Trittin, Juergen - Welt Um Welt

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Jrgen Trittin

Welt Um WeltGerechtigkeit und Globalisierung

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Der Schutz des globalen kosystems ist fr Jrgen Trittin die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts und der Schlssel fr soziale Gerechtigkeit. Falsche Rahmenbedingungen zwingen Menschen bis heute vielfach, Natur zu zerstren, um ihre Existenz zu sichern. Der Bundesumweltminister fordert Politik und Wirtschaft auf, langfristigem Denken und kologischen Kriterien Prioritt zu geben. Anschaulich legt er Strategien dar, die es ermglichen wrden, dass 9,5 Milliarden Menschen in Nord und Sd in der Mitte dieses Jahrhunderts in Wohlstand leben - ohne knftigen Generationen einen geplnderten Planeten voller Mll zu hinterlassen. Und er zeigt, wie leicht jeder zum Erhalt der Weltumwelt beitragen und als verantwortlicher Weltbrger agieren kann.ISBN 3-351-02542-4 Aufbau-Verlag 2002 Einbandgestaltung Henkel/Lemme

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Buch Die Globalisierung forciert die Zerstrung unserer natrlichen Umwelt und vertieft die Kluft zwischen Arm und Reich. Mehr als 800 Millionen Menschen hungern. Eine Erwrmung der Erdatmosphre um mehr als 2 Grad wrde nicht nur in der Sahelzone und niedrig gelegenen Kstenregionen das Leben der Menschen massiv gefhrden, sondern weltweit. Schon heute gibt es mehr Umwelt- als Kriegsflchtlinge. Jrgen Trittin vertritt die These, dass der Schutz der Weltumwelt Voraussetzung fr globale Gerechtigkeit ist und beides trotz und durch Globalisierung keine Utopie bleiben muss. Er beschreibt, wie Politiker, Unternehmer, Ingenieure, Banker und Brger effizienter mit den begrenzten natrlichen Ressourcen umgehen, Gewinn und Lebensgenuss mehren knnen. Das Ziel aller Reformen sind Wirtschaftsweisen und Lebensstile, die Sicherheit und Wohlstand fr alle Bewohner der Erde schaffen, ohne die Natur und damit die Existenzgrundlage knftiger Generationen zu vernichten. Dazu bedarf es vor allem kologischer Koordinaten fr die globale wie die lokale Wirtschaft. Auf ihrer Basis knnen transnationale Konzerne ebenso wie der Einzelne als Weltbrger handeln, als verantwortlicher Teil eines begrenzten kosystems. Globale Gerechtigkeit bedeutet nicht Verzicht - sie ist fr alle von Vorteil.

Autor Jrgen Trittin: Diplom-Sozialwirt, Journalist; geb. 1954 in Bremen. Seit 1980 Mitglied der Grnen. 1985/86 und 19881990 Vorsitzender der Grnen-Landtagsfraktion in Niedersachsen; 1990-1994 Niederschsischer Minister fr Bundes- und Europaangelegenheiten, Mitglied des Deutschen Bundesrates, 1994/95 stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Landtagsfraktion von Bndnis 90/Die Grnen in Niedersachsen; 1994 Sprecher des Bundesvorstandes der Grnen, im Dezember 1996 wiedergewhlt. Seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages, seit Oktober 1998 Bundesminister fr Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

INHALTExperiment................................................................................................................... 6 1. Der Status quo: kein Modell fr das 21. Jahrhundert ...................................... 9 Schlsselfrage kologie ..................................................................................... 12 Gewachsene Instabilitten.............................................................................. 14 Die Erde ist ein Wohnhaus, das wir nur geborgt haben................................ 16 Verbrauch und Verschwendung.................................................................... 19 Den Sden und den Norden gibt es nicht mehr ................................. 22 Armut oder Reichtum - was ist das schlimmere Umweltgift?................. 25 Nichts ist unmglich?.......................................................................................... 26 Globalisierung - ein Schlagwort auf dem Vormarsch............................... 28 Die Entgrenzung von Raum, Zeit und Ansprchen................................... 33 Der Strkste bestimmt die Regeln ................................................................ 38 Globaler Turbokapitalismus............................................................................... 45 Globalisierungsverlierer................................................................................. 46 Wasser ist keine normale Handelsware ....................................................... 51 Die Verschleuderung des globalen Naturerbes .......................................... 55 Vereinbarer oder unvereinbarer Gegensatz? ................................................... 65 2. Ein kologischer Rahmen fr die Globalisierung .......................................... 71 Die Natur beherrschen?....................................................................................... 77 Entwickelt - unterentwickelt - fehlentwickelt ................................................. 79 Wider das Konstrukt der Unterentwicklung des Sdens..................... 80 Zukunft neu konzipieren - kologische Fehlentwicklungen korrigieren82 Neue Sichtweisen auf Wachstum und Wohlstand.......................................... 88 kosozialprodukt statt Bruttosozialprodukt ............................................... 91 Der kologische Fuabdruck......................................................................... 94 Unsere Luft und unsere Meere sollten uns das wert sein ......................... 98 Eine entwickelte ist eine zukunftsfhige Gesellschaft ............................102 3. Globale Gerechtigkeit - eine Vision, die erreichbar ist...............................104 Die Energiewende im Norden als globale Herausforderung......................106 Wie deckt die Menschheit heute ihren Energiebedarf?...........................108 Die konkrete Gestaltung der Energiewende, Beispiel: Deutschland....112 Wie sieht die Energieversorgung des Nordens von morgen aus?.........119

Zukunftsmusik fr den Norden: das virtuelle Kraftwerk........................122 Eine Energiestruktur zu Lasten des Sdens..............................................124 Zukunftsmusik fr den Sden: Fotovoltaik und Solartthermie .............127 Mobilitt auf neuen Wegen..............................................................................129 Der Beginn der Verkehrswende in Deutschland......................................130 Wohngebiet oder Kiez..................................................................................131 Den Hunger besiegen - ohne Gentechnik und ohne Agroindustrie ...........140 Naturnah bringt mehr....................................................................................142 Der Sden braucht die Agrarwende im Norden .......................................146 Wlder - ein globales Erbe ...............................................................................152 Das Kettensgenmassaker............................................................................153 Rettet die Wlder...........................................................................................157 4. Bewusst Weltbrger sein - global handeln ....................................................166 Global Mchtige.................................................................................................168 Die WTO - ein mchtiger Anwalt global agierender Konzerne............169 Dialog mit der Wirtschaft.............................................................................172 Anwlte der Natur global ermchtigen...........................................................179 Eine Welt- Umweltorganisation..................................................................180 Verbraucher handeln global.........................................................................181 Eine globale ffentlichkeit entsteht erst allmhlich ....................................183 5. Eine andere Welt ist mglich ...........................................................................186 Weiterfhrende Literatur.......................................................................................191 Verzeichnis der Abkrzungen..............................................................................193

EXPERIMENTBcher von aktiven Politikern oder gar Ministern lassen mich in der Regel kalt. Schnfrberei und selbstgerechte Erfolgsbilanzen oder gar peinliches Nhkstchengeplauder ber Saunabesuche und Verhandlungsheldentum interessie ren mich nicht. Als Jrgen Trittin mir das Angebot machte, das Manuskript des vorliegendes Buches zu lesen, war es dann doch professionelle Neugier, die mich eine Ausnahme machen lie. Was sagt der amtierende Umweltminister zu globalen Umwelt- und Entwicklungsfragen im Wahljahr und kurz vor dem UN-Gipfel fr Nachhaltige Entwicklung, der Ende August in Johannesburg Bilanz ziehen und neue Perspektiven fr globale Zukunftsfragen aufzeigen will? Im Vorfeld dieses Gipfels hufen sich wieder die Analysen ber den Zustand unserer Erde. Gibt es zustzlich zu den bereits in Rio vor zehn Jahren ausgetauschten Erkenntnissen etwas Neues zu sagen? Dass der Norden zuviel konsumiert, produziert und emittiert, wissen wir seit langem. Dass der Sden an den Folgen zu leiden hat und das nrdliche Zivilisationsmodell nicht globalisierbar ist, ist dort hoch offiziell auf viel Papier eingestanden worden. Und Forderungen, dass die Preise die kologische Wahrheit sagen sollten, die Verschuldung der Dritten Welt abgebaut und die knappen Trinkwasserressourcen dringlich geschont werden mssen, sind auch nicht neu. Seltener sind die Analysen, die erklren, warum das vorhandene Wissen vom Klimawandel, dem Artenschwund und der wachsenden globalen Ungerechtigkeit so gar nicht in grundlegende Strukturvernderungen umschlagen will. Dies Buch hat mich da berrascht. Selten habe ich eine so-6-

allgemein verstndliche Darstellung ber Umwelt- und NordSd-Probleme gelesen. Auch die Verknpfung der noch jungen Diskurse ber nachhaltige Entwicklung und Globalisierung gelingt. Ohne mit allen Details einverstanden zu sein: Bestechend ist der einfache, klare Stil. Komplizierte Zusammenhnge werden offen gelegt und Ursachen aufgezeigt, warum die Weltumweltpolitik mal gut, schleppend oder gar nicht voran kommt. Dass es im System internationaler Politik viele Widersprche, zahlreiche Lobbyinteressen und ungleiche Machtverhltnisse gibt, wird unter Aussparung jeglichen wissenschaftlichen Anscheins oder moralischer Zeigefinger differenziert beschrieben. Der Zugang zu dieser Komplexitt wird oft genug durch noch kompliziertere Sprachkonstruktionen verstellt. Hier gelingt die Offenlegung der oftmals nicht leicht aufzulsenden Verschrnkung von Umweltund Entwicklungspolitik ganz gut und wird nicht in vielleicht politisch eingngige, letztlich aber falsche Simplizismen aufgelst. Politische Rede und hier meine ich insbesondere die politische Schrift soll vor allem bersetzungskunst sein. Viele in der politischen Klasse haben sich vom Ideal der Verstndlichkeit und/oder des geistigen Anspruchs verabschiedet. Aufklrung und Wissensvermittlung ber komplexe gesellschaftspolitische Zusammenhnge, Naturverhltnisse und internationale Beziehungen haben eher Seltenheitswert. Die Dichte der Information kommt in Jrgen Trittins Buch leichtfig daher. Zahlreiche originelle Beispiele beleben die Lektre, so dass sich auch diejenigen, die sich schon lange mit dem Thema befassen, nicht langweilen mssen. Alte und neue Perspektiven zur Lsung der globalen kologischen und sozialen Fragen werden prsentiert. Wie nun genau die vielzitierten kologischen Leitplanken fr den Globalisierungsprozess aussehen knnten, htte genauer beschrieben und die Widersprche zwischen der Vision eine-7-

sozial und kologisch zukunftsfhigen Entwicklung einerseits und dem stetigen Expansionszwang unseres Entwicklungsmodell andererseits genauer herausgearbeitet werden knnen. Alte Zpfe wie das gebetsmhlenhafte Wiederholen des 0,7 Prozent-Ziels fr Entwicklungshilfe werden dagegen abgeschnitten zugunsten von Vorschlgen neuer und innovativer Formen der Finanzmittelbeschaffung fr globale Zukunftsaufgaben. Als Kategorie fr ernstgemeinte globale kologische und soziale Nachhaltigkeit wird immerhin der Pro-Kopf Verbrauch ins Spiel gebracht und das kosozialprodukt soll anders als das Bruttosozialprodukt messen, inwiefern die natrliche Umwelt geschdigt oder geschont wird. Bedeutsames und Kompliziertes lsst sich auch einfach ausdrcken. Das ist diesem Buch gelungen. Ich wnsche ihm viele Nachdrucke - vor allem auch in Schulbchern. Und noch viel mehr Leser. Barbara Unmig Heinrich Bll Stiftung

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1. DER STATUS QUO: KEIN MODELL FR DAS 21. JAHRHUNDERT

Anfang der 90er Jahre war ich Landesminister in Niedersachsen und dort auch zustndig fr die entwicklungspolitischen Initiativen der Landesregierung. Die damalige Landesregierung finanzierte Solarbrunnen und Solardcher fr Schulen in Eritrea. Unser Ziel war es, mit erneuerbaren Energien die Folgen der Trockenheit zu mindern. Wir wollten fr Frauen und Mdche n eine Alternative zu stundenlangen Fumrschen und qualitativ schlechtem Wasser aus Flussbetten schaffen. Die Brunnen ersparten den Frauen Zeit, dadurch erhielten sie die Mglichkeit, Lesen und Schreiben zu lernen. Strom gab es in den Drfern nicht. Also nutzte das Projekt Sonnenenergie, und zwar gleich zweifach: Statt der traditionell blichen krftezehrenden Handpumpen lieen wir Solarbrunnen bauen und auf den Schuldchern Fotovoltaik installieren, damit Erwachsene dort abends Alphabetisierungsunterricht erhalten konnten. Diese kologische Lsung schuf fr die Menschen vor Ort bessere Perspektiven fr die Zukunft. Ein anderes Problem dieses kleinen Landes am Horn von Afrika war und ist nicht so einfach zu lsen. Whrend des 30jhrigen Unabhngigkeitskrieges waren viele Eritreer ins Ausland geflchtet, darunter auch nach Deutschland. Sie haben bei uns eine Ausbildung gemacht, teilweise studiert. Nun, nach dem Friedensvertrag, wren viele gern wieder in ihre Heimat zurckgegangen. Andererseits hatten sich viele inzwischen an einen Arbeitsplatz mit Tarifvertrag, an Schulen, Krankenversorgung, Verkehrsinfrastruktur und Wohnen mit-9-

