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Die Angewandte Makromolekulare Chemie 272 (1999) 27–33 (Nr. 4752) 27 Transkristallisation in naturfaserversta ¨ rktem Polypropylen Ina Mildner, Andrzej K. Bledzki* Universita ¨t Gh Kassel, Institut fu ¨r Werkstofftechnik, Kunststoff- und Recyclingtechnik, Mo ¨nchebergstr. 3, 34109 Kassel, Deutschland ZUSAMMENFASSUNG: Mittels thermomikroskopischer Analyse wurden sowohl der Einfluß der thermi- schen Bedingungen (Kristallisationstemperatur, Abku ¨hlgeschwindigkeit) als auch der Einfluß unterschiedli- cher Faserbehandlungen auf die Transkristallisation von Polypropylen untersucht. Die Untersuchungen zeig- ten, daß die Nukleierungsdichte von unbehandelten und mit MAH-PP behandelten Jutefasern aufgrund der vera ¨nderten chemischen Zusammensetzung und physikalischen Eigenschaften der Faseroberfla ¨che ho ¨her als bei alkalisierten Jutefasern ist. Mit zunehmender Kristallisationstemperatur verschiebt sich das Dickenmaxi- mum der transkristallinen Schicht bei Anwesenheit von Jutefasern zu ho ¨heren Kristallisationszeiten. Die Abha ¨ngigkeit der Wachstumsrate der transkristallinen Schicht von der Kristallisationstemperatur kann mit den experimentell ermittelten Daten als eine Beziehung vom Arrhenius-Typ dargestellt werden. Bei nicht- isothermer Kristallisation verschiebt sich erwartungsgema ¨ß der Beginn der Transkristallisation mit zuneh- mender Abku ¨hlgeschwindigkeit zu niedrigeren Temperaturen. SUMMARY: The influence of thermal conditions (recrystallisation temperature, cooling rate) as well as of different fibre treatments on the crystallisation of polypropylene was examined by using melting-microscopic analysis. The results of these investigations show that the nucleation density of untreated and MAH-grafted polypropylene treated jute fibres is higher in comparison with alkalised jute fibres because of differences in the chemical composition and physical properties of the fibre surface. With increasing recrystallisation tem- perature the maximum of transcrystalline layer thickness was shifted to higher crystallisation times. Experi- mental data of this coherence were successfully fitted by using a simple Arrhenius-type relationship. Regard- ing non-isothermal crystallisation, the beginning of transcrystallisation was shifted, as expected, to lower temperatures with increasing cooling rate. 1 Einleitung Die Eigenschaften faserversta ¨rkter teilkristalliner Ther- moplaste werden neben den klassischen Verbundparame- tern (Fasergehalt, -orientierung) u. a. wesentlich durch ihre kristalline Struktur beeinflußt. Die Kristallisation in der Grenzschicht ist von großer Bedeutung fu ¨r die Adha ¨- sion zwischen Faser und Matrix solcher Verbundwerk- stoffe, wobei u ¨bermolekulare Strukturen in der Grenz- schicht Einfluß auf die Faser/Matrix-Haftung nehmen ko ¨nnen und somit fu ¨r die mechanischen Eigenschaften der Verbunde (Krafteinleitungsproblematik) eine ent- scheidende Rolle spielen. Diese U ¨ berstrukturen werden einerseits durch den molekularen Aufbau der polymeren Matrix andererseits durch die thermischen Bedingungen (z. B. Kristallisationstemperatur, Abku ¨hlgeschwindig- keit), mechanischen Belastungen sowie durch die Anwe- senheit von Fremdstoffen, wie beispielsweise Versta ¨r- kungsfasern, beeinflußt. Folglich kann durch Einstellen verarbeitungsbedingter Parameter die Morphologie z. B. durch isotherme Kristallisation bei verschiedenen Ab- ku ¨hlgeschwindigkeiten in einem weiten Bereich variiert bzw. gezielt eingestellt werden. 1.1 Definition der Transkristallisation Die Erscheinung einer heterogenen Nukleierung mit aus- reichend hoher Dichte entlang der Faseroberfla ¨che, wel- che das spha ¨rolithische Wachstum einschra ¨nkt, so daß sich eine gleichma ¨ßige Schicht um die Faser herum ent- wickelt, wird als Transkristallisation (Abb. 1) bezeich- net 1, 2) . Transkristallisation kann demnach als eine orien- tierte Kristallisation in der Faser/Matrix-Grenzschicht teilkristalliner thermoplastischer Verbunde betrachtet * Correspondence author. a Vortrag anla ¨ßlich des „2 nd International Wood and Natural Fibre Composites Symposium“, 28. – 29. Juni 1999 in Kassel/ Deutsch- land. Die Angewandte Makromolekulare Chemie 272 i WILEY-VCH Verlag GmbH,D-69451 Weinheim 1999 0003-3146/99/0112–0027$17.50+.50/0 Abb. 1. Trankristallisation entlang einer Faser 5) .

