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RP/1 TU Bergakademie Freiberg Institut für Automatisierungstechnik Praktikum Automatisierungssysteme Versuch Regelung einfacher Prozesse (RP) April 2010 Zielstellung: - Kennenlernen der wesentlichen Eigenschaften eines einfachen Regelkreises mit einem PID-Regler - Einführung in praktische Methoden zur Reglerparametrierung am Beispiel eines realen Prozesses (Füllstandsbehälter) - Übung im Umgang mit der Simulationssoftware MATLAB/SIMULINK Literatur: [1] Lunze, Jan: Regelungstechnik 1; Springer-Verlag 2008, 7. Auflage [2] Unbehauen, Heinz: Regelungstechnik 1; Vieweg-Verlag 2007, 14. Auflage [3] Föllinger Otto: Regelungstechnik; Hüthig-Verlag 2008, 10., durchgesehene Auflage 1 Theoretische Grundlagen 1.1 Regelung und Steuerung Technologische Aufgabenstellungen erfordern es oftmals, dynamische Systeme gezielt zu beeinflussen, so dass die Prozessgrößen (Ausgangsgrößen) einen bestimmten zeitlichen Verlauf aufweisen. Das heißt z.B., sie auf einen festen Wert zu bringen und dort zu halten (z.B. Einstellen der Raumtemperatur, Anfahren eines Elektromotors). Dafür ist es notwendig, dass die Ausgangsgrößen des Prozesses durch sogenannte Stellgrößen beeinflussbar sind. In der Automatisierungstechnik wird zwischen Steuerung und Regelung technischer Prozesse unterschieden. Steuerung (nach DIN 19226): „Das Steuern ist der Vorgang in einem System, bei dem eine oder mehrere Größen als Eingangsgrößen andere Größen als Ausgangsgrößen aufgrund der dem System eigentümlichen Gesetzmäßigkeit beeinflussen.“ Regelung (nach DIN 19226): „Das Regeln, die Regelung, ist ein Vorgang, bei dem fortlaufend eine Größe, die Regelgröße (zu regelnde Größe), erfasst, mit einer anderen Größe, der Führungsgröße, verglichen und im Sinne einer Angleichung an die Führungsgröße beeinflusst wird.“

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RP/1

TU Bergakademie Freiberg

Institut für Automatisierungstechnik

Praktikum

Automatisierungssysteme

Versuch Regelung einfacher Prozesse (RP)

April 2010

Zielstellung: − Kennenlernen der wesentlichen Eigenschaften eines einfachen Regelkreises mit einem

PID-Regler − Einführung in praktische Methoden zur Reglerparametrierung am Beispiel eines realen

Prozesses (Füllstandsbehälter) − Übung im Umgang mit der Simulationssoftware MATLAB/SIMULINK Literatur: [1] Lunze, Jan: Regelungstechnik 1; Springer-Verlag 2008, 7. Auflage [2] Unbehauen, Heinz: Regelungstechnik 1; Vieweg-Verlag 2007, 14. Auflage [3] Föllinger Otto: Regelungstechnik; Hüthig-Verlag 2008, 10., durchgesehene Auflage

1 Theoretische Grundlagen

1.1 Regelung und Steuerung

Technologische Aufgabenstellungen erfordern es oftmals, dynamische Systeme gezielt zu beeinflussen, so dass die Prozessgrößen (Ausgangsgrößen) einen bestimmten zeitlichen Verlauf aufweisen. Das heißt z.B., sie auf einen festen Wert zu bringen und dort zu halten (z.B. Einstellen der Raumtemperatur, Anfahren eines Elektromotors). Dafür ist es notwendig, dass die Ausgangsgrößen des Prozesses durch sogenannte Stellgrößen beeinflussbar sind. In der Automatisierungstechnik wird zwischen Steuerung und Regelung technischer Prozesse unterschieden. Steuerung (nach DIN 19226):

„Das Steuern ist der Vorgang in einem System, bei dem eine oder mehrere Größen als

Eingangsgrößen andere Größen als Ausgangsgrößen aufgrund der dem System

eigentümlichen Gesetzmäßigkeit beeinflussen.“

Regelung (nach DIN 19226):

„Das Regeln, die Regelung, ist ein Vorgang, bei dem fortlaufend eine Größe, die

Regelgröße (zu regelnde Größe), erfasst, mit einer anderen Größe, der

Führungsgröße, verglichen und im Sinne einer Angleichung an die Führungsgröße

beeinflusst wird.“

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RP/2

Abbildung 1 zeigt das Blockschaltbild einer Steuerung. Dabei ist w die Führungsgröße, z die Störgrößen (z1 Speisestörung, z2 Laststörung), y die Stellgröße und x die Regelgröße. Die Strecke repräsentiert den technologischen Prozess (das dynamische System).

