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Trend Die Zeitschrift für Soziale Marktwirtschaft Juli 2010 | Nr. 122 | 32. Jahrgang | www.trend-zeitschrift.de WIRTSCHAFTSTAG 2010 „Aufbruch aus der Krise – Wachsen, Konsolidieren, Erneuern“ Michael Fuchs Flexibilität Seite 8 Hugo Müller-Vogg Fünf-Parteien-System Seite 10 Alfred Katz Leitbild Seite 26

trend Nr. 122 Ausgabe Juli 2010

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trend Ausgabe zum Wirtschaftstag 09.06.2010

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TrendDie Zeitschriftfür Soziale

Marktwirtschaft

Juli 2010 | Nr. 122 | 32. Jahrgang | www.trend-zeitschrift.de

WIRTSCHAFTSTAG 2010

„Aufbruch aus der Krise – Wachsen, Konsolidieren, Erneuern“

Michael FuchsFlexibilitätSeite 8

Hugo Müller-VoggFünf-Parteien-SystemSeite 10

Alfred KatzLeitbildSeite 26

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Wirtschaftstag 2010

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Ich habe mich zuletzt häufiger gefragt, was Ludwig Erhardwohl dazu sagen würde, was wir in den letzten anderthalbJahren erlebt haben. Vielleicht würde er sagen, dass wir

die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft im Grundsatz aufdie globale Welt übertragen sollten. Denn das waren ver-nünftige Prinzipien, mit denen Deutschland sich hervorragendentwickelt hat, und daraus ist auch ein hohes Maß an gesellschaftlicher Gemeinsamkeit entstanden.

Die Aufgabe heißt, Wirtschaft und Globalisierung mensch-lich zu gestalten. Diese Aufgabe kann heute aber nichtmehr von einem Land allein erfüllt werden. Deshalb halte iches für einen ganz großen Fortschritt, dass im Lissabon-Vertragdas Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft als unsere ge-meinsame europäische Wirtschaftsweise verankert ist.Europa kann so einen Beitrag dazu leisten, Wirtschaft welt-weit menschlich zu gestalten.

Nach der Bankenkrise, der schweren Weltwirtschaftskri-se und der Anhäufung höherer Staatsschulden müssen die

öffentlichen Haushalte konsolidiert werden. Aber auch dasist nicht der letzte Schritt. Denn dann wird auf die Struktu-ren geschaut. Es wird danach geschaut, ob die Strukturen ineinzelnen Ländern wettbewerbs- und zukunftsfähig sind. Undwenn man eine Strukturkrise vermeiden will, muss man recht-zeitig mit Strukturreformen gegensteuern. Das ist die Aufgabe,vor der wir jetzt alle stehen.

Diese Krise konnte nur entstehen, weil es Exzesse auf denFinanzmärkten gab, die mit Sozialer Marktwirtschaft nichtszu tun haben. Deswegen war es auch richtig, eine Antwortim Rahmen der G20-Staaten zu suchen. Genau an dieser Auf-gabe arbeiten wir jetzt. Die Umsetzung der guten G20-Be-schlüsse von London und Pittsburgh dauert an. Zum Schlussaber muss das Ziel erreicht werden, dass jedes Produkt, jederFinanzmarktteilnehmer und jeder Finanzplatz so reguliert ist,dass sich eine solche Krise nicht wiederholt. Das darf aller-dings nicht dazu führen, dass wir allein die Märkte für allesverantwortlich machen. Die Politik muss die strukturellenSchwächen identifizieren und beheben. Für Europa bedeutetdas: Wir brauchen eine Änderung der Verträge, strengere Haus-haltsdisziplin und auch die Möglichkeit für Restrukturierungen,wenn sich ein Land nicht an die Regeln hält.

Das Bundeskabinett hat für Deutschland ein ausgewo-genes Programm entwickelt. Wir haben kein reines Spar-programm, sondern ein Zukunftsprogramm vorgelegt. Mit vie-len Sparvorschlägen sind auch strukturelle Reformen ver-bunden. Aus meiner Sicht geht es jetzt darum, dass wir un-sere Beschlüsse auch Realität werden lassen.

Aus Rede Wirtschaftstag 2010

Wirtschaft und Globalisierungmenschlich gestalten

Diese Krise konnte nur entstehen, weil es Exzesse auf den Finanzmärktengab, die mit Sozialer Marktwirtschaftnichts zu tun haben.

Dr. Angela Merkel MdBBundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland

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Wirtschaftstag 2010

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WIRTSCHAFTSTAG 2010

„Aufbruch aus der Krise – Wachsen, Konsolidieren, Erneuern“

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Wirtschaftstag 2010

Kurt Lauk: „Ihre Verdienste um die deutsche Einheitwurden mit großem Respekt und verdientermaßen gewürdigt mit der Verleihung des Bundesver-

dienstkreuzes 1992. Nun kommt die Ludwig-Erhard-Medaille in Gold dazu. Damit haben Sie im Grunde inDeutschland an Auszeichnungen eigentlich fast alles erreicht,was zu erreichen ist.

Wir wissen, dass Sie eine besondere Beziehung zu unse-rem Land haben, u.a. deutsche Vorfahren. Als Sie 2007 Ihr jet-

ziges Amt antraten, titelte DIE WELT: ‘Ein Freund Deutschlandswird Weltbankchef’. Folgerichtig haben Sie Ihre 186 Mit-gliedsstaaten auf einen gemeinsamen Kurs eingeschworenmit den Worten: ‘The most important thing is, to have a litt-le Fingerspitzengefühl’. Für uns sind Sie zudem ein ord-nungspolitischer Partner erster Güte. Sie haben dies in ver-schiedenen Positionen in herausragenden Stellungen immerwieder gezeigt und durchgesetzt, in Wirtschaft und Politikstets eindrucksvoll bewiesen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel war die erste Gratulantin. Kurt Lauk überreichte dem Präsidenten der Weltbankgruppe, Robert B. Zoellick, die „Gedenkmünze Ludwig Erhard in Gold“.

Hohe Auszeichnung im Wirtschaftsrat:Ludwig-Erhard-Gedenkmünze in Gold für Robert B. Zoellick

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Ihre politischen Überzeugungen und ord-nungspolitische Gradlinigkeit stehen in ganzunmittelbarer Verbindung zu Ihren bemer-kenswerten Hobbys. Sie stehen für langenAtem und Standhaftigkeit. Sie sind ein pas-sionierter Marathonläufer. Sie gelten alsausgesprochener Stratege. Ihr Hobby ist derAmerikanische Bürgerkrieg. Sie kennen dortjede Schlacht, jede Truppenbewegung, jedenOrt. Und Sie gelten als Kämpfer für denweltweiten Freihandel. Das dazugehörigeHobby ist offensichtlich, und das hat auchmich überrascht, vogelkundliche Studien infreier Natur.

