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Markwart Herzog Trauer- und Bestattungsrituale der Fußballvereinskultur Totenmemoria – Ahnenbiographien – Stadionbegräbnis – Performance „Der Tod wird in das Leben der Athleten miteinbezogen, aber nur um das Leben zu erhöhen. Weil er realer Tod, nicht symbolischer ist, hat er im Sport- geschehen selbst keinen Platz; er liegt an den Grenzen des Sports.“ 1 Auf den ersten Blick haben Tod und Sport in der Tat nichts miteinander zu tun, sind Gegensätze, die sich ausschließen. Sport als Betätigung ist gewöhn- lich ein intensiver Ausdruck körperlicher Vitalität, dient der Lebenssteigerung und Lebensfreude, setzt Athletik und Ertüchtigung voraus statt körperlichen Verfall, Tod und Sterben. Wenn man jedoch die über die körperliche Betäti- gung hinausgehenden kulturellen Kontexte miteinbezieht, in die vor allem der Vereinssport eingebettet ist, dann begegnet man zwangsläufig der Todesthe- matik. Das ist deshalb so, weil Sportvereine häufig generationenübergreifen- de Traditionen generieren, die Bezüge zu verstorbenen Vereinsmitgliedern aufweisen. 1. Tod und Sport: Einleitende Bemerkungen 1.1. Möglichkeiten der Thematisierung Aber nicht nur in der Vereinskultur des Sports, sondern auch unter anderen Gesichtspunkten könnte man Sport und Tod thematisieren – beginnend mit trivialen Sprüchen wie „Sport ist Mord“ oder „Football is not just a matter of life and death – it’s much more important than that“ (Bill Shankly, ehemali- Für wertvolle Informationen und freundliche Auskünfte, weiterführende Anregungen und Literaturhinweise danke ich sehr herzlich: Dr. Ingrid Albrecht, Amsterdam; John Bassant, Oostvoorne; Kurt und Werner Berndt, Kaiserslautern; Prof. Dr. Eric Derom, Gent; Erik Eg- gers, Köln; Jasper Enklaar, Utrecht; PD Dr. Norbert Fischer, Hanstedt; Wolfgang Haag, Kaufbeuren; Dr. Barbara Happe, Jena; Dr. Marjolein ’t Hart, Heemstede; Ian Henchan, Dumfries; Hendrik Lammert Kok, Enschede-Glanerbrug; Eugen ‚Jenne‘ Kramer, Marnheim; Fritz Kuby, Kaiserslautern; Dr. Mario Leis, Bonn; Prof. Dr. Eve Rosenhaft, Liverpool; Nico- le Schlette, Duisburg; Werner Skrentny, Hamburg; Norbert Thines, Kaiserslautern; Dr. Christine Walther, Recklinghausen. 1 GUNTER GEBAUER, Das Spiel gegen den Tod. Epilog, in: GERD HORTLEDER / GUNTER GEBAUER (Hrsg.), Sport – Eros – Tod, Frankfurt a.M. 1986, 271–282, hier 277.

Trauer- und Bestattungsrituale der Fußballvereinskultur

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Markwart Herzog

Trauer- und Bestattungsrituale der Fußballvereinskultur Totenmemoria – Ahnenbiographien – Stadionbegräbnis – Performance

„Der Tod wird in das Leben der Athleten miteinbezogen, aber nur um das Leben zu erhöhen. Weil er realer Tod, nicht symbolischer ist, hat er im Sport-geschehen selbst keinen Platz; er liegt an den Grenzen des Sports.“1

Auf den ersten Blick haben Tod und Sport in der Tat nichts miteinander zu tun, sind Gegensätze, die sich ausschließen. Sport als Betätigung ist gewöhn-lich ein intensiver Ausdruck körperlicher Vitalität, dient der Lebenssteigerung und Lebensfreude, setzt Athletik und Ertüchtigung voraus statt körperlichen Verfall, Tod und Sterben. Wenn man jedoch die über die körperliche Betäti-gung hinausgehenden kulturellen Kontexte miteinbezieht, in die vor allem der Vereinssport eingebettet ist, dann begegnet man zwangsläufig der Todesthe-matik. Das ist deshalb so, weil Sportvereine häufig generationenübergreifen-de Traditionen generieren, die Bezüge zu verstorbenen Vereinsmitgliedern aufweisen.

1. Tod und Sport: Einleitende Bemerkungen

1.1. Möglichkeiten der Thematisierung

Aber nicht nur in der Vereinskultur des Sports, sondern auch unter anderen Gesichtspunkten könnte man Sport und Tod thematisieren – beginnend mit trivialen Sprüchen wie „Sport ist Mord“ oder „Football is not just a matter of life and death – it’s much more important than that“ (Bill Shankly, ehemali-

Für wertvolle Informationen und freundliche Auskünfte, weiterführende Anregungen und Literaturhinweise danke ich sehr herzlich: Dr. Ingrid Albrecht, Amsterdam; John Bassant, Oostvoorne; Kurt und Werner Berndt, Kaiserslautern; Prof. Dr. Eric Derom, Gent; Erik Eg-gers, Köln; Jasper Enklaar, Utrecht; PD Dr. Norbert Fischer, Hanstedt; Wolfgang Haag, Kaufbeuren; Dr. Barbara Happe, Jena; Dr. Marjolein ’t Hart, Heemstede; Ian Henchan, Dumfries; Hendrik Lammert Kok, Enschede-Glanerbrug; Eugen ‚Jenne‘ Kramer, Marnheim; Fritz Kuby, Kaiserslautern; Dr. Mario Leis, Bonn; Prof. Dr. Eve Rosenhaft, Liverpool; Nico-le Schlette, Duisburg; Werner Skrentny, Hamburg; Norbert Thines, Kaiserslautern; Dr. Christine Walther, Recklinghausen. 1 GUNTER GEBAUER, Das Spiel gegen den Tod. Epilog, in: GERD HORTLEDER / GUNTER

GEBAUER (Hrsg.), Sport – Eros – Tod, Frankfurt a.M. 1986, 271–282, hier 277.

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ger Manager des FC Liverpool). Ernsthafteres Fragen würde sich folgenden Themenkomplexen zuwenden:

a) Sport als Vorspiel des Kriegs, als Vorübung des Tötens – so die ideolo-gische Indienstnahme des Sports beispielsweise im Nationalsozialismus und schon in der Auffassung der Militärs der Weimarer Zeit.2

b) Im Anschluß an Thomas Alkemeyer und Walter Burkert könnte man den Verbindungen zwischen Sport und Opfer nachgehen, wie sie sich in Ritu-al und Mythos der Olympischen Spiele zeigen,3 oder

c) die kultur- und sportwissenschaftlichen Analysen Gunter Gebauers und Gerd Hortleders über die Verbindungen zwischen Tod und Eros und dem pro-fessionell betriebenen Spitzen- und Showsport4 weiterverfolgen und vertiefen.

d) Anhand der Bedeutung des Hochleistungssports für die Erosion der Subjektidentität in der Moderne könnte man Dietmar Kampers philosophi-schen Überlegungen zur Macht des ‚imaginären Todes‘ nachgehen5 und diese mit der volkskundlichen Forschung verbinden, beispielsweise mit Michael Prossers Analysen zum ‚Reiz der Todesgefahr‘ in Risikosportarten (Automo-bilrennen und Alpinismus).6

e) Mit Blick auf die Fangruppen des heutigen Fußballsports wären Gewalt und Tod durch Hooliganismus eine ebenso gut erforschte ‚Schnittmenge‘ von Sport und Tod wie Katastrophen im Stadion und die darauf folgenden For-men kollektiver Trauer (z.B. die Hillsborough-Tragödie).7 2 Vgl. WOLFRAM PYTA, Der Beitrag des Fußballsports zur kulturellen Identitätsstiftung in

Deutschland, in: DERS. (Hrsg.), Der lange Weg zur Bundesliga. Zum Siegeszug des Fuß-balls in Deutschland, Münster 2004, 1–30, hier 13–15; ERIK EGGERS, Fußball in der Weimarer Republik, Kassel 2001, bes. 19–27, 115–125; ARTHUR HEINRICH, Der Deut-sche Fußballbund. Eine politische Geschichte, Köln 2000, bes. 36–38, 42–47, 100–112.

3 Vgl. WALTER BURKERT, Heros, Tod und Sport. Ritual und Mythos der Olympischen Spiele in der Antike, in: GUNTER GEBAUER (Hrsg.), Körper- und Einbildungskraft. In-szenierungen des Helden im Sport, Berlin 1988, 31–43; vgl. JOACHIM VON SOOSTEN, Die Tränen des Andreas Möller. Sportwelten, Leibesübungen und religiöse Körpersymbolik, in: Pastoraltheologie. Monatsschrift für Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesell-schaft 86 (1997) 13–25, hier 16f.

4 Vgl. die Beiträge in: HORTLEDER / GEBAUER, Sport – Eros – Tod (Anm. 1). 5 Vgl. DIETMAR KAMPER, Narzißmus und Sport. Einige Überlegungen zur Macht des ima-

ginären Todes, nach Lacan, in: GEBAUER, Körper- und Einbildungskraft (Anm. 3), 116–122; GUNTER GEBAUER, Größenphantasien des Sports, in: HORTLEDER / GEBAUER, Sport – Eros – Tod (Anm. 1), 216–230.

6 Vgl. MICHAEL PROSSER, Der Reiz der Todesgefahr beim Sport, in: CHRISTOPH DAXEL-MÜLLER (Hrsg.), Tod und Gesellschaft – Tod im Wandel, Regensburg 1996, 141–148, sowie ULRICH AUFMUTH, Risikosport und Identitätsbegehren. Überlegungen am Beispiel des Extrem-Alpinismus, in: HORTLEDER / GEBAUER, Sport – Eros – Tod (Anm. 1), 188–215.

7 Vgl. IAN TAYLOR, Hillsborough, 15 April 1989: Some Personal Contemplations, in: New Left Review, Nr. 177, Sept. / Oct. 1989, 89–110; RAYMOND BOYLE, Football and Relig-ion: Merseyside and Glasgow, in: JOHN WILLIAMS / STEPHEN HOPKINS / CATY LONG (Hrsg.), Passing Rhythms. Liverpool FC and the Transformation of Football, Oxford /

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f) Die Verbindungen von Tod, Sport und Fußball, wie sie im Werk von Schriftstellern dargestellt werden, wären ebenfalls eine Untersuchung wert. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Der rumänisch-französische Philosoph und Moralist Émile M. Cioran lebte, wie er in einem Interview berichtete, in seiner Kindheit in der Nähe eines Friedhofs und bekam vom Totengräber Schädel zum Fußballspielen geschenkt. Und in Hermann Burgers Roman Schilten (1976), eindrucksvoll verfilmt von Beat Kuert (1979), wird eine Turnhalle als Aussegnungshalle und für Beerdigungszeremonien genutzt8 – „die Turnhalle in ihrer Doppelfunktion als Raum der körperlichen Ertüchti-gung und als Ort der Abdankung“.9

g) Sport und Tod begegnen sich auch in der Sepulkralkunst: Das Grab ei-nes 1923 ermordeten Spielers von Aston Villa wird bis heute von einem Gra-nitfußball markiert;10 unlängst ließ ein Sportler seinen Grabstein auf dem Neuen Südfriedhof in München mit der Gestalt eines Läufers und der In-schrift „Mein letzter Marathon“ versehen – nicht zu vergessen die Deutungen des Märtyrertodes der frühen Kirche in den Kategorien sportlichen Wettbe-werbs.11

Im Folgenden seien jedoch die beiden besonderen Aspekte der Trauerkul-tur und der Bestattungsbräuche schwerpunktmäßig herausgegriffen und im Kontext des Fußballsports erörtert. Damit wird ein Terrain betreten, zu dem es bisher noch keine sport- oder kulturwissenschaftlichen Untersuchungen gibt. Einzelne Fakten sind bekannt, werden gelegentlich in der Tagespresse kolportiert, aber man hat sie noch nicht zum Gegenstand einer zusammen-hängenden Untersuchung gemacht.

1.2. Herkunft, Tradition und Erinnerung in Sportvereinen

Der Brückenschlag vom Fußballstadion zum Friedhof – und auch wieder zu-rück – ist nur auf den ersten Blick eine ungewöhnliche Themenstellung. Wenn man aber bedenkt, daß Sport in der Moderne zu einem alle Lebensbe-

New York 2001, 39–52, hier 43–47; GUNTER GEBAUER / GERD HORTLEDER, Fußball. Die Nachrichten über Brüssel, in: HORTLEDER / GEBAUER, Sport – Eros – Tod (Anm. 1), 260–270; DESMOND MORRIS, The Soccer Tribe, London 1981; dt.: Das Spiel. Faszinati-on und Ritual des Fußballs, München / Zürich 1981, 272–278.