Abbildung 1: Blockschaltbild einer Steuerung

Man spricht bei der Steuerung von einer offenen Steuerkette. Damit die Regelgröße der Führungsgröße folgen kann, ist ein genaues dynamisches Modell der Strecke erforderlich. Basierend auf dem Streckenmodell kann die Steuereinrichtung die Stellgröße berechnen, so dass die Regelgröße der Führungsgröße nahe kommt. Auftretende Störgrößen können in der Steuerkette nach Abbildung 1 nicht ausgeglichen werden, da sie direkt auf die Regelgröße wirken. Abbildung 2 zeigt das Blockschaltbild einer Regelung. Wesentliches Merkmal ist die Rückführung der Regelgröße. Diese wird fortlaufend mit der Führungsgröße verglichen und die Abweichung (Regeldifferenz xd) dem Regler zugeführt. In diesem Fall spricht man von einem geschlossenen Regelkreis. Somit ist es möglich durch einen geeigneten Regler allen auftretenden Störgrößen entgegen zu wirken.

Abbildung 2: Blockschaltbild eines Regelkreises

Um die Regeldifferenz zu bilden, muss die Regelgröße messtechnisch erfasst und wenn notwenig aufbereitet werden (z.B. durch Filter). Die dynamischen Übertragungseigenschaften des Messgliedes müssen daher ggf. bei der Modellierung des Regelkreises beachtet werden. Auch die Stellglieder (Stelleinrichtungen) weisen ein dynamisches Verhalten, welches unter Umständen berücksichtigt werden muss. Die Stell- und Messeinrichtungen werden zur vereinfachten Darstellung des Regelkreises (vgl. Abbildung 2) der Strecke bzw. dem Regler zugeordnet. In diesem Versuch wird der einfache Regelkreis zur Führung des Prozesses Füllstandsbehälter mit einem klassischen PID-Regler betrachtet.

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RP/3

1.2 Kennwertermittlung für Strecken mit Ausgleich (PTn)

Die Sprungantwort von Regelstrecken mit zwei oder mehr Verzögerungsgliedern (PTn) kann schwingendes oder aperiodisches Verhalten aufzeigen. Im Rahmen dieses Praktikums werden ausschließlich aperiodische Regelstrecken behandelt. Der allgemeine Verlauf der Sprungantwort eines aperiodischen PTn Systems ist in Abbildung 3 dargestellt.

Abbildung 3: Aperiodischer Verlauf der Sprungantwort eines PTn Systems

Aus dem Verlauf können grafisch die Kennwerte Verzugszeit Tu, die Ausgleichszeit Tg sowie die Streckenverstärkung Ks ermittelt werden. Zur Bestimmung von Tu und Tg wird im Wendepunkt der Sprungantwort xa(t) eine Tangente angelegt. Der Schnittpunkt der Wendetangente mit der Zeitachse entspricht der Verzugszeit Tu. Diese ist ein Maß für die Zeit, bis sich eine Änderung der Stellgröße auf die Regelgröße merklich auswirkt. Die Differenz zwischen dem Schnittpunkt mit KSxe0 (neuer Beharrungswert) und dem Schnittpunkt mit der Zeitachse (Tu) ergibt die Ausgleichszeit Tg. Diese ist ein Maß für die Dauer des Ausgleichsvorgangs, in der die Regelgröße nach Ablauf der Verzugszeit dem neuen Beharrungswert zustrebt. Die Streckenverstärkung KS entspricht dem Quotienten aus neuem Beharrungswert und der Eingangssprunghöhe xe0. Aus diesen Kenngrößen ist es nicht direkt möglich, dass Modell der Strecke als Differentialgleichung zu formulieren. Es existieren praktische Näherungsverfahren für verschiedene Modellansätze (z.B. PT2, PT3, PTn mit n gleichen Zeitkonstanten). Im Praktikumsversuch soll die Näherung durch ein PT2 mit unterschiedlichen Zeitkonstanten

erfolgen. Dieses Verfahren kann nur angewendet werden, wenn das Verhältnis 64.9/ ≥ug