Gerade Ihr Kampf gegen die Renaissancedes Protektionismus verbindet Sie mit demWirtschaftsrat. Ihr Einsatz für offene Märkteund freien Handel zieht sich konsequentdurch alle Ihre Stationen. Erst kürzlich habenSie den Protektionismus als das Risiko Num-mer 1 für die weltwirtschaftliche Lage gegei-ßelt.

Sie wissen, wir brauchen eine neue in-ternationale Finanz- und Wirtschaftsord-nung. Die Realität des 21. Jahrhunderts mussdarin widergespiegelt werden. Sie haben estreffend ausgedrückt: ‘Die ökonomischenund politischen tektonischen Platten ver-schieben sich.’

Der neue internationale Ordnungsrah-men lässt sich nur mit Entwicklungs- undSchwellenländern neu schaffen und defi-nieren. Gerade die Weltbank hat hier eine be-sondere Bedeutung. Unter Ihrer Führunghat die Weltbank wegweisende Reformen

durchgeführt, eine Kapitalerhöhung von 5,1 Milliarden, um diesteigenden Kreditanforderungen in den armen und ver-schuldeten Ländern zu ermöglichen. Und Sie haben mehrStimmengewicht für die Schwellenländer gefordert – also Re-formen, die die Weltbank fit machen.

Den Kampf gegen die ausufernde Staatsverschuldung ha-ben Sie sich zu Eigen gemacht. Schon im Januar diesen Jah-res war Ihre eindringliche Warnung: ‘Die hohen Staatsschul-den sind ein globales Problem, auch wenn die Gläubiger zu-erst in Europa die Bonität der staatlichen Schuldner neu be-werten.’ Sie sagen, was gesagt werden muss, auch wenn esunbequem ist.

So haben Sie klar beim Namen genannt: Die eine BillionDollar EU-Rettungsschirm, ist zwar von der Größe her aus-reichend. Aber letztlich wurde nur Zeit gekauft. Die Haus-aufgaben müssen noch gemacht werden in vielen Ländern.Wir sind erfolgreich dabei.

Sie sind der Inbegriff eines Verantwortungsträgers, wieihn sich Ludwig Erhard wünscht, leistungs- und erfolgsori-

entiert, aber gleichzeitig auf Partizipation und sozialen Aus-gleich bedacht.“

Dirk Niebel, Bundesminister für Wirtschaftliche Zu-sammenarbeit:„Die tiefgreifende Gemeinsamkeit derbeiden Wirtschaftspolitiker Ludwig Erhard und Robert

Zoellick: Beide setzen und setzten sich mit großer Leidenschaftfür einen freien Welthandel ein. Wenn man weiß, dass Han-delshemmnisse die Entwicklungsländer mehr Geld kosten alsalle Geberländer zusammen für Entwicklungshilfe finanzie-ren, dann weiß man, wie wichtig faire Marktzugangsbedin-gungen sind. Und deswegen braucht man Verfechter für frei-en Handel wie Ludwig Erhard und Robert Zoellick.“

Robert B. Zoellick: „Frau Bundeskanzlerin, ich möchte Ih-nen für die Unterstützung danken, die Sie und Deutsch-land der Weltbankgruppe erwiesen haben. Wie eini-

ge unter Ihnen vielleicht wissen, eint Bundesminister Schäub-le und mich die gemeinsame Arbeit. Unter Kanzler HelmutKohl waren Sie hauptverantwortlich für die Verhandlung derinnenpolitischen Aspekte der Wiedervereinigung, währendich das Privileg hatte, im Namen der Vereinigten Staaten dieaußenpolitischen Dimensionen der Wiedervereinigung zu ver-handeln. Wir hatten eine außergewöhnliche Partnerschaft.Seither ist er ein guter Freund.

Historisch gesehen ist diese Verbindung zu Ludwig Erhardein großer Augenblick für mich.

Wenn ich an seine Zeit denke, an seine moralische Kraft,seinen Einsatz für dauerhafte Prinzipien, seine Leistungen,dann erkenne ich, dass wir im Schatten seiner Größe stehen.

Denn Dr. Erhard war nicht nur ein ausgezeichneter Poli-tiker. Er legte auch das Fundament für ein Wirtschaftssystem– ein System, das freien Männern und Frauen und einem groß-artigen Land das Streben nach einem besseren Lebensstan-dard ermöglichte.

Westdeutschland hat in der Tat ein Wirtschaftswundervollbracht. Aber das war nicht die Leistung eines einzelnenberühmten Mannes. Es war ein Wunder, das von Millionen vonBürgern in Städten und Dörfern vollbracht wurde, die frei wa-ren, etwas zu erschaffen, zu investieren und „nach Glück zustreben“, wie es in der Unabhängigkeitserklärung meines Lan-des heißt.

Kurt Lauk ist mir seit vielen Jahren ein guter Freund. Wieviele Ihrer amerikanischen Kollegen bin ich stark beein-druckt von Ihrer außergewöhnlichen Fähigkeit, in der inter-nationalen Sicherheitspolitik wie in der Wirtschaft hervor-ragende Ergebnisse zu erzielen. Ihre Wissensbreite und in-tellektuelle Neugier haben vielen von uns ganz besondere Ein-sichten beschert – und eine wunderbare Freundschaft. Seitvielen Jahren leisten Sie Ihren Beitrag für Deutschland,Europa und die transatlantischen Beziehungen sowie für IhreGeschäftspartner in der ganzen Welt. Es ist mir daher ein ganzbesonderes und persönliches Vergnügen, dass ich diese Aus-zeichnung unter Ihrem Vorsitz bekomme.“

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Wirtschaftstag 2010

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Wir blicken zurück auf eindramatisches Jahr: Zum er-sten Mal sind europäische

Industriestaaten von einer Insolvenz be-droht. Der Wirtschaftsrat hat vor einerÜberforderung des Staates gewarnt.Viele glaubten, der Staat rettet unsalle. Jetzt stehen wir vor der Frage,wer den Staat rettet.

