kulturelle Entwicklung zu ermöglichen, als Problem angese-hen. 5.2.5 Schlussfolgerungen Die Studie zeichnet zunächst ein sehr heterogenes Bild davon, wie die Experten die Transformation der Kulturpolitik wahrgenommen haben. Dies lässt sich durch mindestens vier Faktoren erklären: durch 1) die öffentliche bzw. private Eigentumsform der Kulturbetriebe, 2) ihre unterschiedlichen Sparten, 3) Unter-schiede der Systemtransformation in den vier Ländern und 4) Differenzen der kommunalen Kulturentwicklungsplanung in den vier Städten. Es zeigen sich jedoch auch regionenübergreifende Gemeinsamkeiten. Aus Vergleich und Syn-these der Antworten lassen sich in einem explorativen Sinne grundlegende Faktoren der Kulturpolitik und die Struktur ihres Veränderungsprozesses ablei-ten. Die von den Experten genannten Aspekte werden nun entlang der folgenden vier Themenbereiche festgehalten. Die Rolle des Staates als Akteur der Kulturpolitik Unter diesem ersten Themengebiet lassen sich Expertenaussagen zusammenfas-sen, die die sich wandelnden Aufgaben des politischen und gesellschaftlichen Handelns im Kulturbereich thematisieren. Nach den Akteuren der Kulturpolitik und ihren Funktionen gefragt, schrieb vor allem der öffentliche Sektor dem Staat Verantwortung für die Kulturpolitik zu und betonte die Bedeutung der staatlichen Fürsorge für die Kultur. In anderen Fällen wurde angedeutet, dass der Staat seine frühere Rolle als „Auftraggeber“ und „Aufsichtsbehörde“ aufge-geben und sich im Spannungsfeld von Staat, Markt und Zivilgesellschaft als aktivierendes Subjekt der Kulturpolitik neu definiert hat. Manchmal wurde dar-auf hingewiesen, dass der Staat sich gegenüber den Einrichtungen einerseits paternalistisch verhalten habe, was die eigene Kulturpolitik rechtfertigte, wäh-rend diese andererseits von der Legitimität des freien Markts ausgegangen ist. Im Ergebnis habe sie einen Spagat zwischen Liberalisierungsabsichten und staatlicher Patronage vollführt. Außerdem widmeten sich die Experten der Frage, inwieweit der Staat den gesellschaftlichen Akteuren auf dem Feld der

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Kulturpolitik Freiräume zugestanden und sie grundsätzlich als Partner angese-hen hat.

Die Experten waren sich einig, dass es zu den wichtigsten Aufgaben des Staates gehören sollte, die allgemeinen (finanziellen, rechtlichen und steuerli-chen) Rahmenbedingungen von Kulturbetrieben und nichtorganisierten Formen des kulturellen Lebens zu verbessern und die dafür nötigen Instrumente zu ent-wickeln. Die Probleme der Kulturfinanzierung durch den Staat, die in der Zeit der Transformation aufgetreten sind, wurden aus zwei Perspektiven betrachtet: Während weitgehend einhellig kritisiert wurde, dass sich der Staat aus der Finanzierung der Einrichtungen zurückgezogen hat, wurde sektorenabhängig unterschiedlich aufgefasst, dass er zugleich eine eigenständige Wirtschafts-planung ermöglicht hat. Ebenso unterschiedlich wurde das System der Kulturverwaltung in den vier Ländern eingeschätzt. Einerseits gab es Kritik daran, dass das „alte“ System nicht aufgelöst wurde und dem Ministerium und den Kulturabteilungen der Regional- und Kommunalverwaltungen weiterhin die administrative Steuerung der ihnen zugeordneten Einrichtungen oblag. In einer politisch unklaren und finanziell schwierigen Situation hat sich die Rolle der staatlichen Kulturpolitik in der Wahrnehmung der interviewten Experten auf die Vergabe von Mitteln beschränkt, Kulturpolitik wurde also als reine Mittel-vergabeinstitution angesehen. Als problematisch bezeichneten die Akteure häufig die fehlende Emanzipation der Kulturpolitik innerhalb des gesamten politischen Systems, die widersprüchliche und unübersichtliche Regelungen nach sich zog. Wichtig schien ihnen eine Überprüfung von politischen und wirtschaftlichen Veränderungen auf ihre Kulturverträglichkeit hin; für eine solche Überprüfung seien Expertenmeinungen notwendig. Aus der staatlichen Kulturpolitik ließe sich die Konsequenz ziehen, dass die Grundlagenforschung und die Kooperation mit lokalen Experten gefördert werden sollte, um kulturbildende Prozesse besser nachvollziehen zu können. Zweck der Kulturpolitik Der politische Umbruch äußerte sich nicht nur in den neuen Funktionen der staatlichen Akteure bzw. in der Anerkennung, die manche Akteure der Kultur-betriebe den Akteuren der Kulturpolitik zollten. In der Wahrnehmung der Ex-perten veränderte sich mit dem Systemumbruch auch der Zweck der Kulturpoli-tik. Es stellte sich die Frage, ob an die Stelle des sozialistischen Kanons nun neue Imperative treten würden und das Problem der „Verstaatlichung“ der Kul-tur damit fortbestehen würde. Die Frage, was in der Transformationszeit mit der Kulturpolitik erreicht werden sollte, beantworteten manche Experten mit Blick

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auf die Herausforderungen und Chancen der Systemveränderung. Die Suche nach neuen Werten in einer destabilisierten Gesellschaft – deren Ergebnis sie als Ideenpool für die kulturelle Realität und das gesellschaftliche Miteinander ver-standen – schien ihnen eine sinnvolle kulturpolitische Intention zu sein. Vielen Experten war es wichtig, dass die Bedeutung der Kultur als Wertefundament anerkannt wird, da in der neuen Wirklichkeit Werte wie Solidarität oder Vater-landsliebe in Konkurrenz zu Werten gerieten, die mit der Wirtschaftstransfor-mation aufgekommen waren, wie etwa Wettbewerbsfähigkeit, wirtschaftliches Interesse und individueller Erfolg. Um beide Werthorizonte miteinander in Ein-klang zu bringen, ist die kulturelle Dimension wichtig, da mit ihr die Entwick-lung der Gesellschaft qualitativ gemessen und bewertet werden kann.

In manchen Fällen demonstrierte die empirische Erfahrung der Inter-viewpartner die Zweitrangigkeit der kulturellen und in einem weiteren Sinne auch der geistigen Entwicklung, die hinter Politik und Wirtschaft zurückstehen musste: Kulturpolitische Veränderungen waren von Politik und Wirtschaft be-einflusst. Entsprechend wurden ökonomische und standortbezogene Intentionen der Kulturpolitik als „Kommerzialisierung“ und „Vermarktung der Kultur“ wahrgenommen. Häufig wurde die Entwicklung einer kulturpolitischen Vision als wichtig bezeichnet, wobei manche Experten überzeugt waren, dass die staat-liche Kulturpolitik aus der gegebenen Situation heraus Grundrichtungen für neue soziokulturelle Werte erarbeiten und von diesen ausgehend kulturpoliti-sche Konzepte entwickeln sollte. Einige Experten sahen Kulturpolitik als Teil der Sozialpolitik an: Die Kultur berge Möglichkeiten zur Lösung von soziokul-turellen Problemen, die aufgrund der wirtschaftlichen Probleme in der Trans-formationszeit besonders zugespitzt aufgetreten sind. Zur Bestimmung kultur-politischer Imperative wurden die Mehrdeutigkeit und Vielschichtigkeit der Kultur als bedeutsam angesehen. Deshalb sollte die Kulturpolitik auf der Basis der universalen Werte den kulturellen Pluralismus stärken, um so die Grundlage zur Bildung einer (Zivil)gesellschaft zu schaffen. Der Zweck der Kulturpolitik in der Transformation könnte somit als gesellschaftspolitisch bezeichnet wer-den: durch eine Stärkung der Zivilgesellschaft sollte die lokale Entwicklung gefördert werden. Inhaltliche Ausrichtung der Kulturpolitik Dass die Inhalte der Kulturpolitik mit ihrem Zweck in Übereinstimmung ge-bracht werden, schien den Experten wichtig zu sein. Als besondere Anforderung wurden dabei die Schwierigkeiten der Übergangsperiode bezeichnet. In vielen Fällen schien es problematisch, dass auf Seiten der politischen Macht und auf