TT

ist (ergaben empirische Untersuchungen). Die Differentialgleichung eines solchen Systems lautet:

)()()()()( 2121 txKtxtxTTtxTTeSaaa

=+++ ��� (1)

Die Bestimmung der Zeitkonstanten T1 und T2 erfolgt mit Hilfe der Tabelle 1 in folgenden Teilschritten:

1. Bestimmen des Verhältnisses ug

TT /

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RP/4

2. Ablesen der korrespondierenden Kennwerte 1/TTg

und µ ggf. durch lineare

Interpolation

3. Berechnung von 1T und 2T

1

2

T

Tµ = 1,01 1,10 2,00 3,00 4,00 5,00 6,00 7,00 8,00

1T

Tg

2,73 2,85 4,00 5,20 6,35 7,48 8,59 9,68 10,77

u

g

T

T 9,65 9,66 10,35 11,50 12,73 13,97 15,22 16,45 17,67

Tabelle 1: Tabelle zur Bestimmung der Zeitkonstanten T1 und T2

Dieses Ersatzmodell kann anschließend für die Simulation der Regelstrecke verwendet werden. 1.3 Der klassische PID-Regler

Unter dem Begriff Regler versteht man im Allgemeinen die Realisierung eines Regelalgorithmus. Je nach Übertragungseigenschaften der Strecke und der technologischen Aufgabenstellung ist ein geeigneter Regler auszuwählen. Die meisten heute in der Industrie eingesetzten Reglertypen basieren auf dem klassischen PID-Regler. Dieser Reglertyp weist drei grundsätzliche Verhaltensweisen auf: proportionales Verhalten (P-Anteil), integrierendes Verhalten (I-Anteil) und differenzierendes Verhalten (D-

Anteil). Die zugehörigen Differentialgleichungen sind in (2)-(4) angegeben. R

K , I

K und

DK seien dabei jeweils die Verstärkungsfaktoren.

P-Verhalten: )()( txKtydRP

= (2)

I-Verhalten: ∫= dttxKtydII

)()( (3)

D-Verhalten: )()( txKtydDD�= (4)

Der P-Anteil stellt eine statische Beziehung dar und arbeitet verzögerungsfrei. Die

Ausgangsgröße P

y ändert sich proportional zur Eingangsgröße d

x .

Der I-Anteil ändert die Ausgangsgröße I

y so lange, bis die Regeldifferenz 0=d

x ist. Daher

besitzen Regler mit I-Anteil keine bleibende Regelabweichung, sie weisen allerdings eine große Ausregelzeit auf. Je länger eine Regeldifferenz vorliegt, umso stärker wirkt dieser Anteil.

Beim D-Anteil ändert sich die Stellgröße D

y proportional zur Änderungsgeschwindigkeit von

dx . Je schneller sich die Regeldifferenz ändert, umso stärker wirkt der D-Anteil. Ein reiner

D-Regler ist in der Praxis nicht realisierbar und ist stets an Zeitverzögerungen gekoppelt.

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RP/5

Durch die Parallelschaltung (additive Verknüpfung) der o.g. Anteile ergeben sich verschiedene kombinierte Reglertypen. Bedeutsam sind dabei der PD-, der PI- und der PID-Regler (Gleichungen (5)-(7)).

PD-Regler: )()()( txKtxKtydDdR�+= (5)

PI-Regler: ∫+= dttxKtxKtydIdR

)()()( (6)

PID-Regler: )()()()( txKdttxKtxKtydDdIdR�++= ∫ (7)

Die gebräuchlichen Formen der Reglergleichungen erhält man durch das Ausklammern der

Reglerverstärkung R

K und dem Einführen von Nachstellzeit I

R

NK

KT = und Vorhaltzeit

R

D

VK

KT = (Gleichungen (8)-(10)). Somit ergibt sich

PD-Regler: [ ])()()( txTtxKtydVdR�+= (8)

PI-Regler:

+= ∫ dttx

TtxKty

d

N

dR)(

1)()( (9)

