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Jan Tschichold Ausgewählte Aufsätze über Fragen der Gestalt des Buches und der Typographie

Tschichold, Jan - Gestalt des Buches

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Classic typography bible.

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Jan Tschichold

Ausgewählte Aufsätze überFragen der Gestalt des Buches

und der Typographie

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TSCHICHOLDGESTALT DES BUCHES

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JAN TSCHICHOLD

Ausgewählte Aufsätze überFragen der Gestalt des Buches

und der Typographie

BIRKHÄUSER VERLAG BASEL

UND STUTTGART

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Nachdruck verbotenAlle Rechte, insbesondere das der Übertragung

in fremde Sprachen und der Reproduktionauf photostatischem Wege

oder durch Mikrofilm vorbehalten© Birkhäuser Verlag Basel, .

ISBN ---

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Inhaltsverzeichnis

Jan Tschichold .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

Ton in der Hand des Töpfers .. .. .. .. .. .. .. .. ..

Grafik und Buchkunst .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

Über Typographie .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

Die Bedeutung der Tradition für die Typographie ..

Symmetrische oder asymmetrische Typographie? ..

Willkürfreie Maßverhältnisse der Buchseite und des Satzspiegels .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

Das traditionelle Titelblatt, typographish .. .. .. ..

Satzregeln des Verlegers für den Drucker .. .. .. ..

Wie Probeseiten aussehen sollen .. .. .. .. .. .. .. ..

Konsequenzen des Drittelsatzes .. .. .. .. .. .. .. ..

Warum Absatzanfänge eingezogen werden müssen ..

Kursiv, Kapitälchen und Anführungszeichen im Textsatz des Buches und in wissenschaftlichen Zeitschriften .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

Vom Durchschuß .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

Der satz von Notenziffern und Fußnoten .. .. .. .. ..

Auslassungspunkte .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

Gedankenstriche .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

‹Hurenkinder› und ‹Schusterjungen› .. .. .. .. .. .. ..

Die typographische Planung von Tafelwerken .. .. ..

Bogensignaturen und Bogenrücken-Signaturen .. ..

Kapitalband, Schnittfarbe, Vorsatzpapier, Lesebändchen .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

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Bücher und Zeitschriften müssen einen Rückentitel tragen .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

Schutzumschlag und Steifband .. .. .. .. .. .. .. ..

Über breite, zu große und quadratische Bücher .. ..

Weißes oder getöntes Werkdruckpapier? .. .. .. .. ..

Zehn der zurzeit häufigsten Kardinalfehler der Buch- herstellung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

Register .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

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Jan Tschichold

JAN TSCHICHOLD ist ein Sohn der Stadt Leipzig und in ihram . April geboren. wurde er Schüler der Akademie für Buchgewerbeund Graphik zu Leipzig. Von bis erteilte er andieser Hochschule den Abendunterricht in Kalligraphie. erschien in Leipzig sein Heft elementare typographie,das im Verein mit seinem in Berlin erschienenen BucheDie neue Typographie die Satzweise umgewälzt hat und bisauf den heutigen Tag nachwirkt. Seit war er Lehrer für Satzstil und Kalligraphie an derMeisterschule für Deutschlands Buchdrucker in München.Unmittelbar nach der unrühmlichen ‹Erhebung› des Jahres wurde er, wie auch seine Frau, beide erklärte Gegnerdes ‹Nationalsozialismus›, in ‹Schutzhaft› gesetzt und erseines Lehramtes beraubt. Tschichold wählte das Los der Emigration und fand inder Eidgenossenschaft, in Basel, Zuflucht. Hier entwickelteer sich zum Verkünder eines gereinigten Traditionalismusder Typographie. Er ist heute Repräsentant eines akade-misch-klassischen Satzstils. wurde er nach England berufen, um dort das innereund äußere Aussehen der weltbekannten Penguin Books zureformieren. Nach Erfüllung dieser gewaltigen Aufgabeging er nach Basel zurück. Er stand dort im Dienste einesWeltunternehmens der pharmazeutischen Industrie. Er

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wurde zum Direktor der Graphischen Akademie Mün-chen gewählt, lehnte es aber ab, diesem Ruf zu folgen. Ungezählte Schweizer Bücher und viele Millionen eng-lischer sind aus seiner Hand hervorgegangen. Seine Lehrenund sein Beispiel haben mehrere Generationen in Europaund Amerika stark beeinflußt. Die Reihe seiner eigenen Bücher, die Schrift, Schriftge-schichte, Typographie und chinesische Graphik behandeln,umfaßt einschließlich der zahlreichen Ausgaben in andernSprachen über fünfzig Titel. Für seine Verdienste um die Entwicklung der Typogra-phie als Kunst wurde ihm bereits , als bisher einzigemEuropäer, die höchste Auszeichnung der graphischen Indu-strie der USA, die Goldmedaille des American Institute ofGraphie Arts, New York, verliehen. Jan Tschichold istEhrenmitglied des Double Crown Club, London, und derSociété typographique de France. Im Juni wurde ervon der Royal Society of Arts, London, zum Honorary RoyalDesigner for Industry (Hon. R.D.I.) ernannt. Am . Juli hat ihm die Stadt Leipzig im Jahre ihresachthundertjährigen Bestehens den Gutenberg-Preis, diehöchste europäische Auszeichnung für Typographie, ver-liehen. Im Jahre ernannte ihn die Deutsche Akademie derKünste, Berlin, zum korrespondierenden Mitglied.

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Ton in des Töpfers Hand …

VOLLKOMMENE Typographie ist eher eine Wissenschaftdenn eine Kunst. Beherrschung des Handwerks ist unerläß-lich, aber ist nicht alles. Denn der sichere Geschmack, derdas Vollendete auszeichnet, beruht auf einem klaren Wissenum die Gesetze harmonischer Gestaltung. Dieses geht zwarin der Regel, obschon nur teilweise, aus einem ursprüng-lichen Gefühl hervor, doch bleiben Empfindungen ziemlichwertlos, solange sie kein sicheres Urteil auszulösen vermö-gen. Sie müssen sich zum Wissen um die Folgen der forma-len Entscheidungen wandeln. Es gibt daher keine gebore-nen Meister der Typographie; nur allmählich kann mansich zu einem solchen ausbilden. Es stimmt nicht, daß sich über den Geschmack streitenließe, solange wir damit den guten Geschmack meinen.Doch werden wir ebensowenig mit einem solchen geboren,wie wir wirkliches Kunstverständnis mit auf die Welt brin-gen. Denn zu erkennen, wer oder was auf einem Bilde dar-gestellt ist, hat ebensowenig mit Kunstverständnis zu tunwie das Urteil eines Laien über die Breitenverhältnisse derrömischen Buchstaben. Streit ist überdies sinnlos. Wer über-zeugen will, muß es besser als andere machen. Guter Geschmack wie vollkommene Typographie sindüberpersönlich. Der gute Geschmack wird heute irrtüm-lich oft als veraltet abgetan, da der Massenmensch auf derSuche nach der Bestätigung seiner sogenannten Persönlich-

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keit die eigentümliche Form der objektiven geschmack-lichen Norm vorzieht. In einem typographischen Meisterwerk erscheint dieHandschrift des Künstlers ausgelöscht. Was von manchemals persönlicher Stil angepriesen wird, sind kleine, nichtige,zuweilen sogar schädliche Eigentümlichkeiten, die sich oftfür Neuerungen ausgeben, wie etwa der Gebrauch nur einerbestimmten Schriftart, seien es entweder Groteskschriftenoder absonderliche Schriftformen des neunzehnten Jahrhun-derts, die Vorliebe für bestimmte Schriftmischungen oderdie Anwendung scheinbar kühner Regeln, etwa nur einenSchriftgrad für eine ganze Arbeit, selbst eine komplizierte,zu verwenden und anderes mehr. Persönliche Typographieist mangelhafte Typographie. Nur Anfänger und Dumm-köpfe können sie fordern. Vollkommene Typographie beruht auf vollkommenerHarmonie aller Teile. Daher müssen wir lernen und lehren,was harmonisch sei. Harmonie hängt von guten Verhält-nissen oder Proportionen ab. Proportionen stecken in allem:im Gewicht der Ränder, in den gegenseitigen Verhältnissender vier Ränder einer Buchseite, im Verhältnis des Durch-schusses einer Seite zum Ausmaß der Ränder, im Abstandder Seitenzahl von der Schriftfläche, im Ausmaß der Sper-rung von Versalzeilen im Verhältnis zum glatten Satz und,nicht zuletzt, im Ausschluß der Wörter; das heißt, in allemund jedem. Nur durch fortgesetzte Übung und strengsteSelbstkritik, durch dauerndes Lernen können wir den Sinnfür vollkommene Arbeit ausbilden. Die meisten geben sichleider mit halbwegs guten Arbeiten zufrieden. SorgfältigerAusschluß und richtiges Sperren der Versalien scheint man-

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chen Handsetzern noch immer unbekannt oder unwichtigzu sein, obwohl es für den, der sucht, nicht schwer ist, dierichtigen Regeln zu finden. Da Typographie sich an jedermann wendet, bietet siekeinen Raum für umwälzende Änderungen. Die Form nichteines einzigen Buchstabens können wir wesentlich verän-dern, ohne das Satzbild unsrer Sprache zu zerstören und da-mit unbrauchbar zu machen. Bequeme Lesbarkeit ist die oberste Richtschnur aller Ty-pographie. Über Lesbarkeit kann jedoch nur der ein Urteilfällen, der im Lesen wirklich geübt ist. Nicht jeder, der eineFibel oder auch eine Zeitung lesen kann, ist Richter; dennbeides ist in der Regel gerade noch leserlich, entzifferbar.Entzifferbarkeit und ideale Lesbarkeit sind Gegensätze,Gute Lesbarkeit hängt von der richtigen Wahl der Schriftund der ihr angemessenen Satzweise ab. Gründliche Kennt-nisse in der Geschichte der Buchdrucklettern sind eineunabdingbare Voraussetzung vollkommener Typographie.Noch wertvoller ist eine tätige Kenntnis der Kalligraphie. Die Typographie der meisten Zeitungen ist entschiedenzurückgeblieben. Ihre Formlosigkeit zerstört alle Ansätzeguten Geschmacks und verhindert dessen Ausbildung. Daviele Menschen aus Denkfaulheit mehr Zeitungen als Bü-cher lesen, ist es kein Wunder, daß auch die übrige Typo-graphie, die der Bücher nicht ausgenommen, so wenig ent-wickelt ist. Woher auch soll selbst ein Setzer, falls er mehrZeitungen als sonst etwas liest, sein Wissen über guten ty-pographischen Geschmack beziehen? Und wie man sich angeringes Essen gewöhnen mag, wenn man kein besseresbekommen kann und daher jede Möglichkeit der Verglei-

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chung fehlt, so haben sich viele der heutigen Leser daruman schlechte Typographie gewöhnt, weil sie mehr Zeitun-gen als Bücher lesen und damit ihre Mußestunden, wie siees mit Recht nennen, totschlagen. Sie kennen keine bessereTypographie und können daher keine bessere verlangen.Den übrigen fehlt die Stimme, da auch sie nicht sagen könn-ten, wie es besser zu machen sei. Anfänger und Amateure messen dem sogenannten Einfallzuviel Gewicht bei. Vollkommene Typographie entstehtvorwiegend durch die Wahl zwischen verschiedenen Mög-lichkeiten, deren Kenntnis Sache langer Erfahrung, wie dierichtige Wahl Sache des Taktes ist. Gute Typographie kannnicht witzig sein. Sie ist das genaue Gegenteil eines Aben-teuers. Der Einfall zählt also wenig oder gar nicht. Er zähltum so weniger, als er nur auf gerade eine Arbeit anwendbarist. In einer guten typographischen Arbeit sind alle einzel-nen Teile formal durch einander bedingt, und ihre Verhält-nisse werden langsam erst während der Arbeit entwickelt.Gute Typographie ist heute eine eminent logische Kunstund unterscheidet sich durch den Anteil selbst von Laiennachprüfbarer Logik von allen andern Künsten. Dennochdarf unter Umständen eine sachlich begründete, aber zuweit gehende Abstufung der Schriftgrade dem einfacherenAussehen geopfert werden. Je bedeutender der Inhalt des Gedruckten ist, je länger eserhalten werden soll, um so sorgfältiger, um so ausgewoge-ner, um so vollkommener muß seine Typographie sein.Nicht nur Ausschluß und Durchschuß müssen peinlichsterKritik standhalten, sondern auch die Proportionen der Rän-der, die aller verwendeten Schriftgrade und die Anordnung

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der Titelzeilen müssen edle Verhältnisse zeigen und unab-änderlich wirken. Die Entscheidungen in der höheren Typographie, etwaeines Buchtitels, sind, wie ein wirklich hochentwickelterGeschmack, der freien Kunst verwandt. Sie können Formenhervorbringen, die in ihrer Vollkommenheit guter Malereiund Bildhauerei ebenbürtig sind. Dem Kenner nötigen siesogar mehr Hochachtung ab als diese; denn der Typographist durch den unabänderlichen Wortlaut fester denn irgend-ein anderer Künstler gefesselt, und nur der Meister kanndie starren Buchdrucklettern zu ihrem wahren Leben er-wecken. Vollendete Typographie ist gewiß die sprödeste allerKünste. Aus starren, zusammenhanglosen, gegebenen Tei-len soll ein Ganzes entstehen, das lebendig und wie auseinem Guß erscheint. Nur die Steinbildhauerei kommt voll-endeter Typographie an Spröde nahe. Für die meisten Men-schen bietet vollendete Typographie ästhetisch keine be-sonderen Reize, da sie schwer zugänglich ist wie die hoheMusik. Im besten Falle wird sie dankbar hingenommen. DasBewußtsein, namenlos und meist ohne besondere Anerken-nung wertvollen Werken und der knappen Anzahl optischsensitiver Menschen einen Dienst zu erweisen, ist in derRegel die einzige Belohnung für die lange, doch nie endendeLehrzeit des Typographen.

Geschrieben in England, Ende

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Graphik und Buchkunst

DIE Arbeit des Buchkünstlers unterscheidet sich wesentlichvon der eines Graphikers. Wahrend dieser beständig auf derSuche nach neuen Ausdrucksmitteln ist, wozu ihn minde-stens das Verlangen nach ‹persönlichem Stil› drängt, mußder Buchentwerfer der getreue und taktvolle Diener des ge-schriebenen Wortes sein und diesem zu einer Darstellungverhelfen, deren Form niemals den Inhalt überschreien oderbevormunden darf. Die Arbeit des Graphikers muß den Be-dürfnissen des Tages entsprechen und lebt, außer in graphi-schen Sammlungen, selten längere Zeit; das Buch aber solldie Zeiten überdauern, Selbstverwirklichung ist das Zieldes Graphikers, Selbstentäußerung die Aufgabe des seinerVerantwortung und Pflicht bewußten Buchkünstlers. DasFeld des Buches ist daher kein Gebiet für denjenigen, der‹den Ausdruck der Gegenwart prägen› oder ‹Neues› schaf-fen will. In der Buchtypographie kann es nichts Neues imstrengen Sinne dieses Wortes geben. Die vergangenen Jahr-hunderte haben Methoden und Regeln entwickelt, die nichtmehr zu verbessern sind und die man nur zu neuem Lebenerwecken und wieder anwenden muß, weil sie im Laufe derletzten hundert Jahre mehr und mehr vergessen wurden,um vollkommene Bücher machen zu können. Vollkommen-heit, vollkommene Anpassung des typographischen Aus-drucks an den Inhalt ist das Ziel wahrer Buchkunst; Neu-heit und Überraschung ist das Streben werbender Graphik.

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Die Buchtypographie darf nicht werben. Übernimmt sieElemente der werbenden Graphik, so mißbraucht sie denText im Dienste der Eitelkeit des Graphikers, der es nichtfertigbringt, als Diener des Werkes vollständig zurückzu-treten. Das heißt keineswegs, daß seine Arbeit farblos undjedes Ausdrucks bar sein soll oder gar ein in einer Druckereianonym entstehendes Buch nicht schön sein könne. Dankder Tätigkeit STANLEY MORISONS, des leitenden Künst-lers der Monotype Corporation in London, ist in denvergangenen Jahren die Zahl edler Druckschriften ge-waltig angestiegen. Durch die Wahl einer dem Inhaltmöglichst vollkommen entsprechenden Schrift und durchden Entwurf einer vollkommen schönen, ideal lesbaren, gutdurchschossenen, nicht zu weit ausgeschlossenen Seite mitharmonisch abgewogenen Rändern, durch die taktvolleWahl geeigneter Grade für die Überschriften und den Ent-wurf eines wirklich schönen und reizvollen, mit der Text-typographie harmonierenden Innentitels kann der Buch-künstler erheblich zum Genuß eines wertvollen literari-schen Werkes beitragen. Benützt man aber Modeschriften,etwa eine Grotesk oder eine der nicht immer unschönen,aber für ein Buch meistens zu aufdringlichen deutschenKünstler-Handsatzschriften, so macht man das Buch zueinem Modeartikel. Dies ist nur richtig, wenn es sich umbuchähnliche Erzeugnisse von kurzer Lebensdauer handelt,aber abwegig, wenn das Buch einige Bedeutung hat. Je grö-ßer diese ist, um so weniger darf der Graphiker sich selbst inPositur setzen und mit seinem ‹Stil› dokumentieren, daßer und niemand anders das Buch gestaltet hat. Daß Werkeüber die neue Architektur oder über neue Malerei ihren

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typographischen Stil aus jener ableiten dürfen, sei unbestrit-ten; doch sind das seltenste Ausnahmen. Schon in einemBuche über Paul Klee etwa erscheint es mir unrichtig, diegewöhnliche Grotesk als Schrift zu wählen, weil deren Ar-mut der Subtilität dieses Malers ins Gesicht schlägt. Gareinen Philosophen oder einen klassischen Dichter aus diesernur scheinbar modernen Schrift zu setzen, ist undiskutabel.Der Buchkünstler muß seine Persönlichkeit ganz und garabstreifen. Er muß vor allem einen ausgeprägten Sinn fürLiteratur haben und deren gelegentlichen Rang richtig ein-schätzen können; rein visuell Eingestellte ohne literarischeInteressen sind als Buchentwerfer unbrauchbar, weil sieschwerlich erkennen können, daß die Kunst ihrer Entwürfeden Respekt vor der Literatur, der sie dienen sollten, ver-missen läßt. Darum ist wirkliche Buchkunst eine Sache des Taktesallein und vor allem des heutzutage nur selten richtig be-werteten Guten Geschmacks. Da das Vollkommene, demder Buchkünstler nachstrebt, wie alles Vollkommene immerein wenig in der Nähe des Langweiligen steht und von Un-sensibeln mit diesem verwechselt wird, so hat es, zumal ineiner Zeit, die auf handgreifliche Neuheiten ausgeht, kei-nerlei Werbekraft. Ein wirklich gut gemachtes Buch ist nurvon einer Elite als solches erkennbar; die übergroße Mehr-zahl der Leser empfindet seine exzeptionelle Qualität nurdumpf. Ein wirklich schönes Buch muß auch äußerlichnichts Neues, sondern soll nur vollkommen sein. Der Schutzumschlag des Buches allein bietet die Möglich-keit, die formale Phantasie schweifen zu lassen. Es ist zwarkein Fehler, diesen dem Buch und seiner Typographie anzu-

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gleichen, ist er doch in erster Linie ein kleines Plakat, dasden Blick auf sich ziehen soll und worin vieles erlaubt ist,das im Buche selber unschicklich wäre. Leider ist auf Kostender heutigen farbenprächtigen Schutzumschläge der Ein-band, das eigentliche Kleid des Buches, oft arg vernach-lässigt worden. Viele Leute huldigen, vielleicht daher, derUnsitte, die Schutzumschläge aufzubewahren und die Bü-cher mit ihnen in den Bücherschaft zu stellen. Ich begreifedas noch, wenn der Einband dürftig oder gar häßlich ist;doch gehören Schutzumschläge in den Papierkorb wie Zi-garettenschachteln. Im Buche selbst aber ist Selbstentäußerung die oberstePflicht des verantwortlichen Entwerfers. Er ist nicht desTextes Herr, sondern sein Diener.

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Über Typographie

TYPOGRAPHIE, mag sie noch so armselig sein, ist niemalsselbstverständlich oder auch nur zufällig. Schön gesetzteDruckarbeiten gar sind stets Ergebnisse langer Erfahrun-gen. Zuweilen sind sie sogar eigentliche künstlerische Lei-stungen von hohem Rang. Weit eher aber als die Werke derfreien Kunst ist die Kunst des Satzes, weil sie sich nicht nuran einen engen Kreis wendet, jedermanns kritischem Urteilausgesetzt, und dieses wiegt hier mehr als irgendwo sonst.Typographie, die nicht jedermann lesen kann, ist unbrauch-bar. Ob etwas wirklich leicht und mühelos zu lesen ist, kannselbst der nicht leicht beurteilen, der dauernd über Leser-lichkeit und Lesbarkeit nachsinnt. Und der Durchschnitts-leser revoltiert ja nur, wenn die Typen zu klein sind odersein Auge irritieren. Beide Eigenschaften sind indessen be-reits Zeichen einer gewissen Unlesbarkeit. Alle Typographie besteht aus Buchstaben. Diese erschei-nen entweder als fortlaufender glatter Satz oder als Anord-nungen von Zeilen in verschiedenen Graden und manchmalsogar von kontrastierender Form. Gute Typographie be-ginnt, und das ist keineswegs etwas Nebensächliches, schonbeim Satz der einzelnen Textzeilen eines Buches und selbsteiner Tageszeitung. Aus genau der gleichen Schriftart undGröße lassen sich sowohl angenehm und leicht leserlichewie schwer leserliche Zeilen setzen. Zu weiter Ausschlußund kompresser Satz verdirbt fast jede Schrift.

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Zunächst aber trägt die Form der Buchstaben selbst inhohem Maße zur Leserlichkeit oder ihrem Gegenteil bei.Nicht sehr viele Menschen machen sich über die Form derSchrift Gedanken. Die für einen bestimmten Zweck am be-sten geeignete Schrift aus der Unzahl vorhandener Typenherauszufinden, ist einem Laien kaum möglich. Es handeltsich auch keineswegs nur um eine Frage des Geschmacks. Das gedruckte Wort wendet sich an jedermann, an Un-gebildete und Gebildete, an Menschen fast jeden Alters.Wer lesen kann, bedient sich einer Übereinkunft, die zäherund weniger ausrottbar ist als irgendeine. Keines einzigenBuchstabens Merkmale können wir ändern, ohne damitzugleich das ganze Schriftbild fremdartig und damit un-brauchbar zu machen. Je ungewöhnlicher das Wort aus-sieht, das wir doch schon millionenmal in der uns vertrautenForm wiedererkannt, das heißt soviel wie gelesen haben,um so eher werden wir von seiner Form gestört. Denn wirverlangen es unbewußt in üblicher Gestalt. Alles anderebefremdet uns und erschwert das Lesen. Wir dürfen darausschließen, daß eine Type um so leserlicher ist, je wenigerihre Grundformen sich von den schon seit vielen Generatio-nen gebrauchten unterscheiden. Wohl sind kleine Abwand-lungen, etwa an der Form und Länge der Endstriche, amStärkeverhältnis der kräftigern und schwächern Teile derBuchstaben denkbar. Doch finden diese virtuellen Variatio-nen ihre Grenze in der Übereinkunft über die Form derBuchstaben. Am Ende einer fünfzigjährigen Zeit des Experimentie-rens mit zahlreichen neuartigen, andersartigen Schriftensteht die Einsicht, daß die besten Schriften entweder die

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klassischen Schriften selbst (soweit sich ihre Stempel oderderen Abschläge bis auf unsere Zeit erhalten haben) oderihre Nachschnitte oder neue Schriften sind, die sich nichtweit von diesen entfernen. Eine zwar späte und kostspielige,aber dennoch wertvolle Erkenntnis. Die vornehmste Tu-gend einer Schrift ist, sich als solche gar nicht bemerkbar zumachen. Wirklich gute Typographie soll auch nach zehn,fünfzig, hundert Jahren noch leserlich sein und den Lesernicht abstoßen. Nicht von allen Büchern des vergangenenHalbjahrhunderts läßt sich das sagen. Manches verstehtnur, wer die historischen Zusammenhänge kennt. Im Be-streben, zu reformieren – und gar viel war um die Jahrhun-dertwende reformbedürftig –, ist man oft weit übers Zielhinausgeschossen. Dem heutigen Betrachter scheint es, daß man vor allemanders sein wollte als früher. Eine neue Schrift sollte eineweithin als solche erkennbare, Achtung heischende Persön-lichkeit sein. Einer noch ein wenig primitiv verstandenenReklame kamen diese etwas auffälligen Schriftpersönlich-keiten zustatten. Heute aber ist die Wirkung der meistenneuen Schriften, die vor dem ersten Weltkrieg erschienen,längst verbraucht. Nur einzelne von ihnen können nochverwendet werden. Das Bild der Typographie, das sich um bot, war vomStilwillen der verschiedenartigsten Persönlichkeiten zer-furcht und litt unter einer Unzahl verschiedenartiger Schrif-ten. Setzmaschinen, die heute einen wohltätigen Einflußausüben, da sie die Zahl der verwendeten Schriften be-schränken helfen, waren damals viel seltener als heute. Fastalles wurde noch von Hand gesetzt. Wohl gab es andere,

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aber nicht immer wirklich bessere Schriften als um undkaum weniger viele. Gedankenlose Schriftmischungen wu-cherten wie Unkraut. Als Pionier sauberer, strenger Typo-graphie ist vor allen andern CARL ERNST POESCHEL zunennen, der früher als andere typographische Ordnung an-strebte und selbst mit heute zum Teil häßlich wirkendenSchriften Vortreffliches schuf, ferner JAKOB HEGNER, dermit einer wohlüberlegten Auswahl alter Schriften eineMenge noch heute schöner Bücher druckte. Im Jahre trat die sogenannte Neue Typographieauf. Sie verlangte radikale Einfachheit und Abkehr vomzentrierten Satz. Dabei beging sie zwei Denkfehler. Sie legtedie Verworrenheit der typographischen Durchschnittsformallein den Schriftarten zur Last und glaubte, in der End-strichlosen, der Grotesk, das Heilmittel und gar die Schriftunserer Zeit gefunden zu haben. Und sie hielt die ‹Mittel-achse›, die allerdings zu lächerlichen Gebilden mißbrauchtwurde, für eine Zwangsjacke und wünschte ihr durch Asym-metrie zu entgehen. Eine strenge Verminderung der Zahlder verwendeten Antiqua- und Frakturschriften, wo nötigihre Ersetzung durch die besten lieferbaren Formen, undeine strengere Anordnung hätten aber damals wie heutegenügt, das Bild der Typographie erheblich zu verbessern.Die Endstrichlose ist nur scheinbar die einfachste Schrift.Sie ist eine für kleine Kinder gewaltsam reduzierte Formund für Erwachsene schwerer lesbar als die mit den keines-wegs ornamental gemeinten Endstrichen versehene Anti-qua. Auch ist Asymmetrie keineswegs besser als Sym-metrie, nur anders. Beide Anordnungsarten können gutsein.

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Die Neue Typographie hinterließ ihre Spuren in zahl-reichen neuen, nicht immer besseren Endstrichlosen. Vielspäter erst gelangte sie auch nach England, Italien und denVereinigten Staaten. Während sie in England nur selten ver-standen wurde und kaum Bedeutung erlangte, obwohl dieenglische Durchschnittstypographie noch heute einer ähn-lichen Reinigung bedarf wie einst die deutsche, fand sie inItalien und besonders in den Vereinigten Staaten intelli-gente und phantasiebegabte Schüler. In Deutschland wurdeihre Entwicklung, die sonst schneller auf natürliche Art ge-endet hätte, abgeschnürt. Die Gießereien haben damals eine große Anzahl neuerGroteskschriften herausgebracht, und eine Zeitlang sahman fast keine andern Schriften. Es fehlte auch nicht an zumTeil sogar fruchtbaren typographischen Experimenten. In-des wird selten viel auf einen Hieb erreicht, und eine Ver-besserung auch nur der Typographie von Grund auf kannnicht das Werk eines halben Jahrzehnts sein. Ein chinesi-sches Sprichwort sagt: Stäte Arbeit gibt feine Ware. Doch wurden neben den vielen Endstrichlosen in jenerZeit noch andere Schriften herausgebracht, die sich nichtder Mode verschrieben hatten und zum Teil Aussicht aufeine längere Lebensdauer haben. Unter den Handsatzschrif-ten bilden die Schriften von EMIL RUDOLF WEISS vermut-lich den wertvollsten Beitrag des dritten Jahrzehnts unseresJahrhunderts an die Typographie. Unter den Setzmaschi-nenschriften der verschiedenen Systeme haben bleibendenWert die Matrizen nach noch in Abschlägen vorhandenenklassischen Schriften, etwa der Walbaum-Antiqua und derWalbaum-Fraktur, und einige Neuschnitte nach alten

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Schriften, die mehr oder weniger getreu nach alten Druckenhergestellt worden sind. Heute gilt die Einsicht, daß nurdiejenigen Schriften wirklich gut sind, die den Hauptaus-prägungen der überlieferten klassischen Schriften minde-stens sehr nahestehen. Unter diesen Hauptvertretern der klassischen Schriftenoder ihren zeitgenössischen Abwandlungen heißt es, einevernünftige, möglichst kleine Auswahl zu treffen. Viele mo-derne Schriften sind ja nur verdorbene Abwandlungen alterSchriften. Um gute Formen von mangelhaften zu unter-scheiden, bedarf es eines sehr geübten Auges, und nur dasunermüdliche Studium der vortrefflichsten Druckschriftender Vergangenheit befähigt zu einem Urteil. Eine gute Druckschrift soll von edler Zeichnung sein unddas Auge freundlich berühren. Im übrigen darf sie nicht be-sonders auffallen. Dicke und dünne Striche müssen ein maß-volles Verhältnis zeigen. Ihre Unterlängen sollten unver-kürzt sein, und der durchschnittliche Abstand zwischenzwei Buchstaben, das heißt die Zurichtung des Schriftgie-ßers, darf nicht unverhältnismäßig knapp sein. Eine etwaszu enge Zurichtung entstellt viele Schriften neuerer Zeitund auch manche Nachschnitte guter, verlorengegangenerTypen. Eine jede Druckerei sollte mindestens einen Vertreter derÄltern Antiqua (der Schriftgattung, die gemeinhin, aberungenau, als Mediäval bezeichnet wird) mit der zugehöri-gen Kursiv in sämtlichen Graden von Punkt aufwärts, ein-schließlich der Grade Punkt und Punkt, bis hinauf zu Punkt, besitzen, ferner eine gute Fraktur, ebenfalls inallen Graden, mindestens aber bis Punkt. Mir erscheint

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der Besitz einer Antiqua Jüngern Stils (zum Beispiel der Bo-doni) weniger dringend als der einer Antiqua des Über-gangsstils (etwa der Baskerville); jedoch läßt sich gegendie Walbaum-Antiqua nichts vorbringen, zumal sie der Bo-doni dank ihrer Zurückhaltung überlegen ist. Eine guteEgyptienne und eine gute Endstrichlose sind wohl notwen-dig, doch muß man bei ihrer Auswahl an die schon vorhan-denen Grundschriften denken und von vornherein unhar-monische Mischungen zu vermeiden trachten. Vorbedingung für ein gutes Aussehen der fertigen Arbeitund für eine angenehme Leserlichkeit ist der richtige Satzjeder einzelnen Zeile. Noch ist der zu weite Satz in fast allenLändern die Regel. Er ist ein Erbteil des neunzehnten Jahr-hunderts, dessen dünne, spitzige und zu helle Schriften denSatz mit Halbgevierten geradezu fordern. Unsere etwaskräftigeren Schriften verlieren ihren Zusammenhang alsZeile, wenn sie so weit gesetzt werden. Der Satz mit Drittel-gevierten und noch enger sollte zur unbedingten Richt-schnur, und nicht nur in Büchern, gemacht werden. Nachdem Schlußpunkt den Wortabstand zu vergrößern, ist un-nötig, falls das Werk nicht aus ungewöhnlich langen Sätzenbesteht. Die Anfänge der Absätze sollen unbedingt eingezogenwerden. Satz ohne Einzüge, leider in Deutschland, und nurdort, fast die Regel, ist eine schlimme Unsitte, die ver-schwinden sollte. Der Einzug, in der Regel ein Geviert, istdas durchaus einzige sichere Mittel, einen Absatz zu kenn-zeichnen. Denn das Auge, am Ende einer Zeile angelangt, istzu träge, einen knappen Ausgang zu bemerken, der überdiesin Werken ohne Einzüge häufig erst nachträglich hergestellt

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werden muß. Es kommt ja auch keineswegs so sehr auf einenmöglichst ruhigen Umriß des glatten Satzes an als auf besteLeserlichkeit und Klarheit. Daher ist der Satz ohne Einzügeals Irrtum zu verwerfen. Auszeichnungen in der Fraktur werden gewöhnlich ge-sperrt. Früher setzte man dort Schwabacher oder auch einengrößeren Frakturgrad. Verführt durch den Fraktursatz,pflegen manche Setzer auch den Antiquasatz durch Sper-rung statt durch Kursivsatz auszuzeichnen. Dies ist nichtlänger richtig. Auszeichnungen im glatten Antiquasatzmüssen durch Kursiv bewirkt werden. Eine weitere Aus-zeichnungsart bilden die Kapitälchen, die im Fraktursatzihresgleichen nicht haben. Kapitälchen sind besser als dieHalbfette, die nur im deutschen Sprachgebiet in so ausge-dehntem Maße verwendet wird. Dafür fehlen hier leider dieKapitälchen fast überall. Werden sie verlangt, so muß mansie durch einen kleineren Grad der Versalien mühsam vor-täuschen. Es ist daher dringend zu wünschen, daß der Ge-brauch der Kapitälchen mehr gepflegt werde und vor allemdie besten Setzmaschinenschriften, aber auch die wichtig-sten Handsatzschriften, um ihre Kapitälchen bereichertwerden. Es sollte eine oberste Regel sein, daß Gemeine nie undunter gar keinen Umständen gesperrt werden. Die einzigeAusnahme ist die Auszeichnung im glatten Fraktursatz.Alle Sperrung verdirbt die Leserlichkeit und die Harmoniedes Wortbildes. Daß man in Buchtiteln und Akzidenzarbei-ten so häufig sperrt, geht auf die Satzweise der Zeit der deut-schen Klassiker zurück, die durchaus keine Glanzzeit derTypographie war. Was aber in der Fraktur noch zur Not er-

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träglich ist, wird in der Antiqua und in der Kursiv zum häß-lichen Unsinn. Gesperrter Satz kostet überdies doppelt so-viel wie gewöhnlicher. Anders steht es mit den Antiquaversalien. Diese müssenstets und unter allen Umständen gesperrt werden, undzwar mindestens mit einem Sechstel der Kegelstärke. DiesesSechstel ist indes nur als Richtwert aufzufassen, da die Spa-tien zwischen den Versalien ihrem optischen Werte nachgegeneinander ausgeglichen werden müssen. Es sollteselbstverständlich sein, daß der Ausschluß von Wörtern,die aus Versalien gesetzt sind, größer sein muß als der zwi-schen Wörtern aus Gemeinen; doch ist er oft entweder der-selbe, das heißt zu knapp, oder viel zu weit. Er muß zwardeutlich, soll aber nicht unnötig dick sein. Was man als Stil der Typographie bezeichnen könnte,wird zunächst durch Lebensform und Arbeitsbedingungenbestimmt. Wir sind zum Beispiel ganz und gar nicht mehrimstande, reiche und gar vielfarbige Einrahmungen undUntergründe, wie sie im neunzehnten Jahrhundert vor-kamen, zu erstellen. Sie wären viel zu kostspielig. Wahr-scheinlich gäbe es auch niemand, der sie setzen könnte. Wirmüssen mit unserer knappen Zeit rechnen und einen leichtgangbaren Weg suchen. Was allzu umständlich ist, ist kaummodern. Einfachheit ist überhaupt, heute mehr denn je, das Adels-zeichen meisterlicher Arbeit. Wer je einem Meister bei derArbeit über die Schulter schauen durfte, war gewiß erstaunt,wie leicht und flink ihm alles von der Hand geht. Es sieht soaus, als ob er seine Arbeit aus dem Ärmel schüttle. Wer müh-sam probieren muß, ist noch Lehrling.