Transkristallisation in naturfaserverstärktem Polypropylen

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Die Angewandte Makromolekulare Chemie272(1999) 27–33 (Nr. 4752) 27

Transkristallisation in naturfaserversta rktem Polypropylen

Ina Mildner, Andrzej K. Bledzki*

Universitat Gh Kassel, Institut fu¨r Werkstofftechnik, Kunststoff- und Recyclingtechnik, Mo¨nchebergstr. 3,34109 Kassel, Deutschland

ZUSAMMENFASSUNG: Mittels thermomikroskopischer Analyse wurden sowohl der Einfluß der thermi-schen Bedingungen (Kristallisationstemperatur, Abku¨hlgeschwindigkeit) als auch der Einfluß unterschiedli-cher Faserbehandlungen auf die Transkristallisation von Polypropylen untersucht. Die Untersuchungen zeig-ten, daß die Nukleierungsdichte von unbehandelten und mit MAH-PP behandelten Jutefasern aufgrund derveranderten chemischen Zusammensetzung und physikalischen Eigenschaften der Faseroberfla¨che hoher alsbei alkalisierten Jutefasern ist. Mit zunehmender Kristallisationstemperatur verschiebt sich das Dickenmaxi-mum der transkristallinen Schicht bei Anwesenheit von Jutefasern zu ho¨heren Kristallisationszeiten. DieAbhangigkeit der Wachstumsrate der transkristallinen Schicht von der Kristallisationstemperatur kann mitden experimentell ermittelten Daten als eine Beziehung vom Arrhenius-Typ dargestellt werden. Bei nicht-isothermer Kristallisation verschiebt sich erwartungsgema¨ß der Beginn der Transkristallisation mit zuneh-mender Abku¨hlgeschwindigkeit zu niedrigeren Temperaturen.

SUMMARY: The influence of thermal conditions (recrystallisation temperature, cooling rate) as well as ofdifferent fibre treatments on the crystallisation of polypropylene was examined by using melting-microscopicanalysis. The results of these investigations show that the nucleation density of untreated and MAH-graftedpolypropylene treated jute fibres is higher in comparison with alkalised jute fibres because of differences inthe chemical composition and physical properties of the fibre surface. With increasing recrystallisation tem-perature the maximum of transcrystalline layer thickness was shifted to higher crystallisation times. Experi-mental data of this coherence were successfully fitted by using a simple Arrhenius-type relationship. Regard-ing non-isothermal crystallisation, the beginning of transcrystallisation was shifted, as expected, to lowertemperatures with increasing cooling rate.

1 EinleitungDie Eigenschaften faserversta¨rkter teilkristalliner Ther-moplaste werden neben den klassischen Verbundparame-tern (Fasergehalt, -orientierung) u.a. wesentlich durchihre kristalline Struktur beeinflußt. Die Kristallisation inder Grenzschicht ist von großer Bedeutung fu¨r die Adha-sion zwischen Faser und Matrix solcher Verbundwerk-stoffe, wobei u¨bermolekulare Strukturen in der Grenz-schicht Einfluß auf die Faser/Matrix-Haftung nehmenkonnen und somit fu¨r die mechanischen Eigenschaftender Verbunde (Krafteinleitungsproblematik) eine ent-scheidende Rolle spielen. Diese U¨ berstrukturen werdeneinerseits durch den molekularen Aufbau der polymerenMatrix andererseits durch die thermischen Bedingungen(z.B. Kristallisationstemperatur, Abku¨hlgeschwindig-keit), mechanischen Belastungen sowie durch die Anwe-senheit von Fremdstoffen, wie beispielsweise Versta¨r-kungsfasern, beeinflußt. Folglich kann durch Einstellenverarbeitungsbedingter Parameter die Morphologie z.B.durch isotherme Kristallisation bei verschiedenen Ab-kuhlgeschwindigkeiten in einem weiten Bereich variiertbzw. gezielt eingestellt werden.