Aus dieser Krise müssen Lehrengezogen werden. Wir brauchen mutigeund umfassende Reformen. Auf natio-naler, europäischer und globaler Ebene.Es ist zwar richtig, den Spekulanten ei-nige ihrer Werkzeuge zu nehmen. Nochwichtiger aber ist es, dem Grund für ihreSpekulationen entgegenzuwirken. Unddas ist die noch immer steigendeStaatsverschuldung.

In den kommenden Monaten müs-sen wir die anstehenden Herkulesauf-gaben mit aller Kraft angehen. Haus-haltskonsolidierung ist nur möglich,

wenn auch Sozialausgaben auf denPrüfstand gestellt werden. Wir begrü-ßen die Sparbeschlüsse der Bundesre-gierung. Sie sind in fast allen Detailsrichtig. Gleichzeitig bedauern wir, dass

keine größeren strukturellen Elementesichtbar geworden sind. Wir habenvorgeschlagen, den ermäßigten Mehr-wertsteuersatz mit der Ausnahme fürGrundnahrungsmittel abzuschaffen.Das hierbei entstehende Steuerauf-kommen von 12 Milliarden Euro solltegenutzt werden, um Mittelstands-bauch und kalte Progression abzubau-en und die Einkommensschwelle fürden Spitzensteuersatz von 53.000 aufdann 80.000 Euro anzuheben.

So könnte die bürgerliche Mitteentlastet werden. So käme der Fachar-beiter endlich aus dem Spitzensteuer-satz heraus. Hinzu kommen muss einegrundlegende Vereinfachung unseresSteuersystems. Die Vorschläge der Län-derfinanzminister sind ein erster rich-tiger Schritt. Außerdem müssen dieüber 70 Ausnahmeregelungen des §3Einkommensteuergesetz durchforstetwerden.

Deutschland kann sich nicht derIllusion hingeben, seine Staats-defizite allein durch Wachs-

tum abzubauen. Wir müssen den Wegder Reduzierung der Defizite gehen.Deutschland ist ein Land mit rückläu-figer Bevölkerung und schneller Alte-rung. Wir werden deshalb – realistischbetrachtet– ein nachhaltiges Wachstumvon etwa ein bis 1,5 Prozent haben.

Das Sparpaket der Bundesregie-rung ist ausgewogen und seriös. Wennwir nicht allein konsolidieren, sondernauch Wachstumskräfte stärken wollen,müssen wir das Defizit zu einem we-sentlichen Teil auf der Ausgabenseite re-duzieren. Wir haben in praktisch je-dem Ressort gespart. Ausgenommenhaben wir investive Ausgaben. Das warbei früheren Sparpaketen nie der Fall.Ich bin entschieden dafür, dass wir den

Bankensektor in einer maßvollen Wei-se restrukturieren. Wir benötigen ein In-solvenzverfahren, mit dem wir syste-mische Risiken vermeiden. Dazu benö-tigen wir einen Fonds für möglicheKrisenfälle, der mit einer Bankenabga-be aufgefüllt wird. Zusätzlich wollen wirLeistungen des Finanzsektors besteu-ern, um die finanziellen Defizite desStaates abzubauen. Denn ohne die Fi-nanzkrise hätte wir die heutigen Haus-haltsprobleme nicht. Deswegen ist esauch richtig, dass der Finanzsektor ei-nen Beitrag zur Bewältigung der Kriseleistet.

Die Märkte haben bewiesen, dassDeregulierung nicht der alleinige Wertan sich sein kann. Märkte brauchenGrenzen und Regeln, damit sie sichselbst nicht zerstören. Aus sich selbstheraus schaffen sie es nicht.

Dr. Wolfgang Schäuble MdBBundesminister für Finanzen

Prof. Dr. Kurt J. LaukPräsident des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

Aus der Krise Lehren ziehen

Nachhaltiges Wachstum in Deutschland und Europa –Chimäre oder Chance?

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Singapur hat großes Interesse aneinem erfolgreichen Europa. Esmuss uns gelingen, nach der Kri-

se wieder Optimismus für die Zukunftzu schaffen. Das war vermutlich nochnie so schwierig seit dem Ende desZweiten Weltkriegs. Die Frage ist: Wiegenerieren wir Wachstum, in einer Ära,in der eine Kontraktion staatlicher Fis-kalpolitik unvermeidbar ist? Diese Fra-ge stellt sich mit besonderer Dring-lichkeit für die hoch entwickelten Volks-wirtschaften.

Zusätzlich müssen wir die Frageklären, wie wir Wachstum in einer Zeitschaffen, in der Banken ihre Kapital-hebel verkürzen, neues Kapital be-schaffen müssen und Konsumentenweniger Mittel zur Verfügung haben.Und schließlich müssen wir die Frage

beantworten, wie wir den sozialen Zu-sammenhalt in der Welt sichern. Dassind große Herausforderungen.

Auch wenn es derzeit vielleichtnicht so aussieht: Die Globalisierunghält noch immer enorme Wachstums-potenziale und Möglichkeiten für unsbereit. Die großen Wachstumsregio-nen China, Indien, Südostasien und La-teinamerika werden in den nächstenfünf bis zehn Jahren rund die Hälfte desglobalen Wachstums generieren. Des-halb ist es im Interesse jedes hoch ent-wickelten Industriestaates, daraus Vor-teile zu ziehen – durch Exporte und In-vestitionen.

Genauso ist es auch im Interesseder Schwellenländer, weiterhin vonden Vorteilen der Globalisierung zuprofitieren.

Tharman ShanmugaratnamMinister für Finanzen, Singapur

Wachstum und sozialer Zusammenhalt: Herausforderungen in einer neuen globalen Ära

Die Bundeswehr hat einen enor-men Reformstau aufgebaut.Dieser Reformstau hat zu ei-

nem Konstrukt geführt, das nicht mehrdas reflektiert, was heute und künftigan Herausforderungen auf die Bun-deswehr zukommt. Das koppelt sich mitdem Ansatz, sparen zu müssen.

Wir brauchen eine möglichst flexi-ble, ein möglichst gut ausgerüsteteund gut aufgestellte Armee, die auchauf Dauer bezahlbar sein muss. Dasgeht nicht ohne Kürzungen beim Per-sonal. Wir werden auf eine nicht uner-hebliche Zahl von Berufs- und Zeitsol-daten verzichten müssen. Wir müssenuns auch der Frage nach der Wehrformund des Wehrdienstes stellen. Diese Fra-gen müssen offen diskutiert werden.

