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INSERAT AZSo 9 7 7 1 6 6 2 4 3 9 0 0 2 1 4 AZ 5000 Aarau | Nr. 99 | 5. Jahrgang | Ausgabe 14 | Redaktion 058 200 53 10 | E-Mail [email protected] | Abo 058 200 55 55 | www.sonntagonline.ch | Anzeigen 058 200 53 53 | Fr. 3.50 10. April 2011 Ricardo Lumengo will neuen Feiertag Ausländer und Schweizer sollen Integration feiern. > 7 Die Mädchenwelt im Bieber-Fieber Der Fan, der Musiker und der Kritiker über das Phänomen Justin. > 43 Swissmetro ist gescheitert: Jetzt wollen zwei Cargo-Projekte den Verkehrskollaps auf Strasse und Schiene verhindern. In- teresse zeigen Post und SBB. Beim Projekt «Güter unter die Erde» sollen zwischen Basel und Chiasso sowie zwischen Genf und der Ostschweiz zwei riesige Tunnels entstehen, die Container durchgängig unterirdisch transportie- ren. Lokführer braucht es dazu nicht, da die Wagen vollautomatisch an ihre Be- stimmungsorte gesteuert werden. SBB- Chef Andreas Meier zeigt Interesse: «Das würde helfen, unsere Kapazitätsproble- me beim wachsenden Personenverkehrs- aufkommen zu lösen.» Hinter dem Projekt stehen potente Unternehmen. Stadler-Rail-Chef und SVP-Nationalrat Peter Spuhler wollte sich nicht äussern; Unternehmer und FDP-Nationalrat Otto Ineichen sagt, das Tunnelsystem könne in zehn Jahren rea- lisiert werden: «Das Interesse ist gross.» Spektakulär ist ein weiteres Trans- portprojekt. Die Initianten von «Cargo Tube» planen vier Ringe in der Deutsch- schweiz mit einer Gesamtlänge von 535 Kilometern. In Röhren von zwei Meter Durchmesser sollen Gitterpaletten unbe- mannt in kleinen Transportern von Biel bis Frauenfeld verkehren. Ein Post-Spre- cher bestätigt das Projekt. «Die Logistik ist ein Kerngeschäft der Post. Deshalb be- obachten wir das Projekt von CargoTube aufmerksam.» > SEITEN 2/3 U-Bahn für Güter: Neues Tunnelsystem durch die ganze Schweiz Unterirdischer Warentransport soll Schiene und Strasse entlasten VON BEAT SCHMID UND NADJA PASTEGA Nach einer dramatischen Partie gewinnen die Kloten Flyers in der Verlängerung ge- gen den HC Davos das fünfte Playoff-Final- Duell. In der 15. Minute schoss Michael Liniger den entscheidenden Treffer – und entriss den Davosern damit in der heimi- schen Vaillant-Arena den lange sicher ge- glaubten 30. Meistertitel. Damit kommt es am Dienstag zum 6. Spiel. (RED) Eishockey: Meister- feier verschoben Matchwinner Michael Liniger bringt Kloten ein 6. Spiel. Erstmals äussert sich die Schweizer Ten- nisspielerin Patty Schnyder zu angebli- chen finanziellen Problemen. «Ich bin nicht pleite», sagt sie im Interview. Die Betreibungen gegen sie und ihren Ehe- mann Rainer Hofmann habe ein Treu- händer ausgelöst. Jetzt hat das Paar zwei Strafanzeigen gegen mehrere «Blick»- Journalisten eingereicht. Es sei eine Grenze überschritten worden, so Schny- der: «Wir haben diese Strafanzeigen auch in der Hoffnung veranlasst, dass anderen Menschen vielleicht erspart bleibt, was wir mittlerweise seit über ei- nem Jahrzehnt erleben.» > SEITE 5 > SEITEN 22/23: MICHAEL RINGIER ZUM «BLICK» Jetzt bricht Patty Schnyder ihr Schweigen «Ich bin nicht pleite» – Klagen gegen Ringier-Verlag eingereicht VON SANDRO BROTZ Umdenken bei den Bürgerlichen: Nach CVP-Fraktionschef Urs Schwaller spre- chen sich nun erstmals prominente Poli- tiker der FDP für die Offenlegung von Parteispenden aus. Ständerätin Christi- ne Egerszegi (AG) begründet dies mit den enormen Mitteln, welche die SVP einsetzt, ohne dass klar ist, woher das Geld kommt: «Die finanzielle Über- macht der SVP hat ein Ausmass ange- nommen, das wahlentscheidend werden kann», sagt sie. Auch FDP-Doyen Franz Steinegger und Nationalrat Hans Rudolf Gysin (BL) wollen Transparenz. > BERICHT SEITE 9, KOMMENTAR SEITE 3 Erste FDP-Politiker fordern Offenlegung von Spenden Parteifinanzierung soll transparent werden VON CHRISTOF MOSER Im Entwurf für ein überarbeitetes Alkohol- gesetz will der Bundesrat ein Freibier-Ver- bot verankern. Wirte wären neu verpflich- tet, Bier und Wein zum kostendeckenden Preis auszuschenken. Der Branchenver- band Gastrosuisse schlägt nun Alarm: «Wirte dürften kein Freibier mehr aus- schenken, wenn die Schweizer Nati gegen Brasilien ein Tor schiesst», sagt Direktor Bernhard Kuster. Die bürgerlichen Par- teien kündigen ihren Widerstand an. (PBU) Weltweit einzigartig: Schweiz plant Freibier-Verbot > SEITEN 10, 15 Mister Schweiz wird politisch Luca Ruch setzt sich für härtere Strafen gegen Gewalttäter ein. > 18