1.1 Definition der Transkristallisation

Die Erscheinung einer heterogenen Nukleierung mit aus-reichend hoher Dichte entlang der Faseroberfla¨che, wel-che das spha¨rolithische Wachstum einschra¨nkt, so daßsich eine gleichma¨ßige Schicht um die Faser herum ent-wickelt, wird als Transkristallisation (Abb. 1) bezeich-net1, 2). Transkristallisation kann demnach als eine orien-tierte Kristallisation in der Faser/Matrix-Grenzschichtteilkristalliner thermoplastischer Verbunde betrachtet

* Correspondence author.a Vortrag anlaßlich des „2nd International Wood and Natural Fibre Composites Symposium“, 28.–29. Juni 1999 in Kassel/ Deutsch-

land.

Die Angewandte Makromolekulare Chemie272 i WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim 1999 0003-3146/99/0112–0027$17.50+.50/0

Abb.1. Trankristallisationentlang einerFaser5).

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werden3), wobei die Nukleierungsrate der Faser hoherseinmuß alsin derMatrix selbst4).

1.2 Einflußfaktoren

Der VorgangderTranskristallisationist eineFunktion derNukleierungsaktivitat der Faseroberflache und Kristalli-sationskinetik der Matrix6), d.h. die Transkristallisationwird charakteristisch von der Kombination „Faser–Matrix“ bestimmt und u.a. durch Fasertopographie,Ungleichheit der thermischenAusdehnungskoeffizientenvon FaserundMatrix, Warmeleitfahigkeit derFaser, che-mische Zusammensetzung der Faseroberflache sowiedurchdie Oberflachenenergie derFaserbeeinflußt3).

Ein Großteil der Untersuchungenwurde bisher mitGlasfaserndurchgefuhrt, wobeidiesenur infolge Schmel-zescherungTranskristallisation induzieren. Das Grenz-phasenpha¨nomen „Transkristallisation“ wurde erstmals1952 fur Hochpolymere von Jenckelet al.7) beschriebenund wurdevon Lovinger et al.8) uber Zonen(um)schmel-zenin einemTemperaturgradientenerzeugt.

Gray9) untersuchte1974 erstmals die Fahigkeit vonCellulosefasern(Baumwoll-, Ramie-, Rayon-, Fortisan-und Holzfasern), Transkristallinitat in PP zu induzieren,wobei die Anwesenheit von Lignin, Hemicellulose odermoglicher Oberflachensubstituenten die Transkristallisa-tion hemmen.Gray beobachteteebenfalls dasPhanomen,daßim Gegensatzzu Regeneratcellulosefasernwie Forti-sanoderRayon(CelluloseII) naturliche (native)Cellulo-sefasernwie Baumwolle (Cellulose I) Transkristallisationverursachen, mercerisierte Baumwolle (Cellulose II)jedochnicht.

Unklar ist bisher, ob supermolekulare StrukturenderMatrix in der Nahe der Verstarkungsfaserdie mechani-schenVerbundeigenschaftenverbessern oderverschlech-tern.

Felix et al.10) fuhren beispielsweise die Verbesserungder Grenzflachenscherfestigkeit in Faserrichtung vonCellulose/PP-Verbundenum 40–100%,abhangig von derDicke der transkristallinen Schicht, u.a. auf eine Formvon zunehmender Wechselwirkung zwischen FaserundMatrix zuruck.

Eine Oberflachenmodifizierung von Cellulosefasern(z.B. Baumwolle, Ramie- oder Rayonfasern)mit AKD(alkyl ketenedimer), ASA (alkenyl succinicanhydride),Stearinsaure sowie mit Silikonol hemmt, mit Maleinsau-reanhydrid gepropftes Polypropylen (MAH-PP) reduziertdie Nukleierungsfahigkeit der Faseroberflache11,12).Jedochnimmt die Nukleierungsfahigkeit der mit MAH-PP behandelten Fasernmit dem Molekulargewicht desMAH-PPs zu11). Hierbei werdendie Unterschiedein derNukleierungsfahigkeit derFasernaufdie unterschiedlicheOberflachenchemie zuruckgefuhrt. Eswurdegezeigt, daßviele der Nukleierungsmittel Carbonylgruppenenthalten

und solcheGruppenwie Ketone,Aldehydeoder Carbon-saurereste an der Cellulosefaseroberflache vorhandensind. Proben,die transkristallisieren,zeigen unbedeutendhoheren Kristallinitatsgrad (DSC-Messungen) als „rei-nes“ Polypropylen. Polypropylen mit oberflachenbehan-delten Cellulosefasern zeigt einenunbedeutendniedrige-renKristallinitatsgradals„reines“ Polypropylen12).