Komfort gewhnt. Immer wieder hrte ich den Satz: Dort hat mein Kind keine Zukunft. Zukunft, Lebenschancen - das ist nicht nur eine Frage nach Ausbildung, Teilhabe und Einkommen. Es ist zugespitzt eine Frage der Lebenserwartung. Die Lebenserwartung in Deutschland liegt bei knapp 80 Jahren, in Eritrea bei knapp 50 Jahren. Natrlich gibt es auch in Eritrea Menschen, die ein Alter von 70 Jahren erreichen. In vielen afrikanischen Lndern sinkt jedoch die durchschnittliche Lebenserwartung - whrend sie in Deutschland steigt. Viele aus Eritrea stammende Eltern haben sich entschieden, den Chancen ihrer Kinder Prioritt zu geben, obwohl sie sich ihrer Heimat nach wie vor sehr eng verbunden fhlen. Manche sind ohne ihre Kinder zurckgekehrt. Aber alle litten und leiden an dieser Entscheidung. Wren die Lebensstandards global annhernd gleich, htte ihre Entscheidung anders ausfallen knnen. Sie htten die Wahl gehabt. Eine Frage der Menschenrechte? Wir sagen ganz selbstverstndlich: Alle Menschen sind gleich. Die Menschenrechte gelten fr alle. - Die Realitt sieht aber noch anders aus. Erstens gestehen wir spteren Generationen nicht die gle ichen Lebens- und damit Nutzungsrechte zu wie uns heute Lebenden. Zweitens gibt es nicht einmal fr die heute lebenden Menschen global Gleichwertigkeit der Lebensverhltnisse. Die unterschiedliche Lebenserwartung in Nord und Sd ist der nachdrcklichste Be leg fr die Kluft bei der Verwirklichung der sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte. Wenn die Menschen im Sden unsere Kleidung, Nahrung, Wohnung, medizinische Versorgung und unseren Arbeitsschutz htten - dann wrden sie auch so alt wie wir. Ihnen w erden-10-

schlicht 30 Jahre Lebenszeit und Lebensqualitt vorenthalten. Was impliziert die Vorstellung der Universalitt der Menschenrechte? Dass eine Nomadin in der Sahelzone dasselbe Recht auf ein langes gesundes Leben, auf Bildung und damit auf Alternativen der Lebensgestaltung hat wie ein US-Amerikaner oder ein Deutscher. Wie erreicht man eine global gerechte Teilhabe an Lebenschancen? Wohl kaum, indem die rmeren Lnder die Wirtschaft der reichen Industrielnder nachahmen. Im Gegenteil: Die Ressourcen verschwendende Wirtschafts- und Lebensweise in den Lndern der Nordhalbkugel ist ein Teil des Problems, sie fhrt zu einer Verschlechterung der Lebenssituation gerade fr Menschen in vielen armen Lndern der Sdhalbkugel. Beispiel: Klimawandel. Das in der Atmosphre angesammelte Treibhausgas CO2 stammt zu 80% aus den Industrielndern. Es braucht ber 100 Jahre, um wieder abgebaut zu werden. Treibhausgase haben die Erde in den vergangenen Jahren erheblich erwrmt. Die globale Klimavernderung findet bereits statt. Es geht nicht um das Ob des Klimawandels, sondern darum, wie stark er ausfllt. Es geht nicht um die Frage, ob die Meeresspiegel ansteigen, sondern um wie viel. Wenn, wie zu erwarten, die Meeresspiegel bis zum Ende dieses Jahrhunderts um gut einen halben Meter steigen, dann knnen wir in Deutschland die Deiche entsprechend erhhen. Allein in Schleswig-Holstein kostet das mehr als eine viertel Milliarde Euro in den nchsten Jahren. In Tuvalu ist dann aber schon Land unter - die Inselgruppe versinkt im Pazifik. In Bangladesh bedrohen Fluten Millionen von Menschen. Der Klimawandel zeigt uns mehr als andere Umweltschden, dass unsere eine Welt von einer gemeinsamen Umwelt umgeben ist. Mit Umwelt assoziiert man meist den Nahraum. Aber-11-

Technik und Globalisierung haben dazu gefhrt, dass jeder Einzelne auf das globale Umweltgeschehen wie auf die Lebenssituation in anderen Erdteilen groen Einfluss hat: am Sdpol (Ozonloch), im Pazifik (steigendes Meerwasser bedroht die Inselstaaten), in Sdamerika (El Nio), in Nord- und Mittelamerika (Hurrikans) und inzwischen auch bei uns (zunehmende Strme). Wir mssen deshalb Umwelt als WeltUmwelt denken. Engagierter Weltumweltschutz muss erste Prioritt haben. Denn wir haben nur eine Welt und eine Weltumwelt - nicht Welt um Welt, so dass wir eine Biosphre nach der anderen verbrauchen knnten.

SCHLSSELFRAGE KOLOGIE

Eine intakte Umwelt ist die wichtigste Voraussetzung fr globale Gerechtigkeit. Wer die Weltumwelt aus dem Gleichgewicht bringt, gefhrdet Menschenleben, zwingt Menschen zur Flucht, zum Raubbau, in Armut. Die Schden treten vor allem auf der Sdhalbkugel und beiderseits des quators auf, sehr viel seltener und in geringerem Ausma in Europa, Kanada oder den USA. Deshalb haben wir im Norden noch nicht schmerzhaft erfahren mssen und noch nicht recht begriffen, dass jeder ein Brger des Globus ist, ein globaler Brger, angewiesen auf die Erde, die eine Weltumwelt. Globale Gerechtigkeit wird mit entwicklungspolitischen Manahmen und Direktinvestitionen allein nicht zu erreichen sein, sondern die Industrielnder mssen ihre eigene-12-

Fehlentwicklung beheben und selbst zum Modell fr zukunftsfhigen Wohlstand werden. Europa, die USA und andere reiche Staaten haben die Verantwortung und auch die Kapazitten, bei sich mit ressourcensparendem Wirtschaften zu beginnen. Nur so wird kologisches Wirtschaften sich global durchsetzen. kologie. Gerechtigkeit und der Norden Die erste These dieses Buches ist deshalb: Nur mit Prioritt fr Umweltschutz und kologie erreiche n wir globale Gerechtigkeit. Die zweite These ist: Die Industriestaaten, die am meisten Natur verbrauchen, mssen vorangehen, alternative Wirtschaftsund Lebensweisen entwickeln. Die dritte These: Die - gerade von Grnen in der Regierung eingeleitete und in den letzten vier Jahren vorangetriebene kologische Modernisierung Deutschlands hat gezeigt, dass es mglich ist, die Weichen in eine andere Richtung zu stellen - in der Energiepolitik, der Verkehrspolitik, beim Naturschutz und in der Agrarpolitik. Weltgipfel fr Nachhaltige Entwicklung Wenn sich Ende August 2002 mehr als 50000 Menschen zum Weltgipfel fr Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg treffen, dann wird Bilanz zu ziehen sein: Ist es gelungen, dem Anspruch des Gipfels von Rio gerecht zu werden, nmlich die Umwelt zu schtzen und den Lebensstandard in armen Lndern zu heben? Wie kommen wir von einem Gipfel der Deklarationen zu einem der Umsetzung? Welche globalen Ziele sollen bis 2015, bis 2020 erreicht werden? Das sind die Fragen, auf die wir in Johannesburg Antworten finden mssen.-13-

Gewachsene Instabilitten Das neue Jahrtausend hat mit sehr viel mehr kologischer und politischer Instabilitt begonnen, als die meisten das 1990 erwartet haben. In den 90er Jahren haben sich die Weltwirtschaft und die Weltgesellschaft in einem nie gekannten Mae globalisiert. Es entstanden neue globale Mrkte, insbesondere Devisen- und Kapitalmrkte. Neue Akteure von der Welthandelsorganisation WTO bis zu professionell vernetzten Nichtregierungsorganisationen (NGO) betraten die Bhne. Die Globalisierung brachte durch eine Vielzahl neuer internationaler Abkommen neue Regeln, neue Beziehungen. Neue technische Entwicklungen vom Internet bis zum Handy lieen Distanzen schrumpfen und beschleunigten Kommunikation und Entscheidungsvorgnge. Ein Manager in einer New Yorker Firmenzentrale kann am Computerbildschirm sehen, ob seine Niederlassung in Indonesien profitabel ist, oder ob er sie abstoen soll, um eine bessere Gesamtrendite und damit einen besseren Aktienkurs zu bekommen. Krisen, die frher ein Land betrafen, haben heute weltweit Folgen. Beispiel: die so genannte Asienkrise. Sie nahm in Thailand ihren Anfang. Der Zusammenbruch der thailndischen Whrung hat Millionen Menschen in ganz Sdostasien arbeitslos gemacht. Er war Ursache dafr, dass weltweit die Kaufkraft sank. Konsequenz davon war wiederum, dass soziale Dienste in Lateinamerika eingeschrnkt wurden und in Afrika beispielsweise die Kosten fr importierte Medikamente stiegen. Umweltschtzer und Umweltpolitiker wissen schon lnger um die enge Verflochtenheit der Einen Welt. Langlebige organische Umweltgifte (POP), vor allem im Sden eingesetzt, belasten besonders die Inuit, die Eskimos, im Eis der Arktis. Das-14-

Ozonloch gefhrdet vor allem die Menschen auf Feuerland, obwohl die Sdchilenen beileibe nicht die Verursacher waren. Der Klimawandel trifft die armen Gesellschaften des Sdens mit grerer Wucht als den reichen Norden, der die Ursachen grtenteils zu verantworten hat. Die Enquetekommission zur Globalisie rung der Weltwirtschaft schreibt in ihrem Zwischenbericht, der verschrfte internationale Wettbewerb wirke als Peitsche des Strukturwandels, der Arbeitsteilung und des technischen Fortschritts. Die Globalisierung gefhrde die ffentlichen Gter - also Luft, Boden, Wasser und Arten - ebenso wie kulturelle Gter: also Menschenrechte, kulturelle Vielfalt, soziale Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit. Worauf ist das zurckzufhren? Die Globalisierung hat insbesondere zu einer enormen Beschleunigung gefhrt, die nicht langfristiges planvolles Handeln frdert, sondern im Gegenteil: kurzfristiges Denken. Wer der rein betriebswirtschaftlichen Logik und dem kurzfristigen Shareholder Value Prioritt zugesteht, bersieht, dass diese eine Welt anders als ein Betrieb nicht - oder nur um den Preis des Untergangs - in Konkurs gehen kann. Allerdings hat die Globalisierung auch zu einer Globalisierung des Wissens und der Information gefhrt - auch des Wissens und der Information, wie die Probleme der Menschen auf dem Globus gelst werden knnen. Anders gesagt: Geht diese eine Welt in Konkurs, dann tut sie das nicht unwissend. Die Zahl der Menschen, die nicht den Gang der Lemminge gehen wollen, wchst jedoch. Immer mehr begreifen die politische Herausforderung dieses Jahrhunderts als persnliche Aufgabe und werden aktiv. Die wachsende Zahl von Brgerinnen und Brgern aus aller Welt, die zu UNKonferenzen fahren oder bei der den Welthandel regelnden WTO demonstrieren, beweist: Mit der Globalisierung der-15-

Wirtschaft und des Wissens hat sich auch die Opposition gegen ihre ungerechten Folgen globalisiert. Das ist eine Entwicklung, die zu Hoffnung berechtigt.

