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working class heroes since 1894 DIE ZEITUNG DER SOZIALISTISCHEN JUGEND ÖSTERREICH. MEI LEHR IS NED DEPPAT ! Das Alltagsleben eines Lehrlings ist oftmals nicht leicht: Man kommt in die Arbeit und kann davon ausgehen, genau jene Arbeiten ver- richten zu müssen, die sonst niemand machen möchte und die keinerlei Weiterbildungswert haben. Egal ob es sich um die Inter- nate mit all den unsinnigen Regelungen dreht, um die niedrige Lehrlingsentschädigung oder um die schlechte Ausbildungsqualität – die Lage der Lehrlinge muss sich verbessern! seite 4 LINKS IM DRUCK. Ausgabe 3/10 Oktober 2010 www.sjoe.at Kiffen gegen das Defizit ! Warum eine Legalisierung weicher Drogen auch für das Budget interessant wäre seite 24 10 Jahre linke SJ Ehemaliger Verbandsvorsitzender Andreas Kollross im Interview seite 26 Wer hat die Macht in Österreich ? Über die Machenschaften von Raiffeisen & Co. und den Einfluss der Agrarlobby seite 14

Trotzdem Oktober 2010

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Das neue Trotzdem Oktober 2010 ist da!

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Page 1: Trotzdem Oktober 2010

working class heroessince 1894

DIE ZEITUNG DER SOZIALISTISCHEN JUGEND ÖSTERREICH.

MEI LEHR IS NED DEPPAT !

Das Alltagsleben eines Lehrlings ist oftmals nicht leicht: Man kommt in die Arbeit und kann davon ausgehen, genau jene Arbeiten ver-richten zu müssen, die sonst niemand machen möchte und die keinerlei Weiterbildungswert haben. Egal ob es sich um die Inter-nate mit all den unsinnigen Regelungen dreht, um die niedrige Lehrlings entschädigung oder um die schlechte Ausbildungsqualität – die Lage der Lehrlinge muss sich verbessern! seite 4

LINKS IM DRUCK.

Ausgabe 3/10Oktober 2010

www.sjoe.at

Kiffen gegen das Defizit !Warum eine Legalisierung weicher Drogen auch für das Budget interessant wäre

seite 24

10 Jahre linke SJ

Ehemaliger Verbandsvorsitzender Andreas Kollross im Interview

seite 26

Wer hat die Macht in Österreich ?

Über die Machenschaften von Raiffeisen & Co. und den Einfluss der Agrarlobby

seite 14

Page 2: Trotzdem Oktober 2010

Verteilungsgerechtigkeit oder Sozi-alabbau und Bildungskürzungen – vor diese Wahl ist die Bundesre-gierung im Herbst gestellt. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: die Vermö-genden für die Budgetsanierung zur Kasse bitten – oder anhand von Massensteuern, ob in Öko-Mäntelchen verpackt oder nicht, erneut die arbeitende Bevölkerung abzustrafen. Zwischen diesen sich diametral gegenüberstehenden Positionen wird sich die Regierung zu entscheiden haben. Solidarab-gaben der Reichen und Banken und

Schluss mit den Steuerschlupflö-chern für Großkonzerne oder eine weitere Zertrümmerung des Sozi-alstaats dank der ÖVP-Sparpläne auf dem Rücken der ArbeiterInnen, Jugendlichen und PensionistInnen – das ist die Schlacht dieses Jahres. Nun ist die Nagelprobe der Sozial-demokratie gekommen: Schafft sie es, den gesellschaftlichen Druck auszubauen (oder zumin-dest den vorhandenen zu nützen) und der ÖVP weitreichende Zuge-ständnisse abzuringen, oder fällt sie um und führt damit ihre „Zeit

für Gerechtigkeit“-Kampagne ad absurdum. Während Superrei-che fette Gewinne kassierten und immer weniger an die Gemeinschaft ablieferten, fehlt es in Schulen und Unis an allen Ecken und Enden an Geld. Zwischen Kaputtsparen und einer ohnehin moderat bemesse-nen Aufstockung der Vermögens-besteuerung darf es keinen faulen Kompromiss geben.

Auf einen heißen, roten Herbst!

Die Trotzdem-Redaktion

Trotzdem 3/2010: Verlagspostamt: 1050 WienAufgabepostamt: 3432 TullnZulassungsnummer: GZ 02Z032957 S

Herausgeberin: Sozialistische Jugend Österreich (SJÖ), Amtshausgasse 4, 1050 WienTel.: 01/523 41 23, Fax: 01/523 41 23-85, Mail: [email protected], Web: www.sjoe.atDVR: 0457582, ZVR: 130093029

Medieninhaberin: Trotzdem VerlagsgesmbH, Amtshaus-gasse 4, 1050 Wien. Geschäftsführer: Klaus Seltenheim, Eigentümerin: SJÖ (100%), Tel.: 01/526 71 12, Fax: 01/526 71 12-85, Mail: [email protected]

Grundlegende Richtung: Das Trotzdem versteht sich als Medium zur Information von Mitgliedern, Funk-tionärInnen und SympathisantInnen der SJÖ. Das Trotzdem informiert über aktuelle politische Debatten und thema-tisiert jugend-relevante Ereignisse.

Chefredaktion: Boris Ginner, Wolfgang Moitzi

MitarbeiterInnen dieser Ausgabe: Stefan Bartl, Anna Bruckner, Anastasia Hammerschmied, Sybilla Kastner, Julia Kopalek, Max Lercher, Michael Lindner, Jorge Ricci, Sebastian Schublach, Robert Slovacek, Leonie-Maria Tanczer, Hubsi Tomacek, Max Wallner

Produktion: NGL-Mediamondial, 3151 St. Georgen

Art Direktion, Grafik und Layout: Peter Rüpschl, [email protected]

Coversujet: Peter Rüpschl

Powered by: BMWFJ, gem. § 7 Abs. 2 B-JFG

02 INHALT02 INHALT

Inhalt

Reichensteuer statt Sozialabbau !

Editorial

Vorwort von Wolfgang Moitzi:Working Class Heroes since 1894

Coverstory

„Mei Lehr is net deppat!“Die Lehrlingskampagne der Sozialistischen Jugend

Innenpolitik

Rechte Netzwerke:Die Nazis im Wahlkampf

Steiermark:Rote Steiermark mit einem blauen Auge

Umwelt

Kernkraft:Nuklearparadies Deutschland

Pro / Contra

Wehrpflicht:Verpflichtender Gemeinschaftsdienst?

Musik / Film / Buch

Die Toten Hosen: Zamrożona WyborowaAndreas Prochaska: Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede OttThomas Wieczorek: Die geplünderte Republik

Comic

Es warat wegen dem Sparen!

Schwerpunkt: Machtzentren & Lobbys

Machtnetzwerke:Wer hat die Macht in Österreich?

Landwirtschaft:Aufmucken, Blut spucken!

Frauen

Schwangerschaftsabbruch: Mein Bauch gehört mir!

Internationales

Entwicklungszusammenarbeit:Wer hilft wem?

England: Back to the roots – oder doch more of the same?

Gesellschaft

Drogenpolitik: Kiffen gegen das Defizit

Geschichte

SJ Österreich:10 Jahre linke SJ!

Aus der SJÖ

Best Of:Reiche besteuern Tour

Kalender

Was war – Was kommt: Juli 2010 – Juli 2011

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IMPRESSUM

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EDITORIAL 03EDITORIAL 03

edoch zeigt sich bei einer näheren Analyse der Mitglieder- und Aktivist-Innenstruktur der Sozia-

listischen Jugend, dass es uns nicht in ausreichendem Maße gelingt, Lehrlinge und junge ArbeiterInnen anzusprechen. Dies führt dazu, dass überproportional viele SchülerInnen und StudentInnen in der Sozialisti-schen Jugend organisiert sind. Diese Erkenntnis ist nicht neu, jedoch geht es jetzt darum dieser Erkenntnis auch konkrete Taten der Gesamtor-ganisation folgen zu lassen.

Mei Lehr is ned deppat!

Die Sozialistische Jugend Österreich hat mit ihrer konsequenten Kampa-gnen- und Aufbauarbeit seit dem Jahr 2000 eine beeindruckende Ent-wicklung genommen. Viele erfolg-reiche Kampagnen zeigen, dass die SJ gewinnend auf Jugendliche zugehen kann, was durch unzähli-ge neuen SJ Orts- und Bezirksgrup-pen allein in diesem Jahr bestätigt wird. Wobei sich vor allem das Kon-zept der Aktionstage als sehr wir-kungsvoll zeigt. Uns muss es jetzt angesichts der tagespolitischen Entwicklungen und der Stimmung unter den Lehrlingen darum gehen, sowohl inhaltliche als auch kam-pagnentechnische Erneuerungen

in diesem Bereich zu schaffen. Mit der neuen Kampagne „Mei Lehr is ned deppat“ wollen wir Lehrlinge in ihrer Lebensrealität ansprechen, ein offenes Ohr für Probleme haben und Verbesserungen für Lehrlinge aufzeigen.

Gleichzeitig setzen wir auch auf eine verstärkte innerorganisa-torische inhaltliche Auseinander-setzung mit der Arbeitswelt von

Lehrlingen, wie zum Beispiel auf der heurigen Bildungswerkstatt oder dem niederösterreichischem Jugendkongress. Gerade Jugend-liche, die in keinen Arbeitsprozess eingebunden sind, erkennen oft die Problemlagen von jungen Arbeit-nehmerInnen nicht, weshalb hier das inhaltliche Fundament mit Workshops und Artikeln aufgebaut wird.

Zukunftschancen erneuern – Reiche besteuern!

Es zeigt sich, dass die Ausbildungs- und Arbeitsplatzsituation Jugend-licher unsicher ist. Eine unklare Perspektive, die Jugendliche – und dabei gerade Lehrlinge – in große Unsicherheit stürzt. Diese unklare soziale Perspektive führt öfters zu Problemen, denen wir als sozialisti-sche Jugend nicht tatenlos zusehen dürfen, da ansonsten nur die Hetzer der rechten Parteien davon profitie-ren. Stänkereien beim Fortgehen, respektloses Verhalten im Alltag und vorkommende Aggressivität unter Jugendlichen dürfen nicht tabuisiert werden. Unsere Aufgabe muss es allerdings auch durch unsere kon-krete Kampagnenarbeit sein, die Konfliktlage Jugendlicher als Folge sozialer Ungleichheit zu erklären und Lösungen anzubieten.

Nicht zuletzt deshalb ist es wich-tig, dass die Sozialdemokratie bei den nunmehrigen Budgetverhand-lungen die Vermögenssteuern gegen die ÖVP durchsetzt, damit die unso-zialen Sparpläne im Jugend-, Sozial-, Arbeits- und Bildungsbereich abge-wehrt werden können. Und dutzende „Reiche müssen zahlen“-Transparen-te und Aktionstage an allen Ecken und Winkeln Österreichs haben gezeigt, wie engagiert und lautstark die Sozia-listische Jugend für die Interessen der Jugendlichen und daher für Vermö-genssteuern kämpft. Für dieses tolle Engagement gilt es auch meinerseits danke zu sagen! Auch jetzt in der ent-scheidenden Phase wird die Sozialis-tische Jugend – wie in den vergange-nen Monaten erfolgreich vorgezeigt – weiter innerparteilich und öffentlich dafür kämpfen, dass nicht wir Jungen die Kosten für die Krise bezahlen!

Vorwort von Wolfgang Moitzi

Working Class Heroessince 1894 !

Die Anfänge der Sozialistischen Jugend im Jahr 1894 liegen im Engagement jugendlicher ArbeiterInnen, die durch gemeinsame Vertretungs- und Bildungsarbeit versucht haben, ihre Situation gemeinsam zu verbessern.

Sozialistische Jugendwww.sjoe.at

working class heroessince 1894

Wolfgang MoitziVerbandsvorsitzender der SJÖ

J

Es zeigt sich, dass die Ausbildungs- und Arbeitsplatzsituation Jugendlicher unsicher ist. Eine unklare Perspektive, die Jugendliche – und dabei gerade Lehrlinge – in große Unsicherheit stürzt.

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working class heroessince 1894

owa : de Ausbildung is oasch !

owa : wir woin mehr – Kohle her !

owa : auf den Berufsschulschas bin i nimma has !

Lehrlinge

04 COVERSTORY04 COVERSTORY

Mei Lehr is ned deppat !Entweder Lehrlinge werden über die arbeitstechnischen Wissensgrenzen hinaus gepusht

oder man quält sie mit Drecksarbeit wie Jausenholen. Egal ob es sich um die Internate (unsinnige Regelungen inklusive) dreht, um die niedrige Lehrlingsentschädigung oder um

die schlechte Ausbildungsqualität – die Lage der Lehrlinge muss sich verbessern!

om Lehrling selbst wird Bestleistung erwartet, wobei sich Berufsschu-

le und Betrieb, wenn es um die Vermittlung der praktischen und theoretischen Lerninhalte geht, gegenseitig die Verantwortung zuschieben – auf den Lehrling selbst wird vergessen.

Um eine Qualitätsverbesse-rung der Arbeitsstelle und der Lernverhältnisse zu erreichen, hat sich die Sozialistische Jugend Österreich dazu entschlossen, eine Lehrlingskampagne ins Leben zu rufen, die die aktuellen Probleme der Lehrlinge öffentlich anspricht und gemeinsam mit die-sen versucht, konkrete Lösungs-vorschläge zu erarbeiten – denn sie selbst sind die Profi s in Sachen Lehrlingsfragen!

Von Berufsschulen und deren „Qualifi zierten Ausbildungen“

Lehrlinge in Österreich werden dem „Dualen Berufsausbildungssystem“ unterzogen. Dieses beinhaltet prak-tische Arbeit – im Betrieb – und das Erlernen von fachlicher Theorie – in der Berufsschule. Was nach außen hin gut durchdacht wirkt, hinkt gewaltig in der Ausführung: Zum Einen ist für die meisten Jugendli-chen der Arbeitsplatz kein Ort, der Freude am Arbeiten vermittelt bzw zu Leistung motiviert, zum Ande-ren sind die meisten Berufsschulen in einem bildungstechnisch mise-rablen Zustand.

Statt in der Berufsschule vor-handene Beamer oder PCs für einen zeitgerechten Unterricht zu nützen, wird meist das bloße Abschrei-

ben von Folien – welche oft so alt wie die SchülerInnen selbst sind – praktiziert. Dementsprechend langweilig und für den/die Lehrer/

In unaufwendig werden dann auch die Lehrstunden gestaltet, und das passt – so scheint es – den Pädago-gInnen ganz gut. Getreu dem Motto: „Wenn ihr mich in Ruhe lasst, lass ich euch ebenso in Frieden.“

Man braucht nicht näher zu erläutern, wie sich das auf die Qua-lität der Ausbildung niederschlägt. Dabei wissen wir schon lange, wie man Jugendliche erreicht, um den Willen zum Lernen zu fördern: Moderne Hilfsmittel und moti-vierte, kompetente LehrerInnen gehören genauso dazu, wie die Förderung der Klassengemein-schaft durch Zusammenarbeiten in Gemeinschaftsprojekten. Selbst in einer so kurzen Schulperiode von 10 Wochen ist der Zusammenhalt untereinander für einen möglichst hohen Lernerfolg bedeutend.

V Welchem Lehrling ist das nicht bekannt:

Man kommt in die Arbeit und kann

davon ausgehen, jene ungeliebten Arbeiten

zu verrichten, die sonst niemand machen

möchte und die keinerlei Weiterbil-

dungswert haben.

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COVERSTORY 05COVERSTORY 05

Her mit der überbetrieblichen Lehrausbildung!

Der Zustand der Arbeitsplätze, die Lehrlinge vorfinden, ist eine Frechheit. Oft fehlt es in Firmen an Arbeitsgeräten, deren Bedie-nung Lehrlinge aber im späteren Beruf dringend kennen sollten. Vie-le Betriebe sind nicht groß genug, um alle nötigen Gerätschaften zur Verfügung zu stellen. Die Lösung dafür ist die „triale Berufsausbil-dung“: Zusätzlich zur Ausbildung im Betrieb und der Berufsschule ist in dieser Form eine überbetriebli-che Lehrausbildung in öffentlichen Lehrwerkstätten vorgesehen. Durch die kürzere Dauer (meist zwischen 3 und 5 Wochen pro Jahr) kommen kleinere Arbeitsgruppen zustande, was wiederum bewirkt, dass der/die PädagogIn mehr Zeit zum Erklären von komplizierten Arbeitsaufträgen hat und die Lehrlinge die Möglichkei-ten bekommen, auch wirklich einen

großen Teil des theoretischen Lehr-plans praktisch durchzumachen. Das Ziel ist, Lehrlinge nicht mehr zu frustrierten, billigen (Hilfs-)Arbeits-kräften heranzuziehen, sondern zu motivierten, hochqualifizierten Facharbeiter Innen.