PID-Regler:

++= ∫ )()(

1)()( txTdttx

TtxKty

dVd

N

dR� (10)

Neben der Auswahl einer geeigneten Struktur (P, I, PD, PI, PID) ermöglichen es die Parameter KR, TN und TV den Regler auf die konkrete regelungstechnische Aufgabe abzustimmen. Das ideale differenzierende Verhalten des D-Anteils beim PD- und PID-Regler ist nicht realisierbar und wird aus praktischen Gründen auch nicht angestrebt. Im Falle eines idealen D-Anteils würde der Regler bei hochfrequenten Störungen (Prozessrauschen) übersteuern. Deshalb wird eine zusätzliche Zeitverzögerung erster Ordnung mit der Zeitkonstante T1 eingeführt. Ein solcher „technischer Regler“ wird entsprechend als PDT1- oder PIDT1-Regler bezeichnet. Die resultierende Differentialgleichung, am Beispiel des technischen PID-Reglers, ist in (11) dargestellt.

PIDT1-Regler: ( )

+++

+=+ ∫ )()(

1)(1)()( 1

11 txTTdttx

Ttx

T

TKtytyT

dVd

N

d

N

R�� (11)

In der Praxis ist die Vorhaltzeit TV des D-Anteils um den Faktor 4-10 größer als T1. Dieser

Faktor wird als Vorhaltverstärkung 1T

TV V

V= bezeichnet.

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RP/6

1.4 Gütekriterien Der in Abbildung 2 dargestellte Regelkreis besitzt drei Eingangsgrößen, die Führungsgröße w(t) und die Störgrößen z1(t) und z2(t). Die Regelgröße x(t) wird von diesen Größen direkt oder indirekt beeinflusst. Je nach technologischer Aufgabenstellung soll der geschlossene Regelkreis ein „gutes“ Führungs- und/oder Störverhalten aufweisen. Beim Führungsverhalten wird ausschließlich die Führungsgröße betrachtet, d.h. die Störgrößen haben keinen Einfluss (z1=z2=0). Analog wird beim jeweiligen Störverhalten die Führungs- und die andere Störgröße zu Null gesetzt. Unter einem „guten“ Führungsverhalten versteht man, dass die Regelgröße einer zeitlich veränderlichen Führungsgröße möglichst exakt folgt. Ein gutes Störverhalten ist durch das schnelle Ausregeln von Störungen gekennzeichnet. Dabei wird sowohl das stationäre als auch das dynamische Verhalten betrachtet. Im stationären Zustand ( ∞→t ) soll möglichst x(t)=w(t) sein. Wird dieses nicht erreicht, so

spricht man von einer bleibenden Regelabweichung )()( ∞→−∞→= txtwxb

. Ein gutes

dynamisches Verhalten ist durch eine geringe Ausregelzeit TAus (Zeit bis zum Eintritt in den Toleranzbereich, ohne diesen wieder zu verlassen) sowie durch ein geringes maximales Überschwingen ü gekennzeichnet. Beim Führungsverhalten wird zusätzlich eine geringe Anregelzeit TAn (Zeit bis zum ersten Erreichen des Sollwertes) angestrebt, sofern der geschlossene Kreis Schwingungen ausführt. Der Toleranzbereich ist durch den Anwender je nach aufgabenmäßiger Anforderung festzulegen. In Abbildung 4 sind diese Kenngrößen zur Gütebewertung dargestellt.

Abbildung 4: Führungs- und Störgrößenverhalten

Zusammenfassend lassen sich die folgenden einfachen Gütekriterien definieren:

min,,, →bAusAn

xTTü

Da ein direkter Zusammenhang zwischen diesen Kenngrößen besteht, ist es in der Regel nicht möglich, alle Kriterien gleichzeitig zu erfüllen. Weiterhin können prozessabhängig zusätzliche Anforderungen an die Regelung gestellt sein (bspw. aperiodisches Angleichen an die Führungsgröße).