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Ich mußte so viel über die Typen, deren sich der Setzerbedienen muß, sagen, weil ohne diese Schriften und ohnedaß man weiß, warum man gerade sie verwendet, keine or-dentliche Arbeit entstehen kann. Umhertasten unter allenmöglichen Schriften bedeutet Pröbeln, Zeitverlust, teureArbeit. Das gilt auch, wenn Entwurf und Ausführung einerArbeit verschiedenen Händen anvertraut werden. Wer nurzeichnen, aber nicht setzen kann, kann schwerlich eine guteund brauchbare typographische Skizze liefern, und beides,Skizze und Ausführung, muß flink von der Hand gehen.Dem Entwerfer, falls ein solcher in der Druckerei beschäf-tigt wird, müssen die spezifischen Möglichkeiten der vor-handenen Schriften ständig gegenwärtig sein, und er mußwissen, was umständlich und was einfach zu setzen ist. Undnur, wenn seine Skizze fehlerlos ist, wird der Satz genau dassein, was ihm vor Augen stand. Ein zeichnender Laie, derja das eigentümliche, perlende Schwarzweiß der Typen garnicht recht kennt und nicht imstande ist, auf dem Instru-mentarium der Typographie zu spielen, wird stets über-rascht und unzufrieden sein. Nach einer guten Skizze, dienicht einmal immer sauber und für Laien verständlich zusein braucht, muß selbst ein durchschnittlicher Setzer mü-helos und schnell setzen können. Ein Meister könnte wohlauch ohne Skizze setzen, wenn’s sein muß, aber auch er wirdin der Regel vor dem Satz eine Skizze machen, schon umden Neusatz auch nur eines Wortes zu vermeiden. Ein Mei-ster tut keinen Handgriff zuviel. Es gibt Arbeiten, die mehr als den üblichen Aufwand imEntwurf oder in der Ausführung oder in beidem verlangen.Sie sind aber selten und müssen es bleiben. Wenn auch die

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Arbeitsstunde des Entwerfers vielleicht teurer ist als die desSetzers, so sind drei Skizzen, selbst haargenaue, noch immerbilliger als drei gesetzte Ausführungen. Vor allem aber muß der Entwurf aus dem Geiste der Ty-pographie geboren und nicht darauf angelegt sein, die Wir-kungen anderer graphischer Techniken, etwa der Lithogra-phie oder der Zeichnung, zu erreichen oder sie auszuste-chen. Typographie ist eine eigenständige Kunst, anders alsbeide. Es gibt zwei berühmte Schriftproben, beide wahreDenkmale typographischer Kunst. Die eine ist wenigstensdem Namen nach ziemlich bekannt; das Manuale tipograficoGIAMBATTISTA BODONIS, Parma . Die andere, tech-nisch und künstlerisch weit erstaunlicher, kennen nur we-nige. Ich meine das Spécimen-Album von CHARLES DER-RIEY, Paris . Es ist in hunderten bunter Farben, zahl-losen Schriften und mit abertausenden von Ornamentenverschiedener Form gesetzt und gedruckt, von wirklichhohem Geschmack und einer unübertrefflichen Genauig-keit im Aufeinanderpassen der vielen bunten Formen. So-sehr auch ein Setzer dieses Werk bewundern würde, eigent-liche Typographie ist es nicht. Es ist nur die täuschendeImitation lithographischer Wirkungen durch Typographie,ein Scheinsieg der Typographie über die Lithographie. EinRest solcher irriger Bemühungen sind die hochempfind-lichen englischen Schreibschriften in unseren Steckkästen.Sie täuschen Lithographie vor, und gerade darum sind siekeine guten Buchdruckschriften. Gute Typen sind solid,und allzu feine Haarstriche, gar verbundene Schrift, sinduntypographisch. Gute Typographie zeigt einen einfachen Aufbau. Die zur

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Mitte geschlossene Zeile ist eine spezifische und sogar diewichtigste Anordnungsart guter Typographie. Sie ist nochheute so modern wie je. Der Schreiber, auch der Maschinen-schreiber, stellt seine Überschriften nicht gerne zur Mitte,weil es ihm Mühe macht. Allein in der Typographie istdiese Anordnung sinnvoll. Das Anordnen verschieden gro-ßer Kegel auf Mitte untereinander ist die zugleich einfach-ste und beste typographische Methode, weil sich die Zei-lenzwischenräume leicht und schnell im Schiff abändernlassen. Die Kunst steckt zum großen Teil in den Zwischen-räumen. Senkrecht gestellte Zeilen sind nicht nur schwerlesbar, sondern auch technisch mangelhaft, weil ihre Beweg-lichkeit im Schiff viel geringer ist. Ganz zu schweigen vomschrägen Satz, der dem typographischen Ordnungssystemzuwiderläuft. Man kann gewiß auch mit Gips arbeiten, aberTypographie ist das nicht. Gute Typographie ist sparsam im Zeitaufwand und auchin den Mitteln. Wer ein normales Buch mit Ausnahme derTitelseiten aus einem einzigen Grad und seiner Kursiv set-zen kann, versteht seine Sache. Wer mehr als drei Kästen füreine kleinere Akzidenzarbeit oder einen einfachen Titel auf-stellen muß, hat noch nicht ausgelernt. Doch darf, wer einBriefformular ganz aus einem einzigen Schriftgrade setzenzu dürfen glaubt, nicht meinen, er habe den Stein der Weisengefunden. Er verwechselt die Bequemlichkeit des Lesersmit seiner eigenen und übersieht, daß der Wortlaut auswichtigen und weniger wichtigen Teilen besteht. Was wir tun und wie wir es tun, soll in allen Teilen einereinleuchtenden Notwendigkeit entspringen. Wo wir sienicht erkennen oder fühlen, ist etwas faul. Geschmackliche

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Eiertänze können lustig wirken, aber kaum auf Dauer An-spruch erheben. Der Setzer soll ein Meister, aber kein Clownsein, der jeden Tag andere Kapriolen schlägt. Der Streit um Symmetrie oder Asymmetrie ist müßig.Beide haben ihre Gebiete und besondern Möglichkeiten.Man glaube aber nicht, daß die unsymmetrische Satzweise,weil jünger, unbedingt die moderne oder gar die absolutbessere sei. Sie ist im besten Falle keineswegs einfacher oderleichter als die symmetrische, und über die symmetrischeals etwas angeblich Veraltetes die Nase zu rümpfen, ist einZeichen geringer Reife. Ein Katalog mag mit asymmetri-scher Typographie militärische Ordnung demonstrieren.In einem Buche aber stört sie den Fluß des Lesens. Asymme-trische Briefbögen können besser sein als symmetrische,aber asymmetrisch gesetzte kleinere Anzeigen bieten, zurSeite vereinigt, einen greulichen Anblick. In der Typogra-phie gilt nicht der alte oder ein neuer Stil, sondern nur, wasgut ist.

Das folgende Kapitel wurde vom Verfasser als Vortrag ge-halten an der Zweihundertjahrfeier der Hochschule für Gra-phik und Buchkunst zu Leipzig am . Oktober .

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Die Bedeutung der Traditionfür die Typographie

ZAHLREICHE Bauten und Gebrauchsgegenstände sind un-verwechselbare Zeugnisse der Gegenwart. Veränderte Bau-methoden haben die Architektur, neue Produktionsweisenund Werkstoffe die Gestalt der meisten Gegenstände gänz-lich gewandelt. Auf diesen Gebieten hat die Tradition nichtmehr viel zu sagen; heutige Bauten und viele der Gebrauchs-gegenstände, die wir benützen, sind traditionslos, sofernman von der noch kurzen Tradition einiger Jahrzehnte ab-sieht. Die Elemente und die Form des Buches jedoch und vielerDrucksachen sind deutlich aus der Vergangenheit abge-leitet, selbst wenn diese in Millionenauflagen hergestelltwerden. Die Gestalt der Schrift verknüpft die Bildung jedeseinzelnen Menschen unauflöslich mit der Vergangenheit,auch wenn er sich dessen nicht bewußt ist. Daß wir dieDruckschrift der Gegenwart der Renaissance verdanken,daß sie sehr oft eine Schrift der Renaissance ist, ist ihm un-bekannt oder gleichgültig; man nimmt die Buchstaben alsgegebene und übliche Kommunikationszeichen hin. Alle Typographie setzt Tradition und Konventionenvoraus. Traditio kommt von lateinisch trado, ich übergebe,und bedeutet Übergabe, Weitergabe, Überlieferung, Un-terricht, Lehre. Das Wort Konvention kommt von convenio,zusammenkommen, und bedeutet Übereinkunft. Ich ge-

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brauche dieses Wort und das von ihm abgeleitete Wort kon-ventionell nur in seinem ursprünglichen, niemals in abfälli-gem Sinne. Die Form unserer Buchstaben, der älteren Hand- und In-schriften sowohl wie der heute üblichen Schriftschnitte,spiegelt eine langsam erstarrte Konvention, eine Überein-kunft, die sich unter vielen Kämpfen gebildet hat. Nochnach der Renaissance standen in mehreren europäischenLändern gebrochene Nationalschriften der für alles Latei-nische verbindlichen Antiqua gegenüber, und selbst heute,so hoffe ich, ist das letzte Wort über die Fraktur noch nichtgesprochen. Von ihr abgesehen, ist die Antiquaminuskelder Renaissance unsere Schrift seit Jahrhunderten. Was ihrfolgte, sind bloße modische Abwandlungen, zum Teil nurEntstellungen der edlen Grundformen, keinerlei Besserun-gen. Der Schriftschnitt Claude Garamonds, um inParis entstanden, ist in seiner Klarheit, Leserlichkeit undSchönheit schlechthin unübertrefflich. Er trat auf, als auchdas abendländische Buch als Gegenstand seine mittelalter-liche Schwerfälligkeit abgelegt und jene Form angenom-men hatte, die noch heute die beste ist: der schlanke, auf-rechtstehende rechteckige Körper, aus gefalzten und imRücken gehefteten Bögen gebildet, in einem Einband, des-sen überstehende Kanten den Schnitt schützen. Seit etwa hundertfünfzig Jahren ist mit der Gestalt desBuches in der verschiedenartigsten Weise manipuliert wor-den. Zunächst wurden die verwendeten Druckschriftenspitzig und dünn, man griff zu willkürlich breiten Propor-tionen des Buchkörpers und reduzierte seine Handlichkeit,man glättete später das Papier so stark, daß sogar seine

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Fasern und damit sein Bestand litten – schließlich kam derReform versuch des Engländers William Morris und seinerNachahmer, zuletzt traten die deutschen Schriftkünstlerder ersten drei Jahrzehnte dieses Jahrhunderts mit neuenSchriften auf den Plan, die größtenteils vergessen sind. Für alle diese Experimente, die zwar den Historiker undden Liebhaber fesseln können, auch hin und wieder für ihreZeit Gültiges, ja Bedeutendes hervorgebracht haben, gibtes eine einzige Ursache: das Mißvergnügen am Bestehen-den. Selbst das Bestreben, vorsätzlich Neues oder andereszu schaffen, wird in erster Linie durch dieses Mißvergnügenlegitimiert. Mangelnde Freude am Üblichen läßt sich vonder dunklen Ahnung betören, daß anderes besser seinkönnte. Man findet etwas schlecht, kann aber nicht definie-ren, warum, und man will es einfach anders machen. Modi-sche Formvorstellungen, Minderwertigkeitskomplexe undneue technische Möglichkeiten spielen zwar hinein, sindaber weniger wirksam als der Protest des Jünglings gegendie Umwelt der älteren Generation. Dieser Protest gegenFormen ist sogar fast immer wohlbegründet. Denn rar istdas Vollkommene! Aber der Protest ist unfruchtbar, Lei-stungen aus Protest bleiben fragwürdig, solange man nochnicht einigermaßen ausgelernt und die Entwicklung dertypographischen Grammatik gründlich studiert hat. Dennallein sie verschafft uns das Werkzeug konstruktiver Kritik,das Wissen. In der Druckkunst zählt vor allem, was jedermann täglichzu Gesicht bekommt: zuerst Bilderbuch und Fibel, danndas Lesebuch, das Lehrbuch, der Roman, die Zeitung, diealltäglichen Prospekte. Nur ganz weniges davon vermag

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uns, seiner Gestalt nach, auch nur einigermaßen zu erfreuen.Dabei kostet die Herstellung eines guten Kinderbuches,die eines gut gesetzten Romans nicht mehr als das schlecht-hin Übliche. Es trifft wahrhaftig zu, daß irgendetwas an sovielen Druckwerken nicht stimmt. Aber ohne die Ursachendes Unstimmigen methodisch zu erforschen, ohne für eineAnalyse hinreichend ausgerüstet zu sein, glaubt der Naive,etwas anderes sei auf alle Fälle besser. Und ständig sindLeute am Werk, ihm immer simplere Rezepte als der Weis-heit letzten Schluß anzubieten. Zurzeit ist das der gedicht-artige Zeilensatz aus Grotesk, womöglich nur in einem ein-zigen Grad. Die wahre Ursache so vieler Unzulänglichkeiten in Bü-chern und anderen Drucksachen ist der Mangel an oder derausdrückliche Verzicht auf Tradition und die anmaßendeVerachtung der Konventionen. Wenn wir etwas bequemlesen können, so dank der Respektierung des Üblichen.Lesenkönnen setzt Konventionen und ihre Kenntnis undBeachtung voraus. Wer die Konventionen über Bord wirft,läuft Gefahr, den Text unleserlich zu machen. Bücher,deren Textdarstellung unseren Gewohnheiten nicht ent-spricht, wie die unvergleichlich herrlichen Manuskriptedes Mittelalters, sind mühsamer als unsere Bücher zu lesen,auch wenn man gut Lateinisch versteht, und ein Buch inGabelsberger-Stenographie ist heute überhaupt unnütz,weil wir nicht einmal mehr die einzelnen Wörter lesen kön-nen. Die Benützung der konventionellen Buchstaben undder konventionellen Schreibweise sind unabdingbare Vor-aussetzungen gemeinverständlicher, das heißt brauchbarerTypographie. Wer das nicht beachtet, vergeht sich am Leser.

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Diese Wahrheit richtet fürs erste unseren Blick auf dieForm der Buchstaben. Die Geschichte der Schriftschnittekönnte viele tausende verschiedener Alphabete aufzählen,die zwar fast alle die kristallisierte Endform unserer Schrift,die Antiqua oder Renaissanceminuskel, zur Mutter, je-doch sehr unterschiedliche Qualitäten haben. Die formaleSchönheit ist dabei nur ein Kriterium, und schwerlich daswichtigste. Neben dem unentbehrlichen Rhythmus ist esvor allem die ausgeprägt klare, unverwechselbare Form,das höchst empfindliche richtige Verhältnis von Assimila-tion und Dissimilation im Einzelbuchstaben, das heißt dieAnähnelung aller Buchstaben und die simultane Entähne-lung des Einzelzeichens, die eine vollkommene Leserlich-keit gewähren. Die vollendete Form unserer Buchstabenist, wie schon erwähnt, das Werk des großen Schriftschnei-ders Garamond. Sie ist für ein Vierteljahrtausend die einzigeAntiqua in Europa gewesen, wenn man von ihren zahlrei-chen Nachahmungen absieht. Alte Bücher aus dieser Zeitkönnen wir noch genau so gut wie unsere Vorfahren lesenund leichter als so manches, das uns heute begegnet. Unddas, obwohl nicht alle dieser alten Bücher so sorgfältig ge-setzt sind, wie das der anspruchsvolle Kenner der Gegen-wart verlangt. Rauhes Papier und nicht selten mangelhafterDruck täuschen aber über diese Mängel hinweg. Guter Satzist enger Satz, weiter Satz ist schlecht leserlich, weil dieLöcher den Zusammenhang der Zeile und damit die Erfaß-barkeit des Gedankens gefährden. Gleichmäßiger Zeilen-ausschluß ist im heutigen Maschinensatz kein Kunststückmehr. Wie richtig der Setzer mit Schrift und Ausschlußfrüher umzugehen wußte, lehrt jedes einzelne Buch vor

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. Den Begriff der ‹Liebhaberausgabe›, des gepflegtenBuches, kannte man damals noch kaum; die Qualität ist imgroßen und ganzen von gleichmäßiger Höhe. So leicht esheute ist, ein häßliches Buch zu finden (man braucht nurdas erstbeste zu nehmen), so schwer ist es, ein wirklich häß-liches altes Buch aus der Zeit vor zu entdecken. In der krankhaften Sucht nach anderem sind heute dievon der Vernunft gebotenen Proportionen der Papiergröße,wie so viele andere Werte, von manchen geächtet worden,zum empfindbaren Nachteil des einzelnen wehrlosen Le-sers. Einst waren Abweichungen von den wahrhaft schönenund daher angenehmen Seitenproportionen : , : √ unddes Goldenen Schnittes selten: zahlreiche Bücher aus derZeit zwischen und zeigen eins dieser Verhältnissebis auf halbe Millimeter genau. Um dies zu erfahren, muß man alte Bücher gründlich exa-minieren. Das tut aber leider, leider so gut wie niemand.Der Gewinn aus solchem Studium ist unermeßlich. Eine bisins einzelne gehende Betrachtung alter Bücher und ihreUnterstützung durch sowohl permanente wie wechselndeAusstellungen alter Bücherschätze sind darum höchst dring-liche Aufgaben aller Lehranstalten der Typographie undder alten Bibliotheken. Man darf sich dabei nicht mit derneugierig-oberflächlichen Betrachtung besonders schönerSeitenpaare oder gar nur der Titel begnügen, sondern mußsolche Bücher in die Hand nehmen, ihren Zusammenhangund ihre typographische Gliederung Seite für Seite studie-ren. Dazu können schon inhaltlich belanglose, das heißtnicht weiter wertvolle, alte Bücher durchaus dienlich sein.Wir sind zwar mit Augen geboren, aber nur langsam öffnen

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sie sich der Schönheit, viel langsamer, als man so denkt. Esist auch gar nicht leicht, einen Kundigen zu finden, dereinem hilft. Gar oft fehlt es an der Aligemeinbildung, schonbeim Lehrer. Um empörte es einen Kunstlehrer, daß der Typo-graph in der ganzen Schriftgeschichte der letzten zweitau-send Jahre Bescheid wissen müsse. Damals waren die An-sprüche übrigens weit mäßiger als heute. Schlügen wir je-doch solche Forderung in den Wind, so fielen wir in die Bar-barei. Wer nicht mehr versteht, was er macht, ist ein tönen-des Erz und eine klingende Schelle. Unter den alten Büchern findet man auch die unvernünf-tigen Formate nicht, die man uns heute so oft als Werke derBuchkunst vorsetzt. Große Formate kommen zwar vor,aber stets mit gutem Grund – nicht aus Eitelkeit oder Geld-macherei geboren, sondern aus irgendeiner plausiblen Not-wendigkeit. Bibliophile Riesenschmöker, ähnlich den Pracht-greueln der Gegenwart, als Lektüre ungeeignet, wurdenzwar für Könige gelegentlich gemacht, sind aber seltensteAusnahmen. Die vernünftige Größe der alten Bücher istnachahmenswert. Die eindringliche Betrachtung von Büchern aus den Zeitender Renaissance, der eigentlichen Glanzzeit des Buchdrucks,und des Barocks belehrt uns am besten über den vernunft-gemäßen Aufbau eines Buches. Ein solches Buch ist oftleichter zu lesen als so mancher Prospekt der Gegenwart.Wir sehen einen wundervoll ebenen Satz, deutlich in die da-mals selteneren Absätze gegliedert, die jedesmal mit einemGevierteinzug eröffnet werden. Diese Kennzeichnungsartder Zäsuren, ursprünglich eine Zufallsentdeckung, ist die

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einzige gute Methode. Sie ist Jahrhunderte hindurch bis aufden heutigen Tag benützt worden. Jetzt glauben gar man-che, sie sei unmodern, und fangen die Absätze stumpf an.Das ist einfach falsch, weil es die so nötige Gliederung, dieam linken Rande des Satzes erkennbar sein muß, zerstört.Der Gevierteinzug ist eins der kostbarsten Erbteile dertypographischen Geschichte. Wir sehen ferner die Kennzeichnung der Kapitelanfängedurch Initialen. Gewiß sind diese auch Ornament, in ersterLinie aber unverfehlbare Hinweise auf wichtige Anfänge. Siestehen heute fast in Verruf, sollten aber mindestens in Formungeschmückter großer Lettern wieder aufgenommen wer-den. Ein Verzicht auf Initialen enthebt uns nicht der Not-wendigkeit, den Kapitelanfang einigermaßen deutlich zumachen, etwa durch den Satz allein des ersten Wortes auseinem Versal und Kapitälchen, am besten ohne den Einzug,der unter einer zentrierten Überschrift sinnlos ist. Es genügtnicht, Hauptgruppen innerhalb eines Kapitels durch eineBlindzeile zu kennzeichnen: wie leicht ist die letzte Zeileeines Hauptabschnittes die letzte einer Seite! Darum mußauch hier wieder mindestens die erste Zeile des neuenHauptabschnittes stumpf angefangen und das erste Wortauch hier wieder aus einem Versal und Kapitälchen gesetztwerden. Noch besser ist die Einfügung etwa eines Sternes inder Mitte über diesem Anfang. Die Renaissance kannte nicht die Furcht vor großgradi-gen Überschriften, die heute so weit verbreitet ist. Diesesind oft nicht aus Versalien, sondern aus Gemeinen gesetzt:eine nachahmenswerte Satzweise. Aus Angst, etwas falschzu machen, ist man heute oft zu zaghaft in der Gradbestim-

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mung der Hauptzeilen eines Titels. Allerdings sind unseremeistens kleinen Verlagssignete nicht imstande, ein Gleich-gewicht herzustellen, wenn die obersten Zeilen sehr großsein möchten. Im einzelnen belehrt uns das Buch der Renaissance überden sinnvollen Gebrauch der Kursiv, sei es als Auszeich-nung im Text oder als Schrift des Vorwortes, über den rich-tigen Gebrauch und die Satzweise der Kapitälchen, densinnvollen Einzug von Fortsetzungszeilen in Inhaltsver-zeichnissen und unendlich viel mehr. Schließlich ist der überzeugende Stand der Satzspiegel aufder Buchseite zu nennen, der durchaus nicht veraltet undohnehin unbesserbar ist, die wohlüberlegte Handlichkeitdes fertigen Buches, der Einklang der Druckfarbe mit demnatürlichen, also nicht blendendweißen Papier zu rühmen. Die alte zentrierte Satzordnung ist zwar dem Ordnungs-willen der Renaissance verwandt, aber zeitlos gültig. Dawir in ihr nach zentrierten Überschriften erster und zweiterOrdnung Überschriften letzter Ordnung nach links rückenkönnen, ist sie deutlicher, reicher und brauchbarer als eineOrdnung, die jede Zentrierung verwirft und ihre Über-schriften oft nur mittels halbfetter Schrift wahrnehmbarmachen kann. Die Typographie des alten Buches ist ein kostbares Erbe,wohl wert, von uns weiter benutzt zu werden. Es wäre ver-wegen und sinnlos, die Form des europäischen Buches we-sentlich ändern zu wollen. Kann, was sich Jahrhunderte hin-durch als brauchbar und richtig erwiesen hat – denken wirnur an den Gevierteinzug, durch eine sogenannte ‹experi-mentelle Typographie› verdrängt werden? Nur unbestreit-

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bare Besserungen hätten einen Sinn. Eigentliche, wirklicheExperimente dienen der Ausforschung, sind Mittel derWahrheitsfindung und Beweisführung, sind selber aber nie-mals Kunst. Unendliche Energien werden vertan, weil jedermeint, auf eigene Faust von vorne anfangen zu müssen, stattdaß er erst einmal gründlich lernt. Wer kein Schüler seinwill, wird schwerlich Meisterschaft erreichen. Achtung derTradition ist keineswegs Historismus. Aller Historismusist tot. Doch die besten Schriftschnitte der Vergangenheitleben fort. Zwei oder drei von ihnen warten auf ihre Wieder-entdeckung. Typographie ist Kunst und Wissenschaft zugleich. EinTeil wissen, das sich auf Schüler von Schülern, quasi auf Ab-schriften fehlerhafter Spätausgaben, gründet statt auf dasunmittelbare Studium der Quellen, kann nichts Gültigeshervorbringen. Wohl ist Typographie aufs engste mit derTechnik verknüpft, aber aus Technik allein entsteht nie-mals Kunst. Die Tradition, die ich hier meine, steht nicht auf demWerk der vorigen Generation, wenngleich sie sich oft mitdiesem deckt. Wir müssen die große Tradition des Renais-sance- und Barockbuches an der Quelle studieren und mitneuem Leben erfüllen. Methodische Untersuchungen feh-lerhafter Bücher sollten allein an solchem Maßstab orien-tiert sein. Experimente, die Andersartiges zum Ziel haben,mögen fesselnd oder unterhaltsam sein, mindestens für denExperimentator selbst. Aber dauerhafte Tradition erwächstnicht aus ihnen, sondern nur aus dem Erbe wahrer Meister-schaft.

Ars typographica Lipsiensis vivat et f loreat!

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Symmetrische oder asymmetrische Typographie?

DIE Frage, in dieser Form gestellt, erfordert zunächst eineBegriffsklärung. Das Wort symmetrisch läßt sich bei derErörterung eines typographischen Aufbaus nicht verwen-den, denn symmetrisch ist etwas, dessen Hälfte das Spiegel-bild der andern Hälfte ist. Zwar bedeutet Symmetrie ur-sprünglich ganz allgemein Gleichgewicht, doch hat sich derBegriff seit langem im soeben erwähnten Sinne verengt.Streng symmetrische Gegenstände müssen zwar nicht ge-radezu häßlich sein, sind jedoch nur selten eigentlich schön.Denken wir an den älteren Kleiderkasten, der ein echtes undauf der linken Seite ein nutzloses Schlüsselschild hat. Es hateine Zeit gegeben, die das falsche Schlüsselschild vermißthätte. Weil die linke Hälfte eines zentrierten Titels oder auchnur einer einzigen zentrierten Zeile nicht das Spiegelbildder rechten darstellt, ist das ganze Gebilde überhaupt nichtim strengen Sinne symmetrisch. Es gibt also gar keinesymmetrische Typographie, und man sollte darum nichtvon symmetrischer Typographie reden, sondern von zen-trierter, wenn die Zeilen auf Mitte geschlossen sind. Neben-bei bemerkt, gibt es auch keine Mittelachse und daher auchkeine Mittelachsentypographie, Das Wort Mittelachse isteine Tautologie. Eine Achse ist immer in der Mitte dessen,das sich um sie dreht, mag dieses selbst auch unsymmetrischsein.

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Ein Rahmen um einen Satz ist natürlich in der Regelsymmetrisch, aber eine Zutat, die hier nicht diskutiert wer-den muß. Ungezählte Naturformen sind, wenigstens äußerlich,symmetrisch: die menschliche Gestalt, das Tier, das Samen-korn, das Ei. Oder sie entwickeln sich zu einer allgemeinenSymmetrie hin: der freistehende Baum etwa. Die symme-trische Gestalt des Menschen mit seinen beiden Augen undArmen findet ihren Spiegel in der symmetrischen Gestaltdes Buches und auch in einem Buchtitel, dessen Zeilen zurMitte geschlossen sind. Ähnlich antwortete auch die sym-metrische Renaissancearchitektur auf die Gestalt des ihrgegenüberstehenden Menschen. Symmetrische Ordnungschlechthin ist weder Stilmerkmal noch Ausdruck einerGesellschaftsverfassung, sondern nur eine quasi natürlichgewachsene Form, die es zu allen Zeiten und in den ver-schiedensten Gesellschaftsordnungen gegeben hat; dochdarf man ihr wohl das erkennbare Streben nach Ordnung,einer Mitte zu, attestieren. Was ist es nun, das uns so viele symmetrische und schein-symmetrische Formen schön erscheinen läßt? Der Rokokopark mit seiner strengen Regelmäßigkeit ist,leer, von unerträglicher Gespreiztheit und Öde. Aber eindarin wandelnder Mensch oder ein Menschenpaar bringtden Gegensatz zwischen geometrischer Strenge und leben-diger Bewegung zum Bewußtsein und macht das Ganze er-freulich. Zwar ist der Mensch äußerlich symmetrisch, doch sindschon beide Gesichtshälften niemals gleich, oft sogar rechtverschieden, und diese Verschiedenheit ist zumindest aus-

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drucksvoll und zuweilen eigentliche Ursache der Schönheit.Ein Kiesel erfreut uns eher als eine Kugel. Ausdruck und Le-ben heißt Bewegung. Unbewegte Symmetrie ist spannung-los und läßt uns kalt. Ein sehr reicher Barockrahmen oder ein sonstiger symme-trisch aufgebauter ornamentaler Rahmen, der uns schön er-scheint, ist es vielleicht nur darum, weil die Bewegung desOrnaments die allgemeine Statik stört. In der Tat ist die Störung der perfekten Symmetrie ein Er-fordernis der Schönheit. Was nicht ganz symmetrisch ist, isterheblich schöner als die untadelige Symmetrie. Die Kunstzeigt den nackten Menschen niemals in Achtungstellung,sondern stets in einer unsymmetrischen Haltung: diese Stö-rung der Symmetrie ist notwendig. So ist auch der scheinsymmetrische Buchtitel schön undvoller Ausdruck dank dem unterbewußt wahrgenommenenWiderspiel der durchaus unsymmetrischen Wortbilder undZeilen und dem Streben, diese Elemente in einer festgefüg-ten, ‹symmetrischen› Ordnung zu binden: Ordnung in derFreiheit. Umgekehrt ist der Auftritt symmetrischer, stati-scher Buchstaben, wie A H M T V, im Text dynamisch an-geordneter Typographie ein angenehm retardierendes Mo-ment. Selbst ein Wechsel scheinsymmetrischer und dynamischerOrdnung kann zuweilen, etwa in Zeitschriften, erfreulichsein; doch gehört dazu eine meisterhafte Sicherheit, wieüberhaupt keinerlei Rezept zur Kunst führt. Neueste Bei-spiele aus der Akzidenztypographie zeigen, daß man dieihrem Wesen nach natürliche zentrierte Typographie auchstrapazieren und ihr eine eitle Haltung verleihen kann, die

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der Aufgabe fremd ist und das Ergebnis zur Modeerschei-nung werden läßt. Das Richtige wird in der Typographie, die nur ein Die-ner, kein Herr ist, durch die Zweckmäßigkeit definiert: da-her ist es durchaus nicht unfolgerichtig, sondern öfter ange-zeigt, ein Buch zwar mit einem zentrierten Titel zu eröffnenund auch die Kapitelüberschriften in die Mitte zu stellen,aber Unterabteilungen mit nach links gerückten Über-schriften zu beginnen. Also gibt es, wie wir sehen, überhaupt keinen Gegensatzzwischen scheinsymmetrischer und nicht zentrierter Typo-graphie, sondern nur vielstufige Bestrebungen zu vorwie-gend zentrierter oder vorwiegend dynamischer Anordnung,die in allen ihren Abarten, je nach dem Zweck der Arbeit,richtig oder ungeeignet sein können. Hoffen wir, daß dasjeweilige Ergebnis in seiner Art auch schön sei.

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Willkürfreie Maßverhältnisse der Buchseite und des Satzspiegels

ZWEI Konstanten regieren die Proportionen eines gut ge-machten Buches: Hand und Auge. Das gesunde Auge istimmer um zwei Spannen von der Buchseite entfernt, undalle Menschen fassen Bücher auf die gleiche Weise an. Die Buchgrößen werden vom Gebrauchszweck bestimmt.Sie sind auf die durchschnittliche Größe und die Hände vonErwachsenen bezogen. Schon Kinderbücher dürfen nicht inFoliogröße hergestellt werden, weil einem Kinde dieses For-mat unhandlich ist. Ein hoher oder wenigstens genügenderGrad von Handlichkeit wird erwartet: ein Buch in Tisch-größe ist ein Unding, Bücher von Briefmarken große sindSpielereien. Sehr schwere Bücher sind ebenso unwillkom-men; ältere Leute könnten sie vielleicht nicht ohne fremdeHilfe bewegen. Riesen müßten viel größere Buchformateund Zeitungen haben; Zwergen wären viele unserer Bücherzu groß. Zwei Hauptgruppen von Büchern gibt es: jene, die wirauf den Tisch legen, um sie zu studieren, und die andern,die wir im Stuhl zurückgelehnt, im Sessel oder in der Eisen-bahn lesen. Studierbücher sollten wir schräg vor uns aufstel-len. Dazu raffen sich aber nur wenige auf. Uns über das Buchzu beugen, ist der Gesundheit genau so abträglich wie dieübliche Schreibhaltung, die der flache Tisch fordert. DerSchreiber des Mittelalters schrieb auf einem Pult, das wir

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kaum noch Pult zu nennen wagen, so steil war es (zuweilenbis fünfundsechzig Grad). Das Pergament war mit einemquergespannten Band festgehalten und wurde nach undnach aufwärts geschoben. Die Schreiblinie, stets waage-recht, war in Augenhöhe, und der Schreiber saß nahezu auf-recht vor dem Pergament. Noch um die Jahrhundertwendeschrieben Pfarrer und Beamte stehend an einem Pültchen:eine gesunde, vernünftige Schreib- und Lesehaltung, dieleider ganz selten geworden ist. Die Lesehaltung hat jedoch mit der Größe und Ausdeh-nung der Studierbücher nichts zu tun. Ihre Formate reichenvon Großoktav bis Großquart; größere Formate sind Aus-nahmen. Studier- oder Tischbücher liegen auf dem Tischund können nicht in der freien Hand gelesen werden. Bücher, die man gerne freihändig läse, zeigen alle Abartendes Oktavformats. Vollkommen wären die seltenen nochkleineren Bücher, falls sie schlank sind: sie können ohneMühe stundenlang in der freien Hand gehalten werden. Aus einem aufgestellten Buche wird nur beim Gottes-dienst vorgelesen: die Augen des Vorlesers mögen um Ar-meslänge von den Buchstaben des Textes entfernt sein. Einegewöhnliche Buchseite ist bloß eine Ellenlänge vom Augedes Lesers entfernt. Nur von profanen Büchern ist hier dieRede: nicht alle der folgenden Erwägungen und Regelngelten auch für sakrale Bücher. Es gibt viele Proportionen der Seiten große, das heißt desLängenverhältnisses von Breite und Höhe. Jedermann kenntzumindest vom Hörensagen das Verhältnis des GoldenenSchnittes: genau : ,. Die Proportion : ist nichts an-deres als eine Annäherung an den Goldenen Schnitt. Es fällt

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Figur . Rechteck aus dem Fünfeck.Verhältnis : , (irrational) .

schwer, dies noch von der Proportion : zu behaupten.Außer den Proportionen : ,, : , : werden in ersterLinie außerdem die Proportionen : , ( : √ ) und : , ( : √ ) für Bücher benützt. Siehe Figur . Figur führt ein wenig bekanntes, sehr schönes Rechteckaus dem Fünfeck vor; Proportion : ,. Die geometrisch definierbaren irrationalen Seitenpropor-tionen : , (Goldener Schnitt), : √, : √, : √,

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Figur . Quartformat mit seiner Faserlaufrichtung.