Mit Silikonol behandelte Jutefasern induzieren nurnach Schmelzescherung Transkristallisation, wobei dieStruktur gleich der ist, die durch Zieheneiner Glasfaserin der Schmelze wahrend der Kristallisation hervorgeru-fen wird. Aufgrund dieser Faseroberflachenbehandlungmit Silikonol ist deutlich, daß Mikroporositat, Oberfla-chenenergie und Topographie einenEinfluß auf die Bil-dung einertranskristallinen Schicht auchbei Naturfasernhaben13).

Bei Naturfasernist zur Verbesserungder Fasereigen-schaftenund somit eineVerbesserung der Verbundeigen-schafteneine Strukturmodifizierungdurch eine Laugen-behandlung (Alkalisierung) moglich. Alkalisierung hatAnderungensowohl in der kristallinen Struktur, der Kri-stallinitat, der Cellulose IeCellulose II-Gitterumwand-lung, derOrientierungderFibrillen undderZellgroßealsauchder chemischenZusammensetzung, d.h. Herauslo-sung von Hemicellulose und Lignin, zur Folge14). WirdCelluloseI (native Cellulose) in Cellulose II umgewan-delt, sprichtmanublicherweisevon einerMercerisierung.Zur Verbesserung der Faser/Matrix-Haftung in Naturfa-ser/Polypropylen-Verbunden hat sich dasMaleinsaurean-hydrid-Polypropylen-Copolymere (MAH-PP) als effek-tivsterHaftvermittler erwiesen15).

2 Experimentelles

2.1 Werkstoffe

2.1.1 Fasermaterial

Die Untersuchungenwurden mit unbehandelten,struktur-und oberflachenmodifiziertenTossa-Jutefasernder Firma J.SchilgenGmbH& Co. durchgefuhrt. Vor denBehandlungenwurden die Fasern in einer alkoholischen Losung 24h„entwachst“, um die anhaftendeWebschlichtebestehendausWachsundKartoffelstarke zuentfernen.

2.1.2 FaseroberflachenmodifizierungmittelsMAH-PP-Copolymerem

Zur Oberflachenmodifizierungwurdeein MAH-PP-Copoly-meres(mHostaprimeHC5, HoechstAG) als Haftvermittlereingesetzt. Der Haftvermittler wurde in einer alkoholischenLosung (MAH-PP-Gehalt in der Losung 0,1 Gew.-%) bei1008C gelost und die Fasern5 min getrankt. Anschließendwurdendie Fasern2 h bei 758C getrocknet.

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2.1.3 FaserstrukturmodifizierungmittelsNatronlauge

Zur StrukturmodifizierungwurdeeineAlkalibehandlungderFaserndurchgefuhrt, wobei die Jutefasern20 min bei 208Cin eine 26 gew.-proz. Natronlaugegetaucht,anschließendgewaschen,neutralisiert,erneutgewaschenund getrocknetwurden.

2.1.4 Matrixmaterial

Als Matrix wurdenPP-FolienderVestolenGmbH(VestolenmP 6000F)mit einer Dicke von 20 lm, einer Viskositat von240 cm3 g–1 und einem VolumenfließindexMVR/230/2,16von7,4cm3/10 min verwendet.

2.2 Prufungen

2.2.1 Feldemmissions-Rasterelektronenmikroskopie

Die Feldemmissions-Rasterelektronenmikroskopie (FE-REM) wurde genutzt, um Aussagenzur TopographiederFasernzu machen.Hierbei wurdendie Untersuchungenaneinem FE-Rasterelektronenmikroskopder Firma Hitachi,Modell S-4000,durchgefuhrt. Fur die hochauflosendeAbbil-dung mit FE-REM konnen konventionelleBeschichtungs-techniken,wie z.B. dasAufsputterneinerGoldschicht,nichtverwendetwerden,dainfolge derrelativ hohengrobenInsel-bildung des Goldes die Struktur der BeschichtungsschichtundnichtdiederOberflachenstruktur desPraparatesabgebil-det wird. VielmehrwerdennachApplikation der Probenaufdem Objekttrager diesemit Platin bedampft.Die Schicht-dickebetragt a10nm.