8 Vgl. dazu RUDOLF INGOLD, Der Erzähler in Hermann Burgers „Schilten“. Ein Vergleich mit Grass’ „Blechtrommel“, Frischs „Homo Faber“ und Loetschers „Abwässer“, Bern 1984; WALTER HAGENBÜCHELE, Narrative Strukturen in Literatur und Film. Schilten ein Roman von Hermann Burger – Schilten ein Film von Beat Kuert, Bern u.a. 1991.

9 HAGENBÜCHELE, Narrative Strukturen (Anm. 8), 246. 10 Zur Grabstätte von Thomas ‚Tommy‘ Ball vgl. GRAHAM SHARPE, The Final Whistle.

Midfield farewells, sudden deaths and other strange but true passings from football’s his-tory, London: Robson Books 2001, 200, ferner 74f.

11 Vgl. ALOIS KOCH, Die Leibesübungen im Urteil der antiken und frühchristlichen Anth-ropologie, Schorndorf 1965, 69–75.

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reiche umfassenden Phänomen aufgestiegen ist, dann sind Bezüge eben auch zu allen möglichen Kultursektoren zu erwarten, also auch zum Memorial- und Sepulkralwesen.12 Wirkt der Fußball doch in alle Dimensionen des gesell-schaftlichen und politischen, des künstlerischen und kulturellen Lebens hin-ein. Sein Sinnstiftungspotential ist enorm, die an ihn gebundenen und von ihm freigesetzten Emotionen sind es ebenso. Im Hinblick auf die gemein-schaftsbildenden Kräfte, die vom Vereinsleben des Sports ausgehen, hat der in Verbänden organisierte Fußball teils ähnliche Funktionen an sich gezogen, wie sie früher vor allem von den Kirchen wahrgenommen wurden.

Sportvereine können oftmals eine nicht unerhebliche Kontinuität und eine die Generationen ihrer Mitglieder übergreifende Dauer aufweisen. Zahlreiche Clubs wurden teils noch im 19. Jahrhundert gegründet und binden seit mehre-ren Generationen ihre Mitglieder an sich. Im Fußball gibt es deshalb eine reich ausdifferenzierte Erinnerungskultur, eine ‚ballistische‘ ars memoriae mit Gedächtnisorten (Wankdorf-Stadion in Bern), Jubiläen (Titelgewinne, Vereinsgründungen), Gedenkstätten (Vereinsmuseum), Alben mit persönli-chen Erinnerungsfotos oder mit stereotypisierten Sammelbildern (Zigaretten-bildersammelalben), es gibt die verschiedensten Memorabilien, die heute in Auktionshäusern die Eigentümer wechseln (Eintrittstickets, verschwitzte Leibchen, Autogrammkarten, Spielprogrammheftchen).13 Deshalb ist es ganz selbstverständlich, daß sich im Kontext einer derart intensiv gelebten Traditi-on mit der Frage nach den Ursprüngen der Clubs und Vereine immer auch die nach ihren Gründern und ihren verstorbenen Mitgliedern stellt.

Im Folgenden kommen vier verschiedene Bereiche des Totengedenkens und des Umgangs mit verstorbenen Vereinsmitgliedern zur Sprache, die ex-emplarisch zeigen, daß es sich hier um ein außerordentlich fruchtbares For-schungsgebiet handelt:

erstens das Krieger- oder Totendenkmal des 1. FC Kaiserslautern (1. FCK), dessen Funktionen und zeitbedingten Veränderungen;

zweitens das Ajax-Aschestreufeld auf dem Amsterdamer Friedhof West-gaarde sowie britische Stadionbeisetzungen,

drittens werden die Sportler- und Ahnenbiographien und die Museen der Traditionsvereine und ihrer Verbände samt den sogenannten Halls of Fame gestreift,

viertens – den Rahmen des Vorhergehenden sprengend – die Spottrituale der südeuropäischen Fankultur, die sich der sepulkralen Symbolsprache be-dienen. 12 Vgl. dazu und zum Folgenden die Beiträge in: MARKWART HERZOG (Hrsg.), Fußball als

Kulturphänomen. Kunst – Kult – Kommerz, Stuttgart 2002. 13 ULRICH BORSDORF / HEINRICH THEODOR GRÜTTER, Spielweisen der Erinnerung. Fuß-

ball und Gedächtnis, in: FRANZ-JOSEF BRÜGGEMEIER / ULRICH BORSDORF / JÜRG STEI-NER (Hrsg.), Der Ball ist rund. Katalog zur Fußballausstellung [...] anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Deutschen Fußball-Bundes, Essen 2000, 48–52.

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2. Totengedenken im Fußballverein: das Beispiel der ‚FCK-Familie‘

Das Andenken an Verstorbene wird in Sportvereinen auf ganz ähnlichen We-gen praktiziert wie in der bürgerlichen Trauerkultur. Vereinsmitgliederzeit-schriften publizieren konventionelle Todesanzeigen und Nachrufe; Sportver-eine errichten Gefallenendenkmäler nach den Mustern der von Krieger- und Veteranenvereinen gestifteten Memorialarchitektur, und es gibt Gedenkver-anstaltungen an den dafür vorgesehenen bürgerlichen oder christlichen Feier-tagen (Totensonntag, Allerseelen).

2.1. Kriegerdenkmal und Mannschaftsfotos

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden im Deutschen Reich in großer Zahl Krie-gerdenkmäler gebaut. Da auch die Sportvereine zahlreiche Gefallene zu be-klagen hatten, haben auch sie ihren im Felde gebliebenen Mitgliedern Denk-mäler gesetzt, auf denen die Namen der Gefallenen und Vermißten registriert sind. Teils greift die Symbolsprache dieser Denkmäler auf originelle Weise markante Spezifika des Sports auf – so zum Beispiel auf dem Ronhof bei Fürth die Gedenkstätte mit steinernem Fußball14 oder der „Unseren Helden“ gewidmete Memorialfußball des VfR Wormatia 08 Worms (Abb. 1).

Abb. 1: Kriegerdenkmal im Stadion des VfR Wormatia 08 Worms, im Vordergrund zwei Kassenhäuschen, Fotografie 1928.

14 Vgl. WERNER SKRENTNY (Hrsg.), Als Morlock noch den Mondschein traf. Die Geschich-

te der Fußball-Oberliga Süd 1945 bis 1963, Kassel 2001, 11 Abb.

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Aber exemplarisch sei im Folgenden die Geschichte des Kriegerdenkmals im Stadion Betzenberg zu Kaiserslautern, dem heutigen Fritz-Walter-Stadion, in den Mittelpunkt gestellt. Seine Weihe datiert auf den 21. Juni 1925; es hat seitdem einige markante Veränderungen sowohl in der Architektur als auch in seiner Funktionsbestimmung erfahren.

Auch andere Sportvereine Kaiserslauterns errichteten Gefallenendenkmäler: der Schwimmsportverein Poseidon Kaiserslautern bereits 1921 („ein Erinnerungszei-chen, ein Gedächtnismal“15 in pyramidaler Gestalt), der Turnverein 1861 erst 1936,16 der VfR im Jahr 1956 anläßlich seines 50jährigen Bestehens.17 Die Eh-rentafel für die 28 Gefallenen des Sportvereins Wiesenthalerhof (bei Kaiserslau-tern) wurde schon 1920 enthüllt und 1956 das Ehrenmal für die verstorbenen Mitglieder eingeweiht.18

Das FCK-Denkmal war ursprünglich den Toten des Ersten Weltkriegs ge-widmet. Es bestand aus der Figur eines Trauernden, exponiert auf einer über zwei Meter hohen, aus Buntsandstein gemauerten Säule. Eine zweispaltige Metalltafel an der Säule nannte die Namen der 1914 bis 1918 gefallenen Clubmitglieder. Das Monument und seine Interpretation sind aus verschiede-nen Gründen interessant. So kann man beispielsweise aus den frühesten offi-ziellen Deutungen des Vereins Erkenntnisse über die politische Ausrichtung des 1. FCK an der Schwelle zum Dritten Reich gewinnen;19 dagegen hat der Nationalsozialismus der in diesem Totengedenken enthaltenen Traditionslen-kung eine ganz andere Richtung gegeben.20 Eine Festschrift des 1. FCK be-zeichnet das Monument als „das Wahrzeichen auf dem Betzenberg“.21

Wie wichtig das Monument dem Club und seinen Mitgliedern früher ge-wesen sein muß, zeigen die Integration des Denkmals in den Zuschauerbe-reich, seine auffallende Höhe und exponierte Stellung im Stadion Betzenberg. Ein weiteres Indiz sind alte FCK-Festschriften, offizielle Postkarten des Clubs und Bilder in Alben von Vereinsmitgliedern aus traditionsreichen FCK-Familien. Sie zeigen die Mannschaften der Aktiven häufig vor dem 15 Vgl. Kaiserslauterer Stadtanzeiger, 5.9.1921 („Gedenkstein-Weihe zum Gedächtnis der

Gefallenen des Schwimmvereins ‚Poseidon‘ “). 16 Vgl. NSZ Rheinfront (Ausgabe Kaiserslautern), 17.3.1936 („Dem Gedächtnis der gefal-

lenen Mitglieder. Der Turnverein 1861 weiht das Ehrenmal für seine Gefallenen“). 17 Vgl. Die Freiheit – Organ der Sozialdemokratischen Partei, 17.8.1956. 18 Vgl. Pfälzische Volkszeitung, 28.6.1957; Die Rheinpfalz, 26.11.1956. 19 Vgl. MARKWART HERZOG, „Vereins-Zeitung des Fußballvereins Kaiserslautern e.V.“

Eine Quelle zur Geschichte des 1. FC Kaiserslautern und der Barbarossastadt in der Zeit der Weimarer Republik (1927–1931), in: Kaiserslauterer Jahrbuch für pfälzische Ge-schichte und Volkskunde 1 (2001) 391–462, hier 437f.

20 Vgl. dazu den entsprechenden Abschnitt in: MARKWART HERZOG, Der 1. FC Kaiserslau-tern im Nationalsozialismus, Göttingen 2005 (in Vorbereitung).

21 HARTMUT SUTTER / HANS ROTTMÜLLER (Red.), 75 Jahre 1. FC Kaiserslautern. Eine Schrift zum Jubiläum, Kaiserslautern 1975, 29.

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Abb. 2: Offizielles Mannschaftsfoto vor dem Kriegerdenkmal auf dem Betzenberg in Kaiserslautern – in weißen Trikots die Spieler des Fußballvereins Kaiserslau-tern, Postkarte 1927.

Denkmal gruppiert. Die Bildsprache ist eindeutig: Hier versammeln sich die Lebenden zum Fototermin bewußt im Vordergrund eines Monuments für die gefallenen Vereinsmitglieder (Abb. 2). Das Mannschaftsfoto wird zur Reprä-sentation einer Gemeinschaft der Lebenden und der Toten: eine die Generati-onen übergreifende communio ludorum.

Den Besitzern von Alben mit privaten Fotos war es wichtig, durch Einbe-ziehung des Ehrenmals die Kontinuität der Aktiven mit den Verstorbenen ikonisch festzuhalten (Abb. 3). Diese Darstellungen der generationsübergrei-fenden Vereinstradition ist nicht auf die Fußballabteilung begrenzt; denn auch die Leichtathleten haben beim Fototermin gerne vor dem Memorialmonument Aufstellung genommen.22 Als Traditionsverein,23 der sich durch die Jahrzehn-

22 Vgl. das Foto der FVK-Leichtathleten, die am Jugendzehnkampf des Süddeutschen Fuß-

ball- und Leichtathletikverbands 1929 teilgenommen hatten, in: Vereins-Zeitung des Fußballvereins Kaiserslautern e.V., Jg. 2, 1929, Nr. 8, Titelseite, wiedergegeben in: HERZOG, Vereins-Zeitung (Anm. 19), 397 Abb. 2.

23 Zum Terminus Traditionsverein vgl. RAINER GÖMMEL, Der „Club“ und sein Hinterland: der 1. FC Nürnberg als Faktor fränkischen Regionalbewußtseins, in: PYTA, Der lange Weg zur Bundesliga (Anm. 2), 171–181, hier 176.