U-Bahn für Güter: Neues Tunnelsystem durch die ganze Schweiz · und der Kritiker über das ... Jetzt bricht Patty Schnyder ihr Schweigen ... nicht kostendeckenden Preisen ist verbo-ten»

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INSERAT

AZSo

9 7 7 1 6 6 2 4 3 9 0 0 2

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AZ 5000 Aarau | Nr. 99 | 5. Jahrgang | Ausgabe 14 | Redaktion 058 200 53 10 | E-Mail [email protected] | Abo 058 200 55 55 | www.sonntagonline.ch | Anzeigen 058 200 53 53 | Fr. 3.50

10. April2011

Ricardo Lumengowill neuen Feiertag

Ausländer undSchweizer sollenIntegration feiern. > 7

Die Mädchenweltim Bieber-Fieber

Der Fan, der Musikerund der Kritiker über dasPhänomen Justin. > 43

Swissmetro ist gescheitert: Jetzt wollenzwei Cargo-Projekte den Verkehrskollapsauf Strasse und Schiene verhindern. In-teresse zeigen Post und SBB.

Beim Projekt «Güter unter die Erde»sollen zwischen Basel und Chiasso sowiezwischen Genf und der Ostschweiz zweiriesige Tunnels entstehen, die Containerdurchgängig unterirdisch transportie-ren. Lokführer braucht es dazu nicht, dadie Wagen vollautomatisch an ihre Be-

stimmungsorte gesteuert werden. SBB-Chef Andreas Meier zeigt Interesse: «Daswürde helfen, unsere Kapazitätsproble-me beim wachsenden Personenverkehrs-aufkommen zu lösen.»

Hinter dem Projekt stehen potenteUnternehmen. Stadler-Rail-Chef undSVP-Nationalrat Peter Spuhler wolltesich nicht äussern; Unternehmer undFDP-Nationalrat Otto Ineichen sagt, dasTunnelsystem könne in zehn Jahren rea-lisiert werden: «Das Interesse ist gross.»

Spektakulär ist ein weiteres Trans-portprojekt. Die Initianten von «CargoTube» planen vier Ringe in der Deutsch-schweiz mit einer Gesamtlänge von 535Kilometern. In Röhren von zwei MeterDurchmesser sollen Gitterpaletten unbe-mannt in kleinen Transportern von Bielbis Frauenfeld verkehren. Ein Post-Spre-cher bestätigt das Projekt. «Die Logistikist ein Kerngeschäft der Post. Deshalb be-obachten wir das Projekt von CargoTubeaufmerksam.» > SEITEN 2/3

U-Bahn für Güter:Neues Tunnelsystemdurch die ganze SchweizUnterirdischer Warentransport soll Schiene und Strasse entlasten