Der (Miss-)Stand eines Lehr- lings in der Arbeitswelt

Welchem Lehrling ist das nicht bekannt: Man kommt in die Arbeit und kann davon ausgehen, jene ungeliebten Arbeiten zu verrichten, die sonst niemand machen möchte und die keinerlei Weiterbildungswert haben. Andererseits müssen Lehrlin-ge oft die gleiche Arbeit wie fertig aus-gebildete ArbeiterInnen übernehmen und beherrschen. Dabei wird man oft das Gefühl nicht los, eher als billige ArbeiterIn herangezogen zu werden, als jemand, der mitten in der Ausbil-dung steckt.

Somit wird ein Lehrling oft wie eine Arbeitskraft zweiter Klasse behandelt, die aber - sobald Not am Mann/der Frau ist - trotzdem mit

voller Kraft und dem Wissen einer voll ausgebildeten Arbeitskraft mit anpacken muss und dafür Verant-wortung zu übernehmen hat. Und das, obwohl Lehrlinge nicht ausge-lernt sind und bei gleicher Arbeit bei weitem nicht so viel wie ihre bereits ausgebildeten KollegInnen verdienen.

Lehrlinge sollten nicht nur für unbeliebte Arbeiten herangezogen werden. Sie sollen mitarbeiten und nicht volle Verantwortung für die geleistete Arbeit, schon in frühen Lehrjahren, übernehmen müssen. Auch LehrlingsausbildnerInnen müssen mehr zur Verantwortung gezogen werden und sollten nicht nur ihre Unterschrift beim Lehrver-trag hergeben.

Wie schon die Berufsbezeich-nung sagt, ist die Hauptaufgabe eines Lehrlings zu lernen. Das beinhaltet Zeit des Beobachtens, der Erklärung und schließlich des selbst Erlernens. Es ist ihr Recht, die Arbeitsschritte

und Hintergründe zu verstehen, in ihren Beruf hineinzuwachsen und sich schließlich arbeitstechnisch weiter zu entwickeln. Diese Zeit muss einem jeden Lehrling gewährleistet werden.

Schuldenfalle Lehre?

Die hoch angepriesene finanziel-le Unabhängigkeit, die einem am Beginn der Lehre so verlockend anlacht, ist meist doch eher ein Wolf im Schafspelz. In den meis-ten Lehrberufen verdient man im ersten Lehrjahr zwischen 200 € und 600 € monatlich. Auch wenn es sich um das erste Lehrjahr handelt, sollten Lehrlinge nicht für einen Hungerlohn arbeiten müssen. Es ist wichtig, die geleistete Arbeit auch dementsprechend zu entlohnen. Eine gerechte Entlohnung schlägt sich auch positiv auf die Arbeits-motivation der Jugendlichen nieder und Freude an der Arbeit birgt viele Vorteile für einen Betrieb: Konzen-triertes Arbeiten, eine angenehme Arbeitsatmosphäre und vor allem

glücklichere und somit gesündere ArbeitnehmerInnen – alle fühlen sich dadurch geschätzter.

Ein finanziell brisanter Punkt sind die Berufsschulbesuchskos-ten. Es kann nicht sein, dass der Großteil der Lehrlinge bei gerin-gem Lohn auch noch für 2 ½ Monate Internat 650 € vom hart erarbeiteten Urlaubs- oder Weihnachtsgeld aus eigener Tasche zahlen muss, um bei positivem Zeugnis überhaupt in das nächste Lehrjahr aufsteigen zu dürfen. Lehrlinge erzählen davon, dass Internats-, Verpflegungs- und Anreisekosten zusammen gerech-net, am Ende des Monats ein dickes rotes Minus am Konto ergeben. Wei-ters machen sich auch die enorm hohen Kosten für Bus und Bahn trotz Lehrlingsausweis bemerkbar. Da die meisten Lehrlinge jedoch auf öffentliche Verkehrsmittel angewie-sen sind, ist es eine Notwendigkeit eine generelle Lehrlingsfreifahrt wieder einzuführen.

Mit dem geringen Einkommen kann sich ein Lehrling – abzüglich der Internats-, Berufsschul- und öffentli-chen Verkehrsmittelkosten – sein/ihr Leben kaum finanzieren. So endet das Märchen von der finanziellen Unabhängigkeit mit einer zerplatzten Seifenblase.

Der Lehrling im Internat bzw. die Henne in der Legebatterie

— Anwesenheitspflicht bei Lernstun-den, die meist gerade mal 90 Minuten nach Arbeitsschluss (Mo – Do 17.00 Uhr) beginnen— Anwesenheitspflicht im Internat ab spätestens 20.30 Uhr— keine elektrischen Geräte nach 22.00 Uhr usw.

Es scheint, als wolle man den ohne-hin schon strapazierten Lehrlingen auch noch den letzten Rest der Frei-zeit wegnehmen. Um den Lehrling strickt sich durch Berufsschule und Internat ein kaum zu durchbrechen-des Zeitnetz voller Einschränkungen und Verbote.

Um die in den Gemeinschaftszim-mern ohnehin schon stark einge-schränkte Privatsphäre noch weiter zu minimieren, kann es auch schon mal vorkommen, dass die Aufsichts-personen unangekündigte Zim-merdurchsuchungen durchführen. Natürlich unter dem Vorwand, nach Alkohol und anderen Betäubungsmit-tel Ausschau zu halten. Dass damit die Privatsphäre der Lehrlinge gestört wird und ihr Eigentum unter faden-scheinigen Begründungen genaues-tens inspiziert wird, ist den Aufsichts-personen relativ egal.

Dieser Zustand an den Österrei-chischen Berufsschulen ist nicht län-ger tragbar, wir erziehen unsere jun-gen ArbeiterInnen zu unmündigen Arbeitstieren anstatt zu qualifizierten und motivierten FacharbeiterInnen, doch das lassen wir uns nicht mehr länger bieten! Working Class Heroes – Get Organized!

Stefan Bartl, Julia Kopalek

working class heroes :get organized !

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onntag, 26. August: kurzfristig erfuhren wir, dass Strache im

Rahmen seiner Wirtshaustour nach Stammersdorf kommen würde und waren natürlich vor Ort. Wir begannen vor dem Lokal (Bacchusschenke), in dem sich Strache gerade auf mehre-re Runden weißen Spritzer ein-laden ließ, Anti-Strache-Sticker zu verteilen. Plötzlich kamen einige FPÖ-Kameraden aus dem Hof des Heurigen, die uns fotografierten und zu vertreiben versuchten. Einige von ihnen jedoch telefonierten und SMS-ten eifrig, woraufhin innerhalb weniger Minuten beinahe alle FPÖ-WahlkampfhelferInnen, die in Stammersdorf waren, vor die Bacchusschenke strömten.

Unter dieser Gefolgschaft kristallisierten sich einige Per-sonen in FPÖ-Kluft (die man nicht im Internet bestellen kann) heraus, die offenbar für Ordnungstätigkeiten zuständig waren bzw. sich auch offensicht-lich ausgezeichnet mit Personen verstanden, die uns persönlich bedrohten (sinngemäß: „Bleibt jetzt ruhig hier, dass nächste Mal stehen wir vor eurer Türe“). Diese Kameraden erschienen uns derartig suspekt, dass wir uns entschlossen, die Kamera zu zücken und Fotos zu schießen. Die Reaktionen waren unter-schiedlich: Einige versuchten konsequent, ihre Gesichter zu verdecken, andere zeigten sich umso offensiver – so wurde ein Aktivist in der FPÖ-Menge mit Tritten traktiert, einer Aktivistin wurde die Kamera gewaltsam ins Gesicht gedrückt.

Küssel lässt grüßen

Als wir die Fotos mit dem DÖW (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands) abglichen, stellte sich heraus, dass wir einen Volltreffer lande-ten: wir erwischten den amtsbe-kannten Neonazi Gregor T., offen-sichtlich für Ordnungsdienste zuständig. Gregor T. ist Mitbe-gründer von Blood & Honour

Wien und kann als der höchst-rangige Nazi-Skin im Dunst-kreis des berühmten Altneonazi Gottfried Küssel in den östlichen Gebieten Österreichs bezeichnet werden. Mittlerweile hat er sich der AFP-Jugend angenähert und referierte unter anderem 2004 und 2005 bei der „politischen Akademie der AFP“. Interessant ist, dass bei dieser jährlichen Veranstaltung auch schon FPÖ-Landesparteisekretär Hans-Jörg Jenewein und FPÖ-LAbg Johann Gudenus referierten. Dass das Innenministerium der AFP eine „ausgeprägte Affinität zum Nationalsozialismus“ attestiert, schien die zwei FPÖ-Politiker nicht zu stören.

Die FPÖ-Mär der linken Verschwörung

Als diese Geschichte in die Medi-en ging, reagierte die FPÖ mit einer eher peinlichen Presseaus-sendung: In gewohnter Manier wurde strikt geleugnet, dass jemals eine rechtsextreme Per-son anwesend war und bezeich-nete uns als „herumirrende bekifft(e) SJ-Hanseln“ die „den Sturm nicht vertragen haben“. Einen Tag später reagierte Jene-wein ebenfalls auf die Vorwürfe und versuchte mal wieder die Opferrolle der FPÖ („Opfer einer linken Medienlandschaft“) ein-zubringen, und meinte sogar, dass sich die FPÖ gezwungen sähe ihre Veranstaltungen mit-

zufilmen, da angeblich „einzelne Provokateure daran teilnehmen die auf ,rechtsextrem’ machen, um dann ein Bild von der FPÖ zu zeichnen, mit dem [die] Partei nichts zu tun haben will.“

„Wir erhöhen eure Sicherheit“ ?

Neben der FPÖ reagierte aber auch der nichtparteiliche Arm der RechtsextremistInnen: So wurde das Lokal der Sozialis-tischen Jugend Hietzing einen Tag nach der Berichterstattung in den Medien komplett verwüs-tet. Die Tatsache, dass nichts gestohlen wurde, lässt eine poli-tisch motivierte Tat vermuten, die mensch in direktem Zusam-menhang mit der aufdeckeri-schen Arbeit der SJ sehen kann. Auch die FPÖ-Beschmierungen auf Dreiecksständern in Rich-tung U-Bahn zeigen deutlich, welche Partei den TäterInnen am nächsten steht.

Hubsi Tomacek

Die Nazis im WahlkampfDie SJ Wien deckte auf: FPÖ-Wahlveranstaltungen sind zum Tummelplatz grölender Neonazis geworden, die dort als Ordnungskräfte oder WahlhelferInnen ihr Unwesen treiben.

Blood & Honour ist ein international

agierendes neonazis-tisches Skinheadnetz-

werk dass seine Ideolo-gisierung hauptsächlich

über Musik betreibt. Gegründet wurde die

Organisation 1987 von Ian Stuart Donaldson

(gest. 1993) damals Sänger der Nazi-Band

Screwdriver.

B&H ist mittlerweile eine der größten Nazi-Organisationen welt-

weit, musste aber immer wieder Rückschläge wie Spaltungen und Verbote

einstecken.

Besonders hervorzuhe-ben ist hier die Gruppe C18 (Combat 18 – Die

Zahl „18“ steht für „Adolf Hitler“). Diese ist eine terroristische Abspaltung innerhalb

von B&H und schreckte nicht einmal vor Morden und Bombenanschlägen, auch gegen Gesinnungs-

kameradInnen, zurück.

Die „Arbeitsgemein-schaft für demokrati-

sche Politik“ (AFP) ist eine seit den 1960er

Jahren existierende poli-tische Bewegung, die

eine ausgeprägte Affi-nität zum Nationalso-

zialismus aufweist und als aktivstes Sammelbe-

cken der rechtsextre-men Szene in Österreich

einzustufen ist.

Rechte Netzwerke

S

Neonazi-Glatzköpfe sind von HC Straches Hetztiraden-Auftritten nicht mehr wegzudenken: Gestern noch in Blood&Honour-Mon-tur mit Bomberjacke und Springerstiefeln, heute schon als FPÖ-„Ordnungskräfte“ bei Wahlveranstaltungen, wie etwa Georg T. (auf den Fotos mit weißem FPÖ-T-Shirt).

06 INNENPOLITIK06 INNENPOLITIK

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Der wiedergewählte LH Franz Voves brachte die Vermö-genssteuer auf die bundespolitische Tagesordnung und holte mit der SJ Steiermark auch die Mehrheit unter den JungwählerInnen.

INNENPOLITIK 07INNENPOLITIK 07

Steiermark

ach einem innerpartei-lich schwierigen Start in den Wahlkampf (SPÖ

Graz, Listenerstellung, Kampf um die Vermögenssteuern, Koralm-tunnel) prognostizierten die Mei-nungsforschungsinstitute in den letzten Wochen vor der Wahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Und die Landtagswahl in der Steiermark 2010 endete so knapp wie erwar-tet. Beide Regierungsparteien mussten einen Verlust hinneh-men, was vor allem aus Sicht der ÖVP überraschend kam, da diese von ihrem historischen Tiefstand im Jahr 2005 noch einmal tiefer in der WählerInnengunst fiel. Am stärksten zulegen konnte die FPÖ, die nach dem Verlust ihrer Man-date 2005 wieder in den steiri-schen Landtag einzieht und auch einen Sitz in der Landesregie-rung ergattern konnte. Die Grü-nen konnten geringe Zugewinne verzeichnen , verfehlten aber ihr Ziel eines Regierungssitzes mehr als deutlich. Die KPÖ – 2005 noch drittstärkste Kraft – rutschte hin-ter FPÖ und Grüne auf Platz fünf, bleibt aber im Landtag.

Drei Dinge aus der Wähle-rInnenstromanalyse sind aus unserer Sicht besonders hervor-zuheben. Erfreulich ist, dass es der SPÖ und der SJ Steiermark durch den Aufbauprozess der vergangenen 5 Jahre gelungen ist, bei den JungwählerInnen vom dritten auf den ersten Platz zu gelangen. Jedoch gibt es vor allem bei jungen Männern noch immer überproportional viele FPÖ-Wähler, wo wir nicht zuletzt mit unserem Lehrlingsschwer-punkt ansetzen wollen und auch müssen. Zweitens hat sich gezeigt, dass es bei den FPÖ-WählerInnen ein besonderes Merkmal gibt: Arbeiten diese in Betrieben, die von Personalabbau, Lohnver-zicht oder Kurzarbeit betroffen waren, wählte jede/r vierte FPÖ,

bei jenen, die sich nicht betroffen fühlen, waren es nur 6 Prozent. Das zeigt deutlich, dass die soziale Frage im Mittelpunkt der SPÖ ste-hen muss und nicht ein Schwenk nach rechts in der Integrations-politik erfolgen darf.

Drittens ist die Wahlbeteili-gung von 76,2 % auf knapp unter 70 % gesunken. Der Protest gegen bzw. Enttäuschung über die Poli-tik in der Steiermark generell war leider ein häufig genanntes Motiv, was man auch aufgrund der stän-digen Blockadepolitik der ÖVP in der Landesregierung niemanden verübeln kann.

Inhalte durchsetzen

Durch dieses Wahlergebnis hat sich auch die Sitzverteilung in der Landesregierung – welche durch das Proporzsystem geregelt ist – entscheidend geändert. Die absolute Mehrheit konnte nicht verteidigt werden, sodass es in der künftigen Periode 4 SPÖ-, 4 ÖVP-LandrätInnen, sowie einen freiheitlichen gibt. Dadurch und durch Wortmeldungen von Franz Voves, ein Arbeitsübereinkom-men mit der FPÖ nicht auszu-schließen, wurde in den letzten Wochen viel über eine etwaige

rot-blaue Zusammenarbeit spe-kuliert. Die Freiheitlichen können zwar gerne sozialdemokratische Inhalte unterstützen (Mindest-sicherung, Bildungsreform, Steiermark-Holding), sollten sie auf einmal ihre Politik radikal verändern wollen. Für die SJ Steiermark war und ist aber klar, dass wir uns innerparteilich und öffentlich vehement gegen jegli-che Übereinkunft und Zugeständ-nisse an die FPÖ aussprechen. Nachdem auch im Landtag keine linke Mehrheit mit den Grünen und der KPÖ zur Verfügung steht, bleibt als einzige Alternative eine völlig abgehobene und realitäts-fremde ÖVP (Jubel über Platz 2 und schlechtestes Wahlergebnis, Rücktrittsaufforderung an LH Voves). Diese ist beileibe keine attraktive Partnerin, sondern wird nun gezwungen werden müssen, Konsequenzen zu zie-hen und ihre unerträgliche Blo-ckadehaltung fortschrittlichen Projekten gegenüber zu beenden. Weitreichende Zugeständnisse seitens der ÖVP müssen auch auf Bundesebene folgen – etwa beim Kampf für die Einführung von Vermögenssteuern.

Max Lercher, Wolfgang Moitzi

Rote Steiermark mit einem blauen Auge

Die steirischen Landtagswahlen sind geschlagen und die SPÖ konnte zum zweiten Mal die Stimmen- und Mandatsmehrheit im traditionell konservativen Land halten. Der fast 10-prozentige Zugewinn bei der Landtagswahl 2005 konnte aber nicht gehalten werden – sodass nun ein Minus von 3 % zu Buche steht. Keine leichte Ausgangssituation für die nun beginnenden Koalitionsverhandlungen.