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Abb. 3: Privates Erinnerungsfoto am Kriegerdenkmal auf dem Betzenberg in Kaisers-lautern – von links die Spieler Emil Kasper, Eugen Kramer sen., Ludwig Ma-thes, ca. 1930.

te seines Bestehens als Familie stilisiert,24 ist der 1. FCK stolz auf seine ‚Ah-nen‘ – beginnend mit den Gründungsmitgliedern, die den Club aus der Taufe hoben,25 bis zu den Gefallenen der Weltkriege.

24 Zur Selbststilisierung dieses Fußballclubs als ‚Familie‘ vgl. MARKWART HERZOG, Fami-

lie – Männerbund – Söldnertrupp. Zur Selbststilisierung von Sportvereinen am Beispiel

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2.2. Vom Gefallenendenkmal zur allgemeinen Totenmemoria

Merkwürdigerweise wurde die Gefallenentafel am Ehrenmal nach 1945 nicht um die Namen der Kriegstoten des Zweiten Weltkrieges erweitert – wie man es bei einem Kriegsveteranenverein erwarten könnte.26 Vielmehr sollte das Denkmal 1963 sogar ganz beseitigt werden. Als Meister der Oberliga Süd-west hatte sich der 1. FCK damals für die Bundesliga qualifiziert und mußte nun verschiedene Auflagen des DFB erfüllen, unter anderem eine Erweite-rung und ein Umbau des Stadions, dem das Ehrenmal weichen sollte. Aber der ursprüngliche Plan der Totalbeseitigung wurde zugunsten einer Teilent-sorgung entschärft. Das heißt: Man hat das Denkmal aus dem Stadion ent-fernt, auf einen Nebenplatz verlegt und das Säulenelement – mitsamt der Ge-denktafel mit den Namen und Todesdaten der Gefallenen – beseitigt. Die Personifikation der Trauer fristet seit 1963 auf einem niederen Sockel ein verschämtes Mauerblümchendasein.

Begonnen hatte diese Geschichte des Exodus des Totengedenkens aus dem Stadionoval aber bereits 1932/33, und zwar ebenfalls bei einem Stadionaus-bau. Vor diesen Baumaßnahmen war das Ehrenmal nämlich bis 1932 voll in den Übergang von der südlichen Zuschauerterrasse zur Westkurve integriert und fand 1933 hinter der Ostkurve einen neuen Platz.27

Offenkundig hatte die Verstümmelung des Denkmals von 1963 und seine Entfernung aus dem Stadion nicht nur Befürworter. Noch die Festschrift zum 75. Gründungsjubiläum bedauert seine Verbannung auf einen Nebenplatz in melancholischen Worten:

„Schließlich galt in diesen Tagen [der Feiern zum 25. Gründungsjubiläum im Jahr 1925] auch ein ehrendes Gedenken den Gefallenen des ersten Weltkrieges. Ein hochaufgerichtetes Denkmal mit den Namen aller Toten des I. Weltkrieges wurde enthüllt. Jahrelang war dieses Denkmal das Wahrzeichen auf dem Betzen-berg, das uns in Stunden des Erfolges stumm daran erinnerte, wie vergänglich unser irdisches Dasein ist. Schade, 1963, als unser Stadion auf Bundesligaerfor-

der ‚FCK-Familie‘, in: WOLFGANG E. J. WEBER / MARKWART HERZOG (Hrsg.), „Ein Herz und eine Seele“? Familie heute, Stuttgart 2003, 167–230.

25 Vgl. HERZOG, FCK-Familie (Anm. 24), 201–203. 26 Anders die Liste in der Festschrift des Clubs von 1950, die der Toten der beiden Welt-

kriege gedenkt, vgl. KARL WÜNSCHEL (Hrsg.), 50 Jahre 1. Fußball-Club Kaiserslautern e.V. 1900–1950, Kaiserslautern 1950, 21f.: „Unseren Toten der beiden Weltkriege zum Gedächtnis“. – Die „Enthüllung des Denkmals für die Gefallenen und Bannerweihe“ war im offiziellen Vereinsprogramm für den 21. Juni 1925 angekündigt in: Vereins-Zeitschrift des Fußballverein Kaiserslautern e.V. Jg. 1, Nr. 4, 30.4.1925, S. 5; vgl. dazu auch HERZOG, Vereins-Zeitung (Anm. 19), 437f.

27 Vgl. Landesarchiv Speyer, Bestand O 1, Nr. 106 (Altbestand Arbeitsamt Kaiserslautern, Arbeiten für den freiwilligen Arbeitsdienst 1932/33): Schreiben von Peter Meyer (stell-vertretender Vorsitzender des 1. FCK) und Heinrich Spiegel (FCK-Schriftführer) an das Landesarbeitsamt Bayern, München, 17.3.1933 (mit 11 Anlagen), hier Fotos 3 und 5.

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dernisse ausgebaut wurde, verschwand dieses Denkmal in einer Ecke am Rande des Nebenplatzes.“28

Deshalb hatte der Verein schon zu Beginn der Bundesligazeit versucht, aus der Not eine Tugend zu machen. In einem Bericht über die Versammlung zum Totengedenken 1964 steht in der Vereinszeitschrift Rund um den Bet-zenberg zu lesen:

„Das ursprünglich für die Gefallenen des ersten Weltkrieges errichtete Ehrenmal mußte im Zuge des Stadionausbaues versetzt werden. Nach den Plänen unseres Mitgliedes Adi Schaurer wurde in der Südostecke unseres Stadions unter Ver-wendung der Figur des alten Denkmals eine neue Gedenkstätte errichtet. Nach einem Liedervortrag des Gesangsvereins ‚Deutsche Brüder‘ hielt der Präsi-dent[,] Dr. Karl-Heinz Brinkop, eine kurze Ansprache. Er betonte in seinen Ausführungen, daß das Ehrenmal, das ursprünglich den Ge-fallenen des ersten Weltkrieges geweiht war, nunmehr als Ehrenmal für alle To-ten gilt. Nach Abschluß des Stadion-Ausbaues habe der Gedenkstein an einer stil-len und ruhigen Stelle einen würdigen Platz gefunden. Gerade der Totensonntag sei geeignet, dieses Mal seiner Bestimmung zu übergeben und gleichzeitig der Toten des Vereins in einer Stunde der Besinnung zu gedenken. Die FCK-Familie werde stets denen, die in guten und schlechten Tagen zum Verein gestanden ha-ben, die Treue halten.“29

Das Monument stand von Anfang im Dienst der Traditionspflege eines Sport-clubs. Deshalb sind Krieg und Kriegstod sowie Gefallenen- und Vermißten-gedenken hier nicht notwendigerweise konstitutiv – anders als bei dem Denkmal eines Kriegsveteranenvereins, wo eine derartige Veränderung Sinn und Funktion des Bauwerks aufheben würde. Aber in einem Sportverein ist der soziale Kontext des Gedenkens anders verfaßt. Die heutige Gestalt des Ehrenmals mit der Inschrift „Unseren Toten“ ist kaum noch als die Schwund-stufe eines Kriegerdenkmals erkennbar. Möglicherweise wollte der 1. FCK mit dieser Verallgemeinerung des Totengedenkens der für ältere Mitglieder beklagenswerten Veränderung noch einen positiven Sinn abgewinnen.

Die zitierte Deutung des Clubvorstands, die das Gefallenengedenken in ei-ne allgemeinere Sinnebene der Totenmemoria aufgehoben hat, konnte sich aber nicht richtig durchsetzen. Denn schon bald darauf spricht die Vereins-zeitschrift vom „Ehrenmal für die Gefallenen aus 2 Weltkriegen“,30 wohinge-gen sich andere Berichte der Zeitschrift auf die neue Interpretation festlegen.31

28 SUTTER / ROTTMÜLLER, 75 Jahre 1. FC Kaiserslautern (Anm. 21), 29. 29 Rund um den Betzenberg, Heft 6, 1964, 31. – Diese Ausführungen sind in der Vereins-

zeitschrift unter der Rubrik „FCK-Familie“ zu lesen. In dieser Rubrik des zitierten Hefts schließen sich an: Todesanzeigen für verstorbene Clubmitglieder und Geburtstagsglück-wünsche. Totenehrung und Totengedenken sind demzufolge wesentliche Elemente des vereinsmäßigen Familienlebens in der FCK-Familie.

30 Rund um den Betzenberg, Heft 4, 1966, 14 („Totenehrung am Betzenberg“). 31 Vgl. Rund um den Betzenberg, Heft 3, 1965, 32; Heft 4, 1967, 23.

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2.3. Totenehrungen in der heutigen ‚Vereinsliturgie‘

Daß es offensichtliche Deutungsunterschiede gibt, zeigen auch die Gedenk-veranstaltungen am Totensonntag. Denn hier wird ausdrücklich der „Toten der Kriege“ in besonderer Weise gedacht. Daß die Weltkriegstoten nach wie vor einen Brennpunkt des Interesses bilden, zeigt das auch heute noch prakti-zierte Absingen des Liedes Ich hatt’ einen Kameraden. Die Vereins-‚Liturgie‘ hält also nach wie vor an der Bestimmung fest, die 1925 den Anlaß für die Errichtung des Denkmals gegeben hatte und sich gegen die Verände-rungen von 1963 behaupten konnte.

Im ‚Familienleben‘ des 1. FCK hat es sich eingebürgert, der Verstorbenen des vorherigen Geschäftsjahrs im Rahmen der Jahreshauptversammlungen zu gedenken und sie auch am Totensonntag auf dem Nebenplatz des Stadions Betzenberg vor dem architektonisch reduzierten Totendenkmal zu ehren. Am 21. November 2004 wurde das Totengedenken um 11 Uhr eingeleitet mit ei-nem Stück des Kolpingblasorchesters (ca. 30 Musiker), Aufsichtsratsmitglied Hartmut Emrich hielt die Ansprache und verlas die Namen der seit dem letz-ten Totengedenken verstorbenen Mitglieder der FCK-Familie – „abgetreten von der Bühne des Lebens“. Auf die vom Kolpingorchester musikalisch be-gleitete Niederlegung des Kranzes beim Ehrenmal (Abb. 4) folgte stilles To-tengedenken. Mit dem Lied Ich hatt’ einen Kameraden fand die halbstündige Feier ihren Abschluß. Sechs Jugendliche der FCK-Boxabteilung hatten 2004 mit Fackeln die Ehrenwache am Kriegerdenkmal gehalten.

Abb. 4: Personifikation des Trauernden vom früheren Kriegerdenkmal auf dem Betzen-berg in Kaiserslautern, Totensonntag 2004.

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Je nach Witterung nehmen an diesen Gedenkveranstaltungen zwischen 20 und 100 Vereinsmitglieder teil, die danach zu Imbiß und Umtrunk in das Lo-kal Kiebitz auf dem Betzenberg eingeladen werden. Norbert Thines sieht in dieser Form des Totengedenkens mit „Kranzniederlegung am Ehrenmal“ ein „Stück Vereinskultur“ und hatte als langjähriger Präsident des 1. FCK seine Mitarbeiter verpflichtet auf diesen „alljährlich wiederkehrenden Termin, an dem in Dankbarkeit jener gedacht wird, die das, was wir sind, bereitet ha-ben“.32

Dieses außerkirchliche Totengedenken des 1. FCK entspricht der Trauer-kultur christlicher Prägung in der Art, wie sie bürgerliche Familien praktizie-ren: mit dem Besuch von Familiengrabstätten, Jahrtagsgottesdiensten und anderen Zusammenkünften, bei denen man sich zum Gedenken an die ver-storbenen Angehörigen versammelt. Es ist Ausdruck jener Sozialidee der Vereins-‚Familie‘, die in der Geschichte des 1. FCK spätestens seit den 1920er Jahren nachzuweisen ist.

3. Reliquienkult – Stadionbegräbnis – Popkultur

War es in den vorhergehenden Überlegungen um die Erinnerung an die Ver-storbenen eines Fußballclubs und deren ehrendes Angedenken gegangen, so geht es im Folgenden um die Körper der Verstorbenen. In den Subkulturen des Sports sind besondere Formen des Umgangs mit den sterblichen Überre- sten der verblichenen Fans zu beobachten, die sich teilweise mit traditionellen totenkultischen Verhaltensweisen der Menschheitsgeschichte vergleichen lassen.

