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1 Einleitung Der deutsche Finanzdienstleistungsmarkt befindet sich in einer tiefen Krise. Zu hohe Cost-Income-Ratios, eine in weiten Teilen mangelhafte Beratungsqualita ¨t, sich ver- scha ¨rfender Wettbewerb und prozyklisches (Lemming-)Verhalten von einem Großteil der Marktteilnehmer sind nur einige der Ursachen fu ¨ r diese Situation. Der Wirt- schaftsinformatik (WI) als Wissenschaft mit nicht nur Beschreibungs-, Erkla ¨rungs- und Prognose-, sondern auch Gestaltungs- anspruch [WKWI03] stellt sich die Frage, welche positiven Beitra ¨ge zu einer Verbes- serung der Lage geleistet werden ko ¨ nnen ist doch gerade die Finanzbranche fu ¨r die WI von besonderem Interesse. Dort besitzt nicht nur die den eigentlichen Produk- tionsprozess unterstu ¨ tzende Informations- verarbeitung und der Informationsaus- tausch zwischen Aufgabentra ¨gern als Untersuchungsgegenstand hohe Relevanz, sondern die in diesem Markt produzierten Leistungen sind selbst Information. Um aus WI-Sicht theoretisch fundierte, norma- tive Aussagen ableiten zu ko ¨ nnen und da- bei gleichzeitig Lemming-Verhalten vor- zubeugen, soll die Fragestellung, inwieweit o ¨ konomische Theorien zur Fundierung der WI beitragen, in diesem Beitrag ebenso aufgegriffen werden, wie diskutiert werden soll, welche Rolle die WI spielen kann, um der Aussage von August Lo ¨ sch gerecht zu werden, der bereits 1949 gefordert hat: „Das eigentliche Gescha ¨ft der Șkonomen ist nicht, die miserable Wirklichkeit zu er- kla ¨ren, sondern zu verbessern“ [Lo ¨ sc62, 2]. Hierzu einen kleinen Beitrag zu leisten, ist ein wesentliches Ziel unserer Forschungs- arbeit, deren Konzeption in diesem Beitrag ebenfalls zur Diskussion gestellt werden soll. Dazu wird wie folgt vorgegangen. In Ab- schnitt 2 werden zuna ¨chst die Unterneh- men, die im Finanzdienstleistungsmarkt ih- re Leistungen anbieten, charakterisiert und es wird versucht, deren Existenz mithilfe von o ¨ konomischen Theorien zu erkla ¨ren. Anschließend werden in Abschnitt 3 Me- ga-Trends im Finanzdienstleistungsmarkt diskutiert, um darauf aufbauend auf der ei- nen Seite mo ¨ gliche Marktentwicklungen zu antizipieren und damit auf der anderen Seite Forschungsbedarf fu ¨ r die WI zu iden- tifizieren. In Abschnitt 4 wird der For- schungsansatz des im Juni 2002 von der bayerischen Staatsregierung an der Univer- sita ¨t Augsburg eingerichteten Kernkom- petenzzentrums IT & Finanzdienstleistun- gen skizziert und diskutiert. Abschnitt 5 fasst die wesentlichen Ergebnisse des Bei- trages zusammen. 2 Finanzintermedia ¨re und Erkla ¨rungsansa ¨tze zu deren Bestehen Ein Finanzintermedia ¨r (FI) ist in einer en- gen Auslegung definiert als eine Instituti- on, die Kapital von Anlegern entgegen- nimmt und an Kapitalnehmer weitergibt (bspw. Banken, Venture-Capital-Fonds und Versicherungen). Im weiteren Sinne umfassen FI auch Institutionen, die den Handel zwischen Kapitalgebern und -neh- mern ermo ¨ glichen oder zumindest erleich- tern (bspw. Finanzmakler, Bo ¨ rsendienste und Rating-Agenturen) [HWPW00, 3]. WIRTSCHAFTSINFORMATIK 45 (2003) 5, S. 503 508 Die Autoren Hans Ulrich Buhl Dennis Kundisch Prof. Dr. Hans Ulrich Buhl, Dr. Dennis Kundisch, Lehrstuhl fu ¨r Betriebswirtschaftslehre, Wirtschaftsinformatik & Financial Engineering, Kernkompetenzzentrum IT & Finanzdienstleistungen, Universita ¨t Augsburg, Universita ¨tsstraße 16, 86135 Augsburg, Tel.: 0821 598-4141, E-Mail: {Hans-Ulrich.Buhl | Dennis.Kundisch} @wiwi.uni-augsburg.de, URL: http://www.wi-if.de Transformation von Finanzintermedia ¨ren durch Informationstechnologie WI – Schwerpunktaufsatz

Transformation von Finanzintermediären durch Informationstechnologie

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Page 1: Transformation von Finanzintermediären durch Informationstechnologie