N

SPÖ38,26 % (−3,41)

ÖVP37,19 % (−1,47)

FPÖ10,66 % (+6,10)

Grüne5,55 % (+0,82)

KPÖ4,41 % (−1,93)

LandtagswahlSteiermark 2010

Page 8: Trotzdem Oktober 2010

08 UMWELT08 UMWELT

Nach Ansicht der schwarzgelben

deutschen Bundesre-gierung heißt es nun

„Atomlobby schützen – Kernkraft nützen“.

ieser Beschluss wurde nun zunichte gemacht. Die Laufzeiten der

AKWs wurden verlängert. Älte-re Reaktoren sollen demnach weitere acht Jahre aktiv bleiben und jene, die nach 1980 gebaut wurden, sogar noch 14 Jahre länger, also bis 2036.

Sicherheit der Bevölkerung

In Deutschland gibt es 17 akti-ve Atomkraftwerke, in denen es allein in den letzten sechs Jah-ren zu fast tausend Störfällen kam. Schon bei kleinen Unfäl-len kann Radioaktivität freige-setzt werden. ExpertInnen hal-ten dies für den Grund warum in der Nähe von Reaktoren oft eine überdurchschnittlich hohe Rate an Krebserkrankungen festgestellt wird. Ein weiteres Problem, das zur Gefahr für die Bevölkerung werden könnte, ist der Atommüll. Auf der ganzen Welt wurde bisher kein einziges

geeignetes Lager für verbrauch-te Uran-Brennstäbe gefunden. Allein in Deutschland befinden sich 120.000 Tonnen Atommüll, der bei den Kraftwerken oder in oft ungeeigneten Zwischen-lagern aufbewahrt wird. Wird die Laufzeit der Kernkraftwer-ke verlängert, kommen noch in etwa 23.200 Tonnen dazu.

Alternative Energiever- sorgung nicht mehr gefragt

Die Laufzeitverlängerung bringt fast alle innovativen Energieprojekte ins Wanken. In Deutschland wäre der Bau 20 neuer Kohlekraftwerke und einiger Windkraftwerke auf offener See geplant gewesen. Dies würde Regierung und Energiekonzerne jedoch meh-rere Milliarden Euro kosten, die durch den Einsatz von Atom-energie gespart werden kön-nen. Die Atomkonzerne erwar-ten durch die längere Nutzung ihrer Kraftwerke laut Schätzun-gen zusätzliche Gewinne von 50 Milliarden Euro. Dafür stellte die Regierung die Sicherheit der Bevölkerung und die Förderung umweltfreundlicher Energie hinten an. Um die Atomkraft-GegnerInnen zu beruhigen wird ihnen das Märchen aufge-tischt, dass durch einen länge-ren Betrieb der Kernkraftwerke der Strompreis gesenkt werde. Viele befürchten das genaue Gegenteil.

AtomgegnerInnen wehren sich

Die KritikerInnen der geplan-ten Laufzeitverlängerung lassen sich von den Versprechungen der Regierung zum Glück nicht beeinflussen. So marschier-ten 100.000 AtomgegnerIn-nen durch Berlin bis vor das Reichstagsgebäude, um gegen die Atomkraftwerke zu pro-testieren. Auch die Spitzen der Oppositionsparteien waren ver-treten. In Deutschland wehrt

man sich mit aller Kraft gegen den Beschluss der Regierung. SPD-Chef Sigmar Gabriel kün-digte an, in mehreren Punkten gerichtlich gegen die Verlänge-rung der Laufzeit vorzugehen. Unter anderem weil die Regie-rung die Verlängerung ohne den Bundestag vereinbart hat, was in Deutschland für gewöhnlich nicht möglich ist. Außerdem behauptet Gabriel, dass eine solche Entscheidung nicht in einem Vertrag geregelt werden darf, sondern dass dafür eine Gesetzesänderung notwendig ist.

Reaktionen aus Österreich

Während Tschechien beim Bau des Reaktors Temelin scharfe Proteste von Seiten der öster-reichischen Politik zu spüren bekam, halten sich österrei-chische PolitikerInnen eher feige zurück, wenn es um die deutsche Atomkraft geht. Zwar behaupten viele die Laufzeit-verlängerung abzulehnen, die Taten die darauf folgen sollten, bleiben aber aus. Besonders ÖVP-Umweltminister Berla-kovich, der sich in den Medien

immer als überzeugter Atom-kraftgegner gibt, mangelt es an Glaubwürdigkeit. Immerhin profitiert sein Ex-Parteiobmann und ÖVP-Nationalratsabgeord-neter Wolfgang Schüssel als Aufsichtsrat beim RWE, dem zweitgrößten Atomkonzern Deutschlands, selbst fett an den Gewinnen der Atomlobby.

Anastasia Hammerschmied

Nuklearparadies DeutschlandDie Atomlobby gibt wieder den Ton an in Deutschland – und hat in Bundeskanzlerin Merkel und ihrer schwarzgelben Koalition eine willfährige Partnerin gefunden. Im Jahr 2000 beschloss die damalige rotgrüne deutsche Bundesregierung, dass bis 2022 jedes Atomkraftwerk (AKW) im Land stillgelegt werden soll.

DDie Atomkonzerne erwarten durch die längere Nutzung ihrer Kraftwerke laut Schätzungen zusätzliche Gewinne von 50 Milliarden Euro. Dafür stellte die Regierung die Sicherheit der Bevölkerung und die Förderung umwelt-freundlicher Energie hinten an.

Kernkraft

Doppelmoral: Während die FPÖ 2001 verzweifelt versuchte,

mit einem Anti-Temelín-Volksbegehren

den Sinkflug in den Umfragen zu stoppen, verkaufte Jörg Haider in Kärnten Anteile des Energieunternehmens

KELAG an den Atomriesen RWE.

Page 9: Trotzdem Oktober 2010

Wienwahl

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Rot-grün jetzt !

Die Verluste für die SPÖ sind schmerzlich, umso erschre-ckender sind die massiven Zuge-winne der FPÖ. Es ist nur ein kleiner Trost, dass Jung- und ErstwählerInnen die Sozialdemokratie offenbar überdurchschnittlich gewählt haben und die FPÖ bei Jugend-lichen noch hinter den Grünen erst auf dem dritten Platz liegt. Es zeigt aber, dass die Kampa-gnen der Jugendorganisatio-nen, die auf der klaren Abgren-zung von den Freiheitlichen und deren rassistischer Hetze basierten, richtig waren.

Zu kurz gekommen ist im Wahl-kampf die soziale Frage, die wir wieder intensiver in den Mittel-punkt stellen müssen. Mit der Sozialabbau-Partei ÖVP, deren einziges Interesse Klientelpoli-tik für die Superreichen ist, wird das nicht möglich sein. Christine Marek ist für ihren Versuch, die FPÖ mit Deutsch-kurs-Pfl icht und Arbeitszwang-Rhetorik im Wahlkampf rechts zu überholen, massiv abgestraft worden – die ÖVP hat ein Drit-tel ihrer Stimmen verloren. Die ÖVP ist die wirkliche Loser-Par-tei dieser Wahl.

— nur mit den Grünen eine soziale Politik in der Stadt möglich ist— wir ein Signal setzen müssen, dass wir einen fortschrittlichen Erneuerungsprozess in Gang setzen— das der Wunsch der überwiegenden Mehrheit der Jugendlichen ist— wir mit den Grünen viele inhatliche Übereinstimmungen haben – und mit der ÖVP keine

WEIL MIT DER ÖVP KEINE SOZIALE STADT ZU MACHEN IST.

Page 10: Trotzdem Oktober 2010

Verpflichtender Gemeinschaftsdienst

Die Debatte um die Wehrpflicht ist wieder aufgeflammt. Eine Aufgabe der Neutralität und ein Mitmischen bei internationalen Kriegseinsätzen mit einem von der Gesellschaft entkop-pelten Berufsheer sind für die SJ undenkbar. Aber was die Gestaltung eines Gemeinschafts-dienstes (etwa Zivil- und Katastrophenschutzdienst) betrifft, da scheiden sich die Geister.

Wehrpflicht

„O sagt mir an, wozu braucht ihr Soldaten?

Ein jedes Volk liebt Ruh’ und Frieden nur

allein aus Herrschsucht und dem Volk zum Schaden

lasst ihr zertreten, ach, die gold’ne Flur!“

Aus dem ArbeiterInnen- und Friedenslied: „Ich bin Soldat, doch bin ich es nicht gerne“

K eine Wehrpflicht mehr, kei-ne zig-monatige, unfreiwil-lige Mehrarbeit für „den

Staat“ - mit diesen verlockenden Forderungen bereiten die Mietfe-dern der Bourgoise den Boden für die Abschaffung der Wehrpflicht auf. Dabei schwingt immer auch mit, ein Ende der Wehrpflicht sei ein Ende des Militärs. Die globale Abrüstung ist seit Jeher das Ziel sozialistischer Politik, wie können also Linke gegen die Verwirkli-chung dieses Menschheitstraumes sein?

Weil eine Abschaffung der Wehrpflicht eben nicht die Abschaf-fung des Krieges bedeutet. Ein von der Bevölkerung abgeschotteter Militärapparat ist für militärische Interventionen in aller Herren Länder einsetzbar, braucht sich weniger um Verluste zu scheren (immerhin gehört Fallen zum Beruf und den kann sich angeblich jedeR selbst aussuchen) und wozu ein Heer in falschen Händen noch zu gebrauchen ist, zeigen Putsche aller Art.

Die Entfremdung von Gesell-schaft und Militär gilt es zu verei-teln. Wir brauchen ein neues Bild

der Wehrpflicht, ein Ende des klas-sischen Dienstes mit der Waffe, des Exerzierens wie zu Kaisers Zeiten, ein Ende der Zeitverschwendung und ein Ende des selbstherrlichen Autoritarismus der Ausbildne-rInnen. Die Wehrdienstzeit kann sinnvoll genützt werden, wenn unser Heer sich vom Selbstbild der Kriegsstreitmacht verabschiedet. Das Stichwort lautet: Verpflich-tender Gemeinschaftsdienst. Dieser würde die sozialen Aufga-ben, Not- oder Katastrophenhilfe, Entlastung des Arbeitsmarktes oder Integration jenes Drittels der Jugendlichen mit Migrationshin-tergrund hervorragend erfüllen. Mit einer Aufwertung des Milizwe-sens in diesem Sinne (Bsp. Freiwil-lige Feuerwehr) profitiert außer-dem die ganze Gemeinschaft vom Wissen und den Fähigkeiten ihrer Mitglieder. Auch der ungerechte Unterschied zwischen Zivil- und Militärdienst könnte so ein Ende finden und anstatt über High-Tech Berufsmörder verfügte Österreich dann über eine wirkliche Frie-denstruppe.

Max Wallner

E in Wahlkampf bedingt, dass man Themen zuspitzt, so auch die Diskussion um

die Wehrpflicht. Doch dahinter steckt die tiefer liegende Frage der Gemeinschaftsdienste, die für Männer mit Bundesheer oder Zivildienst verpflichtend abzu-leisten sind. Und diese Frage ist nicht mit „Wehrpflicht ja oder nein“ zu beantworten.

„Zivildienst“ und „Wehr-dienst“ sind als Zwangsmaßnah-me keine geeigneten Möglich-keiten, jungen Menschen eine „Arbeit für die Gesellschaft“ aufzuoktroyieren. Nicht nur dass eine grundlegende Ungleichbe-handlung zwischen Zivildienst und Wehrdienst besteht, auch die „gesellschaftliche Wirkung“ der beiden Dienste ist äußerst unterschiedlich. Der Zivildienst verdeckt, dass der Sozial- und Gesundheitsbereich chronisch unterfinanziert und ohne freiwil-lige Hilfe derzeit nicht aufrecht-zuerhalten ist. Zivildiener sind gerade im Pflegebereich häufig – auch wenn im Gesetz anders vor-geschrieben – billige Pflegehelfer ohne Ausbildung. Der Wehrdienst

wiederum stellt für die jungen Männer ein sinnloses Absitzen von 6 Monaten dar.

Statt sich allerdings über die Wehrpflicht als Einzelmaßnahme zu unterhalten, wäre es dringend an der Zeit, soziales Engagement und Zivilcourage bereits in der Schul- und Berufsausbildung aktiv zu fördern – Projekte, Prakti-ka etc. In einem modularen Ober-stufensystem muss gesellschaft-liches Engagement, Zivilcourage und politische Bildung ein zent-rales Unterrichtsfach werden. So kann gefördert werden, dass sich junge Menschen anschließend freiwillig für soziale Dienste (z.B. in einem vollkommen reformier-ten und aufgewerteten Freiwilli-gen Sozialen Jahr) interessieren.

Mittelfristig ist es allerdings unabdingbar, die Wehrpflicht zur Abwehr eines hochgerüsteten Berufsheeres aufrecht zu erhal-ten. Langfristig müssen wir für die Abschaffung des Bundeshee-res und der Umfunktionierung in regionale Katastrophenschutz-einrichtungen kämpfen.

Michael Lindner

10 PRO / CONTRA10 PRO / CONTRA

CONTRACONTRAPROPRO

Foto: haak78, sxc.hu Foto: chachu207, sxc.hu

Page 11: Trotzdem Oktober 2010

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Page 12: Trotzdem Oktober 2010

Die geplünderte Republik:Wie uns Banken, Speku-

lanten und Politiker in den Ruin treiben

Autor: Thomas WieczorekVerlag: Droemer/Knaur

Erschienen: 9. März 2010Umfang: 304 Seiten

Preis: € 8,95

BUCHBUCH Die geplünderte RepublikAuf erfrischend polemische Art setzt sich der deutsche Journalist und Parteienforscher Thomas Wieczorek mit dem Umgang Deutsch-lands mit der Finanzkrise auseinander.

Wieczorek bearbeitet die ganze Palet-te: Von unheiligen Allianzen zwi-schen Bankiers und ihren willfäh-

rigen Marionetten in der Politik, von dubiosen neoliberalen Propaganda-SchwätzerInnen wie Rürup, Sinn oder Miegel, die als „Expert-Innen“ in Talkshows auftreten dürfen und gebetsmühlenartig die „Unfinanzierbarkeit des Sozialstaats“ predigen, bis hin zum Fehl-

verhalten deutscher Privat- und Landesban-ken und deren Führungsriegen.

Rundumschlag gegen fast alle(s)

Fast alle bekommen ihr Fett ab: Banken- und Industriebosse, unverbesserliche Marktgläu-bige, die trotz Krise weiter ihre neoliberalen Lügen („Selbstheilungskräfte des Marktes“ usw.) verbreiten, aber auch mit Steuergeld um sich werfende PolitikerInnen quer durch die Parteienlandschaft, sowie mit öffent-lichen Mitteln spekulierende Gemeinden. Ein Leseerlebnis, das eine/n abwechselnd schmunzeln und zürnen lässt – aber vor allem Bestätigung bringt.

Boris Ginner

Zamrożona Wyborowavon Die Toten Hosen

ErscheinungsdatumOnline: 10.9.2010

Vinyl: 24.9.2010

„Eisgekühlter Bommer-lunder“ gibt’s nun auch auf Polnisch!Die Toten Hosen sind wieder mal zurück! Zwar nicht mit einem ganzen Album, aber mit einem besonderen Schmankerl für alle Hosen-Fans.

Für den neuen Kinofilm „Hochzeitspol-ka“ haben die Toten Hosen ihren Klassi-ker “Eisgekühlter Bommerlunder” noch

einmal eingespielt – und zwar auf Polnisch: „Zamrożona Wyborowa“! Schon 1983 landeten sie mit dieser Single einen Meilenstein in der Musikgeschichte und „Eisgekühlter Bommer-

lunder“ wurde zu einer anarchistischen Parodie auf deutsche Schlager- und Trinklieder im Sinne von „Griechischer Wein“.

„Singt’s auf Deitsch, ihr Deppen!“

Regisseur des Films Lars Jessen hatte die Idee dazu den Song in die Handlung der “Hochzeits-polka” einzubauen, wodurch es nun nach rund 27 Jahren zu einer Neuauflage des DTH-Gas-senhauers kam.

Die Single ist ab dem 10.9. auf allen gängigen Musikportalen als Download erhältlich. Am 24.9. erscheint in einer auf 2.000 Stück limitierten Auf-lage noch eine durchsichtige Vinylversion der Sin-gle. Also ab geht’s und fleißig polnisch lernen!

Leonie-Maria Tanczer

MUSIKMUSIK

12 MUSIK / FILM / BUCH12 MUSIK / FILM / BUCH

Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott

Nation: Österreich 2010Laufzeit: 112 Minuten

Regie: Andreas ProchaskaSchauspieler: Michael Ostrowski, Andreas Kiendl, Elfriede Ott, Ger-hard Liebmann u.a.Drehbuch: A. Prochaska, M. Ostrowski u.a.Musik: Heinz Ditsch „Kollegium KalksburgVerleih: LUNA-Filmverleih

Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede OttEine tote Oma muss nicht zwangsläufig von Nachteil sein: dann etwa, wenn man zwei Jahre nach ihrem Tod immer noch Pension und Pflegegeld bezieht.