Wenn man über Strukturreform redet, muss man sie irgendwann auch an-

gehen. Politik ist die Kunst des Möglichen.Und die Kunst des Möglichen beherrschtam besten, wer weiß, wo er hin will. Des-halb müssen wir das Thema vom Endeher denken. Die Fragen der Wehrpflichtund des Wehrdienstes dürfen wir deshalbnicht an ein Spardiktat heften, sondernan künftige Strukturen. Man wird nie-mand von Strukturreformen überzeu-gen, wenn man sie allein mit der Not-wendigkeit des Sparens begründet.

Für ein exportorientiertes Land wieDeutschland sollte es eine Selbstver-ständlichkeit sein, den Zusammen-hang zwischen Wirtschaftsleistungund freien Handelswegen anzuerken-nen. Das heißt, dass regionale Sicher-heit auch unseren Wirtschaftsinteres-sen dienen kann. Sicherheit und wirt-schaftliches Wohlergehen gehören we-sentlich zusammen.

Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg MdBBundesminister der Verteidigung

Sicherheit – Knappes Gut und wertvolle Ressource

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PODIUM I

Zeitbombe Staatsverschuldung: Was bleibt übrig für Zukunftsausgaben?

Staatsverschuldung ist wie eineSeuche. Sie schleicht sich lang-sam an und hat verheerende bis

tödliche Folgen, wenn man sie zu spätbemerkt. Ich glaube, dass wir zum hi-storisch richtigen Zeitpunkt die Schul-denbremse im Grundgesetz eingeführthaben.

Meine Einschätzung ist, dass sieheute keine Mehrheit mehr bekäme.Jetzt entsteht ein Zwang, der in einerdemokratischen Gesellschaft dazuführt, dass sich in den nächsten Jahrenniemand trauen wird, diese Regel auf-zuheben. Und nur das ist der Grund da-für, warum wir jetzt die heftige Dis-kussion über Sparpakete führen.

Der Maßstab für die Politik in denkommenden Jahren wird sein, dass wirdie Schuldenbremse nicht brechen und

dass sie niemand aufhebt. Wenn wirdiese beiden Dinge hinbekommen,dann ist die Seuche Staatsverschul-

dung beherrschbar. Der Handlungs-spielraum für die deutsche Politik unddamit für die kommende Generationwird so signifikant größer als in vielenanderen Länden. Über das Sparpaketder Bundesregierung wird viel debat-tiert. Ich halte es zunächst aber einmalfür wichtig, dass die Bundesregierungdieses Sparprogramm überhaupt be-schlossen hat.

Ich bleibe allerdings bei der Auf-fassung, dass es langfristig nicht rei-chen wird. Den Bürgern dürfte in dennächsten Jahren unterm Strich eher we-niger von ihrem Bruttoeinkommen üb-rig bleiben. Die Politik wird den Bürgernsagen müssen, dass wir den Weg, im-mer mehr Teile des zivilgesellschaftli-chen Engagements zu verstaatlichen,zurücknehmen müssen.

Roland Koch MdLMinisterpräsident des Landes Hessen

Die Schuldenbremse kam zumrichtigen Zeitpunkt. Es ist aberauch wichtig, dass wir sie rich-

tig anwenden. Der Primärsaldo warzwar in Deutschland immer positiv.Aber er fiel bei weitem hinter das zu-rück, was wir gebraucht hätten, um eineUmkehr bei der Schuldenstandsquoteeinzuleiten. Und sie ist letztlich das Maßfür Nachhaltigkeit der öffentlichen Fi-nanzen.

Zwei Dinge sind zu berücksichtigen.Ich halte ein künftiges Potenzial-wachstum in Deutschland von rund ei-nem Prozent für realistisch. Zudemwerden die derzeit niedrigen Zinsenlangfristig wieder steigen. Das bedeu-tet zugleich: Die Konsolidierung deröffentlichen Haushalte ist ohne Alter-native.

Die Beschlüsse, die wir in Europa gefassthaben, tragen dazu bei, zu einer stabi-len Währung zurückkehren. Das gilt

allerdings nur, wenn wir neben derKrisenbekämpfung die Wiederetablie-rung stabiler Grundlagen in den Vor-dergrund stellen. Wir können nichtden Krisenmodus perpetuieren. EineWährungsunion souveräner Staatenkann nur funktionieren, wenn jedesLand eigenverantwortlich stabile Haus-halte sicherstellt.

Wir müssen deshalb den Stabili-täts- und Wachstumspakt härten. Wirbrauchen automatisierte Sanktionenund wir müssen den Schuldenstandstatt der Defizite künftig stärker in denVordergrund rücken. Ferner solltenwir auch ernsthaft darüber reden, wiewir künftig mit Ländern umgehenwollen, die vorhandene Regelwerkeignorieren.

Prof. Dr. Axel WeberPräsident der Deutschen Bundesbank

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PODIUMSDISKUSSION

Paul Bauwens-AdenauerVizepräsident, DIHK Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V.

Die Wirtschaft ist derzeit auf einem enormem Vormarsch. Wir werden vielleicht das Vor-krisenniveau schneller erreichen als wir bisher gedacht hatten. Mit dem Beschluss derBundesregierung zum Sparpaket ist ein erster wichtiger und richtiger Schritt zurHaushaltskonsolidierung getan.

Prof. Dr. Lars FeldLehrstuhl für Finanzwissenschaft, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Konsolidierung der Staatsfinanzen selbst stellt sicher, dass der Staat seine Aufgaben inder Zukunft wahrnehmen kann. Eine wachstumsorientierte Konsolidierung der Staats-finanzen umfasst die Streichung von Subventionen, insbesondere auch im Bereich dererneuerbaren Energien und der Steuervergünstigungen. Im Sozialbereich sollten struk-turelle Reformen sicherstellen, dass hinreichende Anreize zur Arbeitsaufnahme existieren.

Dr. Jürgen FitschenMitglied des Vorstands, Deutsche Bank AG

Man sollte mit einer Bankenabgabe nicht die Wettbewerbsfähigkeit der Finanzwirtschaftnachhaltig schädigen. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass der Finanzsektor künf-tig stabiler wird. Wir sind allerdings nicht damit einverstanden, dass eine Abgabe zumStopfen von Haushaltslöchern benutzt wird.