2.2.2 ThermomikroskopischeAnalyse

Die thermomikroskopischenUntersuchungenwurden imHeiztisch (Firma Mettler, Modell FP 82 HT) unter einemPolarisationsmikroskop(Firma Leitz, Modell SM-LUX-POL)durchgefuhrt.

Zur Herstellungvon Einzelfasermodellverbundenfur diethermomikroskopischeUntersuchungenwurdeeinObjekttra-ger verwendet, auf demdie Probeprapariertwurde.Hierbeiwird eineEinzelfaserzwischenzwei Polypropylenfolienpla-ziert. Dieser„Verbund“ wird schließlichauf einemObjekt-trager mit einem Deckglasbedecktund mit Klebestreifenfixiert.

WahrendderUntersuchungenwurdendie Probenim Heiz-tisch unterschiedlichenTemperatura¨nderungenausgesetzt.Dies erfolgte durch Aufheizen, vierminutiges Halten bei2008C, um Memoryeffekte im Matrixpolymer auszu-schließen,undanschließendeisothermebzw. nicht-isothermeKristallisation.Unter nicht-isothermenBedingungenwurdendie Modellverbundebei unterschiedlichenAbkuhlraten(2, 5,10 und308C min–1) bis auf Raumtemperaturgekuhlt. Fur dieUntersuchungenunter isothermenBedingungenwurdendieProbenim Heiztischmit denobengenanntenAbkuhlratenbiszur Kristallisationstemperatur(TC = 130, 135 und 1408C)gekuhlt.

3 Ergebnisseund DiskussionAbb. 2 zeigt die Oberflachentopographie unterschiedlichbehandelterJutefasern,wobeidie Rauhigkeit derOberfla-che in der Reihenfolge „unbehandelta mit MAH-PPbehandelta alkalisiert“ angegebenwerden kann. DieFaserbehandlungenfuhren außerdemzu einer Anderungder chemischen Zusammensetzung und der physikali-schenEigenschaftenderFaseroberflache.Die OberflachederNaturfasern ist im wesentlichenausLignin aufgebautund weist im unbehandeltenZustandeinenpolarenbzw.dispersenAnteil der Oberflachenspannungvon cs

p = 10mJ m–2 und cs

d = 23 mJ m–2 (dynamischeKontaktwinkel-messung) auf16). Durch die Alkalisierung verandert sichdie chemische Zusammensetzungder Naturfasern undsomit auch derenOberflache. Der relative Cellulosege-halt in der Faserwird erhoht, indem die Begleitsubstan-zen wie Lignin und Hemicelluloseherausgelost werden.Bei denhier verwendetenBehandlungsparameternerhohtsich der a-Celluloseanteil von ca. 61 Gew.-% auf 74Gew.-% infolge desHerauslosensdesLignins (um 40%)undderHemicellulose(um 35%) von alkalisiertenJutefa-sern. Dadurch nimmt die Polaritat der Faseroberflachedurch das „Freilegen“ der Cellulosezu, derenPolaritathoher ist alsdie von Lignin. EineAlkalisierungunter denhier genanntenBedingungen hat eineteilweiseGitterum-wandlung von Cellulose I zu Cellulose II zur Folge,wobei das Verhaltnis Cellulose I: Cellulose II 97:3betragt15). Durch Verwendung von MAH-PP-Copolyme-renalsHaftvermittler kommteszur Angleichungdersehrunterschiedlichen Oberflachenenergien von Matrix undFaseroberflache, wodurch eine bessere Benetzung derFasern gewahrleistet wird. Diese Fasern besitzen einegeringerePolaritat alsunbehandelteFasern.

3.1 IsothermeKristallisation

Abb. 3 zeigt dasWachstumder transkristallinen Schichtbei einerKristallisationstemperatur von TC = 1308C. DasWachstum an derFaseroberflachescheint linear zu erfol-gen, bis diesesdurch Spharolithe der Matrix behindertwird (nach 8 min).

