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20 W Druckmarkt Schweiz 93 W Februar 2017 PRINT & FINISHING | TREND alen nach Zahlen? Malbü- cher? Ausmalbücher? Zahl- lose Menschen widmen sich dieser eher wenig kreativen Tätigkeit, von der ich immer annahm, dass sie ei- gentlich Kindern vorbehalten ist. Der Trend, dass Erwachsene Vorlagen ausmalen, kommt aus den USA und schwappte schon im letzten Jahr nach Deutschland über, nachdem Malbücher die Amazon-Bestsellerlis- ten in den USA anführten – auch in Grossbritannien. Da wundert es doch auch nicht, dass die Engländer für den Brexit stimm- ten und die Amerikaner Trump wähl- ten. Es konnte ja gar nicht anders kommen. Ein eindeutiges Symptom für den Kulturverfall und ein unstrit- tiger Beweis für die Infantilisierung der Gesellschaft, oder? Genau! Sol- che Rückschlüsse wären dann auch als ‹post-faktisch› zu bezeichnen, als Äusserungen, die eher an Emotio- nen, Bauchgefühl oder Unwissen, denn an Fakten orientiert sind. Gegentrends im Trend Aber es gibt Trends, bei denen ich mich frage, ob die Menschheit denn nun ganz verrückt geworden ist? Auch bei dem mit den Malbüchern für Erwachsene. Ich hatte schon vor einiger Zeit davon gehört, habe es aber ignoriert, denn was interessiert mich die Langeweile anderer? Aus- serdem klang mir das irgendwie zu sehr nach Psychiater und Therapie. Bis ich letzte Woche auf dem ‹Future Summit Print›-Kongress in München von keinem geringeren als dem Zu- kunftsforscher Matthias Horx erfuhr, dass es ein wirklich ernst zu neh- mender Trend ist, der nicht ohne Grund entstanden sei. Dieser (und ei- nige andere Trends) seien der Gegen- trend zur permanenten Beschleuni- gung durch die Digitalisierung. TREND DIE WELT IST WIE EIN MALBUCH Erwachsene entspannen sich wie in Kinderzeiten mit dem Ausmalen von Vorlagen in Büchern, Psychologen loben die Effekte dieser Freizeitbeschäftigung, Stifthersteller legen Sonderschichten ein und Verleger sowie Buchhändler freuen sich über den geradezu unerwarteten Umsatz – ein Trend, der alle glücklich macht. Auch die Drucker? Wir haben uns mal umgeschaut. Von KLAUS-PETER NICOLAY M

TREND DIE WELT IST WIE EIN MALBUCH - … · Denn die Welt ist wie ein Malbuch – in welchen Far-ben sie leuchtet, liegt aber in Ihrer Hand. Probieren Sie es sofort aus. Es entspannt

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20 W Druckmarkt Schweiz 93 W Februar 2017

PRINT & FINISHING | TREND

alen nach Zahlen? Malbü-cher? Ausmalbücher? Zahl-

lose Menschen widmen sich diesereher wenig kreativen Tätigkeit, vonder ich immer annahm, dass sie ei-gentlich Kindern vorbehalten ist. DerTrend, dass Erwachsene Vorlagenausmalen, kommt aus den USA undschwappte schon im letzten Jahrnach Deutschland über, nachdem

Malbücher die Amazon-Bestsellerlis -ten in den USA anführten – auch inGrossbritannien.Da wundert es doch auch nicht, dassdie Engländer für den Brexit stimm-ten und die Amerikaner Trump wähl-ten. Es konnte ja gar nicht anderskommen. Ein eindeutiges Symptomfür den Kulturverfall und ein unstrit-tiger Beweis für die Infantilisierungder Gesellschaft, oder? Genau! Sol-che Rückschlüsse wären dann auchals ‹post-faktisch› zu bezeichnen, als

Äusserungen, die eher an Emotio-nen, Bauchgefühl oder Unwissen,denn an Fakten orientiert sind.