3.1. Reliquienkult im ‚Sportaberglauben‘

Der Volkskundler Karl Wehrhan behandelt in seine Studie Der Aberglaube im Sport unter anderem „Dinge, die von Unglücksfällen herrühren“ und die deshalb eine besondere Bedeutung als Glücksbringer haben. Die „Überreste eines Verunglückten“ dienen als Gefahren abwehrende Talismane – vor allem in gefährlichen Sportarten, beispielsweise bei den Sportfliegern.33 Zu dieser Sorte von Glücksbringern gehören „etwa Zähne, Knochen, Haare, vor allem aber Gegenstände, die mit seinem Körper in enge Berührung gekommen sind“.34 Hinter der ‚Verwertung‘ der Überreste von Verunglückten, ihrer Kleidung oder ihrer Unfallwagen stehen Überzeugungen, die auch außerhalb des Sports verbreitet sind.

32 NORBERT THINES, brieflich am 4.11.1991 an „Mitverantwortliche in den Gremien des

Vereins“. 33 KARL WEHRHAN, Der Aberglaube im Sport (Wort und Brauch, Bd. 24), Breslau 1936, 58. 34 WEHRHAN, Aberglaube im Sport (Anm. 33), 58.

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a) „Das Kleidungsstück ist Teil der Persönlichkeit. Seine schützende Kraft geht vom Körper des Trägers aus, ist ihm also ursprünglich nicht eigen.“35 Die Ähnlichkeiten mit der kirchlichen Heiligenverehrung und der Herstellung von ‚Berührungsreliquien‘ sind offenkundig und bedürfen deshalb an dieser Stelle keiner weiteren Erläuterung.

b) Zum anderen konkretisiert sich in diesem Sportaberglauben die Auffas-sung, daß in den ‚Reliquien‘ von Menschen, die eines unnatürlichen und da-mit vorzeitigen Todes gestorben sind (Ermordete, Verunglückte, Hingerichte-te), ein ‚Überschuß‘ an nicht ausgelebter und deshalb darin aufgespeicherter Vitalenergie enthalten sei, den man sich für die verschiedensten Zwecke zu-nutze machen könne.36

Doch in aller Regel ist der Reliquienaberglaube in der Fankultur des Sports nicht totenkultischer Eigenart. Vielmehr bemühen sich die Anhänger eines Clubs, Devotionalien, Bilder und Autogramme der lebenden und aktuell spie-lenden Stars zu erlangen. Bei den von Wehrhan genannten Beispielen handelt es sich um Einzelfälle und Sonderfälle, die für die zeitgenössische Fankultur keinesfalls repräsentativ sind und es vermutlich auch zu Wehrhans Zeit nicht waren.

Aber auch heute kann der Umgang mit dem toten Körper eines Fußball-stars in der Retrospektive produktive Einbildungskraft und erzählerische Fan-tasie freisetzen. So stand in der Frankfurter Allgemeinen über Ernst Kuzorras Begräbnis:

„Als der damalige Präsident Günter Eichberg zur Beerdigung Ernst Kuzorras eingeflogen kam, saß die Trauergemeinde schon beim Leichenschmaus. Doch Eichberg bestand darauf, die Ikone selbst zu Grabe zu tragen. Der Sarg wurde exhumiert und abermals beigesetzt. ‚Dann waren alle zufrieden, auch der Ernst‘, sagt Mannschaftsbetreuer Karl-Heinz Neumann.“37

Kuzorra wurde aber, wie Christine Walther mit Belegen aus dem Schalke-Vereinsarchivs zu berichten weiß, keinesfalls exhumiert; Präsident Eichberg hatte einen Anschlußflug aus dem Urlaub von den Bahamas verpaßt und ging

35 WEHRHAN, Aberglaube im Sport (Anm. 33), 49, vgl. ebd., 49–53. Nicht ohne Grund hat

Film- und Theaterregisseur Werner Herzog die Strapazen seines Gewaltmarsches von München nach Paris im November und Dezember 1974 zu der damals schwer erkrankten Filmhistorikerin Lotte Eisner, deren Tod er durch den Marsch abwenden wollte, im Tri-kot Hermann Nubers, des Metzgers und Fußballidols der Offenbacher Kickers, auf sich genommen. Vgl. WERNER HERZOG, Vom Gehen im Eis, München / Wien 1978, 55.

36 Vgl. dazu MARKWART HERZOG, Scharfrichterliche Medizin. Zu den Beziehungen zwi-schen Henker und Arzt, Schafott und Medizin, in: Medizinhistorisches Journal. Internati-onale Vierteljahresschrift für Wissenschaftsgeschichte 29 (1994) 309–331, hier 328–331.

37 RICHARD LEIPOLD, Schalke 04: Zwischen Triumpf und Tragödie, in: Frankfurter Allge-meine Sonntagszeitung, 2.5.2004 (http://www.faz.net/s/RubAEA2EF5995314224B44A 0426A77BD700/Doc~EAB00F2B8D7C847F88D447FE6F2A10CE3~ATpl~Ecommon~Scontent.html [9.7.2004]).

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nach der offiziellen Beisetzung zum Grab des Schalke-Idols, um sich mit Fahne, in Begleitung des Oberbürgermeisters und anderer Persönlichkeiten fotografieren zu lassen. In der Bild-Zeitung hieß es danach – unter der Über-schrift „Das gibts’s nur in Schalke: Ernst Kuzorra ‚zweimal beerdigt‘“ –, daß „nach der offiziellen Beerdigung ein zweiter Trauergang“ organisiert worden sei.38 Wenn man die von Bild um die Worte „zweimal beerdigt“ gesetzten Anführungszeichen übersieht, dann ist es zur Vorstellung einer Exhumierung nur noch ein kleiner Schritt, und schon ist jene populäre ‚Mythologie‘ ge-schaffen, wie sie die Frankfurter Allgemeine kolportiert.

3.2. Der ‚heilige Rasen‘ als Aschestreufeld im Friedhof

In den aktuellen Diskussionen über neue Aufbrüche in der Bestattungswirt-schaft39 wird gelegentlich das Ajax-Aschestreufeld auf dem Friedhof Westgaarde (Westgaarde – centrum voor begraven en cremeren) erwähnt. Barbara Happe hat diesen ehemaligen Stadionrasen einen „Medienliebling“40 genannt. Die Grasnarbe stammt aus dem Stadion De Meer – so genannt nach dem Standort des Spielgrundes im Amsterdamer Stadtteil Watergraafsmeer41.

Auf Initiative nicht der Fanclubs des Amsterdamer Fußballvereins – „there is no official connection to this cemetery“, bestätigte der AFC Ajax Amster-dam42 –, sondern des Friedhofsmanagements Westgaarde wurde ein Teil der Grasnarbe im August 1996 ausgestochen, nach Westgaarde transferiert und dort als Aschestreufeld43 im Oktober 1996 seiner Bestimmung übergeben.44 Bald fand die erste Ascheausstreuung eines Ajax-Fans statt, über den die Ta-geszeitung De Volkskrant damals titelte: „Bis in den Tod mit dem geliebten Fußballklub verbunden“.45 Schon diese Schlagzeile macht deutlich: Hier geht es um lebenslange Vereinstreue und um Loyalitätsverhältnisse über den Tod hinaus. Der Einzelne bringt sich auf diese Weise auch postmortal in seinen 38 Bild (Bild-Rhein-Ruhr), 8.1.1990. Vgl. dagegen Westfälische Allgemeine Zeitung,

8.1.1990 („Nach 24stündiger Reise drei Stunden zu spät gekommen“). 39 Österreichische Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung OGPP, Privati-

sierung und Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen in der EU – Teil 14: Bestat-tungswesen, Wien, 11.4.2003, hier 12 (http://www.politikberatung.or.at/images/Bildar chiv/bestattung.pdf [28.5.2003]).

40 BARBARA HAPPE, Veränderungen in der sepulkralen Kultur am Ende des 20. Jahrhun-derts, in: Friedhof und Denkmal 45 (1/2000) 9–20, hier 10 (http://www.sepulkralmuse um.de/pub/fud/fud00/fud001/happe.htm [27.8.2003]).

41 Von ‚mijmeren‘: nachdenken, zur Besinnung kommen. 42 AFC Ajax, Danny Hess, Public Relations, E-Mail vom 3.6.2003. 43 Fotografie des Streufeldes in: http://www.westgaarde.nl/page2.html (28.8.2003); http://

www.herfstinmijnhart.nl/IGM3.htm (28.8.2003). 44 Vgl. ROGIER RIJKERS, Westgaarde opent strooiveld voor Ajax-fans, in: NRC Handels-

blad, 23.10.1996 (http://www.nrc.nl/W2/Nieuws/1996/10/23/Spo/01.html [27.8.2003]). 45 Vgl. De Volkskrant, 23.10.1996 („Tot in de dood één met geliefde voetbalclub“);

http://www.gedenkboek.nl/info/nieuws/nieuws43.htm (28.8.2003).

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Fußballklub ein – aber nicht etwa nur symbolisch, sondern auch physisch ver-mittelt durch die Überreste, die nach der Kremation verbleiben. Die Asche-ausstreuung auf Stadionrasen erfüllt dieselbe Funktion wie die am Beispiel des 1. FCK analysierten Mannschaftsfotos. In beiden Fällen geht es darum, eine transgenerative Vereinsgemeinschaft darzustellen, die über den Tod des Einzelnen hinausreicht, die lebende und verstorbene Mitglieder umfaßt.

Das AJAX-verstrooiveld in Westgaarde ist in der Nähe des alten Urnengar-tens angelegt, umschreibt eine Fläche von 18 mal 10 Metern, verfügt über einen eigenen Zugangsweg und eine überdachte Bank, die ebenfalls aus dem alten Stadion De Meer stammt. Die Größe des Streufeldes erlaubt eine Asche-ausbringung von 20 bis 25 Fans pro Jahr. An die Verstorbenen, die dort ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, erinnern keramische Gedenktäfelchen. Ihre sechseckige Form verweist auf jene Elemente, aus denen ein Lederfußball zusammengesetzt ist.46

Die Friedhofsverwaltung Westgaarde wollte mit dieser Neuerung die Pa-lette der Möglichkeiten zur Ascheverstreuung erweitern und den zahlreichen Anhängern von Ajax Amsterdam ein besonderes sepulkrales Angebot er-schließen. Den Verantwortlichen von Westgaarde war nämlich aufgefallen, daß sich mancher Ajax-Fan in den Farben seines Vereins bekleidet bestatten läßt und man ihm entsprechende Devotionalien ins Grab legt. Daß in fußball-sportlichen Subkulturen besondere Bedürfnisse bestehen, hatten verschiede-ne, öffentlich diskutierte Konfliktfälle verdeutlicht. So wollte der Boxer Bep van Klaveren seine Urne im Stadion von Excelsior Rotterdam unter der Gras-narbe beisetzen lassen, was ihm aber verwehrt wurde.

Ein eigenes Ajax-Terrain als letzte Ruhestätte war eine folgerichtige Wei-terentwicklung schon gegebener Tendenzen einer fußballgemeinschaftsbezo-genen Bestattungskultur, zumal die Ascheverstreuung in den niederländi-schen Stadien damals noch nicht erlaubt war. Heute ist das Ajax-Streufeld ein fester Bestandteil der Amsterdamer Sepulkralkultur, das die traditionellen Friedhöfe und Beisetzungspraktiken bereichert.47 Jedoch handelt es sich kei-neswegs um ein exklusives Ajax-Terrain. Vielmehr hat die Friedhofsverwal-tung den Adressatenkreis für dieses Dienstleistungsangebot nicht auf Ajax-Anhänger eingeschränkt. Das heißt, auf diesem Streufeld kann jeder, unab-

46 Vgl. WOUDA BOUWMAN, „Geen vlaggen, petjes en andere voetbal-relikwieën“, in: Te-

legraaf, 24.5.1996; ferner MARIEKE MONDEN, Grasmat Ajax als laatste rustplaats, in: Het Parool, 21.5.1996; DIES., Veel animo voor Ajax-veld op Westgaarde, in: Nieuws van de Dag, 22.5.1996. – Produziert werden die Täfelchen, die für die Dauer von fünf Jahren aufgestellt und um dieselbe Periode verlängert werden können, von Keramikstudio GAIA en OSO aus Huissen. Das Täfelchen für einen Verstorbenen kann auch in mehre-ren Exemplaren mit derselben Inschrift angefertigt werden, so daß die Angehörigen die-ses Memorialobjekt für das private Gedenken mit nach Hause nehmen können.