1.5 Empirische Einstellregeln für den PID-Regler

Für Strecken mit Ausgleich und aperiodischem Verhalten existieren zahlreiche Einstellregeln für den klassischen P, PI und PID-Regler. Diese wurden teilweise empirisch und teilweise durch Simulation an entsprechenden Modellen entwickelt. Mit Hilfe solcher Einstellregeln ist

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es oftmals möglich, mit geringem Aufwand zahlreiche praktische Prozesse hinreichend gut zu regeln. Für höhere Anforderungen kann auf Basis der empirisch gefundenen Parameter eine Optimierung durchgeführt werden. Auch können die Parameter als Startparameter für numerische Verfahren verwendet werden. Im Versuch werden die Einstellregeln nach Ziegler/Nichols und Chien/Hrones/Reswick verwendet.

Einstellregel nach Ziegler/Nichols

Mit einer Reglereinstellung nach Ziegler/Nichols wird ein leicht schwingendes Führungs-verhalten und ein gutes Störverhalten erzielt. Vorraussetzung ist, dass eine stabile Regelstrecke mit näherungsweise aperiodischem Übergangsverhalten (PTn) vorliegt. Dieses Verhalten kann nach Kupfermüller durch ein PT1Tt –Modell hinreichend gut nachgebildet werden. Dazu werden zunächst gemäß Abbildung 3 die charakteristischen Parameter Tg (Ausgleichszeit) und Tu (Verzugszeit) aus der PTn–Sprungantwort abgelesen und anschließend die Approximation mit T1 = Tg und Tt = Tu durchgeführt. Nach Ziegler / Nichols gibt es zwei Verfahren zur Parameterermittlung: die Methode des Stabilitätsrandes (I) sowie die Methode der Übergangsfunktion (II). Die Bestimmung nach der Methode des Stabilitätsrandes erfordert einen geschlossenen Regelkreis und wird wie folgt durchgeführt:

1. Der Regler wird als reiner P-Regler geschaltet. 2. Vergrößern der Reglerverstärkung KR bis der geschlossene Regelkreis

Dauerschwingungen mit konstanter Amplitude ausführt. Diese Reglerverstärkung wird als kritische Verstärkung KR-krit bezeichnet.

3. Aus der Schwingung wird die kritische Periodendauer Tkrit abgelesen. 4. Anhand der nachfolgenden Tabelle 2 werden die Reglereinstellwerte KR, TN und TV

bestimmt.

Regler KR TN TV

P-Regler kritRK

−5,0 - -

PI-Regler kritRK

−45,0

kritT85,0 -

PID-Regler kritRK

−6,0

kritT5,0

kritT12,0

Tabelle 2: Einstellregeln nach Ziegler/Nichols (Methode I)

In der Praxis ist dieses Verfahren oftmals nicht einsetzbar, da es nicht möglich ist den industriellen Prozess grenzstabil zu betrieben. In diesem Fall (wie auch im vorliegenden Versuch) kann die Methode der Übergangsfunktion angewandt werden. Diese Methode erfordert die Kenntnis der Streckenparameter: Streckenverstärkung KS, Ausgleichszeit Tg und Verzugszeit Tu. Die Reglerparameter können aus diesen Kenngrößen mit der nachstehenden Tabelle ermittelt werden.

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RP/8

Regler KR TN TV

P-Regler uS

g

TK

T - -

PI-Regler uS

g

TK

T9,0

uT3,3 -

PID-Regler uS

g

TK

T2,1

uT0,2

uT5,0

Tabelle 3: Einstellregeln nach Ziegler/Nichols (Methode II)

Einstellregeln nach Chien/Hrones/Reswick

Für PTn-Regelstrecken, welche durch Streckenverstärkung Ks, Verzugszeit Tu und Ausgleichzeit Tg beschrieben werden können, gibt das Verfahren nach Chien/Hrones/Reswick Einstellregeln für ein gutes Führungs- bzw. Störverhalten an. Die Einstellregeln sind anwendbar für Tg/Tu > 3. Sowohl für Führungs- als auch Störverhalten können jeweils zwei verschiedene Parametersätze berechnet werden:

• aperiodischer Regelverlauf kürzester Dauer (maximale Überschwingweite ü = 0%) • kleinste Schwingungsdauer bei einem Überschwingen von ü = 20%

Das tatsächliche Ergebnis stimmt oftmals nicht mit den angegebenen Werten für die Überschwingweite überein. Besonders bei langsamen Regelstrecken liefert das Verfahren nicht immer befriedigende Ergebnisse. Die Einstellregel nach Chien/Hrones/Reswick wird nach folgender Vorgehensweise angewendet: Zunächst werden die Streckenparameter KS, Tg und Tu aus der Sprungantwort bestimmt, anschließend können die Reglerparameter mittels Tabelle 4 berechnet werden.