1 Einleitung

Der deutsche Finanzdienstleistungsmarktbefindet sich in einer tiefen Krise. Zu hoheCost-Income-Ratios, eine in weiten Teilenmangelhafte Beratungsqualitat, sich ver-scharfender Wettbewerb und prozyklisches(Lemming-)Verhalten von einem Großteilder Marktteilnehmer sind nur einige derUrsachen fur diese Situation. Der Wirt-schaftsinformatik (WI) als Wissenschaftmit nicht nur Beschreibungs-, Erklarungs-und Prognose-, sondern auch Gestaltungs-anspruch [WKWI03] stellt sich die Frage,welche positiven Beitrage zu einer Verbes-serung der Lage geleistet werden konnen –ist doch gerade die Finanzbranche fur dieWI von besonderem Interesse. Dort besitztnicht nur die den eigentlichen Produk-tionsprozess unterstutzende Informations-verarbeitung und der Informationsaus-tausch zwischen Aufgabentragern alsUntersuchungsgegenstand hohe Relevanz,sondern die in diesem Markt produziertenLeistungen sind selbst Information. Umaus WI-Sicht theoretisch fundierte, norma-tive Aussagen ableiten zu konnen und da-bei gleichzeitig Lemming-Verhalten vor-zubeugen, soll die Fragestellung, inwieweitokonomische Theorien zur Fundierungder WI beitragen, in diesem Beitrag ebensoaufgegriffen werden, wie diskutiert werdensoll, welche Rolle die WI spielen kann, umder Aussage von August Losch gerecht zuwerden, der bereits 1949 gefordert hat:„Das eigentliche Geschaft der �konomenist nicht, die miserable Wirklichkeit zu er-klaren, sondern zu verbessern“ [Losc62, 2].Hierzu einen kleinen Beitrag zu leisten, istein wesentliches Ziel unserer Forschungs-arbeit, deren Konzeption in diesem Beitrag

ebenfalls zur Diskussion gestellt werdensoll.

Dazu wird wie folgt vorgegangen. In Ab-schnitt 2 werden zunachst die Unterneh-men, die im Finanzdienstleistungsmarkt ih-re Leistungen anbieten, charakterisiert undes wird versucht, deren Existenz mithilfevon okonomischen Theorien zu erklaren.Anschließend werden in Abschnitt 3 Me-ga-Trends im Finanzdienstleistungsmarktdiskutiert, um darauf aufbauend auf der ei-nen Seite mogliche Marktentwicklungenzu antizipieren und damit auf der anderenSeite Forschungsbedarf fur die WI zu iden-tifizieren. In Abschnitt 4 wird der For-schungsansatz des im Juni 2002 von derbayerischen Staatsregierung an der Univer-sitat Augsburg eingerichteten Kernkom-petenzzentrums IT & Finanzdienstleistun-gen skizziert und diskutiert. Abschnitt 5fasst die wesentlichen Ergebnisse des Bei-trages zusammen.

2 Finanzintermediareund Erklarungsansatzezu deren Bestehen

Ein Finanzintermediar (FI) ist in einer en-gen Auslegung definiert als eine Instituti-on, die Kapital von Anlegern entgegen-nimmt und an Kapitalnehmer weitergibt(bspw. Banken, Venture-Capital-Fondsund Versicherungen). Im weiteren Sinneumfassen FI auch Institutionen, die denHandel zwischen Kapitalgebern und -neh-mern ermoglichen oder zumindest erleich-tern (bspw. Finanzmakler, Borsendiensteund Rating-Agenturen) [HWPW00, 3].

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 45 (2003) 5, S. 503–508

Die Autoren

Hans Ulrich BuhlDennis Kundisch

Prof. Dr. Hans Ulrich Buhl,Dr. Dennis Kundisch,Lehrstuhl fur Betriebswirtschaftslehre,Wirtschaftsinformatik & FinancialEngineering,KernkompetenzzentrumIT & Finanzdienstleistungen,Universitat Augsburg,Universitatsstraße 16,86135 Augsburg,Tel.: 0821 598-4141,E-Mail:{Hans-Ulrich.Buhl | Dennis.Kundisch}@wiwi.uni-augsburg.de,URL: http://www.wi-if.de

Transformation vonFinanzintermediaren durchInformationstechnologie

WI – Schwerpunktaufsatz

Page 2: Transformation von Finanzintermediären durch Informationstechnologie

Neben der Koordinations-, Allokations-und Auswahlfunktion, welche von (Fi-nanz-)Markten allgemein erfullt werden,zeichnen Finanzmarkte und FI insbeson-dere die Funktionen Losgroßen-, Fristen-und Risikotransformation (sog. Transfor-mationsfunktionen) aus [HWPW00, 6].Zudem werden dazu komplementierendLiquiditats- und Informationsleistungenangeboten.

Wissenschaftshistorisch hatte die Fragenach der Existenz von FI zunachst keineBedeutung. Im traditionellen Arrow-De-breu-Modell der Ressourcenallokation in-teragieren Firmen und Haushalte uber effi-ziente Markte, in denen keine weiterenInstitutionen notig sind, um Ressourcen-allokationsprobleme effizient zu losen. Da-rauf aufbauend formulierten Modiglianiund Miller ihre Hypothese der Irrelevanzder Kapitalstruktur, die impliziert, dass Fi-nanzintermediation keinen Nutzenbeitragleisten kann. Diese traditionellen, markt-basierten Modelle stehen offenbar im deut-lichen Gegensatz zur beobachtbaren Situa-tion in der Realwelt [AlSa98, 1463]. DieTheorie der Finanzintermediation setzthier an und versucht zu erklaren, warumFI auftreten und welche Funktionen siewahrnehmen. Dabei stehen insbesonderein den 60ern und 70ern Marktfriktionen,wie bspw. das Vorhandensein von positivenTransaktionskosten und Informationsman-gel, als Erklarungsansatze im Mittelpunkt[BhTh93].