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Seiten der Kulturschaffenden verschiedene Vorstellungen darüber existierten, wie sich die Kultur weiterentwickeln sollte. Im Ergebnis nahm die Kulturpolitik die soziokulturellen Verhältnisse und die Polyphonie der kulturellen Erwartun-gen oft nicht wahr. Ebenso hatten die Experten häufig den Eindruck, dass sich die Kulturpolitik nicht für die Vermittlung von Wissen über kulturelle Vielfalt, die Entwicklung einer demokratisch-pluralistischen Weltanschauung oder die neue Art der Sozialisierung in der postsozialistischen Gesellschaft einsetzte. Stattdessen waren ihre Inhalte oft konservativ. In den Interviews wurde häufig beklagt, dass nicht genügend politischer Wille vorhanden gewesen sei, um das inhaltliche Vakuum auszufüllen. Manchen Experten zufolge hat die staatliche Kulturpolitik patriarchalische und traditionalistische Ideen verbreitet. In anderen Fällen setzte die Bestimmung der kulturpolitischen Inhalte aber auch an einer Einschätzung des Zustands der Kultur in der Gesellschaft an. Dabei nahm die Kulturpolitik die mannigfaltigen emotionalen Zustände der Akteure des kultu-rellen Lebens genauso in den Blick wie ihre Motive, Bedürfnisse und Aktivitä-ten in der sich transformierenden Gesellschaft. Auf dieser Basis umfasst die inhaltliche Ausrichtung der postsozialistischen Kulturpolitik die soziokulturelle Idee der Integration genauso wie übergreifende gesellschaftliche Entwicklungs-ziele. Gegenstand der Kulturpolitik Was stand in der Transformationszeit im Zentrum der kulturpolitischen Aktivi-täten? Den Experten schien es wichtig zu sein, dass die öffentliche Kulturpolitik ihre Prioritäten während der Transformationszeit auf Bereiche legte, deren Ent-wicklung zugleich auch die nachhaltige Entwicklung der gesamten Gesellschaft befördert. Ein solcher Bereich war die Gestaltung der soziokulturellen Ent-wicklung. Entsprechend sollten die kulturpolitischen Tätigkeiten auf lokale, regionale und nationale Besonderheiten nichtlinearer kultureller Entwicklungen und auf den Menschen als ihren Schöpfer und Nutzer ausgerichtet werden. In vielen Interviews wurde betont, dass die administrative Macht die Kompetenzen der Akteure des Kulturbereichs ignorieren oder unterschätzen würde und dass daraus eine äußerst mangelhafte Rückkopplung der Kulturpolitik mit der realen soziokulturellen Situation resultiere. Das Fehlen von strategischer Planung hat, so die Expertenmeinung, die notwendige Fokussierung der Kulturpolitik auf bestimmte wichtige Bereiche beeinträchtigt. Außerdem hielten viele Experten den Erhalt vorhandener Infrastruktur ohne eine gleichzeitige Förderung von strukturverändernden Maßnahmen für wenig sinnvoll.

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5.3 Untersuchungsergebnisse: Veränderung des Stellenwerts der Kulturpolitik

Die qualitative empirische Untersuchung hat gezeigt, dass in den postsozialisti-schen Ländern – anders als in der politischen Ideologie des Sozialismus – kul-turpolitische Zielvorgaben fehlten. Die durch die Transformation eingeleiteten politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen stellten die Kultur-betriebe in einen neuen Kontext, in dem in erster Linie der politische Auftrag der „Bildung eines neuen Menschen“ wegfiel. Somit waren die öffentlich getra-genen Kulturbetriebe gefordert, sich umzuorientieren bzw. ihre eigene Tätigkeit zu rechtfertigen. Die ideologische Freiheit und die wirtschaftliche Liberalisie-rung erschlossen Chancen für die Entwicklung der privaten gewinnorientierten und der privaten Nonprofit-Organisationen im Kulturbereich. Die Auflösung des „Einbahnstraßen-Systems“ bei der Zielvorgabe stellte für die Betriebe allerdings eine Konfliktsituation dar, weil die Ziele der Kulturschaffenden und der Künst-ler, des Publikums und der Mitarbeiter, der Geldgeber und der leitenden Akteure der Kulturbetriebe nun oft nicht mehr übereinstimmten. So standen die Kultur-betriebe vor der Aufgabe, den eigenen Stellenwert in Bezug auf viele Faktoren neu zu bestimmen und die Motivation für ihre Tätigkeit aus mehreren Quellen zu schöpfen. Hierbei schien die Bedeutung der lokalen Ebene in der strategi-schen und operativen Entwicklungsplanung besonders wichtig zu sein, da lokale kulturelle Gegebenheiten und Bedürfnisse den Anstoß für die Arbeit der Kultur-betriebe gaben. Eine Veränderung der „Verwaltungsphilosophie“ der Kulturbe-triebe hin zu einer aktiven Beteiligung am sozialen Leben und eine stärkere Fokussierung auf die Besucher waren notwendig. Mit der Transformation ergab sich die Herausforderung, Entscheidungen auf der Grundlage von soziokultu-reller Beobachtung und einer Analyse des Markts situationsabhängig treffen zu können, was unter den Vorzeichen der früheren Verwaltungstätigkeit nicht möglich gewesen war.

Die Engpässe in den öffentlichen Haushalten machten eine neue Prioritä-tensetzung im Bereich der Kulturausgaben erforderlich. Dabei entwickelte sich in den ersten Jahren der Transformation in allen Ländern ein ähnliches Un-gleichgewicht zwischen dem Schutz des Kulturerbes und der Entwicklung neuer Kulturformen. Zusätzliche Probleme waren die Unklarheit über die politischen Prioritäten, die instabile Verteilung der Ausgaben je nach kulturpolitischer Konjunktur und der Mangel an Wettbewerbsmechanismen bei der Projektfinan-zierung. Unter der Voraussetzung der mangelnden finanziellen Ressourcen sollten nun die Kriterien für die Mittelvergabe in den Transformationsländern

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neu definiert werden. Die Schwerpunktverlagerung weg von der Bewahrung und hin zur Entwicklung erwies sich dabei oft als problematisch.

Die Vielfalt an Zielen – oder sogar ihr Widerspruch – konnte in der kultur-politischen Praxis zu Problemen führen. Denn mehr Freiheit ging mit mehr In-teressengruppen und mehr Anspruchsgruppen einher, die bestimmte Anforde-rungen an die Kulturpolitik und die -einrichtungen stellten. Kulturpolitik ist in einer demokratischen Gesellschaft eine komplexe Aufgabe, die nicht zwangs-läufig funktioniert, sobald die Mechanismen der Marktwirtschaft und der politi-sche Pluralismus eingeführt sind. Die Aktivierung gesellschaftlichen Handelns sollte daher eine ihrer wichtigsten Aufgaben sein.

Die Leiter der Kultureinrichtungen, die auch vor 1989 bzw. 1991 schon an der Spitze gestanden haben, vertraten die Ansicht, dass der Staat sich in der Übergangszeit nicht zurückziehen und alles den freien Mechanismen überlassen könne. Seine Aufgabe sei es vielmehr, besonders nach dem politischen Um-bruch, Verantwortung für eine zielgerichtete kulturelle Entwicklung und die Kulturpolitik zu übernehmen. Die Vertreter der neuen Generation von Kul-turmanagern begriffen sich im Gegensatz zu dieser Position auch als Meinungs-träger kulturpolitischer Konzepte und – durch ihr Monitoring der gesellschaftli-chen Entwicklung – als wichtige Informationsträger. Staatlichem Handeln wurde in diesem Zusammenhang eine beratende und unterstützende Funktion zugeschrieben.