: , (Figur ) und die einfachen rationalen Proportio-nen : , : , : , : , : nenne ich klare, absichtliche,eindeutige, alle andern unklare und zufällige Verhältnisse.Der Unterschied zwischen einem klaren und einem unkla-ren Verhältnis ist, obwohl oft geringfügig, merkbar. Viele Bücher aber zeigen keine dieser klaren Proportio-nen, sondern eine zufällige Proportion. Es ist zwar nicht er-klärlich, aber erwiesen, daß der Mensch Flächen von geo-metrisch eindeutiger, absichtlicher Proportion angenehmeroder schöner findet als solche von zufälliger Proportion. Einhäßliches Format bewirkt ein häßliches Buch. Da Brauch-barkeit und Schönheit einer Drucksache, ob Buch oderHandzettel, vom Seitenverhältnis der endlichen Papier-

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Figur . Oktavformat braucht die andere Faserlaufrichtung.

größe abhängen, muß, wer ein schönes und angenehmesBuch machen will, daher zuerst ein Format von eindeutigerProportion bestimmen. Eine und dieselbe Proportion, sei sie : oder : ,

oder : oder irgendeine andere eindeutige Proportion, ge-nügt aber nicht für alle Bucharten. Es ist wiederum der Ge-brauchszweck, der nicht nur die Größen der Bücher, son-dern auch ihre Seitenproportion bestimmt. So ist die breiteProportion : vorzüglich für Bücher in Quart geeignet,weil diese auf dem Tisch liegen. Ein Taschenbuch in derProportion : aber ist sowohl unhandlich wie unschön.Selbst wenn dieses gar nicht eigentlich schwer ist, könnenwir es nur kurze Zeit in der freien Hand halten, und über-

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dies fallen beide Hälften des Buches stets zurück: das Buchist viel zu breit. Dies gilt auch von den leider nicht seltenenBüchern im Format A (, mal Zentimeter, : √ ).Ein kleines oder Freihandbuch muß schlank sein, weil wir essonst nicht regieren können. Die Proportion : ist hier un-geeignet; gut ist eine der Proportionen : , (sehrschlank), : und : ,, : . Kleine Bücher müssen also schlank, große dürfen breitsein; die kleinen hält man in der freien Hand, die großenliegen auf dem Tisch. Die alten Bogenformate, alle ungefährvon der Proportion : , ergeben gefalzt im Wechsel die Pro-portionen : und : ; das Viertel ist Quart oder : , dasAchtel Oktav oder : . Die beiden Hauptproportionen : (Oktav) und : (Quart) bilden ein sinnvolles Paar wieMann und Weib. Der Versuch, sie durch die Zwitterpro-portion : √ der sogenannten Normalformate zu verdrän-gen, ist ebenso widernatürlich wie es der Wunsch wäre, diePolarität der Geschlechter aufzuheben. Die neuen Rohbogenformate vermeiden diesen Wechsel : – : – : – : und behalten halbiert die ursprüng-liche Proportion. Diese Proportion heißt : ,. Bogenaber, die sich ihrer Laufrichtung nach für Quart eignen, darfich nicht für Oktavbücher verwenden, da das Papier dannverkehrt liefe, und für Sedezbücher kann ich sie nicht ver-wenden, da das Papier für diese zu dick wäre. Wir kämendaher auch ohne Bogenformate der Proportion : , zu-recht. Vergleiche die Figuren und . Das Format A ( mal , Zentimeter) eignet sichzwar gut für den zweispaltigen Satz von Zeitschriften, auchmag A für zweispaltigen Satz passen; einspaltiger Satz be-

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friedigt auf beiden Formaten jedoch nur selten, und A istdazu, in der Hand gehalten, unangenehm, weil es zu breit,unhandlich, unelegant ist. Schon einmal, im hohen Mittel-alter, zu einer Zeit, da besonders viele Bücher zweispaltiggeschrieben waren, sind Buchformate mit der Proportion : , üblich gewesen. Gutenberg zog jedoch die Seiten-proportion : vor. In der Zeit der Renaissance begegnetdie Buchproportion : , nur selten. Dagegen trifft manzahlreiche deutlich schlanke Kleinfoliobücher von großerEleganz an, die uns zum Vorbild dienen sollten. Außer dem vierspaltigen Codex Sinaiticus des BritischenMuseums, einem der ältesten Bücher der Welt, hat es nurwenige quadratische Bücher gegeben. Es bedarf ihrer nicht.Als Studierbücher sind sie unnötig niedrig und von stören-der Breite, als Freihandbücher so unhandlich und unelegantwie kein einziges anderes Format. Erst in der behäbigenZeit, die den Verfall der Typographie und der Buchkunsteinleitet, unserem Biedermeier, waren nahezu quadratischeQuart- und sehr breite Oktavformate nicht selten. Wie häßlich die Bücher im neunzehnten Jahrhundert ge-worden waren, zeigte sich um die Jahrhundertwende. DerSatzspiegel wurde genau in die Mitte des Papiers gestellt,alle vier Ränder waren gleich breit. Das Seitenpaar verlorseinen Zusammenhang und fiel darum auseinander. Manbegann sich darüber Gedanken zu machen, sah mit Rechtein Problem im Verhältnis der vier Ränder zueinander undversuchte, dieses in Zahlenwerten zu formulieren. Diese Bemühungen aber haben eine verkehrte Richtungeingeschlagen. Nur unter gewissen Voraussetzungen kön-nen die Ränder rationale (das heißt, in einfachen Zahlen

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ausdrückbare) Progressionen (innerer Rand zum oberen,vorderen und unteren) wie zum Beispiel : : : bilden.Die Ränderprogression : : : ist nur möglich, wenn dasPapierformat die Proportion : hat und das Satzformatihr folgt. Hat das Papier aber eine andere Proportion, etwa : √, dann ergibt eine Stellung mit Rändern im Verhältnis : : : einen Satzspiegel von einer Proportion, die von je-ner der Seitengröße unterschieden und daher unharmonischist. Das Geheimnis der schönen Buchseite steckt also nichtnotwendig in einem in einfachen Zahlen ausdrückbarenVerhältnis der Randbreiten. Harmonie zwischen Seiten große und Satzspiegel entstehtdurch Proportionsgleichheit beider. Gelingt es, Stellungdes Satzspiegels und Seitenformat unauflösbar miteinanderzu verknüpfen, dann werden die Ränderverhältnisse zuFunktionen des Seitenformats und der Konstruktion undvon beiden unabtrennbar. Die Ränderverhältnisse regierenalso nicht die Buchseite, sondern ergeben sich erst aus demSeitenformat und dem Formgesetz, dem Kanon. Wie abersieht dieser Kanon aus? Vor der Erfindung des Buchdrucks sind die Bücher mitder Hand geschrieben worden. Gutenberg und den Früh-druckern diente das geschriebene Buch als Vorbild. DieBuchdrucker übernahmen die Gesetze der Buchform, denendie Schreiber seit langem gefolgt waren. Daß es Richtschnu-ren gab, ist gewiß; zeigen doch zahlreiche mittelalterlicheHandschriften große Übereinstimmungen in den Propor-tionen ihrer Formate und der Stellung der Schriftflächen.Diese Gesetze sind uns jedoch nicht überliefert. Sie warenWerkstattgeheimnisse. Nur durch Nachmessen mittelalter-

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Figur . Ideales Proportionsgerüst einer mittelalterlichen Hand- schrift mit ungehaltenen Schriftflächen. Ermittelt von Jan Tschi- chold, . Blattproportion : . Ränderverhältnisse : : : . Schriftflächenproportion im Goldenen Schnitt! Nur die äußere untere Ecke der Schriftfläche wird von einer Diagonalen mit- bestimmt.

licher Handschriften können wir versuchen, ihnen auf dieSpur zu kommen. Auch Gutenberg erfand kein neues Formgesetz. Er folgtedem Werkstättengeheimnis der Eingeweihten. Vermutlichwar hier Peter Schöffer im Spiele, dem, als einem hervorra-genden Kalligraphen, dieses gotische Werkstätten geheim-nis sicherlich geläufig war. Ich habe viele mittelalterliche Handschriften nachgemes-

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Figur . Der geheime Kanon, der vielen spätmittelalterlichen Hand- schriften und Inkunabeln zugrunde liegt. Ermittelt von Jan Tschichold, , Blattproportion : . Schrift- und Blattfläche proportions gleich. Höhe der Schriftfläche gleich der Blattbreite. Randverhältnisse : : : .

sen. Keineswegs jede folgt irgendeinem Gesetz genau; esgab auch damals schon kunstlos gemachte Bücher. Nur diesichtlich mit Überlegung und Kunst eingeteilten Hand-schriften zählen. gelang es mir endlich, nach mühsamer Arbeit, denGoldenen Kanon der spätgotischen Buchseiteneinteilung,wie er von den besten Schreibern benützt worden ist, zu re-konstruieren. Er ist in Figur dargestellt. Figur ist einKanon, den ich aus noch älteren Handschriften abstrahiert

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Figur . Neunteilung von Höhe und Breite des Papiers im Sinne von Rosarivos Konstruktion, die, wie Figur , die Blattproportion : voraussetzt. Das Ergebnis deckt sich mit Figur ; nur die Methode ist eine andere. Als Kanon Gutenbergs und Peter Schöf- fers nachgewiesen.

habe. Obwohl schön, ist er heute kaum mehr anwendbar.In Figur ist die Höhe des Schriftfeldes gleich der Breite desPapiers: bei dem Seitenverhältnis : , das eine Bedingungdieses Kanons ist, ergeben sich ein Neuntel der Papierbreiteals innerer, zwei Neuntel als vorderer Rand, ein Neuntel derPapierhöhe als oberer und zwei Neuntel als unterer Rand.Schriftbild und Papiergröße sind proportionsgleich. Andere,empirisch entwickelte Schemata hatten zuweilen schon dieProportionsgleichheit von Satzspiegel und Seitenformat ge-

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Figur . Neunteilung nach van de Graaf, vor geführt auf der Blatt- proportion : . Der einfachste Weg zum Kanon der Figur . Geo- metrie statt Millimeterrechnung.

fordert, doch fehlte die Verknüpfung in der Diagonale der Doppel-seite, die hier zum erstenmal als Bestandteil der Konstruk-tion auftritt. Raúl Rosarivo hat genau das, was ich als Schreiberkanonaufgedeckt habe, als Kanon Gutenbergs nachgewiesen. Erfindet Größe und Stellung des Satzspiegels mittels einerNeunteilung der Seitendiagonale (Figur ). Der Schlüssel dieser Satzspiegelstellung ist die Neuntei-lung der Breite und Höhe des Blattes. Am einfachsten läßtsie sich auf die durch Joh. A. van de Graaf gefundene, in Figur gezeigte Art bewirken. Sein Verfahren läuft auf meine

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Figur . Die Villardsche Figur. In unserem Diagramm der Seiten- konstruktion steckt auch eine Abwandlung der Villardschen Figur. So wird der harmonikale Teilungskanon des Villard de Honnecourt genannt. Villard war ein piccardischer Architekt der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts. Sein Bauhütten- buch, eine Handschrift, wird in der Pariser Nationalbibliothek aufbewahrt. Mit Hilfe dieses Kanons, den die verstärkten Linien zeigen, kann ohne jeden Maßstab eine Strecke in beliebig viele gleiche Teile geteilt werden.

Figur und die Figur Rosarivos hinaus. Er benützt abernicht die Seitenproportion : , die ich, besseren Vergleicheshalber, seiner Figur zugrunde gelegt habe. Die letzte und schönste Bestätigung für die Richtigkeitmeines in Figur dargestellten Ergebnisses gewährte mir

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jedoch die der Figur einbeschriebene Villardsche Figur.Dieser noch wenig bekannte, wahrhaft erregende gotischeKanon bewirkt harmonikale Teilungen und kann in jedembeliebigen Rechteck errichtet werden. Mit ihm kann manohne jeden Maßstab eine Strecke genau in beliebig vielegleiche Teile teilen. In Figur ist er noch einmal für sichallein dargestellt. Raúl Rosarivos Untersuchungen haben die Gültigkeitdes von mir ermittelten spätmittelalterlichen Schreiber-kanons (Figur ) für die ersten Drucker nachgewiesen unddamit seine Richtigkeit und Bedeutung erhärtet. Dennochdürfen wir nicht glauben, daß die diesem Schreiberkanonzugehörige Formatproportion : allen Bedürfnissen ent-spräche. Das späte Mittelalter forderte von einem Bucheweder besondere Handlichkeit noch gar Eleganz. Erst in derZeit der Renaissance begann man, zierliche und leichte,handgerechte Bücher zu machen. Nach und nach kamenkleinformatige Bücher in den noch heute üblichen Propor-tionen : , : , : √ und das Quartformat : auf. Soschön die Proportion : auch ist, kann sie durchaus nichtfür alle Bücher dienen. Gebrauchszweck und Charaktereines Buches fordern oft eine andere gute Proportion. Doch läßt sich der Kanon der Figur auch auf diese an-dern Formatproportionen anwenden. Er führt auf jedemBuchformat zu einer willkürfreien, unbedingt harmonischenStellung des Satzspiegels. Sogar dessen verhältnismäßigeGröße läßt sich ändern, ohne daß die Harmonie der Buch-seite zerstört wird. Wir betrachten zunächst die Buchfor-mate des Goldenen Schnittes, der Proportionen : √, : √

und Quart ( : ), und benützen dabei die in Figur ent-

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Figur . Der Villardsche Teilungskanon, einem Rechteck : ein-beschrieben. Die lange Seite bis zu einem Zwölftel geteilt.

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Figur . Seitenproportion : √ ( : ,).Neunteilung der Papierhöhe und -breite.

wickelte Neunteilung. Die Figuren bis sind zugleichAnwendungen des Villardschen Kanons der Figur ; dennauch dieser läßt sich in jedem Rechteck errichten. Daß sich auf dieselbe Weise harmonische, willkürfreieSatzspiegel sogar in ungewöhnlichen Formaten bilden las-sen, zeigen uns die Figuren und , Quadratformat undQuerformat. Querformate eignen sich für Notenhefte undBücher mit Bildern im Querformat; hier wird die Seiten-proportion : meistens besser sein als die zu niedrige Pro-portion : .

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Figur . Seitenproportion des Goldenen Schnittes ( : ).Neunteilung der Papierhöhe und -breite.

(Für die Seitenproportion : siehe die Figuren bis .)

Selbst die Neunteilung ist, obwohl die schönste, nicht dieallein richtige. Mit einer Zwölfteilung erhalten wir, wieFigur darlegt, einen größeren Satzspiegel, als er in Figur erscheint. Figur zeigt als Beispiel die Sechsteilung derHöhe und Breite auf der Seitenproportion : nach einemitalienischen, von Marcus Vincentinus geschriebenen klei-nen Gebetbuch des späten fünfzehnten Jahrhunderts, das inEdward Johnstons berühmtem Lehrbuch auf Tafel XX ab-gebildet ist. Es bedeutete mir eine tiefe Befriedigung, alsich in meinem Kanon den Schlüssel der herrlichen Seitenein-

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Figur . Seitenproportion : √ (sogenanntes Normalformat).Neunteilung der Papierhöhe und -breite.

teilung dieses Meisterwerks der Kalligraphie fand, das ichin mehr als vierzig Jahren nicht aufgehört habe zu bewun-dern. Das Schriftfeld ist halb so hoch wie das Pergament;die Seite, , mal , Zentimeter groß, enthält Zeilen zu Buchstaben. Die Höhe des Papiers darf, falls nötig, überhaupt beliebiggeteilt werden. Selbst noch schmälere Ränder, als sie Fi-gur zeigt, sind möglich. Nur die Verknüpfung des Satz-spiegels mit den Diagonalen der Einzelseite und des Seiten-paares muß erhalten bleiben; denn sie allein bürgt für eineharmonische Stellung des Satzspiegels. Das typographische Zwölfersystem, dessen Einheit derin zwölf Punkte geteilte Cicero ist, hat weder ursprünglich

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Figur . Seitenproportion : (Quart).Neunteilung der Papierhöhe und -breite.

Auch hier muß der Satz die Proportion des Blattes wiederholen.

noch notwendig etwas mit dem hier mitgeteilten Kanon zutun, nicht einmal mit der Buchseite der Proportion : , dieGutenberg und Peter Schöffer benützt haben. In der Früh-zeit des Buchdrucks war der zwölfgeteilte Cicero noch un-bekannt. Es gab noch keine allgemein gültigen Maßstäbe.Selbst die Körpermaße Schritt, Elle, Fuß und Daumenbreite(Zoll) waren nicht genau definiert. Gegebene Streckenwurden wahrscheinlich mittels des Villardschen Kanons ge-teilt, und jeder rechnete für sich allein mit Einheiten, diedurchaus nicht streng allgemeingültig waren. Zwar ist es bequem, auf der Seitenproportion : (Fi-gur ) alle Abmessungen, auch die Papiergröße, in Cicerozu bestimmen. Jedoch nur auf dieser. Wer immer mit Pro-

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Figur . Seitenproportion : .Neunteilung der Papierhöhe und -breite.

portionen zu tun hat, braucht den Rechenschieber, denkreis- oder den stabförmigen. Als ich von bis inLondon das Aussehen sämtlicher Ausgaben des VerlagesPenguin Books vollständig erneuerte, mußte ich ständigmit Pica (dem englischen Cicero, genau sechster Teil einesZolls), Zoll- und Zentimetermaß und dem kreisförmigenRechenschieber arbeiten: etwa eine Proportion in Zoll undAchtelzoll festlegen und diesen Wert in Zentimetern undMillimetern suchen, indem ich Zoll- und Zentimetermaßübereinanderlegte, die dezimale Entsprechung ablas und ihrVerhältnis auf dem kreisförmigen Rechenschieber prüfte.Da England weder dezimal rechnet noch so mißt, ist der Re-chenschieber im britischen Buchgewerbe fast unbekannt.Ein irrationales Verhältnis, wie der Goldene Schnitt, mußdort geometrisch gesucht werden. Es schadet nicht, das zulernen. Auf dem Rechenschieber aber stelle ich : ,

oder : ein und lese ab, daß ein Buch im Format des Gol-

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Figur . Seitenproportion : .Neunteilung der Papierhöhe und -breite.

denen Schnittes von Zentimeter Höhe , Zentimeterbreit sein muß. Natürlich soll die Satzbreite womöglich auf gerade oderwenigstens auf volle, notfalls auf halbe Cicero ausgehen, derBundsteg wenigstens auf halbe Cicero. Die Breite des be-schnittenen Kopfstegs und das beschnittene Format jedochgibt man in Millimetern an, selbst wenn man alles in Ciceroausgedacht haben sollte. Denn der Buchbinder kennt nurMillimeter. Alle diese Vorschriften enthält das Probeseiten-paar, das der Herstellung vorausgeht. Die Wirklichkeit läßt die mathematisch richtige Größeund Stellung des Satzspiegels nur selten zu. Wir müssen unsoft mit einer Näherung an das Ideal zufrieden geben. Wederkönnen wir immer den typographischen Satzspiegel genauso hoch machen, wie es erwünscht wäre, noch genügt in derRegel der rechnerisch richtige Bundsteg. Dieser stimmtnur, solange das Buch aus nur einem Bogen besteht odersich ganz flach aufschlagen läßt. Es ist der Anblick des auf-geschlagenen Buches, der dem Kanon entsprechen muß.

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Figur . Seitenproportion : . Zwölfteilung der Papierhöhe und -breite mittels des Villardschen Teilungskanons, wie ihn Figur zeigt. Diese geometrische Zwölfteilung ist einfacher und besser als eine Millimeterrechnung.

Der Bundsteg soll so breit erscheinen wie die Außenstege:nicht nur der Schatten, sondern auch der im Bund ver-schwindende Teil des Papiers vermindert die sichtbareBreite des Bundstegs. Es gibt keine unfehlbare Regel, wieviel im Bund zugege-ben werden muß. Viel hängt davon ab, wie das Buch gebun-den wird. Dicke Bücher brauchen in der Regel eine größereZugabe als dünnere. Auch das Papiergewicht spielt mit.Sicherheit gewährt nur das Einkleben eines Paares bis zurSchrift ausgeschnittener Probeseiten auf richtigem Papier in

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Figur . Seitenproportion : . Sechsteilung der Seitenhöhe und -breite. Beides angewendet in einem von Marcus Vincentinus (Marcus de Cribellariis) geschriebenen kleinen Gebetbuch aus dem späten fünfzehnten Jahrhundert.

einen Stärkeband. Dieser bereits muß um die vermutlicheZugabe im Bund breiter sein als die genaue Proportion for-dert: sonst stimmt der Außensteg nicht. Vielleicht mußnachher der Stärkeband entsprechend berichtigt, nämlichbreiter oder schmäler gemacht werden. Eine um Millimeterbreitere beschnittene Blockgröße schadet der Proportionder Deckelgröße kaum, da die Deckel vorn etwa zweiein-halb Millimeter breiter, oben und unten je zwei Millimeter,zusammen also vier Millimeter höher sind als der Buch-block. Im übrigen gilt nur das aufgeschlagene Buch, das

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sichtbare Papier; die Deckelgröße, die vom Buchblock be-stimmt wird, gilt nicht. Die Wahl des Schriftgrades und des Durchschusses trägtnoch erheblich zur Schönheit des Buches bei. Die Zeilensollten acht bis zwölf Wörter enthalten; was darüber ist, istvom Übel. Die breiten Ränder der Neunteilung erlaubenetwas größere Grade als die Zwölfteilung. Zeilen mit mehrals zwölf Wörtern verlangen einen stärkeren Durchschuß.Undurchschossener Satz ist eine Marter für den Leser. Es ist auch nicht unnütz, auf die Beziehung zwischenWeite der Schrift und Seitenproportion hinzuweisen. Einquadratisches Buchformat, das nicht gerade zu den bestengehört, fordert eine breitlaufende Schrift, damit sich dieUmrisse der Buchstaben o und n etwa dem Format einiger-maßen anschließen. Schmallaufende Schriften wären durch-aus ungeeignet. Auf den üblichen Hochformaten aber sindSchriften von üblicher Weite richtig, denn ihre o und nhaben einen Umriß, der dem der Buchseite proportionalsehr nahekommt. Die Seitenzahl gehört nicht zum Umriß des Satzspiegels,sondern steht außerhalb. Ich selber verwende in der Regelzentrierte Ziffern am Fuße des Satzspiegels. Sie bilden mei-stens die beste und sind auch die bei weitem einfachsteForm. Nur ausnahmsweise stehen meine Seitenzahlen untenaußen; ich ziehe sie dann in der Regel mit einem Geviertein, weil sonst ein Einzug der letzten Textzeile stört. Die mittelalterlichen Handschriften zeigen kleine Blatt-zahlen in der äußersten obern Ecke des Pergaments. Ein zentrierter lebender Kolumnentitel ohne Trennlinierechnet besser nicht zum Satzspiegel, zumal wenn die Sei-

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: , ( : √ ) : :

: ( : √ ) : , ( : ) : , ( : √ ) : (Goldener Schnitt) :

: , ( : √ ) : , (Figur )

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tenzahl am Fuße steht. Steht aber zwischen dem lebendenKolumnentitel und dem Text eine Trennlinie, so gehörtbeides zum Satzspiegel. Als die Typographie gegen Ende des neunzehnten Jahr-hunderts hoffnungslos darniederlag, hatte man naiv allemöglichen Stilarten, doch nur in ihren augenfälligen Äußer-lichkeiten, Initialen und Vignetten, kopiert. An die Bedeu-tung der Seitenproportionen dachte niemand. Maler ver-suchten dann, die heruntergekommene Typographie vonerstarrten Regeln zu lösen, und wehrten sich gegen alles,das die neu verkündete künstlerische Freiheit antastete. Siehielten daher auch nur wenig oder nichts von exakten Pro-portionen. Die Erwähnung des Goldenen Schnittes warihnen ein Greuel. Dieser war allerdings eine Zeitlang vonLeuten mißbraucht worden, die in ihm ein allgemeinesKunstrezept entdeckt zu haben glaubten und schlechthinalles nach dem Goldenen Schnitt teilen oder formen wollten.Darum benützte niemand vorsätzlich Buchformate von ge-nauer rationaler oder irrationaler Proportion, noch beküm-merte man sich gar um eine willkürfreie Gestalt der Satz-spiegel. Wenn dennoch dann und wann ein schönes Buchentstand, so hatte es einer gemacht, der sich musterhafteDrucke der Vergangenheit öfter angesehen und ihnen einigeMaßstäbe entnommen hatte, darunter auch ein Gefühl fürgute Proportionen der Seitengröße und der Stellung desSatzspiegels. Dieses unbestimmbare ‹Gefühl› bildet aberkeinen verläßlichen Maßstab und ist nicht lehrbar. Weiter-führen kann allein ein unermüdliches wissenschaftlichesLernen aus vollkommenen Werken der Vergangenheit. Wiewir dem allerpeinlichsten Studium alter Schriftschnitte die

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wichtigsten Druckschriften der Gegenwart verdanken, sowird auch die Forschung nach den Geheimnissen der altenBuchformate und Satzspiegel uns wahrer Buchkunst eingutes Stück näherbringen. In der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts hielt man dieMenge der vorhandenen Rohbogenformate für zu groß undwünschte sie zu begrenzen. Die durchschnittliche Seiten-proportion der alten Bogenformate, : , die ein Quartfor-mat : und ein Oktavformat : ergab, war durchaus sinn-voll. In der proportionalen Verschiedenartigkeit des Quart-und des Oktavformats glaubten einige einen Nachteil zuerkennen: so entstand das heutige sogenannte Normalfor-mat mit der Proportion : √, das halbiert sie beibehält. Esrächte sich, daß man der Seitenproportion vorher keineAufmerksamkeit geschenkt hatte. Nur darum konnte dasKind mit dem Bade ausgeschüttet und die große Zahl deralten Formate zugunsten nahezu eines einzigen beseitigtwerden. Viele Leute glauben, diese enge Normung der Pa-pierformate sei die Lösung aller Formatfragen. Dies ist einIrrtum. Die Auswahl der genormten Formate ist viel zuklein, und die Zwitterproportion : √ ist nur eine und ge-wiß nicht immer die beste Proportion. Figur bietet eine Übersicht über alle in diesem Traktaterwähnten Rechteckproportionen und dazu noch die sel-tene Proportion : √. A, D, F, G, I sind irrationale, B, C, E,H, K sind rationale Verhältnisse. Jeder, der Bücher oder andere Drucksachen macht, mußzuerst nach der passenden Papiergröße in der jeweils geeig-neten einwandfreien Proportion suchen. Selbst die schönsteSchrift hilft nichts, wenn bereits das Format, etwa A , an

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sich mißfällt. Ebenso zerstört ein unharmonischer Satzspie-gel in ungeschickter Stellung jede mögliche Schönheit. Zahllose Satzspiegel, sogar in schlanken Formaten, sindzu hoch. Dissonante oder unharmonische Buchseiten müs-sen entstehen, wenn das uns eingeborene Bedürfnis nacheinem Satzspiegel in der genauen oder angenäherten Pro-portion des Goldenen Schnittes in Widerstreit gerät miteinem Seitenformat der Proportionen : √ oder : . Wennein harmonisches Seitenbild entstehen soll, so muß man ent-weder das Seitenformat ändern oder dem Satzspiegel dieProportion des Seitenformats erteilen. Über gute Papierproportionen wird niemand rechten, so-lange nicht nur eine allein für richtig erklärt wird. Der rich-tige Satzspiegel, die andere Bedingung eines schönen Bu-ches, ist bisher nur sehr selten und noch seltener methodischerforscht worden. Auch er war im neunzehnten Jahrhundertso vernachlässigt worden, daß fast jede Änderung erlaubtschien. Die Geschichte des Satzspiegels in neuerer Zeit zeigtimmer neue Versuche, Altes, nicht Befriedigendes, durchUngewohntes zu verdrängen. All jenen Versuchen gemeinsam ist Willkür. Man hattelängst das Gesetz verloren, und mit dem ‹Gefühl› konnteman ihm nicht auf die Spur kommen. Erst meinem Nach-messen zahlreicher mittelalterlicher Handschriften gelanges. Der hier verkündete Kanon ist frei von aller Willkür undmacht mühseligem Tasten ein Ende. Er erzeugt in allenseinen Abwandlungen Buchformen, deren Seitenformat undSatzspiegel sich unfehlbar miteinander vertragen, das heißt,untereinander im Einklang sind.

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LITERATUR · CHRONOLOGISCH

GUSTAV MILCHSACK: Kunst-Typographie. In: Archiv für Buchgewerbe, Heft : –; Heft : –. Leipzig, . – Versuch eines kenntnisreichen Bücherfreundes, die Schönheitsgesetze alter Bücher aufzuspüren. Glaubt, in rationalen Zahlen ausdrückbare Randverhältnisse auf- stellen zu können.EDWARD JOHNSTON: Manuscript and Inscription Letters. Sec- ond édition. London: John Hogg, . Plate I. – Empi- risch festgestellte Randverhältnisse in Zahlen; in dem einzigen vorgeführten Beispiel unanfechtbar,EDWARD JOHNSTON: Writing & Illuminating, & Lettering. Seventh edition. London: John Hogg, . Pages –. Plate XX. (Deutscher Titel: Handschrift, Zierschrift und an- gewandte Schrift.) – Auf Erfahrungen ruhende Maßtheo- rien über die Ränder. Auch hier nur Zahlenverhältnisse.FRIEDRICH BAUER: Das Buch als Werk des Buchdruckers. Leipzig: Deutscher Buchgewerbeverein, . – Das Werk eines Sachkundigen. Im ganzen noch gültig. Glaubt unter dem Einfluß Milchsacks und anderer an rationale Randverhältnisse.E. W. TIEFFENBACH: Über den Satz im schönen Buch. Berlin: Officina Serpentis, . – Einer der wichtigsten Sätze dieses Bekenntnisses fällt nur nebenbei: ‹Um das Format einer Seite zu bilden ist man immerhin etwas von der Größe des Papiers und dessen Größenverhältnissen ab- hängig.› Leider kein gutes Deutsch, und schade, daß dieser richtige Gedanke nicht weiter verfolgt wird.

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JAN TSCHICHOLD: Die Maß Verhältnisse der Buchseite, des Schriftfeldes und der Ränder. In: Schweizer Graphische Mit- teilungen, , –. St. Gallen, August . – Früher Versuch des Verfassers. Enthält mehr Feststellungen als Theorien. Viele Illustrationen.JOH. A. VAN DE GRAAF: Nieuwe berekening voor de vorm- geving. In: Tété, , –. Amsterdam, November . – Zeigte die einfachste Art der Neunteilung von Breite und Höhe des Papiers.HANS KAYSER: Ein harmonikaler Teilungskanon. Zürich: Oc- cident-Verlag, . – Geistvoll und tief wie alle Bücher dieses Mannes. Enthält den Hinweis auf den im Bau- hüttenbuch Villards de Honnecourt versteckten Tei- lungskanon.JAN TSCHICHOLD: Die Proportionen des Buches. In: Der Druckspiegel, , –, –, –. Stuttgart, Januar, Februar, März . – Geschrieben . Erste Publika- tion des Verfassers mit dem von ihm ermittelten spät- mittelalterlichen Schreiberkanon. Zahlreiche Diagramme und Abbildungen. Zum Teil durch die vorliegende Ab- handlungen überholt.JAN TSCHICHOLD: Bokens Proportioner. (Buchform des vori- gen Aufsatzes in schwedischer Sprache.) Göteborg: We- zäta, . – Schön gedruckte Ausgabe, zweifarbiger Druck. Eins der Schönsten schwedischen Bücher des Jahres.JAN TSCHICHOLD: De proporties van het boek. (Dasselbe, hol- ländisch.) Amsterdam: Intergrafia, .WOLFGANG VON WERSIN: Das Buch vom Rechteck. Ravens- burg: Otto Maier, . – Interpretation der Eigenschaf-

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ten der wichtigeren Rechtecke und ihrer Rolle vornehm- lich in der Baukunst. Handelt nicht vom Buche.RAÚL M. ROSARIVO: Divina proportio typographica. Krefeld: Scherpe, . – Schön gemachtes Buch mit musterhaften Figuren. Stützt Tschicholds Fund des spätmittelalter- lichen Schreiberkanons, Figur . Geht fehl in der erkenn- baren Meinung, die Buchseite der Proportion : und diese Proportion überhaupt sei das allein Vollkommene.

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Ein Verlagssignet von Jan Tschichold.

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Das traditionelle Titelblatt, typographisch

DAS Titelblatt ist auch seiner typographischen Form nachein Teil des Buches und muß zur übrigen Typographie desBuches passen. Den Titeln zahlreicher Bücher fehlt aber die überzeu-gende Formverwandtschaft mit den nachfolgenden Buch-seiten. Mag der Maschinensatz noch so vollendet sein, dasBuch enttäuscht als Ganzes, wenn der Titel typographischnicht befriedigt und unbeholfen wirkt. Askese in den Mit-teln darf nicht in Schwäche und Kümmerlichkeit ausarten.Die Titel vieler Bücher sehen aus, als wären sie im letztenAugenblick gesetzt und ohne Verbesserung für druckreiferklärt worden, oder als wären sie von jemand gesetzt oderangeordnet worden, dem Lust und Liebe zur Sache man-geln. Diese Titel gleichen dürftig bekleideten, blutarmen,furchtsamen Waisenkindern. Die Kunst der traditionellenzentrierten Typographie scheint verloren. Der Titel, He-rold des Textes, muß kräftig und gesund sein und soll nichtbloß flüstern. Gesund aussehende Titel sind aber Ausnah-men. Und schöne, unauswechselbare Titelblätter gar sindso selten wie alles Vollkommene. Eine wichtige Voraussetzung ist ein guter Wortlaut.‹Matthias Grünewald || Der Isenheimer Altar› wäre eineirrige und unbrauchbare Titelformulierung. Richtig wäre

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‹Der Isenheimer Altar || des Matthias Grünewald›. An-fechtbar ist auch der Wortlaut ‹Eduard Mörike || SämtlicheWerke›. Richtig wäre ‹Mörikes || sämtliche Werke›; ganzunerträglich aber, nämlich schlechtes Deutsch, ‹SämtlicheWerke von Eduard Mörike›. Anders der echte Titel ‹EduardMörike || Maler Nolten› oder ‹Maler Nolten || Von EduardMörike›. Es gilt also zwischen freien Verlagsformulierun-gen und originalen Verfassertiteln genau zu unterscheiden.Ein falsch oder ungeschickt formulierter Titel behindertdie Bildung eines guten Titelblattes ungemein.

