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GRIECHENLAND trekking trekking trekkingmagazin 1/2017 trekkingmagazin 1/2017 Wanderer zwischen den Welten Eine deutsch-griechische Liebeserklärung Der Schwabe Ortwin Widmann hat auf der griechischen Insel Skiathos in Eigenregie ein 200 Kilometer umfassendes Netz an Trekking-Pfaden angelegt – und ist nebenbei zum Experten für Heilkräuter und hellenische Befindlichkeiten geworden. Günter Kast hat den »Mann mit Mission« auf der grünen Insel besucht. Text: Günter Kast Bilder: Günter Kast, Ortwin Widmann, Santikos Collection

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    Wandererzwischenden WeltenEine deutsch-griechische Liebeserklärung

    Der Schwabe Ortwin Widmann hat auf der griechischen

    Insel Skiathos in Eigenregie ein 200 Kilometer umfassendes

    Netz an Trekking-Pfaden angelegt – und ist nebenbei zum

    Experten für Heilkräuter und hellenische Befindlichkeiten

    geworden. Günter Kast hat den »Mann mit Mission« auf

    der grünen Insel besucht.

    Text: Günter KastBilder: Günter Kast, Ortwin Widmann,Santikos Collection

  • In der Auseinandersetzung mit den Einhei-mischen hatte er deshalb einen Trumpf in derHand: Per Flugblatt informierte er in grie-chischer Sprache über sein Anliegen. Dass er dieArbeit ehrenamtlich mache und nichts daranverdienen wolle. Dass er Wanderern einfach nureine Freude bereiten möchte.

    »Nach und nach verstummten die Proteste.Heute knickt nur noch selten jemand ein Schildab«, sagt Ortwin zufrieden. Was vielleicht einbisschen auch daran liegt, dass er die Schildereinbetoniert hat. Sehr solide, sehr deutsch.

    Ehrenamt statt GeschäftWir sind heute auf seinem Weg Nr. 11 unter-

    wegs. Ortwin hat vier Schweizer zu Gast, die ihm15 Euro pro Person für die geführte Tour be-zahlen. Selbst dieses kleine Taschengeld behälter nicht für sich, sondern verwendet es, um dieWege instand zu halten.

    Weil ihm dabei – meist albanische – Gastar-beiter helfen, die er entlohnen muss, reichen dieEinnahmen aus den Führungen aber nicht. Ort-win legt deshalb jedes Jahr noch einmal einevierstellige Summe obendrauf, das ist ihm sein»Baby« schon wert. Die Schweizer freuen sich

    über das Schnäppchen. Schließlich sind sie fürein sehr kleines »Bergführer-Honorar« mit dembesten Skiathos-Kenner unterwegs.

    Ortwin zeigt ihnen ymian, Salbei, Fenchel,Johanniskraut und Zistrosen. Doziert über dieheilende Wirkung von Beinwell, Mariendistel undWeißdorn. »Die Insel ist eine riesige Outdoor-Apotheke«, freut er sich. Aus Johanniskraut zumBeispiel gewinnt er ein Öl. »Ein Wunder derNatur«, erklärt Ortwin. »Bei Wunden stoppt esdie Blutungen und sorgt für schnellere Heilung.«Zwischendurch haut er dann einen pharmakolo-gisch nicht ganz so wertvollen Spruch heraus vonder Sorte: »Wenn’s vorn juckt und hinten beißt,nimm’ Klosterfrau Melissengeist.«

    Der Auswanderer führt seine Gäste zu Kalk-öfen im Wald, mit denen früher Mörtel herge-stellt wurde, er zeigt ihnen alte Olivenölpressenund erklärt nebenbei, woher Skiathos seinenNamen hat. »Ski heißt Schatten auf Griechisch.Es ist also die Insel im Schatten des Mönchs-bergs Athos, den man an klaren Tagen vomhöchsten Punkt, gut ��� Meter über dem Meer,auf dem Festland sehen kann.«

    Dann geht es hinein in den dunklen »Zauber-wald«. Den hat Ortwin so getau, weil hier tau-

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    Lola rennt? Nein, Ortwin rennt! Durch eineenge Gasse in der Botanik, die von dichter, dor-nenbewehrter Macchia flankiert wird. Mit einerArt ausgebleichtem Indiana-Jones-Hut auf demKopf. Bei knapp �� Grad im Schatten, den eshier, auf der griechischen Insel Skiathos, natür-lich nicht gibt.