Die Akteure der staatlichen Kulturpolitik in den Transformationsländern standen also vor der Herausforderung, dem gesellschaftlichen Handeln und den zeitgenössischen Bewegungen und Projekten gegenüber Vertrauen zu ent-wickeln und darauf aufbauend auch im Kulturbereich einen Paradigmenwechsel herbeizuführen. Problematisch waren in allen Ländern die mangelnde Anerken-nung der Kulturwirtschaft seitens der Kulturpolitik sowie die mangelnde Be-rücksichtigung der tatsächlichen Probleme des Kulturbereichs.

Vor dem Hintergrund der hier dargestellten Probleme kann festgehalten werden, dass die Entwicklung von kulturpolitischen Zielen oft unter den Bedin-gungen einer mangelhaften funktionalen Verankerung der Kulturpolitik im po-litischen System und in den Kulturbetrieben verlaufen ist. Unabdingbare Vor-aussetzung für die Entwicklung kulturpolitischer Ziele ist jedoch eine dauerhafte Kopplung der Kulturpolitik an die soziokulturelle Situation des Landes. Denn so können die kulturpolitischen Ziele nicht ausschließlich durch Politik und Wirt-schaft bestimmt werden. Stattdessen kann ihre Legitimation im gesamten politi-schen System und unter den Akteuren des Kulturbereichs sichergestellt werden.

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6 Transformation der Kulturpolitik: Zusammenfassung und Ausblick

Die vorliegende Arbeit hat sich mit der Transformation der Kulturpolitik nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems in Mittel- und Osteuropa befasst. In ihrem Zentrum standen Kultur, Politik und Transformation, wobei die Veränderungspfade der postsozialistischen Kulturpolitik in den verschiede-nen Ländern anhand der Herausforderung durch die politische und wirtschaftli-che Integration in Europa und die Globalisierung dargestellt, erklärt und kriti-siert wurden.

Die geopolitischen Veränderungen in der Region Mittel- und Osteuropa in den vergangenen zwanzig Jahren, die finanziellen Engpässe der öffentlichen Haushalte, der demografische Wandel sowie die Veränderungen der Lebensstile haben den Kulturbereich stark gefordert. Ein Interesse bei Politik und Wissen-schaft für die Probleme der Kulturbetriebe und der kulturellen Entwicklung existierte in vielen Ländern jedoch nicht kontinuierlich, sondern nur konjunk-turabhängig. Der Fokus der postsozialistischen Reformen lag zudem auf politi-schen und marktwirtschaftlichen Institutionen, nicht auf der Zivilgesellschaft217, was in vielen postsozialistischen Staaten, wie Russland, Belarus und der Ukraine, ein Demokratiedefizit und eine nur formal existierende Rechtsstaat-lichkeit zur Folge hatte. Die Aufgabe der Kulturpolitik wäre es nach dem Systemumbruch theoretisch gewesen, die Rahmenbedingungen für eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit der sozialistischen Vergangenheit und den Perspektiven der künftigen gesellschaftlichen Entwicklung zu verbessern. Darum war auch die Untersuchung der postsozialistischen Konzepte der Kultur-politik von Bedeutung, wird aus ihnen doch ersichtlich, welche Rolle der Kultur und ihrem Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung zugeschrieben wird. 217 Die Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure in den demokratischen Transformationsprozessen in

Polen, Russland, Belarus und Aserbaidschan wurde in der Arbeitsgruppe „Transformation“ im Rahmen eines zweijährigen Projektes „Forum ‚Einheit Europa' - Gemeinsame Wege in eine EUropäische Zukunft?!“ der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP) 2007-2009 untersucht. Die ausführlichen Ergebnisse und Handlungsempfehlungen zur Entwicklung der Europäischen Nachbarschaftspolitik wurden in der Abschlussdokumentation festgehalten (Weitzel 2009).

M. Davydchyk, Transformation der Kulturpolitik, DOI 10.1007/978-3-531-18691-7_6,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012

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Um zukunftsfähige und nachhaltige Konzepte entwickeln zu können, ist es notwendig, die bisherige Entwicklung der Grundlagen der Kulturpolitik und ihre Veränderung zu verstehen. Daher war es das Ziel der vorliegenden Arbeit, die Transformation der Kulturpolitik in den postsozialistischen Ländern zu analy-sieren, wobei gezielt Länder betrachtet wurden, die politisch, wirtschaftlich und kulturell unterschiedliche Veränderungspfade eingeschlagen haben. Das war nötig, um die Definitionsmerkmale der Transformation der Kulturpolitik wie die Veränderung des Stellenwerts der Kulturpolitik als staatliches und gesellschaft-liches Handeln und ihre Bedingtheit durch die sozialistischen Erfahrungen und den politischen und wirtschaftlichen Wandel anhand vielfältiger Veränderungen plausibel darstellen zu können. Ziel dieser Arbeit war es, durch die Untersu-chung der Primärmaterialien aus Russland, der Ukraine, Polen und der ehemali-gen DDR und durch die empirische qualitative Analyse anhand der Expertenge-spräche in Sankt Petersburg, Lwiw, Krakau und Weimar zum Verständnis der Transformation der Kulturpolitik beizutragen.

Im theoretischen Teil wurden die Grundlagen für die Textanalyse und die empirische Studie gelegt. Dazu wurde der Begriff der Kulturpolitik analysiert, verschiedene kulturpolitische Modelle wurden typologisch aufgezeigt und zahl-reiche Methoden als Untersuchungsansatz in Erwägung gezogen. Bei der Ana-lyse der Herausforderungen der postsozialistischen Kulturpolitik wurde festge-stellt, dass – anders als im Fall der sozialistischen Kulturpolitik – einerseits ihre Bedeutung unklar war und es ihr an einem expliziten politischen Auftrag man-gelte. Andererseits gilt die Aktivierung und Legalisierung der nichtstaatlichen Akteure, die je nach Land ganz unterschiedliche Handlungsspielräume gehabt haben, als Merkmal der postsozialistischen Periode. Politik wird in der vorlie-genden Arbeit deshalb als zielgerichtetes Zusammenwirken von staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren verstanden. Die Transformation der Kulturpolitik nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems galt es deshalb als einen Prozess der Veränderung des Stellenwerts der Kulturpolitik zu verstehen, der sich im politischen wie im gesellschaftlichen Handeln widerspiegelt.

Dieser Veränderungsprozess wurde in dreierlei Hinsicht untersucht: Zu-nächst wurden seine Ausgangssituation und der Vorgang seiner Veränderung beschrieben, anschließend wurde eine kritisch-empirische Analyse durchge-führt. Die These über die Transformation der Kulturpolitik wurde durch die Rekonstruktion von vier Aspekten im staatlichen Feld der Kulturpolitik und durch die Darstellung des expliziten und des latenten Sinns der kulturpolitischen Handlungen überprüft. Im Zusammenhang mit den theoretischen Annahmen konnten die gewonnenen Daten verdeutlichen, dass der Stellenwert der Kultur-politik einen wichtigen Untersuchungsgegenstand darstellt. Zusammenfassend

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wiesen vier Faktoren – die Rolle des Staates als Akteur der Kulturpolitik sowie Zweck, inhaltliche Ausrichtung und Gegenstand der Kulturpolitik – auf die Art hin, auf die sich der Stellenwert der postsozialistischen Kulturpolitik verändert hat. Die empirischen Analysen unterstützten diese Annahme. Außerdem zeigten die Untersuchungen, dass die Transformation der Kulturpolitik von mehreren länderspezifischen Faktoren beeinflusst wurde. Mit der Freisetzung der Demo-kratisierungsprozesse war allerdings eine länderübergreifende Aktivierung des gesellschaftlichen Handelns verbunden. Insgesamt konnte aus den Untersu-chungen geschlossen werden, dass gesellschaftliches Handeln von politischen und wirtschaftlichen Veränderungen zwar einerseits angestoßen wird, dass diese es in vielen Fällen, wie in Russland und der Ukraine, jedoch andererseits auch massiv eingeschränkt haben. Zudem wurden bei der Wahrnehmung der staatli-chen und gesellschaftlichen Aktivitäten der Kulturpolitik Unterschiede zwischen den Generationen festgestellt: Während Vertreter der jüngeren Generation die offiziellen Kulturentwicklungsprogramme häufig hinterfragten, vermieden die älteren Experten die offene Konfrontation und sprachen der öffentlichen Kultur-politik einen höheren Stellenwert zu.