Aperiodischer Regelverlauf

(ü = 0%) Kleinste Schwingungsdauer (ü = 20 %)

Regler Führung Störung Führung Störung P KR

uS

g

TK

T30,0

uS

g

TK

T30,0

uS

g

TK

T70,0

uS

g

TK

T70,0

PI KR

uS

g

TK

T35,0

uS

g

TK

T60,0

uS

g

TK

T60,0

uS

g

TK

T70,0

TN g

T20,1 u

T00,4 gT

uT30,2

PID KR

uS

g

TK

T60,0

uS

g

TK

T95,0

uS

g

TK

T95,0

uS

g

TK

T20,1

TN g

T u

T40,2 gT35,1

uT00,2

TV u

T50,0 u

T42,0 u

T47,0 u

T42,0

Tabelle 4: Einstellregeln nach Chien/Hrones/Reswick

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RP/9

2. Versuchsaufbau

2.1 Technologischer Aufbau

Im Praktikumsversuch sollen die im Abschnitt 1 beschriebenen Verfahren am Beispiel eines Füllstandsbehälters angewendet werden. Ziel des Versuches ist es, durch Regelung den Wasserstand in einem zylindrischen Behälter konstant zu halten. Der Versuchsaufbau ist schematisch in Abbildung 6 dargestellt. Mit Hilfe einer Kreiselpumpe MP wird Wasser in den Behälter gefördert. Die Fördermenge ist mit dem Motorregelventil MV einstellbar. Mit Hilfe der Handventile V1, V2 und dem Behälter-Bypass V3 sind die Streckenparameter beeinflussbar. Für den Praktikumsversuch sind die Ventilstellungen vorgegeben:

Ventil Stellung

V1 ca. 20% geöffnet V2 ca. 75% geöffnet V3 Vollständig geschlossen

Tabelle 5: Ventilstellungen des Füllstands

Das Stellglied wird vom Motorregelventil, das Messglied für den Füllstand von einem Druckmessumformer P für den Bodendruck gebildet. Als Regeleinrichtung dient der Digitalregler DR20, der zur Gruppe der verfahrenstechnischen Kompaktregler gehört. Er ist konstruktiv integriert in das universelle Regelmodell SITRAIN, welches im Versuch zusätzlich zur Signalaufbereitung genutzt wird. Dieser Baustein hat die Aufgabe, die vom Messglied kommende Regelgröße xM von einem Strom- in ein Spannungssignal zu wandeln und einstellbar zu verstärken. Durch einen Tiefpassfilter 1. Ordnung wird das Messsignal geglättet und zur Regelung aufbereitet. Der Kompaktregler ist über eine RS232 Schnittstelle mit einem Computer verbunden. Dieser ermöglicht es, die Verläufe der Regel- und Stellgröße zu visualisieren. Für das System ergeben sich durch Speichereffekte zwei Zeitkonstanten: Zeitkonstante T1 resultiert aus der Speicherung der Masse im Behälter, T2 ist durch den elektronischen Tiefpassfilter bestimmt.

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Abbildung 6: Schematische Darstellung des Füllstand-Versuchsaufbaus

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RP/11

2.2 Aufbau und Funktionsweise des Kompaktreglers DR20

Abbildung 7 zeigt die Frontplatte des Kompaktreglers DR20. In Tabelle 6 sind die einzelnen Anzeige- und Bedienelemente sowie die Funktionen erläutert.

Abbildung 7: Frontplatte des Kompaktreglers DR20

Nummer Erläuterung

1 LED Balken zur Anzeige der Regeldifferenz xd 2 Anzeigen für unteren und oberen Alarm (Regeldifferenz größer als vorgegebene

Grenze) 3 Veränderung der Stellgröße y im Handbetrieb 4 Anzeige der Stellgröße 5 Umschalttaste für Handbetrieb (Stellwerte werden über 3 verändert) und

Automatikbetrieb (Betrieb mit eingestelltem Regler) 6 Anzeige für Hand- (LED an) bzw. Automatikbetrieb (LED aus) 7 Einstellen des internen Sollwertes w 8 Umschalten zwischen internem (am Kompaktregler) und externem (über RS232)

