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266 PAPAGEIEN 8/2013 rückzuführen sind, an dritter Stelle. Die Diagnostik wird oft erschwert durch un- spezifische Symptome. Tumoren oder genauer gesagt Neoplasien (krankhafte Neubildung von Körpergewebe) sollten daher nach Ausschluss anderer mögli- chen Ätiologien stets in Betracht gezo- gen werden. Um Tumoren aufzuspüren, werden die historischen Daten des Patienten über- prüft und der Papagei einer allgemeinen Untersuchung unterzogen. Der Tierarzt achtet dabei insbesondere auf Umfangs- vermehrungen, geschwollene Organe (z.B. am Bauch) und eine anormale Po- sition der Gliedmaßen. Besonders hilf- reich bei der Diagnostik scheinen die Gewichtskontrolle und die Beurteilung der Brustmuskulatur zu sein, denn An- zeichen für einen bestehenden Tumor sind u. a. Gewichtsverlust und eine Re- duzierung der Brustbemuskelung. Je nach Tumor können erkrankte Tiere an Im Gegensatz zu Säugetieren werden in der tiermedizinischen Praxis Papageien oder andere Ziervögel, die an Tumorer- krankungen leiden, wesentlich seltener vorgestellt. Ausnahmen bilden Wellensit- tiche (Melopsittacus undulatus), Nym- phensittiche (Nymphicus hollandicus) und Kanarienvögel (Serinus canaria). Bei älteren Großpapageien stehen Tu- moren als Todesursache hinter Infek- tionskrankheiten und Erkrankungen, die auf haltungsbedingte Fehlernährung zu- Nymphensittiche (Nymphicus hollandicus) zählen zu den Papageien, bei denen Tumoren relativ häufig auftreten; dieses Männchen hatte einen Hodentumor Tumoren bei Papageien Dr. Carlo Manderscheid, Mondorf-les-Bains, Luxemburg

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rückzuführen sind, an dritter Stelle. DieDiagnostik wird oft erschwert durch un-spezifische Symptome. Tumoren odergenauer gesagt Neoplasien (krankhafteNeubildung von Körpergewebe) solltendaher nach Ausschluss anderer mögli-chen Ätiologien stets in Betracht gezo-gen werden.

Um Tumoren aufzuspüren, werden diehistorischen Daten des Patienten über-prüft und der Papagei einer allgemeinen

Untersuchung unterzogen. Der Tierarztachtet dabei insbesondere auf Umfangs-vermehrungen, geschwollene Organe(z.B. am Bauch) und eine anormale Po-sition der Gliedmaßen. Besonders hilf-reich bei der Diagnostik scheinen dieGewichtskontrolle und die Beurteilungder Brustmuskulatur zu sein, denn An-zeichen für einen bestehenden Tumorsind u. a. Gewichtsverlust und eine Re-duzierung der Brustbemuskelung. Jenach Tumor können erkrankte Tiere an

Im Gegensatz zu Säugetieren werden inder tiermedizinischen Praxis Papageienoder andere Ziervögel, die an Tumorer-krankungen leiden, wesentlich seltenervorgestellt. Ausnahmen bilden Wellensit-tiche (Melopsittacus undulatus), Nym-phensittiche (Nymphicus hollandicus)und Kanarienvögel (Serinus canaria).Bei älteren Großpapageien stehen Tu-moren als Todesursache hinter Infek-tionskrankheiten und Erkrankungen, dieauf haltungsbedingte Fehlernährung zu-

Nymphensittiche (Nymphicus hollandicus) zählen zu den Papageien, bei denen Tumoren relativhäufig auftreten; dieses Männchen hatte einen Hodentumor

Tumoren bei PapageienDr. Carlo Manderscheid, Mondorf-les-Bains, Luxemburg

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anderen Stellen (z. B. am Bauch) durchdas Tumorwachstum zunehmen, und indiesem Fall verändert sich auch die Kör-persilhouette.