Weiterhin wurde die Annahme, dass sich der Veränderungsprozess in Dis-kussionen über die Integration der Kulturpolitik in das gesamte politische System äußert, überprüft. Hierbei zeigte sich, dass nach dem Umbruch des so-zialistischen Systems zunächst hauptsächlich der politische und der wirtschaft-liche Wandel auf der Handlungsagenda standen und in vielen Fällen auch die Transformation der Kulturpolitik bestimmten. Die gegenseitige Beeinflussung von Wirtschaft und Kultur wurde unterschätzt. Beim Übergang in die Markt-wirtschaft, den die Regierungen Anfang der 1990er Jahre verabschiedet hatten, lag das Hauptaugenmerk auf makroökonomischer Stabilisierung und der Über-windung der obsolet gewordenen Verwaltungsformen, während die soziale und die kulturelle Seite der Reformen oft zweitrangig war. Die Frage nach den Wechselwirkungen zwischen Kultur- und Wirtschaftspolitik stand in den post-sozialistischen Ländern oft im Schatten der Notwendigkeit eines möglichst schnellen Wirtschaftswachstums. Die Erfahrungen der vergangenen zwei Jahr-zehnte lassen heute jedoch vermuten, dass nicht alle Probleme der Übergangs-zeit allein durch wirtschaftliche Stabilisierung und ohne Berücksichtigung soziokultureller und mentaler Faktoren gelöst werden konnten. Darüber hinaus verschärfte die Unklarheit der politischen und wirtschaftlichen Ziele, insbeson-dere in Russland und in der Ukraine, die Probleme der postsozialistischen Peri-ode. Die Kulturpolitik beschäftigte sich vor allem mit dem Überleben der kultu-rellen Einrichtungen und dachte weiterhin in Sparten, anstatt die Ursache-

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Wirkungskette von wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Prozessen zu erkennen und zu verdeutlichen.

In der vorliegenden Arbeit konnte gezeigt werden, dass die inhaltliche Aus-richtung der Kulturpolitik auf den sozialistischen Erfahrungen aufbaute und im Kontext der gesamten Systemtransformation verankert war. Zunächst wurde dargestellt, dass die sozialistische Kulturpolitik in den vier untersuchten Län-dern durchaus heterogen war. In Westeuropa herrscht bisher die Annahme vor, dass im gesamten Ostblock ein und dasselbe Modell von sozialistischer Kultur-politik zur Anwendung gekommen ist. Dass die sozialistische Kulturpolitik aber sowohl durch den jeweiligen Verlauf der sozialistischen Kulturrevolution als auch durch die spezifische politische Lage und den Stand der gesellschaftlichen Entwicklung in den einzelnen Ländern bestimmt wurde, ist bisher in keiner Studie explizit dargestellt worden. So wurde hier also die bislang unklare Rolle der sozialistischen Erfahrungen erstmals näher untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass die neuen postsozialistischen Ziele, die nach dem politischen Um-bruch in den offiziellen Dokumenten verabschiedet wurden, nicht zuletzt durch die spezifischen sozialistischen Ziele der Kulturpolitik in den jeweiligen Län-dern – bzw. genauer gesagt durch ihre Ablehnung – erklärt werden können.

Die staatlichen und gesellschaftlichen Akteure der Kulturpolitik in den Transformationsländern waren gefordert, neue Prinzipien für ihre Arbeit zu formulieren. In Ostdeutschland wurde dieser Prozess durch die Übernahme der Grundprinzipien der Bundesrepublik – Föderalismus, Subsidiarität, Pluralität und Kunstfreiheit – begleitet. Die neuen Grundsätze in Polen umfassten die Abschaffung der Zensur, die Förderung der Demokratie und der Zivilgesell-schaft sowie nach dem EU-Beitritt eine ausgeglichene kulturelle Entwicklung in den Regionen. Die Prinzipien der Demokratie wurden auch in der Ukraine bereits 1992 in den Grundlagen der Gesetzgebung für Kultur normativ formu-liert. Sie umfassten die Verbreitung der „humanistischen Ideen“, die Bewahrung des kulturellen Erbes sowie die Gewährleistung der Kunstfreiheit. Es gab jedoch keine Instrumente, die ihre Realisierung unterstützt hätten, so dass es hier erst in der letzten Phase der Transformation mit den langfristigen Kulturentwicklungs-programmen und den mittelfristigen Regionalprogrammen zu Veränderungen kam. In Russland waren die alten paternalistischen Steuerungsprinzipien bis Ende der 1990er Jahre im Kulturbereich präsent. Kulturpolitik wurde dort lange Zeit als Instrument zur Kulturfinanzierung und zur Kontrolle der Kulturausga-ben betrachtet. Auf föderaler Ebene bezweckten die staatlichen Akteure die Konsolidierung eines einheitlichen Kulturraums in Russland ohne dabei jedoch die lokale gesellschaftliche Initiative angemessen zu berücksichtigen. Zusam-menfassend kann aus den Daten geschlossen werden, dass die Mechanismen,

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die die inhaltliche Ausrichtung der Kulturpolitik determinieren, innerhalb des Veränderungspfads und der historischen Erfahrungen der jeweiligen Länder angesiedelt sind.

Ausblick Aus den Untersuchungen ergeben sich Grundlagen bzw. neue Ausgangspunkte für weiterführende Analysen. Die bisherige Auffassung von Kulturpolitik als Verwaltungsmechanismus bzw. Finanzierungssystem konnte im Laufe der Stu-die erweitert werden. Die Untersuchungsergebnisse stellen eine Ausgangsbasis dar: sowohl zur Entwicklung kulturpolitischer Länderstrategien bzw. länder-übergreifender Konzepte, die staatliche und gesellschaftliche Akteure berück-sichtigen, als auch zur Optimierung von polity und politics. Diese Art der Untersuchung von Kulturpolitik stellt – zusammen mit den Ergebnissen der politischen Transformationsforschung – eine geeignete Grundlage für weitere (komparative) Untersuchungen insbesondere in anderen postsozialistischen Ländern dar. Mögliche Untersuchungsgebiete könnten Belarus und die Region Südkaukasus sein. Im Fall von Belarus ist der kulturelle Austausch ein wirksa-mer Hebel für eine internationale Zusammenarbeit mit einem Land, mit dem Kooperationen auf staatspolitischer Ebene schwierig sind (vgl. Davydchyk 2009: 41). Eine kritische Analyse des latenten Sinns und der explizit formulier-ten Ziele der dortigen staatlichen Kulturpolitik könnte z. B. auf Ursachen für die gescheiterten Annäherungsversuche zwischen der EU und Belarus verweisen. Im Fall der Region Südkaukasus scheint es besonders wichtig zu sein, den neuen Stellenwert der Kulturpolitik in Aserbaidschan, Armenien und Georgien darzustellen, wobei nationale und gesellschaftliche Strategien hinsichtlich der Bedeutung zu untersuchen wären, die sie den historischen und den ethnisch-kulturellen Realitäten in dieser ethnisch und sprachlich vielfältigen Region Europas zukommen lassen218.

Die Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit können in die Diskussion über die aktuelle und zukünftige kulturelle Entwicklung in Europa aufgenommen werden.

218 Die Teilnehmer der Kaukasuskonferenz (28.-30. November 2008) des Collegiums PONTES

in Görlitz betonten die kultur-, konfessions- und umweltpolitische Bedeutung der Kaukasus-Region für die internationale wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit.