Abbildung . Seitenpaar, schematisch, zum Vergleichen mit derirrigen Stellung des Titels in Abbildung . Der Titel darf

horizontal die Mitte des Satzspiegels nicht verlassen.

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Hat man kein genau stimmendes Probeseitenpaar vorAugen, so kann man den Titel weder richtig entwickelnnoch die Qualität seiner Form beurteilen. Nur von der Buchseite her kann ein gesunder Titel ent-wickelt werden. Auch für ihn gelten daher die Rand Verhält-nisse der Buchseite und die Stellung des Satzspiegels (Ab-bildung ): der Titel darf nicht, wie das leider so häufig ge-schieht, in die Mitte der Papierbreite gestellt werden (Abbil-dung ). Damit tritt er aus seinem Zusammenhang mitdem Buchganzen. Seine Zeilen dürfen den Satzspiegel nir-

Abbildung . Sind die Buchränder nicht gerade knapp, so sind obererund unterer Rand so richtig. Der angedeutete Titel steht

aber irrigerweise in der Mitte der Blattbreite.

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gends überschreiten. Es ist sogar fast immer besser, wenndie Hauptzeile merkbar schmäler ist als die volle Satzbreite.Viele Titel füllen auch nicht die ganze Höhe; dies ist beson-ders dann angezeigt, wenn das Buch sehr schmale Ränderhat. Selbst ein kurzer Titel muß die Buchseite ‹füllen›. Dasbedeutet, daß er eine gehörige Ausdehnung haben muß.Man scheint sich jedoch oft vor größeren Graden zu fürch-ten. Die Hauptzeile sollte wenigstens zwei Grade größersein als die Grundschrift des Buches. Enge Regeln lassensich dafür aber nicht aufstellen, da der Titelsatz eine Auf-gabe ist, in der das ausgebildete Formgefühl entscheidenmuß. Selbst kurze Titel aus verhältnismäßig kleinen Gra-den können das Blatt ‹füllen›, wenn sie geschickt angeord-net werden. Vielleicht läßt sich eine lange Hauptzeile bre-chen. Dann entstehen zwei kürzere Zeilen, und die wichtigeobere Gruppe erhält einen flächigen Umriß statt eines strich-förmigen. Der große weiße Raum zwischen der Haupt- undder Verlagsgruppe darf nicht zufällig und ‹leer› erscheinen.Die Spannung des weißen Raumes muß an der Wirkung desGanzen teilnehmen. Ein gutes Verlagssignet ist dort nütz-lich, doch keineswegs unbedingt erforderlich. Ein solchesmuß sich indes der Typographie graphisch anschmiegenund darf darum keine dickeren Striche als die dicksten desgrößten auf dem Titel verwendeten Grades und keine dün-neren als die feinsten Striche des kleinsten vorkommendenGrades zeigen. Schwarze Verlagssignete mit Negativbuch-

Rechts: Abbildung . Französischer Buchtitel von ,Heute sind Zeilentrennungen, wie sie hier erscheinen, tabu.

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staben bilden innerhalb eines Titelgefüges häßliche Fremd-körper (Abbildung ). Sie sind nicht nur der Buchtypogra-phie fremd, sondern gefährden auch die Rückseite der Blät-ter, da sie meistens durchscheinen. Das Verlagssignet mußleicht sein und dem Grau der Zeilen entsprechen. Ein gutesSignet ist ein Kunstwerk. Eigentlich klein braucht es durch-aus nicht zu sein, wie überhaupt Zimperlichkeit und Zag-haftigkeit einem Titelblatt schlecht anstehen. Nicht jederGraphiker aber kann ein brauchbares Verlagssignet zeich-nen. Die Entwicklung eines guten Verlagssignets ist keines-wegs einfach und durchläuft meistens mehrere kostspieligeStadien. Ist das Verlagssignet auf dem Titel unerwünscht, so mages den Schmutztitel bilden. Im Jugendstil kam das in dieobere rechte Ecke des Satzspiegels der Schmutztitelseite ge-stellte Signet auf, wo zum Beispiel der Insel-Verlag es langeunterbrachte. Diese Stellung erscheint heute gesucht. Manstellt das Signet allenfalls besser in die optische Mitte derPapierhöhe von Seite (die Seiten und sollten wie diebeiden letzten Buchseiten unbedruckt bleiben) und in dieMitte der Satzspiegelbreite. Der beste Platz aber scheintmir die Seite mit den Druckangaben am Ende des Buches,falls man diese, entgegen der landläufigen Übung, dortunterbringt. Die Drucker der Gotik, der Renaissance und des Barockshatten es ziemlich leicht, einen guten Titel zu bilden. DasSignet des Verlegers oder ein anderer großer illustrativer

Rechts: Abbildung . Schöner Titel der französischen Renaissance,Paris , mit großem Signet.

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Holzschnitt bildete die Mitte des Titels und eröffnete dasBuch angemessen (Abbildungen und ). Im achtzehntenJahrhundert wich diese Dekoration einer etwas kleinerenHolzschnitt- oder Kupferstichvignette (Abbildung ). Jetztsind Titel mit Verlagssigneten eher Ausnahmen, und nurein unbedruckter Raum zwischen der Titel- und Verlags-gruppe ist geblieben (Abbildung und ). Der Umriß der Titeltypographie, mitbestimmt durch dieBrechung von Wortgruppen und die Abstufung der Grade,die beide der Logik und dem Wert der Wörter entsprechenmüssen, ist eine der Schwierigkeiten guten Titelsatzes. Inmanchen Forderungen an den heutigen Titelsatz lebt nochder Rationalismus des achtzehnten und des neunzehntenJahrhunderts. Wir dürfen nicht, wie die Drucker der Gotik,der Renaissance und des Barocks (Abbildungen und ),Wörter und Zeilen brechen, wo es das äußere typographi-sche Aussehen wünschbar macht, und die Grade gar ohneRücksicht auf den Inhalt wählen, sondern müssen strengder Wortbedeutung folgen. Auch ist es nicht leicht, ohneVerlagssignet ein Gleichgewicht zwischen der oft schwerbefrachteten Hauptgruppe oben und der viel weniger um-fangreichen Verlagsgruppe unten herzustellen. Darum istein guter Titel, zumal ein Antiquatitel, heute schwerer zusetzen als im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Die Form eines Trinkgefäßes ist gewiß einer der geeig-netsten Umrisse eines Titels (Abbildungen und ),falls sie sich, wohlgemerkt scheinbar mühelos, erreichen

Rechts: Abbildung . Französischer Titel von Barbou, ,mit Holzschnittsignet (Druckerei).

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läßt. Das Verlagssignet gäbe in einem solchen Titel denKnauf des Gefäßes ab. Aber das ist sehr selten. Unsere Titelsind dafür zu kurz. Wir dürfen zufrieden sein, wenn wireinen bloß angenehmen Umriß und ein gutes Verhältniszwischen den beiden Hauptgruppen erreichen. Dazu isteines vor allem nötig: beide Gruppen, die obere und die un-tere, müssen eine f lächige Ausdehnung, keine nur lineare,haben und sollen daher, wenn immer möglich, mehrzeiligsein (Abbildung ) oder auf Mehrzeiligkeit dressiert wer-den. Die oft langen deutschen Wörter erleichtern es nichtgerade, einen guten Umriß zu bilden, wenn wir Antiquaoder gar Antiquaversalien verwenden. Vielleicht verwendetman Antiquaversalien viel zu häufig und Antiquagemeinezu selten. Fraktur ergibt erheblich kürzere und daher flächi-gere, dazu kräftigere Wortbilder und ist auch im Titelsatzdeutscher Bücher dankbarer als Antiqua (Abbildungen

und ). Leider war die Typographie der Zeit Goethes imgroßen und ganzen schwächlich und unsicher, und die zer-fahrenen Titelblätter jener Zeit sind schwerlich vorbildlich(siehe die Abbildung nebenan). Ein richtiger Titel muß aus genau derselben Schrift-familie wie das Buch gesetzt werden, also aus Garamond,wenn das Buch aus Garamond, aber aus Gewöhnlicher Me-diäval, wenn das Buch aus dieser Schrift gesetzt ist. Gara-mond auf dem Titel wäre fehl am Ort und ließe die er-wünschte Harmonie vermissen, wenn der Text aus einerGewöhnlichen Mediäval gesetzt ist. Man kann dabei nicht

Rechts: Abbildung . Deutscher Titel aus der Zeit Goethes.Kein Vorbild. Imitation von Antiquasatz mittels Fraktur.

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Links: Abbildung . Buchtitel von ungefähr . Ungeformt undim einzelnen mangelhaft. Rechts: Abbildung . Derselbe Text,

wie man ihn heute, und besser, setzen könnte. Ungesperrt.

streng genug sein. Halbfette, selbst die genau zur Grund-schrift passende, soll auf Titeln überhaupt nicht verwendetwerden. Es liegt auch nicht der geringste Anlaß dazu vor.Gezeichnete Titelzeilen sind denkbar, jedoch sie so zu zeich-nen, daß sie mit den Textseiten und der Type wirklichzusammenklingen, ist eine subtile Kunst, die nicht jederSchriftzeichner beherrscht. Selbst die beste Typographie,obwohl selber schwierig genug, ist viel einfacher und vorallem viel beweglicher zu handhaben. Für einen guten Titelsatz ist ein verständnisvoller Um-

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Links: Abbildung . Leider typischer Titel der Gegenwart mit Kopfin Bauchgegend und negativem Signet. Rechts: Abbildung .

Derselbe Titel, in Ordnung gebracht. Signet positiv.

gang mit den Buchstaben das wichtigste Erfordernis. Wirdenken hinfort nur an Antiquatitel. Vorkommende Versal-zeilen müssen unbedingt gehörig gesperrt und dabei sorg-fältig ausgeglichen werden. Niemals nur mit Punkt zwi-schen H und I, sondern die kleinsten Grade mit 1⁄2 Punkt,die größeren, bis Cicero, mit etwa bis 1⁄2 Punkt, von

Punkt aufwärts mit etwa und mehr Punkt gesperrt.Ungesperrte und zu schwach gesperrte Versalienzeilen sindstets häßlich. Ihre Buchstaben kleben sozusagen aneinanderund ergeben ein nur schwer entzifferbares Liniengewirr.

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Man sperrt häufig zu schwach und muß dann manchmal gareinen Buchstaben anfeilen, um eine vermeintlich zu großeLücke, etwa zwischen VA, zu verringern. Das ist verwerf-lich und durchaus nicht nötig, wenn man gehörig sperrt.Der Raum zwischen VA muß einfach als kleinste optischeDistanz benützt werden. Selbst zwischen LA muß immerein schwaches Spatium, allerwenigstens ein Kartenspan,liegen. Gemeine Antiqua- und Kursivbuchstaben dürfen auchauf dem Titel niemals gesperrt werden. Es ist irrig, in derSperrung der Antiqua versauen einen Grund für ein Sperrengemeiner Zeilen zu sehen. Auch Fraktur sieht gesperrt häß-lich, ungesperrt am schönsten aus (Abbildungen , , ). Zahlen im Text des Titels (‹Mit Abbildungen›)müssen ausgeschrieben werden (‹Mit zweihundertvierzigAbbildungen›, ‹achtzehntes Jahrhundert›); nur die Jahres-zahl wird in arabischen Ziffern () gegeben. In Werkenvon Bedeutung, kaum in anderen, darf das Jahr auch in rö-mischen Ziffern erscheinen (MCMLVIII), zumal wenn derTitel ganz aus Antiquaversalien gesetzt ist. Je weniger Grade auf dem Titel, um so besser! Viele Köcheverderben den Brei, und zu viele Grade den Titel. Mit vierund fünf Graden richtig umzugehen ist schwer (Abbildung). Mehr als drei Grade sind nur ausnahmsweise nötig,manchmal genügen sogar nur zwei (Abbildungen und ).Ein Titel nur aus Antiquaversalien wirkt fast immer har-monisch, doch gerne etwas starr. Man braucht diese Satz-

Rechts: Abbildung . Titel von der Hand des Verfassers(Holzstich von Reynolds Stone). .

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weise nicht zur Regel zu erheben. Den Hauptzeilen kannman mit Gemeinen Ausdruck verleihen und die kleinerenZeilen mittels Versalsatzes bändigen (Abbildung ). Der Verlag ist niemals wichtiger als der Verfassername,und seine Bezeichnung darf höchstens genau so groß wieder Verfassername gesetzt werden. Wie oft wird gegen dieseRangordnung verstoßen und der Verfassername kleiner alsdie Verlagsbezeichnung gesetzt! Es kommt leider sogarvor, daß der Verlagsname so groß gesetzt ist wie die Haupt-zeile oben! Wir sehen, daß auf dem Spielplatz des richtigen Titel-satzes viele Einschränkungen, Warnungen und Verbotegelten:. die Grenzen des Satzspiegels, eine sehr geringe Frei-heit der Schriftwahl, Beschränkung der Gradanzahl, keineHalbfette, unbedingte Sperrung der Versalien. Immerhinkönnen wir nun einmal ein Titelmanuskript zu bearbeitenversuchen. Ein guter Weg ist dieser: sehr sorgfältiges Skizzieren allerWörter mit schwarzem Kugelschreiber oder der Füllfeder –nicht mit Bleistift – in den Graden, die wir vorderhand fürrichtig halten, an Hand einer Schriftprobe. Ganz besondersder Anfänger muß sich hüten, Schmierskizzen zum Satz zugeben, und sich bemühen, jeden einzelnen Buchstaben sotäuschend wie möglich zu zeichnen. Nur der sehr Erfahrenedarf scheinbar flüchtiger arbeiten. Bloße Balken, wie sieeinige meiner Schemata zeigen, täuschen unfehlbar! Zer-schneiden der Zeilen und Auflegen auf ein leeres Seitenpaar

Rechts: Abbildung . Titel von der Hand des Verfassers.Im Stile des deutschen Rokokos, .

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aus gleichem Papier in genauer Buchgröße; die rechte Seitezeigt die Grenzen des Satzspiegels in dünnen Bleistiftlinien.Verschieben und verschieben, Ändern der Grade, bis wirdie beste Lösung gefunden zu haben glauben. Festklebender Zeilen mit wasserlosem Klebstoff (Sanford’s RubberCement); Skizze zum Drucker. Auf der Skizze am Kopf dieSchriftart (etwa ‹alles aus Janson›), am Rande die Schrift-grade (etwa ‹ gew. Gem.›, ‹ Versalien mit 1⁄2 P. gesp.›)genau angeben, bei Versalien also auch die Sperrung vor-schreiben, ferner etwa ‹Höhe genau wie Textseite› oder‹Höhe und Stellung genau wie Skizze› und ‹Abzüge in rich-tiger Stellung laut Skizze auf beschnittener Doppelseite›verlangen. Ist die Skizze fachgerecht und gerät sie in guteHände, dann bekommt man das, was man mühsam entwik-kelt hat und eine überzeugende Einheit bilden soll. Häufigaber kriegt man etwas, das nicht genau ausgeführt ist: derDurchschuß ist geändert, die Sperrung ist nicht ausgegli-chen. Oder es sind zu weite, seltener zu enge, Wortabständezu bemängeln. Zwar gab der große E. R. Weiß seine Korrek-turen nicht in Punkten, sondern in Millimetern an, dochsollte ihm der Hersteller darin nicht folgen. Der Setzer rech-net eben in Punkten, und wieviel Punkte machen einen hal-ben Millimeter aus? ‹1⁄2 P.› ist eindeutig, ‹etwas mehr Spa-tium› dagegen kann alles mögliche bedeuten. Der Titelsatzist zum Teil ‹die Kunst des Punktes›, ja des halben Punktes.‹Sperren› ist ein unklarer Befehl; man muß deutlich an-geben ‹mit 1⁄2 P. mehr sperren›, ‹mit 1⁄2 P. sperren›.

Rechts: Abbildung . Titel von der Hand des Verfassers.Gesetzt aus ‹Monotype› Bell. .

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Es kommt vor, daß der erste Abzug in jedem Teilchenstimmt. Oder der Abzug sieht doch anders aus, als der Ent-werfer ihn sich vorgestellt hat, und er muß selber da unddort ändern und richten. Dann muß man neue Abzüge aufrichtigem Format und in genauer Stellung verlangen, bisder Titel ‹sitzt›. Die Skizze des Titels, ja der ganzen Titelei,sollte dem Manuskript des Textes beiliegen, und die erstenAbzüge sollten mit den ersten Fahnen eintreffen. Die Probe-seiten müssen schon vorliegen und genehmigt sein, bevordas Werk abgesetzt wird. Ein guter Titel muß in seiner Ausdehnung, auch wenn erschmäler und niedriger ist als die Buchseite, deren Umriß-proportion einigermaßen wiederholen. Sonst paßt er nichtzu ihr. Ist die obere Gruppe des Titels schmal, so darfdie Verlagszeile erst recht nicht die Satzbreite füllen (Ab-bildung ). Häufig wird die Hauptgruppe bei weitem vielzu tief gestellt (Abbildung ). Die Entwerfer solcher Titelscheinen zu meinen, daß die Verlagszeile nicht an der Ge-samtform teilhat. Solch ein Titel sieht abgesackt aus. DieVerlagszeile ist doch genau so sichtbar wie die obere Gruppe,und beide zusammen müssen als Ganzes richtig sitzen. Manerwartet die Hauptzeile im obern Drittel und durchausnicht in der optischen Mitte der Titelseite! Titel wie in Ab-bildung angedeutet sind schlecht. Auch muß hier derVerlagszeile ihre lange Strichform (im Original aus Gemei-nen gesetzt und durch Sperrung gestreckt und verdorben)genommen werden, denn diese widerspricht der runden

Rechts: Abbildung . Anständig gesetzter imaginärer Titel,jedoch von ungenügender Individualität.

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Form der obern Gruppe. Wie überall, wären hier aufeinan-derfolgende gleich lange Zeilen höchst unerwünscht. DerTitel sitzt erst, wenn die obere Gruppe gehoben und die un-tere mehrzeilig und schmäler gemacht wird (Abbildung ). ‹Passender› Durchschuß zwischen den Zeilen ist leichtverlangt, aber schwer getan. Die Zwischenräume zwischenden Zeilen müssen nicht nur dem Inhalt nicht widerspre-chen, sondern wie die Zeilen selber an der Wirkung desGanzen teilnehmen. Da in der Regel der größere Teil desBlattes unbedruckt ist, wirken Zeilengruppen mit gerin-gem Durchschuß fremd; das Weiß des Hintergrundes mußden Satz durchdringen. Große weiße Ränder fordern sehrkräftigen Durchschuß auch zwischen Zeilen aus demselbenSchriftgrad. Eine gewisse Transparenz der Titeltypogra-phie ist meistens erwünscht. Sonst verträgt sich der Satznicht mit dem Hintergrund und kann nicht mit ihm ver-schmelzen (Abbildungen , und ). Hat das Buch, wie in Taschenausgaben, sehr schmaleRänder, dann darf der Titel den Satzspiegel nicht füllen.Die obere Gruppe würde sonst bei weitem zu hoch stehenund muß darum gesenkt werden. Aber auch die Verlags-gruppe entsprechend gehoben! Das proportionale Verhält-nis des obern Randes zum untern, wie es die Buchseite zeigt,muß auf dem Titel wiederkehren. Auch wird man die obere Gruppe häufig etwas senken(und gleichzeitig die Verlagsgruppe heben) müssen, wenn

Rechts: Abbildung .Derselbe Text, Hauptzeile aber aus ungesperrten Gemeinen.

Viel besser als Abbildung .

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die erste Zeile die Hauptzeile bildet. Eine kurze erste Zeile,dazu noch aus einem kleineren Grad als die Hauptzeile, istsehr willkommen, aber nicht immer zu haben. Der Verfassereines Buches kann übrigens ebensowohl über der erstenZeile stehen wie auch durch das Wörtchen VON mit ihr ver-knüpft, ihr folgen. Manchmal kann man das Wörtchen VONauf eine eigene Zeile stellen, was einer starken Betonung derMittellinie gleichkommt (Abbildung ); ein andermalmag man diese kurze Zeile nicht und setzt das von vor denNamen in dessen Zeile (Abbildung ). Auf der Rückseite des Titels finden sich fast immer An-gaben, wenn nicht über den Herausgeber, so über die Auf-lage und den Drucker (irrigerweise auch oft über den Ent-werfer des nicht zum eigentlichen Buche gehörigen Schutz-umschlages, selbst wenn es sich um gar nicht bemerkens-werte, ja schlechte Entwürfe handelt). In ganz billigen Bü-chern geht es kaum anders, weil sich am Ende des Bucheskein Platz dafür finden läßt. Aber lieblos gesetzt brauchensie selbst in den billigsten Büchern nicht zu sein. Man wähleeinen sehr kleinen Grad der Grundschrift (sperre ihn nicht),suche nach einem guten Zeilenfall und durchschieße denSatz mit annähernd ebensoviel Punkten wie die Zeilen derTextseiten. Viel gepflegter und ruhiger wirken leicht ge-sperrte Kapitälchen eines sehr kleinen Grades mit demDurchschuß der Textschrift. Der Wortlaut sei so knappwie möglich. Da diese Zeilen auf der Titelseite durchschei-nen, sollte man sie so anordnen, daß sie wo immer möglich

Rechts: Abbildung . Erst diese Typographie fängt dieZeitstimmung ein. Sie ist bei weitem nicht so einfach wie sie aussieht.

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auf Gruppen oder Zeilen des Titels fallen und deren Aus-dehnung möglichst nicht überschreiten. Diese Angaben auf der Rückseite des Titelblattes begin-nen neuerdings beängstigend anzuwachsen. Sie erinnernbereits an die endlosen Mitarbeiterlisten, die man vor demeigentlichen Anfang eines Films wehrlos über sich ergehenlassen muß, und sind ebenso aufdringlich wie vorderhandunerwünscht. Die Fertiger sollten sich bescheiden erst amSchluß des Buches nennen. Am Anfang genannt zu werden,kommt allein dem Verfasser und dem Geburtshelfer des Bu-ches, dem Verleger, zu. Daher meine ich, Ketzer, der ichimmer war, alles übrige sollte erst hinter dem Textende er-zählt werden. Da der ersten Textseite eines Buches Nichts gegenüber-stehen sollte, kann man sich indes auch damit helfen, daßman den Titel des Werkes, ohne Verfasser, rechts neben derRückseite des Haupttitels schmutztitelartig wiederholt,damit die linke Seite neben dem Textanfang endlich leerbleibt. Nur in den allerbilligsten Büchern mag dort etwasstehen. Aber dies müßte sich wenigstens nett präsentieren.Es ist aber leider die Seite, die am nachlässigsten behandeltwird, und darum ein Ausweis der Fähigkeiten des Herstel-lers. Daß die Graue Eminenz, der Hersteller, hier nie ge-nannt wird, hat drei Gründe. Erstens mag es der Verlegernicht. Zweitens ist der Hersteller zu bescheiden, obwohl erwahrhaftig wichtiger ist als etwa der Graphiker des Schutz-umschlags. Und drittens will es der Hersteller selber nicht,

Rechts: Abbildung . Titel von der Hand des Verfassers,Mühelos abwandelbare Standardlösung.

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weil er bis zum Erscheinungstag fürchten muß, daß irgend-einer das Buch verpatzt hat. Der Autor fürchtet den Setzer,der Drucker den Buchbinder, der Hersteller aber alle vier,mehr als die vier ihn. Der sich verantwortlich fühlende Her-steller, der Luchsaugen und Umsicht haben muß wie dieLeibgarde eines Diktators, überläßt Ruhm oder Schandelieber dem Fußvolk, das sich in naiver Selbstliebe und schö-ner Vollzähligkeit nennt, noch bevor man auch nur eineZeile hat lesen dürfen. Denn Er hat’s erfahren: Man kann niewissen. Den Leser aber kümmert vorderhand nicht im gering-sten, wer das Buch gedruckt hat und was darüber hinausnoch auf der Rückseite des Titels an welterschütterndenEinzelheiten mitgeteilt wird. Alle diese Angaben über denDrucker, die Auflage, sogar die Namen des Herausgebersoder des Übersetzers sind am besten am Schlüsse des Buchesaufgehoben (Abbildung ). Die beiden allerletzten Seiten eines gut gemachten Bu-ches sollen wie die beiden ersten gänzlich unbedruckt blei-ben; dies gilt auch für Bände mit Kunstdrucktafeln am Ende. Aufder viert- oder drittletzten Seite des Buches, dem besten Ortfür die Angaben des Herausgebers, des Druckers und soweiter (Abbildung ) könnte und sollte auch das Erschei-nungsjahr genannt werden, wenn es auf dem Titelblatt ver-schwiegen wird. Zurück zu den Titeln. Die Abbildung stellt den Titeleiner imaginären Ausgabe in einer einwandfreien Form vor.

Links: Abbildung . Zusammengefaßte bibliographischeNotizen am Ende des Buches der Abbildung .

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Die Grundschrift ist Garamond. Ein typographisch fehler-loser Titel ist aber nicht immer schon ein vollendet guterTitel. Dieser Titel und die Garamond als Grundschrift wä-ren recht, wenn es sich um irgendeinen Roman handelte.Dieser Roman aber (der früheste europäische Roman, ,wie der Jahre ältere erste japanische Roman Genji übri-gens das Werk einer Frau) verlangt typographische Atmo-sphäre und müßte aus Janson-Antiqua (noch besser fast ausLutherscher Fraktur) gesetzt werden. Abbildung stellteinen ersten Versuch eines Janson-Titelblattes dafür dar.Doch ist in ihm die Zeitstimmung noch immer nicht einge-fangen, und erst Abbildung nähert sich einer guten Lö-sung. Es handelt sich dabei nicht um den Historismus derachtziger Jahre, sondern um eine Verschmelzung des Zeit-stils von mit heutigen Formwünschen. Modernitäts-sucht ist infantil. Bücher sind keine Modeartikel. Ein Titelfür dieses Buch ‹aus dem Geiste der Gegenwart›, an Stahl-möbel, Autokarosserien oder den Sputnik erinnernd, wäredie Ausgeburt eines ungebildeten Narren. Die endliche Lö-sung einer ähnlichen Aufgabe, die die Stimmung des Werkestypographisch interpretiert, zeigt Abbildung . In der Regel werden wir aber schon zufrieden sein, wennein Titel wenigstens Verstand und Auge nicht beleidigt,wenn er den aufgezeigten Grundforderungen an gutes, har-monisches, gesundes Aussehen entspricht und vor allemrichtig in der Seite sitzt. Videant sequentes.

Rechts: Abbildung . Titel von der Hand des Verfassers. .Caslon-Antiqua und Weiß-Schmuck.

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Satzregeln des Verlegers für den Drucker

DER Verkehr des Verlegers mit dem Drucker kann mit-unter mühselig werden, wenn der Drucker noch nach Re-geln schafft, die nicht allen Ansprüchen genügen, die anden Satz gestellt werden. Die Qualität des Satzes entschei-det über das Aussehen des Buches. Selbst mit einer nichtausgesprochen schönen Schrift lassen sich gute Wirkungenerzielen, wenn wenigstens nach guten Regeln gesetzt wird.Andererseits wird auch die schönste und vollkommensteSchrift verdorben, wenn sie zu weit ausgeschlossen ist undwenn die feineren Regeln des guten Satzes nicht beachtetwerden. Die nachfolgenden Grundsätze sichern ein tadel-loses Satzbild. Der Verleger, der sie seinen Druckern zurPflicht macht, wird vom Aussehen des Satzes nicht ent-täuscht werden. Nicht behandelt sind die Fragen des Durchschusses (desZeilenzwischenraums), der Seitenhöhe, des Verhältnissesder Satzbreite und des Satzspiegels zum Papierformat. DieseDinge sind komplexer Natur und können kaum in kurzeRegeln gefaßt werden. Sie werden an anderen Stellen diesesBuches behandelt.

RegelnAlle Überschriften und erst recht der glatte Satz müssen mitDritteln ausgeschlossen werden. Besonders im Handsatz ist

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auf optisch gleiche Wortzwischenräume in der Zeile zuachten. Hinter den Schlußpunkten von Sätzen und abgekürztenSätzen soll nur der normale Wortzwischenraum der Zeile lie-gen. Nur in weiten Zeilen darf dort eine größere Lücke blei-ben; dort dürfen auch vor Kommas und Bindestriche Spa-tien gesteckt werden. Zwischen dem Wort und den Paren-thesen liegen Spatien, außer vor A, J, T, V, W, Y, nach demSchlußpunkt und in sehr engen Zeilen. Folgen einzelner Buchstaben und Abkürzungen, wie d. h.,u. a., C. F. Meyer, fordern stets verminderte Zwischenräume. Die Überschriften und Gruppen in Titeln werden ohneSchlußpunkte gesetzt. Gemeine sollen nie gesperrt werden. Statt gesperrterSchrift ist immer Kursiv zu verwenden. Versalien sind überall sorgfältig (von Punkt aufwärtsmindestens mit 1⁄2 Punkt) zu sperren und auszugleichenund lieber etwas zu weit als zu eng zu halten. Als Einzug darf stets nur ein Geviert verwendet werden.Größere Einzüge, die weder auffälliger noch schöner sind,können nur bei übermäßig langen Zeilen gebraucht wer-den. Zu große Einzüge können bewirken, daß die Aus-gangszeile kürzer ist als der Einzug darunter. Der Geviertgedankenstrich soll nur in tabellarisch gesetztenPreisbezeichnungen verwendet werden. In allen andern Fällensind kürzere Striche (Streckenstriche, auf Halbgeviert) zusetzen. Der Bindestrich soll jedoch nicht an Stelle des Ge-dankenstrichs treten. In der Regel sollen im Antiquasatz halbierte französischeAnführungszeichen ‹ › angewendet werden. In der gleichen

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Arbeit müssen diese die gleiche Form haben. Sie sind vomWort durch Spatien zu trennen (außer in engen Zeilen).Nur Anführungen in der Anführung erhalten diese Anfüh-rungszeichen: « ». Notenziffern müssen im gleichen Charakter wie die Grund-schrift gesetzt sein. Auf die Notenziffer () oder den Noten-stern (*) soll keine Parenthese folgen, weder im Text nochin der Fußnote. Zwischen dem Wort und der darauffolgen-den Notenziffer muß ein Spatium liegen. Über den Fußnoten soll entweder nur ein Zwischenraumoder eine durchgehende Stumpffeine liegen. Der Zwischen-raum über und unter dieser Linie darf nicht kleiner sein alsder Durchschuß des oberen Textes. Die Umlaute Ä, Ö, Ü dürfen nicht durch Ae, Oe, Ue er-setzt werden (Ärzte, Äschenvorstadt). In Zahlen ist das Komma allein zur Kennzeichnung derDezimalstellen zu gebrauchen. Die Tausendergruppen müs-sen durch Spatien statt durch die falschen Kommas oderPunkte getrennt werden. , bedeutet nicht dreihun-derttausend, sondern dreihundert. Dreihunderttausendsetzt man so: . Auch Schlußpunkte dürfen nicht zurTrennung der Tausendergruppen gebraucht werden. DasKomma leitet immer die Dezimalstellen ein: , m;, kg. Man setzt jedoch: . Uhr. Auch in Telephon-nummern trennt der Setzer die Gruppen besser durch Spa-tium statt durch den Punkt: Nr. . (In deutscherSprache setzt man Nr., nicht No.)

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Wie Probeseiten aussehen sollen

WENN ein Verleger ein Buch plant, so verlangt er von sei-nem Drucker Probeseiten. Sobald diese nach einigem Hinund Her genehmigt worden sind, dienen sie Setzer undDrucker als verbindliche Muster. Es ist daher nötig, die Probeseiten mit aller erdenklichenSorgfalt vorzubereiten. So muß zum Beispiel die Seitenhöhevöllig klar sein. Wenn ein Werk aus zwei verschiedenenSchriftkegeln gesetzt wird, muß eine der beiden Seiten ganzaus dem Hauptgrad gesetzt sein, da nur dieser die genaueSatzhöhe bestimmen kann. In dieser Seite darf daher auchkein Untertitel vorkommen. Überhaupt muß ein Seitenpaarvorgeführt werden, nicht nur weil nur dieses die eigentlicheWirkung des fertigen Buches zeigt, sondern auch, weil alleinein solches die Möglichkeit bietet, einen Kapitelanfang zuzeigen. Dieser ist sowohl für den Maschinensetzer wie fürden Handsetzer von Bedeutung. Am besten stellt man dieSeite mit dem Kapitelanfang nach links, die gewöhnlicheTextseite nach rechts. Wenn das Buch typographisch sehrverwickelt ist, müssen vielleicht drei, vier oder gar siebenProbeseiten angefertigt werden. Denn auf den Probeseitenmüssen alle charakteristischen Satzarten des Buches vor-kommen. Das Werk darf erst berechnet werden, wenn der Setzerdie Probeseiten druckfertig gemacht hat. Sonst können sichUnterschiede im Umfang ergeben. Der Entwurf darf keine

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theoretische Arbeit des Büros sein. ‹Der Satz war vorberech-net› ist keine Entschuldigung für ein häßliches Buch. Der Satz der Probeseiten darf nicht weniger sorgfältig er-stellt werden als ein normaler Auftrag. Mit Druckfehlernschon in der Probeseite verscherzt sich der Drucker das Ver-trauen des Verlegers in den Korrektor. Verlangt der Auf-traggeber die Anwendung eigener Hausregeln, so müssendiese angewendet und die wichtigsten Hinweise auf Seite vermerkt werden. Siehe die Nachbarseite. Kommen Fußnoten im Werk vor, so soll ein verwickelte-res Beispiel dafür vorgeführt werden. Das beschnittene Format, Bund- und Kopfsteg müssenhaargenau stimmen. Der Ehrgeiz eines guten Druckers mußes sein, Probeseiten zu liefern, an denen der Verleger nichtsaussetzen kann. Vor allem muß das Papier, sofern es schon vorhanden ist,dasselbe sein wie das der Auflage; falls es noch in der Anfer-tigung ist, so soll das Papier der Probeseiten dem späterenmindestens seiner Oberfläche nach möglichst ähnlich sein.Aber auch der Druck muß erstklassig sein. Auf Zurich-tung kann keineswegs verzichtet werden, und die Farb-gebung muß dem Papier und der Schriftart genau angepaßtsein. Die Seiten dürfen also weder blaß noch fett wirken.Denn der Maschinenmeister hat sich später nach den Probe-seiten zu richten. Oft liefert die Druckerei nur eine armselige Seite, viel-leicht gar mit einer Ausgangszeile am Fuß, die den unterenPapierrand entstellt. Aber richtige Probeseiten bestehenaus noch mehr als wenigstens einem Seitenpaar: auf Seite der vierseitigen Probe sollen die Angaben des nebenstehen-

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PROBESEITEN

. Vorschlag – . September

Werk: Gottfried Keller, Der grüne HeinrichVerlag: Zum Venedig, BaselDrucker: Jakob Schnellhase, Basel

Seitengröße beschnitten: , mal Zenti- meter.Grundschrift: Mono Centaur – auf , Cicero, Zeilen.Bundsteg pro Seite: Cicero.Kopfsteg beschnitten: Cicero.Ä, Ö, Ü, ß. ‹ ›. Halbgeviert-Gedanken- striche! Statt Sperrung Kursiv. Wort- ausschluß nach Satzschlußpunkten.Geschätzter Umfang: Seiten (einschließ- lich Seiten für Schmutztitel (= Seite ), Titel und Vorwort sowie Seiten Inhalt am Ende des Bandes). Neue Ka- pitel anhängen.