47 Vgl. HENK DE FEIJTER, Funeraire Cultuur Amsterdam, Soesterberg / Rotterdam 2002, 53f.

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hängig von seiner Fußball-‚Konfession‘, die letzte Ruhestätte finden; die In- teressenten werden vom Friedhofspersonal jedenfalls nicht nach ihren club-spezifischen Loyalitäten gefragt.

3.3. Stadionbestattung: ‚the ashes of our fathers‘

Westgaarde steht also für das Modell Stadionrasen im Friedhof. In der Ge-schichte des Fußballsports wartet Kaiserslautern mit einem Alternativmodell auf: mit der Friedhofserde im Stadion. Als sich der VfR in der Saison 1948/49 unter Trainer Fritz Walter für die Oberliga Südwest qualifiziert hatte, mußte das Stadion Erbsenberg erstligareif gemacht werden. Torhüter Werner Berndt erinnert sich daran, daß zu dieser Zeit der Alte Friedhof an der Frie-densstraße für einen Hochhausbau geräumt wurde. Das Erdreich wurde mit LKWs und Traktoren auf den Erbsenberg geschafft. Spieler und VfR-Anhänger mußten in monatelanger Arbeit von Hand, mit Rechen und großen Sieben die Knochen und Skelette von der Erde trennen, so daß der VfR in der Saison 1949/50 auf Friedhofsgrund spielen konnte. Nebenbei bemerkt: Beim Alten Friedhof am Bäckerstein hatte die Stadtverwaltung Kaiserslautern 1895 den ersten Fußballplatz ausgewiesen; die Spieler hatten die Möglichkeit, sich in der benachbarten Leichenhalle umzuziehen und dort einen Schrank für die Sportgeräte aufzustellen.48

In Großbritannien gibt es seit geraumer Zeit eine dritte Variante der Sym-biose von Friedhof und Fußballplatz: die Nutzung des Spielgrunds als Aschestreufeld. In diesem Fall muß man die Rasenfläche nicht erst auf einen Friedhof transportieren, um dort die Asche auszubringen – das Stadion ist gleichsam selbst der ‚Friedhof‘ bzw. das Streufeld. Schon 1982 schrieb der Sportjournalist Dieter Ueberjahn:

„Fußball – das ist hier in Liverpool Religion. Bill Shankly, der große alte Mann des FC Liverpool, der viele, viele Jahre als Manager dort arbeitete, der von den Fans angehimmelt wurde und der nach seinem Tod im Jahre 1981 eine Riesen-Beerdigung in rot-weißen Farben hatte, erklärte die Stimmung an der Anfield Road einmal so: ‚Das Stadion hat für viele die Kirche ersetzt. Die Fans, als Kult-träger, vergöttern hier die Spieler. Wir haben vor einigen Jahren sogar einmal die sterblichen Überreste eines eingeäscherten Fans, auf seinen letzten Wunsch hin, unter einem Tor des Rasens begraben. Fußball ist in Liverpool etwas ganz Be-sonderes.‘ Es gibt noch andere Beispiele für den ungeheuren Fanatismus, für die Liebe der Fans zu ihrem Klub, die bis über den Tod hinausgeht. Ein anderer Anhänger ver-langte in seinem Testament, daß seine Asche über den ‚Kop‘ verstreut werden sollte. Noch bevor der Wind die Asche in alle Welt verweht hatte, erschienen be-reits die Fans zum nächsten Heimspiel.“49

48 Zu ähnlichen Vorkommnissen vgl. SHARPE, The Final Whistle (Anm. 10), 26f. 49 DIETER UEBERJAHN, Europas Spitzenklubs, Düsseldorf 1982, 78.

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‚Kop‘ nennt der Volksmund eine Stehtribüne hinter einem Tor im Stadion an der Anfield Road in Liverpool – ein Name, der aber auch in anderen Stadien verwendet wird und selbst ein Element der Memorialkultur, des Gefallenen-gedenkens sein soll: „‚Spion Kop‘, after a hill in Natal District upon which many young infantrymen from local regiments had perished in a losing battle in January 1900 in the still-strong-in-the-memory Boer War.“50 Aschever-streuungen sind so verbreitet und gut eingebürgert, daß der englische Fuß-ballverband dazu ein eigenes Richtlinienwerk herausgegeben hat.51 Demzu-folge darf weder die Bespielbarkeit des Platzes beeinträchtigt noch der Spielbetrieb gestört werden. Dagegen gibt es in Schottland kein derartiges Reg-lement. Auch bei Manchester City ist die Ascheverstreuung üblich, und wenn der Rasen erneuert wird, bietet der Club „family pieces“ für die Gräber verstor-bener Anhänger an. Dieses Angebot wurde ein letztes Mal unterbreitet, als der Club ins City of Estlands Stadium im März 2002 umgezogen ist: eine Variante des Modells ‚Stadiongrasnarbe auf dem Friedhof‘.

Daß die Angehörigen britischer Fußballfangemeinden auf diese Weise „auch im Tode ihrem Lieblingsteam verbunden bleiben“ wollen, haben mitt-lerweile auch die Kirchen als konkurrierendes Angebot zu der bisher von ih-nen in Westeuropa dominierten Bestattungskultur wahrgenommen.52 Für den britischen Kulturhistoriker John Bale ist die hier diskutierte Beziehung zwi-schen Friedhof und Stadion ein deutliches Indiz für die Richtigkeit der These vom Stadion als heiligem Ort („stadium as a much loved place or a sacred place, analogous to a cathedral“53): „The ashes of deceased fans have been scattered over the pitch or buried beneath the terraces; even a stadium cat lies buried beneath one goal line.“54

Aber wie gehen die Fans mit den in der Asche verbleibenden Knochentei-len um? Auf diese Frage und andere Fragen hat Graham Sharpe nach Antwor-ten gesucht, 2000/01 englische und schottische Fußballvereine angeschrieben und das Ergebnis der Erhebung in seinem Buch The Final Whistle publiziert.

50 JOHN WILLIAMS, Out of the Blue and into the Red: The Early Liverpool Years, in: WIL-

LIAMS / HOPKINS / LONG, Passing Rhythms (Anm. 7), 15–37, hier 24f. 51 Vgl. RIJKERS, Westgarde (Anm. 44). – RAINER MORITZ (Hrsg.), Vorne fallen die Tore.

Fußball-Geschichte(n) von Sokrates bis Rudi Völler, München 2002, 245, zu einer dpa-Meldung. – Neuerdings ist das auch in den Niederlanden gestattet. Auf diese Weise ist „es eingefleischten Anhängern möglich, ihrem Verein auch über den Tod hinaus die Treue zu halten. Annette Dijkstra, Sprecherin des Innenministeriums [der Niederlande], wies dar-auf hin, daß es freilich der Zustimmung des betroffenen Vereins bedürfe.“

52 BRUNO GRABER, Fussball: Die wichtigste Nebensache der Welt, in: http://www.jesus.ch/ index.php/D/article/21/1841/ (30.8.2003).

53 JOHN BALE, Playing at home: British football and a sense of place, in: JOHN WILLIAMS / STEVEN WAGG (Hrsg.), British Football and Social Change: Getting into Europe, Leices-ter / London / New York 1991, 130–144, hier 131.

54 BALE, Playing at home (Anm. 53), 132.

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Dieser erste Teil des Buches, der die Ascheausstreuung auf britischen Fußball-spielfeldern behandelt, umfaßt 18 Seiten und verfolgt das lebenspraktische Ziel, allen Fans dabei zu helfen, „to plan their ultimate resting place.“55 Über die Auf-listung der Ascheausstreuungspraktiken bei britischen Fußballvereinen hinaus enthält The Final Whistle einen 101 Seiten umfassenden, alphabetisch aufbereite-ten Abschnitt, in dem man unter verschiedensten Stichworten den Berührungs-punkten zwischen Fußball und Tod nachspüren kann. Der letzte Teil des Bandes bietet auf 90 Seiten chronologisch geordnete „Deadly Dates“, die Todesdatum und Todesart von Fußballspielern und andere ‚tödliche‘ fußballsportliche Sach-verhalte wiedergeben: „a unique day-by-day chronicle of fatal football facts“.56 Daß Sharpes Nachrichtensammlung nicht historisch-kritisch erarbeitet ist und auch keine Quellenbelege enthält, tut dem Charme seines Pionierwerks keinen Abbruch. Der Autor hat seinen Band mit folgender Widmung versehen: „To my brother-in-law Bob Nelson, who will rest more happily in peace thanks to the kindness of his beloved Blackpool FC, who generously supplied some turf from Bloomfield Road which now adorns his grave.“57 Die Asche von Sharpes Schwa-ger wurde also nicht auf dem Fußballrasen ausgestreut; statt dessen ziert ein Stückchen desselben nun das Grab und garantiert die Seelenruhe des Verstorbe-nen.

Den Anlaß für Sharpes Recherche gab ein Vorfall in Spanien: der letzte Wunsch eines Anhängers von Betis Sevillia, „that he could continue to sup-port his beloved team – even from beyond the grave.“ Sein Sohn hielt deshalb die Mitgliedschaft seines verstorbenen Vaters aufrecht, erwarb für ihn eine Saisonkarte, um mit dessen Asche in einer Glasurne zu den Heimspielen zu pilgern. Dies untersagten jedoch die Sicherheitskräfte des Vereins; der Vor-schlag der Cluboffiziellen, die Urne im Trophäenraum aufzustellen, scheiterte am Veto der Reinigungskräfte, die eine ‚morbide Atmosphäre‘ befürchteten. Schließlich wurde der Konflikt dahingehend gelöst, daß man dem Sohn er-laubte, die Asche des Vaters in einem Kartonbehälter ins Stadion mitzuneh-men, „which was placed on a seat to allow a clear view of the game. ‚Every time Betis scores‘, said the anonymous son, ‚I give him a little shake.‘“58

Bei Manchester United fallen pro Jahr ca. 25 bis 30 Ascheausstreuungen an. Von Ian Henchan, Commercial Manager des südwestschottischen Traditi-onsclubs The Queen of the South, ist zu erfahren: Der Club propagiere zwar die Ascheverstreuung nicht öffentlich, aber er habe bisher allen Begehren – jährlich ca. zwei bis drei – stattgegeben. Die Asche werde außerhalb des Spielfeldes, vor allem hinter den Toren, verstreut. Im Sommer 2004 habe eine ältere Dame vor einer Operation das Management des Clubs um die Erlaubnis 55 SHARPE, The Final Whistle (Anm. 10), VIII. – Wenn im folgenden Daten über Aschever-

streuung in britischen Stadien nicht mit Literaturangaben belegt sind, entstammen sie diesem Abschnitt der Studie Sharpes.

56 SHARPE, The Final Whistle (Anm. 10), VIII. 57 SHARPE, The Final Whistle (Anm. 10), VI. 58 SHARPE, The Final Whistle (Anm. 10), 19f., vgl. VII.

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zur Verstreuung ihrer Asche gebeten – für den Fall, daß sie den Kranken-hausaufenthalt nicht überleben sollte. Außerdem gebe es verstorbene Fans, deren Angehörige einen Teil der Asche mit nach Hause nähmen und den an-deren Teil im Stadion ließen. Auf die Frage, ob man nicht Schäden für den Rasen befürchte, antwortet Henchan, von Beruf Farmer, daß eher das Gegen-teil der Fall sei, da die Asche den Boden dünge. Aber die Spieler seines Clubs schätzten es nicht, auf einem Platz mit Kremationsrückständen zu spielen.

Sharpes Umfrage zufolge befürchten einige Clubs gesundheitliche Risiken für die Spieler und Schäden für den Rasen. Deshalb wird von zahlreichen Clubs eine Variante gewünscht, die an ethnologisch und kulturhistorisch reich dokumentierte und schon in prähistorischer Zeit praktizierte Formen der ‚Teilbestattung‘59 erinnert: Die Leichen werden anatomisch zerlegt und an verschiedenen Orten bestattet, während es in der Fankultur die Asche ist, die nach den Präferenzen des Verstorbenen an Plätzen seiner Wahl beigesetzt wird. Der Fußballclub The Queen of the South dringt darauf, daß ein mög-lichst geringer Teil der Asche eines Verstorbenen auf dem Spielfeld ausge-bracht und der Rest anderweitig entsorgt wird. Durch solche ‚Teilbestattun-gen‘ ist es möglich, dem Interesse der Fußballclubs nachzukommen, die eine Ausbringung von Knochenresten auf dem Stadionrasen verhindern möchten. – „Okay, but please don’t bring all the ashes“, lautete eine Bitte des Rochdale FC.60 – Um Schäden des Rasens (Bradford City, Bristol City, Southampton) und Hygieneprobleme zu vermeiden und mit Rücksicht auf die ablehnende Haltung von Spielern (Hibernian Edinburgh) wird bei manchen Clubs die Asche verstorbener Fans nicht verstreut, sondern vergraben (‚burial of ashes‘) – vorzugsweise hinter dem Tor (Blackpool, Chelsea London, York City, Wal-sall) oder am Spielfeldrand.