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Funktionale Verankerung der Kulturpolitik Die marginale Rolle der Kultur im gesellschaftlichen Leben der Transformati-onsländer zu überwinden, ist eine der Herausforderungen für eine konstruktive Zusammenarbeit innerhalb eines über die Grenzen der EU hinaus erweiterten Europas. Das UNESCO-Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen vom Oktober 2005 – ein Völker-rechtsvertrag zur Internationalen Kulturpolitik – hat die Komplementarität von wirtschaftlichen und kulturellen Aspekten der Entwicklung zu einem seiner Grundsätze erklärt219. „Da die Kultur eine der Hauptantriebskräfte der Entwick-lung ist, sind die kulturellen Aspekte der Entwicklung ebenso wichtig wie ihre wirtschaftlichen Aspekte“, heißt es in dem Vertrag. Auch die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten bekennen sich normativ zu einer stärkeren Ein-beziehung der Kultur in die Global Governance und berücksichtigen die kultu-relle Dimension auch in anderen Politikfeldern sowie in all ihren Projekten und Programmen. Dieses Bekenntnis ist gesetzlich untermauert: Gemäß Artikel 167220 Absatz 4 des Vertrags von Lissabon221 berücksichtigt die EU in allen ihren Tätigkeitsbereichen und Politikfeldern die Achtung, Wahrung und Förde-rung der kulturellen Vielfalt. Als Voraussetzung einer nachhaltigen Kooperation zwischen der EU und ihren östlichen Nachbarstaaten inklusive Russland werden die wechselseitige Unterstützung von Kultur, Politik und Wirtschaft, ihre Kom-plementarität und Nicht-Unterordnung zukünftig auf den Prüfstand gestellt. Ziel wird es dabei sein, für die weitere Entwicklung eine bessere funktionale Veran-kerung der Kulturpolitik im politischen System und in den Kulturbetrieben zu erreichen. Gleichgewicht zwischen nationaler Identität und Interkulturalität Das erweiterte Europa steht für eine enorme ethnische und sprachliche Vielfalt und für die damit einhergehende große kulturelle Diversität. Zu untersuchen ist daher, wie diese Erscheinungen in Einklang gebracht werden können mit der jeweiligen nationalen Kulturpolitik von Transformationsländern, denen kurz- und mittelfristig keine EU-Beitrittsperspektive in Aussicht gestellt wird – wie

219 Die deutsche Übersetzung des Übereinkommens ist unter http://www.unesco.de/konvention_

kulturelle_vielfalt.html?&L=0 (14.06.2010) abrufbar. 220 Vorher Artikel 128 des Vertrags über die Europäische Union von Maastricht und später (ab

1997) Artikel 151 des Vertrages von Amsterdam. 221 Der vollständige Wortlaut des Vertrags von Lissabon ist unter http://europa.eu/lisbon_treaty/

full_text/index_de.htm (14.06.2010) abrufbar.

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beispielsweise die Ukraine oder Moldau. Auf der Ebene des Europarats gewinnt Kulturpolitik als wichtiges Handlungsfeld immer mehr an Bedeutung. Auf Initiative von „CultureWatchEurope“, einer Plattform des Europarats, versam-melten sich im Juni 2009 Vertreter von mittel- und osteuropäischen Staaten im polnischen Krakau, um zwanzig Jahre nach dem Ende des Kommunismus eine Bilanz der kulturellen Entwicklung zu ziehen und den Handlungsbedarf der Kulturpolitik in den jeweiligen Ländern zu formulieren222. Dabei wurde betont, dass die Prioritäten und Ziele der Kulturpolitik stärker anhand der realen Bedürfnisse zu bestimmen sind. Außerdem wurde empfohlen, ein Gleich-gewicht zwischen nationaler Identität und Rücksicht, Toleranz und Inter-kulturalität anzustreben. Diese Empfehlung ist insbesondere in Hinblick auf die Europäische Union relevant, deren Kulturpolitik unter dem Prinzip „In Vielfalt geeint“ steht. Die Europäische Kommission verfolgt seit der Verabschiedung der Agenda für Kultur 2007 drei Ziele: erstens die Förderung der kulturellen Vielfalt und des interkulturellen Dialogs; zweitens die Förderung der Kultur als Katalysator für Kreativität im Rahmen der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung; und drittens die Förderung der Kultur als wesentlicher Bestandteil der internationalen Beziehungen der Union223. Gesetzlich ist die Union nach Artikel 167 Absatz 1 des Vertrags von Lissabon verpflichtet, „einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedsstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes“ zu leisten. Die kulturelle Entwicklung soll sich also in dem Spannungsfeld von Regionalisierung und Integration bewegen und dabei Heterogenität bewahren. Diese Vorstellung von kultureller Diversität ist in den öffentlichen Kulturentwicklungsprogrammen Russlands und der Ukraine allerdings nur mangelhaft verankert an ihre Stelle tritt tendenziell das Streben nach einem einheitlichen nationalen Kultur- und Kommunikationsraum. Langfristig betrachtet ist für eine effektive Zusammenarbeit ein Bekenntnis dieser Länder zur Förderung von interkulturellen und kohäsiven Gesellschaften vonnöten.

222 Die Ergebnisse der Konferenz wurden in der Publikation „Culture and development 20 years

after the fall of communism in Europe” auf Polnisch und auf Englisch festgehalten (Palmer 2010).

223 Aus der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäi-schen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung {SEK(2007) 570} KOM/2007/0242, Brüssel, vom 10.5.2007. Der vollständige Text der Mitteilung ist online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2007:0242: FIN:DE:PDF (14.06.2010).

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Pluralität der Stakeholder und das Subsidiaritätsprinzip Weitere grundlegende kulturpolitische Prinzipien sind das Subsidiaritätsprinzip und die Stärkung der Zivilgesellschaft. Die Teilnehmer der Konferenz in Krakau 2009 betonten, dass Kultur eine zentrale Position in den Entwicklungsstrategien auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene einnehmen sollte. Außerdem steigt der Stellenwert der Kulturbetriebe und die Verantwortlichen werden aufgefor-dert: „exploit the urban development potentials of culture institutions as social agoras, support their functioning as debate centres” (Inkei 2009: 31). Auch die europäische Kulturagenda sieht eine Vielfalt der Stakeholder – wie der Kom-mission, der Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlamentes – und der Zivil-gesellschaft – der Berufsverbände, der kulturellen Einrichtungen, der Nichtre-gierungsorganisationen, der europäischen Netzwerke und der Stiftungen – vor. Die Zuständigkeit für Kultur liegt bei den Mitgliedstaaten, die sie wiederum teilweise auf regionaler und auf lokaler Ebene ansiedeln. Artikel 167 Absatz 5 des Vertrags von Lissabon schließt eine Harmonisierung der Rechts- und Ver-waltungsvorschriften für Kultur aus. Die EU handelt also ausschließlich ergän-zend, die lokalen und regionalen Behörden und die organisierte Zivilgesellschaft werden in Entscheidungsprozesse im Kulturbereich involviert. Beide Aspekte zusammengenommen – Pluralität der Stakeholder und Subsidiaritätsprinzip – setzen einen aktiven Dialog zur Bestimmung der kulturpolitischen Ziele voraus. In den untersuchten Ländern Russland und der Ukraine scheint diese Vorausset-zung schwer realisierbar: Marode Strukturen und vor allem mangelnder politi-scher Wille erschweren dort die Beteiligung von lokalen und nichtstaatlichen Akteuren an Entscheidungen. Vor dem Hintergrund einer systematischen Be-rücksichtigung der kulturellen Dimension bei allen Maßnahmen, Projekten und Programmen im Bereich der EU-Außenbeziehungen zur Verbesserung der Di-plomatie und zur Legitimation von Kooperationen in anderen Bereichen sollte diese Diskrepanz bedacht werden. Die Rolle der Kultur in der Europäischen Nachbarschaftspolitik Laut Artikel 167 Absatz 3 fördert die EU Kooperationen mit Drittländern und internationalen Organisationen, insbesondere mit dem Europarat. Nach der Ver-abschiedung der Kulturagenda 2007 wurden für die Kultur im Bereich der Au-ßenbeziehungen strategische Richtlinien festgelegt. Hinsichtlich der Region Mittel- und Osteuropa sollte die Rolle der Kultur im Rahmen der Europäischen

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Nachbarschaftspolitik (ENP)224 analysiert werden, die 2004 zur Stärkung der Stabilität und Sicherheit an den EU-Außengrenzen ins Leben gerufen worden war. Einen Teil der ENP bildet die 2009 in Prag gegründete Östliche Partner-schaft225, in der sämtliche der oben dargestellten Problembereiche auf den Prüf-stand gestellt werden. Das Kulturprogramm der Östlichen Partnerschaft ist seit 2010 darauf ausgerichtet, die Kapazitäten im Kulturbereich durch regionale Verbindungen und durch Entwicklung einer umfassenden Kulturpolitik zu stär-ken. Mit seinem Budget von drei Millionen Euro soll das Programm 2010-2013 „cultural policy reform at government level, as well as capacity building and improving professionalism of cultural operators in the Eastern ENP region“226 fördern. Angesichts ihrer mangelnden Akzeptanz bei den staatlichen Akteuren scheint jedoch die Einbindung der nichtstaatlichen Akteure problematisch zu sein. Auf europäischer Ebene soll das Forum der Zivilgesellschaft (gegründet im November 2009 in Brüssel) die Beteiligung der nichtstaatlichen Akteure und ihren Zugang zu Informationen ermöglichen. Die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation dieser Prozesse werden in der kulturpolitikwissenschaftlichen Forschung in der Region Mittel- und Osteuropa zukünftig immer mehr an Be-deutung gewinnen.