Muster für Seite

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den Musters gedruckt erscheinen. Nur dann wird dem Set-zer und dem Maschinenmeister, vor allem auch ihren ge-legentlichen Mitarbeitern, alles klar sein. Wenn die Probe-seiten etwa statt , mal cm nur , mal , cm großsind, könnten schließlich Zweifel entstehen, ob nicht etwa, mal , cm gemeint seien. Auch muß bei jedem neuenVersuch der ursprünglich geschätzte Umfang nachgeprüftwerden, denn nicht immer findet gleich der erste Versuchdie Zustimmung des Verlegers. Die Versuche müssen auchnumeriert und fortlaufend datiert sein. Es empfiehlt sich ferner, auch Bund- und Kopfsteg aufSeite der Probeseiten festzulegen, damit später kein Un-glück passiert. Der Drucker soll nicht zu wenige Exemplare der Musterherstellen. Mindestens vier gehen an den Auftraggeber,und mindestens weitere vier werden für die Auftragstaschezurückbehalten. Nur wenn alle diese Anweisungen sorgfältig befolgt wer-den, ist es wenigstens einigermaßen sicher, daß das fertigeBuch alle Mitarbeiter und den Auftraggeber befriedigt.

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Konsequenzen des Drittelsatzes

DIE enge Satzweise, die gewöhnlich nicht ganz richtig alsDrittelsatz bezeichnet wird, führt notwendig zu einer Revi-sion gewisser Satzregeln des neunzehnten Jahrhunderts, diegewohnheitsmäßig noch heute gelten. Manche älteren Re-geln stehen in so schroffem Gegensatz zum engen Satz, daßman sich einmal entscheiden muß; eine Verständigung zwi-schen ihnen und der engen Satzweise ist nicht möglich. Der Forderung nach engem Satz liegt die optische Erfah-rung zugrunde, daß der ältere Halbgeviertausschluß dieWörter des Satzes zerreißt und ihr Erfassen erschwert. Er er-gibt ein unruhiges, weißfleckiges Gesamtbild, worin dieWörter der Zeilen oft dichter untereinander als nebenein-ander stehen und dadurch ihren sinnvollen optischen Zu-sammenhang einbüßen. Der Ausschluß Gutenbergs und des fünfzehnten undsechzehnten Jahrhunderts war noch enger, als wir ihn heuteverlangen. Er war geringer als die Stärke eines i und wärealso eher als Viertelsatz zu bezeichnen. Allerdings hatte derSetzer damals die Möglichkeit, innerhalb der Zeile ein odermehrere Wörter in ziemlich beliebigem Maß abzukürzen.Nur so ist das unnachahmlich vollkommene Satzbild derInkunabeln und italienischer und französischer Drucke dessechzehnten Jahrhunderts zu erklären. Das ideale Schriftbild der Antiqua ist das der lateinischenSprache, für das sie geschaffen worden ist. Deutsche Texte

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mit ihren langen Wörtern und der barocken Häufung derVersalien in ihrer gegenwärtigen Schreibweise sind vielschwerer schön zu setzen als Englisch, das das ruhigste ty-pographische Bild unter den lebenden Sprachen ergibt, weiles nur wenige Versalien und gar keine Akzente braucht undvorwiegend aus kurzen Wörtern besteht. Die heutigen romanischen Sprachen sind heute nichtmehr so ideal wie ihre lateinische Mutter zu setzen, da siemit Akzenten versehen sind und die nicht selten vorkom-menden z, j und selbst k eigentliche Fremdkörper in derAntiquaschrift sind. Aber sie erinnern an das Lateinischeund weisen nicht die zahllosen Versalien des Deutschen auf. Im deutschen Satz verlangen die langen Wörter notwen-digerweise häufiger Worttrennungen als andere Sprachen.Guter enger Satz ist in französischen und englischen Werkenselbst mit den Regeln des neunzehnten Jahrhunderts überWorttrennungen noch leicht durchführbar. Im Deutschenverlangt der enge Satz nicht nur die Lockerung, sondern dieAbschaffung der Regeln über sogenannte mangelhafte Tren-nungen, wie ergan-gen, aufge-bracht, Ti-rol. Man kann nichtzugleich eng setzen und mangelhafte Worttrennungen vermeiden.Sonst erhält man teils eng, teils weiter oder weit gesetzteZeilen. Auch die Regel, man dürfe nicht mehr als dreimalhintereinander am Zeilenende trennen, ist in gutem engem(deutschem) Satz nicht immer leicht zu befolgen. Selbstverständlich fordert enger Satz auch nach denSchlußpunkten den gleichen, ja unter Umständen geringe-ren Ausschluß als zwischen den Wörtern. Die älteren Re-geln über den vergrößerten (oft lochartig großen) Aus-schluß hinter dem Satzende sollten endgültig verschwin-

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den. Für den Maschinensetzer bedeutet es eine große Er-leichterung, wenn er nicht mehr auf Schlußpunkte achtenmuß. Auch auf den Umbruch wirkt sich der enge Satz aus. DieRegel, daß Ausgangszeilen nicht die erste Zeile einer neuenSeite bilden dürfen, ist bei engem Satz nicht ohne weiteresannehmbar. Solche Zeilen sind gewiß nicht schön; sie zuvermeiden ist jedoch schwer, wenn man weder aus- nocheinbringen kann. Vergleiche hierzu Seite bis . Anfangszeilen am Fuß der Seite gelten ohnehin nicht alsFehler. Es ist übertrieben, zu verlangen, daß auch sie nichtvorkommen dürfen. Denn dann muß fast stets der Autorhelfend durch Streichungen oder Zusätze eingreifen. Dashieße jedoch eine Vorherrschaft der Form über den Inhaltder Typographie errichten, die gerade ein guter Setzer we-der begünstigen noch gar verlangen darf.

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Warum Absatzanfänge eingezogen werden müssen

DIE Niederschrift einer Gedankenfolge wird vom Verfasserin Gruppen zusammengehöriger Sätze gegliedert; dieseSatzgruppen nennen wir Absätze. Früher wurden sie auchParagraphen genannt. Das heutige unschöne Paragraph-zeichen § ist nichts anderes als eine verkommene Variantedes mittelalterlichen Zeichens ¶, das ursprünglich auch in-mitten fortlaufender Zeilen erscheinen durfte und farbiggeschrieben wurde. Es bezeichnete den Anfang einer neuenSatzgruppe. Im späten Mittelalter begann man diese Satz-gruppen mit einer neuen Zeile einzuleiten, hielt aber andem Brauch fest, das Absatzzeichen, meist in roter Farbegeschrieben, davorzusetzen. Einige Frühdrucker haben esauch als Type geschnitten und schwarz mitgedruckt. Ur-sprünglich aber wurde es in den Inkunabeln noch rot vomRubrikator (der von dieser Arbeit seinen Namen ableitet:rubrum – rot) eingeschrieben. Der Platz dafür mußte vomSetzer freigelassen werden. Das Einschreiben der Paragraph-zeichen unterblieb aber oft, und man fand schließlich, daßder Gevierteinzug – wie wir diesen leeren Raum heute nen-nen – auch ohne das rote Zeichen darin den Absatz genü-gend und sicher kennzeichnet. Er tut das auch heute noch, und bisher hat man kein spar-sameres oder wenigstens ebenso gutes anderes Mittel ent-deckt, den neuen Absatz zu kennzeichnen. An Versuchen

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hat es nicht gefehlt, diesen Brauch durch einen neuen zuersetzen. Etwas Altes zu zerstören hat aber nur Sinn unddas Neue nur Bestand, wenn dieses einer Notwendigkeitentspringt und besser als das Alte ist. Dies läßt sich aber nicht von dem einzuglosen Satz sagen,der immer mehr Überhand nimmt. Auch er hat eine, wennauch viel kürzere, Geschichte. Das Streben unserer Zeitnach Einfachheit, eine Reaktion auf den überladenen Stilunserer Großväter, drückt sich oft in einer krankhaftenSucht nach Vereinfachung aus. Eine folgenschwere Begriffs-verwechslung. Einige der englischen Pressendrucker derJahrhundertwende unterließen den Einzug, und diese un-überlegte Manier, die übrigens in England bis in die jüngsteZeit hinein keine Nachahmer fand, wurde von jungen Ver-legern in Deutschland übernommen. Ein sehr angesehenerVerlag, einst in Leipzig, hat viele seiner Bücher ohne Ein-züge setzen lassen und damit zu der weiten Ausbreitungdieser bedenklichen Satzweise erheblich beigetragen. WennSetzer, Korrektor und Lektor sich alle Mühe geben, wenig-stens die vorhergehende Zeile mit einem wenn auch noch soknappen Ausgang (manchmal nur oder gar typographi-sche Punkte betragend!) zu versehen, so mag das noch zurNot hingehen. In zweitrangigem Spaltensatz, dem von Zei-tungen, Zeitschriften und buchartigen Drucksachen, wirdaber diese Satzart, die keineswegs etwa billiger ist als derSatz mit Gevierteinzügen, geradezu gefährlich. Im Zeitungssatz pflegt man zwischen die Absätze odermehr Punkte zusätzlichen Durchschuß zu legen, zum Teildeshalb, weil Zeitungen keinen so sorgfältigen Umbruchwie Bücher vertragen. Musterhaft ist das aber nicht.

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Schon der Setzer einer Zeitung hat keine Zeit, darauf zuachten, daß jede Endzeile einer Rubrik auch einen sicht-baren ‹Ausgang›, also einen unbedruckten Rest, aufweist.Manchmal endet auch mitten im Absatz eine Zeile miteinem Schlußpunkt. Der Metteur schaut auf die Schluß-punkte am Ende der Zeilen; unter diese Zeilen legt er denzusätzlichen Durchschuß, der damit die Rolle des Einzugesübernimmt. Hat er auch keinen Fehler gemacht? Den Satzzu lesen, hat er keine Zeit. Den hastig lesenden Korrektorkümmert es auch kaum, weil es ihm ebenfalls an Zeit man-gelt. Das Ergebnis sind irrtümlich zerschnittene und fälsch-lich gekuppelte Sinngruppen. Der unregelmäßige zusätz-liche Durchschuß verdirbt überdies das Aussehen des Satz-bildes. All das leuchtet natürlich nur einem ernsthaften Le-ser ein. Aber selbst wenn Setzer, Korrektor und Lektor einesBuches jener indirekten Kennzeichnung der Absätze durcherzwungene, künstliche Ausgänge in der vorhergehendenZeile alle Aufmerksamkeit schenken, so sind selbst alle dreizusammen nicht so unfehlbar, daß diese indirekte Kenn-zeichnung auch wirklich nirgendwo vergessen wird. Gedruckt wird das Buch aber für den Leser. Auch er istam Ende jeder Zeile ein wenig träger als an ihrem Anfang.Die ‹stumpfen› Anfänge (so nennt der Fachmann Anfängeohne Einzug) erwecken in ihm den Eindruck eines fortlau-fenden Sinnzusammenhangs, während ein guter Schrift-steller diese Absätze mit allem Vorbedacht wählt und er-kennbar gemacht haben will. Der einzuglose Satz erschwertalso auch die Aufnahme des Gedruckten durch den Leser.Und das ist sein wichtigster Nachteil. Stumpfe Anfänge ma-

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chen den Satz zwar ‹ruhiger›, als normaler aussieht; aberdas wird mit einem bedenklichen Verlust an Artikulationerkauft. Die Artikulation ist durchaus notwendig, wenn dasgedruckte Buch die ideale Darbietung einer Gedankenfolgesein soll. Die Artikulation muß unbedingt links, am Anfangeder Zeilen, erscheinen, nicht am Ende der Zeilen, wo manzu lesen aufhört. Wie bemühend ist es, daß diese Selbstver-ständlichkeit noch erläutert werden muß! Nur an einer Stelle ist der Einzug sinnlos und unschön:unter einer auf Mitte gestellten Überschrift. Der erste Ab-satz soll stumpf beginnen. Unter einer nach links gerücktenÜberschrift jedoch ist der Einzug erforderlich. Zwei neuere Unarten der indirekten Kennzeichnung vonAbsätzen seien nur gestreift: einzugloser Satz, dessen Ab-sätze durch volle Blindzeilen getrennt sind, die eine viel zustarke Unterbrechung bewirken und es unter Umständenfraglich erscheinen lassen, ob auf der neuen Seite ein neuerAbsatz beginnt; und nach rechts geschobene Ausgangszei-len, die äußerst lästig wirken und auch nur ein indirektesMittel sind. Es gibt eben nur eine einzige sichere, nur eine einzigetechnisch einwandfreie und dabei höchst einfache und spar-same Art, den Absatzbeginn zu kennzeichnen, und das istder Einzug, der in der Regel ein Kegelgeviert (also Punktim -Punkt-Grad) betragen soll. Er darf auch etwas klei-ner, ja in gewissen Fällen sogar etwas größer sein. Der Set-zer wird ihn kaum vergessen und der Korrektor mit Sicher-heit darauf achten; kein Leser kann ihn übersehen. DaßSatz mit Gevierteinzügen weniger schön sei, ist unwahr.Der einzuglose Satz sieht nur einfacher aus, geht aber auf

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Kosten der Artikulation, die ein Attribut typographischerSchönheit ist. Daß er heute so häufig anzutreffen ist, beweistdurchaus nicht, daß er gut ist. Zahlreiche Werke der schönen Literatur, ja sogar wissen-schaftliche Bücher, sind in neuerer Zeit ohne Einzüge ge-setzt worden. Aus einer Mode der Jahrhundertwende istbeinahe eine feste Regel geworden, und man scheint nichtzu erkennen, daß es dieser unartikulierten Darstellungsartan Deutlichkeit gebricht. Sie ist ein Anzeichen schwinden-der Achtung vor dem Wort und dem Buchstaben. DerSchriftleiter einer Fachzeitschrift hat gar gemeint, der Satzmit Einzügen sei eine Neuerung, deren Brauchbarkeit sicherst erweisen müsse! Es ist aber der Satz mit Einzügen, dersich seit mehr als vierhundert Jahren bewährt hat. Von ihmweicht man nur in Deutschland und der Schweiz so häufigab. In England, Frankreich, den skandinavischen Ländernund den Vereinigten Staaten trifft man die ‹lallende› Satz-weise ohne Einzüge nur ausnahmsweise an, vornehmlichnur in lieblos gemachten Druckerzeugnissen. Der normale alte Satz mit Einzügen ist unendlich besserund deutlicher als der glattgeschniegelte Satz mit stumpfenAnfängen. Die alte Methode kann gar nicht verbessert wer-den. Sie ist, obschon wahrscheinlich ein zufälliger Fund, dieideale Lösung des Problems. Mögen die Verleger und dieSetzer, die es angeht, recht bald zu ihr zurückfinden. Einen kleinen Teil der Schuld an der Ausbreitung derfalschen Satzart trägt auch die weithin geübte Art, wieBriefe und Manuskripte auf der Schreibmaschine geschrie-ben werden: auch hier statt der sicheren und stets erkenn-baren Einzüge stumpfe Anfänge und Blindzeilen zwischen

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den Absätzen. Die Handelsschulen lehren heute, ohne imgeringsten in typographischen Fragen kompetent zu sein,daß Einzüge veraltet, stumpfe Anfänge ‹modern› seien.Das ist eine ganz irrige Laienmeinung. Es wäre gut, wennman auch hier zur alten Art – bis Buchstabenbreitengenügen vollauf als Einzug – zurückkehrte.

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Kursiv, Kapitälchen und Anführungszeichen

im Textsatz des Buches und in wissenschaftlichen

Zeitschriften

Geschichtliches

DIE Anfänge einer typographischen Differenzierung desTextsatzes finden wir in der Zeit des Barocks. Damals fingman an, innerhalb eines Antiquasatzes Kursiv zur Unter-scheidung zu verwenden. In Büchern deutscher Sprache,die ohne Ausnahme in Fraktur gesetzt wurden, huldigteman um diese Zeit der Mode, fremde Wörter in Antiquazu setzen; die Wortstämme von Fremdwörtern mit deut-schen Endungen wurden in Antiqua, die Endungen in Frak-tur gesetzt. Im achtzehnten Jahrhundert hatten sich schon einiger-maßen feste Regeln für solcherart gemischten Satz, vorallem für wissenschaftliche Bücher, gebildet. Es gab undgibt immer Bücher, deren Text durch eine Schriftdifferen-zierung an Deutlichkeit und Klarheit gewinnt. Neidvollbetrachten wir den Satz der Ausführlichen lateinischen Sprach-lehre von IMMAN. JOH. GERH. SCHELLER, Leipzig,

(Abbildung). Die Grundschrift dieses Buches ist die Frak-tur der Zeit. Die Übersetzungen ins Deutsche sind aus

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Schwabacher gesetzt. Diese schöne, kräftige Schrift dientevor J. F. UNGER (–) als Halbfette. (Eigentlichehalbfette Frakturschriften sind erst im neunzehnten Jahr-hundert aufgekommen.) UNGER verbannte die von ihm fürhäßlich gehaltene Schwabacher aus dem Schriftenbestandder Buchdruckereien und führte als Ersatz der Auszeich-nung der Fraktur durch Schwabacher die Sperrung ein, mitderen Ausmerzung wir heute uns abmühen. Daher rührt es,daß noch heute, aber nur in Deutschland, der Schweiz undin Österreich, Antiqua manchmal irrigerweise mit gesperr-ter Antiqua statt mit Kursiv ausgezeichnet wird. Im Anti-quasatz soll aber nirgends gesperrt werden. (Versalien undKapitälchen bilden die Ausnahme.)

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Für die lateinischen Wörter sind im SCHELLER von

Antiqua und Kursiv verwendet worden. Dem beneidens-werten Autor und dem Setzer standen also verschiedeneSchriften auf dem gleichen Kegel für ebenso viele Wort-kategorien zur Verfügung. Kapitälchen waren damals inDeutschland anscheinend noch seltener als heute. Sonst hätteSCHELLER, falls nötig, auch sie noch verwenden können.Aber er hätte sie nicht benötigt, und noch mehr als Schrift-arten sollte kein Autor im Text brauchen. In einer Gramma-tik läßt man sich das durchaus gefallen, aber kaum in ande-ren Büchern, mögen sie noch so gelehrt sein. Ein heutigerTypograph, der dieselbe Grammatik in Antiqua zu setzenhätte, hätte nur Schriftarten zur Verfügung, nämlich An-tiqua, Kursiv und Kapitälchen, und müßte zur HalbfettenZuflucht nehmen, wenn Schriftarten verlangt würden.(Mit Endstrichloser als Grundschrift wäre er noch früherverloren.) Und wieviel besser sieht Breitkopf-Fraktur mitAlter Schwabacher aus als etwa Garamond mit halbfetterGaramond! In vollkommener Weise wird der Unterschiedzwischen Deutsch und Lateinisch im SCHELLER durchden Formengegensatz zwischen Fraktur und Schwabacherauf der einen und Antiqua und Kursiv auf der andern Seiteveranschaulicht. In einer aus Antiqua gesetzten Grammatikwürden die lateinischen Wörter sich längst nicht so gut ab-heben. Wir können also diese allerdings schwere Aufgabe,solange wir auf die Fraktur verzichten, nicht so gut bewäl-tigen wie der Setzer des achtzehnten Jahrhunderts. Mit der Fraktur haben wir uns, wie auch dieses Beispiellehrt, eines Schatzes begeben, um den uns Andersspre-chende beneiden dürften, wüßten sie genauer Bescheid. Es

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ist ein Unglück, daß Fraktur wie früher auch heute nochmit sachfremden Argumenten von den einen bekämpft undmit ebendenselben von anderen gelobt wird; von der be-sonderen Eignung der Fraktur und der Schwabacher für diezum Teil langen Wörter der deutschen Rechtschreibung,von ihrer raumsparenden Gedrängtheit, von ihrer aus spe-zifisch deutscher und transalpiner * Linienkunst erwachse-nen Form ist kaum die Rede. Man lese JEREMIAS GOTT-HELF, GOTTFRIED KELLER, MÖRIKES, selbst GOETHES

Liebesgedichte oder Des Knaben Wunderhorn in Antiqua.Dann spürt man vielleicht doch, daß sie alle unpassend‹verkleidet› sind. Aber das nur nebenbei. Wenn man immittleren neunzehnten Jahrhundert einen ähnlichen wissen-schaftlichen Text wie den des SCHELLER aus Antiqua zusetzen hatte, mußte man bereits die halbfette ‹Aldine› zuHilfe nehmen (die ihren Namen, der auf ALDUS MANUTIUS

anspielt, ganz zu Unrecht führt). Dazu kamen Kursiv undKapitälchen. Kursiv ist eine an die humanistische Verkehrsschrift er-innernde, oft etwas schmäler laufende schrägstehende Ver-wandte der Antiqua, die hauptsächlich durch ihren Rich-tungsgegensatz auffällt, aber im Grau der ganzen Seite nur

* Ich finde leider kein besseres Adjektiv als diesen wenig gebräuch-lichen Ausdruck. Das Wort ‹mitteleuropäisch› ist durch gewisseSubjekte der näheren Vergangenheit in Verruf gebracht worden ;auch trifft es die Sache nicht. ‹Transalpin› heißt buchstäblich ‹jen-seits der Alpen›. Da dieses Wort aber von Römern geprägt wordenist, bedeutet es ‹nördlich der Alpen›, wie umgekehrt ‹cisalpin›(eigentlich ‹diesseits der Alpen›) ‹südlich der Alpen› bedeutet.

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soweit stört, als das ihre Funktion verlangt. Kapitälchensind Lettern in Großbuchstabenform, aber annähernd in derGröße des kleinen n. Schon der authentische Schnitt derGaramond, wie er in der Frankfurter Schriftprobe CONRAD

BERNERS () erscheint, zeigt Kapitälchen für Grade. Während man hervorzuhebende Stichwörter gern in Kur-siv setzte, blieben die Kapitälchen den Namen von Perso-nen, zuweilen aber auch Ortschaften, vorbehalten. In dendie Antiqua benutzenden Ländern bildeten sich seit derMitte des neunzehnten Jahrhunderts nützliche und allge-mein verbindliche Regeln heraus, die auch wir annehmenund lernen müssen, wenn wir die Antiqua richtig gebrau-chen wollen. Es wäre absurd, andere Regeln aufzustellen.Die richtigen Regeln haben längst ihre Brauchbarkeit be-wiesen, dürfen also unbesehen übernommen werden. Auchverbietet die Rücksicht auf Leser anderer Sprache, es andersals die übrige Welt zu machen. Wir sind also nicht frei, Kur-siv und Kapitälchen, so wie es uns gerade einfällt, zu ver-wenden, sondern müssen endlich die Kinderschuhe ablegenund Kursiv und Kapitälchen richtig verwenden lernen. Bisjetzt geschieht dies noch viel zu selten.

Wo Kursiv, wo Kapitälchen?

In einem Roman kommen Textauszeichnungen mittelsKursiv oder gar mittels Kapitälchen kaum vor. Höchstensdaß heute das betonte Wort ‹ein› mit Kursiv hervorgeho-ben wird (‹Nur ein Mittel hälfe …›). Früher pflegte man es,wo es nötig war, mit einem Versal zu setzen, was mir rich-tiger erscheint, als es in Kursiv oder gar gesperrt zu bringen.

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Selbst in Lehrbüchern dürfen weder Kursiv noch Kapitäl-chen als Signalscheiben des laufenden Textes, also als Ord-nungsmittel der Übersicht, mißbraucht werden. (Sind sol-che Signalzeichen durchaus nötig, so setze man fette Sternevor das Stichwort.) Sie dienen eigentlich überhaupt nichtzur Hervorhebung, sondern nur zur Verdeutlichung undDifferenzierung. Die ‹Rubrizierung› des Textes wird durchdie verschiedenen Arten der Überschriften und dazu manch-mal durch Marginalien sichtbar gemacht. Die Absätze deu-ten Gedankenpausen an. Nur in ganz seltenen Fällen darfausnahmsweise einmal ein quasi laut zu sprechendes Wortoder ein Satz in Kursiv gesetzt werden. Wie das WortSchriftsteller verrät, gehört es zur Kunst des Schreibens,dem wichtigen Wort den gewünschten Nachdruck durchseine Stellung innerhalb des Satzes zu verleihen. Die in man-chen Zeitungen blühende Fettsetzerei halber und ganzerSätze, überhaupt die Sucht, fast die Hälfte aller Wörter aus-zuzeichnen, hilft dem Leser, der etwas verstehen will, garnicht, sondern läßt ihn meinen, er werde für schwachsinniggehalten. Das extreme Gegenteil aber, alles und jedes in nureinem einzigen Grade und dazu ohne Kursiv abzusetzen,offenbart einen wirklich erschreckenden Mangel an Höf-lichkeit dem Leser gegenüber und ist noch weit schlimmerals der Gebrauch zu vieler Schriftarten. Kursiv ist in erster Linie für die Charakterisierung der imText vorkommenden Bezeichnungen von Büchern, Zeit-schriften, Kunstwerken und die Namen von Häusern undSchiffen bestimmt. Dafür erhalten diese Wörter keine An-führungszeichen. Ferner ist es angezeigt, Wörter und Sätzeaus fremden Sprachen durch Kursivsatz statt durch Anfüh-

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rung zu kennzeichnen. Dies ist eine feste Regel im Engli-schen, im Französischen und in vielen anderen Orthogra-phien. Kapitälchen, genauer: Kapitälchen mit Versalien, dienender Kennzeichnung von Personennamen. Man sieht diesezuweilen auch ganz in Versalien, doch fallen sie dann zu sehrauf (JUAN DE YCIAR ist besser als JUAN DE YCIAR);auch erkennt man nur, wenn man Kapitälchen mit Versalienverwendet, was klein und was groß geschrieben werdenmuß. Vornamen werden genau wie der Familienname ausKapitälchen mit Versalien gesetzt. Zusammensetzungen,wie Ohmsches Gesetz, Röntgenstrahlen, rembrandtartig,setzt man jedoch besser nur in gewöhnlichen Buchstaben. Kapitälchen müssen stets ganz schwach gesperrt werden;sonst verlieren sie alle Leserlichkeit. Es ist eine Ermessensfrage, ob man in einem längerenBuche die vorkommenden Namen stets so auszeichnen will.Es besteht kein Zwang. Manchmal sträuben sich die Buch-verfasser dagegen, denselben Namen, so oft er vorkommt,auszuzeichnen. Aber der Versuch, dies nur zu tun, wenn derName zum ersten Male auftaucht, glückt selten. Man mußdie Auszeichnung entweder überall durchführen oder aufsie verzichten. In einer Bibliographie dagegen sollten die Verfasser stetsin Kapitälchen und Versalien, die Buchtitel stets in Kursivgesetzt werden. Die Verfasser von Zeitschriftenartikelnwerden ebenfalls in Versalien und Kapitälchen, die Aufsatz-titel in Gewöhnlicher und nur die Zeitschriftentitel in Kur-siv gesetzt. (Zeitschriften sind Bücher.) Nicht allgemein bekannte Eigennamen, wie ‹Salon des

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Refusés›, sowie nicht allgemein geläufige und in übertrage-nem Sinne oder mit Vorbehalt gebrauchte Wörter, wie ‹Hu-renkind› (Ausgangszeile am Kopf einer Seite), dürfen zwi-schen Anführungszeichen gesetzt, sollen aber in Gewöhn-licher, nicht in Kursiv erscheinen. Auch wird man einen un-geläufigen Begriff, der erläutert werden soll, wie ‹Kraft desPinsels›, gern zwischen Anführungszeichen setzen. Zitate setzt man ebenfalls aus gewöhnlicher Schrift, faßtsie aber mit Anführungszeichen ein. Die aufgeführten Regeln entsprechen der englisch-fran-zösischen Methode, sind international gültig und der indeutschsprachigen Büchern häufigen Willkürlichkeit vor-zuziehen. Von der Halbfetten rede ich lieber gar nicht; vor ihremGebrauch im Buche, außer in Nachschlagewerken und allen-falls für Überschriften, ist dringend zu warnen. Ihre Funk-tion ist Blickfang, nicht Differenzierung. Ist, etwa in einem Vorwort, die Kursiv Grundschrift, sowird diese mit Gewöhnlicher ausgezeichnet, nicht etwa mitgesperrter Kursiv. Es gibt Leute, die jede Differenzierung des Textes ver-werfen. Sie sagen, sie bewirke Unruhe. Aber diese Leuteschütten das Kind mit dem Bade aus. Man schaut den Textja nicht bloß an, man soll ihn gut lesen können. Die kleine‹Unruhe› erleichtert die Aufnahme des geschriebenen Wor-tes ungemein und belebt es sogar in angenehmer Art. Unddie dauernde Belästigung durch Anführungszeichen stattKursivsatz ist auch nicht erfreulich. Denn es gibt mehrereGründe für den Gebrauch von Anführungszeichen! Aller-dings verlangt der richtige Gebrauch von Kursiv, Kapitäl-

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chen und Anführungszeichen im Buche von Autor undLektor strenge Selbstzucht, und es gibt Autoren, die diesenicht gern üben.

Echte und unechte Kapitälchen

Echte Kapitälchen werden nur zu den Buchschriften gelie-fert, und nicht einmal zu allen. Diese echten Kapitälchen,meist um eine Spur höher als das kleine n, sind eigens fürjeden Brotschriftgrad geschnitten und nicht von derselbenForm wie etwa ebenso kleine Versalien, sondern etwas brei-ter und proportional etwas kräftiger als diese. Eine Druckerei, die nicht über echte Kapitälchen verfügt,muß sich mit Versalien eines kleineren Grades behelfen.Ganz tadellos sieht das selten aus. Entweder sind diese Ver-salien etwas zu groß oder etwas zu klein und stets etwas zuzart im Verhältnis zu den Gemeinen der Grundschrift.Außerdem ist die Mischung zweier Grade in der Zeile un-bequem, zumal wenn sie häufig ist. Der Besitz von echten Kapitälchen in den Graden , , und bietet der Druckerei nicht unwichtige Nebenvor-teile. Die -Punkt-Kapitälchen sind zugleich minuziöse

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‹Großbuchstaben›, die oft auf feineren Drucksachen ge-braucht werden, und an Stelle von nur Versaliengrößenbesitzt man in denselben Graden mit den Kapitälchen ver-schiedene Sorten von Großbuchstaben in subtiler Abstu-fung. Der Besitz von Kapitälchen ist ein Muß für eine guteinzurichtende Druckerei.

Anführungszeichen

Zwischen Anführungszeichen gesetzt wird in erster Liniedie gesprochene Rede. Nötig ist es eigentlich nicht, undauch nicht sehr schön, aber doch deutlicher als der Satz ohnesolche Zeichen. Zumal jene aufgeblähten Romane, in denenRede und Gegenrede stets neue Absätze bilden, bedürftender Anführungszeichen im Grunde nicht, weil der neue Ab-satz (falls dank einem Einzug erkennbar) ja zeigt, daß einanderer redet. Deutlich wohl, aber nicht gerade satzver-schönernd – das ist unser Urteil über diese Zeichen. Es gibt nicht nur eine Art. Da sind zuerst die ‹deutschenGänsefüßchen›, denen wir in der Fraktur begegnen. Vornzwei Kommas, hinten zwei umgedrehte Kommas: .Kein Spatium zwischen Wort und Zeichen! In der Antiquagilt dasselbe, nur daß man dort Antiquakommas benützt.Diese wie jene werden meistens als Pärchen geliefert. Ichmöchte unterstreichen, daß das Schlußgänsefüßchen aus‹umgedrehten Kommas› (“) bestehen sollte und nicht ausoben aufgehängten (”), weil diese verdoppelte Apostrophesind.Dann gibt es die ‹französischen Gänsefüßchen›, franzö-sisch guillemets («n»). In der Fraktur dürfen sie nicht ver-

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wendet werden. Nur sie verdienen eigentlich den Namen;denn die deutschen Anführungszeichen haben, scheint mir,ja keine Ähnlichkeit mit Gänsefüßchen. In Deutschlandzeigen sie meistens mit der Spitze nach innen: »n«; in derSchweiz müssen sie mit der Spitze nach außen zeigen: «n».Sie sollten, außer vor den Buchstaben mit Fleisch A, J, T,V, W und nach Schlußpunkten, stets mit einem Spatium ge-setzt werden. Es ist freigestellt, ob man in deutschem Antiquasatz deut-sche oder französische Gänsefüßchen verwenden will. Die Sache wird verzwickter, wenn man gewahr wird, daßes nicht dasselbe ist, eine gesprochene Rede anzuführenoder ein ungebräuchliches Wort einzuführen. Manche ha-ben da zum andern Stil Zuflucht genommen, benützen alsobeide Arten, «n» und „n“. Andere nehmen für das anzufüh-rende Wort die Hälfte des Pärchens, also ‹n› oder ,n‘ (bei-leibe nicht ,n’! Der Apostroph darf nicht auch Anführungs-zeichen sein!). Was aber tun, wenn es keine ‹n› gibt, ganzgenau zu den «n» passend? Diese zwei erwünschten Zei-chen fehlen in fast allen Schriften. Man kann sie aber von derLinotype bestellen: die Garamondform ‹ › für Garamondund Janson; und von der Monotype die Bembo-Form ‹ ›,die zu den meisten Antiquaschriften paßt. Diese halbenGänsefüßchen sind die beste Anführung der gesprochenenRede, und man könnte die barocken Pärchen für die ande-ren, aber selteneren Notwendigkeiten aufsparen. Anführung innerhalb einer Anführung: Manche setzen«–, ‘–», andere «–,, “–», benützen also dann die sonst nichtverwendete Sorte. Es ist aber schwer einzusehen, wozu esüberhaupt des Wechsels bedarf. Man kann ganz gut setzen:

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«–« »–», da die innere Anführung wohl immer ganz kurzist. Ich ziehe folgende Art vor: ‹–« »–›, wie ich überhauptden einfachen Anführungszeichen dieser Form ‹ › den Vor-zug gebe. Die Engländer unterscheiden zwischen single quotationmarks (‘n’) und double quotation marks (“n”). Viele gute eng-lische Drucker ziehen heute für die Anführung der gespro-chenen Rede die single quotation marks vor, weil die doppeltendas Satzbild so unruhig machen. Auch hier sind Spatienempfehlenswert, damit das Anführungszeichen am Endenicht zu einem Apostroph wird. Die meisten Länder haben eine eigene Art der Anfüh-rungszeichen und ihres Gebrauchs. Aufschluß darüber er-teilen WILHELM HELLWIG, Satz und Behandlung fremderSprachen, und PAUL GRUNOW, Richtlinien für den Satz frem-der Sprachen.