Im Bereich zwischen8 und 12min erreicht die trans-kristalline Schicht ihre maximale Dicke. Mit Zunahmeder Kristallisationstemperaturverschiebtsich dasMaxi-mum der transkristallinen Schichtzu hoherenKristallisa-tionszeiten.

MehrereUntersuchungen, wie z.B. von Wanget al.17),zeigen,daßdie Wachstumsgeschwindigkeit der Spharoli-the in der Matrix und die der transkristallinen Schichtidentischsind,wasebensohier zu beobachtenist.

Modellverbundemit unterschiedlich behandelten Jute-fasernzeigeneinemaximale transkristallineSchichtdickean der Faseroberflache bei 1308C Kristallisationstempe-ratur, wie in Abb. 4 zu sehen.Fur Abkuhlratenkleinerals

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108C min–1 bis zur Kristallisationstemperatur von 1308Csind deutliche Unterschiede in der Transkristallisationerkennbar. Fur diese niedrigen Abkuhlraten induzierenalkalisierteJutefasernmit ihrer hochstenOberflachenrau-higkeit undPolaritat im Vergleich zu unbehandelten bzw.MAH-PP behandelten Fasern eine transkristallineSchicht, deren Dicke maximal ca. 80 lm bei den hieruntersuchtenMaterialienundBedingungenbetragt.

DasErscheineneinertranskristallinen Schichtist nichtunbedingt auf die Kristallstruktur derCellulosezuruckzu-fuhren,wie teilweisein derLiteratur, z.B. Quillin et al.12),

angegeben.Eine Alkalisierung bei den hier genanntenBedingungenhat zwar, wie bereits erwahnt, eine teil-weiseGitterumwandlung von CelluloseI nachCelluloseII zur Folge, dennochist dasErscheinen eher aufgrundder chemischen und physikalischen EigenschaftenderFaseroberflachemoglich.

In Anwesenheit von unbehandelten Jutefasernwirdeinetranskristalline Schichtdicke von ca.85 lm erreicht,welche im Bereich von 80 bis 120 lm (TC = 1318C) furBaumwolle, die einen hohen Cellulosegehalt aufweist,liegt10). Die großte Schichtdicke wird durch MAH-PP

Abb. 2. Feldemissionsmikroskopische Aufnahmen einer (a) unbehandelten, (b) mit MAH-PPbehandeltenund(c) alkalisiertenJutefaser.

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behandelte Fasernmit geringster Polaritat im Vergleichzu unbehandeltenundalkalisiertenFaserninduziert.Wei-terhin ist an der Oberflachevon unbehandeltenund haft-vermittlerbehandelten Jutefasern eine hohere Nukleie-rungsdichtezu beobachtenalsbei alkalisiertenFasern.

Die Unterschiedein der maximalen transkristallinenSchichtdicke fur Abkuhlraten hoher als 108C min–1 sindnahezu unabha¨ngig von der Abkuhlrate und von denFaserbehandlungen.

Wie ausfruheren Untersuchungenan Aluminiumfaser/PP-Verbunden18) bekannt, ist die Wachstumsrate dertranskristallinen Schicht in PP unabha¨ngig von derAbkuhlrate fur unterschiedliche Kristallisationstempera-turen. Abb. 5 zeigt diese Unabhangigkeit fur verschie-deneKristallisationstemperaturenfur PPmit Jutefasern.

Die Abhangigkeit der Wachstumsrate G der transkri-stallinen Schicht von der Kristallisationstemperatur kanndurchGl. (1) beschrieben werden.DieseeinfacheBezie-hung vom Arrhenius-Typ gibt Informationenzur Kristal-lisationskinetik18).

G = G0 exp(kTC) (1)

Der experimentell ermittelte Parameter k [1/8C] stellthierbei die Steigung im ln G/TC-Diagramm (Abb. 5) dar.Peron et al.18) ermittelten fur Polypropylen mit Alumini-umfasernk = –0,244. Die Ergebnisse derUntersuchungenan Einzelfasermodellverbundenmit haftvermittlerbehan-delten Jutefasern ergebenbeispielsweisefur Abkuhlratenvon 58C min–1 bzw. 108C min–1 einenk-Wert von –0,185bzw. –0,208, wie in Abb. 5 erkennbar.