Im postsozialistischen Raum müsste in weiterführenden Forschungen an der Frage gearbeitet werden, welche gesellschaftlichen Akteure sich konkret und in welchem Ausmaß kulturpolitisch engagieren. Diesbezüglich sollten weitere qualitative und quantitative Untersuchungen, eventuell in Form von Expertenbefragungen, erfolgen, die nach dem Ausmaß der Entwicklung des gesellschaftlichen Handelns fragen, um so die Grenzen des staatlichen Handelns genauer darstellen zu können. Eine Analyse zur Herausbildung des Markts könnte darüber hinaus Anhaltspunkte liefern, inwiefern die Etablierung bzw. Liberalisierung des Markts die Kulturpolitik beeinflusst. Eine Evaluation der kulturpolitischen Konzepte sollte die Chancen und Herausforderungen ihrer Realisierung sowie Künstler, Kulturschaffende und das Publikum berücksichti-

224 Die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) umfasst die unmittelbaren Nachbarn der EU –

Algerien, Armenien, Aserbaidschan, Ägypten, Belarus, Georgien, Israel, Jordanien, Libanon, Libyen, die Republik Moldau, Marokko, die besetzten Palästinensischen Gebiete, Syrien, Tunesien und die Ukraine. Die Beziehungen zu Russland werden anhand einer Strategischen Partnerschaft geregelt.

225 Die Beziehungen der Europäischen Union zu Belarus, der Ukraine, Moldau, Armenien, Aser-baidschan und Georgien sollen im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik durch das Abkommen Östliche Partnerschaft ausgebaut werden.

226 Aus der Beschreibung des Programms auf der offiziellen Website des Projekts Eastern Part-nership Culture Programme – Part I. Online abrufbar unter http://www.enpi-info.eu/maineast.php? id=286&id_type=10 (15.06.2010).

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222

gen. Da die vorliegende qualitative Studie nicht repräsentativ, sondern exempla-risch angelegt ist, kann davon ausgegangen werden, dass es noch eine Reihe weiterer Bereiche gibt, die auf die Transformation der Kulturpolitik als staatli-ches und gesellschaftliches Handeln verweisen könnten. Der Ansatz der vorlie-genden Arbeit stellt somit kein endgültiges, unveränderliches Konzept der Transformation dar, sondern ist offen für neue Erkenntnisse, die sich durch weitere Untersuchungen unter Einbeziehung anderer Aspekte ergeben werden.

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Anhang 1: Angaben zu Interviewpartnern und Kultureinrichtungen Sankt Petersburg, Russland 1. Gespräch Theater Datum: 18.7.2008, ca. 1,5 Stunden Das Gespräch mit dem Interviewpartner fand am 18. Juli 2008 im Büro des Intendanten statt und dauerte ca. 1,5 Stunden. Der Interviewpartner (Jahrgang 1943) begann seine Theaterkarriere 1968 nach dem Abschluss der Theaterfa-kultät des Leningrader Institutes für Theater, Musik und Filmkunst. Er arbeitete als Helfer des Hauptregisseurs im literarischen Teil. Nach der Wende übernahm er 1992 die Leitung des Theaters. Er ist Sekretär des Bündnisses der Theater-schaffenden Russlands sowie Mitglied im Kollegium des Komitees für die Kultur der Stadt Sankt Petersburg und Mitglied der Soros Stiftung. Eröffnet wurde das Theater 1942 und steht seitdem in der Tradition klassischer Schau-spielhäuser. Das Schauspielhaus gehört der Stadt St. Petersburg. 2. Gespräch Bibliothek Datum: 15.7.2008, ca. 1 Stunde Das Gespräch fand am 15. Juli 2008 im Büro der Interviewpartnerin statt und dauerte ca. 1 Stunde. Die Interviewpartnerin arbeitet seit 1996 in dieser Biblio-thek und war davor Bibliothekarin in einer anderen Bücherei. Heute ist sie Stellvertretende Bibliotheksleiterin für Entwicklung, neue Technologien und internationale Beziehungen. Die Bibliothek entstand aus einer privaten Initiative vor 140 Jahren und galt als eine der besten privaten Büchereien in Sankt Peters-burg. 1919 wurde die Bibliothek jedoch verstaatlicht und wurde zur zentralen kommunalen Bücherei. Jetzt befindet sich die Bibliothek in kommunaler Hand und wird durch das Komitee für Kulturelle Angelegenheiten finanziert. 3. Gespräch Museum Datum: 15.7.2008, ca. 45 Minuten

M. Davydchyk, Transformation der Kulturpolitik, DOI 10.1007/978-3-531-18691-7,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012

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Das Gespräch fand am 15. Juli 2008 im Büro der Interviewpartnerin statt und dauerte ca. 45 Minuten. Die Interviewte (Jahrgang: 1953) arbeitet seit über drei Jahrzehnten im diesem Museum und konnte sowohl über die sozialistische Zeit als auch über die Zeit nach der Wende aus eigener Erfahrung erzählen. Nach der Gründung der pädagogischen Abteilung 1998 hat sie die leitende Funktion als Direktorin des pädagogisch-didaktischen Zentrums übernommen. Das Museum gehört zu den größten in Russland und betreibt acht Filialen. Es wurde 1907 gegründet. Mit Unterbrechungen und Auflösung, unter anderem einer Neueröff-nung 1938 arbeitet es seit 1954 kontinuierlich als öffentliche kommunale Ein-richtung und wird durch das Komitee für Kulturelle Angelegenheiten zu ca. 70% finanziert. 4. Gespräch NGO Datum: 14.7.2008, ca. 1,5 Stunden Das Gespräch mit der Direktorin der unabhängigen nicht kommerziellen Orga-nisation der Kultur wurde am 14. Juli 2008 in den Galerieräumen geführt und dauerte ca. 1,5 Stunden. Die Interviewte (Jahrgang 1954) ist Theaterwissen-schaftlerin, Absolventin des Leningrader Instituts für Theater, Musik und Kino-kunst. Sie fing ihre Tätigkeit 1990 als Redakteurin in der Vorgängerorganisation an. Das Kunstzentrum wurde 1991 gegründet und arbeitet als unabhängige Bür-gerinitiative. Das Zentrum besteht aus mehreren Teilen: einer Galerie, einem Design-Studio, einem Fotostudio, einem Verlag, einem Klub für Kinoliebhaber, einer Bücherei, einem Café und einem Souvenirladen. Die Ausstellungen laufen während des ganzen Jahres. 5. Gespräch Galerie Datum: 18.7.2008, ca. 45 Minuten Das Gespräch fand am 18. Juli 2008 in der Galerie statt und dauerte ca. 45 Mi-nuten. Der Interviewpartner, Galerieleiter (Jahrgang 1960) ist Künstler. Nach der Ausbildung zum Restaurator 1985 absolvierte er anschließend das Repin-Institut und die Sankt Petersburger Kunstakademie. 1998 eröffnete er diese kommerzielle Kunstgalerie für seine eigenen Kunstwerke. Die Galerie ist regi-striert als ein Unternehmen. Das Spektrum ist gewachsen und umfasst Peters-burger Künstler und Absolventen der Kunstakademie verschiedener Zeiten.