Einige aktuelle und den Markt stark veran-dernde Entwicklungen sind jedoch mit die-sen traditionellen Theorien nicht erklarbar[AlSa98, 1460–1474]:

& Individuen investieren trotz sinkenderTransaktionskosten zunehmend wenigerdirekt in traditionelle Finanzinstrumen-te, wie bspw. Anleihen, Aktien undSichteinlagen. Gleichzeitig hat derMarktanteil, den Intermediare wie ge-schlossene und offene Investmentfonds,Pensionsfonds und Versicherungen insolchen Instrumenten halten, stark zu-genommen.

& Vor allem in den 70ern und 80ern veran-derten sich die Finanzmarkte in Bezugauf die Anzahl und das Design von bor-sen-gehandelten und OTC-Finanz-innovationen (v. a. Derivate) dramatisch[AlGa94]. Interessanterweise sind es ingroßer Mehrheit FI, welche die OTC-Markte nutzen.

& Dass die securitisierten Wertpapiere dieklassischen Konsumentenkredite undDarlehen in den letzten Jahren an Be-deutung uberholt haben, spricht gegeneine zu starke Bedeutung von asym-metrischer Information zur Erklarungdes Marktes, denn sonst musste es derTheorie zur Folge zum „Lemons-Pro-blem“ kommen.

Erst seit 1984 werden diese Entwicklungenund Themen auch in der Literatur adaquataufgegriffen [Stul84]. Der Bedarf nach Risi-komanagement kann in vier Falle eingeteiltwerden [Sant95]: Gewinnvolatilitat, nicht-lineare Steuerregime, positive Konkurskos-ten sowie Kapitalmarkt-Imperfektionen.Die Nachfrage nach Risikomanagement-Leistungen lasst sich zwar auf unterschied-liche Weise erklaren, gemeinsam ist all die-sen Erklarungen aber, dass sie sich nurunzureichend mit den traditionellen Theo-rien begrunden lassen.

Ein neuer Ansatz, der mit den in der Ver-gangenheit zu beobachtenden Entwick-lungen konsistent ist, ist eine Theorie derIntermediation, die einerseits Partizipa-tionskosten – die Kosten der Teilnahme aneinem Finanz(teil)markt und dem standi-gen Monitoring der Marktentwicklungen –einbezieht und andererseits FI und Finanz-markte nicht als alternative (Rivalitats-hypothese), sondern komplementare (Inte-grationshypothese) Durchfuhrungswegeder Kapital- und Risikoallokation auffasst[Mert95, 28]. Empirisch wurde schonmehrfach belegt, dass insbesondere Haus-halte mit wenigen oder keinen Aktien-investitionen sehr weit von der theoreti-schen vollen Partizipation am Finanzmarktentfernt sind. Damit lassen sich auch trotzder gesunkenen Transaktionskosten die zu-ruckgegangenen Direktinvestments in Ak-tien erklaren. Bezieht man die Partizipa-tionskosten mit ein und bedenkt man, dassdie Opportunitatskosten der Zeit in denletzten 15 bis 20 Jahren deutlich angestie-gen sind und die positiven Transaktions-kosteneffekte zum Teil uberkompensierthaben, ist die zu beobachtende Entwick-lung erklarbar [AlSa98, 1482]. Auch kannder Bedarf fur Risikomanagement und dieextensive Nutzung von Derivaten durch FIerklart werden: Um Partizipationskostenfur den Endkunden gering zu halten, mus-sen FI Produkte generieren, die moglichststabile Ruckzahlungen bzw. Renditen auf-weisen (als aktuelles Beispiel mogen hierdie zertifizierten Riester-Produkte fur diestaatlich geforderte private Altersvorsorge

dienen). Die Existenz von FI kann also mit-hilfe von okonomischen Theorien erklartwerden. Auf dieser Grundlage wird nun derStand und die Perspektiven der Finanz-dienstleistungsindustrie diskutiert, um An-satzpunkte fur Forschungsbedarf der WImit Gestaltungsanspruch zu identifizieren.

3 Stand und Perspektivender Finanzdienstleistungs-industrie

Zu Beginn des dritten Jahrtausends befin-det sich der Markt fur Finanzdienstleistun-gen in einer Phase des Umbruchs [dazu sie-he bspw. Kund03]. Global einheitlichwerdende ordnungspolitische Rahmenbe-dingungen (bspw. Regulierung innerhalbdes EU-Binnenmarktes), die Integrationdes europaischen Finanzmarktes, (uber-)al-ternde Gesellschaften in den Industrielan-dern, sich verandernde Lebensarbeitsbedin-gungen und nicht zuletzt dramatischertechnologischer Fortschritt konnen als ei-nige der wichtigsten Veranderungen in denRahmenbedingungen genannt werden, mitdenen sich FI konfrontiert sehen. Durchdie im Ergebnis zunehmend transparentenMarkte und einer weitgehenden „Commo-ditisierung“ werden viele Leistungen imFinanzdienstleistungsmarkt immer ver-gleichbarer. Der dadurch ausgeloste Druckauf die Margen im Zusammenhang mitVersaumnissen bzgl. eines integrierten Er-trags- und Risikomanagements in der Ver-gangenheit und der allgemein schlechtenwirtschaftlichen Lage schlagt sich zurzeitin den Ergebnissen der großen FI nieder,sodass nicht nur Branchenbeobachter vomBankenmarkt in der tiefen Krise sprechen.Die „Commoditisierung“ geht einher miteiner „Reintermediation“, bei welcher dieBedeutung von traditionellen FI – zu-mindest bzgl. des Kontakts zum Endkun-den – stark abnimmt. Standardisierte Fi-nanzdienstleistungen wie bspw. Autover-sicherungen, Konsumentenkredite oderReiseversicherungen werden zur eigentli-chen an den Endkunden verkauften Leis-tung komplementierend mit angeboten.