Der richtige Satz von Literaturnachweisen(englisch: References, französisch: Sources)

und Bibliographien

Ordnungsziffer in voller Größe mit Schlußpunkt, freige-stellt. (Nur im Text Bruchziffern, ohne Klammer, weil siedort nicht stören sollen. In der Nachweisliste müssen dieZiffern deutlich sein; Bruchziffern kleiner Grade sind mei-stens kaum noch leserlich.) Autoren in Versalien und Kapitälchen (Vornamen ein-heitlich entweder ausgeschrieben oder abgekürzt, einheit-lich vor- oder nachgesetzt), leicht gesperrt (auf der Schreib-

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maschine durch doppelte Unterstreichung darstellen):Voss, H. Dahinter Doppelpunkt. Stammt eine Arbeit von zwei Autoren, so dürfen auch dieWörter ‹und, and, et› in Kapitälchen dort gesetzt werden,wo die Arbeit im Text erwähnt wird. Obwohl diese Satz-weise nicht konsequent ist, läßt sie deutlich erkennen, daßes sich um eine Arbeit zweier Autoren und nicht um zweiverschiedene Arbeiten handelt. In den Literaturverzeich-nissen jedoch setzt man statt ‹und, and, et› besser nur einKomma, weil dieses in allen Sprachen verstanden wird. ‹et al.› (et alii = und andere) wird stets in gewöhnlichenGemeinen gesetzt. Es ist unrichtig und durchaus verwerflich, Verfasser-namen kursiv zu setzen. Falls keine Kapitälchen vorhandensind, sollen die Verfassernamen gar nicht hervorgehobenwerden. Reihenfolge bei kompletten Buchtitelzitierungen: Autorin VERSALIEN und KAPITÄLCHEN, am liebsten leicht ge-sperrt (auf der Monotype mit oder Einheiten), Doppel-punkt. Titel ungekürzt, in Kursiv, Punkt. Verlagsort, Komma.Erscheinungsjahr in gewöhnlicher Schrift, Punkt. Beispiel:

. STANLEY MORISON: Four Centuries of Fine Printing. London, .

Falls der Verleger genannt wird, folgt dem Verlagsort einDoppelpunkt (erst der Ort, dann der Verlag):

. JAN TSCHICHOLD: Geschichte der Schrift in Bildern. Vierte Auflage. Hamburg: Hauswedell, .

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Artikeltitel in gewöhnlicher Schrift, nicht kursiv (Bei-spiele und ). Sie dürfen zwischen Anführungszeichengestellt werden (Beispiele und ). Vor dem Buch- bezie-hungsweise dem Zeitschrifttitel darf ein Halbgeviert-Ge-dankenstrich stehen. Buchtitel und Zeitschrifttitel in Kursiv (auf der Schreib-maschine einmal unterstreichen). Abkürzung der Zeit-schriftennamen nach den einschlägigen Listen, zum Bei-spiel nach World Medical Periodicals, . Auflage, . Jahrgang in Kursiv (im Manuskript einmal zu unterstrei-chen), Seitenzahl gewöhnlich, eventuelle Jahreszahl in ge-wöhnlicher Schrift zwischen Klammern, Schlußpunkt.Eventuelle Länderangaben wie ‹(Dtschl.)›, ‹(Österr.)›zwischen runden Klammern, aber in gewöhnlicher Schrift.Beispiele:

(Vornamen abgekürzt, nachgesetzt). GOODHART, R., JOLLIFFE, N.: Effects of Vitamin B (B

). Therapy on the Polyneuritis of Alcohol Ad-

dicts. – J. Am. med. Ass. , – ().. WEISS, S., WILKINS, R. W.: The Nature of the Cardiovascular Disturbance in Nutritional Defi- ciency States. – Ann. intern. Med. (USA) , –

().

(Vornamen ausgeschrieben, vorgesetzt). LAURANCE P. ROBERTS: ‘Chinese Pictorial Arts.’ – The Brooklyn Museum Quarterly. July . Brook- lyn, .

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. JAN TSCHICHOLD: ‘Color Registering in Chinese Woodblock Prints.’ – Printing & Graphic Arts, Lunen- burg, Vermont, , – ().

Nur wenn die Schriftart weder Kursiv noch Kapitälchenenthält, darf alles in gewöhnlicher Schrift gesetzt werden.Der Jahrgang soll dann in halbfetter Schrift erscheinen. Ge-meine Buchstaben dürfen nie gesperrt werden. Ungedruckte Kongreßvorträge sowie Kongreßnamenselber sind weder Bücher noch Zeitschriften und werdendaher in gewöhnlicher Schrift gesetzt. Im Buchtext vorkommende Buchtitel sind genau so dar-zustellen wie in den Literaturnachweisen (das heißt in Kur-sivschrift und ohne Anführungszeichen). Autorennamendürfen dort in gewöhnlicher Schrift erscheinen; doch sindKapitälchen mit Versalien besser. Im Text wird auf die ein-zelnen im Literaturnachweis angeführten Quellen, wenndiese numeriert sind, mit einer hochstehenden Bruchzifferohne Klammer verwiesen. Diese fordern jedoch keineswegsauch Bruchziffern als Ordnungsziffern der Literaturnach-weise. Selbst Verlags- und Antiquariatskataloge gewinnen anLeserlichkeit, wenn in ihnen die vorstehenden internationalgültigen Satzregeln befolgt werden. Längst ist es Zeit, daß an Stelle der sträflichen Willkür,mit der in der Schweiz und vor allem in Deutschland Auto-rennamen und Buchtitel (fast stets falsch) ausgezeichnet wer-den, die Ordnung tritt, die in den Antiqualändern schonseit vielen Jahrzehnten einheitlich befolgt wird und millio-nenfach erprobt ist.

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Vom Durchschuß

UNTER Durchschuß wird der mittels Blindmaterials be-wirkte Zeilenzwischenraum verstanden. Zumal in größe-ren Arbeiten, wie Büchern und Zeitschriften, ist die Bemes-sung dieses Leerraums von großer Bedeutung für Lesbar-keit, Schönheit und Wirtschaftlichkeit des Schriftsatzes. Für Akzidenzdrucksachen, Inserate und ähnliche Arbei-ten geringen Umfangs für die Tagesbedürfnisse wird mankaum allgemeingültige Regeln aufstellen können. Nur soviel ist hier wohl stets richtig, daß, je mehr Ausgangszeilenoder verschieden lange Zeilen der Satz aufweist, das heißt,je unruhiger sich der Umriß des Satzbildes darstellt, um soeher ein kräftiger Durchschuß zu empfehlen ist. Ein solcherbetont die Linearität der Zeilen und hebt dadurch die Un-ruhe der Silhouette einigermaßen auf. Auch zu weit gesetzter, das heißt schlechter Satz läßtsich durch Verstärkung des Durchschusses retten. Die Satz-weise der Bücher des ausgehenden neunzehnten Jahrhun-derts erschiene noch schlechter, wenn man den in der Regelstarken Durchschuß vermindern würde. Dieser läßt dieübergroßen Lücken zwischen den Wörtern nicht so deutlichin Erscheinung treten. Selbst weiter Durchschuß befreit jedoch keineswegs vonden Regeln über guten Ausschluß. Zwar wirken, wie ge-sagt, bei sehr weitem Durchschuß zu große Wortabständenicht mehr so deutlich und so störend wie in kompressem

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Satz. Aber das ist kein Grund, in solchen Fällen Halbge-vierte oder noch größere Wortzwischenräume zu verwen-den. Die oberste Forderung an den guten Setzer ist ge-schlossene Zeilenwirkung, die nur durch Drittelsatz er-reichbar ist. Frühere Zeiten haben selbst die Antiqua vielenger gesetzt als wir; so zeigt die Schriftprobe mit dem Ori-ginal der Antiqua Garamonds von im -Punkt-Gradin allen Zeilen einen Ausschluß von nur Punkten, dasheißt von einem Siebentel-Geviert! Man kann also bei so-genanntem Drittelsatz noch nicht von sehr engem Satzreden. Wenn allerdings der Durchschuß so stark oder noch stär-ker ist als der Kegel, dann darf man auch ein wenig ‹weiter›setzen als in kompressem Satz: sonst könnten sich die Wör-ter infolge des sehr weiten Zeilenabstandes optisch zu sehrnähern und damit die Lesbarkeit des Ganzen vermindern. Nicht immer ist man sich dessen bewußt, daß auch dieverschiedenen Schriftarten verschiedenen Durchschuß ver-langen. Genau so, wie man schon einzelne Zeilen aus kräf-tigen Fraktur-, Schwabacher- und Texturschriften ‹sehreng› setzen muß (größere Grade noch enger als mit Drit-teln), damit die Zeilenbänder nicht zerfallen, so vertragendiese dunklen Schriften auch keinen allzu starken Durch-schuß; sie müssen als glatter Satz ziemlich kompakt wirken.Das gilt sogar noch für die älteren Antiquaschriften wie dieGaramond-Antiqua, wenngleich hier ein wenig mehr Durch-schuß noch nicht schadet. Ganz anders aber ist es bei denjüngeren oder klassizistischen Antiqua- und Frakturschrif-ten des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts: derBodoni-, der Didot- und der Walbaum-Antiqua und der

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Unger-Fraktur: sie alle verlangen kräftigen Durchschußund wirken kompreß überhaupt nicht gut. Man kann alsonicht ohne Schaden eine aus Garamond gesetzte, wohlgera-tene Seite in eine ebenso gesetzte Bodoniseite verwandeln;diese wird wahrscheinlich stärkeren Durchschuß fordern.Daraus folgt, daß splendid gesetzte, weit durchschosseneBücher eher aus einer jüngeren, kompreß gesetzte unbe-dingt aus einer älteren Antiqua gesetzt werden sollten. Der Durchschuß in einer buchähnlichen Arbeit hängtauch von der Breite der Papierränder ab. Ein kräftigerDurchschuß setzt breite Ränder voraus, damit die Satz-fläche überhaupt recht in Erscheinung tritt. In einer älterenAntiqua gesetzt, kann der gleiche Satzspiegel eines Buchessowohl schmälere wie breitere Ränder erhalten; im erstenFall wirkt das Buch einfacher, im andern ‹splendid›. Bücher erzählenden Inhalts mit Illustrationen sind einebesondere Angelegenheit. Hier kommt es vor allem auf denvollendeten Zusammenklang von Illustration und Satz-spiegel an. Richtig wäre es, immer zuerst das Satzbild aus-zuarbeiten und dies dem Illustrator zu übermitteln, damitdieser seine Zeichnung dem Seitenbild anpaßt. Wenn aberdie Zeichnungen schon vorliegen, dann muß der Setzer ver-suchen, ein Satzbild zu erzeugen, das noch einigermaßengut mit den Zeichnungen zusammengeht. Besondersschwer ist es, für schwere Holzschnitte (in Langholz) daspassende Satzbild zu finden. Die alte Schwabacher ist hieroft die gegebene Schrift. Wird Antiqua verlangt, so ist eineLösung erheblich mühsamer. Vielleicht hilft ein großerGrad über die Schwierigkeiten hinweg. Eine halbfette An-tiqua des älteren Schnittes kommt für ein schönes Buch nie-

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mals in Frage; eine fette Antiqua neueren Schnittes ist zwardunkel, paßt aber nicht zu Langholzschnitten. Etwas Allgemeingültiges über den richtigen Durchschußmoderner Künstlerschriften zu sagen, ist kaum möglich. Jemehr sich eine solche Schrift dem älteren oder jüngeren An-tiquastil nähert, wird geringerer Durchschuß möglich oderstärkerer nötig sein. Hier sind Entscheidungen nur ange-sichts probeweise gesetzter Seiten möglich. Schließlich übt die Länge der Zeilen, das heißt die Anzahlder Buchstaben in der Zeile, einen Einfluß auf den Durch-schuß aus. Zeilen über Cicero aus den Brotschriftgradenfordern fast immer Durchschuß, besonders lange naturge-mäß viel, da sonst das Auge Mühe hätte, die richtige nächsteZeile zu finden. Aber so lange Zeilen sind überhaupt nichtgut; wo immer möglich, wird man versuchen, entwederschmäler oder zweispaltig zu setzen oder einen größernGrad zu verwenden. Es gibt jedoch keine feststehende ideale Länge für dieZeilen eines Buches. Zentimeter ( Cicero) sind einegute Breite, wenn es sich um Petit- bis Garmondgrade han-delt. Für den Cicerograd einer Antiqua ist diese Satzbreitezu schmal. Abscheulich wird die von manchen irrtümlichals Ideal angepriesene Breite von Zentimetern, wenn derGrad noch größer ist. Die Folge sind Zeilen, die man kaumnoch schön ausschließen kann.

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Der Satz von Notenziffern und Fußnoten

ZUNÄCHST sei aufgezählt, was häßlich und darum falschist: . Bei Notenziffern im Text des Buches:a. der unpassende Schnitt der Bruchziffern;b. die überflüssige Parenthese hinter der Bruchziffer;c. das fehlende Spatium zwischen Wort und Bruchziffern. . In den Fußnoten:a. Bruchziffern, weil diese viel zu klein, oft geradezu un- leserlich sind und überdies meistens einer andern, oft durchaus nicht passenden Schrift angehören;b. die Unterdrückung des Satzzeichens hinter der Ord- nungsziffer;c. die entbehrliche und unschöne -Cicero-Stumpffeine links über den Fußnoten;d. ein zu knapper Durchschuß zwischen den Zeilen der Fuß- noten;e. Unübersichtlichkeit infolge stumpfer Anfänge.

Nach dieser Aufzählung Begründungen, Heilmittel undein Modell: a. Der Schnitt der Bruchziffern muß entweder mit derGrundschrift übereinstimmen oder dieser wenigstens nahe-stehen. Da die Gewöhnliche Antiqua kaum mehr verwendetwird, sind die überall vorhandenen hochstehenden Bruch-

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Ziffern aus dieser Schrift fast niemals richtig. Sie passen nichteinmal zu Walbaum oder Bodoni. Im Linotypesatz benütze man ‹durchlaufende› hochste-hende Versalziffern der Grundschrift mit -Punkt-Bild(Handmatrizen) und im Monotypesatz Bruchziffermatri-zen von genau passender oder der Grundschrift wenigstensähnlicher Form. Ob diese Ziffern gemeine Ziffern oder Ver-salziffern sind, ist unerheblich; beide passen, wenn nur dieSchriftart zur Grundschrift gehört oder ihr ähnlich ist. Ver-salziffern sind aber vorzuziehen. b. Die Parenthese hinter den Ziffern stammt aus derhandschriftlichen Vorlage und ist überall entbehrlich. Siestört das Satzbild grundlos und belästigt den Leser. c. In gutem Satz darf das Spatium vor den Notenziffernnicht fehlen, weil sonst die Ziffer sich nicht gut abhebt. Siedarf nicht am Wort kleben. a. In die typographische Hölle gehören die Bruchziffernam Anfang der Fußnoten. Bruchziffern in und gar Punktsind so klein, daß man sie kaum oder überhaupt nicht mehrlesen kann. Sie müssen aber deutlich sein, weil man sie sucht.Hier ist die Kleinheit der Bruchziffern sinnlos und einePlage. Im Text soll der Verweis klein sein: darum verwen-det man dort Bruchziffern. Die Fußnote soll schnell gefun-den werden: daher ist hier die normale Ziffer des Grades derFußnote allein richtig, niemals eine Bruchziffer! b. Dieser Ordnungsziffer von normaler Form und Größefolgt ein Schlußpunktals unentbehrliches Satzzeichen. Frei-stellung der Ziffern ist weder nötig noch schön; richtig istder Einzug der ersten Zeilen mit einem Geviert des Grades.Die Punktzahl des Einzugs im Text auch im Satz der Fuß-

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noten beizubehalten, halte ich für gesucht und veraltet;doch mag diese ältere Regel in Ausnahmefällen nützlich sein. c. Unerklärlich ist das Fortleben der Cicero langenlinksstehenden Stumpffeinen über den Fußnoten, die ent-behrlicher ist als ein Blinddarm für den Menschen. Sie sollwohl Text und Fußnoten trennen und die Fußnoten eröff-nen. Das bewirkt aber bereits der kleinere Grad. Wird dieTrennung durch eine Linie durchaus gefordert, so soll dieStumpffeine über die ganze Breite des Satzes gehen. d. Ganz harmonisch ist eine Seite nur, wenn Text undFußnoten mit gleich viel Punkten durchschossen sind, zumBeispiel: der Text aus Punkt mit Punkt und die Notenaus Punkt mit ebenfalls Punkt. Es ist aber nicht falsch,die Noten mit Punkt weniger als den Text zu durchschie-ßen. Ein stärkerer Unterschied im Durchschuß macht dieGruppe der Fußnoten merkbar dunkler als der Text wirktund ist daher nicht gut. So wie im Text eines Buches zwischen den Absätzen keinzusätzlicher Durchschuß verteilt werden darf, soll auchzwischen den einzelnen Fußnoten einer Seite kein solchererscheinen. e. Wer dem Irrtum huldigt, auf Einzüge verzichten zudürfen, wird die Folgen auch beim Satz der Fußnoten zuspüren bekommen. Die laienhafte Scheidung der Fußnotendurch einige Punkte Durchschuß, gelegentlich sogar durchnur Punkt, ergibt ein unartikuliertes, höchst unklares,unrhythmisches und daher häßliches Satzbild. Eine solcheSatzweise ist genau so verwerflich wie der Satz selbst ein-facher Texte ohne Einzüge am Anfange der Absätze. Er be-wirkt das Gegenteil von Gestalt: Ungestalt.

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Einige Besonderheiten mögen noch kurz behandelt wer-den. Falls in einem Buche nur eine einzige Fußnote vorkommtoder nur je eine einzige auf vereinzelten Seiten, dann wirktes sonderbar, wenn jedesmal die Ziffer als Verbindungs-mittel auftritt. Der Stern ist in solchen Fällen besser, sonstaber sind Ziffern den Sternen vorzuziehen. Im Text steht vor dem Stern kein Spatium, wohl abermuß dem Stern in der Fußnote ein -Punkt-Spatium folgen. Aus einem Wort oder aus wenigen Wörtern bestehendevereinzelte Fußnoten darf man zur Mitte der Seite stellen;dies trägt zur Harmonie zentrierten Satzes bei. Stehen abermehrere Fußnoten auf der gleichen Seite, so ist die Zentrie-rung einer kurzen Fußnote nicht richtig. Es kommt vor, daß viele ganz kurze Fußnoten aufeinan-der folgen und, untereinandergestellt, das Gleichgewichtder Doppelseite stören würden. Solche Fußnoten stellt manhintereinander und trennt sie durch Gevierte. Alle Fuß-noten müssen Schlußpunkte erhalten. Sehr lange Fußnoten mag man zur Hälfte auf die linke,zur Hälfte auf die rechte Seite stellen, doch sollte man dieseMethode nicht auf die Spitze treiben. Ist der Textsatz sehr breit und aus Cicero oder einemnoch größeren Grade gesetzt, so wird man die Fußnotenvielleicht zweispaltig setzen. Enthält dann eine der beidenSpalten eine Zeile weniger als die andere, so ist das wenigerschlimm, als die Differenz durch Verteilung von zusätz-lichem Durchschuß zwischen den Gruppen zu verwischen. Fußnoten sind die späteste und höchstentwickelte Formder Noten. Marginalnoten fordern einen Rand auch dort,

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Modell für Notenziffern und Fußnoten.

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wo er nicht benötigt wird; sie zu finden ist oft nicht einfach,wenn irgendeine Note zufällig sehr lang ist und bereits dienächste weit entfernt von dem Zifferhinweis steht. Sie sindeine längst veraltete Form. Auf jeder Seite wieder mit Note zu beginnen, ist aus vie-len Gründen nicht zu empfehlen. Man zählt am besten ent-weder alle Noten eines Buches durch oder doch wenigstensdie der einzelnen Kapitel. Nur so verhütet man, daß dieNoten ihren richtigen Platz verlieren. Die Fußnoten amSchlusse der Kapitel oder des ganzen Buches zusammenzu-fassen, ist zwar keineswegs verkehrt, vermag aber zuweilendie Lektüre eines Buches zu erschweren. Ein tadellos hergestelltes Buch erkennt man daran, daßdie letzte Zeile der Fußnoten mit Punkt unterlegt ist unddaher genau Register mit der Schriftlinie einer normalenSchlußzeile hält. So vollendet hergestellte Bücher sind leiderseltene Vögel.

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Auslassungspunkte

Zur FunktionAUSLASSUNGSPUNKTE zeigen an, daß entweder ein paarBuchstaben eines Wortes oder daß ein Wort oder mehrereausgelassen sind. Die Auslassungen von Wörtern nennt die GrammatikEllipsen. Nicht jeder Schriftsteller ist solch ein Meister derEllipse wie Laurence Sterne. Wie der sogenannte Gedanken-strich verhüllen auch die Auslassungspunkte nicht seltendes Schreibers Ohnmacht, sich auszudrücken. Meistenssind sie entbehrlich.

Der Dichter schreibt:Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,Daß ich so traurig bin,Ein Märchen aus alten Zeiten,Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Der Ellipsengaukler aber:Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,Daß ich so traurig bin …,Ein Märchen aus alten Zeiten,Das kommt mir nicht aus dem Sinn …

Zuweilen zwar ist die Nuance der Auslassungspunktenötig. Vor ihnen verharrt die Stimme schwebend auf der an-gefangenen Tonhöhe; vor dem Schlußpunkt senkt sie sich.

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Aber nur der Meister des Wortes bedarf dieser Abtönungen,und häufiger Gebrauch der Auslassungspunkte ist eine stö-rende Manie. (Wie unbestimmt würde dieser Satz werden,wenn ich drei Auslassungspunkte an sein Ende setzte! Ichhabe niedergeschrieben, was ich sagen wollte und kann;setzte ich drei Auslassungspunkte, so überließe ich es demLeser, auf der Wiese zu verweilen und nach weiteren Blu-men zu suchen. Wenn ich aber meine, schon alle gepflücktzu haben, dann widerspricht es dem Anstand, den Leser aufdie Suche zu schicken.) Noch im achtzehnten und am Anfang des neunzehntenJahrhunderts setzte man an Stelle ausgelassener Buchstabeneines Namens Sterne: Madame de R***. Dies gilt jetzt alsveraltet. Der heutige Schriftsteller würde hier entwederAuslassungspunkte oder einfache Abkürzungspunkte set-zen.

Zur Satzweise

Handelt es sich um einzelne ausgelassene Buchstaben zurVerhüllung eines anstößigen Wortes oder eines Namens, sopflegt man genau so viele Punkte zu setzen wie Buchstabenstehen müßten, um dem Kundigen anzuzeigen, ob er dasganze Wort richtig erraten hat. Setzt man ohne solche Rück-sicht beständig drei Punkte, so wird die Verhüllung mei-stens unauflöslich. Für ausgelassene Wörter, ob eines oder mehrere, setztman niemals mehr als drei Punkte, auch wenn das Manu-skript vier oder noch mehr zeigt. Zuweilen sieht man abernur zwei Punkte gedruckt; das ist aber undeutlich undnicht ungefährlich. Nur drei Punkte sind richtig.

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Die übliche Satzweise solcher Punkte befriedigt nicht.Erstens reißen sie störende Löcher in das Satzbild, sofern sie,wie üblich, gesperrt sind. Darum sollte man sie ganz ohneSpatien setzen oder setzen lassen. Zweitens ist es unlogisch,vor den Wörter andeutenden Punkten, wie üblich, so vielSpatium zu haben wie zwischen den Punkten. Einem Wortmuß zunächst der volle Wortabstand der Zeile folgen. Un-ser Schluß lautet: Die drei Auslassungspunkte werden un-spatiiert gesetzt, und vor ihnen liegt der Wortabstand der Zeile :‹Aber … ich will es nicht beschreiben.› Folgt den Auslassungs-punkten ein Satzzeichen, so ist dieses vom letzten Punkt durch einPunktspatium zu trennen: ‹Also nahm sie solche ohne Weige-rung an … , und ich führte sie nach der Türe zur Wagen-remise.› Ebensowenig sollen die Punkte, die einzelne ausgelasseneBuchstaben andeuten, spatiiert werden; vor ihnen wirdnatürlich erst recht kein Spatium gesetzt. Nur wenn man die Auslassungspunkte ohne Spatien setzt,entsteht ein gutes Satzbild, und nur dann bleibt es erhalten.

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Gedankenstriche

Funktion

EIN Gedankenstrich steht höchst selten an Stelle eines un-ausgesprochenen Gedankens. Meistens deutet er nur einekleine Pause an, zuweilen eine Art Denkpause; vielleicht sollsein Name diese bezeichnen. Gelegentlich steht er am Endeeines Satzes und verbirgt, wie drei Auslassungspunkte, eingenierendes Wort oder verhüllt eine ebensolche Situation.Träfe der Name Gedankenstrich die Sache und stecktenhinter dieser Art von Strichen immer Gedanken, so könnteman sich schließlich gar ein ganzes Buch nur aus ‹Gedan-ken›-Strichen vorstellen. Aber darauf sind die Hochstap-ler der Gedankenstriche und die Taschenspieler der Auslas-sungspünktchen erstaunlicherweise noch nicht gekom-men. Häufig stünde an Stelle des Gedankenstriches besser einKomma: Er kam – aber ungern. Er kam, aber ungern. Weni-ger entbehrlich ist der Gedankenstrich bei gewissen Ein-schaltungen: Ich sag dir – paß gut auf –, wohin du gehnmußt. Der Gedankenstrich trennt manchmal auch Redeund Antwort: Horch, es klopft. – Sieh nach, wer’s ist. Zu-weilen vertreten Gedankenstriche Parenthesen, wenn dieWörter zwischen ihnen nicht abgeschwächt werden sollen:Die Garamond – die häufigste Schrift der Gegenwart – unddie Bodoni sind ihren Formgesetzen nach Antipoden.

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Wie Semikolon und Anführungszeichen ist der Gedan-kenstrich ein neueres Zeichen, das in älterer und alter Lite-ratur nicht zu finden ist. Noch Goethe und seine Zeit be-durfte seiner nur selten. Auch heute noch ist der Gedanken-strich häufig entbehrlich und sollte, wo immer möglich,durch Kommas oder Parenthesen ersetzt werden.

Satztechnik

Der weithin übliche Gedankenstrich ist eine stumpffeineLinie von Geviertlänge (—). Diese Breite (seine ‹Dickte›)ist viel zu groß und verdirbt unfehlbar jedes gepflegte Satz-bild. Es kann zwar ein wenig verbessert werden, wenn manvor und nach dem Geviertstrich knapperen Ausschluß alssonst in derselben Zeile verwendet; aber das wird gar leichtvergessen. Das einzig Richtige ist, Striche von halber Länge, Halb-geviertstriche (–) also, zu nehmen und vor und hinter ihnenden normalen Wortabstand der Zeile zu benützen. DieseHalbgeviertstriche heißen auch Streckenstriche, weil sie inStreckenbezeichnungen gebraucht werden: Basel–Frank-furt; dort aber ohne Wortspatien. Solche Halbgeviertstriche gehören zu den Normalsorti-menten der Monotypeschriften; für die Linotype werdensie nur auf besondere Bestellung geliefert. Der Hersteller,der tadellosen Satz wünscht, darf also und sollte auf Halb-geviertstrichen bestehen. In den Handsatzschriften fehlen die Halbgeviertstricheleider stets. Ausnahmen bestätigen die Regel. Dabei wärensie, zumal in eigenwilligeren Schriften, so dringend nötig.

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bleibt ein Rätsel, warum sie nicht zu jeder Schrift, und zwarin genau passender Zeichnung, mitgeliefert werden. Man-che Handsetzer meinen, sie dürften den Bindestrich auchals Gedankenstrich verwenden, wenn sie ihn mit Wortab-ständen setzen; doch ist das ein Irrtum. Der Bindestrich istzu kurz.

Form

In der Regel genügt ein stumpffeiner Strich. Genauer: einStrich so kräftig wie der Querstrich im e des jeweiligen Gra-des. Ein stumpffeiner Strich ist indes immer passend, aus-genommen in Endstrichlosen und Egyptienneschriften, woer eben die Strichstärke des Querstriches im e haben sollte,aber nicht hat. In den meisten Fraktur- und Schwabacher-schriften ist die stumpffeine Stärke richtig. Daß mancheSetzer meinen, sie sollten lieber eine erheblich kräftigereLinie (etwa aus einer Endstrichlosen) verwenden, ist mitdem störenden Loch zu erklären, das der viel zu lange Ge-viertstrich ins Satzbild reißt. Doch kann dieser Mangelnicht mit solchen kräftigeren Geviertlinien behoben wer-den, sondern nur mit einem kürzeren, stumpffeinen Strichvon Halbgeviertdickte. Dickere Striche sind außer in End-strichlosen und Egyptienneschriften stilistisch falsch. Der Geviertstrich ist nur in einem einzigen Falle anwend-bar und notwendig: in tabellarischen Preisaufzählungen. Diese Zeilen sollen auf ein selten beachtetes Satzdetailhinweisen und zur Beseitigung eines außerordentlich häu-figen Schönheitsfehlers beitragen.

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‹Hurenkinder› und ‹Schusterjungen›

IN wohl allen Lehrbüchern des Schriftsatzes ist zu lesen, daßAusgangszeilen am Kopfe von Buchseiten unbedingt ver-mieden werden müssen. Sie beleidigen in der Tat Auge undVerstand. Die Ausgangszeile zerstört hier das Rechteck derBuchseite, und das knappe Satzende am Beginn einer Seitewirkt zu dürftig. Die Regel ist richtig. Doch wird nicht immer deutlichgesagt, wie man diese ‹Hurenkinder› (englisch: widows)verhüten kann. Wer zwischen die Absätze eines Textes jenachdem einmal zwei, einmal drei oder auch vier PunkteDurchschuß legt, dem machen sie zwar keine Sorgen. Aberdiese Satzweise ergibt keine gute Buchtypographie. Der sorgsame Verleger verlangt vor allem engen Satz.Lassen sich in ihm ‹Hurenkinder› überhaupt vermeiden?Nur selten kann man austreiben, ohne den engen Satz zuverderben, noch seltener einbringen. Darf man, kann manüberhaupt den Verfasser bitten, ein paar Wörter hinzuzu-dichten oder zu streichen, um die typographischen Schwie-rigkeiten zu überwinden? Ich meine, nein. Je besser derText, um so schwerer ist es. Auch ist nicht der Setzer derHerr des Textes, sondern der Autor. Wenn der Dichternicht mehr lebt, kann man ihn ja auch nicht mehr fragen. Wir nehmen einmal an, daß der Dichter tot oder uner-reichbar sei, oder sind, noch besser, überzeugt, daß es über-

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haupt verkehrt ist, den Textschreiber um Änderungen zu-gunsten eines schönern typographischen Aussehens zu bit-ten. Zuerst muß man noch einmal alle Nachbarseiten an-sehen, ob sich denn gar nichts ein- oder ausbringen läßt.Vielleicht darf der Überschlag eines Kapitelanfangs einmalum eine Zeile knapper gehalten werden. Die beste Methodeaber scheint mir, die vorhergehende Seite einfach um eineZeile zu kürzen! Natürlich erscheint dann an deren Fußeine blinde Zeile, doch stört diese nicht, wenn der Kolum-nentitel oben steht, die Buchränder nicht extrem schmalsind und der Satz nicht zweispaltig ist. Oder man macht einmal eine Seite ausnahmsweise umeine Zeile länger. Dies geht aber nur in Büchern mit genü-gend breiten Rändern. (Siehe Seite in diesem Buche.) Diese Art ist nicht etwa meine Erfindung. Ich habe sie inBüchern der Wende zum neunzehnten Jahrhundert ange-wendet gefunden und halte sie für wert, bekannt und wie-der benützt zu werden. Der Neusatz ganzer Gruppen, den das Austreiben und dasEinbringen mit sich bringt, kostet Geld. Wenn der Ver-leger sich weigert, diese ‹unverlangte Mühe› zu bezahlen,dann entsteht Streit. Umbricht man aber mit Hilfe der be-schriebenen Blindzeilen, so gibt es keinen Neusatz undkeine Fragen. Nichts einzuwenden ist gegen ‹Hurenkinder› unter derdurchgehenden Linie, die unter einem lebenden Kolumnen-titel steht. In diesem Falle ist das Rechteck der Buchseiteunbeschädigt. Ungeeignet ist der noch immer wiederkehrende Trick,eine Seite zwar um eine Zeile zu kürzen, sie aber dann mit

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Papierstreifen zu durchschießen, um die richtige Höhe wie-der herzustellen. Nicht nur weil Papier quillt, sondern auchweil wir dann das Zeilenregister, Merkmal eines gut um-brochenen Buches, verlören. ‹Hurenkinder› sollen also nicht vorkommen. Manche verwerfen aber auch Anfangszeilen am Fußeeiner Seite (‹Schusterjungen›, ‹Waisenkinder›). Mir scheint,daß das nicht mehr als ein Wunsch sein darf. Man soll nichtzuviel verlangen. Nur solange man noch austreiben durfte,fast wie man wollte, das heißt, bevor der enge Satz zurRichtschnur wurde, waren solche Wünsche auch erfüllbar.Anfangszeilen am Fuße einer Seite sind also wohl uner-wünscht, aber zulässig. Was an ihnen stört, ist der Ausgangüber ihnen, der helle Raum über der einzelnen letzten Zeile.Manchen könnte der Einzug stören, wenn die Seitenzahlunten steht. Ich ziehe diese, falls sie nicht zentriert ist, daherstets mit ebensoviel Punkten ein wie die Absätze des Textes.

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Die typographische Planung von Tafelwerken

ES gibt zwei Arten von Tafelwerken: solche, deren Tafelnin den Text eingeschaltet sind, und andere, in welchen Textund Tafeln getrennte Teile bilden. Die Textteile sollen gutleserlich, die Tafeln groß und deutlich sein. Der Wunsch, Satzspiegel und Maximalmaße der Bildergleich groß zu haken (Abbildung ), ist berechtigt undführt gewiß zu einer harmonischen Buchform. Es ist abernicht sicher, ob solche Bildgrößen unseren Ansprüchen andie Klarheit und Deutlichkeit, die bei zunehmender Ver-kleinerung der Bilder leiden müssen, entsprechen. Immer-hin ist diese Art allein richtig, sofern es sich um Einschalt-tafeln oder Abbildungswerke mit gleichem Papier für Textund Bilder handelt. Die Maximalbreite der Klischees ist dieSatzspiegelbreite; die Maximalhöhe ist die Satzspiegelhöheweniger bis Millimeter für die ein- beziehungsweisezweizeilige Bildlegende, die noch innerhalb des Satzspiegelsbleiben muß. Wenn man die Proportion des Buchformats festlegt, darfman nicht vergessen, daß die Proportionen der meisten Ab-bildungen, besonders von Gemälden, schöne Rechteckesind. Formate, die sich dem Quadrat nähern, sind selten.Die Proportion des Bildes erhöht sich im Buche in der Regelum die meist nötige Legende, für die man je nach Bedarfeine bis zwei Zeilen vorsieht. Bild und Legende zusammen

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Abbildung .

ergeben ein schlankes Rechteck, das sich der Proportion desGoldenen Schnittes nähert. Dieser Satzspiegel wiederumfordert ein schlankeres Buchformat als die Quartproportion,die oft keine guten Tafelpublikationen ergibt. Das FormatA hat sich für solche Werke als einziges ‹Normalformat›gut bewährt. Ein gutes kleineres, beschnittenes Format ist mal cm. Nachdem all dies bedacht, ein wohlüberlegtes Textseiten-paar hergestellt und gutgeheißen ist, druckt man in passen-der Anzahl vierseitige Satzspiegel im beschnittenen Formatin derselben Größe und in endgültiger Stellung, wovon dieRektoseiten so aussehen könnten wie unsere Abbildung .Diese Satzspiegel erleichtern das Kleben des Umbruchs, da

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Abbildung .

man mit ihrer Hilfe die Stellung der Klischees und das Aus-sehen der Seitenpaare unmißverständlich festlegen kann. Auch die Querbilder müssen in ihrer Größe und Stellungdem Satzspiegel folgen (Abbildung ). Falls das Buch sehrbreite Ränder hat, kann man ihre Höhe (b) nach der Satz-spiegelbreite richten und die Legende auf den Rand setzen.Sonst aber, das heißt in der Regel, muß die Legende inner-halb des Satzspiegels stehen und das Bild entsprechend klei-ner sein (Abbildung ). Die ursprünglichen Bildproportionen müssen, zumal beiAbbildungen von Kunstwerken, erhalten bleiben. Es wäreverfehlt, diese zugunsten einer vollen Ausnützung des Satz-spiegels zu verändern. Es kann daher nicht verlangt werden,

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Abbildung .

daß die Abbildungen stets sowohl die Höhe als auch dieBreite des vorhandenen Maximalraumes ausfüllen. Habenalle Bilder die gleichen Proportionen, so wird man die Höhedes Textsatzspiegels nach den Bildern einrichten, natürlichohne die Legenden unter den Bildern außer acht zu lassen. Abbildungen von Gemälden und anderen Kunstwerkendürfen niemals angeschnitten werden. Weil bei einem Bildauch der letzte Millimeter von Bedeutung ist, darf schon derChemigraph nur das unbedingt Nötige am Rande des Kli-schees abschneiden. (Anzuschneidende Klischees müssenan den Seiten, wo das Messer auftrifft, um volle Millimetergrößer sein.) Ein Kunstwerk aber wird entstellt, wenn manes in verkürzter Form darbietet.