DIE ERDE IST EIN WOHNHAUS, DAS WIR NUR GEBORGT HABEN

Wir sind noch dabei, berhaupt zu verstehen, was der Satz Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt bedeutet. Welche Konsequenzen er uns abfordert. Denn das bloe Sonntagsbekenntnis, dass die Menschen des Sdens und die Menschen von morgen unsere gleichberechtigten Partner im Alltag werden mssen, ndert nichts an deren konkreter Lebenssituation. Was heit das also: Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt? Denken wir uns die Eine Welt als ein riesiges Wohnhaus, das im Moment an sechs Milliarden Menschen vermietet ist. Die Bewohner dieses Hauses haben sehr unterschiedliche Interessen, Gewohnheiten und Ansprche. Und sie haben auch unterschiedlich viel Geld und Macht. Ihre Wohnungen sind sehr verschieden ausgestattet: Manche besitzen eine Klimaanlage andere haben nicht einmal eine Toilette. Manche Bewo hner leben eng zusammengepfercht. Wenn einer krank wird, werden viele andere auch krank, zumal sich nicht alle einen Arzt und Medikamente leisten knnen. Andere Bewohner haben eine ganze Etage mit Balkonen: Platz und Luft und Sonne. Im Moment tun die meisten nur das, was ihnen und ihrer Wohnung gut bekommt. Wenn aber manche den Mll nur bis in den Hausflur rumen, wenn andere einen Umbau planen, der die-16-

Statik entscheidend verndert, wenn wieder andere einen Teil des Treppenhauses verheizen, und wenn niemand sich darum kmmert, dass das Dach instand gehalten wird: Dann bekommen alle Bewohner gewaltige Probleme. Dann werden manche Wohnungen unbewohnbar oder unerreichbar. Teile des Hauses fallen zusammen. In Bauschutt und Mll nisten sich Muse und Ratten ein. Regen und Eis zersprengen im Lauf der Zeit noch intaktes Gemuer. Es gibt aber kein neues Baumaterial. Was verloren ist, ist unwiederbringlich verloren. Also mssen die Bewohner immer enger zusammenrcken, und der Streit zwischen ihnen nimmt zu. Fr ihre Kinder wird es noch enger. Klar ist: So wie bisher kann es nicht weitergehen. Denn das Haus nutzt den Menschen nur, wenn sie es bewohnen knnen. Deshalb mssen alle Bewohner sich mglichst rasch auf eine verbindliche Hausordnung einigen und dafr sorgen, dass sie auch durchgesetzt wird. Denn die Bewohner des Hauses sind ja nicht Eigentmer, sondern nur Mieter in diesem Haus. Sie alle mssen ihr Haus irgendwann der nchsten Generation bergeben. Die Kinder und Enkel wollen aber kein abgewohntes Haus, sondern eines mit intakter Installation, intaktem Dach und einem ppigen Garten. Das bergabeprotokoll fr Haus und Garten wrde, wenn wir es jetzt erstellten, erhebliche Mngel auflisten: Jedes Jahr verliert die globale Mietergemeinschaft 20 Milliarden Tonnen fruchtbaren Ackerboden und mehr als 15 Millionen Hektar Tropenwald. Das ist eine Flche halb so gro wie die Bundesrepublik. Sechs Millionen Hektar werden jedes Jahr zur Wste. Die Hausbewohner in den komfortablen oberen Etagen produzieren Unmengen von Mll: Haus- und Gewerbemll, Sondermll und Atommll, Abgase, gasfrmige Gifte und Chemikalien, die in den Garten gelangen. All dieser Mll wird fr die Menschen im Wohnhaus Erde immer gefhrlicher. Das Dach hat Lcher und bietet nicht mehr berall Schutz.-17-

Schnheitsreparaturen reichen schon heute nicht mehr aus. Die Bewohner des Hauses mssen lernen, mit Haus und Garten zu leben, ohne beides zu zerstren. Da die jetzigen Bewohner sich nehmen, was sie brauchen knnen, sollte man denken, dass es zumindest den meisten von ihnen gut ginge. Aber das Gegenteil ist der Fall. Von den sechs Milliarden Hausbewohnern lebt nur eine Milliarde im Wohlstand, eine Milliarde unter mehr oder weniger akzeptablen Bedingungen und etwa vier Milliarden in rmlichen bis menschenunwrdigen Verhltnissen. Etwa eine Milliarde hungert. Jeden Tag sterben 24000 Menschen an Hunger. Diesen Menschen schulden wir bessere, gerechtere Lebensverhltnisse. Aber es geht um noch mehr: Die jetzigen Lebensweisen bedrohen das Haus in seinem Bestand. Vor 1000, noch vor 500 Jahren konnten Menschen, ganze Vlker weiterziehen, wenn die Bevlkerung sehr gro geworden war oder die eigene Region bernutzt hatte. Abenteurer und Landlose aus Europa besiedelten den amerikanischen Kontinent - nicht ohne im Norden wie im Sden die Ureinwohner zum Teil systematisch auszurotten. Es wre der Untergang der Menschheit, wenn die Erde sich so entwickeln wrde wie die Osterinseln. Die Osterinseln waren ehemals bewaldet, ein guter, vielfltiger Lebensraum. Deshalb siedelten dort Menschen. Als die Osterinseln abgeholzt waren und die dort lebenden Menschen kein Holz mehr hatten, um Kanus zum Fischen zu bauen, kam erst der Hunger, dann entstanden Clankriege, zum Schluss brach die gesamte Gesellschaft zusammen. Aus einer fruchtbaren Insel war eine ausgelaugte, karge Wstenei geworden. Vielleicht konnten berlebende sich damals auf andere Inseln retten - vor dem globalen Klimawandel aber kann man nicht flchten. Erst recht nicht sechs Milliarden Menschen. Da die Weltumwelt begrenzt is t, mssen wir jetzt-18-

Mglichkeiten suchen und erproben, wie in 50 Jahren weltweit 9,5 Milliarden Menschen auf dieser einen Welt leben knnen. Amory Lovins und Peter Hennicke haben in ihren Faktor-4Studien dargestellt, dass unser Planet eine so groe Bevlk erung beherbergen knnte, ohne irreparablen Schaden zu nehmen. Allerdings mssten dann alle intelligenter mit Ressourcen umgehen, als wir das heute tun. Wenn die Industrielnder jetzt und in absehbarer Zukunft auch alle anderen Lnder konsequent umsteuern, knnten die fr das Jahr 2050 erwarteten 9,5 Milliarden Menschen auf dem Level leben, den Europa in den 70er Jahren hatte. Sie knnten diesen Wohlstand haben - ohne ebensolche kologische Schden zu verursachen wie die Europer in den 70er Jahren.

Verbrauch und Verschwendung Was hat dazu gefhrt, dass die Eine Welt in solchen Problemen steckt? Der Verbrauch endlicher Ressourcen ist in den vergangenen fnfzig Jahren rapide gestiegen: Die Verbrennung fossiler Energietrger, also von Kohle, l und Gas, hat sich seit 1950 fast verfnffacht. Heute verbrennt die Menschheit in einem Jahr fossile Brennstoffe, fr deren Produktion die Natur 500000 Jahre bentigt hat. Der Verbrauch von Swasser hat sich seit 1960 fast verdoppelt. Industrie und Haushalte verbrauche n heute 40% mehr Holz als vor 25 Jahren. Begnstigt wird die Verschwendung dadurch, dass die Preise nicht die wirklichen Kosten widerspiegeln. Die Nutzung und sogar die Zerstrung der Erdatmosphre werden bisher einfach nicht berechnet. Selbst dort, wo Umweltkosten in Rechnung gestellt werden, geschieht das hufig unvollstndig. Der Verlust von Arten, von Landschaft, von sauberer Luft, von Stille, von sauberem Wasser, ertragreichem Boden oder der Verlust von Flche fr Mllberge all das sind Umweltkosten, die sich kaum-19-

in den Preisen niederschlagen. Der verschwenderische Verbrauch endlicher Ressourcen geht einher mit den ungleichen Zugriffsmglichkeiten auf Mrkte. Die einen knnen auf fast alle Mrkte global zugreifen, komparative Vorteile - kostenloses Wasser, niedrige Transportkosten - fr sich nutzen. Den anderen ist der Zugang zu zahlungskrftigen Mrkten etwa zu den hochsubventionierten und protektionistisch abgesicherten europischen und nordamerikanischen Agrarmrkten - verwehrt. Wer in einem Industrieland wohnt, verschmutzt die Atmosphre durchschnittlich etwa zehnmal so stark mit Treibhausgasen wie ein Mensch in einem Entwicklungsland. Der statistische US-Brger bringt es gar auf die zwanzigfache Menge. Der Benzinverbrauch sdlich der Sahara liegt bei einem quivalent von 72 Kilogramm Rohl, in Industrielndern bei 500 Kilogramm. Die rmsten 20% der Weltbevlkerung essen weniger als 5% des weltweit konsumierten Fleischs, die reichsten 20% zehnmal so viel: nmlich etwa die Hlfte des weltweit geschlachteten Fleischs. Der Mangel wird in vielen afrikanischen Lndern in der Form gemanagt, dass zuerst die Mnner essen. Frauen und Kinder bekommen die Reste. Proteine sind dann oft nicht mehr auf dem Teller. Die Verbrauchsunterschiede zwischen dem reichsten Fnftel und dem rmsten Fnftel sind inzwischen so gravierend, dass das Weltentwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) dieser Frage 1998 seinen Jahresbericht gewidmet hat. In den Industrielndern stieg der Pro-Kopf-Konsum whrend der letzten 25 Jahre kontinuierlich um rund 2,3% jhrlich - whrend der afrikanische Durchschnittshaushalt heute 20% weniger konsumieren kann als vor 25 Jahren. Das reichste Fnftel leistet sich 86% des weltweiten Konsums, das rmste Fnftel 1,3%. Die Globalisierung habe die Kluft zwischen Arm und Reich-20-

vergrert, heit es trocken im Bericht der GlobalisierungsEnquete des Bundestages. UNDP, das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, illustriert das so: Die Vermgenswerte der drei reichsten Menschen bersteigen das Gesamtbruttoinlandsprodukt der 48 rmsten Lnder. Ein anderes Beispiel: Die Cayman-Inseln - drei flache Koralleninseln mit einer Flche von 259 Quadratkilometern und etwa 30000 Einwohnern - haben in den 90er Jahren einen greren Kapitalzufluss genossen als alle gut 50 afrikanischen Staaten zusammen. Die Cayman-Inseln sind eine Steueroase. Wenn die Rahmenbedingungen der Globalisierung so bleiben, prognostiziert die Enquete des Bundestages, werden Arm und Reich noch weiter auseinander driften. Die Probleme sind so umfassend, dass sie nicht durch eine bloe Einschrnkung der Verbraucher im Norden zu lsen wren. Ich halte nichts von Simpel- Lsungen der Art, dass jeder Brger des Nordens l% seines Einkommens abgeben sollte, um die Menschen im Sden zu alimentieren. Das wrde weder das Problem des kologischen Raubbaus noch das Problem der Armen lsen. Sie wrden durch die Gewhnung an diese Transfers erst recht abhngig von den Industriestaaten. Die wiederum knnten ihren Raubbau ungehindert und mit gutem Gewissen fortsetzen. Die Lsung der Probleme der Globalisierung kann nicht auf Nachsorge, auf hhere Transfers begrenzt werden. Sondern wir brauchen ein sozial faires und kologisch zukunftsfhiges, verbindliches Regelwerk, das die neuen Mrkte, Akteure, Instrumente, das Produktion und Konsum konsequent einbezieht. Dafr mssen wir uns von ein paar althergebrachten Vorstellungen trennen.