    In der rechten Hand hält er eine robuste He-ckenschere. Mit dieser durchtrennt er in denWeg ragende Äste, wenn er gerade mal nichtrennt. Der Schweiß läu in kleinen Bächen übersein Gesicht. Himmel, dass ein 6�-Jähriger soschnell laufen kann! Und dabei noch Lu hat,einem die Besonderheiten seiner Wahlheimatund die Kräuter am Wegesrand zu erklären.

    Hyperaktiver HeilbronnerOkay, wirklich wundern muss einen das nicht.

    Etwas hyperaktiv war Ortwin Widmann schonimmer. Als der gebürtige Heilbronner vor 2�Jahren seine kleine Firma, einen Vertrieb fürWasserfilter, verkaue, dachte er nicht im Traumdaran, sich aufs Altenteil zurückzuziehen. Ohnein, er hatte Pläne! Große Pläne.

    Schließlich hatte er sich verliebt, als er 1���erstmals auf der Sporadeninsel Skiathos Urlaub

    machte. Nein, nicht in eine Frau. Mit seiner Ur-sula ist er ja glücklich verheiratet. In die fünf malelf Kilometer große Insel selbst hatte er sich ver-guckt! Sie ist für ihn das »Paradies der Ägäis«.Weil Ortwin Träume meistens auch in die Tatumsetzt, kaue er dort 1��7 ein Grundstück amMeer, das bis heute sein Domizil ist, selbst imWinter, der hier ziemlich nasskalt sein kann.

    Der Neu-Aussteiger legte sich jedoch nichtan den Strand, um die Freizeit zu genießen.Nein, der Hobbyhandwerker, Naturfreundund Wander-Fan schnappte sich Spaten undMachete und machte sich daran, alte Maul-tierpfade freizulegen, zu vermessen und aus-zuschildern. Skiathos gilt heute als eines deram besten erschlossenen Wanderziele Grie-chenlands.

    Am Anfang gab's ÄrgerKlingt nach einer deutsch-griechischen Love-

    Story? War es anfangs natürlich nicht. Es war janicht so, dass die Insulaner nur auf einen Deut-schen gewartet hatten, der ihnen zeigt, wie manWanderwege baut. Ortwin wurde von Oliven-bauern und Ziegenhirten angefeindet, die Be-hörden drohten ihm gar Gefängnis an und

    rissen die von ihm aufgestellten Wegweiser wie-der aus dem Erdreich.

    Das Gerücht machte die Runde, dass derDeutsche mit »seinen« geführten Wandertou-ren auf »ihrer« Insel so richtig absahne. Abererstens ließ sich Ortwin nicht so schnell denSchneid abkaufen. Und zweitens hatte er sichgewissenhaft auf das Abenteuer Griechenlandvorbereitet: »Ich habe noch zu Hause inDeutschland drei Jahre lang die Sprache ge-lernt, ja sogar die Volkstänze. Ich bin ein echterPhilhellene, einfach verliebt in das Land, inseine Kultur und Geschichte.«

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    Skiathos ist eine griechische Insel der NördlichenSporaden. Zusammen mit einigen umliegenden,unbewohnten Eilanden bildet Skiathos eine Ge-meinde in der Region Thessalien. Bei einerLänge von etwa 11 km und einer Breite vonetwa 5 km beträgt die Fläche knapp 50 km².Wunderschöne Strände, dichte Kiefernwälder, al-tertümliche Klöster und zahlreiche historischeSehenswürdigkeiten machen die sehr grüneInsel zu etwas Besonderem.

    Skiathos

    Skiathos ist von üppigem Grün überzogen, und vom Meer umtost(rechts). – »I bin a griechischer Cowboy«. Ortwin ruht sich auf einer

    Steinbrücke im Zauberwald aus (unten).

  • send Jahre alte Platanen stehen. Unglaublich grünist es hier, wie auch auf der ganzen Insel. »Dasliegt an dem unterirdischen Flusssystem, das vomPelion, dem Gebirge auf dem nahen Festland ge-genüber, Süßwasser heranführt«, weiß Ortwin.Im Spätherbst gebe es deshalb sogar Pfifferlinge

    in den Wäldern von Skiathos, was für eine Insel inder Ägäis schon sehr ungewöhnlich sei.