Sollwert 9 Anzeige für internen (LED an) oder externem (LED aus) Sollwert 10 Display zur Anzeige von Sollwert w / Regelgröße x 11 Umschalten der dargestellten Größe der Anzeige 10 12 Angabe der dargestellten Größe: Sollwert (grüne LED) , Regelgröße (rote LED)

Tabelle 6: Anzeige- und Bedienelemente des Kompaktreglers DR20

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RP/12

Alle Größen im Kompaktregler werden prozentual angegeben. Der Versuchsaufbau ist so kalibriert, dass 50% Stellgröße einer Fülllstandshöhe von 50cm entsprechen. Die an den Kompaktregeler rückgemeldete Regelgröße entspricht in diesem Falle 50%. Dieser Betriebszustand wird im Rahmen des Versuches als Arbeitspunkt definiert. Bei der Bedienung des Kompaktregler wird zwischen 3 Ebenen unterschieden: Strukturierebene, Parametrierebene und Bedienebene. Nach dem Einschalten befindet sich der Regler in der Bedienebene. In dieser kann mittels der in Tabelle 6 geschilderten Bedienelemente der Prozess geführt werden. Um ein versehentliches Verstellen der Parameter zu verhindern, ist die Strukturier- und die Parametrierebene nur mit Hilfe der angegebenen Bedienfolge erreichbar (vgl. Abbildung 7):

1. Gedrückthalten von (11) bis in (4) PS erscheint 2. Drücken von (7) nach oben bis im Display (10) Str (Strukturierebene) oder Par

(Parametrierebene) erscheint 3. Drücken von (3) in beliebige Richtung

Eine Rückkehr ist über die Taste (11) möglich (Strukturierebene � Parametrierebene � Bedienebene). In der Strukturierebene werden die grundlegenden Eigenschaften des Reglers mit Hilfe von 48 Strukturschaltern festgelegt. Im Display (4) wird der gewählte Schalter angezeigt, dieser kann mit (3) gewechselt werden. Anzeige (10) zeigt den zugehörigen eingestellten Wert, welcher mit (7) verändert werden kann. Der Regler ist in diesem Zustand inaktiv. Die Parametrierebene erlaubt es die Reglerparameter (KR, TN, TV, VV) einzustellen. In dieser Ebene bleibt der Regler aktiv. Die Anzeige (4) zeigt den Parameter. Aufgrund der begrenzten Darstellungsmöglichkeit (7-Segment-Anzeige) werden folgende Anzeigen für die Parameter verwendet: KR � cP TN � tn TV � tu VV � uu. Der entsprechende Parameter ist mit (7) veränderbar. Mit (3) wird zwischen den Parametern gewechselt. 2.3 Modell in Matlab/Simulink

Abbildung 8 zeigt das Modell der Füllstandsregelung in Matlab/Simulink. Die Darstellung ist vergleichbar mit Abbildung 2 des Grundregelkreises.

Abbildung 8: Modell der Füllstandsregelung in Matlab/Simulink

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RP/13

Die verwendeten Blöcke sind in Tabelle 7 kurz erläutert. Blockspezifische Einstellungen erfolgen durch einen Doppelklick auf das Symbol. Symbol Erläuterung

Sprungförmiges Eingangssignal. Über den Parameter Step Time wird der Zeitpunkt des Sprunges festgelegt. Final Value beschreibt die Sprunghöhe.

Der Scope dient der Visualisierung von Signalen. Durch Doppelklick wird der entsprechende Verlauf angezeigt.

Mit Hilfe dieses Symbols können Signale durch Addition oder Subtraktion miteinander verknüpft werden.

Die Struktur des PID-Reglers ist in diesem Block hinterlegt. Die möglichen Einstellwerte entsprechen den in Abschnitt 1.3 angegebenen Parametern. (siehe Abbildung 9)

Eine Modellstruktur für ein PT2-System mit verschiedenen Zeitkonstanten T1 und T2 (vgl. Abschnitt 1.2) wird durch diesen Block repräsentiert. Das Fenster für die Eingabe der Parameterwerte ist in Abbildung 9 dargestellt.