Steffen Kampeter MdBParlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen

Sparsamkeit ist Grundlage für Wachstum und Wohlstand. Das ist die Botschaft aus derGriechenland-Krise. Die Koalition hat durch ihre Sparbeschlüsse einen Mentalitätswechselin Deutschland eingeleitet. Wir haben Abschied genommen von der Ideologie, dass manmit viel Geld viel erreichen kann. Deutschland ist mit Blick auf die Haushaltskonsolidierunginternational jetzt Vorbild.

ModerationRoland TichyChefredakteur, WirtschaftsWoche

Die Gefahr ist, dass ein Konsolidierungspaket angekündigt wird und dann im politi-schen Prozess kleingeredet wird. Jetzt muss das Sparpaket aber tendenziell eher größer werden.

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PODIUM II

Industrieland Deutschland: Fitness fürdie Zukunft oder Reife fürs Museum?

Der Standort Deutschland unddamit auch der Industrie-standort Deutschland steht

in den kommenden Jahren vor einer Rei-he weitreichender Herausforderungen.Die öffentlichen Haushalte der Bun-desrepublik müssen konsolidiert wer-den. Wir stehen einem zunehmendenMangel an Facharbeitskräften gegen-über. Wir müssen den Herausforde-rungen des Klimaschutzes begegnenund zugleich die Wettbewerbsfähigkeitder heimischen Industrie sichern.

Die Konsolidierung der öffent lichenHaushalte darf nicht zu Lasten vonAusgaben für Bildung und Forschunggehen. Denn diese sichern unsere Zu-kunft. Die Bundesregierung wird dieAusgaben in diesem Bereich deshalb in

den kommenden Jahren trotz des Kon-solidierungszwangs in den Haushaltenweiter aufstocken.

Bei den anstehenden energie- undumweltpolitischen Entscheidungenund Weichenstellungen müssen wachs-tums- und industriepolitische Ge-sichtspunkte und Belange unbedingtberücksichtigt werden. Nachhaltige Er-folge beim Klimaschutz sind nicht mög-lich ohne die weitere Nutzung derKernkraft und ohne ein internationalabgestimmtes Vorgehen. Das muss be-rücksichtigt werden.

Der Weg bis zum Wiedererreichendes Niveaus vor der Wirtschaftskrisewird noch einige Jahre in Anspruchnehmen. Die Ausgangslage hierfür istfür unser Land mit einer breiten wirt-schaftlichen Basis und einer starken ex-portorientierten Industrie aber ver-gleichsweise günstig.

Volker Kauder MdBVorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Deutschland sollte weiterhinauf marktwirtschaftliche Lö-sungen vertrauen. Die Rah-

menbedingungen für die Wirtschaft –insbesondere die Finanzwirtschaft –müssen so gestaltet werden, dass Ket-tenreaktionen künftig vermieden wer-den. Gleichzeitig müssen die Rahmen-bedingungen genügend Raum für Un-ternehmertum und Investitionsfähig-keit geben. Unser langfristiges Zielmuss eine klimaneutrale Energiever-sorgung sein, die zugleich wirtschaft-lich, zuverlässig und nachhaltig ist.

Die Dekarbonisierung unserer Volks-wirtschaft darf auf keinen Fall in die De-industrialisierung münden. Deutsch-land als Industrieland braucht eine zu-verlässige, wirtschaftliche und um-weltverträgliche Energieversorgung.Sie ist nicht nur Grundlage für wirt-schaftlichen Wohlstand und Innovati-onsfähigkeit – sondern auch für zu-kunftssichere Arbeitsplätze und damit

soziale Stabilität. Die Bausteine einerklimaneutralen und zuverlässigen Ener-gieversorgung sind erneuerbare Ener-gien, ausgebaute und intelligente Net-ze, Energieeffizienz und Kraft-Wärme-Kopplung Dazu gehört aber auch die kli-maneutrale Nutzung von Kohle mithilfeder CCS-Technologie und die Kern-energie.

Die klimaneutrale Energieversor-gung der Zukunft ist eine globale Her-ausforderung. Mittelfristig ist keiner derkonventionellen Energieträger voll-ständig ersetzbar. 64 Prozent der welt-weiten Stromerzeugung basieren auffossilen Energieträgern, 17 Prozent aufder Kernenergie. Wir brauchen auch inZukunft einen möglichst breiten und robusten Energiemix.

Stärker als bisher müssen wir auchdie Effizienz und die Wirksamkeit vonMaßnahmen beachten. Nicht Wunsch-denken, sondern nüchterne Kosten-Nutzen-Analysen sollten den Ausschlag

für den Einsatz von Technologien geben.Energieversorgung heißt: Einsatz vonTechnik. Dafür brauchen wir die Ak-zeptanz aller Akteure in Politik, Wirt-schaft und Gesellschaft. Akzeptanzmuss erarbeitet werden – dafür stehenwir bereit.

Tuomo HatakkaVorsitzender des Vorstands, Vattenfall Europe AG

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PODIUMSDISKUSSION

Dr. Eckhard CordesVorsitzender des Vorstands, Metro AG

Bei uns herrscht noch immer eine große Technologieskepsis vor. Das größte Problem aberist aus meiner Sicht, dass der „Mindset“, also die geistige Haltung vieler Menschen inDeutschland nicht mehr stimmt. Deutschland droht, seine Passion zur Leistung zu ver-lieren. Das könnte zu einem massiven Problem im globalen Wettbewerb werden.

Dr. Michael Fuchs MdBStellv. Fraktionsvorsitzender und Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand

Wir brauchen Rahmenbedingungen, die es für Unternehmen attraktiv machen, hier-zulande zu forschen, zu entwickeln und zu produzieren. Unsere Standortpolitik muss so-wohl die traditionell starken Branchen fördern als auch die jungen, oft „grünen“ Wirt-schaftszweige. Wir brauchen zudem eine Energiepolitik, die dem Kostenaspekt der in-dustriellen Produktion und der Versorgungssicherheit wieder stärker Rechnung trägt.

Dr. Klaus HarsteVorstandsvorsitzender der Saarstahl AG

Die deutsche Stahlbranche hat im globalen Rahmen noch immer einen Technologie-vorsprung. Wir exportieren sehr hochwertigen Stahl und konzentrieren uns auf die hoch-wertigen Güten. Der große Vorteil am Standort Deutschland ist, dass wir sehr gute Hoch-schulen haben und die Stahlindustrie durch eigene Institute gut vernetzt ist. Allerdingsmüssen wir uns anstrengen, junge Leute auch in Zukunft für die vermeintliche „old eco-nomy“ zu begeistern.