Gegentrends im Trend

Aber es gibt Trends, bei denen ichmich frage, ob die Menschheit dennnun ganz verrückt geworden ist?Auch bei dem mit den Malbüchernfür Erwachsene. Ich hatte schon voreiniger Zeit davon gehört, habe esaber ignoriert, denn was interessiert

mich die Langeweile anderer? Aus-serdem klang mir das irgendwie zusehr nach Psychiater und Therapie.Bis ich letzte Woche auf dem ‹FutureSummit Print›-Kongress in Münchenvon keinem geringeren als dem Zu-kunftsforscher Matthias Horx erfuhr,dass es ein wirklich ernst zu neh-mender Trend ist, der nicht ohneGrund entstanden sei. Dieser (und ei-nige andere Trends) seien der Gegen-trend zur permanenten Beschleuni-gung durch die Digitalisierung.

TRENDDIE WELT IST WIE EIN MALBUCH

Erwachsene entspannen sich wie in Kinderzeiten mit dem Ausmalen von Vorlagen in Büchern, Psychologen loben

die Effekte dieser Freizeitbeschäftigung, Stifthersteller legen Sonderschichten ein und Verleger sowie Buchhändler

freuen sich über den geradezu unerwarteten Umsatz – ein Trend, der alle glücklich macht. Auch die Drucker? Wir

haben uns mal umgeschaut.

Von KLAUS-PETER NICOLAY

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Druckmarkt Schweiz 93 W Februar 2017 W 21

Durchaus nachvollziehbar, denn diemeisten von uns haben einen stres-sigen Alltag mit der Perspektive, dassunser Leben in den kommenden Jah-ren noch stressiger wird. Um diesemHamsterrad zu entkommen, werdendie digitalen Geräte beiseitegelegt,um durchzuschnaufen. Einfach malrunterkommen!Die Leute haben die Nase voll vonBildschirmen. Handwerkliche Fertig-keiten wie Töpfern, Nähen oder ebenAusmalen erleben eine Renaissance.Man will etwas kreieren, etwas Per-sönliches schaffen. Und der Griff zumStift scheint dem Zeitgeist zu ent-sprechen. Aber ob Entschleunigung,Entspannung, Stressabbau und dasFördern der eigenen Kreativität –sind wir denn wirklich alle schon so

kaputt, dass wir im Ausmalen denfarbenfrohen Protest gegen Leis -tungsdruck oder permanente Online-Präsenz sehen?

Zufallstreffer

Jedenfalls führen Ausmalbücher fürErwachsene seit etwa zwei Jahrendie Bestsellerlisten an. Und das spültauch Geld in die Kasse der Verlage.So soll der stationäre Buchhandel inEngland 2015 rund 40 Mio. € Umsatzmit diesen Produkten erzielt haben –mehr als doppelt so viel wie 2014.Und auch in Deutschland hat sichdas Ausmalen zu einem Massenphä-nomen entwickelt. Nach Zahlen desBörsenblatts, dem Portal der Buch-branche, erschienen 2014 lediglich

zwölf Ausmalbücher für Erwachsene,2015 waren es mit 123 bereits zehn-mal mehr und alleine im ersten Halb-jahr 2016 kamen weitere 115 Titeldazu. Ein Ende des Booms scheintdabei nicht in Sicht. Aktuell verkauftsogar Aldi Süd Jahreskalender mitSeiten zum Ausmalen. Schuld am weltweiten Ausmalfieberist die Schottin Johanna Basford,deren Malbuch ‹Mein verzauberterGarten› 2013 wie eine Bombe ein-schlug. «Ich hatte nie die Absicht,einen solchen Trend auszulösen odereine bestimmte Anzahl Bücher zuverkaufen», sagt die Illustratorin.«Ich wollte einfach nur ein schönesBuch machen und meine Leiden-schaft für das Zeichnen mit anderenLeuten teilen.» Das hat sie mit ihren

Büchern – inzwischen ergänzt umWald- und Ozeanmotive – schonrund 16 Millionen Mal gemacht. Und natürlich haben andere Verlagenachgezogen. Kaum einer, der nichtauch Ausmalbücher im Angebot hat.In den Verlagen ist gar die Rede vonunglaublichem Neuheitendruck. DieKunden erwarten immer neue Ideen,denn irgendwann sind die Bücher javollgemalt.Hier toben sich die Marketing-Abtei-lungen der Verlage aus, versprechenschon auf dem Titel Entschleunigungund bieten im Innenteil positiv be-setzte Motive wie Blumen, Katzen,Ornamente, Gärten oder Stadtan-sichten. Und sie lassen sich Neueseinfallen.