Abb. 3. Wachstum der transkristallinen Schicht entlang einer unbehandelten Jutefaser beiTC = 1308C nach(a) 1 min, (b) 3 min, (c) 5 min, (d) 8 min, (e) 12min und (f) 15min Kristallisa-tionszeit(Abkuhlrate58C min–1).

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Abb. 6 zeigt im Hinblick auf die unterschiedlichenFasermodifizierungen (unbehandelt,MAH-PP behandelt)eine vergleichbareAbhangigkeit der WachstumsratevonderKristallisationstemperatur. Die Bildungeiner transkri-stallinen Schicht bei TC A 1358C in AnwesenheitvonunbehandeltenJutefasernbleibt aus.

Untersuchungenvon Wang et al.19) an PTFE/PP-Ver-bundenzeigten, daß Fasernmit niedriger Oberflachen-energie „leichter“ eine Transkristallisationin PPhervor-

rufen, was eine Erklarung fur die hier beobachtetenUnterschiedezwischenunbehandeltenundhaftvermittler-behandeltenFasern, derenOberflachenenergie aufgrundderModifizierungherabgesetzt wurde,seinkonnte.

In der Literatur lassen sich hingegengenugend Bei-spiele finden, wo sowohl Fasern mit hoherals auchmitniedriger Oberflachenenergie vergleichbareTranskristal-lisation im gleichen Polymeren erzeugen20). Beispiels-weisezeigen Chenet al.21), daßeineZunahme der freien

Abb. 4. Einfluß derAbkuhlratebis zur Kristallisationstemperaturauf die maximale transkris-talline Schichtdicke von unterschiedlich behandeltenJutefasernbei TC = 1308C; (0) unbehan-delt, (f) mit MAH-PPbehandelt, (h) alkalisiert.

Abb. 5. Einfluß der Kristallisationstemperatur auf die Wachs-tumsrate von mit MAH-PP behandelten Jutefasern beiunterschiedlichen Abkuhlraten: (0) 28C min–1, (f) 58C min–1,(h) 108C min–1.

Abb.6. Einfluß der Kristallisationstemperaturauf die Wachs-tumsratefur (f) unbehandelteund (0) mit MAH-PP behandelteJutefasern(Abkuhlrate58C min–1).

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Oberflachenenergie den Nukleierungsprozeß verbessertundsomitTranskristallisationinduziertwird.

3.2 Nicht-isotherme Kristallisation

Untersuchungenzur nicht-isothermen Kristallisation vonPolymeren sind von großer technologischerBedeutung,dadie meisten PolymerblendsoderVerbundeunternicht-isothermenBedingungenhergestellt werden.

Wie ausderTheorie13,21) bekanntundin Abb. 7 erkenn-bar ist, hatdie AbkuhlrateeinensignifikantenEinfluß aufInitiierung und Wachstumsrate der transkristallinenSchicht. Die Bildung dieser Schicht um eine Jutefaserverschiebt sichmit zunehmenderAbkuhlratezu niedrige-ren Temperaturen, wobei das Maximum der Schichtnahezutemperaturunabhangig ist.

Im Hinblick auf die Faserbehandlungen erreicht dietranskristalline Schicht bei gleicher Abkuhlrate in derReihenfolge ,MAH-PP behandeltA unbehandeltA alkali-siert‘ ihr Maximum (Abb. 8), wie unter isothermenKri-stallisationsbedingungen bei einer Abkuhlrate von 58Cmin–1 bereitssichtbar(Abb.4).

Die Anwesenheit von oberflachenmodifizierten Jutefa-sernfuhrt bei hoheren Temperaturen zur Initiierung vonTranskristallisation in Polypropylen.Die hohereNukleie-rungsfahigkeit der mit MAH-PPbehandelten Fasernwarbereitsbei isothermerKristallisationdeutlichzu beobach-ten.

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Abb. 7. Einfluß der Temperaturund der Abkuhlrate auf dietranskristallineSchicht entlang einer unbehandelten Jutefaser;Abkuhlrate: (0) 28C min–1, (f) 58C min–1, (h) 108C min–1, (6)308C min–1.

Abb.8. Einfluß der Temperaturauf die Dicke der transkristal-li nen Schicht bei unterschiedlich behandelten Jutefasern(Abkuhlrate 58C min–1); (0) unbehandelt, (f) mit MAH-PPbehandelt,(h) alkalisiert.