Ursachen

Meistens bleiben die Ursachen für spon-tan entstehende Tumoren unklar. Be-kannt ist jedoch, dass bestimmte chemi-sche Verbindungen die Wahrscheinlich-keit der Entstehung von Neoplasien er-höhen können. Einige Zinksalze bei-spielsweise lösen bei der lokalen Appli-kation auf den Hoden Teratome aus.Diverse Viren können an der Tumorent-wicklung beteiligt sein, so induzierenHerpesviren bei Papageienvögeln Le-ber- und Gallengangstumoren. Bei Wel-lensittichen ist eine Beteiligung geneti-scher Einflüsse an der Entstehung be-stimmter Tumoren nicht auszuschließen.

Wie bei Säugern treten auch bei Vögelnmit zunehmendem Alter vermehrt Tu-morerkrankungen auf, auch wenn dieUrsache hierfür nicht immer abgeklärtwerden kann.

Bei der Tumorbildung bei Wellensitti-chen lässt sich das Durchschnittsalter fürdas Auftreten von Neoplasien mit vierbis sechs Jahren angegeben. Die Häu-figkeit einiger Tumorerkrankungenkann geschlechtsabhängig sein: Wäh-rend bei männlichen Wellensittichen dieGonaden öfter betroffen sind als andere

Organe, haben bei weiblichen Tieren Li-pome eine größere Bedeutung. Terato-me hingegen sind gutartige Tumoren,die aus multipotentem embryonalemGewebe entstehen, sie können aller-dings durch ihre enorme Größe zumTode führen.

Vereinfachte Klassifizierungund Definition

Das Wort Tumor kommt aus dem Latei-nischen und beschreibt eine Schwellungaus verschiedensten Ursachen, die ent-

Wellensittich (Melopsittacus undulatus) mit einem Tumor unterhalb des Auges (links), der chirur-gisch entfernt wurde (rechts)

Derselbe Wellensittich elf Tage nach der Entfernung des Tumors

KRANKHEITEN

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zündlich oder nicht entzündlich ist. Häu-fig wird der Begriff aber eingeengt für„Geschwulst“ verwendet. Enger gefasstist der Ausdruck Neoplasie, der eine„Neubildung“ von Körpergewebe be-nennt. Die Begriffe Tumor und Neopla-sie sagen noch nichts über die Gutartig-keit (Benignität) oder Bösartigkeit (Mali-gnität) einer Geschwulst aus. Die eigent-liche Klassifizierung erfolgt nach histolo-gischen Kriterien – Tierart, Alter, Organder Tumorentstehung, Wachstumsge-schwindigkeit, Abgrenzung zum gesun-den Gewebe, Form und Konsistenz,Krankheitszeichen und Funktionsstörun-gen.

Es kommen jedoch auch Vorstadien undÜbergangsformen vor, welche den Un-terschied zwischen Gut- und Bösartig-keit oft verkomplizieren. Zu weiterenMalignitätskriterien gehören Gefäßein-brüche, Metastasenbildung, Zellatypien,hohe Zellteilungsrate, anormale Wuchs-formen sowie geringe Differenzierungs-merkmale (d.h. je weniger differenziertder Tumor im Vergleich zum Originalge-webe ist, desto bösartiger ist er).

Lokalisation

Der Entstehungsort für Tumoren iststark abhängig von der Vogelart. Beim

Tierarzt am meisten vorgestellt werdensicherlich Wellensittiche, und bei ihnensind Hoden, Leber, Ovar und Niere amhäufigsten betroffen. Lipome (Fettge-schwulste) sind die häufigsten Tumorenbei kleinen Sittichen, Agaporniden, Ro-sakakadus (Eolophus roseicapilla) undAmazonen. Lipome entstehen aus ent-arteten Fettzellen, vor allem in der Un-terhaut. Nicht selten kommt es im Be-reich der Lipome zu Verdickungen derHaut mit Einlagerung von fetthaltigenEntzündungszellen sowie Kristallstruktu-ren (Cholesterol), und es entsteht einXanthom.