    Wir beenden die Tour in einer urigen Tavernean einer einsamen Bucht, in die sich nur seltenTouristen verirren. Den Ortwin kennen sie hiernatürlich trotzdem. Jeder auf der Insel kennt ihn.

    In perfektem Griechisch bestellt er lokale Spe-zialitäten, plaudert mit der Wirtin. Dann packter seine Mundharmonika aus und beginnt zuspielen. Es sind alte Gastarbeiter-Weisen mittraurigen, vor Heimweh schweren Texten, die eranstimmt. Manchmal, zu später Stunde, wenn in

    trekkingmagazin 1/2017�2

    AnreiseSkiathos besitzt als einzige der NördlichenSporadeninseln einen Flughafen, so dass sichdie Anreise äußerst bequem gestaltet. In derSaison gibt es sogar Direktflüge von deut-schen Flughäfen.

    SaisonEnde April bis Mitte Juni und Mitte Septemberbis Ende Oktober. Der Hochsommer istnur sehr hitze-resistenten Trekkern zuempfehlen.

    WohnenOrtwin Widmann arbeitetbei seinen Kräuterwande-rungen mit mehreren Ho-tels auf der Inselzusammen, die ihn beiPflege und Unterhalt derWege unterstützen. Dazugehören unter anderemdie beiden Häuser derSantikos-Collection aufSkiathos, Hotel PrincessResort und AegeanSuites Hotel. Das»Princess« liegt direkt amschönen SandstrandKoukounariés, einigeWanderungen startendirekt von hier. Vor demHotel fahren Busse imHalbstundentakt nachSkiathos-Stadt (ca. 10km). Das Hotel ist auchfür Familien geeignet undbietet nach den Wande-

    rungen Massagen undSauna im Spa-Bereich. Das»Aegean Suites« liegt näheran der Stadt, verfügt aus-schließlich über Suiten undbeherbergt nur Erwachsene.Alle Infos zu den beiden Hotels unterwww.santikoshotels.comAm preisgünstigsten ist es, Flug und Hotelpauschal zu buchen, zum Beispiel überLuxury Dreams in Berlin (Tel. 030 21965690;www.luxurydreams.de)

    Wandern und TrekkingIm Prinzip kann jeder selbst losziehen. Mangeht dazu auf die Website von Ortwin Wid-mann (www.hikingskiathos.com) und bestelltonline seinen Wanderführer mit 25 Routen-Be-schreibungen (14,90 Euro inkl. Versand). Wergeführte Wanderungen wünscht, meldet sichbei ihm per E-Mail oder telefonisch an (Kon-taktdaten auf seiner Website). Die Wanderun-gen sind allesamt eher einfach und fürjedermann geeignet, auch für Kinder. Sie las-sen sich zudem beliebig kombinieren, verkür-zen und verlängern. Der WandervereinSkiathos verleiht an jeden Trekker, der alleStrecken auf der Insel bewältigt hat, eine Wan-dermedaille in Gold. Als Nachweis notiert mandazu die auf den Schildern angebrachtenCode-Nummern und gibt diese telefonisch anOrtwin durch.

    LiteraturReiseführer »Nördliche Sporaden – Skiathos,Skopelos, Alonnisos, Skyros« von Dirk Schön-rock (Michael Müller Verlag; ISBN 978-3-89953-941-7; 16,90 Euro)

    Typisch Griechenland:Weiß und Blau sind dievorherrschenden Farben.

    INFOBOXLänge/Start/Ziel: kann individuell gewähltwerden. Alle Routen sind miteinander kombinier-bar, können verkürzt oder verlängert werden.Entsprechend gibt es auch keine definiertenGehzeiten, Kilometerangaben oder ein Profil.

    BEWERTUNG

    Schwierigkeit

    Abwechslung

    Kultur/Sehens-würdigkeiten

    Kinder-tauglichkeit

    Ortwin in Aktion (oben): Der Deutsche kennt auf »seiner« Insel jeden nochso kleinen Ziegenpfad. – Oft führen die Wege durch alte Olivenhaine (rechts).

  • den Tavernen viel Ouzo fließt, stellt er sich aufden Tisch, packt eines seiner vier Akkordeonsaus und singt diese Lieder dazu. »Die Insulanerhaben dann Tränen in den Augen«, erzählt er.