Doch befindet sich nicht nur die Angebots-seite des Marktes in einer Phase der starkenVeranderung, sondern auch die Privatkun-den – ausgestattet mit leistungsfahigen Ver-gleichsmoglichkeiten [KDEP01], soforti-gem Zugang zu reichhaltigen Informatio-nen und einer gestiegenen Sensibilitat fur

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die Dispositionen ihrer privaten Finanzen(Stichwort Altersvorsorge) – haben sich zuKonsumenten entwickelt, welche die zurVerfugung stehenden Informationen inVerhandlungen auch einzusetzen wissen.Der ehemalige Verkaufermarkt hat sich so-mit zu einem Kaufermarkt entwickelt, beidem der Privatkunde zunehmend individu-elle, aber gleichzeitig kostengunstige, Prob-lemlosungen fur seine Bedurfnisse erwar-tet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass derMarkt nun von Kundenseite durch beson-ders hohes Fachwissen oder gar Rationali-tat [Shef01] gepragt ware – was auch beider Mehrzahl von Beratern kaum zu unter-stellen ist.

Nichtsdestotrotz ist in den letzten Jahren –konsistent mit den �berlegungen in Ab-schnitt 2 – nur ein relativ kleiner Teil vonKonsumenten zu aktiven Marktpartizipan-ten geworden. Ursprunglich wesentlichpositiver lautende Marktstudien bspw. furden E-Brokerage-Markt mussten revidiertwerden und auf eine Phase des Hype undder unreflektierten, betriebswirtschaftlichnicht fundierten Investitionen befindet sichder Markt aktuell in einer Konsolidie-rungsphase. Gleichwohl ubt die Prasenzder am Markt verbliebenen – weitgehendimmer noch defizitaren – Direktbrokerund Vergleichsplattformen starken Druckauf die Margen im Gesamtmarkt aus undverstarkt die Notwendigkeit der Anpas-sung von Marktbearbeitungsstrategien vongroßen FI. Eine ahnliche Entwicklungkann uber den Markt mit mobilen Finanz-dienstleistungen berichtet werden. Nacheiner Phase unreflektierter Investitionen er-folgte in den letzten beiden Jahren – eben-so unreflektiert – ein fast volliger Ruckzugaus diesem durchaus zukunftstrachtigenGeschaftsfeld (beispielhaft seien hier das2002 gescheiterte Projekt „Mobilbank“von LBBW und Mobilcom oder das 2002beendete Engagement der Deutschen Bankbei der Paybox-Gruppe genannt).

Charakteristisch fur große FI ist, dass neuegeschaftliche, prozessuale sowie tech-nologische Innovationen unter Wett-bewerbsaspekten derzeit nicht mit einemvertretbaren Zeit- und Ressourceneinsatzrealisiert und genutzt werden konnen, dasich die Applikationen der FI durch Eigen-schaften wie hohe Komplexitat, monolithi-sche, isolierte Struktur und nicht standardi-sierte Schnittstellen und Vernetzungcharakterisieren lassen. Folglich wird derweitaus großte Teil der derzeitigen IT-Kos-ten durch Umstellungen, Erweiterungen

und Wartung vorhandener, komplexer undmonolithischer Applikationen und Syste-me verursacht. Durch die vielen Insel-losungen konnen viele FI die an sicherreichbaren Fixkostendegressionseffektedurch IT mit Hilfe von durchgangigenProzessen nicht realisieren. �hnlich denPlattformstrategien in der Automobil-industrie erscheinen jedoch gerade diesebei einer heterogenen Kundschaft und un-terschiedlichen Bedurfnissen – aber auchhochst unterschiedlichem potenziellem Er-gebnisbeitrag aus Sicht eines FI – die ein-zige Moglichkeit, kostengunstig und trotz-dem kundenindividuell zu produzieren[vgl. auch Voit02].