Frank RiemenspergerVorsitzender der Geschäftsführung, Accenture GmbH

Die Weltwirtschaftskrise hat zu einer Konsolidierung der deutschen Industrielandschaftgeführt. Es ist gelungen, Fachkräfte in Beschäftigung zu halten. Trotz aller Unkenrufe ha-ben sich viele deutsche Großunternehmen und starke Mittelständler in der Krise be-hauptet. Deshalb können sie nun mit voller Geschwindigkeit auf den Wachstumszug auf-springen.

ModerationDaniel GoffartRessortleiter Wirtschaft & Politik, Handelsblatt

Deutschland muss sich die Frage stellen, ob es in Gefahr gerät, auf wichtigen Märktenin Lateinamerika oder Asien seine Führungsrolle zu verlieren. Zudem müssen wir uns derDebatte stellen, ob der technologische Umbruch in vielen Bereichen eine Bedrohung fürDeutschlands Exporterfolg werden kann.

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Wirtschaftstag 2010

PODIUM III

Sozialstaat am Limit: Wie ist der gesell-schaftliche Zusammenhalt zu sichern?

Sozialstaat und gesellschaftlicherZusammenhalt ist nach meinerfesten Überzeugung ein Be-

griffspaar, das zwingend zusammen-gehört. Freiheitliche Systeme brau-chen solidarische Instrumente, damitdort gesellschaftlicher Zusammenhaltorganisiert werden kann. Extreme Un-terschiede zwischen Arm und Reichhalten auf Dauer nur totalitäre Syste-me aus. Deshalb ist ohne sozialstaatli-che Begleitung eine Gesellschaft wiedie unsere nicht zukunftsfähig.

Der Sozialstaat und die SozialeMarktwirtschaft waren und sind aus-gesprochen erfolgreich. Soziale Stabi-lität ist auch ein wichtiger Standort-faktor für die Wirtschaft. Bevor man denSozialstaat zur Disposition stellt, muss

man sich darüber im Klaren sein, dasser der Bundesrepublik in den vergan-genen Jahrzehnten ein hohes Maß anStabilität gegeben hat.

Trotzdem bröckelt die Zustimmungzum Sozialstaat und zur SozialenMarktwirtschaft. In den neuen Bun-desländern hat die Soziale Marktwirt-schaft keine Mehrheit. Mehr als zweiDrittel sagen, dass der soziale Zusam-menhalt abnimmt. Wir haben eine Ak-zeptanzkrise der Sozialen Marktwirt-schaft. Und wenn wir diese sich wei-terentwickeln lassen, wird daraus eineSystemkrise für unser politisches undgesellschaftliches System.

Der Sozialstaat ist unverzichtbar.Wir dürfen ihn weder überfordern nochnegieren. Wir benötigen vielmehr eine

Neujustierung. Das heißt auch, sichwieder stärker an seinen ursprüngli-chen Funktionen zu orientieren.

Peter Müller MdLMinisterpräsident des Saarlandes

Der Wohlfahrtsstaat auf Pump,mit dem wir uns sozialen Frie-den lange erkauft haben, hat

sein Limit längst überschritten. Dergesellschaftliche Zusammenhalt istzunehmend bedroht. Wir benötigeneine Renaissance unseres einmaligenErfolgsmodells: Die geniale Verbin-dung von marktwirtschaftlicher Effi-zienz und sozialer Verantwortung.

Wir müssen uns von individuellemund kollektivem Egoismus verabschie-den. Mit Kreativität und Verantwor-tungsbereitschaft müssen alle zur Ent-lastung des Sozialstaates und damit zurlangfristigen Sicherung des gesell-schaftlichen Zusammenhalts beitra-gen. Die Zahl der Rentner muss in ei-nem leistbaren Verhältnis zur Zahl derErwerbstätigen stehen. Arbeitnehmer

sind durchaus bereit, mehr Eigenver-antwortung als bisher zu überneh-men, wenn sie daraus auch Vorteile zie-hen. Zielführend ist es auch, die Be-legschaft am unternehmerischen Erfolgzu beteiligen. Variable Vergütungsbe-standteile stärken unternehmerischesDenken auf allen Ebenen.

Die Elite unseres Landes muss IhrerVorbild- und Führungsrolle wieder ge-recht werden. Dazu muss sie zuallererstihre beschädigte Glaubwürdigkeit wie-derherstellen und den Menschen einüberzeugendes und maßvolles Rollen-vorbild vorleben. Die Sicherung des so-zialen Zusammenhalts ist ein hohes ge-sellschaftliches Gut. Wenn viele bereitsind, einen Beitrag zur Entlastung desSozialstaats zu leisten, hat er eine trag-fähige Zukunft.

Prof. Hans Helmut SchetterMitglied des Vorstands, Bilfinger Berger AG

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PODIUMSDISKUSSION

Prof. Dr. Johann EekhoffStaatssekretär a.D., Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln (iwp)

Der gesellschaftliche Zusammenhalt setzt ein hohes Maß an Transparenz, Nachvoll-ziehbarkeit und Prinzipientreue voraus. Wer Handlungsfreiheit und Entscheidungsfreiheitin Anspruch nimmt, muss für die Folgen seines Handelns gerade stehen. Anders aus-gedrückt: Entscheidungsfreiheit und Haftung gehören zusammen. Dieses Prinzip ist injüngerer Zeit allzu häufig missachtet worden.

Steffen Bilger MdBStellv. Vorsitzender Junge Gruppe, CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Mit dem Sparpaket der Bundesregierung haben wir einen gewaltigen Schritt nach vor-ne gemacht. Ich bin positiv überrascht von dem, was dort vorgelegt wurde. Jetzt sinddie Voraussetzungen dafür geschaffen, die Schuldenbremse des Grundgesetzes einzu-halten.

Roland WeberMitglied der Vorstände, DEBEKA Versicherungen

Das Sparpaket der Bundesregierung ist richtig. Wir haben aber das Problem, dass die Op-positionsparteien zusammen mit den Gewerkschaften dagegen agitieren. Deshalb wirdes kaum möglich sein, dass dieses Paket der Regierung den Zusammenhalt der Gesell-schaft stärkt.