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TREND | PRINT & FINISHING

Malbücher schrecken vor nichts zurück. Klimt, van Gogh, Monet und Picasso sindebenso vertreten wie typografische Schriften zum Ausmalen.

Die Farbe ins Zentrum gerücktDie Farbigkeit unserer neuen bizhub PRESS C71hc: rein, brillant und unglaublich lebendig.

Besuchen Sie uns an den Hunkeler Innovationdays in Luzern

vom 20. bis 23. Februar 2017.

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TRENDSQUELL DER FREUDE: AUSMALEN

Das Kritzeln als kreative Nebenerscheinung eines konzen-trierten Telefonats ist aus der Mode gekommen. Stattdessenwird ausgemalt. Ausmalen entschleunige, entspanne und fördere die Kreativität.

Doch die unverhoffte Karriere der Malbücher ist nicht nur Quell der Freude. Füralle, die sich Sorgen um die Kultur des Abendlandes machen, die Gesellschaftund die Welt an sich ist es der Anfang vom Ende. «Scheinwirklichkeit!» entrüs -ten sich engagierte Mitbürger. «Kulturverfall!» toben andere. «Rückzug insPrivate!» interpretieren Soziologen den Trend verständnisvoll: Es sei das be-wusste Gegengewicht zum digitalen Alltag.Egal! Der politisch Engagierte wirft den Malbuch-Käufern Feigheit vor. Dieseien mit dem echten Leben wohl völlig überfordert. Früher sei man protes -tierend auf die Strasse gegangen! Aber statt gegen das Digitale zu kämpfen,malen erwachsene Menschen heute Blümchen aus. Und der Bibliophile hat essowieso kommen sehen. Stumm vor Entsetzen streichelt er den Rücken einerfadengehefteten und schön anzuschauenden Hardcover-Ausgabe der geradeneu erschienenen Luther-Bibel. Er hat es ja schon gewusst, als die ersten E-Books auf den Markt kamen – und nun ist es passiert: Die Literatur ist amBoden, das Böse hat gesiegt. Es lässt sich kaum ausmalen: Niemand interessiert sich mehr für Shakespeareoder Schiller. Kulturverfall allenthalben! Helene Fischer statt Beethoven, Mal-bücher statt van Gogh. Halt, hier irrt der Kunstbeflissene. Denn es gibt längstMalbücher wie ‹Mein eigener van Gogh›, Malbücher mit den Gärten Monets,Kunst von Klimt oder Picasso mit Anleitung. Dort lässt sich auch nachlesen,wer diese Maler waren, welche Bedeutung das Bild hat, wie gross es im Origi-nal ist und wann es gemalt wurde. Dem kann man dann das Ausmaldatumhinzufügen. Und in der Anleitung werden die Ausmaltechniken, Malfarben undBuntstifte peinlich genau unterschieden.Damit werden dann Blümchen, Kätzchen und Schlösschen liebevoll koloriert.Millionen Menschen tun das und entspannen so vom digitalen Stress. Aberkaum sind sie fertig mit einem Motiv, wird das Werk mit dem Smartphone fo-tografiert und das Ergebnis stolz in den sozialen Netzwerken ‹geteilt›. Weilviele Ausmaler eben doch nicht ohne das Internet können. Und damit das Aus-malen schneller geht, nutzen sie beim nächsten Mal eine Ausmal-App. Gibtes! Das ist bizarr, das ist krank, das ist das Ende!Nein, ganz so schlimm ist es auch nicht. Immerhin sind die Malbücher auchQuell der Freude bei Verlagen und Buchhändlern. Und es werden ja nicht nurnoch Malbücher gedruckt.