The Queen of the South überläßt die Ausstreuung den Angehörigen, denen der Club den Zugang ins Stadion ermöglicht. Andere Clubs organisieren die Zeremonien selbst, bieten teilweise sogar geistliche Begleitung an wie bei-spielsweise Leicester City, Fulham, Everton, Charlton Athletic, Crystal Pala-ce, West Ham United, Watford – oder die Wolverhampton Wanderers durch „Club Chaplain, the Rev John Hall Matthews“61.

59 Vgl. ALOIS M. HAAS, Todesbilder im Mittelalter. Fakten und Hinweise in der deutschen

Literatur, Darmstadt 1989, 64f.; KARL STÜBER, Commendatio animae. Sterben im Mit-telalter, Bern / Frankfurt a.M. 1976, 143–148, 248–252. – Zu den ‚Herzbegräbnissen‘ als Sonderfall der ‚Teilbestattungen‘ vgl. ALBERT WALZER, Das Herz im christlichen Glau-ben (Das Herz. Eine Monographie in Einzeldarstellungen), Biberach an der Riss: Dr. Karl Thomae GmbH 1967, 38–43; HUBERT SCHRADE, Das Herz in Kunst und Geschichte (Das Herz. Eine Monographie in Einzeldarstellungen), Biberach an der Riss: Dr. Karl Thomae GmbH 1968, 3–23; GABRIELE WOLL, Pompe funèbre – Machtrepräsentation im Leichenzeremoniell, in: DAXELMÜLLER, Tod und Gesellschaft (Anm. 6), 59–64, hier 60.

60 Zit. bei SHARPE, The Final Whistle (Anm. 10), 16. 61 SHARPE, The Final Whistle (Anm. 10), 6.

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Manche Clubs versuchen, die Ausstreuung zeitlich einzugrenzen: Derby County bittet die Angehörigen verstorbener Anhänger, die Asche nur im No-vember und Dezember auszubringen, weil der Rasen in dieser Jahreszeit da-durch am wenigsten Schaden nehme. Einmalig im britischen Fußball ist die Bestimmung des FC Everton, der den Dienstag als eigenen Bestattungstag festgelegt hat.

Die Fußballclubs St. Johnstone, Motherwell, Halifax Town und Inverness Caledonian Thistle verstehen die Ascheverstreuung als besondere Auszeich-nung und beschränken sie auf Persönlichkeiten mit ‚individual merits‘, also auf Funktionäre, Sponsoren und Spieler. Die Asche des im Alter von 60 Jahren verstorbenen Ken Amstrong, des früheren Halbrechten von Chelsea London, wurde 1984 im Stadion an der Stamford Bridge verstreut, die von War Jackie Milburn 1988 im St. James’ Park von Newcastle United. Die Asche von Sir Stanley Matthews hingegen wurde vergraben: im Anstoßkreis des Britannia Stadions von Stoke City – und Ricky Tomlinson vom FC Li-verpool wünscht sich eine Ascheverstreuung im Stadion an der Anfield Road.

Die von Sharpe dokumentierten Stellungnahmen britischer Fußballvereine lassen sich nicht auf einen Nenner bringen: Manche Clubs hatten die Asche-verstreuung früher einmal erlaubt, während sie heute untersagt ist (Celtic Glasgow, Glasgow Rangers, Tottenham Hotspur); einige Clubs hatten sie aus verschiedenen, teils administrativen Gründen noch nie gestattet (Southamp-ton, Brighton & Hove Albion); andere Clubs antworteten, daß sie mit diesem Wunsch noch nie konfrontiert wurden (Berwick Rangers, Dunfermline Athle-tic, FC Dundee); wiederum andere Fußballvereine gehen das Problem offen-siv an, indem sie auf eigenen Rasenflächen Gardens of Remembrance oder Memorial Gardens anlegen, auf diese Weise den verstorbenen Fans eine Heimstatt gewähren (Northampton Town, Charlton Athletic, Millwall, Luton Town) und zugleich den Berührungsängsten der am Spielbetrieb beteiligten Personengruppen Rechnung tragen. In jedem Fall gibt es eine Tendenz zur Verlagerung der Ascheausstreuung vom Spielfeld auf andere Felder, wobei Leeds United im Stadion an der Elland Road ein eigenes Feld ausweist, auf dem Urnenbestattungen möglich sind.

Clubs, bei denen die Ascheverstreuung untersagt ist, bemühen sich für ihre Fans um die Möglichkeit eines Totengedenkens durch Eintrag in ein Book of Remembrance (Celtic Glasgow). Andere Clubs gewähren schriftliche Formen der Memoria im Verbund mit der Ascheverstreuung: durch Memorial Bricks oder Memorial Plaques (Wolverhampton Wanderers, Glasgow Rangers, Millwall, Scunthorpe United, Chelsea London), Books of Remembrance (Wolverhampton Wanderers, Birmingham City) oder – bei Arsenal London – „a database of information about whose ashes are at the ground and have run stories in their programme.“62 62 SHARPE, The Final Whistle (Anm. 10), 8.

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Abb. 5: ‚Football Funerals‘ – Angebote der ‚Co-operative Funeral Services‘ für die Fans des Birmingham City FC.

Besondere Erwähnung verdient Birmingham City, ein Fußballclub, der weit über die stadiongebundenen Möglichkeiten hinausgeht, indem er in Zusam-menarbeit mit einer Bestatterkette neben der Ascheverstreuung im Stadion auch Erdbegräbnisse für Fans anbietet: Football Funerals (Abb. 5).63 Die An-gehörigen verstorbener Anhänger können mit Clubinsignien geschmückte Särge erwerben, wie sie seit wenigen Jahren in der Marktlücke der ‚individu-ellen Themenbestattungen‘ zur Produktpalette auch des deutschen Marktes gehören: der gelbe Sarg mit aufgemaltem Signalhorn für den Postbeamten,64 für den Borussen-Fan die Urne in Fußballform mit schwarz-gelbem BVB-Schal oder für den Schalke-Fan der königsblaue Kirschbaumsarg.65

Die Tageszeitung Peterborough Today berichtete am 15. Oktober 2004 von einer Studie über die anthropologischen Bedürfnislagen, die hinter diesen Entwicklungen stehen: „people today would rather have their ashes scattered in a personal place or landmark rather than a churchyard [...] people today are keen to look beyond tradition when planning their funerals and want a final resting place that reflects and celebrates their life. [...] Lifelong Peterborough

63 Vgl. http://www.footballfunerals.co.uk/ (25.10.2004) 64 Vgl. CHRISTIAN KORTMANN, Mehr Spaß am Grab. Requisiten für den starken Abgang:

Auf der „eternity 2002“ warben die Bestatter für Fußball-Urnen, Designersärge und letz-te Joyrides, in: Süddeutsche Zeitung (Feuilleton), 24.9.2002.

65 KAI-HENDRIK HASS, Schalke-Sarg und Fußball-Urne. Dortmunder Bestatter bietet Beer-digungen in Vereinsfarben (http://www.wdr.de/themen/panorama/6/beerdigung_bvb_ schalke/index.jhtml [25.1.2005]); vgl. SHARPE, The Final Whistle (Anm. 10), 28f., 53–55.

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United fan Phil Martin (24), who lives in Eldern, Orton Malborne, said: ‚I would definitely choose the pitch at London Road to scatter my ashes, pref-erably by one of the players before a big match. I don’t know what Barry Fry would think of it though!“66

Was in Sharpes Dokumentation einige Male anklingt, sind die besonderen Probleme, die sich einstellen, wenn ein Stadionneubau oder der Verkauf eines traditionsreichen Spielgrundes im Falle einer Insolvenz anstehen. Wäre es im Sinne des Verstorbenen, mit seinem Club umzuziehen oder aber seine Asche am alten Ort unter völlig anderen Rahmenbedingungen zu belassen: „would someone whose desire it had been to be scattered at the ground where pre-sumably they had spent their happiest hours, wish to be re-housed, as it were, elsewhere, albeit at the current location of their favourite team“?67 Arsenal London plant derzeit den Bau eines neuen Stadions in Ashburton Grove mit einer Kapazität von 60.000 Zuschauern im Vergleich zu den nur 38.000 Zu-schauern im traditionsreichen Highbury-Stadion. Zwei sich daraus ergebende Folgeprobleme spricht die Homepage des FC Arsenal ausdrücklich an – Denkmalschutz und Pietät: „Doch was geschieht mit dem altehrwürdigen Highbury (incl. der dort verstreuten Asche verstorbener Arsenal-Fans)?“68 Sharpe erhielt von Arsenal die Auskunft, die meisten Fans bevorzugten es, daß die Asche in Highbury verbleibe. Aber was geschieht mit dem ‚heiligen Rasen‘ des schottischen Fußballvereins Heart of Midlothian, wenn der Club sein Stadion aus finanzieller Not an eine Immobiliengruppe veräußern muß, die dort Häuser bauen will?

Neben dem Sonderfall des Stadionumzugs machen manche Fußballclubs in ihren Antworten auf Anfragen nach Ascheausstreuungen auf ein anderes, viel grundsätzlicheres Problem aufmerksam. Denn auch die Erneuerung des Rasens oder die Auswechslung der Grasnarbe greift in das Schicksal der aus-gebrachten Asche ein: „Pitch renovation, or pitch reconstruction may well lead to the ashes being disturbed“ (Walsall FC); „we cannot be held responsi-ble for any future ground development or alterations to our pitch or Stadium“ (Notts County FC). Leichter läßt sich die Schwierigkeit lösen bei Rasen-stücken außerhalb des Spielfeldes: „When levelling works took place on the pitch, the Club ‚was carefull to remove the top half inch of the surface before returning it on completion of the works‘ “ (Hibernian Edinburgh FC).69

Stadionneubauten sind in England häufig deshalb umstritten, weil die alten Spielstätten einerseits für Herkunft und Tradition der Vereine stehen, sich mit Erinnerungen verbinden, die die Väter an ihre Söhne und Enkel weitergeben, 66 Peterborough Today. Home of The Evening Telegraph, 15.10.2004 („Funerals: Scatter

my ashes on a football pitch“): http://www.peterboroughtoday.co.uk/ViewArticle2.aspx? SectionID=845&ArticleID=872069 (24.10.2004).

67 SHARPE, The Final Whistle (Anm. 10), 7. 68 Vgl. www.arsenalfc.de/stadnew.htm (30.8.2003). 69 Zit. nach SHARPE, The Final Whistle (Anm. 10), 18, 16, 13.

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und andererseits in ihrem Repräsentationswert für die Kommunen – „The Ground as an Emblem of Locality“70 – nicht unterschätzt werden dürfen. Für viele Fans kommt ein solcher Umzug einer fußballkulturellen Heimatvertrei-bung gleich, einem Exodus aus dem Stadion als ‚spiritual home‘. Der Kom-mentar der Arsenal-Homepage läßt vermuten, daß der alte Highbury-Rasen zu einer Parkanlage und damit auch zu einem Ort der Besinnung und des To-tengedenkens ausgebaut werden soll. Damit könnte die Grassode mit der Asche der Väter für die folgenden Generationen erhalten bleiben. Das Prob-lem wäre somit wenigstens teilweise gelöst. Aber es bleibt unbefriedigend, daß die Asche der Väter nicht mehr dort anzutreffen ist, wo die Söhne ihre Spiele austragen. Die Toten werden von den Lebenden getrennt, verbleiben allerdings an jenem Ort, an dem sie bei Lebzeiten ihre schönsten Stunden verbrachten. Die Stellungnahme eines Fans vom 22. Dezember 2002 auf der Homepage des Swansea City Football Club bringt diese Problematik ange-sichts von ‚Umzugsplänen‘ auf den Punkt:

„The Vetch is where professional Football in Swansea was birthed and for many generations its been the temple of worship for all our fans. I recall in days gone by watching from the terraces as some of our deceased supporters had their ashes sprinkled across the playing field as proud relatives solemnly looked on. The Vetch is not just a temple for Swansea fans it’s a shrine as well, a place of remembrance and sacrifice that is forged into the Historic roots of our City. The Vetch is also a graveyard of glorious memories, a place which our Fathers can take pride in as they tell their sons the stories of past great players and perform-ances in times long gone. The Vetch ‚our great shrine‘ is a Sanctuary and it deserves our sincerest respect and devotion.“71

In Großbritannien ist das Bestattungswesen bei weitem nicht so rigide durch gesetzliche Bestimmungen eingeengt wie in der Bundesrepublik Deutschland. Je weniger das Bestattungsrecht regulierend in die Handlungsspielräume ein-greift, desto eher ist es subkulturellen Vergemeinschaftungsformen72 möglich, eigene Rituale zu schaffen und normabweichende Bestattungsorte zu nutzen.