In einem solchen Marktumfeld kann zu-kunftig nur uber die ausreichende Reali-sierung von Skaleneffekten z. B. durch diegenannte Plattformstrategie und der signifi-kanten Reduzierung der Fertigungstiefe derLeistungen im Sinne einer Industrialisie-rung des Finanzdienstleistungs- und ins-besondere des Bankgeschafts nachhaltigund profitabel am Markt agiert werden.Dies fuhrt zu spezialisierten Unternehmen,die entweder keinen Endkundenkontaktmehr haben (bspw. ETB oder Eurohypo)oder auf Relationship-Management fokus-siert sind. Die letzteren ziehen sich jedochdurch die von den Kapitalmarkten (teilwei-se wegen des „overbanking“ in Deutsch-land vollig zurecht) geforderte Kostensen-kung aus der Flache durch Filialschließun-gen und massive Entlassungen partiell

zuruck. Neben der oben genannten „Re-intermediation“ im Bereich hochstandardi-sierter Finanzdienstleistungen und den da-mit fur FI als Relationship-Manager ver-loren gehenden wichtigen Informationenuber das Verhalten und die Bedurfnisse ih-rer Kunden wird der Aufbau von personli-chen Trust-Beziehungen dadurch zusatz-lich erschwert. Offensichtlich bietet sichhier vielfaltiges Gestaltungspotenzial furdie WI, um an den richtigen Stellen zu hel-fen, durch den zielgerichteten Einsatz vonIT Kosten zu senken und/oder zusatzlicheErtrage zu generieren. Diese These wird imnachsten Abschnitt aufgegriffen und dis-kutiert.

4 Forschungskonzeptionund beispielhafteKonkretisierung

Im Folgenden wird unsere Forschungs-konzeption vorgestellt und anhand einerkonkreten Problemstellung exemplarischillustriert.

4.1 Forschungskonzeption

Unsere Forschungskonzeption basiert aufder Methodologie des kritischen Rationa-lismus. Entsprechend der nomologisch-deduktiven Vorgehensweise, die im Hem-

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Kernpunkte fur das Management

& Um Lemming-Effekte und andere Fehlentwicklungen im Finanzdienstleistungsmarkt, wiesie in den letzten Jahren in beide Richtungen zu beobachten waren, zu vermeiden, ist dieEntwicklung von theoretisch fundierten Gestaltungsempfehlungen notig.

& Bei der Reduzierung der Fertigungstiefe im Finanzdienstleistungsmarkt und der notigenSpezialisierung ist eine flexible und anpassbare Applikationslandschaft ein entscheiden-der Erfolgsfaktor.

& Nachhaltig erfolgreich sein wird derjenige Finanzintermediar, der die Innovationschanceder IT fur eine integrierte Multi-Kanalsteuerung dazu nutzt im Rahmen einer langfristigen,potenzialorientierten Customer-Lifetime-Value-Betrachtung dem Kunden individuell undbedarfsorientiert zu den richtigen Zeitpunkten wirtschaftlich tragfahige Angebote zu ma-chen, welche die kundenindividuellen qualitativen und quantitativen Ziele berucksichtig-ten.

Stichworte: Finanzintermediar, IT, Risikomanagement, Individualisierung, Personalisierung,Asymmetrische Information, Transaktionskosten, Finanzdienstleistungen

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pel-Oppenheim-Schema zum Ausdruckkommt, leiten wir aus relevanten okono-mischen Theorien, bspw. der Investitions-,Nutzen- oder Entscheidungstheorie, Hy-pothesen uber die Gestaltung von Informa-tionssystemen im Bereich der Finanzwirt-schaft ab.

Bis Ende der 90er Jahre standen dabei zu-nachst entscheidungsorientierte Theorienbasierend auf der Annahme der Akteureals idealtypischer, rational handelnder ho-mo oeconomicus im Vordergrund, bspw.auf Basis von nutzentheoretischen Model-len und einem zugrundliegenden Kapital-wert- oder Rendite-Risiko-Kalkul nachSteuern [bspw. Buhl94; BSWW99]. Hinter-grund war die �berlegung, dass sich derGestaltungsanspruch der WI, bspw. inSelbstberatungs- oder Beratungsunterstut-zungssystemen, in theoretisch fundiertenEmpfehlungen niederschlagen und nichtmodischen Trends, welche oft Lemming-Effekte [FiHa02] verstarken, gefolgt wer-den sollte. Letzteres ist zu befurchten,wenn lediglich das in der Vergangenheitbeobachtbare Verhalten von Kunden(grup-pen) evaluiert und bspw. auf Grundlagevon verhaltensorientierten Ansatzen (wieBehavioral Finance [Shef01]) unreflektiertEmpfehlungen aufgebaut werden. Eine zustarke Orientierung an diesen verhaltens-orientierten (bzw. auf verhaltensrealen imGegensatz zu verhaltensidealen Modellenbasierenden) Ansatzen birgt die Gefahr,dass die teilweise zu beobachtende Irratio-nalitat von Entscheidungstragern auchnoch automatisiert wird und auf diese Wei-se durch die Induktion homogener Verhal-tensweisen die an den Kapitalmarkten be-obachtbaren �bertreibungen mit ihrenVolatilitatsfolgen gefahrlich verstarkt wer-den. Damit soll die Forschung auf diesenGebieten keinesfalls abgewertet werden.Naturlich sind diese Ansatze wichtig, um(bspw. als Ausgangspunkt einer Beratung)das Verhalten und die Einstellungen vonKunden besser erklaren zu konnen.

Andererseits ist klar, dass Kunden genausowie Unternehmen auch qualitative Fak-toren in ihr Entscheidungsverhalten miteinbeziehen. Daher ist die Akzeptanz sol-cher Theorien und darauf aufbauender IT-Systeme mit einfachen quantitativen Ziel-funktionen/Restriktionen in der Praxisbegrenzt. Wir haben daher seit Ende der90er Jahre zunachst in offentlich geforder-ten Projekten und spater auch in Praxis-projekten versucht, neben quantitativenauch qualitative Kundenaspekte (wie bspw.