So beispielsweise Night-and-Day-Malbücher, bei denen das gleicheMotiv mit hellem und dunklem Hin-tergrund ausgemalt wird. Dabei ent-wickelt sich das Gen re in die Breite.Nicht mehr Blümchen, es geht umLandschaften, um Comics oder auchum Titel wie ‹The Typography Colou-ring Book›, in dem Zier- undSchmuckbuchstaben ausgemalt wer-den können.

Ein Geschenk

Für den stationären Buchhandel sei -en die Malbücher ein Geschenk, zi-tiert das Börsenblatt den Münchber-ger Sortimenter Jörg Meis ter. «Dassind Produkte, bei denen man sichnicht auf den Titel verlässt, sondernin die man reinschauen, die man an-fassen möchte. Wie sind die Motive?Welche Qualität hat das Papier? Dasgeht im Internet nicht. Also kommendie Kunden ins Geschäft.» Auch Bundles mit Stiften sind ge-fragt. Die Hersteller von Malstiftenschieben Sonderschichten und er-weitern die Produktion. Für sie allekommt der Boom in Zeiten der Digi-talisierung unverhofft. Buchhändlerwaren nicht auf die Nachfrage nachBuntstiften vorbereitet, hatten Stifteoder Malkästen gar nicht im Sorti-ment und gehen Kooperationen mitlokalen Schreibwarenläden ein. Es sieht also danach aus, als gäbe esbei diesem Trend nur Gewinner.

Die Welt ist ein Malbuch

Also, liebe Druckunternehmer: Seidkeine Feiglinge! Tauscht Eure Vier-oder Achtfarben gegen Zweifarben-maschinen mit Wendung ein – vomDifferenzbetrag lassen sich leichtnoch zwei, drei Schwarz-Weiss-Digi-taldrucksysteme anschaffen und Bin-

demaschinen sowie Gerätschaft zumPerforieren (zwecks Heraustrennender Kunstwer ke). Nutzen Sie die Formate aus! Auchdie Ihrer Rollenoffsetmaschinen. Esgibt (glaube ich) noch kein Ausmal-buch im Format 70 x 100 cm. Versu-chen Sie es mit Ausmal-Tischdeckenund -Tapeten. Beschäftigen Sie Illus -tratoren und dru cken Sie personali-sierte Malbücher in Auflage 1. Und denken Sie über drucktechni-sche Grenzen hinweg. Ein Web-Shopmit Bildmotiven zum Down load ein-zelner Motive wird auch seine Ab-nehmer finden. Diesen liesse sichdann auch noch ein Schwarz-Weiss-Drucker samt Toner und Papier ver-kaufen. Es wird ja wohl Gründe ge -ben, weshalb sich das eine oder an-dere Papier besser bemalen lässt.Also sind auch Ihr Know-how undIhre Beratungskompetenz gefragt. Seien Sie kreativ! Denn die Welt istwie ein Malbuch – in welchen Far-ben sie leuchtet, liegt aber in IhrerHand. Probieren Sie es sofort aus. Esentspannt und regt zugleich den Ge -schäftssin n an. Und wenn Sie mitdem Ausmalen fertig sind, trennenSie das Blatt sorgfältig aus dem Buchund falten daraus einen Papierflieger.Wie das geht, beschreiben Sie dannin einem neuen Buch. Denn wasliesse sich besser miteinander ver-binden als Malbuch und Origami?

Die cleveren Jobplattformen für Kommunikation & ICT:• reichweitenstark und trotzdem zielgruppenfokussiert inserieren• CV-Datenbank mit Matchingtool «QualiProfil»• Social Media-, Partnernetzwerk- und Fachpresse-Präsenz

VON FACHLEUTEN FÜR FACHLEUTE: Die Jobplattformen für Medien, Kommunikation, Marketing, Informatik & Telekommunikation

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