Das hat auch Horst, der Protagonist aus Andras Prochaskas neuem Film „Die unabsichtliche Entführung der Frau

Elfriede Ott“, erkannt. Gemeinsam mit Busen-kumpel Toni lebt er in einer Grazer Wohnung und lässt es sich mit Großmutters Geld gut gehen. Als der Betrug aufzufliegen droht und eine echte Oma her muss, borgt man sich eben kurzerhand eine aus dem nahegelegenen Kran-kenhaus aus. Dass es sich bei der Leih-Oma ausgerechnet um Burgschauspielerin Elfriede

Ott handelt, bringt die beiden Freunde in noch größere Bedrängnis. Als ihnen dämmert, dass sie so leicht aus der Sache nicht mehr heraus-kommen werden, sind ihnen bereits der Kripo-Chef, ein eifersüchtiger Autohändler und die ungarische Mafia auf den Fersen.

Andreas Prochaska („In drei Tagen bist du tot“) ist mit seiner Komödie ein Kinohit gelun-gen, der trotz steirischen Lokalkolorits nie ins Provinziell-Banale abdriftet. Sehenswert!

Hubsi Tomacek

FILMFILM

Page 13: Trotzdem Oktober 2010

ES WARAT WEGEN DEM SPAREN ...1 2

Finanzminister und ÖVP-Bundesparteiobmann Josef Pröll beauftragte Reinhold Lopatka mit dem Sparen.

„Reinhold! Es warad wegen dem Sparen ... Bei uns in der Staatskassa ist ein großes Loch, weil wir unseren Freunden von der Raiffeisen die Bilanz gerettet haben.“

Gehorsam macht sich Reinhold auf den Weg zu seinen FreundInnen.

„Ok, mach ich Pepi!“

3 4

Reinhold besucht als erstes Fritz Neugebauer, Vorsitzender der Gewerkschaft im Öffentlichen Dienst.

„Sicher nicht bei uns Beamten, wir san die letzten, die die ÖVP wählen. Da können wir nix machen!“

Reinhold lässt sich nicht unterkriegen ...

„Fritz, es warad wegen dem Sparen ...“

„Ok, dann schau ich mal zur Industrie!“

6 7

... und fährt zu Martin Bartenstein, der sich in der ÖVP um die Industrie kümmert.

„Martin, es warad wegen dem Sparen ...“

Zum Zweiten Mal abgewiesen rappelt sich Reinhold auf ...

„ Sicher nicht bei uns Millionären, wir zahlen ja die Partei ... Da können wir nix machen!“

„Ok, aber die Bauern könnten ...“

8 9

... und sucht den Bauernbund-Präsidenten Fritz Grillitsch auf.

Schon wieder abgewiesen grübelt Reinhold hin und her ..

„ Sicher nicht bei uns Bauern, wir sind die Per- sonalreserven der ÖVP. Da können nix machen ...“ „Ok, ok ...“

„Fritz, es warad wegen dem Sparen ...“

9 11

... und hin und her ...

... und hat eine Idee ...

„Martin, es warad wegen dem Sparen ...“

... eine bomben Idee!

„ Sicher nicht bei uns Millionären, wir zahlen ja die Partei ... Da können wir nix machen!“

„Dann nehmen wir die roten Eisen- bahnerInnen! Da stör ich keinen von unseren FreundInnen und kann sie richtig aufmischen!“

... und hin und her ...

„ Was mach ich nun? Wo kann ich unsere Freunde schonen und trotzdem den Sparmeister spielen ...“

„Ich habe eine Idee!“

10

Page 14: Trotzdem Oktober 2010

Wer hat die Macht in Österreich ?Machtnetzwerke in Österreich durchziehen Politik und Wirtschaft – und ordnen sich das Gesellschaftssystem unter. Wie sich die Machtverhältnisse zeigen und verändert haben, erklärt Netzwerkanalyst Harald Katzmair.

Trotzdem: Herr Katzmair, Sie sind Spezialist was die Ana-lyse von Macht- und Elitenetz-werken betrifft. Was genau ist unter Machtnetzwerken zu ver-stehen?

Katzmair: Macht ist eine Form der strategischen Handlungs-fähigkeit. Ich kann die Welt so formen, beeinflussen, gestalten, wie es meinen eigenen Interes-sen, Visionen und Werten ent-spricht. Macht ist das Produkt aus Geld und Beziehungen, also aus ökonomischem und sozia-lem Kapital. Um handlungsfähig zu sein benötige ich a.) Zugang zu Ressourcen (Kapital) und b.) das Vermögen diese koordiniert und abgestimmt (also strate-gisch) zum Einsatz zu bringen. Beides passiert in Netzwerken – Zugang und Koordination der Ressourcen im Dienste eigener Werte, Ziele, Interessen.

Trotzdem: Wie schauen die gegenwärtigen Machtnetzwer-ke in der Republik Österreich aus? Welche(s) Netzwerk(e) gibt/geben den Ton an?

Katzmair: Wir haben in unserer aktuellsten Netzwerkanalyse der Macht in Österreich insge-

samt 8 Cluster identifiziert. Die wichtigsten Drei, im Sinne der Menge akkumulierten Kapitals sowie der Qualität der Netzwer-keinbettung sind der Banken-und Industriecluster rund um die Industriellenvereinigung, der Raiffeisen-Niederösterreich Cluster (Stichwort „Raiffeisen Niederösterreich, VP-Niederös-terreich“), und der Cluster Wien (Stichwort „Gemeinde Wien, SP-Wien“).

Trotzdem: Welche nennenswer-ten Macht-Netzwerke gibt es in Österreich? Wie hat sich im Lau-fe der vergangenen Jahrzehnte die Macht zwischen den einzel-nen Netzwerken verschoben?

Katzmair: Neben den oben genannten existieren noch wesentliche Machtnetzwerke in Oberösterreich („Raiffeisen Oberösterreich“), in der Ener-giewirtschaft, Infrastruktur und Bau, sowie natürlich im politischen System (Sozialpart-nerInnen). Die Verschiebung der Macht in Österreich in den letzten 10 steht und fällt aber sicher mit dem Verkauf der ver-staatlichten Industrie und dem Verlust von Leitunternehmen aus dem direkten Einfluss der

Sozialdemokratie (Bawag, Bank Austria, Post, ÖBB). Es gibt also eine klare Verschiebung der Macht hin zum bürgerlichen Lager.

Trotzdem: Was sind, Ihrer Mei-nung nach, die Gründe für die Machtverschiebung?

Katzmair: Da gibt es internatio-nale Entwicklungen und Trends („Globalisierung“, „Neolibera-lismus“), die in allen Ländern der Welt zu Zentralisierungs-prozessen, sowie massiven Privatisierungen geführt hat. Dazu kam eine Mischung aus erstaunlichem Unvermögen (Stichwort Bawag, Bank Aus-tria) und beinhartem strate-gischen Denken und Handeln (Ex-Kanzler Schüssel).

Trotzdem: Der Raiffeisen-Kon-zern schwang sich vom bäuerli-chen Selbsthilfeverein zu einem multinationalen Koloss empor. Wie konnte das geschehen und was sind die Auswirkungen auf Österreich und die heimische Politik?

Katzmair: Die Raiffeisen Story ist komplex und sicher nicht mit dem einfachen Satz zu

Machtnetzwerke

Harald Katzmair ist seit 1997 Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter der sozialwissenschaftlichen

Forschungsgesellschaft FAS-Research mit Standorten

in Wien und New York.

Das Giebelkreuz hat Österreich fest im Griff. Der Raiffeisenkonzern ist mittlerweile das einflussreichste Machtnetzwerk im Lande.

14 SCHWERPUNKT14 SCHWERPUNKT

Page 15: Trotzdem Oktober 2010

beantworten. Zunächst ist Raiffeisen bemerkenswert, weil es noch immer genossen-schaftlich organisiert ist und im Verbund mit dem Bauernbund starke „Grassroots“- Einbettun-gen existieren, also der Sektor kulturell prägend wirkt (kultu-relle Hegemonie). Generell ist diese Mischung aus „Geld“ und „Werten“ im Raiffeisensektor interessant, weil sie eigentlich dem entspricht, was der „Kon-sum“ einmal für die Roten war. Die Auswirkungen des Erfolgs des Sektors (rund 10 Prozent des BIP werden vom Sektor erwirtschaftet) sind klar: die Raiffeisen sind ein heimlicher Sozialpartner geworden, es gibt keine Entscheidung, bei der nicht direkt oder indirekt Raiffeisen mit am Tisch sitzen würde.

Trotzdem: Inwiefern begüns-tigte oder beeinflusste die schwarzblaue Regierung von 2000 bis 2006 die Verteilung der Macht- und Elitenetzwerke in Österreich?

Katzmair: Es war eine Begüns-tigung, aber nicht die alleini-ge Ursache, man würde hier ansonsten eine reine „Opfer-geschichte“ daraus machen. Schwarz-Blau traf auf ein schon ziemlich poröses, in Ein-zelspielerInnen zersprengtes Rotes Netzwerk der Macht, das schon längst nicht mehr koordi-niert und strategisch handelte. Figuren wie Elsner waren ja ein Symptom. Schüssel & Co. wurde es sehr leicht gemacht, weil die Sozialdemokratie kei-ne kulturelle Hegemonie im Wirtschaftsleben mehr hatte, die Fäden unter den handeln-den Personen nicht mehr durch Werte geknüpft waren, sondern von persönlichen Interessen getrieben waren.

Trotzdem: Trotz langjähriger Regierungsbeteiligung und sogar Kanzlerschaft verlor die Sozialdemokratie offensichtlich weite Teile ihrer Einflusssphä-ren in Wirtschaft und Gesell-schaft, sodass sie heute bei Macht- und Elitenetzwerken

nicht mehr allzu viel mitzureden hat. Was waren die Fehler der Sozialdemokratie?

Katzmair: Die beste Waffe im Kampf um die Macht sind Grundsätze und Werte. Wenn ich kein Geld und Vermögen habe, dann bleiben mir nur die eigenen Visionen und Werte als Energiequelle. Am Ende geht es um eine Art der kulturellen, kognitiven, emotionalen Hege-monie. Der Neoliberalismus ist ja auch eine kulturelle, emoti-onale Form (Affirmation der selbstpromotionalen ICH-AG der iPhone-Gesellschaft) und nicht nur eine wirtschaftspo-litische Ideologie und Praxis. Werte, Ideen und Visionen sind auch die Grundlage, damit aus zerstreut handelnden Einzel-kämpferInnen und ICH-AGs, ein koordiniertes, abgestimmtes Handeln einer politischen Par-tei und Bewegung wird. Eine Partei muss gerade heute enorm viel in Grundlagenarbeit inves-tieren, es braucht hier mutige, unabhängige Think-Tanks. Die Macht der „Visionen“, sie wird und wurde systematisch unter-schätzt.

Trotzdem: Auch die Gewerk-schaft verlor zunehmend an machtpolitischer Relevanz. Worin sehen Sie die Gründe dafür?

Katzmair: Auch das ist komplex und hat vor allem mit der radi-kalen Änderung der Produk-tionssphäre zu tun (Stichwort Wissensgesellschaft, kogniti-ver Kapitalismus, ICH-AGs). Die Gewerkschaft kämpft bis heute damit, dass ihr der „Betrieb“ als Ort der Organisation abhand-engekommen ist. Sie ist in der fordistischen Ära stark und groß geworden und kämpft mit den Transformationen der post-fordistischen Ära – dezentraler, globalisierter Produktionsströ-me einerseits und der „VerICH-AGisierung“ der Gesellschaft andererseits.

Trotzdem: Was müsste gesche-hen, um die derzeitige Domi-nanz weniger Netzwerke wieder rückgängig zu machen und eine gleichmäßigere Verteilung der Macht zu erwirken?

Katzmair: Alle unsere Analysen und Simulationen von Verän-derungsprozessen zeigen ganz klar, dass sich nur etwas real ändert, wenn die bestehende Elite gespalten ist. Dafür benö-tigt es aber die entsprechenden

Werte und Visionen, als Legiti-mationsgrundlage für andere Verteilungen in unserer Gesell-schaft. Der erste Schritt einer Veränderung wäre also die Analyse bestehender Bruchli-nien und Risse innerhalb der dominanten Netzwerke …

Trotzdem: Sehen Sie in der der-zeitigen Verteilung der Macht auch Gefahren für die österrei-chische Demokratie?

Katzmair: Nun, die Demokratie ist immer zu einem gewissen Grad in Gefahr. Es besteht heute sicher die Gefahr einer Refeudali-sierung unserer Gesellschaft, die Aneignung des Staates und des Marktes durch lokale Clans. Das Gefühl der Menschen, machtlos zu sein, nichts beitragen zu kön-nen in dieser Welt, dass die eige-ne Stimme keine Auswirkungen hat, ist aber der größte Feind der Demokratie. Das Gefühl der Ohnmacht ruiniert nicht nur das Selbstwertgefühl und verhin-dert für sein eigenes Leben eine Vision zu entwickeln, es unter-gräbt auch das Fundament einer demokratischen Gesellschafts-ordnung.

ÖVP-Vizekanzler Pröll tanzt nach der Pfeife des „heim-lichen Kanzlers“, Raiffeisen-Boss Christian Konrad.

Das Interview führteBoris Ginner

Schüssel & Co. wurde es sehr leicht gemacht, weil die Sozialdemokratie keine

kulturelle Hegemonie im Wirtschaftsleben mehr hatte, die Fäden unter den handeln-

den Personen nicht mehr durch Werte geknüpft waren, sondern von persönlichen

Interessen getrieben waren.

Neue Feudalmächte dominieren die Welt: große Wirtschaftslob-bys und Großkonzerne.

Als Fordismus wird die Epoche nach dem 2. Weltkrieg bis in die

Mitte der 1970er Jahre bezeichnet. Sie war

gekennzeichnet von steigenden Löhnen, explodierender Pro-

duktivität, Massenpro-duktion und -konsum, einem starken Ausbau

des Sozialstaats und Vollbeschäftigung.

ICH-AGs sind Ein-Personen-Unternehmen und u. a. klassische Sym-

ptome der neuen pre-kären Beschäftigungs-

verhältnisse. Mit einem „Gründungszuschuss“

werden viele Menschen in die Selbständigkeit

gelockt, meist handelt es sich dabei jedoch

um einen Sprung in die Armutsfalle.

SCHWERPUNKT 15SCHWERPUNKT 15

Page 16: Trotzdem Oktober 2010

Landwirtschaft

Aufmucken – Blut spucken !Der Förderdschungel im Landwirtschaftsbereich macht’s möglich: Superreiche und Großgrund-besitzerInnen schwimmen in Subventionsmillionen und erfreuen sich teurer Steuergeschenke, während Kleinbetriebe in den Ruin getrieben werden. Im „Schwarzbuch Landwirtschaft“ rechnet Hans Weiss mit der österreichischen Agrarpolitik ab.

Stabile Einkommen für Meinl, Porsche & Co.!

as hat eine Nebenerwerbs-Bergbäuerin aus Tirol mit VW-Aufsichtsrat Hans

Michael Piëch, Red-Bull-Erfinder Dietrich Mateschitz und Banki-er Julius Meinl („dem Fünften“) gemeinsam? Sie alle erhalten För-dergelder aus dem Topf der EU-Landwirtschaftssubventionen. Der Unterschied? Die Vergabe der finanziellen Mittel erfolgt nach Flä-chengröße – und begünstigt damit natürlich die großen Agrarkonzerne und (oftmals adelige) Großgrundbe-sitzerInnen. Und so kommt es, dass das Vorarlberger Fruchtsaftunter-nehmen Rauch mit 9,5 Millionen Euro mehr an Subventionsgeldern kassiert wie alle übrigen Vorarl-berger LandwirtInnen zusammen. „Zur Erzielung eines stabilen Ein-

kommens“ erntet auch der Multi-millionär Dr. Wolfgang Porsche, der nebenbei als Bergbauer in Zell am See fuhrwerkt, einige Zehntausen-der im Jahr. Die Liste der Subventi-onsempfängerInnen liest sich stel-lenweise wie das „Who is Who“ der österreichischen Highsociety und des heimischen Geldadels.

Widerrede unerwünscht

Ein Vierteljahrhundert ÖVP-ge-führtes Agrarressort hinterließ seine Spuren. Im Laufe der Jahre haben sich AgrarfunktionärInnen im Dunstkreis vom ÖVP-Bauern-bund ein wahres Schlaraffenland geschaffen. Das verwinkelte System der Agrarbürokratie schanzt Multi-millionärInnen weitere Pfründe zu, kleine Betriebe haben keine Chan-ce. Denn die enorme Abhängigkeit vom Raiffeisen-Koloss, von der Ver-

arbeitungsindustrie und dem „Bau-ernbund“ bietet sich als perfektes Druckmittel an: Wer aufmuckt, dem blühen Drohungen, zermürbende Prozesse oder wirtschaftliche Sank-tionen. Dass Widerrede nicht gern gesehen wird, bekam auch Autor Hans Weiss selbst zu spüren. Mit wüsten Beschimpfungen fiel etwa ÖVP-Bauernbundchef Grillitsch über den Schriftsteller her. Das freie Wort von JournalistInnen ist den Grillitschs dieser Republik ein Dorn im Auge. In den von der ÖVP nach nordkoreanischem Vorbild durch-setzten Landwirtschaftskammern sind derartige AgrarbürokratInnen eben wenig Einspruch gewöhnt.