Convenience-Ziele, Vorlieben, Einstellun-gen etc.) sowohl in der Kundenmodellie-rung als auch in der Losungsfindung zuberucksichtigen [FSVo00; BuWo00;Kund03, BFVo03]. Dabei hat sich in derpraktischen Anwendung der Ansatz, eineKonvexkombination von quantitativenund qualitativen Faktoren in Zielfunktio-nen abzubilden, weniger bewahrt1 als derAnsatz, dem Kunden aus dem mehrdimen-sionalen Raum qualitativer und quantitati-ver Faktoren verschiedene effiziente Lo-sungen zu prasentieren, aus welchen ernach seinen Zielen, Einstellungen und Vor-lieben auswahlen kann. Der Vorteil dieserVorgehensweise in einem Beratungs- (undHaftungs-)Kontext besteht insbesonderedarin, dass die quantitativen Losungsunter-schiede explizit klar werden und der Kun-de mithin den trade-off zu den qualitativenAspekten leichter abwagen und entschei-den kann.

Auch die oben vorgestellte Mega-Trend-Analyse basiert einerseits auf solchen ent-scheidungsorientierten Ansatzen und an-dererseits auf einer Berucksichtigungabweichenden menschlichen Entschei-dungsverhaltens. Die dadurch antizipiertenallgemeinen Marktentwicklungen bildenden Rahmen, um konkrete Fragestellungenaus Sicht der WI aufzugreifen. Dabeikann auch zunachst die Entwicklung neu-er finanzwirtschaftlicher Modelle oderLosungsansatze im Vordergrund stehen,sofern in der praktischen Anwendung De-fizite erkannt wurden, welche mit vorhan-dener Literatur nicht behoben werdenkonnen [bspw. BHRS03; Huth03].

Die in offentlich geforderten Projektenentwickelten theoretischen Konzepte bzw.abgeleiteten Hypothesen konkretisierensich bei positiver Evaluation dann in ange-wandten Forschungsprojekten mit der Pra-xis in Anwendungssystemen (oder Pro-totypen) als „implementierte Hypothesen“[WKWI03], die wir versuchen – soweitdas im Praxisumfeld moglich ist – im Sinnevon Popper zu uberprufen. Diese Ruck-koppelung der Praxis mit der Theorie liefertuns wichtige Anregungen undHinweise fureine Verbesserung der dem jeweiligen Pro-totypen zugrundeliegenden theoretischen�berlegungen und wirft insbesondereneue, bisher nicht berucksichtigte Fra-gestellungen auf.2

4.2 Konkretisierunganhand der BeispieldomanePrivatkundengeschaft

Man stelle sich vor, FI waren in der Lage,ihren Kunden lebensbegleitend und indivi-duell ein umfassendes, nach Steuern opti-miertes, ertrags-/risikoeffizientes Port-foliomanagement unter Berucksichtigungihres Immobilienvermogens und andererWertgegenstande anzubieten (hard skills)und dabei die wechselnden bzw. sich ent-wickelnden Einstellungen, Vorlieben desKunden zu berucksichtigen (soft skills).Man stelle sich weiterhin vor, sie waren inder Lage, dabei nicht prozyklisch, sondernantizyklisch zu beraten mit dem Ziel derAnnaherung des Kundenverhaltens an denhomo oeconomicus und hierzu fur das lau-fende Monitoring die Chancen der moder-nen IT so weit zu nutzen, wie das sowohlwirtschaftlich als auch im Interesse desKunden ist (eine eigenstandige Problemlo-sung kommt dabei i. d. R. aufgrund derprohibitiven Partizipationskosten nicht inFrage (vgl. Abschnitt 2)). Ware diese Visionumgesetzt, waren fur Kunden aller Ein-kommens- und Vermogenskategorien Prob-leme der Altersvorsorge, Vermogensbil-dung und -verwaltung wesentlich einfacherzu losen als heute.

Die heutige Realitat ist dagegen u. a. vonfolgenden Defiziten gepragt: Eine kon-sequente Nachsteuer-Portfoliooptimierungwird nach unserer Kenntnis selbst in denobersten Kundensegmenten von keinem FIangeboten. Dies gilt selbst dann, wenn demKunden Financial-Planning-Services offe-riert werden. Das Vermogen wird i. d. R.mit pauschalen Daumenregeln auf ver-schiedene Anlagekategorien (und oft auchvom Kunden zwecks Risikostreuung aufverschiedene Anbieter, die teils nichts voneinander wissen (sollen) und teils auchnicht zusammenarbeiten konnen oder wol-len) aufgeteilt. Die einzelnen Portfolio-manager werden sowohl in der „individu-ellen“ Vermogensverwaltung als auch alsFondsmanager relativ zur jeweiligen (vorSteuer) Benchmark kurzfristig gemessenund sind demzufolge kaum in der Lage,langfristige Strategien umzusetzen. �ber-greifende Aggregationsservices sind nochselten, dementsprechend teuer und be-schranken sich i. d. R. auf das jahrliche oderquartalsweise Reporting sowie High-Level-Empfehlungen. Folge sind bereits statischineffiziente Portfolios aufgrund unzurei-chender Gesamtinformationen uber den