Prof. Dr. Norbert WinkeljohannMitglied des Vorstands, PricewaterhouseCoopers AG WPG

In weiten Teilen der Bevölkerung ist der Eindruck entstanden, Deutschland habe eine Ab-kehr vom bewährten Prinzip des Sozialstaats vollzogen. Dieser Eindruck ist falsch. Diesoziale Absicherung in Deutschland ist weiterhin ausgesprochen gut. Für den Erhalt desSozialstaats müssen wir jedoch Teile von ihm opfern.

ModerationDr. Ursula WeidenfeldJournalistin

Wir haben auf diesem Podium ein hohes Maß an Fairness und einen hohen Einsatz fürden gesellschaftlichen Zusammenhalt erlebt. Man kann diskutieren, irgendwann müs-sen aber auch Entscheidungen getroffen werden.

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Wirtschaftstag 2010

20

Jahre nach der Vereini-gung Deutschlands undEuropas sieht sich die EU

grundlegenden Herausforderung ge-genüber, die die Staatskunst dieserGeneration fordern. Der Umgang mitdieser Herausforderung ist keinesfallseinfach. Mein wichtigster Rat lautet je-doch, sich ihr zu stellen und zu handeln.So, wie wir es vor 20 Jahren getan ha-ben: nicht rückwärts gerichtet oderspontan, sondern strategisch, kreativund vorausschauend.

Seit 1949 leistet Deutschland seinenBeitrag zur Integration Europas. In ei-nem Europa, das neuen Herausforde-rungen ausgesetzt ist, kann die Bun-desrepublik einmal mehr formend indie europäische Debatte eingreifen.

Das im Mai von der EU gebilligte Fi-nanzpaket war lebensnotwendig. Alssich Unsicherheit und Angst über dieglobalen Märkte ausbreiteten, han-delte Europa mit einer gemeinsamenStimme. Aber diese Antwort gewährtnur Aufschub. Jetzt muss die richtige

Diagnose gestellt werden. Dabei kön-nen die Grundsätze Ludwig Erhardsweiterhelfen.

Erhard war der festen Überzeu-gung, dass Einzelpersonen, Familienund Unternehmen die stärksten Mo-

toren für Wachstum und Wohlstandsind. Erhard glaubte auch an die Rolledes Staates, sah jedoch seine Einmi-schung mit Skepsis. „So, wie im Fußballder Schiedsrichter nicht mitspielendarf, hat auch der Staat nicht mitzu-spielen“, hat Erhard gesagt.

Was können wir für heute darauslernen? Zum Beispiel, dass Europa seinWachstum fördern muss. Haushalts-konsolidierung ist notwendig, abernicht genug. Ohne Wachstum sindHaushaltsanpassungen schmerzhaf-ter, die Politik wird schwieriger.Deutschland und Europa haben heuteeine neue Chance: Sie können einEuropa der Freiheit und Einheit schaf-fen, das in einer neuen multipolarenWirtschaft gedeihen wird. Ich bin zu-versichtlich, dass Deutschland seinemhistorischen Versprechen gerecht wirdund dafür sorgt, dass ein integriertesEuropa funktioniert. Das Schicksal eiltan uns vorbei. Wir können es ergreifenoder entfliehen lassen. Es wird nichtwarten. Das sollten wir auch nicht.

Robert B. ZoellickPräsident der Weltbankgruppe

Strategisch, kreativ und vorausschauend

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Die Euro-Krise dauert an – dieSchuldenkrise galoppiert. Wiralle spüren in diesen Wochen

und Monaten: Deutschland und Europastehen mitten in einer historischer Zei-tenwende!

Wenn uns die Rückkehr zur euro-päischen Stabilitätsgemeinschaft nichtgelingt, zerstören wir den Euro undwir alle rutschen ab in die Inflation undeine Währungsreform.

Wenn wir das Vertrauen in dieMarktkräfte nicht zurückgewinnen, fal-len wir in die Staatswirtschaft ab. Wennwir unsere Sozialen Sicherungssystemenicht demographiefest erneuern, wer-den unsere Kinder und Enkel ihrer Zu-kunftsperspektiven beraubt.

Wenn wir unsere technologischenKernkompetenzen nicht erfolgreichverteidigen, werden wir uns aus derSpitzenliga innovativer Länder verab-schieden. Auch nachdem sich erste er-freuliche Konjunktursignale in Deutsch-land ausmachen lassen: Die interna-tionale Finanzkrise hat die noch größereKrise – die Eiterblase der Staatsver-schuldung – aufbrechen lassen. Dieinternationale Finanzkrise ist nochnicht beendet.

Unser Preisträger 2007 der Lud-wig-Erhard-Gedenkmünze in Gold, EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, sagtejüngst: „Wir befinden uns zweifelsoh-ne immer noch in der schwierigsten Si-tuation seit dem 2. Weltkrieg, vielleichtsogar seit dem Ersten.“

Es ist genuine Aufgabe deutscherPolitik, jetzt die Grenzen der europäi-schen Solidarität zu definieren undaufzuzeigen! Um die Währungsge-meinschaft und die EU vor dem Absturzzu bewahren, sollte eine wirksame

Schuldenbremse europaweit verankertwerden.

Die Euro-Krise hat ihre Ursachenicht im Fehlverhalten von Spekulanten.Sicher ist es wichtig, den Spekulanteneinige Werkzeuge wegzunehmen. Aber:Noch besser wäre es, ihnen die Gründefür die Spekulation wegzunehmen –nämlich die exorbitante Staatsver-schuldung.

Der Geburtsfehler des Euros wirdjetzt überdeutlich: Der Euro war von An-fang an eine Schönwetterveranstaltung!

Nun ist es Aufgabe der Bundesre-gierung, Vorschläge für eine koordi-nierte Fiskalpolitik zu unterbreiten (sie-he Schaubild).

2009 hatten die Wähler der bür-gerlichen Regierung einen klaren Auf-trag erteilt: Durchbrechung der sozial-demokratischen Reformblockade derGroßen Koalition.

Dieser Rückenwind ist nicht aus-reichend genutzt worden. 85 Prozentder Mitglieder des Wirtschaftsratesbeklagen den Fehlstart der Schwarz-Gelben Koalition.

Dieser Rückenwind ist nicht aus-reichend genutzt worden. 85 Prozentder Mitglieder des Wirtschaftsratesbeklagen den Fehlstart der Schwarz-Gelben Koalition.

Bürger und Unternehmer habenviel mehr Mut, als die meisten Politikerglauben.

Kernaufgabe der Bundesregierungmuss in den nächsten Monaten sein,das Wachstum zu beschleunigen.