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Lwiw, Ukraine 1. Gespräch Theater Datum: 30.9.2008, ca. 1 Stunde Das Interview fand am 30. September 2008 im Büro des Interviewpartners statt und dauerte ca. 1 Stunde. Das Theater wurde als erstes Ukrainisches National-theater 1917 in Kiew gegründet. Während des Krieges wurde es evakuiert und erhielt 1944 einen neuen Standort in Lwiw. Der Interviewpartner (Jahrgang 1939) gehört zur Vorkriegsgeneration. Er ist Absolvent des Kiewer Staatlichen Instituts für Theaterkunst Karpenko-Karyj. Seit 1961 arbeitete er als Schau-spieler am Theater. 1987 wurde er zum Theaterintendanten. Neben der künstle-rischen Tätigkeit ist der Interviewpartner Leiter der Lwiwer Gebietsabteilung des Nationalen Theaterverbands der Ukraine und Mitglied der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften. 2. Gespräch Bibliothek Datum: 1.10.2008, ca. 50 Minuten Das Gespräch fand am 01. Oktober 2008 in den Räumen der Bibliothek statt und dauerte ca. 50 Minuten. Die Interviewpartnerin war die Stellvertretende Direktorin der Bibliothek. Zum Zeitpunkt des Gespräches arbeitete sie seit 26 Jahren im Bibliotheksbereich. Ihre Ausbildung zur Bibliothekarin absolvierte sie noch in der Sowjetunion. Die leitende Position erhielte sie 2003. Die Bibliothek gehört zum zentralisierten Bibliothekssystem für Erwachsene der Stadt Lwiw und ist dabei eine der ältesten in der Stadt, gegründet 1947. Die Bibliothek be-findet sich in öffentlicher Hand und unterliegt der Verwaltung für Kultur und Tourismus des Lwiwer Stadtrates. 3. Gespräch Museum Datum: 1.10.2008, ca. 40 Minuten Das Gespräch fand im Büro der Museumsleiterin am 01. Oktober 2008 statt. Aufgrund der zeitlichen Engpässe (Termin bei der regionalen Prüfungskommis-sion) dauerte das Gespräch insgesamt ca. 40 Min. Die Interviewpartnerin arbei-tet in diesem Museum seit der Gründung im Jahre 1973. Nach der Unabhängig-keit der Ukraine übernahm sie die Leitung des Museums. Die Interviewte ist Absolventin der historischen Fakultät der Lwiwer Universität sowie der Lwiwer Wirtschaftsakademie. Neben ihrer Hauptberufstätigkeit ist sie die Ehrenvorsit-

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zende des Vereins der ukrainischen Frauen und Präsidentin der Assoziation der Unternehmerinnen des Lwiwer Gebiets. Das Museum untersteht der Lwiwer Regionalverwaltung. 4. Gespräch Kulturverein NGO Datum: 2.10.2008, ca. 1,5 h Das Gespräch mit dem Direktor des Kulturvereines fand in den Räumen der Galerie des Vereines am 2. Oktober 2008 statt und dauerte ca. 1,5 Stunden. Die Vereinigung hat ihre Wurzeln in einer Studentenbewegung, die die Bekämpfung des Kommunismus in der Ukraine zum Ziel hatte. Der Interviewpartner (Jahr-gang 1966) studierte am Lwiwer Polytechnischen Institut. Er war ein aktiver Teilnehmer der Studentenproteste 1989/1990. Anfang der 90er Jahre war er Vorsitzende der Studentenbewegung Lwiwer Bruderschaft. Neben der kreativen und unternehmerischen Tätigkeit war der Interviewpartner auch politisch aktiv. Er unterstützte nationalistisch orientierte Politiker bei den Parlamentswahlen 1994 und gründete 2004 eine Organisation gegen den Präsidenten Kutschma. 2006 gewann seine Partei 8% bei den Stadtratswahlen. Er wurde Vorsitzender der Kommission für Kulturangelegenheiten, Freizeit, Massenmedien und Tou-rismus im Lwiwer Stadtrat. Die NGO wurde 1993 von Mitgliedern der Studen-tenbruderschaft und Lwiwer Künstlern gegründet. Im März 1997 wurde die Galerie für moderne Kunst eröffnet und ist seitdem Ort zahlreicher Kulturveran-staltungen. Neben dem Galeriebetrieb betreibt der Verein ein Café, das zu einer der Hauptfinanzierungsquellen des Vereins gehört. Außerdem unterstützt die Vereinigung junge Künstler, Musiker und Schriftsteller (als Produzent), betreibt ein Literaturcafé, ein Kunstcafé, eigene Zeitschrift sowie einen Jazzclub und veranstaltet Festivals. 5. Gespräch Galerie Datum: 2.10.2008, ca. 1,5 Std. Das Gespräch wurde am 2. Oktober 2008 in einem Cafe neben der Galerie ge-führt und dauerte ca. eineinhalb Stunden. Den Ort bestimmte der Interviewpart-ner. Der Galerieleiter arbeitete vor der Wende im Nationalmuseum in Lwiw als Leiter der Abteilung für moderne Kunst. Von 1992 bis 1995 moderierte er eine Autorensendung „Galerie“ beim lokalen Radiosender. 1995 gründete er die erste private Kunstgalerie in Lwiw. Er hat keinen kunsthistorischen Hintergrund und nannte sich Selbstdidakt. Noch als Museumsmitarbeiter beschäftigte er sich mit der Lwiwer Kunstszene der 60er Jahre. Als wichtigen Grund für die Eröffnung

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der Galerie nannte der Interviewpartner seine finanzielle Unabhängigkeit. Die Galerie kann auf einen Kreis von Stammkunden zurückgreifen, die in Kunst als Kapitalanlage investieren. Der Raum für die Galerie wird gemietet, weil das Gebäude unter Denkmalschutz steht und nicht verkauft werden kann. Krakau, Polen 1. Gespräch Theater Datum: 1.7.2008, ca. 45 Minuten Das Gespräch fand am 01. Juli 2008 im Büro des Theaterintendanten statt und dauerte ca. 45 Minuten. Der Interviewpartner (Jahrgang 1947) ist Absolvent der Staatlichen Theaterhochschule in Krakau (1971) und betätigte sich nach der Wende als Autor sowie als Filmproduzent und arbeitete an vielen Theatern in Krakau. Er war bereits in den 70er und 80er Jahren an diesem Theater beschäf-tigt und kehrte 2002 als Schauspieler zurück. Seit 2005 ist der Interviewpartner Direktor des Theaters. Das Theater wurde 1955 gegründet, ist ein klassisches Schauspielhaus und betreibt zwei Außenstellen. Es ist eine städtische Kultur-institution; die Stadt übernimmt die gesamten Betriebskosten des Theaters. 2. Gespräch Bibliothek Datum: 2.7.2008, ca. 1 Stunde Das Gespräch fand am 02. Juli 2008 im Lesensaal der Bibliothek außerhalb der Öffnungszeiten statt und dauerte ca. 1 Stunde. Anzumerken ist, dass auch die stellvertretende Bibliotheksleiterin am Gespräch teilnahm, beteiligte sich jedoch kaum daran. Die Bibliotheksleiterin gehört zu der jüngeren Generation der Kulturmanager und ist ausgebildete Bibliothekarin. Sie arbeitete in anderen Bibliotheken und übernahm 2000 die Leitung dieser Bibliothek. Die Krakauer öffentlichen Bibliotheken umfassen vier Hauptbibliotheken, zu welchen auch die untersuchte Bibliothek gehört, und 63 Filialen. Diese Bibliothek hat 17 Fi-lialen, die aus dem kommunalen Budget finanziert werden. 3. Gespräch Museum Datum: 3.7.2008, ca. 1 Stunde Das Gespräch fand am 3. Juli 2008 im Büro des Museumsdirektors statt und dauerte ca. 1 Stunde. Der Interviewpartner gehört zu der älteren Generation der