Tumoren des Skelettsystems (Knochen,Muskel [Rhabdomyosarkome]) sind sel-ten, auch die der Atmungsorgane, desHerzens und der Blutgefäße. Anderssieht es aber bei den Verdauungsorga-nen aus: In der Schnabelhöhle sowie inMundschleimhaut treten öfter Papillomeauf, Tumoren der Leber dürften wohldie häufigsten Neoplasien des Gastroin-testinaltrakts sein. Gutartige Hepatomekonnten bei mehreren Leberuntersu-chungen diagnostiziert werden, maligneLeberkarzinome wurden bei Großpapa-geien mit Herpesvirusinfektion mehr-fach gefunden.

Hodentumoren sind definitiv die beiWellensittichen am häufigsten auftreten-den Neoplasien. Seminome und Sertoli-

KRANKHEITEN

Röntgenaufnahmen – hier bei einem Unzertrennlichen (links) – ermöglichen die Lokalisation ver-änderten Gewebes; rechts Leberkarzinom bei einem Scharlachkopfpapagei (Pionopsitta pileata)

Klassifizierung der Tumoren in vereinfachter Form, da in derPraxis häufig Vorstadien und Übergangsformen anzutreffensind

Ausgangsgewebe gutartig bösartig

Federfollikel EpitheliomPlattenepithel Basalzellepitheliom Basalzellkarzinom

Papillom PlattenepithelkarzinomSchleimhaut-/Drüsenepithel Adenom KarzinomFibröse Gewebe Fibrom FibrosarkomFettgewebe Lipom LiposarkomMuskel glatt Leiomyom LeiomyosarkomMuskel gestreift Rhabdomyom RhabdomyosarkomBlutgefäße Hämangiom HämangiosarkomKnochen Osteom OsteosarkomPigmentzellen Naevus malignes Melanom

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zelltumoren nehmen dabei den Spitzen-platz ein. Bei Letzteren kommt es durchdie Östrogenbildung zu einer „Verweibli-chung“ des Männchens, was dadurchsichtbar wird, dass sich die Nasenwachs-haut von Blau nach Braun verfärbt.

Gewebsveränderungen des Nervensys-tems sind bisher bei Papageien sehr sel-ten gefunden worden, anders als beiHühnervögeln, bei denen diverse Virenals Auslöser tumoröser Veränderungen(z.B. Mareksche Krankheit und Leuko-se) bekannt sind. Selten sind bei Papa-geien auch Plattenepithelkarzinome aufder Haut, die sich durch offene, nichtheilende Wunden äußern.

Tumoren der innersekretorischen Drü-sen wurden bei Papageien nur spora-disch diagnostiziert. Die Schilddrüsen-vergrößerung bei Wellensittichen, be-dingt durch Jodmangel, wird kontroversdiskutiert. Gutartige Nebenschilddrüsen-vergrößerungen sind hingegen bei gro-ßen Papageien häufig, die mit einer rei-nen und somit kalziumarmen Samenmi-schung gefüttert werden. Es entsteht einnutritioneller sekundärer Hyperparathy-roidismus.

Klinik

Wie beim Menschen gilt auch hier: Jefrüher eine Neoplasie erkannt wird, des-

to größer sind in vielen Fällen die Hei-lungschancen. Spezielle Hinweise aufGeschwulstbildung sind zum Beispieleine Vergrößerung des Abdomens,anormale und wachsende Veränderun-gen von Haut, Knochen, Schädel, Bür-

zeldrüse. Das gestörte Allgemeinbefin-den tritt erst im späteren Verlauf ein. Einzunehmender Gewichtsverlust sowieeine reduzierte Futteraufnahme könnenHinweise sein, ebenso unspezifischeSymptome wie Lahmheit, Flugunfähig-

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KRANKHEITEN

Ein Nymphensittich mit einer bösartigen Fettgeschwulst (Liposarkom) im Schnabelwinkel (links),die chirurgisch entfernt wurde (rechts)

Der oben abgebildete Vogel 14 Tage nach der Operation

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keit, Bewegungsunlust, Koordinations-störungen, Atembeschwerden oder Un-tertemperatur.