Tirol: Landprivatisierungen unvorstellbaren Ausmaßes

Unter dem Decknamen „Regulie-rung“ zog sich ab den 1950er und

1960er Jahren eine wahre Enteig-nungswelle durch das Bundesland Tirol. ÖVP-AgrarfunktionärInnen rissen sich riesige Landstriche unter den Nagel, weil sie aufgrund der Ver-schiebung der Bevölkerungsschich-ten schwindenden Einfluss in den Gemeindeverwaltungen fürchteten. „Agrargemeinschaften“ schossen wie die Pilze aus dem Boden und verleibten sich gemeinschaftlichen Besitz ein. Schirmherr der Enteig-nungsparty war Ex-Landeshaupt-mann Eduard Wallnöfer. Ein Fünftel des heutigen Tirol wurde so mächti-gen, „alteingesessenen“ Bauern und Bäuerinnen zugeschoben, die dafür keinen Groschen zahlen mussten. Die aufgrund des aufkeimenden Tourismus seit den 1950ern extrem gestiegenen Grundstückpreise füll-ten die Taschen der Mitglieder der Agrargemeinschaften, die dank der niedrigen Grundsteuer auch noch

W

Im Landwirtschaftsbereich wim-melt es nur so von Förderungen und Subventionen. Während klei-ne Betriebe zusperren, kassieren Reiche wie die Queen Millionen-beträge von der EU.

16 SCHWERPUNKT16 SCHWERPUNKT

Foto: jasonweeks, sxc.hu

Foto: jan-willem, sxc.hu

Page 17: Trotzdem Oktober 2010

Gruppenbesteuerung:Die unter Schüssel

eingeführte Gruppen-besteuerung eröffnete

Großkonzernen und Banken die Möglichkeit,

Verluste ausländischer Firmentöchter mit

Gewinnen im Inland zu neutralisieren, sowie

die Kreditzinsen beim Erwerb von Firmen von der Steuer abzusetzen.

steuerlich geschont wurden und werden. Erst 2008 erklärte das oberste Gericht die Übertra-gung von Gemeindegut an die Agrargemeinschaften als offen-kundig verfassungswidrig. Die ProfiteurInnen der illegalen Eigentumsverschiebungen sind oftmals hohe ÖVP-Funktionär-Innen, allen voran der jetzige Landtagspräsident Van Staa und dessen Familie.

Raiffeisen – vom bäuerlichen Selbsthilfe- verein zur Riesenkrake

An der Spitze des Machtim-periums der Agrarbürokratie steht zweifellos der mächtige Raiffeisenkonzern. Unter dem Dach der „Giebelkreuzkrake“ versammeln sich neben den Raiffeisenbanken zahlreiche Reisebüroketten, Spielcasi-nos, Medienbeteiligungen (von Kurier, News, profil, For-mat, Österreich, Oberösterrei-chischer Landesverlag, APA, Morawa Pressevetrieb, Woman, trend, SAT1 Österreich und, und, und …), Versicherungen, Wellnesshotels, Seilbahngesell-schaften, Wohnbaugenossen-schaften, 150.000 Wohnungen allein in Österreich und über tausend Firmen (u. a. Beteili-gungen an STRABAG, Demel, voestalpine, Do & Co, Wiener Börse AG usw. usf.). Raiffeisen, einst als bäuerlicher Selbsthilfe-verein gegründet, schwang sich zum multinationalen Konzern empor, der über beste Verflech-tungen in die Politik verfügt. Allein die Raiffeisen-Banken-gruppe konnte am 1.1.2009 auf eine Gesamtbilanz von 265 Mil-liarden Euro verweisen. Im Ver-gleich dazu wirkt das österrei-chische Bundesbudget 2008 mit seinen 148 Milliarden € wie ein bescheidener Klacks. Nichts-destotrotz holte sich Raiffeisen im vergangenen Jahr eine üppi-ge staatliche Unterstützung von 1,75 Mrd. Euro – mehr als jede andere Bank.

Gutschriften statt Steuern

Die Tentakel der Raiffeisen-krake, die sich über den Ban-kensektor, den Tourismusbe-reich, die Medienlandschaft, die Industrie, sowie das Ver-

sicherungs- und Immobili-enwesen ausbreiten, reichen natürlich auch in die Politik. Um einer Durchleuchtung der Ost-Geschäfte seiner Bank im Rahmen des Banken-Untersu-chungsausschusses zuvorzu-kommen, drohte Raiffeisenboss Christian Konrad Abgeordne-ten mit Klagen wegen Kredit-schädigung. Der U-Ausschuss wurde vorzeitig beendet. Mit Geschenken überhäuft wurde Konrad, hinter vorgehaltener Hand „heimlicher Kanzler“ genannt, während der ÖVP-FPÖ-BZÖ-Regierungszeit – etwa mit der „Gruppenbesteuerung“. Damit sponserten die Steuer-zahlerInnen die Expansion des Raiffeisen-Reiches in den Osten kräftig mit. Während der offizi-elle Steuersatz für österreichi-sche Unternehmen und Banken bei 25 Prozent liegt, zahlten die Raiffeisenlandesbanken zwischen 2006 und 2008 (bei einem Gewinn von 1,9 Mrd. €) genau 1 Prozent an Steuern. Die Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien heimste für diesen Zeitraum bei einem Gewinn von 739 Mio. € sogar noch eine Gutschrift von 21,6 Mio. € ein, anstatt Steuern zu zahlen.

Agrarlobby kassiert fett ab

Abgezockt werden die Steuer-zahlerInnen und Konsumen-tInnen auch beim trotz massi-ver Förderungen überhöhten Zuckerpreis. Mit fetten Subven-tionen wird etwa der weltweit operierende Agrana-Konzern unterstützt (übrigens ebenfalls im Raiffeisen-Reich angesie-delt). Das unüberschaubare Schattenreich an Subventionen kommt auch hier primär den großen Unternehmen in der Zucker verarbeitenden Indust-rie (z. B. Suchard, Rauch) zugu-te – oder adeligen Rübenbauern wie z. B. dem Niederösterrei-cher Maximilian Hardegg (über 900.000 €). Von den 2,2 Mrd. €, die pro Jahr als Fördergelder in die Landwirtschaft fließen, kommen 1,3 Mrd. aus den Töp-fen der EU und 900 Mio. von Bund und Ländern. Über die Verteilung eines Großteils der EU-Gelder hat das Parlament über den Landwirtschaftsmi-nister ein Mitspracherecht. Dieser fungierte aber in den letzten Jahrzehnten in erster Linie als ausführendes Organ der mächtigen Agrarlobby. Und kommt bei den Förderun-gen auch selbst nicht zu kurz: 2008 kassierte die Familie von ÖVP-Landwirtschaftsminister

Berlakovich 140.000 € an Sub-ventionen.

Kurswechsel dringend nötig!

Dennoch ist die Agrarlobby bemüht, diese Ungerechtigkeit zu vertuschen. Die „kleinen Bauern und Bäuerinnen“ sollen mit Phrasen wie „die Förderun-gen kommen der kleinteiligen Landwirtschaft zugute“, bei der Stange gehalten werden. Es handle sich nicht um Sub-ventionen, sondern um Leis-tungsabgeltungen, tönt es aus den Reihen der Agrarbüro-kratie. Dabei treibt die Sub-ventionsvergabe nach Fläche gerade die kleinen Bauern und Bäuerinnen in den Ruin. Das Sterben der Kleinbetriebe geht ungebremst weiter: Seit 1951 hat sich die Anzahl der bäuer-lichen Betriebe von 430.000 auf 160.000 fast gedrittelt Tendenz weiter fallend. Seit 1995 sper-ren täglich 12 (Klein-)Betriebe zu. Eine Neuausrichtung in der Agrarpolitik wäre höchst an der Zeit: Schluss mit den Sub-ventionen für Privatstiftungen oder Superreiche, her mit einer Umverteilung der Landwirt-schaftsgelder, der Einführung von Obergrenzen bei den För-dermitteln und Neuberech-nung der Subventionen nach Arbeitseinsatz (und nicht nach Fläche / Hektar).

Hans Weiss, österreichischer Journalist und Sach-buchautor. Nach der Pharmaindustrie wird er mit seinen Enthüllungsbüchern nun auch der Agrar-lobby unbequem.

Allein die Raiffeisen-Bankengruppe konnte am 1.1.2009 auf eine Gesamtbilanz von 265

Mrd. € verweisen. Im Vergleich dazu wirkt das österreichische Bundesbudget 2008 mit

148 Mrd. € wie ein bescheidener Klacks.

SCHWERPUNKT 17SCHWERPUNKT 17

Boris Ginner

Page 18: Trotzdem Oktober 2010

eit dem Beginn der Menschheit wurden Schwangerschaftsabbrü-che durchgeführt. In vie-

len Kulturen und Epochen wurden sie zwar unter Haftstrafe gestellt, doch Frauen fanden immer einen Weg über ihren Körper zu bestimmen. Über die Jahrhunderte ist viel Wissen verloren gegangen, doch vor allem im Mittelalter wurden Schwangerschaf-ten oft durch natürliche Substanzen beendet. Ab 1852 wurde Schwan-gerschaftsabbruch in Österreich laut dem Mariatheresianischen Para-grafen 144 generell bestraft, Frauen konnten ab diesem Zeitpunkt nur noch illegal abtreiben. Die Illegalität trieb Frauen in ausweglose Situatio-nen zu EngelmacherInnen. Lebens-lange Krankheiten und allzu oft der Tod der Frauen waren die Folgen, da viele Eingriffe unter schlechten hygi-enischen Umständen durchgeführt werden mussten.

Der lange Weg zur Fristenlösung

1926 wurde die Thematik neu auf-gerollt, da aktive Frauen der „Sozial-demokratischen Arbeiterpartei“ den Antrag einbrachten, innerhalb einer gewissen Zeitspanne ohne Strafbe-drohung einen Abbruch ausführen zu können. Diese Liberalisierung wur-de sogar im Linzer Parteiprogramm festgehalten. Sie scheiterten jedoch bei dem Versuch, da die christlich-sozial dominierte Regierung dies verweigerte. In der Zeitspanne des Austrofaschismus wurde das Abtrei-bungsverbot abermals verschärft und während der nationalsozialistischen Diktatur wurde Schwangerschaftsab-bruch sogar mit dem Tod bestraft. Ab 1971 gab es endlich Fortschritte, da ein Entwurf für ein neues Strafgesetz vorgelegt wurde. Darin wurde die „Indikationslösung“ festgehalten, das bedeutet, dass Schwangerschaftsab-bruch nicht prinzipiell straffrei sein sollte. Unter gewissen Umständen, wie beispielsweise bei einer Gefähr-dung des Lebens der Mutter, sollte von einer Bestrafung abgesehen werden. Diese Indikationen mussten von einer Ärztin oder von einem Arzt festgestellt werden. Natürlich war dieser Vorschlag viel zu wenig weit-reichend.

Widerstand …

Im selben Jahr gründete die Katholi-sche Kirche ein Komitee zum „Schutz des ungeborenen Lebens“ und starte-ten eine Unterschriftenaktion gegen den Gesetzesentwurf. Ein Jahr später formierten sich zahlreiche Frauen, um bei der großen „Abtreibungsde-mo“ auf der Wiener Mariahilferstraße im Dezember ihren Unmut kund zu tun. Somit setzten Frauen ein schlag-kräftiges Zeichen und die SPÖ-Frau-

en beschlossen auf ihrer Konferenz einen Antrag gegen die Indikations- und für die Fristenlösung. Diese, wie auch schon oben erwähnt, besagt eine Straffreiheit bei Abbruch in den ersten drei Monaten einer Schwan-gerschaft.

… wurde überwunden

Am Parteitag der SPÖ wurde die Forderung nach der Fristenlösung abgesegnet. Trotz Gegenstimmen der ÖVP und der FPÖ wurde sie ein Jahr darauf im Parlament auf Antrag der

SPÖ-Alleinregierung beschlossen. Im Dezember 1974 legte der konservativ-dominierte Bundesrat ein Veto gegen das Gesetz der Fristenregelung ein. Somit musste der Nationalrat einen Beharrungsbeschluss fassen, damit das Gesetz endlich in Kraft treten konnte. 1975 war das Ziel erreicht und die Fristenlösung trat am 1. Jän-ner in Kraft, doch die konservativen Kräfte starteten als Gegenaktion das „Volksbegehren zum Schutz des Lebens“, um ein erneutes „Abtrei-bungsverbot“ zu fordern. Da das Volksbegehren nur von 17,9 % der

Wahlberechtigten unterschrieben wurde, konnte die Fristenlösung nicht in Gefahr gebracht werden. Bereits im nächsten Jahr wurde im ersten Bezirk in Wien am Fleischmarkt das erste „Ambulatorium für Schwan-gerenhilfe“ eingesetzt. Obwohl die Fristenlösung in Österreich nun seit 35 Jahren gesetzliche Realität ist, ist die Inanspruchnahme nicht überall in Österreich möglich. Leider bieten nicht alle Landeskrankenhäuser die-se Leistung an, da es Ärztinnen und Ärzten frei gestellt ist, einen Schwan-gerschaftsabbruch durchzuführen.

Schwangerschaftsabbruch

Mein Bauch gehört mir !Das (Frauen)-Recht, bis zur 12. Woche einen legalen Schwanger-schaftsabbruch in Österreich durchführen zu lassen, danach nur noch aufgrund medizinischer Indikation, feierte heuer sein 35-jähriges Bestehen. Doch nach wie vor gibt es genügend Gegner-Innen, die das Anrecht auf mehr Selbstbestimmung über das eigene Leben von Frauen ablehnen.

S

18 FRAUEN18 FRAUEN

Als EngelmacherIn wird in der älteren Umgangssprache eine Person bezeichnet, die illegal Schwangerschaftsabbrüche durchführt.

Sie nimmt ihre Eingriffe oft auch unter hygienisch zwei-felhaften Bedingungen und ohne die nötige Kenntnis und Sorgfalt vor, so dass Komplika-tionen (z. B. Blutungen, Infek-tionen oder Unfruchtbarkeit) resultieren können.

Schwangerschaftsabbrüche fanden immer statt - in Zeiten des Abtreibungsverbots eben-so. Frauen waren allerdings auf illegale Abtreibungspraxen angewiesen - ohne jeglicher sanitärer Standards und star-ben oft an den Eingriffen bzw. Folgeschäden/Spätwirkungen.

EngelmacherInnen

Die „Anti-Abtreibungs-Bewe-gung“ ist männlich dominiert – gerade in den Führungsebenen.

Page 19: Trotzdem Oktober 2010

Gleichzeitig erschweren immer wieder konservative Fundamen-talistInnen die gesellschaftlich anerkannte Regelung.

Katholische Kirche und Co.

Eine der dominantsten Gegne-rInnen ist natürlich die katho-lische Kirche, die abermals versucht, mit allen Mitteln ein „Abtreibungsverbot“ zu erzwin-gen. Eine der katholischen Initia-tiven ist „Jugend für das Leben“. Diese sieht ihre Aufgabe laut Eigendefinition darin, „... sich auf der Grundlage der Enzyklika Evangelium Vitae von Johannes Paul II. für den Schutz der unge-borenen Kinder einzusetzen.“ Auf vielfache Weise versuchen sie, ihr kontroverses Gedan-kengut unter die Menschheit zu bringen. Mit Schulbesuchen wollen sie über Schwanger-schaftsabbruch und Verhütung referieren, doch in Wirklichkeit handelt es sich um eine strenge katholische Lehre. Beispielswei-se ist Ehe die einzige Legitima-tion, um Sexualität auszuleben. Selbstbefriedigung und Homose-xualität werden vehement abge-lehnt und als Sünde beziehungs-weise Krankheit abgestempelt. Für sie ist Verhütung ein Tabu: Um dagegen zu argumentie-ren, werfen sie immer wieder mit Lügenpropaganda um sich. Obwohl das Kondom das einzige Verhütungsmittel ist, das gegen sexuell übertragbare Krankhei-ten schützt, empfehlen sie es nur „risikofreudigen und lebensmü-den Menschen.“

Ohne Wenn und Aber …

Ebenso rückwärtsgewandt zeigt sich die Initiative beim Thema Schwangerschaftsabbruch. Selbst bei Gefährdung des Lebens der Mutter dürfe, nach Ansicht der Initiative, keine Abtreibung vorgenommen werden. Immer-hin würde ja, so die Argumenta-tion, die moderne Medizin der-artige Fälle ohnehin vorbeugen. Sogar bei Vergewaltigung von Frauen lehnt die Initiative ein Recht auf Schwangerschaftsab-bruch ab. Dies sei nämlich nicht „Gottes Wille“.

Mit dem jährlich stattfindenden „Marsch der Jugend“ wollen sie ihre Unwahrheiten unter die Bevölkerung bringen. Beglei-tet mit zahlreichen Bischöfen und Pfarrern gilt es dabei, die Menschheit wachzurüt-teln. Dabei traumatisieren sie unschuldige Personen mit unre-alistischen Darstellungen von Embryonen und lächerlichen Argumenten. Oft werden sie auch von Frauen begleitet, die sich selbst zu einem Schwan-gerschaftsabbruch entschieden haben. Diese berichten vor Ort von ihrer seelischen Erschütte-rung und ihrer Reue.