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Kulturmanager, hat einen technischen Hintergrund und ist seit 1999 Direktor des Museums. Die Geschichte des Museums geht in die 70er Jahre zurück, wo durch die privaten Sammlungen die erste Kollektion des Museums entstand. Noch vor der politischen Wende, aber bereits nach dem Aufstand der Solidar-ność Bewegung wurde das Museum der Kultur- und Tourismusabteilung der Krakauer Regionalverwaltung zugeordnet. Seit 2003 befindet sich das Museum in der Hand der kommunalen Verwaltung. 4. Gespräch NGO Datum: 1.7.2008, ca. 45 Minuten Das Gespräch mit dem Direktor der Kulturvereinigung fand in seinem Büro am 01. Juli 2008 statt und dauerte ca. 45 Minuten. Der Interviewpartner (Jahrgang 1977) wurde erst 2007 Direktor des Kulturzentrums. Davor arbeitete er in einer Universitätsstiftung, die sich mit Organisation und Durchführung von Studen-tenangelegenheiten beschäftigt. Das Kulturzentrum wurde 1978 als Universi-tätseinrichtung gegründet. 1993 wurde ein Verein als Träger und Dachorganisa-tion des Kulturzentrums gegründet. Es verfolgt das Ziel, Jugend- und Studentenkultur zu verbreiten und zu unterstützen. Die Vereinigung organisiert städtische, regionale und internationale Festivals in den Bereichen Theater, Film und Musik, Konzerte und Bildungsveranstaltungen und verfügt über die Räum-lichkeiten auf dem Territorium der Universität. 5. Gespräch Galerie Datum: 2.7.2008, ca. 1 Stunde Das Gespräch fand in der Galerie am 2. Juli 2008 statt und dauerte ca. 1 Stunde. Der Interviewpartner (Jahrgang 1966) hat Kunstpädagogik studiert und arbeitete unabhängig in diesem Beruf. Die Galerie wurde 1989 gegründet. Die Galerie fokussiert sich nicht nur auf den klassischen kommerziellen Galeriebetrieb, sondern führt auch kunstpädagogische Veranstaltungen durch. Die Galerie hat eine Außenstelle und finanziert sich teilweise über ein dort angesiedeltes Inter-netcafé. Weimar, Deutschland 1. Gespräch Theater

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Datum: 23.6.2008, ca. 45 Minuten Das Gespräch fand am 23. Juni 2008 im Büro des Interviewpartners statt und dauerte ca. 45 Minuten. Der Interviewpartner (Jahrgang 1966) ist Sprach-, Lite-ratur- und Wirtschaftswissenschaftler und hat sein Studium nach der Wende beendet. Anschießend war er sowohl im Wirtschafts- als auch im Kulturbereich beschäftigt. Darüber hinaus war er als Autor und Dramaturg tätig. Die leitende Position im Theater übernahm er im Jahr 2003. Daneben lehrt der Inter-viewpartner als Professor Theatermanagement und Ästhetik an mehreren Hoch-schulen. Die Geschichte des Theaters geht ins 18 Jh. zurück. Die Organisations- und Rechtsform des Theaters hat sich nach der Wende mehrmals geändert: vom Eigenbetrieb zu einer gemeinnützigen GmbH. Seit dem 1. Januar 2008 ist das Drei-Sparten-Theater das Staatstheater des Landes. Das Theater bespielt insge-samt sechs Bühnen im ganzen Stadtgebiet. 2. Gespräch Bibliothek Datum: 26.6.2008, ca. 1 Stunde Das Gespräch fand am 26. Juni 2008 in den Räumen der Bibliothek statt und dauerte ca. 1 Stunde. Die Interviewpartnerin (Jahrgang 1952) ist diplomierte Bibliothekarin, arbeitete vor der Wende in diesem Beruf, u. a. auch in der unter-suchten Bibliothek. 1993 übernahm sie dort schließlich die leitende Position. Die Geschichte der Bibliothek geht ins Jahr 1878 zurück, als sie vom Volksbil-dungsverein gegründet wurde. Nach der Wende wurde die Bibliothek von 1996 bis 1998 modernisiert, rekonstruiert und zum Kulturhauptstadtjahr 1999 in Weimar wieder eröffnet. Als städtische Einrichtung befindet sie sich in der öf-fentlichen Hand und unterliegt der Stadt Weimar. 3. Gespräch Museum Datum: 25.6.2008, ca. 45 Minuten Das Gespräch mit dem Museumdirektor fand am 25. Juni 2008 vor Ort im Foyer des Museums statt und dauerte ca. 45 Minuten. Der Interviewpartner (Jahrgang 1966) studierte Bauingenieurwesen sowie Denkmalpflege, promovierte am Lehrstuhl für Denkmalpflege. Nach der Wende war der Interviewleiter im wis-senschaftlichen Bereich tätig, zunächst im Ausland, später in Thüringen. 2006 übernahm er die leitende Position am Museum und ist außerdem als Redakteur tätig. Hervorgegangen aus privaten Sammlungen des 19. Jahrhunderts wurde das Museum 1903 in städtische Verwaltung übernommen und damit zum ersten Stadtmuseum Thüringens. Nach der Wende gerat es jedoch in finanzielle Not

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und blieb von 2003 bis 2006 geschlossen. Das Museum unterliegt der kommu-nalen Verwaltung. 4. Gespräch NGO Datum: 26.6.2008, ca. 1,5 Stunden Das Gespräch fand am 26. Juni 2008 in den Räumen der Organisation statt und dauerte ca. 1,5 Stunden. Der Interviewpartner (Jahrgang 1965) fing 1987 das Studium des Bauingenieurswesens in Weimar an und schaffte in einem leerste-henden Haus kurz vor den politischen Veränderungen und nach der Wende Räumlichkeiten für alternative Kunst- und Kulturangebote. Die Idee und spätere Ausführung der Galerie ging auf die Räume des Hauses zurück, aus denen eine freie, unabhängige Kulturnische in der DDR wurde. Nach der Wende hat der Interviewpartner seinen damaligen Job aufgegeben und fing an, sich hauptbe-ruflich mit der neu geschaffenen Organisation zu beschäftigen. Nach der Wende ergab sich die Möglichkeit, das Gebäude zu erwerben. Die unabhängige Kultur-organisation besteht seit 1988 und ist in der Rechtsform eines Vereins organi-siert. Neben den Ausstellungsräumen und dem kontinuierlichen Ausstellungs-betrieb hat der Verein ein internationales Artist-in-Residence-Programm und betreibt ein Café-Restaurant. 5. Gespräch Galerie Datum: 25.6.2008, ca. 1 Stunde Das Gespräch fand am 25. Juni 2008 in der Galerie statt und dauerte ca. 1 Stunde. Die Galerieleiterin (Jahrgang 1957) arbeitete bis 1989 im wissenschaft-lichen Bereich. 1990 organisierte sie Galerie und Einrahmungswerkstatt. Sie wurde zunächst in der Rechtsform GbR geführt. Seit 2008 betreibt die Inter-viewpartnerin die Galerie ohne Einrahmungswerkstatt als Selbständige.

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Anhang 2: Interviewleitfaden für Expertengespräche 1. Begrüßung und Einstieg Danke, dass Sie sich als Interviewpartner zur Verfügung stellen. Erzählen Sie kurz etwas über sich selbst und Ihren Hintergrund. Mich interessiert außerdem sehr die Frage, woraus entstand damals der Antrieb für das kulturelle Handeln ihrer Einrichtung vor dem politischen Umbruch? Für die Einrichtungen, die erst nach 1989 bzw. 1991 entstanden sind: Was war die Ausgangssituation, die dazu geführt hat, dass Ihre Einrichtung entstanden ist? 2. Auswirkungen der Systemumwandlung Wie haben sich die allgemeinen kulturpolitischen Rahmenbedingungen verän-dert? 3. Konsequenzen dieser Auswirkungen Welche Maßnahmen werden dementsprechend bei Ihnen durchgeführt? Kon-krete Beispiele. Im Mittelpunkt des Interesses stehen Ihre Erfahrungen aus kon-kreten Situationen. 4. Einschätzung hinsichtlich der Transformation der Kulturpolitik Ihre Einschätzung der Vor- und Nachteile der kulturpolitischen Veränderungen. 5. Entwicklungsperspektive und Ausstieg aus dem Interview Welche Faktoren werden die Arbeit ihrer Kultureinrichtung zukünftig bestim-men? Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für das Interview genommen haben.

M. Davydchyk, Transformation der Kulturpolitik, DOI 10.1007/978-3-531-18691-7,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012