    Keine Frage: Der Einwanderer aus dem an-geblich so gefühllosen Deutschland weiß, wie erdie Griechen auf seine Seite zieht. Dabei betonter ohnehin stets, dass die Teutonen hier durch-aus willkommen seien. Die Insel lebe schließlichgut von den Touristen.

    Wandern mit dem BotschafterAnderntags begleitet uns Liane Jordan vom

    Deutschen Wanderverband in Kassel. Sie küm-mert sich dort um die »Leading Quality Trails«,von denen es in Europa bislang nur 1� gibt unddie strenge Qualitätskriterien erfüllen müssen.Was sie sieht, gefällt ihr. Ortwin hat die Wegevorbildlich gepflegt: Stufen und Treppen ange-legt, um Erosion zu vermeiden, alle Wege be-schildert und die GPS-Daten aufgezeichnet,

    ausgesetzte oder abschüssige Stellen sogar miteinem Seilgeländer gesichert. Er hat deshalb guteChancen, dass sein Wegenetz schon bald die Nr.1� der zertifizierten Wandergebiete wird.

    Damit sein Projekt noch bekannter wird, hater rund 1�� Exemplare des von ihm verfasstenTrekking-Führers auf eigene Kosten an Wan-dervereine in ganz Europa geschickt. Er warschon mit dem deutschen Botschafter inAthen auf Tour, mit internationalen Studen-tengruppen, Wanderfunktionären und grie-chischen Politikern.

    Rund 1.��� Wanderfreunde besuchen deshalbjedes Jahr Skiathos. Die Insel ist zwar nochimmer ein Geheimtipp für Aktivurlauber. Abersie ist eben doch ein bisschen bekannter als vor15 oder 2� Jahren, als sich kaum jemand zumHiken auf das Sporaden-Eiland verirrte und dasnur wenige auf der Landkarte auf Anhieb finden.

    2��� entstanden im Hafenbecken von Ski-athos-Stadt sogar Szenen für das Abba-Musical»Mamma Mia!«. Der größte Teil des Filmswurde allerdings auf der Nachbarinsel Skope-los abgedreht, auf der Ortwin ebenfalls eineWanderung anbietet, bei der mit der Fähreübergesetzt wird.

    25 verschiedene RoutenWir wollen gar nicht aufs Schiff, sind vollauf

    damit beschäigt, die 25 Routen kennen zu ler-nen, die Ortwin auf Skiathos angelegt hat. Nocheinmal ziehen wir mit ihm los. Genießen dieRuhe in einem einsam gelegenen Kloster, in demeine ältere Frau nach dem Rechten sieht und unseinen wunderbar starken Mokka braut. Erschre-cken uns ein bisschen wegen der Schlangen, gif-tigen und ungiigen, die unseren Weg kreuzen.Wundern uns über Ortwins Wanderstock, dermit Metall-Plaketten von Alpenhütten verziertist. Wir schmunzeln dann ein bisschen, weil eseben schon ganz schön old school ist, im Zeital-ter von faltbaren Hightech-Stöcken so einenalten Stock spazieren zu führen.

    Wir werden nicht so ganz schlau aus Ortwin.Denn im nächsten Moment erzählt er uns, dasser alle 25 Routen mit dem GPS-Gerät vermessenhat. Und dass er inzwischen für digitale Schatz-sucher fünf Geocaching-Kostbarkeiten versteckthat. Ortwin wandert nicht nur auf seinen Trails.Er wandert auch zwischen den analogen und di-gitalen Welten, zwischen Kniebundhose undGPS-Gerät, zwischen schwäbischer Hausmanns-kost und mediterraner Küche.

    Und ja: Er fühlt sich offensichtlich pudel-wohl dabei. Zumindest dann, wenn er nichtgerade von Wildbienen attackiert wird, die erbeim Wege-Sanieren einmal aufgescheuchthatte. Ortwin nimmt eben alles, was er an-packt, sehr ernst. Auf Skiathos hat er sich fürden Gemeinderat aufstellen lassen und einenWanderverein gegründet. Und jedes Jahr läufter seine Strecken dreimal komplett ab, um siezu kontrollieren. »Ich muss die Pfade dochsauber halten«, sagt er – und knipst einen wi-derspenstigen Zweig aus dem Weg. ■

    trekkingmagazin 1/2017��

    Ortwin geht voraus,seinen Stock mit denAbzeichen hat er stetsdabei (links). – Blicküber die Dächer vonSkiathos-Stadt, demInsel-Zentrum (unten).