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Tafelwerke mit eingeschalteten Tafeln sind teurer als sol-che mit nachgeheftetem Tafelteil. Am kostspieligsten sindeingeklebte Einzeltafeln, zumal wenn diese an anderen Stel-len als vor der ersten Seite oder in der Mitte des Bogens auf-treten sollen. Ihr Klebrand entstellt die Buchseite, auf derdas Bild befestigt ist. Billiger und von besserer Wirkung istdas Umlegen und Einstecken von Viertelbogen, da danndas mühsame Kleben entfällt. Aus den Abbildungen , und geht hervor, daß dieStellung der Abbildungen die gleiche sein muß wie die desTextes. Textseite und Bild sollen sich durch den gemein-samen Papierrand zu einer Einheit verbinden. Denn auchein Abbildungswerk ist ein Buch, und in einem Bucheherrscht das Grundgesetz, daß man das Seitenpaar undnicht die Einzelseite im Auge haben muß. Meinte man, dieBilder seien eine Sache für sich und müßten in der Mitte desPapiers stehen, so hätte es wenig Sinn, sie niemals größer alsden Textsatzspiegel zu machen. Daß die Abbildung wie eineTextseite gestellt werden muß, bezieht sich wohlgemerktauch auf querstehende Illustrationen (Abbildung ). Es istabwegig, hier das Buch ganz zu vergessen und sie unab-hängig vom Satzspiegel in die Mitte des Papiers zu stellen.

Zur Abbildung .Beispiel eines Spezialspiegelschemas für Tafelwerke, Die fette Linie zeigt den vollen Satzspiegel. a = Maximalhöhe einer ganzseitigen Abbildung im Hochformat, b = Maximalhöhe einer ganzseiti- gen Abbildung im Querformat. Die Differenz (c) zum vollen Satzspiegel muß dem Räume zweier Zeilen entsprechen, also bis Millimeter betragen.

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Abbildung .Siehe die Beschreibung nebenan unten.

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Abbildung .

Querstehende Abbildungen stören stets. Man suche siezu vermeiden. Bilden sie gar die Mehrzahl, so wählt manQuerformat und setzt den Text zweispaltig (Abbildung ). Dem Prinzip, Satz und Abbildungen genau gleich groß zuhalten, darf man auch in Werken mit nachgeheftetem Tafel-teil folgen. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß dann die Ta-feln zu klein wirken. Denn die dunklen Abbildungen wirkenoptisch kleiner als ein gleich großer grauer Satz. In diesemFalle ist es durchaus richtig, für den Tafelteil einen Satzspie-gel anzunehmen, der etwas größer, aber von gleicher geo-metrischer Proportion wie der Textsatzspiegel ist. Die Stellung des Satzspiegels solcher Tafeln hängt davonab, ob die Tafeln nur aufrechten Seiten stehen oder ob dieBlätter auf beiden Seiten bedruckt sind. Einseitig bedruckteTafeln wirken fast wie lose Einzeltafeln; folgt man bei ihrerStellung der klassischen Regel, daß der Bundsteg halb sobreit sein soll wie der Außensteg, so kann das übertriebenaussehen und eine Milderung verlangen. Dennoch dürfender linke und rechte Rand niemals annähernd gleich sein.

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Schon das weiße Blatt zur linken Hand verlangt eine ge-wisse Näherung der Tafel zum Falz. Treten jedoch die Tafeln paarig auf, so darf man sich nichtallzu weit von der Regel entfernen, daß der innere Randhalb so groß sein soll wie der äußere. Sonst zerfallen die Sei-tenpaare, die auch Paare bleiben, wenn sie sehr ungleichsind (Abbildung b). Bei der Ausmessung solcher Tafelngelten die Maximalmaße, die durch ein vorher hergestelltesund gedrucktes Schema (Abbildung ) festgelegt werdenmüssen. Der Bildumbruch wird auf diese Schemaseiten ge-klebt und dabei die Höhen Stellung der Abbildung festge-legt. Hohe, lange Bilder füllen den Satzspiegel der Längenach aus und stehen natürlich in der Mitte der Horizonta-len des Bildsatzspiegels (Abbildung , links), schon um Re-gister zu wahren, während kleine Bilder (Abbildung ,rechts) so gestellt werden müssen, daß das Verhältnis zwi-schen der Entfernung zum oberen Schnitt und der zum un-teren Schnitt der Proportion : oder : entspricht. Die Legenden bleiben dabei stets bei den Bildern. Gewißkann man wohl auch die Legenden in konstanter Höhe, dasheißt am Fuß des Bildsatzspiegels, belassen, doch ist das nurin besonderen Fällen möglich. Sind die Tafeln numeriert,wie es in der Abbildung angedeutet ist, so ist die Stellungdieser Ziffern auf allen Tafeln die gleiche; sie müssen genauRegister halten. Man sieht zuweilen Bücher, deren Tafelnoben außen (außerhalb jedes Satzspiegels) numeriert sind.Diese Methode ist kostspielig und selten richtig. Sie istnicht buchmäßig und verteuert den Satz. Selbst wenn Setzerund Drucker sich die größte Mühe geben und diese Be-zeichnungen wirklich an genau gleicher Stelle stehen, ver-

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Abbildung a.Textteil.

schieben sich diese Gruppen im fertigen Buch infolge derunvermeidlichen kleinen Falzfehler merklich nach links undrechts und nach oben und unten. Wünscht man einen Unterschied der Tafelnummern ge-genüber den Kolumnenziffern, so kann man entweder Kursivoder einen anderen Grad als im Textteil verwenden oder dieSeitenzahlen im Textteil mit einer Parenthese dekorieren.Sind die Tafeln größer als der Textspiegel, wie wir zuletztangenommen haben, so stehen die Bildnummern ohnehintiefer und ein wenig weiter außen als die Kolumnenziffern. Wichtig ist, daß auch verschieden große Tafeln im Druckeinem bestimmten Satzspiegel folgen müssen und nicht ‹ge-

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Abbildung b. Tafelteil desselben Buches.Größerer Satzspiegel, doch in der Proportion des Textsatzspiegels.

fühlsmäßig› gestellt werden dürfen. Es ist mithin Sache desSetzers, die Klischees zu justieren, einheitlich große Seitenherzustellen und damit die Wirkung schon festzulegen, be-vor der Drucker den Satz erhält. Bei der Revision des unzu-gerichteten ersten Bildbogens, der genau beschnitten vor-zulegen ist, mag nochmals geprüft werden, ob die Stegeeine befriedigende Breite haben; am Satz der Bilder selbstdarf jetzt nichts mehr änderungsbedürftig sein. Mehr und mehr kommen Werke mit farbigen Tafeln aufden Markt. Es muß einmal ausgesprochen werden, daß esein Unfug ist, Gemälde von Fenstergröße oder mehr Flä-cheninhalt in Postkartengröße farbig zu reproduzieren. Das

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Abbildung .

sind keine Wiedergaben mehr, sondern Fälschungen, gleich-viel, ob sie besser oder schlechter gemacht sind. Falls manso stark verkleinern muß, sind schwarze Reproduktionenstets besser. Farbig sollte man nur so groß wie möglich re-produzieren und lieber Ausschnitte als das Ganze bringen.Eine Farbenreproduktion, linear auf die Hälfte bis auf einViertel verkleinert, ist meistens noch befriedigend. Sonstaber mache man Ausschnitte, möglichst originalgroß. Um dem Dilemma der Querbilder zu entgehen, hat manauch zu fast quadratischen Formen gegriffen, gegen die manebenfalls protestieren muß. Wahre Monstren von Büchernsind entstanden, die jeden Bücherfreund schaudern machen.Siehe hierzu Seite .

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Von größter Wichtigkeit ist die Laufrichtung des Papiers.Wie das Textpapier, so muß auch das Bilderpapier in derRichtung des Buchrückens laufen (Abbildung ). Man darf

Abbildung .

nicht glauben, daß eine vereinzelte Tafel doch die verkehrteLaufrichtung haben dürfe. Denn auch dann entstehen diebekannten Querfalten, die eben die Folge verkehrtlaufen-den Papiers sind. Wenn sich ein Buch oder eine Zeitschriftschlecht öffnen oder schlecht schließen läßt, so liegt dasimmer an der verkehrten Laufrichtung einzelner oder garaller Teile (Textpapier, Tafeln, Vorsatz, Überzugspapier,Leinen), nie etwa am Buchbinder, wie manche Leute zumeinen geneigt sind.

Stellung querstehender Tafeln

Wo sich querstehende Abbildungen nicht vermeiden lassen,soll man die Tafeln so bequem wie möglich betrachten kön-nen. Daraus ergeben sich bestimmte Regeln (die großenZiffern zeigen, wie das Bild jeweils angesehen wird): Ab-bildungen a bis d.

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Abbildung a. Querstehendes Bild neben einer Textseite.

Abbildung b. Ein normales und ein querstehendes Bild.

Abbildung c. Ein querstehendes Bild links und ein normales rechts (schlechter als b, nur in Ausnahmefällen anwendbar). Kopf des Bildes also im Bund! Dieser Fall c schließt den folgenden Fall d keineswegs aus.

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Auf Halbkarton oder Papier aufgelegte Abbildungen

Auch aufgelegte Abbildungen dürfen nur angeschnittenwerden, wenn es sich um gewöhnliche Photographien han-delt. Die Abbildung eines flächigen Kunstwerkes (einesGemäldes, einer Graphik) dagegen soll niemals hart be-schnitten werden; sie muß ein Millimeter breites weißesRändchen behalten, damit der Beschnitt nicht das Ganzeverkürzt und damit entstellt. Ränder, die schmäler sind als Millimeter, werden gern ungleich. Die Legende stellt man auf das Hintergrundpapier. Aufdem Bildpapier nimmt sie sich nicht gut aus. Man kann aberdie Legende auch am Fuß der benachbarten Textseite unter-bringen, wenn das Bild genau so hoch ist wie der Satzspiegel(‹Gegenüber: …›). Dadurch kann die Tafel gewinnen. An-lageecken für den Buchbinder muß man aber gleichwohl aufdie Folie drucken. Diese müssen sich seitlich auf der Bund-

Abbildung d. Zwei quer stehende Bilder müssen beide von der rech- ten Seite her angesehen werden können; die Drehung von Bild nach außen wäre schlecht, da der Leser sich ärgert, wenn er das Buch zweimal drehen muß.

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Abbildung a.

seite (oben und unten, Abbildung a und b) befinden.Satz und Druck solcher Hintergrundblätter fordern vomSetzer und Drucker große Aufmerksamkeit. Als Folie kann man ein auf der Rückseite nicht bedruck-tes Blatt des Textpapiers benutzen, wenn dieses genügendstabil ist. Andere Folien (Halbkartons) müssen möglichstschmiegsam sein, um nicht aus dem aufgeschlagenen Bucheherauszustarren. Schon deshalb allein müssen auch sie dierichtige Laufrichtung haben. Die falsche Laufrichtung er-gibt eine brettartige Starre und Querfalten im Bund. Die beste Tönung der Folie ist der Ton des Textpapiers.Zumal farbige Reproduktionen von Bildern und ähnlichem,von allem, dessen Farbe als solche richtig wahrgenommenwerden soll, nur auf chamoisfarbenen oder weißen Folien

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Abbildung b.

montiert werden. Die aus dem Anfang dieses Jahrhundertsstammende Unsitte, dunkle oder doch farbige Folien zu be-nutzen, verhindert fast immer die richtige Wirkung einesfarbigen Bildes. Am schlimmsten sind braune und grüneFolien, relativ erträglich schwarze und lehmgraue, also un-bunte Folien. Das dem Textpapier entsprechende Weiß istdie beste Folie. (Die Darbietung typographischer Arbeitendarf diese Regel durchbrechen. Ein irgendwie getöntes Pa-pier als Folie entspricht in diesem Falle dem Zufallshinter-grund, auf dem wir den dargebotenen Prospekt normaler-weise wahrnehmen würden. Jedoch ist auch hier Weiß, nichtaber Hochweiß, oft besser als ein farbiges Papier.) Für aufgelegte farbige Reproduktionen ist also Chamoisoder schwach getöntes Weiß bei weitem der beste Hinter-

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Abbildung .

grund, und dunkle Hintergründe sind eine schlimme Hin-terlassenschaft der Zeit vor . Rahmen aus Farbstreifenoder gar Ornamente um solche Reproduktionen sind heuteglücklicherweise fast nie mehr zu sehen. Auch von montierten Reproduktionen gilt, daß die Pa-piere sowohl der Folie als auch der Reproduktion die rich-tige Laufrichtung haben müssen (siehe oben).

Das Ankleben von Reproduktionen

Neun unter zehn aufgelegten Reproduktionen sind falschangeklebt, nämlich an der oberen Kante. Ganz fachwidrigist es, das Bild nur an den beiden oberen Ecken anzukleben.Dann löst sich die äußere Ecke bald ab; das Bild fliegt

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Abbildung .

und wird rasch verdorben werden oder gar verlorengehen.Mindestens müßte man die ganze obere Kante anschmieren.Aber auch das ist noch durchaus verkehrt. Noch schlimmerist es, das Bild an drei Ecken zu befestigen: dies führt un-fehlbar zu Quetschfalten. Allein richtig ist es, das Bild an derdem Bund benachbarten senkrechten Kante anzukleben(Abbildung ). Der dicke Strich ist der Leimstreifen. Nurdann darf man sicher sein, daß die inneren Bildecken nicht(wie bei verkehrter Montage) umgeknickt werden. Selbstwenn ein querstehendes Bild als Frontispiz (Titelbild) er-scheint, muß diese Regel befolgt werden (Abbildung ).Daß in diesem Fall das ‹Oben› des Bildes im Bund liegenmuß, wurde schon begründet. Das ‹Unten› darf also nichtdem gegenüberliegenden Titel zugekehrt sein.

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Schließlich sei noch darauf verwiesen, daß die letzte Tafelkeine querstehende sein darf und daß die beiden letztenSeiten eines am Ende des Buches auftretenden Tafelteilsebenso wie die beiden ersten Seiten des ersten Bogens un-bedruckt bleiben sollten. Etwas, das, wenn überhaupt, erstbemerkt zu werden pflegt, wenn es zu spät ist.

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Bogensignaturen und Bogenrücken-Signaturen

Die Bogensignatur

JEDER Druckbogen eines Buches muß am Fuße der Schrift-flache der ersten Seite eine Signatur tragen. Sie besteht ausder Bogenziffer und einem Stichwort. Das Stichwort ist inder Regel der Familienname des Verfassers. Manchmal setztman dazu noch ein oder zwei weitere Wörter, die dem Titeldes Buches entnommen werden. An Stelle dieser Kennwör-ter läßt sich auch eine Kennziffer verwenden. Die Signatur ist vor allem für den Buchbinder bestimmt.Unter anderem prüft er daran die Reihenfolge der zusam-mengetragenen Bögen. Dabei nimmt er diese in die rechteHand und blättert sie mit der linken Hand durch. Würdeman die Bogensignatur, wie das zuweilen irrtümlich gelehrtund gehandhabt wird, rechts unter die Schriftfläche der er-sten Seite stellen, so fände der Buchbinder sie nicht leichtgenug. Sie muß daher links stehen. Die Bogenziffer muß vordem Stichwort stehen, weil sie bei der Nachprüfung wich-tiger ist als dieses, und vom Stichwort durch ein Halbge-viert getrennt sein. Diese Bogensignatur sollte aus einem kleinen Grade, derunbedingt der Grundschrift des Buches angehören muß,gesetzt werden. Es ist verfehlt, sie zu sperren. Das machtsie nur umso auffälliger; sie springt dann in die Augen und

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stört den Leser, für den sie ja gar nicht bestimmt ist. Imübrigen sollte sie eingezogen sein, und zwar mit ebensovielPunkten wie die Absätze des Textes. Steht auch die Seiten-zahl am Fuße der Seiten, so muß die Bogensignatur mit ihrLinie halten. Man kann das Kennwort auch aus einem sehr kleinenGrade der Grundschrift in die Mitte der Bundstege, ziem-lich weit unten, senkrecht zwischen die erste und die letzteSeite des Bogens setzen (Abbildung ). Die Bogenziffer mußjedoch links unter der Schriftfläche bleiben. In kostbaren Drucken sollte man die Bogensignatur durchdie kleinen Buchstaben der Grundschrift (a, b, c usf.) er-setzen.

Zur Nachbarseite:Abbildung a zeigt die üblichen, aber schlechten Rückensignaturen. Obwohl sie recht groß und schwarz sind, verhindert ihre Rich- tung, daß sie in ungenau gefällten Bogen sicher auf dem Rücken erscheinen. Manchmal bleibt nur ein Teil sichtbar zurück, zu- weilen verschwindet die Signatur ganz (Abbildung b).Abbildung a zeigt brauchbarere Rückensignaturen. Eine -waag- recht gestellte Punkt fette Linie von Punkt Länge wird fast immer geeignet sein. Eine solche erscheint unfehlbar auf dem Rük- ken selbst mittelmäßig genau gefalzter Bogen (Abbildung b).Abbildung zeigt den Abdruck des Satzes für die Stereos, aus denen alle überflüssigen Linien herausgeschnitten werden. Es bleibt für jeden Bogen stets nur eine Linie (und eventuell das Stichwort unten) stehen. Stichwörter setze man aus leicht gesperrten -Punkt-Kapitälchen.

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a(falsch)

b(falsch)

a(richtig)

b(richtig)

(richtig)

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Die Bogenrücken-Signatur

Die rationalisierten Arbeitsmethoden der heutigen Buch-produktion fordern, daß die Druckbogen buchartiger Er-zeugnisse statt oder außer der Signatur am Fuße derersten Seite des Bogens ein Kennzeichen in der Mitte desSteges zwischen der ersten und letzten Seite des Bogenserhalten. Es besteht aus einer fetten Linie, die von Bogen zuBogen um eine regelmäßige Distanz weiter abwärts gestelltwird. Diese Signatur heißt Bogenrücken-Signatur oder kurzRückensignatur. Die Bezeichnung ‹Flattermarken› trifft dieSache nicht. Das Binden größerer Auflagen von Büchernohne Bogenrücken-Signaturen ist etwas teurer als das vonBüchern mit solchen. Zuweilen sieht man Rückensignaturen in der Form einesschwarzen Cicerogevierts. Sie sind sehr unschön; denn eineso breite Fläche kann im gebundenen Buch niemals ganzverschwinden. Wenn nicht mit größter Genauigkeit gefalztwird, so wird auf einer der beiden Seiten gar noch mehr alsdie Hälfte dieses großen schwarzen Fleckes sichtbar. Aberauch eine senkrecht gestellte Punkt fette Linie ist unge-eignet, weil auch diese im gebundenen Buch sehr leicht zumVorschein kommen kann. Sie ist auch oft nicht breit genugund verschwindet durch ungenaues Falzen (Abbildung b).Richtig sind allein waagrecht gestellte fette -Punkt-Linien von Punkt Länge. (Nur wenn die gefalzten Bogendes Buches sehr dünn sind, ist eine ebenso starke, aber nur Punkt lange Linie richtig.) Eine fette Linie von PunktLänge erscheint mit Sicherheit auf dem Rücken des gefalz-ten Bogens, stört aber, selbst wenn sie einmal im gebunde-

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nen Band teilweise sichtbar werden sollte, nur wenig. Wiegroß der Abstand von einer solchen Signatur zur andernsein soll, muß von Fall zu Fall entschieden werden. Im all-gemeinen wird sie am besten um Punkte nach unten fort-schreiten. Ein ganz regelmäßiges Fortschreiten dieser Signaturenkann man damit erreichen, daß man eine ‹Leiter› aller benö-tigten Signaturen absetzt (Abbildung ), davon Stereos inder Zahl der Bögen herstellt und die jeweils überflüssigenLinien wegschneidet.

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Kapitalband, Schnittfarbe, Vorsatzpapier, Lesebändchen

ALS man die Bücher noch mit der Hand band, umnähte manKopf und Fuß des Buchblockrückens über einem Perga-mentstreifen mit Zwirn oder Seidenfaden; ursprünglich,um mit einem solchen handgestochenen Kapital die Endender Lagen noch einmal zusammenzuhalten, zugleich aberauch, um am Kopf des Buchrückens dem Finger einen Wi-derstand zu bereiten und den Kopf des Lederrückens zuschonen, am Fuß schließlich vorwiegend der Symmetriehalber. Das Wort kommt vom lateinischen caput (Kopf) undcapitalis (was zum Kopf gehört). Weil das Kapital vor allemam Kopf des Buchrückens bemerkt wird. Man könnte ganzgut Kopfband sagen. Und, analog dem Schwanzschnitt,Schwanzband. Die Wortform ‹Kaptal› ist eine Verball-hornung wie etwa ‹Nomprel› für Nonpareille. Wird das Kapital nicht auf einen am Buchblock befestig-ten Pergamentstreifen von Hand genäht, sondern dort einBand aufgeklebt, so spricht man von Kapitalband. Das Kapi-talband kam am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts mitdem Industriezeitalter auf. Noch die Barbou-Bände desachtzehnten Jahrhunderts haben echte Kapitale; Verlags-bände des frühen neunzehnten Jahrhunderts zeigen die in-folge der Massenproduktion erforderlich gewordenen Er-satzmittel: gefalzte Stoffstreifen, mit einem Bindfaden in

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der Falzung, zusammengeklebt und so den Wulst bildend,der die sonst sichtbaren Einkerbungen der Lagen verstek-ken soll. Oder dasselbe aus gefärbtem Papier. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts mußdas heute übliche Kapitalband aufgekommen sein, das ausStoff gewebt und in einer nicht gerade reichlichen Farben-und Musterauswahl verfügbar ist. Es wird in Rückenbreiteabgeschnitten und oben und unten an den Buchblock ge-klebt; der bunte Wulst soll die Anfänge der Lagen verdek-ken. Von einer technischen Funktion, einer Notwendigkeitkann keine Rede mehr sein, es handelt sich nur noch umeinen Schmuck. Um einen ‹Schmuck› wie den einer ausgefransten oderliederlich gebundenen, unpassenden Krawatte. Es hält näm-lich schwer, selbst unter noch nie benutzten Bänden einenzu finden, dessen Kapitalband a) die ganz genaue Länge hat,b) nicht wenigstens an einem Ende ausgefranst ist, c) ge-rade sitzt, d) festhält und e) harmonisch zur Farbe des Dek-kenüberzuges und zum Farbschnitt paßt. Womöglichschaut es gar noch über die Deckenkanten heraus, weil derWulst dicker ist als die vielleicht zu schmalen Buchkantenes erlauben. Es bildet also meistens das Gegenteil eines Schmuckes.Daß es ohnehin überflüssig ist, reicht für eine Verurteilungnicht hin. Es sei aber erwähnt, daß kein englischer Verlags-band Kapitalbänder aufweist (solche ‹mit› sind dort ebensoselten wie deutsche ‹ohne›) und niemand daran Anstoßnimmt, während einem hierzulande berichtet wird, daß‹das Publikum› auf Kapitalbändern bestehe und Decken-bände ‹ohne› als nicht fertig angezogen mißbillige. Wenn’s

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wahr ist. Bücher sollen ja auf ‹holzfreiem› (!) Papier mitschönem, breitem, unbedrucktem Rand gedruckt, in ‹Lei-nen› (!) gebunden und mit ‹Gold› (!) bedruckt sein, einenunzerstörbaren abwaschbaren Schutz(!)umschlag habenund dabei womöglich nur drei Mark kosten. Und bitte nurmit Kapitalband! Bände ohne Kapitalband sind mir auf alle Fälle lieber undsehen ordentlicher aus als solche mit dem fast niemals gutsitzenden, ausgefransten Zeug. Wie wäre der Name Frans-band? Nicht, daß das Kapitalband stets sinnlos wäre. Es ist zu-weilen eine sehr willkommene Schmuckmöglichkeit. Abermeistens entbehrlich. Ein vermutlich schwer auszurotten-der Atavismus wie unser Blinddarm. Doch am einzelnenBuch leicht zu entfernen; Pinzette genügt. Daß das Kapitalband meistens nicht sehr fest sitzt, magja noch hingehen. Hat es wenigstens die genaue Länge, soist aber das eine Ende bestimmt ausgefranst, und das machtes so unerfreulich. Warum muß das Ding aus Kunstseide sein? Man könnteheute leicht fransenlos schneidbares Kapitalband aus Plastikmachen (den aufzuklebenden Teil stark durchlöchert), dersichtbare Teil gerippelt oder sonst geprägt, damit er nichtwie eine Gummiröhre aussieht – dann wären endlich diebisherigen so unsauberen Kapitalbänder aus der Welt ge-schafft! Solange es so etwas noch nicht gibt, kann man sichbei teureren Ausgaben mit Leder-, farbigen Papier- oderLeinen streifen helfen, die wie die oben erwähnten Stoff-streifen um einen Faden geklebt sind und einen dickeren

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oder feineren Wulst bilden. Papier, Leder und Leinen wollenzwar auch gut angerieben sein, fransen aber nicht. Bemerktman keine Fransen und haftet das Bandstück gut, so bringteinen wahrscheinlich der nicht passende Farbton des Kapi-talbandes zur Verzweiflung, dessen Bestellnummer vermut-lich durch das Los bestimmt wurde. Ist denn unbekannt,daß das Kapitalband nicht irgendeine Zufallsfarbe habendarf, sondern diese etwas mit den Farbtönen seiner Umge-bung zu tun hat? Ein rein weißes Kapitalband schickt sichnicht, wenn das Papier des Buches getönt ist; da müßte esebenso getönt sein oder sich farbig abheben. Der schmaleStreifen des Kapitalbandes kann als farbiger Kontrastreizwillkommen sein: wenn die Decke etwa braun überzogenist, sieht ein grünes Kapitalband gut aus – aber alles kommtauf die Nuancen an! Es scheint aber, daß die Kapitalbändervon den Verantwortlichen vergessen und von Unverant-wortlichen ausgesucht werden, so verfehlt sind sie in derRegel! Die Sache wird noch weit problematischer, wenn wir anden getönten Kopfschnitt denken und gar noch ein farbigesVorsatzpapier und ein Leseband im Spiele sind.

*Der Sinn eines gefärbten Schnittes ist die bessere Schlie-ßung der oberen, dem Eindringen von Staub besonders aus-gesetzten Schnittfläche und die Änderung der Tönung desungefärbten Schnittes, damit dessen spätere Verstaubungnicht so deutlich wahrgenommen werden kann. ReinweißeSchnittflächen, zumal dicker Bände, sehen außerdem über-haupt nicht gut aus. Ringsum-Farbschnitt, an sich schöner

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als bloßer Kopf-Farbschnitt, ist heute selten. Er sollte einenicht vordringliche Färbung aufweisen, die mit der Ein-bandfarbe zusammengeht. Die knallroten Ringsum-Farb-schnitte gewisser ausländischer Taschenausgaben findenwir alle im höchsten Maße abstoßend. Echt Gold und auch Schnitt-Pigment, dazu das Polierensowohl des Goldschnittes wie das eines Farbschnittes, fürEinzelbände noch heute üblich, tragen zur Schließung derSchnittoberfläche erheblich bei. Bücher mit eingeschalteten Blättern auf Kunstdruckpa-pier, oder ganz aus solchem bestehend, vertragen wederFarb- noch Goldschnitt, da die Seiten solcher Bücher dannleicht zusammenkleben. Der farbige Kopf- oder Ringsum-Schnitt nimmt an derfarbigen Komposition des Buchäußern teil und kann ent-weder zurückhaltend in einem gelblichen Beigeton gehal-ten sein, der sich fast immer eignet, oder in einer kräftigeren,bewußt gewählten Farbe. Dabei muß man aber bereits mitan das Vorsatzpapier und an das Kapitalband denken.

*Zunächst etwas vom Vorsatz allein. Das Wort ist verkürztaus ‹das Vorsatzpapier› und daher sächlich: das Vorsatz,nicht der. Das Vorsatz heißt so, weil es dem Buchblock vor-gesetzt wird. Und nachgesetzt. Aber auch die hintere Ent-sprechung heißt Vorsatz, nicht etwa Hintersatz. Die Eng-länder hingegen, entirely different from the Continentals asthey are, sagen endpaper (und dafür nie etwa front paper). Man hat schon fast vergessen, daß das Vorsatz aus bun-tem Papier bestehen könnte. Wohin man blickt, weißes

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Dänische Zeichnung: Das Vorsatz-Blatt.

Vorsatz, schon weil die meisten Bücher leider auf demaugenschädlichen ‹blütenweißen› Papier gedruckt werden.Manche nicht ganz modernen Leute finden den Sprung vomdunklen Einband in das grelle Weiß des Inhalts zu gewagtund nehmen darum ein chamois Vorsatz. Ob es immer paßt,ist fraglich. An die Farbe des Stoffüberzugs denkt man näm-lich nicht. Dabei könnte ein farbiges Vorsatz einen angenehmenÜbergang von der Gewebefarbe zur Papierfarbe bilden, da-zu auch den Blick von den störenden Schattierungen derInnendeckel noch besser ablenken als das weißliche Bütten-

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ersatz-Papier der üblichen Vorsätze. Das Textpapier eignetsich selten als Vorsatz, da es zu wenig geleimt ist und derZug des Einbandstoffes meist kräftiger ist als der des Text-papiers. Ideal ist der gleiche Zug: das genau gleiche, etwafarbige Papier also für Überzug und Vorsatz; doch siehtman das nur sehr selten. Besonders in Quart- und noch grö-ßeren Formaten nimmt sich ein farbiges Tonpapier als Vor-satz weit besser aus als ein weißes. Im großen und ganzenpaßt ein chamois Vorsatz kaum zu einem weißen Text-papier.

*Die Auswahl an Lesebändern ist noch ärmlicher als die anKapitalbändern und übersteigt wohl selten ein halbes Dut-zend. Keine schmalen Bändchen, und nur vier, fünf Farben,die nie passen und selber häßlich sind. Obwohl das schwer-lich der Grund für den leider so seltenen Gebrauch der Lese-bändchen ist. Denn für eine einigermaßen nennenswerteAuflage kann man sie ja in jeder Breite und Farbe anfertigenlassen. Man denkt einfach nicht daran, daß ein Leseband er-wünscht sein könnte. Um es zu vermissen, muß man natür-lich Bücher auch lesen. Gelesen werden ist der Endzweckeines Buches, und bessere Lektüre sollte darum mit Lese-bändchen ausgestattet sein. Ein Lesebändchen fordert, so scheint mir, auch ein Kapi-talband. Nun: Überzug, Kapitalband, Vorsatzpapier undLeseband sollten eine farbige Komposition bilden, dereneinzelne Bestandteile spürbar aufeinander bezogen sind.Wie sehr selten sind sie das! Vielleicht haperts am meistenbeim Leseband mit seinen kümmerlichen sechs Sorten. Man

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mag doch nicht vom Leseband ausgehen, wenn man dasGewebe des Überzugs ausliest! Da ein weißes Lesebandkeinen befriedigenden Ausweg eröffnet, wenn das Text-papier getönt ist, läßt man es lieber weg, falls die zu kleineAuflage des Buches an keine Anfertigung denken läßt. Einenennenswerte Auflage gestattet aber die Anfertigung einesLesebandes (lieber aus Seide denn aus Kunstseide) in jederBreite und Farbe!

*Die Auswahl an Kapitalbändern geht so hin, was die Tö-nungen betrifft. Aus Einbandstoff, Vorsatz und Kapitalbandkann nun eine angenehme, farbige, überzeugende Kompo-sition entwickelt werden. Dafür im einzelnen Anleitungenzu geben, ist hier schlechthin unmöglich. Der Versuch liefeauf eine Farbenlehre hinaus. Die Zahl möglicher guter Lö-sungen ist aber ebenso groß wie die Unzahl der vorhande-nen häßlichen.