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Den Sden und den Norden gibt es nicht mehr Die Grenzlinie zwischen Arm und Reich verluft nicht zwischen Nord und Sd, sondern zunehmend innerhalb dieser Gesellschaften - der Gesellschaften des Sdens und des Nordens. Von den Lndern des Sdens oder Nordens kann man eigentlich nicht mehr reden. Der Sden ist heute sehr heterogen. In 80 Lndern des Sdens ist heute das Pro-KopfEinkommen niedriger als vor zehn Jahren. Teilweise sinkt sogar schon die Lebenserwartung. Andere Lnder haben beachtliche Wachstumsraten aufzuweisen. In mehreren lstaaten und in manchen Schwellenlndern lebt inzwischen eine groe Zahl von Menschen mit hnlichen Lebensstilen wie im Norden. Sie werden, unabhngig von ihrem Lebensort, als Teil der globalen Oberschicht bezeichnet. Schwellenlnder mit einer starken globalen Oberschicht haben eine Schlsselfunktion bei der kologisierung der Wirtschaft wie bei der Steigerung der Ressourceneffizienz und beim Ausbau erneuerbarer Energien. Wer hier im Norden zur breiten Mittelschicht gezhlt wird, ist Teil der globalen Oberschicht. Natrlich gibt es innerhalb dieser Schicht gewaltige Reichtumsunterschiede. Dennoch ist die Abgrenzung der globalen Oberschicht gegenber der globalen Unterschicht deutlich. Wer zur globalen Oberschicht gehrt, hat in der Regel ein Auto, ein Bankkonto und einen Reisepass. Oder er ist reich genug, um einen erhalten zu knnen. Oft hat er oder sie eine gute Schulbildung. Zur globalen Oberschicht gehren grob viele Menschen im Norden und die Macht- und Geldelite des Sdens. Auf der anderen Seite steht die zahlenmig sehr viel grere Schicht all der Menschen in Sd und Nord, die ihre ganze Kraft darauf verwenden mssen, mit sehr geringen Ressourcen zu berleben oder ihr Dasein zu fristen. Genauso wenig wie einen einheitlichen Sden gibt es heute noch einen homogenen Norden. Erstens hat der Zerfall des-22-

Ostblocks die neue Gruppe von Transformationslndern geschaffen, die auf dem Weg in die Marktwirtschaft den Zusammenbruch ganzer Wirtschaftssektoren erleiden. Zweitens gibt es zunehmend mehr Inseln der Dritten Welt inmitten der ehemaligen Ersten und Zweiten Welt: Albanien, Teile Russlands, die Pariser Vorstdte, lndliche Regionen der USA. In vielen Indianerreservaten der USA betrgt die Arbeitslosigkeit bis zu 70%. Aus Mangel an wirklich zutreffenden Bezeichnungen spreche ich im Folgenden dennoch vom Norden und vom Sden. Sie beschreiben die Problematik zumindest zutreffender als das Begriffspaar Industrielnder/Entwicklungslnder. Irrwege und Feindbilder Dass nicht alle 6 Milliarden Menschen so verschwenderisch leben knnen wie die globale Oberschicht, ist unbestritten. Aber statt konstruktiv den Diskurs in Richtung effizientere Ressourcennutzung zu lenken, warnen manche nur vor dem, was geschhe, wenn zum Beispiel 1,3 Milliarden Chinesen den Lebensstil dieser Oberschicht bernehmen wrden. Diese Argumentation fhrt leicht in eine Sackgasse. Jeder fnfte Erdbrger lebt heute in China. Es stimmt, dass wir ohne China den Klimawandel niemals begrenzen knnten. Allerdings ist es weder zukunftsfhig noch fair und zudem unmglich, den Chinesen vorzuenthalten, was zum Beispiel wir Europer selbst genieen: Heizung, Dusche, Khlschrank, Fernsehen usw. Das Ziel kann nur sein, Techniken und Verfahren zu entwickeln, die weltweit vergleichbare Lebensqualitt schaffen - ohne den Planeten zu ruinieren. Die USA haben ihre Weigerung, zu den eingegange nen Verpflichtungen des Kyoto-Protokolls hinsichtlich der Reduktion von Treibhausgasen zu stehen, damit begrndet, dass-23-

China nicht zu Reduktionen verpflichtet wurde. Nun: China ist den USA weit voraus. Whrend selbst das optimistischste Szenario davon aus geht, dass die Treibhausgasemissionen der USA in den nchsten Jahren um 15% steigen werden, hat China es trotz eines Wirtschaftswachstums von 35% in fnf Jahren geschafft, seinen CO2 -Aussto um 7,3% zu senken. Die Entkoppelung von Wachstum und Emissionen st China unter i anderem dadurch gelungen, dass es den Mut hatte, Kohlesubventionen abzuschaffen. Im Klimaschutz ist China gegenber den USA ein Vorreiter. Zu viele Menschen? Einige Demographen behaupten, das Bevlkerungswachstum sei der Grund fr den wachsenden Verbrauch natrlicher Ressourcen. Deshalb sollte man die Weltbevlkerung auf l bis 2 Milliarden Menschen reduzieren. Merkwrdigerweise haben dieselben Bevlkerungswissenschaftler kein Problem damit, sich im gleichen Atemzug fr mehr Kinderreichtum in Deutschland einzusetzen. Wren sie konsequent, mssten sie stattdessen fordern, die Bevlkerung im Norden msse schrumpfen. Denn legt man den Gesamtflchenbedarf fr den Ressourcenverbrauch pro Kopf zu Grunde, also den kologischen Fuabdruck, dann wren Deutschland (Bedarf von 5 Hektar pro Kopf) und die USA (10 Hektar) berbevlkert, Indien (0,8 Hektar) und China jedoch nicht. Hamburg etwa msste sich danach auf das gesamte Gebiet zwischen Neumnster, Wittenberg, Soltau und Bremerhaven erstrecken, denn so gro ist der kologische Fuabdruck der Hansestdter. Vor allem der Ressourcenverbrauch des Nordens ist das Problem, weniger die Zahl der Menschen insgesamt und am wenigstens die Zahl der Menschen im Sden.-24-

Armut oder Reichtum - was ist das schlimmere Umweltgift? Der Umstand, dass Arme aus purer Not zu Ttern bei der weiteren Zerstrung natrlicher Lebensgrundlagen werden, hat Indira Gandhi zu dem Diktum veranlasst: Armut ist das schlimmste Gift fr die Umwelt. Daran ist richtig, dass wir die globale kokrise, dass wir das Artensterben, die globale Klimavernderung, die Verschwendung natrlicher Ressourcen nicht verhindern knnen, wenn wir dies nicht mit einer wirtschaftlichen berlebensstrategie fr alle Menschen verbinden. Gandhis Diktum mahnt die kologen zu Recht, die Soziale Frage nicht zu vernachlssigen. 30 Jahre nach Indira Gandhis Diktum ist ihr Satz Armut ist das schlimmste Gift fr die Umwelt aber vielleicht sogar falsch. Betrachten wir den enormen Ressourcenverbrauch der globalen Oberschicht insbesondere im Norden -, ihren Energieverbrauch, ihre CO2 -Emissionen, muss man eher umgekehrt sagen: Reichtum ist das schlimmste Gift fr die Umwelt. Zukunftsweisend ist allein eine grundlegende kologische Reform unserer gesamten Lebensweise. Das darf nicht missverstanden werden als ein quantitatives Bescheiden etwa beim privaten Verbrauch. Mit einer calvinistischen Verzichtsethik wird sich globale Gerechtigkeit nicht herstellen lassen. Nein, es geht um eine umfassende qualitative Vernderung aller Produktions- und Verbrauchsweisen. Das Ziel ist, mit technischem Know-how und kologischer Sensibilitt einen Lebensstil zu entwickeln, der globale Gerechtigkeit und globalen Wohlstand bringt - fr diese und knftige Generationen. Ein wesentliches Instrument dabei ist eine Internalisierung aller Kosten in die Preise. Das begnstigt-25-

den Aufbau von Kreislaufstrukturen, den Ausbau erneuerbarer Energien und die Steigerung der Ressourceneffizienz. Zugespitzt: Wie fhrt man mit der Hlfte des Sprits die doppelte Kilometerzahl? Die kologische Wende ist mglich. Der Weg fhrt ber Innovation. ber die Globalisierung von kologischen und sozialen Standards, ber die Globalisierung von Know-how.

NICHTS IST UNMGLICH?

Als Carl Zuckmayer 1942 Des Teufels General schrieb, suchte er nach einem Bild fr die Unverschmtheit des Zugriffs der Nazis auf Europa. Er whlte dafr eine Einladung zum Essen - und als sein Sprachrohr die Figur eines franzsischen Kellners, der die Nazi-Generle bedienen musste. Gleich zu Beginn des 1. Aktes bringt der Kellner Franois auf den Punkt, was der Fliegergeneral Harras seinen Gsten offeriert: Dieu merci que nous avons des pays occups: die Vorspeise - aus Norwegen, der Hummer aus Ostende, das Wild - aus Polen, der Kse - aus Holland, die Butter - aus Dnemark, das Gemse aus Italien, der Kaviar - aus Moskau, der Champagner - aus Frankreich. Der sei besser als Ribbentrops Hausmarke, meint besitzergreifend der deutsche Kellnerkollege Detlev, als er die Korken knallen lsst. 1942 war diese Vielfalt von Produkten aus Europa der Inbegriff von Imperialismus. Heute sind nicht mehr nur Produkte aus Europa, sondern aus weit grerer Entfernung auf dem Tisch der Menschen: pfel aus Chile und Neuseeland, Bohnen aus Kenia und der Sahel-Zone, Lachs aus Kanada, Ananas von der Elfenbeinkste, Wein aus Kalifornien,-26-

Sdafrika und Australien, Feigen aus dem Iran, Mango aus Brasilien, Lamm aus Neuseeland, Shrimps aus Ecuador und Thailand. Sie sind bei Aldi und Plus und nicht nur im KaDeWe oder Feinkostlden erhltlich. Die Globalisierung der Nahrungsmittelmrkte macht Delikatessen aus aller Welt und energetisch hochwertige Nahrungsmittel wie Fleisch und Fisch fr die globale Oberschicht zugnglich und billig. Mittlerweile sind Shrimps in jeder mittleren Vereinskneipe Bestandteil des Mikrowellengegarten Essensangebots. Shrimps waren vor 20 Jahren noch eine teure Seltenheit. Doch die Nachfrage stieg, also wurde die industrielle Produktion in Ecuador, Indien und Thailand ausgeweitet. Durch das grere Angebot sanken die Verbraucherpreise, was wiederum die Nachfrage erhhte. Also wurde noch mehr produziert. In den 90er Jahren ist der Garnelenkonsum im Norden um das 300fache angestiegen. Ihr Preis ist von 1986 bis 1996 von 14 auf 5 Dollar gefallen. Umgekehrt verengte die Malosigkeit des Zugriffs vormalige Volksspeisen zu Delikatessen. Wo keine industrielle Produktion mglich war, blieb nur der Raubbau. In meiner Jugend war Hering ein Armeleuteessen - heute ist er zu einer teuren Delikatesse geworden. Die Seezunge ist fast ausgerottet. Manchmal kommen durch die Globalisierung in Vergessenheit geratene Gensse auch zurck. In den sechziger Jahren kannte kaum noch jemand Mangold, die Rauke war vllig vergessen. Heute kann man die schmackhafte SpinatAlternative auf jedem Wochenmarkt kaufen, und kein italienisches Restaurant verzichtet auf Gerichte mit Rucola. Die durch Reimport ausgelste Wiederentdeckung alter Gemse hat wiederum die Chancen fr kologisch angebaute Gemse erhht und die Neuentdeckung regionaler Kchen erlaubt. Jeder Verbraucher der globalen Oberschicht hat Zugriff auf die ganze Welt. Er ist ein globaler Akteur mit grenzbergreifenden und teilweise grenzenlosen Ansprchen.-27-

Wer keine Naherholungsgebiete vor der Haustr hat und wer sich keinen Urlaub auf Sylt oder Usedom leisten kann, fliegt nach Antalya oder all-inclusive in die DomRep. Es ist vielfach billiger, acht Stunden in die Karibik zu fliegen, als mit der Familie auf einer deutschen Nordseeinsel Urlaub zu machen. Weil der Transport mit dem Charterflieger oft nur wenig mehr kostet als die innerdeutsche Fahrt mit der Bahn, knnen sich die niedrigen Lhne der Karibik direkt in niedrigen Preisen niederschlagen. Die deutsche Bundesregierung versucht deshalb, in Zusammenarbeit mit Reiseveranstaltern genussreiches und preiswertes Reisen mit der Schonung natrlicher Ressourcen zu verbinden. Entsprechende Reiseangebote werden unter der Dachmarke ViaBono - der gute Weg - offeriert. So sinnlich erfahrbar die Globalisierung beim Essen und beim Reisen fr die Angehrigen der globalen Oberschicht, fr uns, ist - es wre verkrzt, sie hierauf zu beschrnken.