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Kunden bzw. mangelnder Berucksichti-gung der vorliegenden Information. Diesich aufgrund der Weiterentwicklung desKunden (wie z. B. zunehmenden Alters,sich verandernder Steuerbelastung, fami-liare Situation etc.) ergebenden Port-folioanpassungen werden weder durch dielaufenden Cash Inflows konsequent vor-genommen, noch fließen bei Reallokations-empfehlungen die Transaktionskosten indie Entscheidungen korrekt ein [Dzie02].Folge ist auch dynamische Ineffizienz. Er-trags-/ Risikoeffizienz wird so weder apriori konsequent angestrebt noch ex postim Performancereporting gemessen/uber-pruft. Daruber hinaus werden selbst dieobersten Kundesegmente im Rahmen desPerformancereportings von den Anbieternhochst unterschiedlich und daher sowohlinkonsistent als auch i. d. R. methodischfehlerhaft informiert [BHRS03; Huth03].

Welche �berlegungen wurde man sich beider Behebung solcher Defizite und derschrittweisen Umsetzung der o. g. Visionaus Sicht der finanzwirtschaftlich orientier-ten WI machen? Unterstellt man langfristigzumindest schwache Informationseffizienzauf den Finanzmarkten, so konnen Port-foliooptimierungsmethoden wenigstens furlangfristige Allokationsentscheidungen ge-nutzt werden. Allerdings musste hierbeidie sehr unterschiedliche steuerliche Be-handlung verschiedener Anlageformen be-rucksichtigt werden. Geht man angesichtsder Erfahrungen der letzten Jahre weiter-hin davon aus, dass die Markte jedochkurz- und mittelfristig nicht informations-effizient sind, sondern dass es zu �bertrei-bungen in beide Richtungen aufgrund deroben diskutierten Lemming-Effekte (auchdurch die von vielen Marktakteuren einge-setzten Chart-Techniken) kommt, so wirddie Bedeutung eines laufenden Monitoringund antizyklischer Beratung deutlich.Steigt ein(e Gruppe von) Anlagetitel(n) c.p.im Wert und damit der Portfolioanteil, sosollte dieser durch entsprechende Investi-tion der „Cash Inflows“ in andere Titeloder transaktionskostenoptimierte Real-lokation [Dzie02] gesenkt werden. Fallt erdagegen, so sollte durch Nachinvestitionder Anteil wieder erhoht werden. Betrach-tet man dagegen reale Portfolios/vieleEmpfehlungen, stellte man sowohl imNew-Economy-Hype 1999/2000 als auchin der seitherigen Depression betrachtlicheIneffizienzen infolge passiver Strategienund insb. infolge von Lemming-Effektenfest.

Moderne Informations- und Kommunika-tionssysteme (IKS) ermoglichen einekostengunstige Reduzierung solcher Inef-fizienzen. Real-time- bzw. Near-time-Kapitalmarktdaten werden als Entschei-dungsgrundlage immer kostengunstigerverfugbar, ebenso sinken die Transaktions-kosten kontinuierlich. Nach entsprechen-der Investition in die Erhebung der erfor-derlichen Kundendaten (die in den oberenSegmenten z. T. mit vertretbarem Aufwandnoch manuell wirtschaftlich ist, wahrendim Retailsegment oft nur die Erhebungdurch Internet-Fragebogen und Customer-Tracking verbleibt) und die Erweiterungder Kundenmodelle und Datenbankendurch entscheidungsrelevante harte undweiche Daten, sind die o. g. Defizite immerdann durch IKS-Einsatz zum kosten-gunstigen Monitoring wirtschaftlich redu-zierbar, wenn die (Re-)Allokationentschei-dung ohne Kontaktaufnahme des Beratersmit dem Kunden moglich ist. Dies gilt so-wohl bei vollstandiger Delegation auf denVermogensverwalter als auch bspw. beiNutzung eines entsprechenden Bera-tungs-/Entscheidungssystems des Retail-kunden im Internet. Umso teurer wird dasnaturlich dann, je mehr sich der KundeEntscheidungen vorbehalt. Aber selbstdann konnen durch den Einsatz von CTI-Technologien oder mehr noch durch denEinsatz mobiler Endgerate uber GPRS-ge-bundene Datenkommunikation die Kom-munikationskosten erheblich reduziertwerden. Wie wir vor kurzem berechnet ha-ben, lohnt sich zumindest fur das Top-Kundensegment bereits heute das laufendeMonitoring/Tracking der Kundendepotsmit entsprechenden Simulationsmoglich-keiten unterschiedlicher Anlagestrategienzum Beratungszeitpunkt mit der Moglich-keit, den stationaren Berater via Festnetzlaufend uber interessante Entwicklungenzu informieren und in Ausnahmesituatio-nen auch mobile Berater (bzw. stationarein der Freizeit) uber mobile Datenkom-munikation uber kompakte Digital-Assis-tants (wie MDAs/XDAs) mit hochverdich-teter, aber entscheidungsrelevanter Infor-mation zu kontaktieren. Bei weitererIKS-Verbilligung konnen auch kontext-sensitive Losungen, die heute noch alsZukunftsmusik erscheinen mogen, wirt-schaftlich werden. Auch in diesem Bereichentstehen aufgrund des Vertrauensverhalt-nisses von Banken zu ihren Kunden inte-ressante kunftige Geschaftsfelder, welchederzeit in unserer offentlich gefordertenForschung untersucht werden. Wir sinddavon uberzeugt, dass das Potenzial mobi-

ler Endgerate fur solche Losungen derzeitgenauso unterschatzt wird wie im Hypedas Potenzial von WAP-Losungen uber-schatzt wurde.