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Bücher und Zeitschriften müssen einen

Rückentitel tragen

DASS Verlagsbände von einigem Umfang keinen Rücken-titel tragen, ist selten. Zwar fehlt er manchmal auf Bändenaus Restbeständen, die noch schnell in eine möglichst bil-lige Decke gehängt werden, doch sind das Ausnahmen.Selbst einem Laien scheint ein Buch von zwei ZentimeterDicke ohne irgendeinen Rückentitel mindestens nicht fer-tig angezogen. Es gibt aber zahlreiche Verlags-Deckenbände, die umeinen Zentimeter stark sind, ohne einen Rückentitel. Aufdem eigentlichen Bande, versteht sich. Denn auf demSchutzumschlag fehlt er schon viel seltener. Da aber derSchutzumschlag nicht zum Buche gehört und doch einmalabgenommen wird, im schlimmsten Falle weil er endlichunansehnlich geworden ist, genügt das nicht. Titel undVerfasser müssen auf dem Rücken jedes Deckenbandes undjeder Broschüre stehen. Diese Angaben sind unvergleichbarwichtiger und notwendiger als der gleiche Wortlaut aufdem Vorderdeckel, wo er durchaus entbehrlich ist; dennwir finden ein Buch nur wieder, wenn es einen vollständigenRückentitel zeigt. Es ist erstaunlich, daß so viele Verleger dieser Notwen-digkeit nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenken.Messen sie denn ihren Erzeugnissen so geringe Bedeutung

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bei, daß diese in einer Bibliothek auf lange Zeit untergehendürfen? Jeder Sortimenter weiß, wie ungemein lästig diezahlreichen Bücher, Broschüren und Zeitschriften ohneRückentitel sind, und der Benutzer einer eigenen, leidlichumfangreichen Bibliothek weiß das gleiche Klagelied anzu-stimmen. Nicht nur alle Decken bände, auch alle Broschüren von Seiten Umfang und darüber, selbst Kataloge und Zeit-schriften aller Art mit eckigem Rücken, müssen im wohl-verstandenen Interesse ihrer Verleger, Käufer und Benutzereinen Rückentitel tragen. Auch wenn ein allzu bequemerBuchbinder davon abraten sollte. Dünne Broschüren können nur einen Längstitel erhalten,der auf deutschen Büchern von unten nach oben laufen muß.Bei Büchern, die einen Zentimeter dick oder noch stärkersind, sollte man sich indessen immer zuerst fragen, ob nichtein Quertitel möglich ist, dem im Prinzip der Vorrang ge-bührt. Ein Längstitel auf einem Rücken von drei oder vierZentimeter Stärke ist wenig erfreulich. Da Verfasser undBuchtitel in einem Längstitel aus einem und demselbenGrade gesetzt zu werden pflegen, ist ein solcher zumeistweniger übersichtlich als ein gut gegliederter Quertitel;ein Längstitel wirkt gar leicht plump und unartikuliert. Die Rücken der Schutzumschläge könnten viel mehr alsüblich zu Angaben über den Inhalt ausgenützt werden.Dort sollten nicht nur Verfasser, Buchtitel und am Fuß derVerlag oder sein Signet stehen; hier ist auch oft Raum genugfür den vollen Untertitel und selbst umfangreiche weitereAngaben wie ‹Mit Illustrationen, farbigen Tafelnund einer Bibliographie›. Wer überhaupt etwas von Bü-

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chern versteht, zieht im Sortiment nicht jedes Buch aus derReihe, sondern beschränkt sich auf die Lektüre der Rücken-titel, weswegen dort die Angabe des Verlags so wichtig ist,die im übrigen höchstens auf dem Einband wissenschaft-licher Werke angebracht werden darf, auf andern Büchernaber schon gar nichts zu suchen hat. Ausführlichere An-gaben über den Inhalt auf dem Rücken des Schutzumschla-ges können auf jeden Fall sehr nützlich sein. Leider ist es unwahrscheinlich, daß die üblen blindenBuchrücken allesamt verschwinden; doch sollte kein nochso schmächtiges Druckwerk von auch nur einigem Wertohne Rückentitel erscheinen.

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Schutzumschlag und Streifband

DIE ältesten Verlagsbände vom Ende des fünfzehnten undaus dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, die derVerleger Anton Koberger und Aldus Manutius, erhieltenwohl noch keine Schutzumschläge. Solche scheinen erst seitdem Beginn der industriellen Büchererzeugung, das heißtseit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, aufgekom-men zu sein. Schon diese frühen Schutzumschläge sollen denwertvollen Einband vorläufig schonen und tragen, hierinvom Einband unterschieden, den Titel des Buches und oftnoch weitere Angaben auf der Schauseite. Zuweilen istdiese nur eine unveränderte oder mit einer Einfassung ver-sehene Wiederholung des Titelblattes. In den ersten Jahr-zehnten unseres Jahrhunderts wurde oft der Einband selber,zu dessen Nachteil, zum Träger des werbenden Titels ge-macht. Seit längerem aber hat man wieder begonnen, denEinband, die dauernde Hülle, vom Schutzumschlag, demTräger werbender Aufschriften, sauber zu trennen. Wäh-rend die Einbände seit etwa dreißig Jahren leider immerdürftiger geworden sind, ist die Formung des Schutzum-schlages, der den Käufer anlocken soll, neuerdings immermehr verfeinert worden. Der Schutzumschlag darf nicht mit dem Umschlag ver-wechselt werden. Jener umhüllt lose den Einband; derUmschlag wird am Rücken der gehefteten Ausgabe ange-schmiert.

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Der Schutzumschlag des Buches ist eine Art Plakat. Ersoll den Blick auf sich ziehen und den Einband vor Licht,Schmutz und Reibung schützen, bis das Buch in den Besitzdes Käufers übergeht. Der Verleger stellt ihn her, nicht umdem zukünftigen Besitzer eine Schutzhülle zu liefern, son-dern um sich selber und den Sortimenter vor Schaden zubewahren. Sorgfältig hergestellte Bücher sollten niemalsohne wenn auch noch so bescheidene Schutzumschläge aus-geliefert werden. Der Schutzumschlag bildet keinen echten Teil des Bu-ches. Das eigentliche Buch ist der Buchblock. Selbst derEinband und mit ihm das Vorsatzpapier sind, genau genom-men, nur unechte, weil zeitweilige Bestandteile des Buches,die in den Papierkorb wandern, wenn es neu gebundenwird. Der allein gültige Buchtitel steht im Innern des Bu-ches, auf dem Titelblatt. Was auf dem Schutzumschlagsteht, ist für den Bibliographen ohne Belang; es ist nichtnotwendig, ja irrig, die Existenz eines Schutzumschlagesbesonders zu erwähnen, da er, nicht anders als ein dem Buchbeigelegter Prospekt, nur eine fliegende Zugabe zum Buchebildet. Bilder auf dem Schutzumschlag oder dem Umschlag, jasogar die auf einem Pappband aufgeklebten, sollten ausdemselben Grunde im Buche nicht vorausgesetzt oder garals Bestandteile erwähnt werden. Bilden sie einen wesent-lichen Bestandteil des Buches, so müssen sie dem Buch-block, etwa als Frontispiz, eingefügt werden. Bilder aufdem Umschlag oder dem Einband werden bald beschädigt.Wer kein Vertrauen zur Sauberkeit seiner Hände hat,mag das Buch zunächst im Schutzumschlag lesen: der wahre

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Leser aber wirft ihn schon vor der ersten Lektüre fort; es seidenn, er sammle Schutzumschläge als graphische Beispiele.Sogar dann entfernt er den Schutzumschlag, um ihn ineiner besonderen Schachtel zu versorgen. Man kann einBuch im Schutzumschlag nicht gut festhalten und wardständig von der Reklame auf dem Umschlag gestört. DasKleid des Buches ist der Einband; der Schutzumschlag istnur sein Regenmantel. Um den Schutzumschlag gar einenweiteren aus Cellophan zu legen, um jenen vor Schaden zubewahren, ist ebenso närrisch, wie wenn jemand den Stoff-Überzug eines teuren Lederkoffers noch mit Papier umhüllt. Die Vorderseite des Schutzumschlags enthält außer demVerfassernamen und dem Titel oft einen werbenden Textund den Namen des Verlags. Nicht selten sind diese literari-schen Bestandteile einer meist süßlichen Zeichnung oderMalerei eingebettet, die sich manchmal über den Rückenbis auf die Rückseite ausdehnt. Der Zeichner nimmt an,daß Bücher mit solchen Schutzumschlägen gespreizt imSchaufenster aufgestellt werden; doch machen nur wenigeSortimenter von dieser Möglichkeit Gebrauch. Die Einschläge oder ‹Klappen› sollen möglichst breitsein. Auf der vorderen ‹Klappe› steht oft ein ‹Waschzettel›,der den Inhalt des Buches umreißt, oder der Verlag zeigtschon hier und dazu auf der hinteren ‹Klappe› andere Bü-cher an. Die Schutzumschläge englischer Bücher tragen inder Regel am Fuß der vorderen ‹Klappe› die Preisangabe,die man abschneiden kann, wenn man das Buch verschen-ken will. Doch sollte man dann lieber den Schutzumschlagganz entfernen. Der Schutzumschlag, der nur Diener desEinbandes ist, wird nicht ‹vornehmer›, wenn die Klappen

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und die Rückseite unbedruckt bleiben. Da der Käufer desBuches für Anzeigen anderer Bücher aus demselben Verlagdankbar ist, braucht man keine Bedenken zu tragen, außerden Einschlägen auch die ganze Rückseite und sogar die ge-samte, fast immer unbedruckte Kehrseite des Schutzum-schlags mit Bücheranzeigen und Verlagsmitteilungen zubedrucken. Eine andere Frage ist es, ob die Auflage des Bu-ches einen so großen Aufwand an Satzkosten erträgt und obes nicht oft vernünftiger ist, dem Buche einen auf dünnemPapier gedruckten Gesamtprospekt beizulegen. Auf keinenFall braucht man sich zu bemühen, über die jeweils ange-strebte anziehende Wirkung der Schauseite hinaus einenbesonders zurückhaltenden Schutzumschlag zu erzeugen(was keineswegs ausschließt, ihn sorgfältig und schön zusetzen); er sollte, im Gegenteil, so beschaffen sein, daß manihn wie einen Prospekt nach Durchsicht ohne Bedenkenfortwirft. Nur so kann man der unerfreulichen Gewohnheitmancher Leute begegnen, Bücher wie ein Sortimenter mitihrem Schutzumschlag in den Bücherschaft zu stellen. (Nursolche Bücher stelle ich in ihrem Schutzumschlag auf, derenEinband noch häßlicher ist als der Schutzumschlag. Leidererscheinen ihrer jährlich mehr!) Der Aufdruck auf dem Rücken des Schutzumschlagssollte alle wichtigen Angaben der Schauseite wiederholen.Erfahrene Bücherkäufer, die nicht jedes Buch aus dem Schaftziehen müssen, sollten schon auf dem Rücken alles Wissens-werte lesen können, das heißt nicht nur Verfasser und Titel,sondern, sofern der verfügbare Raum es zuläßt, auch einigeAngaben über den Herausgeber oder Bearbeiter, über denUmfang, die Zahl der Tafeln und dergleichen, sowie den

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Verlagsnamen. Die Gestalt des Rückens sollte nicht weni-ger attraktiv sein als die Vorderseite. Da der Schutzumschlag keinen festen und schon darumkeinen echten Bestandteil des Buches bildet, braucht seinegraphische Form nicht notwendig der Gestalt des Buchesselbst angeglichen zu sein. Ein gepflegter Einband darf sehrwohl von einem Schutzumschlag umgeben sein, der nur aufgrobe Schaufensterwirkung ausgeht. Ein Mensch von Ge-schmack wird indes günstiger über das Buch denken, wennder Schutzumschlag formal und farbig auf Einband undBuch abgestimmt ist. Je teurer das Buch ist, um so halt-barer muß das Papier sein, aus dem der Schutzumschlag her-gestellt wird. Für billige Bücher, die schnell verkauft wer-den, genügt ein holzhaltiges Papier; kostbare Werke, diemanchmal längere Zeit im Schaufenster ausgestellt werden,müssen jedoch Umschläge aus kräftigen holzfreien Papierenerhalten. Nur wenn die Druckerei ein exaktes Blindmuster des Bu-ches erhält, kann der Schutzumschlag so genau gedrucktwerden, daß er richtig paßt; Stellungsfehler sind sonstkaum zu vermeiden. Der fertige Umschlag soll haargenauso hoch sein wie die Einbanddecke. Die Auflage bemißt manum zehn Prozent höher als die der zu bindenden Exemplare,damit beschädigte Schutzumschläge durch neue ersetztwerden können. Wenn das Buch ein einfaches Versandfutteral erhält (das,genau wie der Schutzumschlag, in der Bibliothek nicht mitaufgestellt werden soll), so kann man auf dessen Schauseiteein werbendes Blatt aufkleben und sich mit einem unbe-druckten Schutzumschlag für das Buch selbst begnügen.

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Diese Art ist vorzuziehen, wenn das Buch sehr weich ge-bunden ist und nicht aufgestellt werden kann. Der Buch-händler stellt dann das Buch mit dem Futteral ins Fenster. Streifbänder mit einer Schlagzeile (‹Bauchbinden›) wir-ken zwar auffällig, schaden aber einem Buche, das keinenSchutzumschlag trägt. Das Sonnenlicht entzieht dem unbe-deckten Teil die Farbe; der Einband ward bald unansehn-lich und das Buch unverkäuflich. Man darf daher nur solcheBücher mit Streifbändern versehen, die schon einen Schutz-umschlag tragen. Mit einem geeigneten Aufdruck läßt sicheine ‹Bauchbinde› auch vortäuschen.

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Über breite, zu große und quadratische Bücher

DIE absolute Breite eines Buches wird nicht bloß von seinerHandlichkeit bestimmt, sondern auch von der üblichenTiefe der Bücherregale. Bücher, die breiter sind als etwa Zentimeter, sind darum lästig. Mit so breiten Bücherngeben sich die allermeisten Leute nicht gern ab. Sie sindkaum aufstellbar und liegen eine Zeitlang herum, bis derBesitzer sie mit schwer verhohlener Erleichterung jemandanderem aufdrängt oder sie in den Papierkorb wirft. Ichdenke da an Firmengeschichten, die mit besonderer Größeauffallen wollen und bei denen, nahezu unfehlbar, die Rük-kentitel fehlen, was aber hier nicht so schlimm sein mag. Wer wünscht, daß sein Buch die Zeiten überdauert, werwünscht, daß es wiederauffindbar bleibt, darf es also nichtübertrieben breit machen und den Rückentitel nicht ver-gessen. Legitim große Werke, solche mit sehr großen wertvollenTafeln, sind etwas anderes. Der Besitzer solcher Bücher hatein Fach für solche Werke. Dennoch muß man bestrebtbleiben, Bücher nicht unnötig groß zu machen. Daß Bücherallzu klein gehalten werden, ist bei weitem seltener. Neuerdings sind quadratische Bücher in gewissen Krei-sen die große Mode. Aus dem Bestreben, alles ganz anderszu machen, nicht nur Grotesk statt Antiqua zu verwendenund die angeblich Unruhe stiftenden, jedoch unentbehr-

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lichen Einzüge durch stumpfe Anfänge zu ersetzen, benüt-zen Leute, die sich ultramodern vorkommen, gerne einquadratisches Format. Dies ist an sich weniger häßlich alsein übertrieben breites Quartformat, das einfach plump istwie ein Nilpferd. Da wäre ein optisch korrigiertes oder so-gar ein reines Quadrat immer noch besser. Gegen quadratähnliche Bücher sprechen drei Argu-mente. Das erste meint die Handlichkeit. Quadratische Bü-cher können von der ungestützten Hand nicht bewältigtwerden, noch viel weniger als das häßliche Format A . Daszweite Argument geht auf die Einstellbarkeit. Wenn solcheBücher breiter sind als Zentimeter, muß man sie legen.Bücher sollte man aber aufstellen können, damit sie schnellwiedergefunden und benützt werden können. Für das dritteArgument muß ich etwas ausholen. Das Gewicht des Buch-körpers wird von den Scharnieren des Rückens in seinerrichtigen Lage gehalten. Ist der Buchkörper sehr schwer –das ist leider häufig –, dann senkt sich der Buchkörpervorne, stößt auf das Brett des Bücherschaftes und nimmtdort Staub an, etwas, was durch die Kanten des Einbandesverhütet werden soll. Je länger der Rücken im Verhältniszur Buchbreite ist, um so besser bleibt der Buchblock in sei-ner richtigen Lage. In einem querformatigen Album reichtder Rücken dazu nicht mehr aus. Ähnlich ist es aber schonbei den quadratförmigen Büchern. Auch in ihnen senkt sichder Buchblock alsbald auf das Brett des Bücherschaftes.Auch daher sind quadratförmige Bücher als grundverfehlteNeuerungen zu verwerfen. Innerhalb der plausiblen Buchgrößen kommen zahlreicheProportionen, das heißt Verhältnisse von Breite zu Höhe,

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vor. Da die gute Tradition über Bord geworfen worden istund erst neu errichtet werden muß, sollte vor der Arbeitjede Buchgröße auf ihre geometrische Proportion geprüftwerden, das heißt, ob sie die genaue Proportion von : oder : oder den Goldenen Schnitt, um nur einige wichtigeProportionen zu nennen, aufweist. Öfter als man meint ist die einfache Proportion : diebeste; das gilt sogar für Quartbücher, wenn man das Papierdafür machen läßt. Zwar gibt es kein Rezept, doch kannman viel aus Büchern der Zeit vor lernen, auch Propor-tionen. Ein letztes Wort, das nur am Rande zum Thema gehört:das Gewicht des Buches. Die meisten unserer Bücher sindviel zu schwer. Das kommt meistens vom Kunstdruck-papier. Dicke Bücher aus Kunstdruckpapier sollten darumin zwei Halbbände aufgeteilt werden. Die alten Bücherwaren viel leichter. Chinesische Bücher gar sind sozusagenfederleicht. Die Papierfabriken sollten sich bemühen, vielleichtere Papiere zu machen, im besonderen erheblich leich-tere Kunstdruck- und Offsetpapiere.

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Weißes oder getöntes Werkdruckpapier?

PAPIERSTOFF muß chemisch gebleicht werden, um einereinweiße Farbe anzunehmen. Ungebleichtes Papier ist je-doch nicht nur viel dauerhafter, sondern auch schöner. Es istheute sehr selten und kommt wohl nur als Handpapier vor.Der wundervolle Ton der ältesten gedruckten Bücher undnoch älterer Papierhandschriften hat sich bis heute unver-ändert erhalten, wenn die Bücher nicht durch Wasser oderFäulnis gelitten haben. Wenn man früher lobend von ‹wei-ßem Papier› sprach, so meinte man den leicht écrufarbenenTon, den das ungebleichte Papier vom Leinen und von derSchafwolle erhielt, welche die eigentlichen Ausgangsstoffealles alten Papiers waren. Dieser Ton ist auch heute nochder schönste. In einer Kollektion von Werkdruck- und Offsetpapierenbesticht natürlich das persilweiße Offsetpapier das naiveAuge. Es ist aber nicht als Werkdruckpapier gedacht, son-dern für Buntdrucke vorgesehen, die am getreuesten aus-fallen, wenn der Papierhintergrund reinweiß ist. Aus dem-selben Grunde ist das meiste Kunstdruckpapier mit einemreinweißen Aufstrich versehen. Ganz leicht getöntes Kunst-druckpapier, für das ich seit vielen Jahren vergeblich meineStimme erhebe, ist, so wünschenswert es wäre, leider über-haupt nicht als Lagersorte erhältlich.

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Wahrscheinlich weil man in den Büros der Druckereiender Anziehungskraft des unbedruckten reinweißen Papiersverfällt, weil es manchem ‹moderner› scheint – es erinnertja an den Frigidaire, moderne sanitäre Einrichtungen undden Zahnarzt –, weil weißes Offset natürlich am besten mitweißem Kunstdruck zusammengeht und getöntes Kunst-druck nicht angeboten wird, weil man ein ‹brillantes›Druckresultat erstrebt und weil vielleicht auch unerfahreneLaien sich einmischen, erhalten wir so schrecklich viele rein-weiße Bücher. Sogar die Einbände beginnen jetzt öfter imweißen Kleid der Unschuld einherzugehen. Sie gehörenzwar nicht zur Sache, sind aber ein Ausdruck derselbenNeigung und überaus empfindlich. Lesen die Männer, die für die Herstellung solcher Bücherverantwortlich sind, eigentlich ihre Erzeugnisse? Da sie siekennen, werfen sie wohl kaum mehr als einen Blick darauf.Lesen ist ein ganz anderer Vorgang. Aber sie müßten dochschließlich andere Bücher lesen und wenigstens dort bemer-ken, wie schmerzhaft der reinweiße Ton im Buche wirkt. Erwirkt nicht nur kalt und unfreundlich, sondern stört, denner blendet das Auge wie Schnee. Die Buchseite wird unan-genehm durchsichtig; der weiße Papierton, statt mit derSchriftfläche zur Einheit zu verschmelzen, tritt in eine an-dere optische Ebene zurück. Wenn weiß Offset als Werkdruckpapier mißbraucht wird– schon an und für sich Zeichen einer zu sorglosen Herstel-lung –, wird diese nachteilige Wirkung noch durch die Ödeder Papieroberfläche verstärkt, die nahezu jeder Strukturentbehrt. Da die meisten heute verwendeten Schriften eineübermäßige Glätte und Regularität zeigen, die sich beson-

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ders dann offenbart, wenn Maschinensatz angewendet wird,so entsteht als Gesamteindruck äußerste Glätte und Kälte,eine Art Spiegel der Unbeteiligtheit, mit der zuweilen Bü-cher gemacht werden. Ein gut aussehendes Buch darf abernicht das Produkt nur von Rechenkünsten und minimalemEnergieaufwand sein. Wenn wir oft ausländisches Lob fürunsere Bücher einheimsen dürfen, so muß das vor allem un-serer hochentwickelten Drucktechnik zugeschrieben wer-den, nicht etwa der eigentlichen Schönheit unserer Bücher *.Viele Nationen verfügen nicht über gleichwertige Produk-tionsmittel, und eine ähnliche Interesselosigkeit dem Buchals Gegenstand gegenüber ist dort ebenso verbreitet wiehier. Wenn man ein Buch notwendig braucht, so wird mannatürlich über seine herstellungsmäßigen Mängel hinweg-sehen müssen. Der gute Verkauf eines wissenschaftlichenBuches etwa bedeutet daher keineswegs, daß es auch schöngemacht sei. Das Elementar-Notwendige ist noch keineKunst. Diese fängt erst beim scheinbar Überflüssigen an.Erst wenn sich ein Buch so angenehm präsentiert, wenn esauch als Gegenstand so vollendet ist, daß wir es am liebstengleich kaufen und nach Hause nehmen möchten, könnte essich um ein Werk wahrer Buchkunst handeln. Zur angenehmen Gesamtwirkung eines Buches trägtaber auch das gut aussehende Papier nicht weniger bei alseine gepflegte Typographie. Das wird viel zu oft übersehen.Wie außerordentlich selten sind die Bücher, deren Papierdie Hand eines kundigen Papierentwerfers verrät! Man

* Dieser und der nachfolgende Satz beziehen sich auf die Eid-genossenschaft.

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kann nämlich ein Papier so genau auf den Gesamtentwurfeines Buches, nicht nur im Hinblick auf das Verhältnis sei-ner Dicke und besonderen Biegsamkeit zur Seitengröße, sogenau auf den Charakter der Schriftart und die Stimmungdes Buches hin entwerfen, durch Struktur, Tönung und an-dere Eigenschaften, daß ein vollkommener Einklang allerTeile entsteht. Unsere Papierfabriken sind durchaus im-stande und auch bereit, solche Wünsche zu erfüllen. Unddas muß nicht einmal mehr kosten. Auf jeden Fall ist zu wünschen, daß rein weiße Papiere nurdort verwendet werden, wo es durch die Aufgabe gefordertwird. Ich selber kann mir allerdings einen solchen Fall nichtleicht vorstellen. Wenn ‹blütenweißes› Papier als Empfeh-lung genannt wird, so wird unsere Freude an weißen Blütenschmählich mißbraucht. So schön diese sind, so ist ihreFarbe doch keine sehr geeignete Nuance für ein Werkdruck-papier. Zum ‹Schneeweiß› versteigt man sich schon selte-ner, wohl aus einem richtigen Gefühl heraus. In und nach Notjahren trifft man viel graues und muffig-gelbliches Papier in Büchern an. Wenn sie überstanden sind,erwartet man mit Recht wieder ein schönes, haltbares Pa-pier. Der Laie irrt, wenn er nun meint, gutes Papier müssereinweiß sein, und was getönt ist, sei nicht dauerhaft. DerFachmann aber sollte wissen, daß das ein Trugschluß ist,und den Laien aufklären. Reinweißes Papier kann ebenso-gut in zehn Jahren gelbliche Ränder bekommen, wie deut-lich graues von der allerbesten Qualität sein! Es kommt aufden Stoff an, und von dem versteht der Laie kaum sehr viel. Weiße ist also kein sicheres Zeichen für Qualität undHaltbarkeit. Zartgetönte Werkdruckpapiere, deren Ton

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aber in der Regel fast unmerklich sein muß, sind besser,weil sie das Auge nicht blenden und eine Einheit zwischenPapier und Satz herstellen, die auf weißem Papier nur ineinigen sehr seltenen Ausnahmefällen entsteht. Ich rede aber hier weniger von der Papierqualität als vomnötigen Papierton. Es gibt ja noch eine Menge Bücher undBroschüren, die auf billigem Papier hergestellt werdenmüssen. In der Regel sieht der hellste erreichbare Ton leichtgrau und wenig sympathisch aus. Dem kann durch einepassende Nuancierung gegen Chamois hin ohne weiteresabgeholfen werden, ohne daß das Papier mehr kostet. Ichhabe das in mehreren Fällen mit bestem Erfolg erreicht. DasPapier ist zwar nicht besser geworden, aber dem Auge an-genehmer. Zuletzt habe ich diese Änderung bei den billigenPenguin-Büchern durchgeführt, die in England jetzt s.d.(zwei Franken) kosten. Das vorher abstoßend wirkende,bleiche Grau wurde in einen warmen Ton umgewandelt,und die Bücher lasen sich danach so angenehm wie solchezum dreifachen Preis! Sogar unsere Zeitungen und Zeitschriften würden guttun, dieser Möglichkeit nachzugehen. Das übliche Zei-tungspapier ist grau und häßlich, genau wie die früherenPenguin-Ausgaben. Würde man es gelblich halten, so würdedie Leserlichkeit der Zeitungen nur gewinnen. Ihrer meistunschönen Typographie hälfe es zwar nicht, aber unsereAugen würden weniger angegriffen. Man darf vermuten,daß die Tönung des Papiers, das die Londoner Times ver-wendet, absichtlich gelblich getönt ist: welch ein Unter-schied gegenüber dem unerfreulichen Grau unserer Zeitun-gen! Man gehe und vergleiche, um sich überzeugen zu las-

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sen. Ich fürchte nur, daß dieser Anregung so wenig stattge-geben wird wie meiner früheren, ein leicht getöntes Kunst-druckpapier als Lagersorte herzustellen. Dabei haben beideAnregungen erhebliche Bedeutung für die Volksgesund-heit, nämlich für Millionen Augen. Weiße des Papiers ist also kein Anzeichen der Haltbar-keit. Es ist als Werkdruckpapier ungeeignet, weil es dasAuge blendet. Eine ganz zarte Tönung gegen Ecru oderChamois hin ist notwendig. Auch ganz billige Bücher undZeitschriften, sogar Zeitungen, sollten auf getöntem stattrein grauem Papier gedruckt werden. Bestimmte Schriften verlangen übrigens gewisse Papier-töne und -oberflächen. Dies gilt besonders von den Neu-schnitten klassischer Schriften. Je älter die Schrift, um sodunkler und rauher muß das Papier sein. Die Poliphilus-Antiqua () kommt auf weißem Papier gar nicht zurvollen Geltung. Sie wirkt gut nur auf einem Papier, das demTon und Charakter des Papiers der Zeit um nahe-kommt. Ähnliches gilt von der Garamond-Antiqua (um). Das späte achtzehnte Jahrhundert hatte eine Vor-liebe für ‹weißes› Papier (man konnte es damals aber zumGlück noch nicht so weiß bleichen wie heute), und darumwirken die Baskerville-Antiqua (um ) und die Wal-baum-Antiqua (um ) auf fast weißen Papieren am be-sten. Nur die Bodoni-Antiqua (um ), und auch sie nurin großen Graden, auf großen Seiten, verträgt ‹ganz weißes›Papier, aber nur, sofern es wenigstens eine gewisse Strukturhat. Bodoni ging nämlich vorsätzlich auf diesen äußerstenGegensatz zwischen einem nervösen Schwarzweiß der Typeund weißem, ziemlich glattem Papier aus, einen Effekt, der

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einem angenehmen Lesen sehr im Wege steht. Das neun-zehnte Jahrhundert folgte ihm darin nach. Das heute meistunansehnlich gewordene, muffig-gelbliche Papier seinerletzten Jahrzehnte ist weniger Absicht als unvorhergese-hene Folge einer bedenkenlosen Papierverschlechterung. Die Tönungen der heutigen Papiere werden in der Regeldurch Farbzusätze bewirkt. Zahllose Variationen durchTönung, Zusammensetzung, Leimung und besonderenOberflächencharakter sind möglich. Wir sollten das nichtvergessen, sondern so oft wie möglich davon Gebrauchmachen.

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Zehn häufige Kardinalfehler der Buchherstellung

. Abwegige Formate: Unnötig große, unnötig breite undunnötig schwere Bücher. Bücher müssen handlich sein. Bü-cher, die breiter sind als die Proportion : (Quart), ganzbesonders quadratische, sind häßlich und unpraktisch; diewichtigsten guten Proportionen für Bücher sind und blei-ben : , Goldener Schnitt und : . Das Zwitterformat A ist ganz schlecht, nur das Zwitterformat A ist manchmalnicht völlig ungeeignet. Der Buchblock zu breiter Bücher,zumal der quadratförmigen, senkt sich vorne. Bücher, diebreiter sind als Zentimeter, lassen sich nicht leicht auf-stellen und aufbewahren. . Ungegliederter, gestaltloser Satz, als Folge der Unterdrük-kung der Einzüge. Wird leider durch die gleichartige, fal-sche, irrig als ‹modern› angesehene Schreibweise der Briefegefördert, die die Handelsschulen lehren. Man glaube nurnicht, daß das eine ‹Geschmacksfrage› sei. Hier scheidensich Leser und Nichtleser. . Anfangsseiten ohne jedes Initial, die ganz oben links stumpfanfangen und aussehen wie eine zufällige Seite des Textes.Man meint, etwas anderes als den Anfang vor sich zu habenDer Kapitelanfang muß durch einen breiten weißen Raumüber der Anfangszeile, durch ein Initial oder etwas anderesausgezeichnet werden.

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. Gestaltlosigkeit als Folge des Unsinns, nur Einen Gradfür alles zuzulassen. In einem Buche, dessen Kapitelanfängenicht akzentuiert sind und dessen Titel und Druckvermerkaus dem Grade der Grundschrift, sogar ohne Benützungreiner Versalzeilen, gesetzt sind, findet sich der Leser nurschwer zurecht. . Weißes und gar hochweißes Papier. Höchst unangenehmfür die Augen und ein Vergehen an der Volksgesundheit.Eine schwache Tönung (elfenbein und dunkler, jedoch nie-mals crème), die aber ja nicht aufdringlich sein darf, ist fastimmer das beste. . Weiße Decken. Genau so abwegig, weil so empfindlich,wie weiße Anzüge. . Gerade Rücken bei Deckenbänden. Der Rücken gebundenerBücher muß schwach gerundet sein; sonst ist das Buchnach der Lektüre windschief, und die mittleren Lagen sind‹gestiegen›. . Längslaufende Riesenschriften auf Rücken, die für einewaagrecht laufende Beschriftung breit genug wären. Manbraucht den Rückentitel nicht von weither lesen zu kön-nen. . Gar kein Rückentitel. Unentschuldbar bei Büchern, dieüber Millimeter dick sind. Wie soll man eine solche Bro-schüre wiederfinden können? Der Verfasser darf nicht feh-len, denn dieser bestimmt oft den Standort in einer Bücher-reihe. . Unkenntnis oder Mißachtung des richtigen Gebrauchs vonKapitälchen, Kursiv und Anführungszeichen: siehe Seite ff.

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Register

Akademie für Buchgewerbe Bogenrücken- und Graphik, Leipzig Signaturen –

Ältere Antiqua Bogen Signaturen –

American Institute of Breitkopf-Fraktur

Graphic Arts Briefformular

Anfänger Buchbinder

Anführungszeichen – Bücher, alte

Antiqua des Buchkünstler

Übergangsstils Buchstaben, Form der

Antiquaversalien Bundsteg ,

Assimilation

Asymmetrie , , – Codex Sinaiticus

Auslassungspunkte – Cribellariis, Marcus de

Barbou , Derriey, Spécimen-Album

Barock Didot-Antiqua

Baskerville Dissimilation

Bauer, Friedrich Double Crown Club

Berner, Conrad Drittelgevierte

Bibliographien , –

Bibliophile Einband

Riesenschmöker Einfachheit

Bodoni , Einfall

Bodoni, Giambattista einzigen Grad, Druck- Manuale tipografico sachen aus einem ,

Page 214: Tschichold, Jan - Gestalt des Buches

Einzug unter zentrierter Überschrift sinnlos

Gutenberg, , , ,

Einzüge , , – Gutenberg-Preis

‹elementare typographie› Guter Geschmack ,

Elite

Endstriche Halbfette

Endstrichlose , , Hegner, Jakob

Entwerfer Historismus

Experimente höhere Typographie

‹experimentelle Typo- graphie›

‹Hurenkinder› , –

Initialen

Formate, ungewöhnliche

Fraktur Johnston, Edward ,

Fußnoten – Jüngere Antiqua

Garamond , , Kalligraphie

Gebrauchszweck Kanon, Goldener

Gedankenstriche – Kapitälchen , , –

‹Gefühl› , Kayser, Hans

Genji Kinderbuch

Geschmack, Guter , klassische Schriften

Gestaltlosigkeit , Koberger, Anton

Goldener Kanon Kolumnentitel, lebender

Goldener Schnitt , Konventionen ,

Goethezeit, Typographie der

Kunst des Satzes

Künstlerschriften

Graaf, Joh. A. van de , Kapitalband –

Graphiker Kursiv , –

Grotesk Leipzig , ,

Page 215: Tschichold, Jan - Gestalt des Buches

Lesbarkeit Probeseiten , , –

Lesebändchen – Proportionen ,

Literaturnachweise – Pult ,

Lithographie

Logik quadratisches Buchformat , –

Manutius, Aldus querstehendeMarcus Vincentinus , Abbildungen ,

Maßverhältnisse, willkürfreie – Rechenschieber

Milchsack, Gustav Renaissance‹Mittelachse› , , , , ,

Modeschriften Roh, Franz

Morison, Stanley Rohbogenformate

Morris, William Rosarivo, Raúl –,

Royal Society of Arts Nationalschriften, Rückentitel –

gebrochene Rückentitel von unten‹Nationalsozialismus› nach oben

‹Neues›

neue Typographie, Die Satz, weiter

Neue Typographie Satzbreite

Normalformat, Satzes, Kunst des

sogenanntes , Scheuer, I. J. G.Notenziffern – , , ,

Notwendigkeit Schlußpunkt

Schmutztitel

Penguin Books , Schnittfarbe ,

persönlicher Stil , Schöffer, Peter ,

Poeschel, Carl Ernst Schreibschriften

Page 216: Tschichold, Jan - Gestalt des Buches

Schriften, klassische Unger, J. F.

‹Schusterjungen› – Unger-Fraktur

Schutzumschlag , – ungewöhnliche Formate

Schwabacher , ,

Seitenzahl Verlagssignet , , ,

Selbstentäußerung Villard deSetzmaschinen Honnecourt , , ,

Sperren Vincentinus, Marcus ,

Spitzenbildchen , Vorsatz ,

Steinabreibungen

Stempel, chinesische Walbaum-AntiquaStern , ,

Stone, Reynolds Walbaum-Fraktur

Streifband Weiß, Emil Rudolf ,

Symmetrie , , – weißes Papier –

weiter Satz

Tafelwerke – Wersin, Wolfgang von

Takt

Tieffenbach, E. W.

Titelblatt – Zahlen im Titel

Titels, Rückseite Zeitungen , ,

des , zentrierteTradition – Satzordnung ,

Typographie›, ‹Die neue Zoll

Typographie eine Zurichtung des Wissenschaft Schriftgießers

Typographie, höhere Zwitterformate

Typographie, Neue Zwitterproportion

Page 217: Tschichold, Jan - Gestalt des Buches

Nach Angabenvon Jan Tschichold

gesetzt aus ‹Monotype› Van Dijckund gedruckt

bei der Birkhäuser AG in Basel.Ätzungen von

Clichés Schwitter in Basel.

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Page 219: Tschichold, Jan - Gestalt des Buches
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ISBN ---