Globalisierung - ein Schlagwort auf dem Vormarsch Der Anteil der auenwirtschaftlich gehandelten Gter steigt seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges steil an. Inzwischen ist der Anstieg exponentiell, und zwar am strksten whrend der 90er Jahre. Massive Schbe fr die Globalisierung waren der Durchbruch der Erdl-ra, dann die engere Verflechtung der internationalen Finanzmrkte seit den 80er Jahren und die Freigabe der Wechselkurse. Ein weiterer Globalisierungsschub setzte ein, nachdem die USA 1984 die Internettechnologie fr den zivilen Bereich freigaben. Die Zahl der jederzeit ber das Internet erreichbaren Rechner, die auch Internetdienste anbieten, stieg von ca. 0,3 Millionen 1990 auf mehr als 9 Millionen 1996. Ende 2001 hatten schon 474 Millionen Menschen zu Hause einen Internetanschluss. Die politische Globalisierung nach dem offiziellen Ende des Ost-West-Konflikts 1989 und die Grndung-28-

der WTO 1995 f hrten zu weiteren Globalisierungsschben in der Wirtschaft. Inzwischen sind die globalen Finanzmrkte die dynamischsten Zentren, die in sich zugleich die grten Risiken fr das fragile System bergen. Globalisierung als Schlagwort errang erst nach 1989 Bedeutung und hat sie whrend der 90er Jahre mehrfach gendert. Sprach man bis zum Erdgipfel von Rio 1992 primr von der Globalisierung der Umweltschden, setzte sich danach ein anderer Inhalt durch: Unter Globalisierung wird heute eine wachstumsorientierte globale Marktwirtschaft mit Privilegien fr den Norden verstanden. Globalisierung und Uniformitt Inzwischen umfasst die Globalisierung fr die an ihr Teilhabenden nahezu alle Bereiche: nicht mehr nur Rohstoffe und Industrieprodukte, sondern auch Dienstleistungen aller Art. Dazu gehren die Internationalisierung der Medien, Tourismus, Filmindustrie, Popmusik und andere Zweige der Unterhaltungsindustrie; die Vereinheitlichung von Konsumgewohnheiten, ein internationaler Wissenschaftlermarkt, die Durchsetzung von Normen und der zunehmende Einfluss des angelschsischen Rechtssystems in Wirtschaft und Gesellschaft (Opfer einer Zugkatastrophe in der Lneburger Heide klagen vor einem US-Gericht), die weitgehende Durchsetzung von Englisch als der Weltsprache (zu Lasten anderer Weltsprachen wie Chinesisch, Russisch, Spanisch, Arabisch oder in Afrika Kisuaheli). Wer nicht Teil dieses globalen Netzes ist, weil er zum Beispiel keinen Strom hat oder nicht Englisch spricht, wird abgehngt. Die Welt fragmentiert sich zunehmend, zwischen denen, die an ihr teilhaben knnen, und denen, die ausgeschlossen sind. Das Schlagwort Globalisierung umfasst auch kologische Krisen. Sie tragen zu Flchtlingsbewegungen bei, die Nachbarregionen stark belasten und kologisch teilweise aus-29-

Not verwsten. Die Bilder von den Lagern fr ruandische Flchtlinge im Kongo sind uns prsent. Inzwischen gibt es mehr Umwelt- als Kriegsflchtlinge auf der Welt. Globalisiert hat sich die Ausbreitung ansteckender Krankheiten wie Aids; Tuberkulose ist nicht nur in Afrika, sondern auch in Russland und den Elendsvierteln von US-Stdten sprunghaft angestiegen. Globalisiert haben sich auch andere Krisenphnomene. Unzhlige Menschen sind von massiver nichtstaatlicher Gewalt betroffen: Weltweit werden Konflikte, berflle und Raubzge vor allem mit einer Waffe, der AK 47, benannt auch nach ihrem Erfinder Kalaschnikow, ausgetragen. Diese Kleinwaffe hat in den letzten zehn Jahren mehr Menschen gettet als alle Massenvernichtungswaffen zusammen. Sie wird zunehmend Kindern in die Hand gedrckt. Bemhungen, die Verbreitung dieser Kleinwaffen international ber eine Konvention zu chten und zu kontrollieren sind bisher leider gescheitert - nicht nur, aber vor allem am Widerstand der USA. Lediglich ein Aktionsprogramm konnte 2001 auf UN-Ebene verabschiedet werden. Gigantomanie im begrenzten Raum Die 90er Jahre waren geprgt von Fusionen und Firmenbernahmen. Die Konsequenz ist, dass etliche transnationale Konzerne (etwa General Motors, BP, Nestl) heute finanzstrker sind als einzelne Staaten, darunter groe Industriestaaten. Sie sind zu global agierenden Krften geworden, die von einer kritischen ffentlichkeit als globalitre Regime bezeichnet werden. Ich werde im Weiteren - auch wenn die bersetzung nicht vollstndig richtig ist - meist den Begriff der internationalen oder multinationalen Unternehmen beziehungsweise Konzerne verwenden. Parallel zur Globalisierung der Konzerne haben sich-30-

Nationalstaaten zu Wirtschaftsrumen wie NAFTA, SADC, Mercosur oder ASEAN zusammengeschlossen - oder sogar zu neuen politischen Einheiten wie der EU. Sie ist mehr als ein Staatenbund mit Binnenmarkt und doch kein Bundesstaat. Neue supranationale Zusammenschlsse sind die Antwort auf die Herausbildung international agierender Unternehmen - und nicht der Abschied von nationaler Politik. Eine solche Staatengemeinschaft hat etwa bei der Klimakonferenz in Bonn bewiesen, dass sie fhig ist, den Interessen einer Ressourcen verschwendenden Weltmacht Paroli zu bieten und den Aussto von Treibhaus gasen in den Industrielndern einzudmmen. Die Initiativen zur Strkung solcher multilateraler Institutionen vor allem im Rahmen der UNO sind ein wichtiger Versuch, der gewachsenen Macht internationaler Konzerne und der gewachsenen Macht der konomisch starken Staaten samt den von ihnen dominierten Institutionen politischen Gestaltungswillen und Gestaltungsfhigkeit entgegenzusetzen. Wer ist wirklich Teil des globalen Marktes? Die meisten afrikanischen Staaten wrden sich als Teil des globalen Marktes bezeichnen, weil sie in der Tat auf Drngen des Internationalen Whrungsfonds (IWF) eine exportorientierte Wirtschaftspolitik betreiben. Die Lnder sdlich der Sahara haben mit 29% ein hheres Export-/BruttoinlandsproduktVerhltnis als Lateinamerika (15%). Aber sie stellen nur einen geringen Teil des Welthandelsvolumens, da sie fast nur Rohstoffe exportieren. Die EU trgt fatalerweise mit entwicklungspolitischen Instrumenten noch dazu bei, dass die ca. 70 AKP-Staaten (Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks, die mit der EU besondere Handelsvereinbarungen haben) Rohstoffe nicht weiterverarbeiten. Seit 1975 sichert die EU ber einen Fond die-31-

Exporterlsschwankungen agrarischer Rohstoffe ab (STABEX). 1980 hat sie eine Finanzierungsfazilitt fr Bergbauerzeugnisse geschaffen (SYSMIN). Beides hlt Lnder des Sdens davon ab, die gewinntrchtigere Weiterverarbeitung der Rohstoffe zu beginnen oder auszubauen. Nach wie vor sind die Lnder des Sdens in ihren Wirtschafts- und Verkehrsbeziehungen auf ehemalige Kolonialmchte oder Industrielnder ausgerichtet. Wer von West- nach Ostafrika fliegen will, muss oft den Umweg ber Europa nehmen. Speciosa Kazibwe, die Vizeprsidentin Ugandas, beschrieb 1997 in einem Interview die Konsequenzen nachkolonialer Verkehrswege aus afrikanischer Sicht: Fr jeden ist der lokale Markt besser. Wenn man von weit entfernten Mrkten abhngig ist, auf die man wenig Einfluss hat, die man berhaupt nicht kontrollieren kann, schafft das Unwgbarkeiten und Probleme. Im Moment diskutieren wir zwar ber den Zugang zu europischen, amerikanischen und asiatischen Staaten, aber doch nur, weil wir selbst zu wenig Binnennachfrage haben. Bei uns sind die Menschen zu arm, um zu kaufen. (...) Wenn wir mehr Kaufkraft entwickeln, knnen wir gut auf eigenen Fen stehen. Weshalb sollen wir unsere Produkte exportieren? Unser Mais wird in Europa an Tiere verfttert. Gbe es eine Strae von Uganda nach Zaire, knnten wir auf dem eigenen Kontinent sehr viel hhere Preise fr unseren Mais erzielen. Dann wrden ihn Menschen essen. Das Problem ist, dass wir innerhalb Afrikas keine Mglichkeiten haben, Handel zu treiben. Es fehlen Straen, Telefonverbindungen, die ganze Vermarktungsstruktur. Direktinvestitionen flieen bis auf wenige Ausnahmen vorwiegend im Bergbau - vllig an Afrika vorbei. Afrika kann die Globalisierung nicht fr sich nutzen, sondern ist ihr Objekt und ihr Zuschauer. Afrika ist der Kontinent, der durch die Globalisierung verloren hat, und er gert immer mehr ins Hintertreffen.-32-

Der Status quo ist von drei grundlegenden Mngeln geprgt: Privilegien fr die konomien des Nordens, kostenfreie Nutzung des globalen Naturerbes sowie unzureichende Bepreisung der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur. Die WTO-Konferenz von Doha im Herbst 2001 hat die kompromisslose Auslieferung des Planeten an den Handel erstmals in Frage gestellt. Der Weltgipfel in Johannesburg muss mit politischen Beschlssen und Initiativen eine zukunftsfhige Entwicklung anstoen, die die Begrenztheit und Kostbarkeit der Weltumwelt bercksichtigt. Dabei kommt Initiativen zu Wasser und Energie als Schlsselfeldern fr eine gerechte Entwicklung ebenso eine zentrale Bedeutung zu wie der Strkung der UN-Umweltstrukturen.

Die Entgrenzung von Raum, Zeit und Ansprchen Globalisierung heit nicht nur: Globalisierung der Wirtschaft, des Gterverkehrs und der Umweltschden. Sie fhrt auch zu einer Entgrenzung von Raum und Zeit durch technische Innovationen wie zum Beispiel immer schnellere Verkehrsmittel, durch Medien wie das Fernsehen und das Internet. Durch die Verfgbarkeit ber Raum und Zeit verliert sich das Bewusstsein, abhngiger Teil eines begrenzten kosystems zu sein. Wenn zum Beispiel Energie aus dem Ausland bezogen werden kann, ist es nicht mehr zwingend, mit der am Ort vorha ndenen Energie hauszuhalten. Das Gleiche gilt fr jede andere Handelsware. Das gilt sogar fr Ausbildung. Wer billiger junge Fachkrfte oder hochbegabte Ingenieure importiert, bildet selbst keine mehr aus. Der Handel, der Zugang, Machtverhltnisse bestimmen den Preis, nicht mehr der Umfang des lokalen Angebots. Die Entgrenzung von Raum und Zeit ermglicht es-33-

Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen rumlich zu verlegen. Allein die Mglichkeit, dies zu tun, gengt, um regional gebundene Partner wie Kommunen oder Arbeitnehmer einem verschrften Wettbewerbsdruck auszusetzen. Die Entgrenzung von Raum und Zeit ermglicht es auch, ohne groe Anstrengungen Naturrume auszubeuten, zu verlassen und weltweit andere Naturrume zu erobern. Die berwindung des Nahraums Entgrenzung und ihre Folge, Mobilitt, schaffen Freirume. Dort, wo diese beschleunigte Verlagerung und die berwindung weiter Strecken die Norm sind, muss mobil sein, wer mithalten will. Die Abhngigkeit von Entscheidungen an weit entfernten Orten nimmt zu. Seit das Auto einer breiten Masse in Industrielndern zugnglich ist, haben sich die Stdte vllig verndert. Sie wurden - ohne Zunahme der Bevlkerung - doppelt, teilweise vierfach so gro. Familien holten sich Ruhe und Erholung durch ein Einfamilienhaus am Stadtrand. Die Industrie und groe Ladenketten eigneten sich auerhalb der Stadt Land fr groe Lager- und Verkaufsflchen, fr riesige Parkpltze an. Entgrenzung von Raum erzeugt neue Bedrfnisse. Jede und jeder mchte im Grnen wohnen, gleichzeitig vermisst er stdtische Nachbarschaft und will ohne lange Anfahrt per Auto, Flugzeug oder Bahn mobil sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Flugzeug zunehmend zum normalen Verkehrsmittel. Der Flugverkehr, von der Urlaubsreise ber Geschftsreisen bis zur Luftfracht, hat rapide zugenommen - die Kosten dagegen haben abgenommen: Kostete die durchschnittliche Flugmeile pro Passagier 1930 noch 0,68 Dollar (Dollarwert von 1990), waren es 1990 nur noch 0,11 Dollar. Die Folge: Es wird mehr geflogen. Die ne gativen Folgen-34-

fr das Klima sind trotz leiserer und saubererer moderner Flugzeuge gestiegen. Mit dem ICE braucht man fnf Stunden von Berlin nach Bonn - ein Flugzeug von Frankfurt nach New York bentigt acht Stunden. Um an einem Tag von der eritreischen Hauptstadt Asmara nach Nakfa, der Hauptstadt der eritreischen Nordprovinz, zu gelangen (ca. 320 Kilometer), braucht man noch immer einen Tag, einen guten Jeep und einen noch besseren Fahrer. Und um von Nakfa in ein 20 Kilometer westlich gelegenes Dorf zu ge langen, braucht man wie seit Jahrhunderten einen Tag. Fumarsch. Das globale Dorf Zugleich wird die Weltgesellschaft heterogener, weil manche Regionen an der Beschleunigung und Entgrenzung, am globalen Netz nicht teilnehmen knnen. So knnen sich zum Beispiel 30 WTO-Mitgliedstaaten nicht einmal einen stndigen Vertreter in Genf, dem Sitz der Organisation, leisten. Oder: Als ich in Eritrea war, hatten dort manche Provinzbros noch kein Fax oder Telefon und mussten deshalb mit der Zentrale in Asmara per Briefpost kommunizieren. Ein Londoner Brsenmakler dagegen kann per E-Mail in nur einer Minute in Tokio ein riesiges Aktienbndel verkaufen und damit den Crash des wichtigsten Unternehmens in Indonesien hervorrufen. Das geht so schnell, dass es nicht mglich ist, eine Gegenstrategie zu entwerfen - wie es zum Beispiel bei einer absehbaren Missernte oder dem allmhlichen Niedergang eines Unternehmens mglich wre. Das globale Dorf lebt mit einem hohen Tempo. Vor allem viele Rentenpensionsfonds haben die Beschleunigung zum Grundprinzip erhoben. Einziges Erfolgskriterium ist die Kapitalrendite. Folglich ist der schnelle Zugriff und das schnelle Abwerfen von Aktien die bliche Praxis. Das setzt das einzelne-35-