Tabelle 7: Erläuterungen zu den verwendeten Blöcken in Matlab/Simulink

Abbildung 9: Eingabefenster für die Reglerparameter (linke Abbildung) und für die

Streckenparameter (rechte Abbildung)

Nachdem der Regelkreis vollständig parametriert ist, kann durch einen Klick auf den Start Button die Simulation gestartet werden (siehe Abbildung 10). Neben dem Button ist es möglich, die Simulationsdauer in Sekunden einzustellen. Im Praktikumsversuch ist als Vorgabe 600s gewählt. Nach dem Simulationslauf können die Ergebnisse im Scope betrachtet werden.

Abbildung 10: Menüleiste und Toolbar von Simulink

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RP/14

3. Versuchsablauf

3.1. Ermitteln eines Ersatzmodells für die Füllstandsstrecke

Entnehmen Sie die Kennwerte KS, Tu, Tg aus dem Zusatzblatt. Ermitteln Sie ein PT2 Ersatzmodell (nach Abschnitt 1.2) für die Strecke. Bitte beachten Sie dabei die angegebene Sprunghöhe.

3.2. Modellierung der Strecke in Matlab und Simulink

a) Starten Sie Matlab/Simulink und öffnen Sie die Datei Fuellstandsstrecke.mdl aus dem Verzeichnis M:\PraktikumRP

b) Tragen Sie die ermittelten Parameter der Strecke in den entsprechenden Block ein. c) Überprüfen Sie, die Gültigkeit des Modells anhand des Zusatzblattes und den in 3.1 a)

ermittelten Kennwerten 3.3. Ermittlung der Reglerparameter

Ermitteln Sie die PID-Regler-Parameter nach den Verfahren von Ziegler/Nichols (Methode II) und Chien/Hrones/Reswick (für Führungs- und Störverhalten mit aperiodischem Verlauf und für 20% Überschwingweite).

3.4. Simulation des geschlossenen Regelkreises

a) Öffnen Sie die Datei Fuellstandsregelung.mdl aus dem Verzeichnis M:\PraktikumRP b) Tragen Sie die ermittelten Parameter der Strecke in den entsprechenden Block ein. c) Tragen Sie die in 3.3 ermittelten Parametersätze des Reglers ein. Setzen Sie VV =5! d) Bestimmen Sie grafisch die folgenden Kennwerte aus der simulierten Sprungantwort

bei einem gegebenen Toleranzband von +/- 0.05 (Abweichung vom Absolutwert): Anregelzeit TAn, Ausregelzeit TAus, maximale Überschwingweite ü

e) Wechsel Sie zum Störverhalten, indem Sie im Block Führungsgröße den Parameter Final Value auf 0 und im Block Störgröße auf 10 setzen.

f) Bestimmen Sie analog zu c) die Kennwerte für das Störverhalten. (Hinweis: TAn ist für Störverhalten nicht definiert)

g) Wählen Sie jeweils einen Parametersatz für „gutes“ Führungs- bzw. Störverhalten aus. 3.5. Inbetriebnahme der Füllstandsanlage

a) Schalten Sie die Füllstandsanlage ein, wechseln Sie zunächst in den Handbetrieb und geben Sie eine Ventilstellung von 50% an und stellen Sie den Sollwert auf 50%.

b) Wechseln Sie in die Strukturierebene und stellen Sie die Schalter gemäß der bereitliegenden Tabelle ein.

c) Wechseln Sie in die Parametrierebene und stellen Sie zunächst die Parameter für Führungsverhalten ein.

3.6. Testen der Parameter am Prozess

a) Schalten Sie den Regler in Automatikbetrieb. b) Ändern Sie den Sollwert auf 60% und beobachten Sie das Regelverhalten. Bestimmen

Sie dabei die Kennwerte TAn, TAus, und ü. c) Wechseln Sie in die Parametrierebene und stellen Sie die Parameter für Störverhalten

ein. d) Stören Sie den Prozess, indem Sie das Handventil V2 „sprungartig“ um eine viertel

Umdrehung betätigen. e) Bestimmen Sie hierbei die Kennwerte TAus, und ü. f) Vergleichen Sie die realen Ergebnisse mit denen der Simulation. Überlegen Sie, wie

das Regelverhalten weiter verbessert werden könnte.

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RP/15

Zusatzblatt (Gemessene Sprungantwort bei einer Eingangssprunghöhe von 10%)