… gegen Frauenselbst- bestimmung

In der internationalen Anti-Abtreibungs-Bewegung mischt auch „Human Life“ ordent-lich mit. Die Organisation setzt Schwangerschaftsabbruch mit dem Holocaust, der systema-tischen Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden, gleich. Diese widerwärtige Dar-stellung bringt der Gründer von „Human Life“ auf dem Punkt, indem er behauptete, dass das größte Holocaust-Verbrechen aller Zeiten – die „Abtreibung“ – von jüdischen Ärztinnen und Ärzten und obendrein Femi-nistInnen begangen würde. Schwangerschaftsabbrüche

werden daher von vielen Gegne-rInnen auch als „Holocaust an Embryonen“ oder „Babycaust“ bezeichnet. Dieses faschistische Gedankengut wird von zahlrei-chen AktivistInnen mitgetragen, um die Debatte um einen lega-len Schwangerschaftsabbruch zu emotionalisieren. Dass sie sich dabei in der Grauzone des Verbotsgesetzes bewegen, steht außer Acht. Interessanterweise weisen die Organisationszüge stark männlich-dominierte Ten-denzen auf, obwohl diese in kei-ner Form Anrecht darauf haben, ein Wort darüber zu verlieren.

Mein Bauch – meine Entscheidung

Sie alle versuchen über den Kör-per von Frauen zu bestimmen. Hier liegt es an allen, das mühe-voll erkämpfte Recht in Öster-reich zu verteidigen, um vor allem auf internationaler Ebene einen allgemein gültigen Anspruch auf Schwangerschaftsabbruch zu erreichen. Jede Frau sollte selbst über ihren Körper und über ihr Leben bestimmen können und niemand sollte dieses Frauen-recht in Frage stellen, denn wie Margaret Sanger sagte: „Eine Frau, die den eigenen Körper nicht besitzt oder kontrolliert, kann sich nicht frei nennen!“

Sybilla Kastner

Die Illegalität trieb Frauen in ausweglose Situationen zu EngelmacherInnen. Lebens-lange Krankheiten und allzu oft der Tod der Frauen waren die Folgen, da viele Eingriffe unter schlechten hygienischen Umständen

durchgeführt werden mussten.

FRAUEN 19FRAUEN 19

MyMind

MyBody

My Choice

Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist das mindeste an Frauen-rechten, das wir fordern können.

Page 20: Trotzdem Oktober 2010

us der Antrittsrede von US-Präsident Truman 1949 kann viel bezüglicher der Intentionen des Konzepts

„Entwicklung“ herausgelesen wer-den: “More than half the people of the world are living in conditions approaching misery. Their poverty is a handicap and a threat both to them and to more prosperous areas. I believe that we should make available to peace-loving peoples the benefi ts of our store of technical knowledge in order to help them realize their aspi-rations for a better life.”

Die Zeitreise zahlt sich aus, denn implizierte Hierarchien sind aus die-

sen paar Zeilen sofort herauszulesen: Der Norden, die „entwickelte“ Welt, wird den „peace-loving“, damals gemeint waren die nicht-kommunis-tischen Länder des Südens, zeigen, wie ein besseres Leben auszuse-hen hat. Truman spricht weiters die Bedrohung für den Westen an, die von der Armut der „anderen“ ausgeht. Die Umstände des Kalten Krieges mach-ten Entwicklungshilfe zum Instru-ment, periphere Staaten ideologisch an das kapitalistische Weltsystem zu binden. Mittlerweile sind 60 Jahre vergangen und ökonomische Model-le, die Armut in der Dritten Welt zu verringern, gab es wie Sand am Meer. Und auch vor der Entwicklungszu-sammenarbeit haben neoliberale Paradigmen keinen Halt gemacht und repräsentieren seit den 80ern inter-nationalen Konsens.

Entwicklungszusammenarbeit ist ein komplexer Bereich, gestaltet von unterschiedlich mächtigen Akteu-rInnen. Dabei wird die ungleiche Verteilung fi nanzieller Mittel, tech-nologischer Kompetenz, des Wissens und politischer Macht deutlich. Auch die Begriffe „Partnerschaft“, „Empo-werment“ oder „Nachhaltigkeit“ im Entwicklungsdiskurs täuschen nicht darüber hinweg. Das Urteil darüber, wie erfolgreich die Bekämpfung der Ungleichheiten zwischen „entwickel-tem“ Norden und „unterentwickelter“ Dritter Welt bezeichnet werden kann, ist offenkundig. Ab und zu ein Blick in die Zeitung genügt, um mit den globa-len Missständen der Verteilungsunge-rechtigkeit konfrontiert zu sein.

Die Entstehung der „Gebergemeinschaft“

Das Ende des Zweiten Weltkrieges führte zur Gründung internationaler Organisationen wie Weltbankgruppe, UNO, IWF oder OEEC (Vorläuferin der OECD), die international eine wich-tige Geberfunktion erfüllen – diese Neugestaltung der Weltordnung fand unter klarer Vormachtstellung der USA statt.

Institutioneller Rassismus

Im Zusammenhang mit Aktivitäten der Entwicklungszusammenarbeit gilt es, das traditionelle, rassistische Kulturkonzept zu untersuchen, das dem Großteil der Aktivitäten bis heute unterliegt: der Westen gilt als überle-gener Zivilisationsträger, der Süden hat “nachzuholen”. „Kultur“ wird also

in der Entwicklungszusammenar-beit zu einem wichtigen Element von Strategien der Ausübung von Macht. Rassismus ist eine fl exible Ideologie, die sich nicht auf Straches Hetzreden oder Übergriffen an MigrantInnen beschränken lässt. Der Begriff „ins-titutioneller Rassismus“ bezeichnet rassistische Denk - und Handlungs-weisen, die nicht Sache der persönli-chen Einstellung sind, sondern in der Organisation des gesellschaftlichen Miteinander verortet sind. Angehöri-ge einer Gruppe werden systematisch gegenüber den Nicht-Dazugehörigen privilegiert.

Bevormundung, nicht Solidarität

Was das mit Entwicklungszusam-menarbeit zu tun hat? Sehr viel, auch wenn es in der Öffentlichkeit gerne tot geschwiegen wird, würden sich doch

die barmherzigen SamariterInnen aus Europa oder den USA selbst als Urhe-berInnen von Rassismus entlarven. Aber ganz ehrlich: wird die Tatsache vor Augen geführt, dass der Westen Jahr für Jahr unzählige ExpertInnen beispielweise nach Afrika schickt, um der Bevölkerung zu „lernen“, wie Felder zu bewirtschaften, Brun-nen zu bauen sind, Buchhaltung zu führen ist, ist die Frage wohl berech-tigt: Warum sollte das die ansässige Bevölkerung nicht selbst am besten wissen? Sie kennt, nur um ein Bei-spiel zu nennen, die Vegetation und weiß aus jahrelanger Erfahrung, wie welches Saatgut am besten wächst. Käme es dir nicht komisch vor, würde ein/e Ghanaer/in an deiner Tür klop-fen um dir zu erklären, wie du am bes-ten dein Wiener Schnitzel panierst? Vielen Entwicklungszusammenar-beits-Projekten der internationalen

Entwicklungszusammenarbeit ist ein komplexer Bereich,

gestaltet von unterschiedlich mächtigen AkteurInnen.

——Dabei wird die ungleiche

Verteilung fi nanzieller Mittel, technologischer Kompetenz, des Wissens und politischer

Macht deutlich.

Entwicklungszusammenarbeit

Wer hilft wem ?“Aid, by its very defi nition, is a manifestation of poverty” – Robb CarolineAuf der Suche nach den Ursprüngen von institutionalisierten Entwicklungshilfeleistungen muss in der Geschichte ein bisschen zurückgegangen werden – die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kann als „Geburtsperiode“ angesehen werden.

A

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Page 21: Trotzdem Oktober 2010

Gebergemeinschaft unterliegen nicht Prinzipien der Solidarität, sondern der Bevormundung.

Kritik wird immer lauter

Viele KritikerInnen der Entwick-lungspolitik sehen in den Strate-gien des DAC, der Weltbankgrup-pe oder des IWF ein Instrument, um die Abhängigkeiten ehema-liger Kolonien von westlichen Ländern zu festigen. Mit dem Vorwurf des Neokolonialismus konfrontieren VertreterInnen aus Zivilgesellschaft und Regierun-gen des Südens die Geberländer. So wird beispielsweise argumen-tiert, dass Lebensmittelhilfe die lokalen Märkte zerstören würde und diese einzig der Wirtschaft

des Nordens nütze. Am Beispiel der europäischen und US-ame-rikanischen Agrarpolitik scheint dieser Vorwurf stimmig, so wer-den Produktionsüberschüsse in afrikanischen Ländern als Ent-wicklungshilfe abgesetzt. Dass es zu diesen Überschüssen nur auf Grund der (von der starken europäischen und US-amerika-nischen Agrarlobby forcierten) Überproduktion kommt und die großzügig beschenkten Länder dadurch keine Absatzmärkte für ihr eigenes, viel günstiger pro-duziertes Getreide mehr haben, wird in der öffentlichen Debat-te kaum hinterfragt. Weiterhin klopfen sich EuropäerInnen und US-AmerikanerInnen lieber auf die eigene Schulter und loben ihre Selbstlosigkeit, die natür-lich, so nebenbei, mit Profi ten für sie verbunden ist.

Aktuelles Entwicklungs- paradigma: Millennium Development Goals

140 Staats- und Regierungschefs und VertreterInnen der Zivil-gesellschaft trafen beim UNO-Gipfel in New York aufeinander, um eine Zwischenbilanz der vor zehn Jahren abgesegneten „Mil-lennium-Entwicklungsziele“ zu ziehen. Wenig überraschend warnen ExpertInnen davor, das jedes einzelne der Ziele wohl verfehlt wird, darunter die Hal-bierung der Armut und der Zahl der Hungernden, eine Senkung

der Kindersterblichkeit um zwei Drittel und einen Stopp der Aus-breitung von Aids bis 2015.

Ö am viertletzten Platz

Österreich trat 1961 der OECD bei und verpfl ichtete sich dadurch offi ziell, Entwicklungshilfe zu leisten. Im Jahr 2002 wurde in Österreich ein neues Entwick-lungszusammenarbeitsgesetz verabschiedet, 2003 erfolgte bereits eine Novellierung. Diese ist Voraussetzung für die Grün-dung der „Austrian Development Agency“, die in Abstimmung mit anderen Einrichtungen (insbe-sondere NGOs oder der UNO) für die Abwicklung konkreter Maßnahmen verantwortlich ist. Aber so eng sahen es die letzten österreichischen Regierungen nicht mit den Vorgaben durch den DAC. Österreich reiht sich in Europa stolz unter die Top 4 der größten Entwicklungshilfe-VerweigererInnen ein. „Wien löst seinen Solidarbeitrag in der westlichen Gemeinschaft nicht ein!“, brüskierte sich Eckhard Deutscher, Chef des OECD-Ent-wicklungsausschusses im April. Bis 2010 hätten die internati-onalen Geberländer des DAC lediglich 0,5 Prozent ihres Brut-tonationaleinkommens leisten sollen. Österreich schafft es auf 0,3 Prozent – die geplanten Kürzungen im Dezember dieses Jahres noch nicht mit einbe-rechnet (die Auswirkungen der

Wirtschaftskrise werden, wie in so vielen Bereichen, als Grund dafür bezeichnet). Als ganz besonderes Schmankerl inner-halb dieses ohnehin schon mehr als beschämenden Umstands zeichnet sich die Tatsache aus, dass in diesen 0,3 Prozent bei-spielsweise die Militäroperation im Tschad inbegriffen ist. Oder die Finanzierung von Studien-plätzen von MigrantInnen aus Entwicklungsländern.

Perspektiven?

Selbst wenn die institutionali-sierte Entwicklungszusammen-arbeit ein Hort der Bestrebungen nach internationaler Solidarität wäre, so obliegt der Großteil an Veränderungen für Länder des Südens nicht in ihrem Ermessen. Entwicklungszusammenarbeit ist wie vieles ein Kampf gegen Windmühlen - einer kapitalis-tischen Produktionsweise, die darauf aufbaut, dass es neben ein paar wenigen GewinnerIn-nen unzählige VerliererInnen gibt. Und solange diese nicht überwunden ist, gilt es, Ent-wicklungszusammenarbeit zu reformieren, bis sie endlich kein weiteres Instrument der Ausbeu-tung und des Selbstzwecks des Nordens ist, sondern die Gelder ohne Konditionen in die Hände der Bevölkerung der Dritten Welt gelegt werden.

IWFDer Internationale Währungsfond (IWF) vergibt Kredite, z. B. an Länder in Zahlungsnot, meist verbunden mit Bedingungen („Struk-turanpassungsprogram-me“ = Privatisierungen, Marktöffnung etc.).

OECDOrganisation für wirt-schaftliche Zusammen-arbeit und Entwicklung

DACDas “Development Assistant Committee” (DAC) ist innerhalb der OECD für die Richtlini-en und Zielsetzungen der Gebergemeinschaft zuständig.

Millennium Development GoalsBekämpfung von extremer Armut und Hunger, Gleichstel-lung der Geschlechter, Stärkung der Rolle der Frauen, Senkung der Kindersterblichkeit, Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Mütter, Bekämp-fung von HIV / AIDS, Malaria und anderen schweren Krankheiten, ökologische Nachhal-tigkeit, Aufbau einer globalen Partnerschaft für Entwicklung

Entwicklungszusammenarbeit ist wie vieles ein Kampf gegen Windmühlen einer

kapitalistischen Produktionsweise, die darauf aufbaut, dass es neben ein paar

wenigen GewinnerInnen unzählige VerliererInnen gibt.

Neben einer Handvoll Superreicher produziert der Kapitalismus unzäh-lige VerliererInnen, die in Slums hausen müssen – zwischen Wellblech und Karton. (Am Bild Mumbai / Indien)

lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“lennium-Entwicklungsziele“

Anna Bruckner

INTERNATIONALES 21INTERNATIONALES 21

Page 22: Trotzdem Oktober 2010

Back to the roots – oder doch : more of the same ?

Die britische Labour Party hat einen neuen Vorsitz gewählt. Und viele positiv überrascht. Die Wahl Ed Milibands gilt als Bruch mit der rechts-sozialdemokratischen „New Labour“ von Tony Blair.

er Labour-Parteitag wur-de zum spektakulären Bruder-Duell zwischen

Ex-Außenminister David Mili-band und dem 4 Jahre jüngeren früheren Energieminister Ed Mili-band. Unerwarteter Sieger wurde der sich politisch weiter links defi-nierende Ed. Wir haben die Gele-genheit genutzt und bei Sam Tar-ry, dem Vorsitzenden der Young Labour, kurz nach dem Parteitag in Manchester nachgefragt.

Trotzdem: Who did you support and why did you do so?

Sam: I was backing Ed Mili-band in our leadership election. I believe that he was the most credible centre-left candidate – throughout his campaign he

launched convincing policies on wages and employment, the environment and a range of other issues. We needed a leader who represented a break from the past, as we lost the last elec-tion, not a leader who followed the same old New Labour poli-cies.

Trotzdem: Is New Labour history now? Sam: I think that New Labour served a purpose, in that it reha-bilitated the Labour Party and led to thirteen years in government after a period in the wilderness. During that time, we did achieve many progressive policies, such as the national minimum wage, job creation programmes for

young people, better maternity and paternity rights and the right to civil partnerships. How-ever, our loss in the last election demonstrated that New Labour had run out of new ideas. For a political project launched in the early 1990s, it has had quite a long life, but party activists and the general public are ready for a new, centre-left alternative.

Trotzdem: Ed was strongly sup-ported by the trade unionists. But shortly after his election he distanced himself of the “allega-tion” to be the man of the union-ist: “I’m my own man”. How would you assess this move?

Sam: I think it was very valuable for Ed Miliband to have the sup-

D

22 INTERNATIONALES22 INTERNATIONALES

England

Young Labour:Alle Mitglieder der

Labour Party, die unter 27 Jahre alt sind, werden in der „Young

Labour“ zusammen-gefasst. Young Labour ist auch Mitgliedorga-

nisation in der IUSY (International Union of

Socialist Youth).

New Labour steht für die Neuausrich-tung der Labour Party in

den 1990er Jahren. Unter dem Etikett „dritter

Weg“ distanzierte sich Labour von „alten“ sozial-

demokratischen Grund-sätzen wie Vollbeschäfti-gung oder Umverteilung, und setzte statt auf einen

Wohlfahrtsstaat mit starken Gewerkschaften

lieber auf globalisierten Kapitalismus, flexible

Arbeitsverhältnisse und Privatisierung („Neoli-beralismus light“). Pro-

minenteste Wegbereiter des „dritten Weges“

waren Tony Blair und Gerhard Schröder.

Page 23: Trotzdem Oktober 2010

port of the major trade unions, including my own. As repre-sentatives of ordinary working people (and core Labour vot-ers), their support shows that Ed is in touch with the general public. But unions in the UK are often perceived negatively, par-ticularly in the light of the large number of strikes that brought down the 1976–79 Labour gov-ernment. It makes sense for Ed to show that he is willing to stand up to the unions if their actions jeopardise the UK’s eco-nomic recovery; I think that the unions recognise that and are acting responsibly.