Um das oben angesprochene Innovations-potenzial ausschopfen und gleichzeitig dienotigen Fixkostendegressionseffekte durchdie Reduzierung der Fertigungstiefe undder Vermeidung von Mehrfachimplemen-tierungen und -wartungen realisieren zukonnen, ist eine flexible IT-Architekturnotwendige Voraussetzung. Dabei mussdie Planung und Weiterentwicklung einzel-ner Applikationen zwingend in ein ganz-heitliches Konzept, welches fachliche Fest-legungen und Vorgaben, Organisation undProzesse sowie informationstechnische Be-lange durchgangig integriert, eingebettetwerden. Bisher fehlen unserer Erfahrungnach derartige Konzepte in der Praxismeist ganzlich und werden auch von wis-senschaftlicher Seite meist nur durch all-gemeine Methoden und Techniken abge-deckt. Aktuelle Forschungsarbeiten desKernkompetenzzentrums, die zwecks en-ger Zusammenarbeit mit der Praxis in ei-nen entsprechenden Schwerpunkt der GI-Fachgruppe Informationssysteme in derFinanzwirtschaft eingebettet sind, setzenhier an, um finanzdienstleistungstypischeApplikationsarchitekturen mit Referenz-charakter zu entwickeln. Nach unserer�berzeugung sind auf diesem Gebiet we-sentliche Fortschritte erforderlich, um dieIT-Effizienz im gesamten Finanzdienstleis-tungssektor auf ein international wett-bewerbsfahiges Niveau zu steigern.

5 Zusammenfassungund Ausblick

Nach einer kurzen Aufarbeitung der Theo-rie der Finanzintermediation, um die Exis-tenz von FI zu erklaren, wurden in diesemBeitrag zunachst Stand und Perspektivendes Finanzdienstleistungsmarktes dar-gestellt sowie Forschungsbedarf aus Sichtder WI identifiziert. In einem zweitenSchritt wurde unsere Forschungskonzep-tion am Kernkompetenzzentrum IT & Fi-nanzdienstleistungen an der UniversitatAugsburg zur Diskussion gestellt. Entspre-chend der nomologisch-deduktiven Vor-gehensweise, die im Hempel-Oppenheim-Schema zum Ausdruck kommt, leiten wiraus relevanten okonomischen Theorien,bspw. der Investitions-, Nutzen- oder Ent-

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Transformation von Finanzintermediaren durch Informationstechnologie 507

Page 6: Transformation von Finanzintermediären durch Informationstechnologie

scheidungstheorie, Hypothesen uber dieGestaltung von Informationssystemen imBereich der Finanzwirtschaft ab. Beispiel-haft haben wir als Konkretisierung denEinsatz von IT zur Erlangung von Wett-bewerbsvorteilen im Bereich des Privat-kundengeschafts und einige wesentlicheAnsatzpunkte fur den Gestaltungsauftragder WI diskutiert.

Anmerkungen

1 Ursachlich hierfur sind neben der schwie-rigen vollstandigen Erhebung und Quanti-fizierbarkeit einiger qualitativer kundenre-levanter Faktoren zum einen das Problem,einen sinnvollen einheitlichen Bewertungs-maßstab fur die quantitativen und qualitati-ven Ziele zu finden und zum anderen nochwichtiger, dass bei einer Abbildung mehre-rer Ziele auf eine Zielfunktion wertvolleInformation verloren gehen kann. Aus derVektoroptimierung ist ja auch wohl-bekannt, dass nur unter sehr restriktivenVoraussetzungen die aquivalente Abbil-dung auf eine skalare Zielfunktion moglichist. Vgl. hierzu bspw. [BSWi95].

2 Bspw. werden in der von der DFG gefor-derten Forschergruppe Augsburg-Nurn-berg (FAN) in Zusammenarbeit mit Kolle-gen der Bank- und Finanzwirtschaft, derAngewandten Informatik sowie der �ko-nomie der Informationsgesellschaft grund-legende Fragen der „ElektronischenDienstleistungswirtschaft“ erforscht. Imvom bayerischenWissenschaftsministeriumgeforderten Forschungsverbund „Situie-rung, Individualisierung und Personalisie-rung“ (FORSIP) werden in Zusammen-arbeit mit Kollegen der WI und Informatik(u. a. mobile) adaptive Systeme erforscht,die sich individuell an unterschiedliche Le-benssituationen und Rollen des Nutzersanpassen konnen.

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Abstract

Transformation of financial intermediaries through IT

The German financial services market is in a fundamental phase of transition and many bigGerman financial services providers are in crisis. Business information system sciences mayhelp a great deal improving the situation by the development of theory-based recommenda-tions. In this contribution the current state of the market as well as its perspectives for thefuture are presented. Moreover, up-to-date research projects in the domain are discussed.

Keywords: financial intermediary, bank, insurance, risk management, asymmetric informa-tion, individualization, personalization, transaction cost, financial services

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