Unternehmen unter enormen Erfolgsdruck. Der Verfall der Nokia-Aktie ist Beleg dafr, dass es nicht mehr reicht, wenn eine solide Firma in einem Zukunftssektor schwarze Zahlen schreibt. Auf der anderen Seite stehen, wenn Spekulationen oder pltzlicher Kapitalabzug ein Land in die Krise ziehen, Menschen, die ihre Arbeit verlieren. Vor allem Frauen. Beispiel Sdkorea in der Asienkrise: Als berufsttige Frauen waren sie in Zeiten des Aufbaus gefeierte Heldinnen der Nation und Soldatinnen des Exports. In der Asienkrise griff Sdkorea jedoch wieder auf die Rolle des mnnlichen Familienernhrers zurck und zhlte erwerbslose Frauen bei der Arbeitslosenstatistik einfach nicht mit. Entlassen wurden zuerst verheiratete Frauen mit Kindern, dann verheiratete Frauen ohne Kinder, danach ledige Frauen und zum Schluss erst Mnner. Beschleunigung des Handels Die Entgrenzung von Raum und Zeit fhrt dazu, dass Geldmengen sich in Windeseile rund um den Globus bewegen. Der Planet ist ein Spielfeld globalen Handelns geworden, ohne dass es schon ausreichend Spielregeln und einen mit Entscheidungsmacht ausgestatteten Schiedsrichter gbe, der die Begrenztheit der Weltumwelt im Blickfeld htte. Noch herrscht das Recht des Strkeren vor. Dem Handel mit Gtern geht inzwischen ein schneller Handel mit dem Anspruch auf Gter voraus. Manche Produkte werden bereits mehrfach gehandelt, obwohl sie noch auf dem Halm stehen und gar nicht sicher ist, wie gut die Ernte tatschlich wird. Der Bauer, der den Kaffee oder das Getreide anbaut und erntet, hat dabei gar keinen Einfluss auf das Geschehen. Die Entgrenzung von Raum und Zeit fhrt dazu, dass der globale Akteur sich gar nicht mehr bewusst macht, weshalb und-36-

wie eine Aktie Gewinn bringt. Wie viel Zeit, Arbeit, Ressourcen und Land dazu ntig sind, die Ansprche des globalen Verbrauchers zu befriedigen. Das gilt nicht nur fr Broker oder Unternehmer. Das gilt auch fr uns Verbraucher. Verlust von Beziehungen und Lebensplanung Ob Autoindustrie oder Softwareschmiede - smtliche groe Unternehmen setzen bei der Entwicklung und Produktion auf interne Ausschreibungen und den Wettbewerb von Teams und Werken gegeneinander. Nicht mehr das Gefhl Wir Volkswagenkollegen dominiert unter diesen Bedingungen, sondern die Mentalitt: Wir Wolfsburger mssen besser sein als die in Barcelona. Microsoft hat dieses System perfektioniert. Wenn Microsoft eine neue Software entwickelt, werden mehrere hauseigene Teams an die gleiche Aufgabe gesetzt. Das Siegerteam wird gut honoriert, die anderen verlieren den Job. Bei der nchsten Ausschreibung oder bei der nchsten Chance arbeiten die Mitarbeiter der Teams in vllig anderer Besetzung, bei ganz anderen Firmen. Die Menschen werden zu Einzelkmpfern gemacht, zu Unternehmern ihrer eigenen Arbeitskraft. Sie mssen in immer wieder wechselnden Gruppen sehr eng zusammenarbeiten. Der Einzelne muss sehr flexibel sein und kann wenig planen. Er kann sich auch kaum mit einer Firma oder Kollegen identifizieren und organisieren. Noch extremer ist dies zum Beispiel fr Menschen, die Leihoder Zeitarbeit annehmen mssen. An die Stelle der Karriere tritt vollends der bloe Job. Das Outsourcing von Funktionen befrdert aber gerade solche bindungslosen Beschftigungsverhltnisse. In manchen Branchen hat sich unter der Oberflche des Glamours ein neues rechtloses Proletariat herausgebildet. Fernsehsender lassen heute in der Regel von-37-

Fremdfirmen produzieren. Das Ergebnis: Bringt eine Sendung keine Quote, braucht weder RTL noch das ZDF jemanden zu entlassen, auch Sozialplne mssen nicht aufgestellt werden. Die Produktionsfirma geht in Konkurs. Kameraleute, Schauspieler, Beleuchter und Redakteure stehen auf der Strae und knnen sich nach einer neuen Produktionsfirma umsehen. Wo der befristete Job zur Regel wird, wird Lebensplanung zum Glcksspiel, das von Schwangerschaft oder lngerer Krankheit auf keinen Fall gestrt werden darf.

Der Strkste bestimmt die Regeln Der Globalisierung fehlt ein Gerechtigkeit stiftender Rahmen. Ohne eine solche Instanz wirken die durch Beschleunigung und Konzentrationsprozesse enorm gewachsenen Krfte in letzter Konsequenz zerstrerisch. Die Akteure der lokalen Ebene knnen sich gegen die gewachsenen globalen Krfte nicht mehr zur Wehr setzen. Auch Nationalstaaten haben eingeschrnkte Verhandlungsmacht. Deshalb ist die Forderung nach Renationalisierung, wie sie sich manche Globalisierungskritiker zu Eigen gemacht haben, hilflos und rckwrts gewandt. Renationalisierung wrde die Ebene globaler Verbindungen sich selbst berlassen. Sie knnte ihre Machtposition noch weiter ausbauen und eine noch zerstrerischere Dynamik entfalten. Fr die Gestaltung des nchsten Jahrhunderts taugt die Rckbesinnung auf nationales Erbe - der gute franzsische Ziegenbauer gegen die McDonaldisierung der Welt - nicht. Es geht nicht um national contra global. Es geht um einen globalen Widerspruch. Die Interessen im Wohnhaus Erde kollidieren. Auf der einen Seite gibt es Hausbewohner, die Haus und Garten mglichst lange nutzen und mglichst unbeschadet weitergeben wollen. Auf der anderen Seite Penthousebewohner, die Haus und Garten als Steinbruch, als Marktplatz und als-38-

Spekulationsmasse benutzen, um ihre privaten Wnsche zu befriedigen. Den Schaden haben bisher oft die anderen Die Kufer wissen oft wenig ber die Herstellungsbedingungen der Waren, die sie kaufen. Das ist nicht einmal ihre Schuld. Es ist zur Zeit fr einen Kufer kaum mglich, die Herkunft eines Produkts herauszufinden. Labels wie bei Teppichen oder Blumen sind die Ausnahme. Wer Goldschmuck kauft, wei in der Regel nicht, wo und wie das Gold gewonnen wurde. Mit oder ohne Zyanid. Zyanidkatastrophen in Ghana, in der Trkei, in China finden in der Regel nicht einmal Eingang in die Presse des Nordens. Gelangt Zyanid ins Grundwasser, hat die lokale Bevlkerung kein Trinkwasser mehr. Flsse, Bche und Boden werden mit Schwermetallen verseucht. Wer beispielsweise ber die Menschenrechtsgruppe FIAN Nachrichten ber den Goldabbau verfolgt, erfhrt, dass solche Unflle sehr hufig sind. Dass sie sogar beinahe provoziert werden - etwa durch weitere Liberalisierung und Deregulierung. Die Menschen, die den Schaden bei solchem Dumping erleiden, sind sehr weit weg von einem Kunden, der Goldschmuck kaufen will. Es gibt keine auch nur annhernd ausreichende Produkttransparenz. Die Unternehmen, die Goldbergbau betreiben, haben daran auch kein Interesse. Ein Labeling ber die Herstellungsbedingungen gibt es international nicht. Kosten und Preise Seefracht wird immer billiger. Kostete eine Tonne 1920 noch 95 Dollar, so waren es 1990 nur noch 29 Dollar (Dollarwerte-39-

jeweils von 1990). pfel aus Chile sind in Deutschland konkurrenzfhig, weil Pflcker in Chile sehr viel weniger Lohn erhalten als in Deutschland. Der Verlust an Gesundheit und Lebenserwartung schlgt sich aber nicht im Preis nieder. Auch die Umweltzerstrung durch den Transport aus Chile (Verbrauch von Treibstoff, Emissionen) wird nicht in den Preis der pfel eingerechnet. Deshalb sind pfel aus Chile selbst auf dem Berliner Wochenmarkt billiger als pfel aus Brandenburg. Der komparative Kostenvorteil Chiles, die niedrigen Herstellungskosten des Produkts, beruhen auf der kostenlosen oder zu Dumpingpreisen mglichen Nutzung globaler Gemeinschaftsgter. Kaum konkurrenzfhig wren griechische Pfirsichkonserven und irische Butter in Sdafrika, wenn die EU ihre diversen Subventionen striche und wenn in Transportkosten Umweltkosten eingerechnet wrden. Das Beispiel Paarl - Pfirsiche fr Afrika Paarl ist eine Stadt in Sdafrika, in der sdwestlichen Kapregion. Die Mnner dort arbeiten als Fischer, Taxifahrer oder in anderen Stdten. Die Frauen aber sind wegen ihrer Kinder auf die Arbeitspltze in den Obstkonservenfabriken im Ort angewiesen. Zur Zeit der Obsternte sind die Frauen das Reservoir, aus dem ad hoc die Pflckerinnen fr 18-StundenTage rekrutiert werden knnen. Wer einen Arbeitsplatz in einer Konservenfabrik hat, arbeitet dort fest. Fest, das heit das ganze Jahr. Tatschlich aber wird die Frau nach sieben Monaten und drei Wochen fr eine Woche entlassen und danach wieder eingestellt. Damit hat sie offiziell den Status einer Saisonarbeiterin und kann jederzeit gekndigt werden. Nun aber drohen Entlassungen ohne Wiedereinstellung. 1999 hat die EU mit Sdafrika ein Freihandelsabkommen-40-

abgeschlossen. Es ffnet die EU fr Waren aus Sdafrika. Gleichzeitig aber ffnen sich die Mrkte Sdafrikas - und ber die SADC (Southern African Development Community) auch die Mrkte der noch weniger konkurrenzfhigen Nachbarstaaten Sdafrikas (zum Beispiel Mosambik) - fr Importe aus der EU. Die EU-Produkte haben gegenber in Sdafrika produzierten Waren einen Vorteil: Die Obstkonserven, die Butter, das Fleisch und andere Produkte der gar nicht marktwirtschaftlich arbeitenden europischen Agrarindustrie sind massiv subventioniert. Mehr als die Hlfte des EU-Haushaltes fliet brigens ohne jede Beteiligung des europischen Parlaments - in Agrarsubventionen, die den globalen Wettbewerb verzerren. Eine Praxis, die in allen entwickelten Lndern des Nordens blich ist, auch und nicht minder massiv als in der EU in den USA und Kanada. Noch in diesem Jahr, 2002, haben die USA ihre Landwirtschaftssubventionen um 83 Milliarden Euro erhht, um gut 70%. In Paarl hatte die Marktffnung zu ungleichen Bedingungen Folgen. Es ist zwar gut 10% teurer, Pfirsichkonserven in Griechenland zu produzieren als in Sdafrika. Dazu kommen noch Transportkosten. Aber wegen der EU-Subventionen sind die aus Griechenland importierten Bchsen in Sdafrika im Laden trotzdem billiger als die einheimischen. 120 Vollzeit- und 3000 saisonale Arbeitspltze gingen verloren. Fr die Frauen in Paarl bedeutet der Verlust ihres Einkommens den Verlust ihrer Selbststndigkeit und ihrer eigenstndigen Rolle in der Familie. Eine Arbeitslosenversicherung, die das Loch in der Familienkasse zumindest teilweise stopfen knnte, gibt es nicht. Deshalb kann schon bald das Geld fr Ratenzahlungen nicht mehr aufgebracht werden. Nach einiger Zeit muss die Familie ihr Haus verlassen und in eine Behelfshtte ziehen. Meist nimmt durch solche Ereignisse die Gewalt in den Familien zu. Schon heute ist Paarl die Tuberkulose-Hauptstadt Sdafrikas.-41-