4. Sportlerbiographien und Ruhmeshallen

In die Überlegungen zum Totengedenken und zu Bestattungspraktiken im Sport könnte man auch noch einige Formen heutiger Erinnerungskultur mitein-beziehen, die teils durch die sportgeschichtliche Forschung, teils auch durch die Recherchen der Fußballvereine und deren Verbänden abgedeckt werden. 70 TAYLOR, Hillsborough (Anm. 7), 93f.; vgl. BALE, Playing at home (Anm. 53), 135f.;

BOYLE, Football and Religion (Anm. 7), 47–49. 71 http://www.scfc.co.uk/gb221202.html (21.12.2004). 72 Vgl. den Beitrag RICHTER in diesem Band, S. 247.

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4.1. Biographien – ‚damnatio memoriae‘ – ‚Halls of Fame‘

Zum einen bemüht man sich mit wachsendem Interesse um die Rekonstrukti-on der Lebensläufe bedeutender Turner und Sportler. Hierzu gehört vor allem auch die Darstellung von Einzelschicksalen jüdischer Sportler, die nicht ir-gendwie in Vergessenheit geraten sind, sondern ab 1933 – oder schon früher – aus ihren Vereinen ausgeschlossen und deren Namen ausgelöscht werden sollten. Durch die Pflege einer solchen Erinnerungskultur wird die im deut-schen Sport der NS-Zeit über jüdische Bürger verhängte Erinnerungsvernich-tung (damnatio memoriae)73 wenigstens teilweise wieder rückgängig ge-macht.74

Über solche Biographieprojekte hinaus gibt es die sogenannten Halls of Fame der Vereine und Verbände des Sports. Diesen Ruhmeshallen geht es neben der Club- oder Verbandsgeschichte im besonderen um herausragende Sportler und Funktionäre, die in Erinnerung und in Ehren gehalten werden sollten. Das Niedersächsische Institut für Sportgeschichte Hoya e.V. (NISH) hat eine solche Ehrengalerie für den niedersächsischen Sport bereits 1988 gegründet. Doch insgesamt tut man sich in Deutschland mit den Halls of Fa-me schwer: nicht zuletzt wegen der Problematik derjenigen Spitzensportler, die im Nationalsozialismus zwar bedeutende sportliche Leistungen erbracht, aber ansonsten keine vorbildliche, also auch keine ehren-werte Rolle gespielt haben.75

Auch im Internet können museale Ruhmeshallen angesteuert und besucht werden, beispielsweise die Soccer Hall of Fame in den USA, die im Internet einen virtuellen Rundgang ebenso anbietet76 wie zahlreiche britische Fußball-clubs. Weil sich in diesem Kontext aber nur wenige, für die Fußballkultur spezifisch-subkulturelle Eigenarten finden lassen, soll dieser Kontext hier nicht näher behandelt werden.

4.2. Fritz Walters ‚11 rote Jäger‘: ein literarischer Totengedenkstein

Einen bemerkenswerten Beitrag zum Totengedenken im Fußballsport verdan-ken wir Fritz Walter, Ehrenbürger der Stadt Kaiserslautern und Ehrenspiel-führer der deutschen Nationalmannschaft. Walter hat einen ausführlichen Be-richt über seine Zeit als Luftwaffensoldat der letzten beiden Kriegsjahre

73 Vgl. MARKWART HERZOG, Totengedenken und Interpretation, in: DERS. (Hrsg.), Toten-

gedenken und Trauerkultur. Geschichte und Zukunft des Umgangs mit Verstorbenen, Stuttgart 2001, 9–18, hier 17.

74 Vgl. dazu DIETRICH SCHULZE-MARMELING (Hrsg.), Davidstern und Lederball. Die Ge-schichte der Juden im deutschen und internationalen Fußball, Göttingen 2003.

75 Vgl. die Miszellen von ARND KRÜGER und BERND WEDEMEYER-KOLWE in: SportZeiten. Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft 1 (2001), Nr. 3, 109–111; 2 (2002), Nr. 2, 130f.; 2 (2002), Nr. 3, 99f.

76 Vgl. http://www.soccerhall.org/VirtualTour/index.htm (28.8.2003).

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verfaßt. Die 220 Seiten seines in mehreren Auflagen erschienenen Buches 11 rote Jäger – Nationalspieler im Kriege schildern die Geschichte der Solda-tenmannschaft ‚Rote Jäger‘, der Fußballmannschaft des Jagdgeschwaders 52, die unter dem Kommando des Jagdfliegermajors Hermann Graf stand.

Auf den ersten 200 Seiten berichtet Walter über die Spiele, die sportlichen Erfolge und Mißerfolge der Roten Jäger und über die kriegsbedingten Prob-leme des Militärsports. Erst auf den letzten 20 Seiten offenbart Fritz Walter, warum er dieses ungewöhnliche Buch geschrieben hat: Er wollte mit seinem Bericht den 34 gefallenen Nationalspielern des Deutschen Fußball-Bundes „ein Denkmal setzen“.77 Obendrein ruft das Buch die Verdienste Hermann Grafs in Erinnerung, der bei seinem Bodenpersonal nicht nur Fritz Walter, sondern auch andere Fußballspieler durch den Krieg gebracht hat.78

Am Ende faßt Walter in einem eigenen Kapitel den Werdegang seiner ge-fallenen Fußballkameraden kurz zusammen,79 um abschließend das Los auch der ungezählten „namenlosen Gefallenen, deren ganze Liebe dem Sport ge-hörte“,80 zu beklagen. Dieser literarische Gedenkstein, den Walter seinen Kameraden aus der Reichself gesetzt hat, ist einzigartig in der Geschichte der von deutschen Spielern verfaßten Fußballbücher und verdient es zu Recht, in einer Studie über Totengedenken im Sport erwähnt zu werden.

5. Performances der südeuropäischen Fankultur

Abschließend sei auf ethnologische Beobachtungen hingewiesen, die Christi-an Bromberger in seiner bedeutenden, leider noch nicht ins Deutsche über-setzten Studie Le match de football. Ethnologie d’une passion partisaine à Marseille, Naples et Turin ausgewertet hat. Bromberger hat Verhaltensweisen der Fußballfans analysiert, die auf den ersten Blick höchst befremdend, pie-tätlos und blasphemisch wirken. Gemeint sind die symbolische Bestattung, aber auch die symbolische Tötung des Gegners in kollektiv begangenen Ritu-alen. Diese Riten stilisieren das siegreiche Spiel der eigenen Mannschaft als Tötung des Rivalen und sie zelebrieren die Feier des Triumphes als die Be-stattung des Gegners. Die Verhaltensweisen knüpfen an Begriffe aus dem Wortfeld Tod und aus der Terminologie des Sepulkralwesens an,81 die von der Alltags-, Umgangs- und Vulgärsprache metaphorisch auf andere Sachver- 77 FRITZ WALTER, 11 rote Jäger. Nationalspieler im Kriege, München 31959, 199. 78 Zur Geschichte der Roten Jäger vgl. auch HERMANN GRAF, Die „Roten Jäger“. Ein

Schicksalsbericht deutscher Nationalspieler aus dem letzten Kriege, Konstanz [1950]. 79 WALTER, 11 rote Jäger (Anm. 77), 199–207 („Die gefallenen Kameraden“). 80 WALTER, 11 rote Jäger (Anm. 77), 207. 81 Vgl. exemplarisch DANIEL SCHÄFER, ‚sterbesuchtig‘ und ‚todkrank‘. Das Wortfeld Tod

im 15. und 20. Jahrhundert als Spiegel kultureller Identität und ethischer Norm, in: MARKWART HERZOG (Hrsg.), Sterben, Tod und Jenseitsglaube. Ende oder letzte Erfül-lung des Lebens?, Stuttgart 2001, 21–39.

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halten übertragen und in profanen Ritualen handlungswirksam werden. Kann doch schon die bloße Aussicht auf eine Niederlage mit Hilfe der bildhaften Vorstellung artikuliert werden, daß jemand stirbt bzw. zur Grube fährt (Abb. 6).

5.1. Symbolische Beisetzung: ‚sepultura in effigie‘

Um bei der Feier des Siegestriumphs zu be-ginnen: Bromberger untersucht verschiedene Formen des Totengedenkens und der Bestat-tungsbräuche, die heute im westeuropäischen Kulturkreis fest eingebürgert sind und in die Rituale der Fans einbezogen werden. Die Fangruppen von Olympique Marseille, Ju-ventus Turin und SSC Neapel zelebrieren außerhalb des Stadions und im Stadion – vor, während und nach dem Spiel – die symboli-sche Bestattung des angereisten Gegners.82 Man findet unter anderem

a) Todesanzeigen, die das Verscheiden des Gegners, und das heißt dessen Niederlage, schon vor dem Spiel publik machen,

b) Aufforderungen an die Fans, das Match zu besuchen, die in die Form von Einladungen zu einer Erdbestattung oder einer Totenmesse gekleidet sind,

c) Verspottungen der Schwäche des Gegners, die in der Sprachform einer Totenklage artikuliert werden, sowie

d) Plakate mit den Särgen oder Grabmonumenten des zu besiegenden Gegners als Bildmotive, die im Stadion ausgebreitet werden.

e) Fans inszenieren feierliche Leichenzüge beim Gang zum Stadion, wobei sie blumengeschmückte Särge mit den Vereinsfarben der Rivalen zur Schau stellen und in burleskem Pomp herumtragen.

f) Beim SSC Neapel hat Bromberger sogar eine Art Aussegnungs- oder Leichenhalle dokumentiert, in der die Fußballrivalen von Juventus Turin und Olympique Marseille in ihren Särgen aufgebahrt sind – nur symbolisch ver-steht sich!

Diese Ausdrucksformen und Verhaltensweisen sind ganz offenkundig und absichtlich der privaten und öffentlichen Trauer und dem Bestattungswesen entlehnt. Die Bestattungs- und Trauerkultur liefert die Symbolsprache, mit der südeuropäische Fußballvereine ihre Gegner verspotten. 82 Vgl. CHRISTIAN BROMBERGER, Le match de football. Ethnologie d’une passion parti-

saine à Marseille, Naples et Turin, Paris 1995, 263–295, bes. 278–283.

Abb. 6: Prognose einer Pokalniederla-ge als Karikatur mit sepulkralerSymbolsprache (1935).

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5.2. Symbolische Tötung: ‚figurata executio‘

Die sepulkralen Spottrituale werden von einem ganzen Arsenal an verbaler, gestischer und bildlicher Rhetorik begleitet. Dieser ‚rituelle Aufwand‘ soll den Rivalen beleidigen, erniedrigen, seine Schwäche kundtun. Darüber hinaus wünscht man dem Gegner durch entsprechende Symbolhandlungen Schaden und Tod – wie im Schadenszauber des sogenannten Volksaberglaubens. Die gegen den Rivalen gerichteten Todesverwünschungen werden äußerst dra- stisch vorgetragen; man bricht alle möglichen Tabus, wünscht beispielsweise der Mannschaft von Spartak Moskau ein zweites Tschernobyl. Mit Toten-kopffahnen und Teufelsmasken wird die Schädigung der gegnerischen Mann-schaft evoziert, mit dem Symbol des Kreuzes hingegen der Schutz der eige-nen Elf beschworen.