Trotzdem: Is the new leadership going to challenge the economic

and political orthodoxies of the past? Do you expect fundamen-tal changes in how the Labour Party is going to work?

Sam: I really believe that now is a time for renewal and rejuve-nation within the Labour Party and the wider Labour move-ment. Ed, and other leadership candidates, reached out to com-munity organisers and grass-roots activists, and I believe that the voices of ordinary members will come through more strongly in the party in future. In terms of the economic and political orthodoxies, we’ve seen throughout the economic crisis that free-market mon-etarism, as adopted by both the Conservatives and to some extent New Labour, just don’t provide the answers. We need a new alternative, with a strong role for the state in public serv-ice provision, and also a role for the voluntary sector.

Trotzdem: Political opponents seem to be fairly happy with Labours decision, as they don’t fear real challenge from the new leadership. What’s true about the assumption Labour has to stand in the middle of the politi-cal spectrum to win elections?

Sam: I don’t think it’s true that Labour has to be extremely cen-trist in order to win elections. What’s important is where the median voter stands, and at the

moment, there is a lot of support for the left among voters. With rising unemployment, cuts to state benefits and services, pay cuts and tax hikes, the general public are already becoming disillusioned with the centre-right Coalition government – opinion polls this week put Labour 3 % ahead of the Con-servatives. We should stand by our socialist principles and offer a real alternative to the British public – that’s how we’ll win the next election.

Trotzdem: How did the British media react on the newly elect-ed leader?

Sam: Right-wing sections of the British media have been very keen to call our new leader “Red Ed” and target him as an extreme-left leader. There have been stories in one particular newspaper complaining about the fact that he isn’t married to the mother of his children and calling him “unorthodox”, when his lifestyle is exactly the same as for many people in his generation. However, they’re attacking him personally, which means that they can’t attack him on his policies! The left-wing press has been much more welcoming and is obvi-ously keen to give him a chance to prove himself.

Trotzdem: What do you expect from the next years to come?

Sam: For Labour, I think we’ll see a real period of change and growth, as we develop the suc-cessor to New Labour. We’ve had a rapid increase in member-ship since the General Election, including 700 new members in the 24 hours after Ed Miliband became leader, and these new members will demand more of a voice in the party. Myself and others are working hard to strengthen our youth move-ment to be an effective force, not just for campaigning, but also for bringing new ideas into the party. In terms of the state of the country more widely, I’m wor-ried about the effects that our Government will have on young people, women, families and older people. We’re waiting for the Comprehensive Spending Review on October 20th, when we’ll see how much departmen-tal budgets will be slashed by for the next three years. Cuts in government spending will hit hard, and the Government has already been extremely regres-sive in cutting universal ben-efits, increasing Value-Added Tax and closing valuable pub-lic services. We in the Labour Party will fight hard over the next four-and-a-half years to ensure that cuts, while neces-sary, do not impact unfairly on the most vulnerable people in our society.

Sam Tarry ist Vorsitzender der Young Labour, der britischen Schwester-organisation der SJÖ.

INTERNATIONALES 23INTERNATIONALES 23

We should stand by our socialist principles and offer a

real alternative to the British public – that’s how we’ll win

the next election.

Centre-right Coalition government:Seit Mai dieses Jahres wird Großbritannien von einer Mitte-Rechts-Koalition unter Premierminister David Cameron (Conservative Party / Tories) regiert. Damit endete die 13-jährige Regierungs-zeit der Labour Party, die sich auf die Opposi-tionsbank verdrücken musste.

Die Folgen: ein weiteres Auseinan-derklaffen der Schere zwischen Arm und Reich, sowie ein konservativ dominiertes Europa. Der „Schritt in die Mitte“ trieb unzählige frühere sozialdemokratische WählerInnen in die Arme rechtspopulistischer Parteien und führte zum Niedergang der Sozialde-mokratie.

Das Interview führteSebastian Schublach

Ed Miliband entschied das Bruder-Duell um den Labour-Vorsitz knapp für sich.

Page 24: Trotzdem Oktober 2010

Kiffen gegen das DefizitAm 2. November, dem Tag jener Wahlen die in den USA in der Mitte der 4-jährigen Amtszeit des Präsidenten stattfinden, kann in Kalifornien Geschichte geschrieben werden. An diesem Tag sind die Menschen im größten Bundesstaat der Vereinigten Staaten nicht nur aufgerufen einen neu-en Gouverneur und Kongressabgeordnete zu wählen, sie stimmen auch über einen historischen Gesetzesvorschlag ab – die komplette Legalisierung von Marihuana …

Cannabis als Heilmittel

or 14 Jahren schrieb Kalifor-nien schon einmal Geschich-te. In einer Volksabstimmung

wurde Kalifornien der erste Bundes-staat in den Vereinigten Staaten in dem Marihuana zu medizinischen Zwecken legalisiert wurde. Seit-dem zogen 13 Bundesstaaten nach, in weiteren 11 wird ebenfalls eine Legalisierung von medizinischem Marihuana angedacht. Marihuana wird dabei in der Medizin erfolg-reich bei HIV- und Krebstherapien gegen Nebenwirkungen wie Übel-keit und Appetitlosigkeit eingesetzt. Cannabis kann bei grünem Star den stark erhöhten Augeninnendruck, der bis zum Erblinden führen kann, auf normale Werte senken. Weiters

wird Cannabis aufgrund seiner mus-kelentspannenden Wirkung für die Unterdrückung von Spasmen, Läh-mungen und Krämpfen, wie sie zum Beispiel bei Multipler Sklerose auf-treten, eingesetzt und kann die Sym-ptome der Krankheit unterdrücken und den Patienten und Patientinnen so das Leben mit der Krankheit deut-lich erleichtern. Des Weiteren kann Cannabis auch zur Behandlung von Depressionen, Kopfschmerzen, Mig-räne und Menstruationskrämpfen herangezogen werden.

Dennoch blieb auch nach der Legalisierung von medizinischem Marihuana in den 14 Bundesstaa-ten eine rechtliche Unsicherheit. Die Regelungen der einzelnen Bun-desstaaten standen weiterhin im Konflikt mit dem Bundesrecht, das

sowohl den Konsum als auch den Handel mit Marihuana verbietet. Besonders Ex-Präsident George W. Bush weigerte sich, in seiner Amts-zeit die einzelstaatlichen Gesetze anzuerkennen und verlangte ein Eingreifen der US-Justiz auch in den 14 Bundesstaaten. Dies änder-te sich nun in der Präsidentschaft von Barack Obama. Schon im Wahlkampf hatte er angekündigt,

die rechtlichen Unsicherheiten zu beseitigen. Im Herbst 2009 wurde dann die Wende in der US-amerika-nischen Drogenpolitik eingeläutet. Obamas Justizminister Eric Holder sendete eine Weisung an alle Bun-desstaatsanwältInnen, von nun an weder die VerbraucherInnen noch die HändlerInnen in Bundesstaaten mit entsprechender Regelung straf-rechtlich zu verfolgen. Ausnahmen gelten dabei ausdrücklich beim Verkauf von Marihuana an Minder-jährige bzw. wenn es beim Kauf von Marihuana zu Geldwäsche oder zu Verstößen gegen die Waffengesetze kommt.

Seit der Volksabstimmung in Kalifornien vor 14 Jahren ist es jedem Menschen in Kalifornien über 18 Jahren möglich, mit entsprechen-

V

Mit der „Lieber bekifft ficken als

besoffen fahren“-Kampagne (2001)

gelangte die SJ binnen kürzester Zeit in so

gut wie alle Medi-en. Die SJ steigerte in Windeseile ihre Bekanntheit und

brach eine öffentliche Diskussion über Dro-genpolitik vom Zaun.

Die Kriminalisierung tausender Jugendlicher, die weiche Drogen

konsumieren, ist aufwendige und teure Symptombekämp-

fung. Eine staatlich kontrollierte Abgabe würde dem Schwarz-markt den Profit entziehen.

Drogenpolitik

24 GESELLSCHAFT24 GESELLSCHAFT

Page 25: Trotzdem Oktober 2010

der ärztlicher Empfehlung Can-nabis in kleinen Mengen selbst anzubauen oder es in Apothe-ken zu kaufen. Allein 203.000 Empfehlungen für medizini-sches Marihuana wurden von ÄrztInnen im vergangenen Jahr ausgestellt. Insgesamt sind es bereits drei Millionen Men-schen (ein Zehntel der Bevölke-rung Kaliforniens), die medizi-nisches Marihuana verordnet bekommen haben. Die Zahl der regelmäßigen Haschischkonsu-mentInnen liegt freilich wesent-lich höher. Auch die erste Can-nabis-Universität der Welt hat in Kalifornien schon ihre Türen geöffnet. An der „Oaksterdam University“ lernen hunderte Studierende nicht nur über den Cannabisanbau und –handel, sondern auch alles über den medizinischen Nutzen von Can-nabis. Mehr als 7.000 Absolvent-Innen der „Oaksterdam Univer-sity“ gibt es seit 2007, hunderte neuer StudentInnen stehen auf den Wartelisten.

It’s the economy, stupid

Mittlerweile werden in Kalifor-nien im Jahr schätzungsweise 14 Milliarden Dollar mit dem Handel mit Marihuana umge-setzt, was es zum umsatz-stärksten landwirtschaftlichen Produkt des gesamten Bundes-staates macht, weit vor ande-ren landwirtschaftlichen Pro-dukten wie Weizen oder Wein. Schon heute fließen allein durch den Verkauf von medizinischem Marihuana einige Millionen in die Kassa des Bundesstaates. Dass nun also gerade in Kalifor-nien ein neuerlicher Vorstoß für die Legalisierung von Marihu-ana kommt, verwundert ange-sichts der Wirtschaftskrise, des rekordverdächtigen Defizits von fast 20 Milliarden Dollar und dem Potential an zusätzlichen Steuern nicht. Der eingebrach-te Gesetzesvorschlag, über den die Menschen in Kalifornien am 2. November entscheiden, würde es jedem Erwachsenen in Kalifornien ab 21 Jahren erlauben, Cannabis auf einer

2,5 m² begrenzten Fläche anzu-pflanzen, knapp 30 Gramm zu besitzen und zu konsumieren. Des Weiteren dürfen von den lokalen Behörden zugelassene HändlerInnen dieselbe Men-ge pro Person verkaufen und besteuern. Damit hätte Kali-fornien die fortschrittlichsten Marihuanagesetze der Welt, selbst in den Niederlanden ist Cannabisanbau offiziell nicht erlaubt. Der Staat würde durch die Marihuana-Steuer über 1 Milliarde Dollar zusätzlicher Steuereinnahmen bekommen. Zusätzlich würde sich der Staat weitere Millionen sparen, die durch die unsinnige Krimina-lisierung und Verfolgung der MarihuanakonsumentInnen durch Justiz und Polizei verur-sacht werden.

Den BefürworterInnen war es innerhalb von nur zwei Monaten gelungen, fast 700.000 Unterschriften zu sammeln und so den Weg für eine Abstimmung über den Gesetzesvorschlag zur Lega-lisierung frei zu machen. Bei ihren Bemühungen um einen positiven Ausgang der Abstim-mung werden sie nun vor allem von den Gewerkschaften in Kalifornien unterstützt. Diese sehen neben den zusätzlichen Steuereinnahmen vor allem die Chance neuer Arbeitsplätze die mit der neuen Cannabis Indust-rie geschaffen werden können. Mit der Legalisierung wäre der Weg frei für tausende neuer und vor allem nachhaltiger Arbeits-plätze allein im Bereich des Anbaus und des Verkaufs von Marihuana. Weitere könnten

in Bereichen wie dem Canna-bistourismus entstehen.

Schon heute planen kalifor-nische Städte wie Oakland für die Zeit nach der kompletten Legali-sierung von Marihuana. Als ers-te Stadt in Kalifornien wurde in Oakland bereits Anfang 2010 von einer großen Mehrheit der Wäh-ler und Wählerinnen eine Besteu-erung von Marihuana beschlos-sen. Diese Regelung betrifft allerdings nur medizinisches Marihuana. Zusätzlich beschloss der Stadtrat von Oakland einige Wochen vor der Abstimmung über die komplette Legalisie-rung von Marihuana ein weite-res Projekt das den Hanfanbau auf der Fläche von zwei Fußball-feldern ermöglicht – vorerst nur für medizinische Zwecke. Das Projekt schafft 400 neue Arbeits-plätze und bringt der finanziell schwer angeschlagenen Stadt 1,5 Millionen Dollar an zusätzlichen Steuereinnahmen. Nach einer möglichen Legalisierung wären sowohl die Einnahmen als auch die Anzahl an neuen Arbeitsplät-zen bedeutend höher.

Meinungsumfragen zu Fol-ge ist eine Mehrheit der kalifor-nischen WählerInnen für die Gesetzesinitiative. Besonders unter den 18- bis 34-jährigen ist die Zustimmung zur kom-pletten Legalisierung von Mari-huana enorm. Gut möglich also, dass über 75 Jahre nachdem in den USA im Dezember 1933 die Alkoholprohibition abgeschafft wurde, auch schon bald die Marihuanaprohibition in Kali-fornien Geschichte ist.

Bald legal erhältlich? Die repressive Politik der Drogenverbote ist gescheitert. Was bald in Kalifor-nien Realität werden dürfte, könnte demnächst auch in Europa der Fall sein: die Legalisierung weicher Drogen.

Robert Slovacek

Der Staat würde durch die Marihuana-Steuer über 1 Milliarde Dollar zusätzlicher

Steuereinnahmen bekommen. Zusätzlich würde sich der Staat weitere

Millionen sparen, die durch die unsinnige Kriminalisierung und Verfolgung der

MarihuanakonsumentInnen durch Justiz und Polizei verursacht werden.

Alkoholprohibition in den USA:

Zwischen 1919 und 1933 wurden Verkauf, Her-

stellung und Transport von Alkohol landesweit

verboten. Im selben Atemzug wuchs die

illegale Verbreitung von Alkohol – die Alkohol-

szene verlagerte sich in „Flüsterkneipen“, also in

den Untergrund. Wäh-rend der Alkoholprohibi-tion wurde etwa doppelt soviel destillierter hoch-

prozentiger Alkohol getrunken wie vor und

nach dem Verbot.

GESELLSCHAFT 25GESELLSCHAFT 25

Foto: sphaera, sxc.hu

Page 26: Trotzdem Oktober 2010

Trotzdem: Deine Wahl zum Ver-bandsvorsitzenden 2000 gilt als Wendepunkt zu einer inhaltlichen und organisatorischen Neuausrich-tung der SJ. Was machte den Kurs-wechsel möglich?

Kollross: Ich kann aufgrund der begrenzten Länge des Interviews bestenfalls ein paar subjektive Fakten zusammentragen, die viel-leicht ein kleines Ganzes ergeben. Der Kurswechsel war aus meiner Sicht möglich, weil es ein breites Bündnis von Landesorganisationen und Teilen davon gegeben hat, die ein „weiter wie bisher“ nicht län-ger akzeptieren wollten. Da ging es einerseits um klare linke Inhalte, andererseits auch darum, wieder eine handlungsfähige Verbandsor-ganisation zu haben, die den Lan-desverbänden die Möglichkeit gibt, sich einzuordnen, um in Form von Kampagnen als SJ Österreich wie-der in der Öffentlichkeit aufzutreten. Ich habe Kampagnen des Verbandes immer auch als Service für Landes-organisationen verstanden, das Rad nicht neu erfinden zu müssen, son-dern diese übernehmen zu können, um mit den gemeinsam entwickelten Inhalten, Materialien und Aktions-formen arbeiten zu können. Anders hat eine Kampagne des Verbandes ja auch keinen Sinn, weil dieser nur die Summe seiner Strukturen und nicht das zehnte Bundesland ist. Was die vorangegangenen Geschehnisse betrifft, würde ich sagen, dass die 90er Jahre zu zwei unterschiedli-chen organisatorischen und poli-tischen Geisteshaltungen in der SJ geführt haben: Die so genann-ten „ModernistInnen“, so modern waren die aber gar nicht, und die so genannten „TraditionalistInnen“, die nach wie vor der Meinung waren, dass es wichtig ist, Jugendliche in Strukturen zu organisieren und zu politisieren. Am Ende des Tages, beim Verbandstag 2000, trafen somit zwei organisationspolitische Ausrichtungen aufeinander. Eine virtuelle SJ in Form der „Moder-nistInnen“, und eine reale mit vor-handenen Strukturen und Mitglie-dern. Die Geschichte hat zumindest vorläufig den „TraditionalistInnen“ Recht gegeben. Es bedarf aber eines ständigen, beharrlichen Weiterent-wickelns in diese Richtung, weil es keine Gesetzmäßigkeit gibt, dass das Pendel nicht auch in die andere Richtung ausschlagen kann.

Trotzdem: Wie würdest du die SJ der 1990er Jahre beschreiben?