Diagnostik

Die klinische Untersuchung, Röntgensowie eine Blutuntersuchung könnenHinweise geben, dennoch, die beste undeinzig aussagekräftige diagnostischeMethode ist und bleibt die Entfernungdes veränderten Gewebes und dessenBegutachtung durch einen Pathologen.Erst dann kann eine gesicherte Aussageüber die Malignität gemacht und einePrognose gestellt werden. Zu den verän-derten Blutwerten gehören: erhöhte Le-berenzyme im Falle von Lebertumoren,

veränderte hämatologische Werte, ver-änderte Nierenwerte (Harnsäure, Phos-phor) oder Knochenwerte. Das Röntgenermöglicht zwar die Lokalisation vonverändertem Gewebe, eine Aussageüber seine Beschaffenheit kann abernicht erfolgen.

Therapie

Oftmals darf man sich weder als Tierarztnoch als Vogelbesitzer zu große Hoff-nung auf eine Genesung des Vogelsmachen. Vor Beginn einer Therapiemuss daher immer geklärt werden: Waswollen und können wir erwarten? EineGenesung (mit großem Fragezeichen),eine Verlängerung des Lebens ohne

Schmerzen oder eine rein palliative The-rapie.

Grundsätzlich gibt es drei Formen derTherapie, um eine eventuelle Genesungzu erreichen:

1) Die versuchte komplette operativeEntfernung der Geschwulst mit anschlie-ßender Radio- oder Chemotherapie.

2) Radiotherapie: Der bösartige Tumorwird mit ionisierter Strahlung behandelt.Das Ziel ist die totale Zerstörung desTumors, ohne das gesunde umliegendeGewebe zu schädigen.

3) Chemotherapie: Die eingesetztenMedikamente wirken auf die sich starkvermehrenden Tumorzellen, die Wahlder Substanzen erfolgt in Abhängigkeitvom Typ des Tumors, seiner Aggressi-vität, seiner Lokalisation und Größesowie der allgemeinen Verfassung desPatienten.

Bei Hunden wurde die Wirkung vonTumorimpfstoffen bereits in einigen Ver-suchen dokumentiert, die Ergebnissesind vielversprechend.

Die palliative Therapie wird eingesetzt,wenn alle anderen Behandlungsversu-che versagt haben. Sie dient der Linde-rung der Symptome einer Krankheit(also in diesem Fall des Krebses), ohnedessen Ursache zu bekämpfen. Im Vor-dergrund steht die Schmerzbekämp-fung. Außerdem muss der Patient mitden notwendigen Nährstoffen versorgtwerden, um einem Gewichtsverlust ent-gegenzuwirken.

Verschiedene Tumoren können offene,nicht heilende Wunden herbeiführen.Diese müssen täglich gereinigt unddesinfiziert werden, um einer sekun-dären Sepsis (Blutvergiftung) vorzubeu-gen. Krebs im Endstadium verursachtdem Tier große Schmerzen. Kann derTierarzt diese nicht mehr lindern, musseine Euthanasie erfolgen, um den Vogelvon seinem Leiden zu erlösen.

270 PAPAGEIEN 8/2013

KRANKHEITEN

Rosakakadu (Eolophus roseicapilla) mit einem Rhabdomyo-sarkom (bösartiger Tumor der quergestreiften Muskulatur)

Anschrift des Autors:

Dr. Carlo Manderscheid5 Avenue François Clément5612 Mondorf-les-BainsLuxemburg

Fotos: alle vom Autor