Die Fans bedienen sich in ihrer Rhetorik metaphorisch der Sprache und Symbolik des Krieges,83 um ihrer Abneigung gegenüber dem Rivalen verba-len, gestischen und rituellen Ausdruck zu geben. Es geht darum, die Anderen zu schocken, sie zu erschrecken, ihnen zu imponieren, sie einzuschüchtern. Zugleich sind es Inszenierungen jener großen Gefühle, mit denen die Fans ihrem eigenen Verein anhängen. Aber worauf Bromberger insistiert: Diese barbarisch erscheinenden Verhaltensweisen und Ausdrucksformen sind im-mer auch mit einer gehörigen Portion parodistischer Fantasie durchsetzt; ihr burlesker Unernst ist mit Händen zu greifen. Man könnte sie als theatralische Performances interpretieren und als einen besonderen Fall der weit gefaßten anthropologischen Konzeption der ‚cultural performances‘84 auffassen.

Aber anders als in vormodernen Kulturen wird diesem Schadenszauber keine reale Wirksamkeit unterstellt, keine echte Kausalität zugeschrieben. Nebenbei bemerkt, findet dieser Verhaltenskomplex eine Entsprechung in den Flüchen und Fluchtafeln, die vor allem beim Pferderennsport in den römi-schen Arenen der kaiserzeitlichen Antike eingesetzt wurden – und sicher wa-ren die nicht ironisch gemeint.85

Aus der Strafrechtsgeschichte kennen wir ähnliche Rituale, die der Tötung von Rechtsbrechern gelten. Gemeint ist die, wie sie in der frühneuzeitlichen Amtssprache heißt, ‚executio in effigie‘ oder ‚poena repraesentativa‘ oder ‚poena imaginaria‘, die bei schwersten Verbrechen an Portraits oder Ersatz-

83 Vgl. BROMBERGER, Le match de football (Anm. 82), 266–277. Vgl. ferner die Belege in

Anm. 2. 84 Vgl. RICHARD SCHECHNER, Essays on Performance Theorie 1970–1976, New York

1977. – In Anwendung auf den Fußballsport vgl. BROMBERGER, Le match de football (Anm. 83), 186–188; DERS., Football as world-view and as a ritual, in: French Cultural Studies 6 (1995) 293–311; DAVID J. KRIEGER / ANDRÉA BELLIGER, Einführung, in: ANDRÉA BELLIGER / DAVID J. KRIEGER (Hrsg.), Ritualtheorien, Wiebaden 1998, 7–33, hier 14f.

85 Vgl. KARL PREISENDANZ, Fluchtafel (Defixion), in: Reallexikon für Antike und Chri- stentum, Bd. 8, Stuttgart 1972, 2–29, hier 23f.

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leibern der fraglichen Delinquenten stellvertretend vollzogen wurde, wenn man die Missetäter nicht zu fassen bekam.86 Die hier angesprochenen theatra-lischen Fußballfan-Rituale, die auf Todesvorstellungen und Bestattungsbräu-che zurückgreifen, sind sozio-kulturelle Performances, die auf spielerische und ironisch-pantomimische Weise frühneuzeitliche Strafrechtspraktiken transformieren. Wenn man es in der Sprache der alten Strafrechtsdogmatik formulieren wollte, müßte man sagen: Die Scheinbestattung des Gegners im Fußballfanbereich ist eine ‚sepultura figurata‘, seine Tötung eine ‚figurata executio‘.

6. Kontexte und Desiderata der Forschung

Die vorhergehenden Analysen haben gezeigt, daß das Trauerverhalten und die Bestattungsformen der Fankulturen des Sports ein fruchtbares Feld der kultur- und sozialhistorischen Forschung bieten. Dabei ergeben sich ver-schiedene Fragestellungen und Erkenntnisinteressen, mit denen man dieses Feld weiter bearbeiten sollte. Einige seien abschließend genannt.

a) Das Ehrenmal auf dem Betzenberg zu Kaiserslautern macht deutlich, daß es sich lohnen könnte, Kriegerdenkmäler und Erinnerungskultur der Sportvereine umfassender zu erforschen. Ein solches Projekt: Memorialmo-numente und Totengedenken in Sportvereinen, verspricht jedenfalls ertragrei-che Resultate.

b) Im Anschluß an die Vorarbeiten Brombergers sollten die Bezugspunkte zwischen religiösen Formen der Trauer und den fankulturellen thematisiert werden, ohne dabei im Kurzschlußverfahren Fußball und Religion ineins zu setzen.87 Im Leben des Gläubigen und des Fußballfans lassen sich ähnliche Verhaltensweisen und Einstellungen beobachten: So hatte der 1901 in Courtrai (Kortrijk) geborene Arzt Dr. Robert Mattelaer (er war aktiv im Wi-derstand gegen die Besetzung Belgiens durch deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg88) zeitlebens mit dem Fußballclub Stade Kortrijk89 sympathisiert

86 Vgl. WOLFGANG BRÜCKNER, Bildnis und Brauch. Studien zur Bildfunktion der Effigies,

Berlin 1966, bes. 188–315; DERS., Funeral- und Exekutionseffigies, in: NORBERT STEFE-NELLI (Hrsg.), Körper ohne Leben. Begegnung und Umgang mit Toten, Wien / Köln / Weimar 1998, 799–808, hier 801–803.

87 Zu dieser Versuchung vgl. MARKWART HERZOG, Von der ‚Fußlümmelei‘ zur ‚Kunst am Ball‘. Über die kulturgeschichtliche Karriere des Fußballsports, in: DERS., Fußball als Kulturphänomen (Anm. 12), 11–43, hier 23–32.

88 ROBERT MATTELAER / JOSÉ VANBOSSELE, Kortrijk tijdens de tweede wereldoorlog, 3 Bde., Kortrijk 1986–1988.

89 Gegründet 1923 durch Zusammenschluß von Eendracht Kortrijk und Patronaat St. Ro-chus. Der Sportplatz lag ebenso wie der Spielgrund des Lokalrivalen Sporting Club Kortrijk (gegr. 1901) nahe beim Friedhof von Courtrai (Kortrijk). Beide Vereine fusio-

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und wollte auf dem Friedhof so bestattet werden, daß er „mit seinen Augen in der Richtung seiner Lieblingsmannschaft liegt“90 – so wie Muslime nach Mekka ausgerichtet beigesetzt werden.

c) Die Tendenz bei britischen Fußballvereinen, gärtnerisch gestalteten Sta-dionrasen und andere Grünflächen als Gardens of Remembrance alternativ zu Ascheausstreuungen im Stadion anzubieten, weisen in die Richtung der Parkfriedhofbewegung.91 Überhaupt sollten die verschiedenen Praktiken der Ascheverstreuung in britischen Fußballstadien zum Gegenstand einer umfas-senderen kulturhistorischen Untersuchung gemacht werden, die über Sharpes ersten verdienstvollen Ansatz hinausgeht.

d) Wie Kreuze am Straßenrand das Angedenken an Unfalltod und Verun-glückte vergegenwärtigen und diese Orte mit einem ‚volksreligiösen Mehr-wert‘ ausstatten,92 so erfährt auch das Stadion durch die Präsenz der ‚ashes of our fathers‘ eine analoge ‚sakralisierende‘ Verwandlung im Bewußtsein der Fans.

e) Die symbolische Bestattung des Fußballgegners durch südeuropäische Fangruppen vollzieht eine funktional ähnliche Distanzierung und Ausgren-zung eines ‚Gefahrenherds‘ wie die Trennung der schadentrachtenden Toten von den Lebenden durch die das ‚coemeterium‘ umgebende Mauer und ande-re Sicherungsmaßnahmen.93 In beiden Fällen schützt sich eine Gemeinschaft gegen Gefährdungen, die sie durch ‚rituellen Aufwand‘ kontrolliert, bannt und unschädlich macht94 – nur mit dem Unterschied, daß die Verhaltenswei-sen der Fans durch Witz und burleske Fantasie konterkariert werden.

f) Die Einrichtung von „databases of information about whose ashes are at the ground“ (Arsenal London) oder Halls of Fame im Internet erlauben es, der auch sonst schon praktizierten Kombination der ‚anonymen‘ Ascheverstreu-ung mit der Totenmemoria in virtuellen Gedenkstätten eine besondere Gestalt zu geben.95

g) Die Katzenbestattung im Stadion des FC Liverpool96 und andere, noch zu eruierende Vergleichsfälle von Tierbeisetzungen im Fußballstadion ließen sich im Kontext von Tierfriedhöfen und Tierkremation sinnvoll erörtern.

nierten 1971 zum KV Kortrijk. Vgl. http://www.kvkortrijk.be/pages/kvkortrijk/kvkor trijk_onder.html (4.11.2003).

90 Freundliche Mitteilung von Herrn Prof. Dr. Eric Derom, Universität Gent. 91 Vgl. dazu den Beitrag LEISNER in diesem Band, S. 75–77. 92 Vgl. dazu den Beitrag GERDAU in diesem Band, S. 226f. 93 Vgl. dazu den Beitrag SÖRRIES in diesem Band, S. 28–32. 94 Vgl. HANS-PETER HASENFRATZ, ‚Tabu‘ – ‚Unehrlichkeit‘. Ein Beitrag zur Berührungs-

meidung – besonders mit Blick auf die Totenfürsorge, in: MARKWART HERZOG / NOR-BERT FISCHER (Hrsg.), Totenfürsorge – Berufsgruppen zwischen Tabu und Faszination, Stuttgart 2003, 29–36, hier 29f.

95 Vgl. den Beitrag SPIEKER / SCHWIBBE in diesem Band, S. 240–242. 96 Vgl. in diesem Beitrag S. 197; zu einer Pferdebestattung im Highbury-Stadion des FC

Arsenal London („according to legend“) vgl. SHARPE, The Final Whistle (Anm. 10), 63.

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h) Darüber hinaus verspricht der interkulturelle Vergleich zwischen den Fußballfankulturen ebenfalls ertragreich zu sein, beispielsweise zwischen den genannten südeuropäischen Performances und entsprechenden, mit dem ma-kabren Humor der Insel gewürzten britischen Stadioninszenierungen97.

i) Durch die wechselseitige Befruchtung von Pop- und Medienkultur einer-seits sowie Trauer- und Bestattungskultur anderseits ist der Umgang mit Tod und Memoria in der Fußballfanszene für die Kommunikationswissenschaft ein ungemein lohnendes Themenfeld. Vielfältige Berührungspunkte zwischen konventioneller Bestattung und populärer Unterhaltung ließen sich anführen. In Friedhofskapellen werden heute bekanntlich nicht nur Albinoni und Bach wiedergegeben, sondern auch beliebte Schlager und Ohrwürmer wie bei-spielsweise Freddy Quinns Morning Sky oder Udo Jürgens’ Merci Chérie. Zum ästhetischen Entsetzen von Traditionalisten kann man die massenmedia-len Helden und Lieblinge der Kleinen auf Kindergrabmälern finden: „das Fernsehreh Bambi, nach Walt Disney, den Bären Samson aus der ‚Sesamstra-ße‘, den Ottifanten des Komikers Otto, aber auch Pumuckl aus der gleichna-migen Kinderserie.“98 Auch der Sarg wird zum Ausdruck der Persönlichkeit des Verstorbenen, seines Lebensstils und seiner Präferenzen. Deshalb ist es naheliegend, Sondermodelle anzubieten – beispielsweise den in Vereinsfar-ben lackierten und mit Clubsymbolen geschmückten BVB-Sarg oder die Schalke-Urne. Der Sarg wird dann zum Medium eines öffentlichen Bekennt-nisses – in diesem Fall ist es ein Treuebekenntnis zum Fußballverein.

Diese Wünsche nach farbenfrohen Requisiten und Emblemen, individuel-lem Schmuck, krasser Designerästhetik, einschließlich phantasievoller sub-kultureller Performances bilden einen Kontrapunkt zu den sterilen Konventi-onen der bürgerlichen Sepulkralkultur und zur Kargheit ‚anonymer Beisetzung‘. Die Bestattungsunternehmer werden diese Wünsche gerne auf-greifen, um den sich ändernden Ansprüchen ihrer Kunden gerecht zu werden und sich am Markt mit entsprechenden Angeboten zu behaupten.

97 Vgl. JOHN EFRON, Wann ist ein Yid kein Jude mehr? Wie sich die jüdischen und die

nichtjüdischen Fans von Tottenham Hotspur mit ihrem Verein identifizieren, in: Süd-deutsche Zeitung (Feuilleton), 17./18.8.2002; SHARPE, The Final Whistle (Anm. 10), 100f., 126.

98 HORST ALBRECHT, Die Religion der Massenmedien, Stuttgart / Berlin / Köln 1993, 39; vgl. DERS., Der trivialisierte Tod. Bestattung im nachbürgerlichen Zeitalter, in: Theologia Practica 24 (1989) 188–201.