Zu den Prioritäten des Wirt-schaftsrates zählen:1. Grundlegende Steuervereinfachung,

Entlastung des Mittelstandes und ei-serne Haushaltsdisziplin.

2. Paradigmenwechsel in der Sozial-politik: Gesellschaftlicher Zusam-menhalt darf nicht länger auf Pumpfinanziert werden.

3. Abkehr von der Staatsmedizin: Ge-sundheitsfonds für Wettbewerb öff-nen und sozialen Ausgleich überSteuern finanzieren.

4. Investitionsblockaden für die Wirt-schaft lösen durch den Abbau vonBürokratie und die Beseitigung vonGenehmigungshindernissen.

5. Verlässliche, klimaverträgliche undbezahlbare Energieversorgung si-chern, Laufzeiten für sichere Kern-kraftwerke verlängern.

6. Bildungs- und Innovationskultur stär-ken, mehr Effizienz und Wettbewerban Schulen und Hochschulen för-dern.

Seit fast 50 Jahren steht der Wirt-schaftsrat für Werte und Prinzipien,die unser Land zu Erfolg und Wohlstandgeführt haben. Wir sind die Speerspit-ze der Sozialen Marktwirtschaft! Des-halb ist ein starker Wirtschaftsrat wich-tiger denn je!

Prof. Dr. Kurt J. LaukPräsident des Wirtschaftsrates der CDU e.V.

BUNDESDELEGIERTENVERSAMMLUNG 2010

„Bürger haben mehr Mut, als die Politiker glauben“

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Bundesdelegiertenversammlung 2010

Der Wirtschaftsrat ist einzigar-tig aufgestellt. Wir sind einpolitischer Verband, ein Ein-

flussnehmer, ein Kompetenzzentrum.Wir sind Netzwerk und Dienstleister fürunsere Mitglieder. Wir konnten trotzdieser schwierigen Wirtschafts- undFinanzkrise, trotz eines erheblichenStrukturwandels in der Verbändeland-schaft ein gutes Jahr 2009 abschließen.Wir haben einen Rekord bei den Mit-gliederzahlen. Wir liegen um die 11.000und sind guter Hoffnung, dass wir biszum Ende des Jahres die 12.000 Mit-glieder erreichen können.

Über 2.000 Experten aus Wirt-schaft, Politik und Wissenschaft arbei-ten bei uns in neun Bundesfachkom-missionen und zehn Bundesarbeits-gruppen. Wir haben 68 Landesfach-kommissionen mittlerweile, 15 Lan-desverbände und 160 Sektionen. Wir ha-ben den Wirtschaftsrat in Brüssel, inNew York und ab 18. Juni in Österreich.Wir sind ein Verband, der generatio-nenübergreifend aufgestellt ist, miteinem sehr aktiven Juniorenkreis. Wennich den Fußball benutzen darf, würdeich sagen: Der Wirtschaftsrat Deutsch-land ist der FC Bayern unter den poli-tischen Verbänden.

Der Wirtschaftsrat steht für seineGrundüberzeugungen, für leistungs-und erfolgsorientierte Unternehmer,die gleichermaßen auf Partizipationund auf sozialen Ausgleich setzen undtrotz schwieriger Rahmenbedingun-gen den Kopf nicht in den Sand stecken.

Es ist wichtigste Aufgabe der Un-ternehmer, ihr Unternehmen zum Er-

folg zu führen, Gewinne zu erwirt-schaften. Nur so können Arbeitsplätzeerhalten und neue Arbeitsplätze ge-schaffen werden. Viele werden des Öf-teren nachts nicht schlafen, weil sie sichGedanken machen müssen, wie sie esschaffen, die Wirtschaftskrise zu über-stehen und die Arbeitsplätze zu erhal-ten. Deshalb ist es Auftrag des Wirt-schaftsrates, auch das Unternehmerbildin Deutschland deutlich zu verbessern.Unternehmer stehen in ihrer großenZahl für Anstand, Ehrlichkeit, Verläss-lichkeit und Verantwortlichkeit. Dassind die Tugenden, die uns stark ge-macht haben. Natürlich gibt es auchschwarze Schafe, wie überall in derGesellschaft, aber wir als Wirtschafts-rat müssen deutlich machen: Die Mehr-zahl der Unternehmer in diesem Landsteht für Arbeitsplätze, für sozialenAusgleich und für harte Arbeit, Fairnessund Anstand.

Wir müssen alle mitnehmen, gera-de in diesen Zeiten, wenn die Wirtschaftund ihr Sachverstand gefragt sind. Wirmüssen runter von den Zuschauer-bühnen und rauf aufs Spielfeld. Politiknur zu beklagen, das ist zu wenig. DerWirtschaftsrat wird mehr denn je ge-braucht.

Wir können nicht nur in Europaunsere Hausaufgaben machen. Wirmüssen uns auch entscheiden, wel-ches Europa wir wollen. Wir wollenein Europa, das Frieden und Freiheit be-wahrt, ein Europa, das Wohlstand si-chert und mehrt, einen Kontinent vonDemokratie und Recht. Aber wir wollenkein Europa der Bürokraten. Es muss

Schluss sein damit, dass sich Men-schen in Brüssel darüber Gedankenmachen, wie weit eine Banane odereine Gurke gekrümmt wird und wielang eine Pommes sein darf. Deshalb istes wichtig, dass wir uns als Wirt-schaftsrat einbringen. Da 80 Prozentunserer Gesetze heute ihren Anfang inBrüssel nehmen, muss die EU immermehr im Fokus des Wirtschaftsrates ste-hen. Ludwig Erhard würde heute inBrüssel sitzen.

2013 feiert der Wirtschaftsrat sein50-jähriges Bestehen. Das stellt uns vorneue Herausforderungen. Es gilt, denguten Geist im Wirtschaftsrat zu wah-ren und in die nächste Generation zutragen. Es gilt, die Erfahrungen und dasWissen aus der Vergangenheit zu nut-zen, um neue Ideen für die Gestaltungder Zukunft zu entwickeln.

Ehrenamt und Hauptamt sind en-gagiert und motiviert. Wir werden dieSoziale Marktwirtschaft nicht nur inDeutschland wieder mehrheitsfähigmachen, sondern auch nach Europaund in die Welt exportieren.

Wolfgang SteigerGeneralsekretär des Wirtschaftsrates

BUNDESDELEGIERTENVERSAMMLUNG 2010

„Runter von der Tribüne,rauf aufs Spielfeld!“

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