Kollross: Anknüpfend auf die zuvor gefasste Antwort, würde ich meinen, dass die SJ in den 90er Jahren in einer politischen und organisatorischen Krise war, die vom Verbandsvorsit-

zenden Karl Delfs noch teilweise, vor allem in Form von Öffentlichkeits-arbeit, aufgefangen wurde, Mit-te der 90er Jahre aber nicht mehr wegzudiskutieren war. Die Krise hat für mich mehrere Faktoren. 1. Die Attraktivität der SPÖ nach mehr als 20 Jahren Regierung und vor allem nach mehreren Jahren Großer Koa-lition war eine enden wollende. 2. Die großen sozialen Bewegungen (z. B. Friedensbewegung), waren Geschichte und die SJ und andere gesellschaftlichen Kräfte waren nur mehr bedingt in der Lage, neue soziale Bewegungen zu entwickeln, bzw. war auch eine Basis dafür nur bedingt vorhanden. Eine Ausnahme war hier sicher das Lichtermeer, das jedoch auch in letzter Konsequenz zu einem „Grablichterl“ verkommen

ist. 3. Die Grünen hatten vor allem im jugendlichen Alternativbereich an Attraktivität gewonnen. Wenn wir uns das heute anschauen, haben sie die aber auch schnell wieder ver-loren und sind im Eilzugstempo ver-bürgerlicht. 4. Auch die SJ selbst war zu dieser Zeit alles andere als attrak-

tiv. Das alles (und noch vieles mehr) hat dazu geführt, dass in der SJ eine Richtungsdiskussion begann. Der Zusammenbruch im Osten hat jenen vermeintlich Oberwasser gegeben, die der Meinung waren, es würde sich ja auch im Kapitalismus ohne Systemkritik und damit ohne Mar-xismus ganz gut leben lassen. Diese inhaltlichen Differenzen haben dann auch zu einer Differenz der Organi-sationsausrichtung geführt, bis hin, dass ernsthaft das Mitgliederprin-zip in Frage gestellt wurde. So wie schon bei der Hainburgdiskussion war es der SJ auf Bundesebene z. B. nicht möglich, einen gemeinsamen Beschluss zum Thema EU-Beitritt zu fassen, weil die Positionen zu unter-schiedlich waren. NÖ und OÖ waren gegen einen Beitritt, die anderen

Der Zusammenbruch im Osten hat jenen vermeintlich

Oberwasser gegeben, die der Meinung waren, es

würde sich ja auch im Kapitalismus ohne Systemkritik

und damit ohne Marxismus ganz gut leben lassen.

SJ Österreich

10 Jahre linke SJDas Jahr 2000: Schwarzblau ergreift die Macht, Schüssel wirft die SPÖ nach 30 Jahren auf der Regierungsbank in die Opposition, Gusi wird SPÖ-Chef und in der SJ kommt es zum linken Kurswechsel. Ein Interview mit dem wohl besten Zeitzeugen, Andreas Kollross.

Kollross war Ver-bandsvorsitzender von 2000 bis 2004. Heute ist er Vorsit-zender der Kinder-

freunde NÖ und des Europacamps

der Sozialistischen Jugend in Weißen-

bach/Attersee.

26 GESCHICHTE26 GESCHICHTE

Page 27: Trotzdem Oktober 2010

Bundesländer meiner Erinne-rung nach dafür. Um die Ausei-nandersetzung auf Bundesebe-ne nicht führen zu müssen, gab es damals gar keine Diskussion darüber und somit ein Thema mehr, zu dem die SJ keine Posi-tion hatte. Somit blieben der Zivildienst auf der einen Seite und der Kampf gegen die brau-nen Flecken (vor allem inner-halb der SPÖ) auf der anderen Seite, der kleinste gemeinsa-me Nenner in der SJ, ohne die Wichtigkeit dieser Thematiken in Abrede stellen zu wollen. Die SJÖ war somit über Jahre nicht in der Lage, auf die sich rasant verändernde Gesellschaft pro-grammatisch und organisato-risch zu reagieren. In weiten Teilen der österreichischen Jugend überhaupt unbekannt, oder, wenn doch, dann nega-tiv behaftet, führte die SJÖ ein Schattendasein.

Trotzdem: Nach 30 Jahren ver-abschiedete sich die SPÖ 2000 in Opposition; mit der Gusen-bauer-Ära begann auch für die SPÖ eine neue Etappe. Wie war das Verhältnis zur SPÖ?

Kollross: Für eine/n anständi-ge/n SJ-lerIn muss das Verhält-nis zur SPÖ immer zwiespältig, aber auch solidarisch sein. Es gab durchaus Auseinander-setzungen, vor allem, als 2002 nach der Nationalratswahl eine Große Koalition, in der die SPÖ noch dazu als Juniorpart-ner agieren sollte, ernsthaft ins Auge gefasst wurde. Wir haben damals einige Wochen jeden Tag eine Lesung vor der SPÖ Zentrale in der Löwelstraße abgehalten und die Internati-onale gespielt. Gelesen haben wir die Wahlergebnisse jeder einzelnen Gemeinde seit dem Eintritt der SPÖ in die Große Koalition 1986, um zu verdeut-lichen, dass die Große Koaliti-on für die SPÖ nicht ein Mehr an Zustimmung bei den Men-schen gebracht hat, sondern das genaue Gegenteil. Auch die Annäherung zu Haider – Stich-wort „Spargelessen“ – oder die sogenannte „solidarische Hochleistungsgesellschaft“ waren Konfliktfelder. Alles in allem will ich aber trotzdem

eine Lanze für Alfred Gusen-bauer brechen, weil er meiner Meinung nach unter seinem Wert in der Öffentlichkeit, aber vor allem in der Partei, geschlagen wurde. Da hat die SJ, vor allem mit dem Eintritt in die Regierung, auch ihre Verantwortung und, meiner Meinung nach, vor allem nicht die inhaltliche Auseinander-setzung betrieben, sondern ist da und dort einfach nur auf den Zug „Gusibashing“ aufge-sprungen.

Trotzdem: Welchen Einfluss hatte die bundespolitische Ent-wicklung - Stichwort schwarz-blaue Regierungsbildung - auf die Geschehnisse innerhalb der SJ und die Arbeit der nächsten Jahre?

Kollross: Also zuerst muss mal gesagt werden, dass die Füh-rung der SJÖ vor 2000 den Regie-rungswechsel total verschlafen hat. Der Verbandstag war erst im Herbst 2000, während die „neue“ Regierung ja Anfang des Jahres ihren unterirdischen Gang zur Angelobung bestrit-ten hat. Wir hatten damals als SJ NÖ eigenständig eine Kam-pagne gegen diese Koalition entwickelt, die mutiert auch von SJ OÖ und Burgenland übernommen wurde, weil vom Verband gar nichts gekommen ist. Nicht einmal die Teilnahme an den damals entstandenen Donnerstagsdemos wurde von der SJÖ ins Auge gefasst bzw. wie mit dieser umzugehen ist. Wenn ich es jetzt rein aus organisationspolitischer Sicht bewerte und einmal weglas-se, was diese Regierung alles verbrochen hat, dann muss ich ehrlich festhalten, dass es als Verbandsvorsitzende/r schöner zu arbeiten ist, wenn die SPÖ in Opposition ist als in Regierung – oder, noch viel schlimmer, in Regierung mit der ÖVP. So gese-hen hat Schwarzblau zur Poli-tisierung und Reorganisierung der SJ einen Beitrag geleistet, der natürlich mit Leben zu füllen war. Von selbst geht ja bekannterweise gar nichts.

Trotzdem: Welche Lehren ziehst du aus den Versäumnissen der 90er Jahre und aus den Erfahrungen während deiner Periode?

Kollross: Dass es sich lohnt, dran zu bleiben, auch wenn der angebliche „Zeitgeist“ etwas anderes meint. Beharr-lichkeit und Beständigkeit sind

Grundvoraussetzung für das Umsetzen der eigenen Ideen und Interessen. Mein Pendant bei der JVP hat einmal auf ihrer Homepage ihr Lieblingszitat veröffentlicht, das sinngemäß so lautetet: „Wenn Sturm auf-kommt, bauen die einen Mau-ern und die anderen Segel“. Für mich war das immer eine lite-rarische Umschreibung für „a Blattl im Wind“. Es muss auch gegen den Strom geschwom-men werden, auch wenn das selten die lustigste Form ist. Nicht aus Prinzip, aber aus Überzeugung.

GESCHICHTE 27GESCHICHTE 27

Das volle Interview findest du auf www.sjoe.at !

Es muss auch gegen den Strom geschwommen werden, auch wenn das

selten die lustigste Form ist. Nicht aus Prinzip, aber aus Überzeugung.

Sowohl mit dem Schuldenberg als auch mit dem Schattendasein der SJ wurde in der Ära Andreas Kollross aufgeräumt.

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Reiche besteuern quer durch Österreich

In den letzten 3 Monaten rührten SJ-AktivistInnen quer durch Österreich die Werbe-trommel für unsere Forderung nach Einführung einer Vermögenssteuer. Von Ost bis West wurden vor den Bezirksparteisekretariaten der ÖVP Aktionstage durchgeführt – hier ein kleines Best Of der Tour!

Tour: Best Of

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Page 29: Trotzdem Oktober 2010

AUS DER SJÖ 29AUS DER SJÖ 29

Mehr Bilder und Medienberichte fi ndest du auf unserer Fanpage auf Facebook: www.reichebesteuern.at

Page 30: Trotzdem Oktober 2010

30 KALENDER30 KALENDER

Seminar

Aktiv gegen Strache

Die SJ Wien veranstaltete wie jedes Jahr ihre Sommerwerkstatt im Jugendgästehaus in Sigmundsberg (Steiermark). Heuer wur-de sie unter dem ganz besonderen Motto „Aktiv gegen Strache“ gestellt, wo hundert Jugendliche in neun Workshop mehr über die neue Kampagne erfahren konnten. Darüber hinaus wurde in den Seminaren über Rechtsextremismus, FPÖ und Nazis sowie Feminismus berichtet und zwei Workshops sogar auf Englisch abgehalten. Mit ArbeiterInnenliedersingen, Singstar und der Trash-80er/90er-Party kam natürlich auch die Unterhaltung und der Spaß nicht zu kurz.

Sommersportfest

Sun Bash 2010

Wie jedes Jahr war das legendäre Sunbash im Europacamp in Weissenbach am Attersee ein Riesenerfolg. Wiedereinmal schaffte es die SJ Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark sowie Burgenland zahlreiche Jugendliche zu mobilisieren, um ein unvergessliches Wochenende zu erleben. Wie auch in den letzten Jahren wurde ein abwechslungsreiches Programm geboten. Neben Funsport-Aktivitäten wie die Sautrogregat-ta, der Soapsliedecontest oder der Streetsoccer-Wettbewerb wurden natürlich auch interessante Workshops zu den The-men Umwelt, Sexualpädagogik, Wirtschaftskrise abgehalten. Obwohl das Wetter nicht auf unserer Seite war, ließ sich die Menge nicht davon abhalten bei der 80ies Party, dem Arbeite-rInnenliedersingen oder dem Live-Konzert, ordentlich Party zu machen. Wir freuen uns schon wieder auf nächstes Jahr.

Aktion

Pro-Choice-Tour

Wie auch schon im letzten Trotzdem angekündigt „begleiteten“ wir Pro Life auf ihrem „Marsch der Jugend“ quer durch Österreich. Start war in Graz, wo sie ihre Jugendmesse veranstalteten. Die SJ Graz, die FPK sowie die FreidenkerInnen waren auch ver-treten, um den AbtreibungsgegnerInnen Konter zu geben. Der Fußmarsch führte über Niederösterreich nach Wien. In Wiener Neustadt, Maria Lanzendorf und Trumau hielten sie Zwischensta-tion, wo zahlreiche AktivistInnen der SJ Niederösterreich Flyer verteilten und Diskussionen anzufachten, um die lächerlichen Argumente von den AnhängerInnen von ProLife zu entkräften. Ihre Abschlusskundgebung hielten sie am Schwedenplatz in Wien. Auch die SJ leistete ihnen Gesellschaft und klärte die PassantIn-nen mit Flyern über die Lügenpropaganda der fundamentalisti-schen AbtreibungsgegnerInnen auf.

Freudig blicken wir schon wieder ins nächste Jahr, um erneut den ProLife-Marsch zu erschweren.

Aktion

KalenderverteilenDie Schule hat wieder begonnen und somit auch das Verteilen der SchülerInnenkalender der SJ Österreich in allen Bundesländern. Heuer steht der Kalender ganz im Zeichen der Kampagne „Laut gegen Rechts“, um den Kampf gegen Rechtextremismus und Rassismus erneut aufzunehmen. Vor allem die letzten Ereignisse rund um die Wahlen in der Steiermark und in Wien zeigen wieder einmal, dass es von äußerster Wichtigkeit ist, sich aktiv gegen rassistische Hetze und Politik zu organisieren. Natürlich findet ihr darin auch die wichtigsten SJ-Veranstaltun-gen 2010/ 11 sowie viel Platz für eure weiteren Termine. Wer noch keinen praktischen SJ-Kalender hat, einfach in unserem Shop auf www.sjoe.at bestellen.

WAS WARWAS WAR

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28.

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7. –

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KALENDER 31KALENDER 31

Seminar

Bildungswerkstatt

Bereits zum 19. Mal veranstaltet die SJ Österreich die legendäre Bildungswerkstatt (BiWe). Gemeinsam mit über 250 Jugend-lichen kannst du neben 13 spannenden Workshops über Ras-sismus, Bildungspolitik, Internationales sowie Feminismus bis hin zu Layout und Video auch an heißen Diskussionsrunden zu aktuellen Begebenheiten mit ExpertInnen teilnehmen. Natür-lich dürfen Party und Spaß auch nicht zu kurz kommen. Heuer gibt es erstmal eine fette Helloween-Party mit Kostümwettbe-werb. Also packe deine originellste Verkleidung ein und wir sehen uns auf der BiWe.

Anmeldung unter: www.sjoe.at

Wann? Samstag, 30. Oktober – Dienstag, 2. November 2010Wo? Jugendgästehaus Cap Wörth in Velden (Kärnten)

TeilnehmerInnenbeitragErsteinzahlerInnen: 20 €Für SJ-Mitglieder: 38 €Für Nicht-Mitglieder: 55 €

Bildungsreise

Auschwitz-Studienreise

Auch in diesem Jahr veranstaltet die Sozialistische Jugend wie-der die Studienreise nach Auschwitz. Auf dem Programm ste-hen die Besichtigungen der Lager Auschwitz und Birkenau, ein Zeitzeugengespräch mit einem ehemaligen Häftling, Workshops und Diskussionen zu den Themenbereichen Rechtsextremis-mus und Faschismus sowie eine Exkursion nach Krakau. Die Studienreise bietet die Gelegenheit, um sich mit diesen Themen zu beschäftigen und die Geschehnisse aufzuarbeiten, denn der antifaschistische Kampf ist noch heute äußerst wichtig und noch lange nicht abgeschlossen!

Anmeldung unter: www.sjoe.at

Wann? Samstag, 1. Jänner – Donnerstag, 6. Jänner 2011

TeilnehmerInnenbeitragFür SJ-Mitglieder: 100 €Für Nichtmitglieder: 150 €(inkl. An- und Abreise, Unterkunft, Verpflegung, alle Unterlagen sowie die Teilnahme am gesamten Programm)

Summercamp

IUSY Festival

„Wir wissen wo wir herkommen, wir wissen wohin wir gehen!“ Unter diesem Motto steht das kommende IUSY-Festival (Inter-natonal Union of Socialist Youth), das seit über 35 Jahren wie-der einmal in Österreich veranstaltet wird. Mit 2.000 anderen Jugendlichen aus der ganzen Welt verbringst du im Europa-camp in Weisenbach/Attersee eine spannende Woche voller spannender Podiumsdiskussionen, Workshops, Ausflüge und kannst viele neue internationale Kontakte knüpfen. Natürlich wird auch für ein abwechslungsreiches Abendprogramm mit Livebands, DJs und Djanes und jeder Menge Spaß geboten. Also gleich den Termin freihalten und eine Woche Sommer, Sonne, Sozialismus erleben.

Nähere Informationen folgen in Kürze auf unserer Website:www.sjoe.at

Wann? Montag, 25. Juli bis Montag, 31. Juli 2011Wo? Europacamp in Weißenbach/Attersee

WAS KOMMTWAS KOMMT

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ICH BIN

NAME

STRASSE

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TELEFON

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TEL.-NR. :

GEB.-DAT. :

ICH WILL

mich zur BIWE anmelden.nähere Infos über die SJ.bei euch mitmachen – kontaktiert mich!Materialien zur Kampagne „Reiche müssen zahlen“.Materialien zur Kampagne „Laut gegen Rassismus“.

An die

Sozialistische JugendÖsterreichAmtshausgasse 41050 Wien

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wir!

Trotzdem 3/2010 – Die Zeitung der Sozialistischen JugendVerlagspostamt: 1050 Wien – Aufgabepostamt: 3432 Tulln

P.b.b. Zulassungsnummer: GZ 02Z032957 S

BiWe 2010Die Bildungswerkstatt der Sozialistischen Jugend ÖsterreichWissen sammeln, Spaß haben, Leute aus ganz Österreich kennen lernen, diskutieren und Partys feiern! Anmelden unter www.sjoe.at!

30.10. bis 2.11. 2010 Cap Wörth – Velden am Wörthersee