Einen neuen Job zu bekommen, ist fr die Frauen aussichtslos. Viele Frauen und Mdchen enden in der Armutsprostitution. Eine Globalisierung, die nicht von Wettbewerb und von gleichen Chancen der Marktteilnehmer geprgt ist, sondern von der Subventionierung der Mchtigeren, hat die Frauen von Paarl weiter vom Wohlstand entfernt. Das ist kein Pldoyer gegen Welthandel. Es wird immer Gter geben, die global zu handeln Sinn macht. Sdfrchte etwa - was wre Gesamtdeutschland ohne Bananen. Oder Bauxit. Es ist kologisch sinnvoll, Bauxit aus Australien nach Island zu schiffen, um dort mit erneuerbaren Energien Aluminium herzustellen. Zur Aluminiumherstellung braucht man extrem viel Energie, sehr viel mehr als zur Erzeugung von Stahl. Island hat hier einen echten wirtschaftlichen und kologischen Vorteil, denn aufgrund seiner geologischen Beschaffenheit muss das Land die notwendige Energie nicht erzeugen, sondern nutzt die dort reichlich vorhandene Erdwrme. Aber es geht darum, den globalen Wettbewerb zu gleichen Bedingungen stattfinden zu lassen. Globalisierung zurckfahren oder gestalten? Welcher globale Austausch ist notwendig und sinnvoll - was dagegen berflssig und nur durch hohe Subventionen billig? Wie reduziert man mit Marktmecha nismen den globalen Gterverkehr auf das Sinnvolle und Notwendige? Wie lassen sich sinnvolle regionale Kreislufe mit notwendiger internationaler Arbeitsteilung ausbalancieren? Auf welchen Berechnungsmodellen knnte man eine zukunftsfhige Entwicklung fr den Weltmarkt aufbauen? Wie unterscheidet man echte komparative Kostenvorteile von knstlich erzeugten? In der Globalisierungsdebatte werden von den Kritikern zwei unterschiedliche Anstze verfolgt. Mit Blick auf die-42-

verschiedenen Gruppierungen, die sich z Protesten gegen die u WTO-Runde in Seattle zusammenfanden, kann man zu Recht vom Volk von Seattle sprechen. Wie in jedem Volk gibt es auch in dieser Widerstandsbewegung unterschiedliche, ja gegenstzliche politische Strmungen, Fraktionen und Parteien. Der Bogen reicht vom Angehrigen der USAutomobilgewerkschaften, die ihre klassische Teilhabe an den wie Kautsky es nannte - Extraprofiten bei der Ausbeutung der Dritten Welt einklagten, bis zu den Dritte-Welt-Aktivisten und Aktivistinnen, die sich fr die Solidaritt mit den Aufstndischen im mexikanischen Chiapas stark machten. Da die Globalisierung zur Zeit dem Flexibelsten und Mobilsten zu viel Macht auf Kosten der in mancher Hinsicht engrumig Gebundenen gibt, wollen manche Kritiker die Globalisierung teilweise rckgngig machen. Das halte ich fr aussichtslos, fr unmglich. Maschinen zu erstrmen war auch nicht die richtige Antwort auf den Manchesterkapitalismus. Der damalige Konflikt zwischen Kapitalisten und Proletariat konnte entschrft werden durch den Aufbau von Arbeitsrechten und sozialer Absicherung. Die Globalisierung zurckzufhren wrde bedeuten, Einflussmglichkeiten zugunsten von sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechten und von Umweltschutz aufzugeben. Wer die Weltwirtschaft refragmentieren will, muss sich darber klar sein, dass er damit auch die Politik renationalisieren wrde - mit allen krisenhaften Folgen. Die Probleme einer globalisierten Welt sind nur global zu lsen. Das gilt zunchst und vor allem fr die globalen Umweltproble me. Sie sind das Schlsselproblem fr eine zukunftsfhige Entwicklung des gemeinsamen Wohnhauses. Wie wollte man 192 Nationalstaaten einzeln dazu bringen, Umweltgifte wie die POP oder Treibhausgase wie die Fluorchlorkohlenwasserstoffe zu verbieten - wenn nicht durch eine globale Initiative? Das Washingtoner-43-

Artenschutzabkommen ist seit nun 25 Jahren in Kraft. Es ist der beste Beleg fr die Notwendigkeit und den Erfolg globaler Zusammenarbeit. Es hat den Handel mit bedrohten Tieren untersagt und durch Grenzkontrollen extrem erschwert. Viele Arten verdanken diesem Abkommen ihr berleben, zum Beispiel Krokodile. Die Globalisierung und die kologische Herausforderung verlangen einen Vertreter des globalen Gesamtinteresses. Derzeit nehmen internationale Vertrge und die Vereinten Nationen diese Funktion wahr, allerdings bisher mehr schlecht als recht. Nur mit sehr viel mehr Kompetenzen ausgestattete UN-Organisationen (zum Beispiel UNEP, ECOSOC, UNDP, ILO) und ein vlkerrechtlich verbindliches Regelwerk knnten die derzeit bestimmende Rolle der internationalen Konzerne, die Dominanz von G8, IWF und WTO einschrnken und sie ntigen, umzusteuern, hherer Lebenserwartung der Menschen im Sden und dem Erhalt des globalen Naturerbes Prioritt einzurumen. Sie also dafr zu gewinnen oder dazu zwingen, sich gegenber ihren eigenen globalen Gesamtinteressen langfristig vernnftiger zu verhalten. Dieser zweite Ansatz, auf die Globalisierung zu reagieren, ist der durchsetzungsfhigere und auch der zukunftsfhigere gegenber der nostalgischen Vorstellung eines Zurck in die Zeiten vor der Globalisierung. Doch selbst in jenen Zeiten war nicht alles so regional, wie McDonalds-Gegner versuchen uns glauben zu lassen. So gbe es die hohe Weinkultur des Bordelais ohne die Kaufleute Bremens und Londons nicht. Sie brauchten fr ihre Kunden lnger lagerfhigen Wein; die Menschen im Bordelais tranken ursprnglich nur die Ernte des einen Jahres bis zur nchsten Ernte. Weihrauch- und Gewrzhandel sind sogar noch lter und bezogen ganz Asie n und Arabien ein.

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GLOBALER TURBOKAPITALISMUS

Der Umsatz von Toyota bersteigt das Bruttosozialprodukt von Norwegen. General Motors schlgt Dnemark. Ford Sdafrika. Internationale Konzerne haben Nationalstaaten nicht nur Wirtschaftskraft, sondern vor allem ihre Mobilitt voraus. Internationale Unternehmen knnen - mehr noch als nur national ttige Unternehmen - auf nationale Regierungen erheblichen Druck ausben. Man sehe die Macht, die etwa Shell in Nigeria hat. Sie erzwingen einen Wettbewerb von Nationalstaaten, von Kommunen um die fr sie gnstigsten Investitionsbedingungen. Sie knnen Indonesien gegen Frankreich ausspielen oder die Philippinen gegen Sdkorea. Konkret heit das im Sden oft: Umwelt- und Lohndumping, Verweigerung des Rechts, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Im Norden heit das oft: Die Kommune muss kostenlose Flchen und eine Verkehrsanbindung bieten. Zu diesen teuren Peanuts kommt dann noch die Befreiung von Steuern fr einen bestimmten Zeitraum. Die Arbeitnehmer bringt sich das Unternehmen trotzdem oft mit. Fr die lokalen Klein- und Mittelbetriebe kann die Ansiedlung des groen Unternehmens oder des groen Einkaufszentrums tdlich sein. Der frs Erste abgewendete Ausverkauf Dank erheblichem Druck von Nichtregierungsorganisationen und dank sptem, aber gerade noch rechtzeitigem Erwachen einiger europischer Staaten gelang es 1998, das insbesondere von transnationalen Konzernen gewnschte Multilaterale Investitionsschutzabkommen (MAI) zu verhindern. Die Heimlichkeiten im Vorfeld und das Ausma der Planungen rcken das MAI ins Licht einer geplanten feindlichen-45-

bernahme der Nationalstaaten durch internationale Konzerne. Das MAI sah ein absolutes Niederlassungsrecht fr auslndische Investoren vor. Es sollte nationalen Regierungen verbieten, einheimische Investoren bevorzugt zu behandeln. Fr die einheimische Wirtschaft in Entwicklungslndern htte dies das Ende bedeutet - und auch fr viele kleine und mittlere Unternehmen im Norden. kologisch oder sozial orientierte Wirtschaftspolitik wre nicht mehr mglich gewesen. Investoren sollten vom Nationalstaat auch entschdigt werden, wenn ihre Profite durch Umweltsteuern, Arbeitsoder Konsumentenschutzbestimmungen geschmlert worden wren. Investoren sollten das Recht bekommen, Staaten auf solcherart entgangenen Profit zu verklagen. Besonders fatal waren die Stand-still- und die Roll-back-Klauseln, nach der keine neuen kologischen oder sozialen, arbeitsrechtlichen Standards htten eingefhrt werden knnen. Bestehende htte man zurckfhren mssen. Sowohl der Sden als auch der Norden brauchen aber dringend international verbindliche Mindeststandards fr Vertrge transnationaler Konzerne mit Staaten. Zum Schutz der Weltumwelt brauchen wir auerdem auf der UN-Ebene ein mit Kompetenzen ausgestattetes und initiativ ttiges Gremium, das solche internationalen Vertrge auf Fairness prft und gegebenenfalls den Vertrag fr ungltig erklren kann. Eine solche Prfstelle fr kologische und soziale Vertrglichkeit und fr Fairness sollte nicht automatisch bei der WTO, sondern in einem vlkerrechtlichen Gremium angesiedelt sein, das dem Erhalt der Umwelt, der Lebensgrundlage der Menschen, Prioritt einrumt.

Globalisierungsverlierer

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Globalisierungsverlierer sind vor allem schlecht ausgebildete Menschen, die keine ausreichend bezahlte Arbeit finden. Menschen, die nicht mobil sind, weil sie fr Kinder oder Angehrige sorgen mssen. Menschen, die nicht mobil sein wollen, die sich weigern, zu modernen Arbeitsnomaden zu werden. Globalisierungsverlierer sind auch Menschen ohne Fremdsprachen- und Computerkenntnisse. In meiner Nachbarschaft in Berlin-Pankow stehen tglich gut 300 Menschen im Franziskanerkloster in der Wollankstrae an, um wenigstens einmal am Tag eine warme Mahlzeit zu haben. Es gibt in Deutschland wieder Suppenkchen. Das ist Armut in einem reichen Land. Doch das ist nur der krasseste Ausdruck von Armut in einem reichen Land. Viele Menschen arbeiten in mehreren Jobs - und haben doch kaum genug zum Leben und auch keine Altersversorgung. 45 Millionen Amerikaner knnen sich keine Krankenversicherung leisten und sind damit stndig dem Risiko ausgesetzt, durch eine Krankheit oder einen Unfall Einkommen und Wohnung zu verlieren. Auf der Strae zu sitzen. Unzhlige Menschen in den USA leben in einer Wohnung ohne Kche. Eine Mikrowelle ist fr sie ein echter Fortschritt, weil sie sonst jede Mahlzeit in einer der Junkfood-Ketten einnehmen mssen. Es gibt eine Entwicklungshilfeorganisation, Eirene, die primr im Tschad, in Niger und in Nicaragua arbeitet - aber auch in Belfast und in Harlem. Genauso wie sich global eine Oberschicht entwickelt, entsteht eine globale Schicht von Globalisierungsverlierern. Sie wenden sogar hnliche Methoden an, um ihr Leben zu managen. Tauschringe sind ein Versuch Betroffener, trotz ihrer desolaten Situation die Selbstbestimmung ber ihr Leben in der Hand zu behalten. Selbst geschaffene Alternativwhrungen, die bei einer Bank gar keinen Wert htten, sind bereits erfolgreich im Einsatz - Landbewohner tauschen Naturalien gegen Kleidung, gegen Treibstoff usw. Diese alternativen-47-

Wirtschaftskreislufe sind der Spiegel der Fragmentierung der Gesellschaft in solche, die an der globalen Wirtschaft aktiv teilnehmen, und solche, deren Bewegungsradius immer kleiner wird. Jobs statt Arbeitspltze Die Kapitalmarktfixiertheit der 90er Jahre verfhrt Unternehmen immer wieder zu Rationalisierungen um jeden Preis. Da Umweltzerstrung bisher billig bis kostenlos ist und wenig Einsparvolumen ergibt, sind Entlassungen, Schlieungen und Firmenverlegungen die erste Folge. Arbeit wird wie in der Frhen Neuzeit wieder verlegt - in Leiharbeitsfirmen hier, in Heimarbeit und Cottages in Lndern des Sdens. Billigjobs und zeitlich befristete Ttigkeiten treten an die Stelle von Arbeitspltzen mit Perspektive. Besonders problematisch ist die Zunahme der Kinderarbeit. In allererster Linie, weil sie den Kindern selbst schadet, ihr Recht auf Kindheit verletzt. Kinderarbeit fhrt auerdem zu Lohndumping und dazu, dass die Eltern der Kinder noch schlechter einen Job bekommen. Sie schadet auch der Wirtschaft, weil Kinder, die arbeiten, keine oder keine ausreichend gute Ausbildung bekommen und damit kaum innovative Fachkrfte werden. Ein anderer Schandfleck sind die so genannten freien Exportzonen, in denen vor allem Frauen zu niedrigen Lhnen und ohne soziale Absicherung fr internationale Konzerne arbeiten. Manche Fabriken sperren ihre Arbeitnehmerinnen sogar ein. ber solche Fabriken insbesondere in Lateinamerika und China ist viel geschrieben worden. Man hat den Eindruck, es gbe solche Arbeitsbedingungen nur dort, auf eng begrenztem, definiertem Raum. Aber unter welchen Bedingungen arbeiten Bauarbeiter aus Osteuropa in-48-

Berlin? Erntehelfer aus Osteuropa bei der Spargelernte in Deutschland? Wer sichert die Gesundheitsstandards polnischer Obstpflcker im Alten Land bei Stade, wo bei einer Kontrolle offenbar wurde, dass ein Groteil der Obstbauernbetriebe verbotene Pflanzenschutzmittel eingesetzt hatte? Armut heit Rechtlosigkeit Was Armut wirklich bedeutet, verbergen die landlufigen Definitionen, nach denen zum Beispiel arm sei, wer weniger als einen Dollar pro Tag habe. Mohamed Yunus, der Grnder der Grameen-Bank, der Bank der Armen in Bangladesh, beschreibt das Phnomen Armut sehr viel treffender als die Weltbank: Armut mache es einem Menschen unmglich, sein Schicksal selbst zu gestalten. Armut sei weder von den Armen geschaffen, noch seien die Armen der Grund fr das Fortbestehen von Armut. Sondern es sei das bestehende System von Politiken und Institutionen, das Armut schaffe und erhalte. Armut sei eine Verweigerung der Menschenrechte - und eine Schande fr die gesamte Menschheit. In Sdafrika, dem Gastgeberland des Weltgipfels in diesem Jahr, sagen Arme: Armut ist die Scham von Mttern, ihren Kindern nicht genug zu essen geben zu knnen, und die Scham von Vtern, keine Arbeit zu finden. Armut ist Rechtlosigkeit. Armut heit, vllig den Zufllen des nchsten Tages ausgesetzt zu sein. Reisefreiheit - das Privileg der globalen Oberschicht Wir Deutschen haben uns daran gewhnt, fast berallhin reisen zu knnen. Die meisten Lnder verlangen von uns kein oder nur der Form halber ein Visum. Seit dem Schengen-Abkommen braucht man nicht mal mehr einen Pass vorzuzeigen. Viele-49-

studieren und arbeiten ein oder mehrere Jahre im Ausland. Die Welt hat sich uns geffnet. Wir Deutschen sind umgekehrt nicht ganz so schnell. Erst die rot-grne Regierung hat mit der Lebenslge der Konservativen aufgerumt und sich dazu bekannt: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das neue Staatsangehrigkeitsrecht macht Schluss mit dem archaischen Brauch, Deutschsein an die biologische Abstammung zu knpfen. Statt des Blutrechts ist nun der Wohnort bei der Geburt ausschlaggebend. Wir haben auerdem ein neues Zuwanderungsrecht geschaffen und eine Greencard fr Computerspezialisten und -spezialistinnen eingefhrt. Inzwischen wirbt selbst die bayerische Staatsregierung Pflegekrfte im Ausland an. Es gibt aber keine Greencard fr afrikanische Landarbeiter. Wenn Arme migrieren, werden sie illegalisiert: Arme bekommen oft keinen Reisepass. Menschen, die im Verdacht stehen, arm zu sein, haben Probleme, ein Visum zu erhalten selbst wenn sie Verwandte hier in Deutschland haben, die fr sie brgen. Man betrachtet sie als potenzielle Wirtschaftsflchtlinge. Doch aller Abschottung zum Trotz gibt es Armutswanderung vom Sden in den Norden - und vielfach wird sie geduldet. Ohne sie wrden im Norden bestimmte Branchen zusammenbrechen. Ohne illegalisierte Arbeiter und Arbeiterinnen gbe es keinen Obstbau in Kalifornien und viel Hausarbeit, nicht nur in US-Haushalten, bliebe unerledigt. Die Illegalisierung von Armutswanderung erleichtert im Norden Lohndrckerei und Ausbeutung. Wer sich dagegen wehrt, hat keine Chance, seine Rechte einzuklagen. Ihm droht die Abschiebung. Gebildeten der globalen Oberschicht dagegen steht die Welt offen: Etwa 30000 promovierte Afrikaner leben auerhalb ihres Kontinents. Globalisierung heit auch Braindrain in den Norden. In Afrika findet man unter 10000 Menschen nur einen-50-

Wissenschaftler und einen Ingenieur. In Eritrea kommt auf 25000 Menschen ein Arzt und auf 11500 eine Krankenschwester. Die Globalisierung der Wirtschaft, die Globalisierung der Finanzmrkte und Unternehmen wird flankiert von einer Globalisierung der Armut und einer Illegalisierung der migrierenden Armen. Elendsregionen und Menschenhandel Die kologisch und sozial nicht gestaltete Globalisierung schafft Regionen ohne Zukunft. Das sind Gebiete, die keine moderne Infrastruktur haben oder keine Arbeitspltze mehr bieten. Verarmung und in der Folge oft auch Verelendung schreiten voran. Irgendwann zhlt in solchen Regionen ein Menschenleben nichts mehr. Ein Mdchen wird fr ein Maultier oder ein Wellblechdach verschachert. Die vllige Perspektivlosigkeit in ganzen Regione n hat zu Menschenhandel in einem Ausma gefhrt, wie es ihn seit dem Ende des USamerikanischen Sklavenhandels im 19. Jahrhundert wohl nicht mehr gegeben hat. UNDP geht davon aus, dass Menschenschmuggler pro Jahr 4 Millionen Kunden haben und 7 Milliarden Dollar einnehmen. Die Enquete des Bundestages zur Globalisierung schtzt die jhrlichen Einnahmen aus Sklaverei auf 13 Milliarden Dollar. - 13 Milliarden Dollar, das ist etwa ein Viertel der Entwicklungshilfe aller Staaten weltweit.

Wasser ist keine normale Handelsware Wasser- und Energiepolitik gehren zu den Hauptthemen des Weltgipfels in Johannesburg. Es sind Schlsselfragen fr eine gerechte, zukunftsfhige Entwicklung.-51-

Swasser ist ein sehr begrenzt vorhandenes Lebensmittel. Kein Mensch kann ohne Swasser leben. Trinkwasser ist ein ffentliches Gut und unersetzbar wie die Luft zum Atmen. Die quantitativ ausreichende Versorgung der Brger mit qualitativ hochwertigem Wasser ist eine ffentliche Daseinsfrsorge. Gerade im Bereich der Versorgung mit Wasser haben groe internationale Unternehmen massive Interessen. Sie erhoffen sich von einer Privatisierung und Liberalisierung ein gutes Geschft. Einerseits haben Lnder des Sdens Hoffnungen auf solch private Investitionen. Andererseits frchten viele Lnder vor allem die Liberalisierung in der Wasserwirtschaft: Konzerne knnten sich in Versorgungssysteme einkaufen und aus wirtschaftlichem Interesse Verbraucherpreise einfhren, die arme Familien nicht mehr zahlen knnen. Zur Zeit werden hoch verschuldete arme Lnder jedoch von IWF und Weltbank gezwungen, die Wasserversorgungsbetriebe an private Unternehmer abzutreten. Durch die Privatisierung entsteht im Wassersektor hufig nicht mehr Wettbewerb, sondern ein ffentliches - hufig korruptes Gebietsmonopol wird durch ein privatwirtschaftliches - hufig nicht minder korruptes Gebietsmonopol abgelst. Bei der Wasseraufbereitung und -verteilung machen die Fixkosten den weitaus grten Teil der Gesamtkosten aus. Daher haben private Betreiber ein groes Interesse an mglichst hohem Verbrauch. Sie haben weder Interesse am Wassersparen, noch am teuren Aufbau einer Wasserversorgung im lndlichen Raum, wie sie zum Beispiel ber Solarbrunnen machbar wre. Die Konsequenz: In Afrika ist - trotz aller Privatisierung - der Anteil der Bevlkerung, der einen Wasseranschluss hat, in den vergangenen zehn Jahren nur um l% gestiegen.

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Vertragsbedingungen Wie sieht solches privatwirtschaftliches Engagement in der Wasserwirtschaft des Sdens konkret aus? Beispiel Guinea: Das Land privatisierte Ende der 80er Jahre auf Druck der Weltbank und handelte dabei einen vergleichsweise guten Vertrag aus. Das Wasserversorgungsnetz sollte in ffentlicher Hand bleiben. Der Staat bekam einen Weltbankkredit, um das marode Netz auszubauen und zu reparieren. Ein Konsortium unter der Fhrung des franzsischen Wasserkonzerns Vivendi sollte die Wasserversorgung betreiben. Es gelang auch rasch, die Wasserqualitt zu verbessern. Innerhalb von sieben Jahren stieg der Anteil der ans Netz angeschlossenen Bevlkerung in den Stdten von 38 auf 47%. Das war ein enormer Erfolg. Die Wartung wurde beschleunigt, der Einbau von Wasserzhlern ermglichte es, tatschlichen Verbrauch zu berechnen und das Entgelt zu kassieren. Allerdings stiegen die Preise so sehr, dass sie selbst fr Wohlhabende schwer zu bezahlen waren. Wer nicht zahlte, dem wurde der Anschluss gesperrt. Da insbesondere Behrden und staatliche Stellen ihre Rechnungen nicht zahlten, hielt sich das Konsortium am staatlichen Wasserunternehmen schadlos und zahlte dessen Gewinnbeteiligung einfach nicht aus. Auerdem machte das Konsortium den Einkommensverlust wett, indem es allen Abnehmern einen noch hheren Preis abverlangte. Die guineische Seite hatte keinen Einblick in Kalkulation und Auftragsvergabe des Konsortiums. In Johannesburg begingen die Gewerkschaften im vergangenen Jahr den Tag des Wassers, den 22. Mrz, als Tag der Trauer, weil sich nur noch die Reichen Wasser leisten konnten. Dies soll nicht als Pldoyer missverstanden werden, Wasser zum Nulltarif zur Verfgung zu stellen. Es ist nicht sozial, Wasser umsonst abzugeben. Eine kostenlose Ressource ruft-53-

sofort mchtigere Nachfrager auf den Plan als die rtliche Bevlkerung im Sden. Die wasserverschwendende Blumenzucht in Kenia, die dabei ist, das Einzugsgebiet des riesigen Lake Naivasha trockenzulegen, hat sich gerade in diesem Land angesiedelt, weil europische Blumenzchter dort das Wasser umsonst bekommen. Wasserversorgung und Geschlechtergerechtigkeit Fr die Menschen in abseits der Strae ge legenen Drfern des Sdens, insbesondere fr die Frauen und Mdchen bleibt der demtigende Zustand erhalten, dass sie ein Drittel ihrer Lebenszeit damit verbringen, auf dem eigenen Rcken einen 20Liter-Wasserkanister ber weite Strecken nach Hause zu schleppen. Acht- oder zehnjhrige Mdchen haben bereits Rckgratschdigungen. Muss das Wasser im Kanister ber eine weite Strecke getragen werden und ist deshalb nur ein Gang am Tag mglich, hat in einer fnfkpfigen Familie jeder drei Liter am Tag. In vielen Gebieten Eritreas ist das normaler Alltag. Wegen des Wassermangels sind Hautkrankheiten an der Tagesordnung. Die Kindersterblichkeit ist hoch. In Deutschland haben wir einen Pro-Kopf-Tagesverbrauch von 130 Litern, in Ostdeutschland von