VON BEAT SCHMID UND NADJA PASTEGA

Nach einer dramatischen Partie gewinnen

die Kloten Flyers in der Verlängerung ge-

gen den HC Davos das fünfte Playoff-Final-

Duell. In der 15. Minute schoss Michael

Liniger den entscheidenden Treffer – und

entriss den Davosern damit in der heimi-

schen Vaillant-Arena den lange sicher ge-

glaubten 30. Meistertitel. Damit kommt es

am Dienstag zum 6. Spiel. (RED)

Eishockey: Meister-feier verschoben

Matchwinner Michael Liniger bringtKloten ein 6. Spiel.

Erstmals äussert sich die Schweizer Ten-nisspielerin Patty Schnyder zu angebli-chen finanziellen Problemen. «Ich binnicht pleite», sagt sie im Interview. DieBetreibungen gegen sie und ihren Ehe-mann Rainer Hofmann habe ein Treu-händer ausgelöst. Jetzt hat das Paar zweiStrafanzeigen gegen mehrere «Blick»-

Journalisten eingereicht. Es sei eineGrenze überschritten worden, so Schny-der: «Wir haben diese Strafanzeigenauch in der Hoffnung veranlasst, dassanderen Menschen vielleicht erspartbleibt, was wir mittlerweise seit über ei-nem Jahrzehnt erleben.» > SEITE 5

> SEITEN 22/23: MICHAEL RINGIER

ZUM «BLICK»

Jetzt bricht Patty Schnyderihr Schweigen«Ich bin nicht pleite» – Klagen gegen Ringier-Verlag eingereicht

VON SANDRO BROTZ

Umdenken bei den Bürgerlichen: NachCVP-Fraktionschef Urs Schwaller spre-chen sich nun erstmals prominente Poli-tiker der FDP für die Offenlegung vonParteispenden aus. Ständerätin Christi-ne Egerszegi (AG) begründet dies mitden enormen Mitteln, welche die SVP

einsetzt, ohne dass klar ist, woher dasGeld kommt: «Die finanzielle Über-macht der SVP hat ein Ausmass ange-nommen, das wahlentscheidend werdenkann», sagt sie. Auch FDP-Doyen FranzSteinegger und Nationalrat Hans RudolfGysin (BL) wollen Transparenz.

> BERICHT SEITE 9, KOMMENTAR SEITE 3

Erste FDP-Politiker fordernOffenlegung von SpendenParteifinanzierung soll transparent werden

VON CHRISTOF MOSER

Im Entwurf für ein überarbeitetes Alkohol-

gesetz will der Bundesrat ein Freibier-Ver-

bot verankern. Wirte wären neu verpflich-

tet, Bier und Wein zum kostendeckenden

Preis auszuschenken. Der Branchenver-

band Gastrosuisse schlägt nun Alarm:

«Wirte dürften kein Freibier mehr aus-

schenken, wenn die Schweizer Nati gegen

Brasilien ein Tor schiesst», sagt Direktor

Bernhard Kuster. Die bürgerlichen Par-

teien kündigen ihren Widerstand an. (PBU)

Weltweiteinzigartig:Schweiz plantFreibier-Verbot

> SEITEN 10, 15

Mister Schweizwird politisch

Luca Ruch setzt sich fürhärtere Strafen gegenGewalttäter ein. > 18

Der Sonntag | Nr. 14 | 10. April 2011Seite 10NACHRICHTEN

Am Dienstag startete der FC Luzern denVerkauf seiner Saisonkarten für das neueStadion. Die Fans standen Schlange –auch wegen des Freibiers für alle. Geht esnach dem Bundesrat, wird es solche Sze-nen nicht mehr geben. In seinem Ent-wurf für ein neues Alkoholgesetz heisstes, dass «die unentgeltliche Abgabe alko-holischer Getränke an einen unbestimm-ten Personenkreis» verboten sei. Damitwill der Bundesrat «den problematischenAlkoholkonsum vermindern».

DER WIRTEVERBAND Gastrosuisse ist ent-setzt. «Wirte dürften kein Freibier mehrausschenken, wenn die Schweizer Natigegen Brasilien ein Tor schiesst oderwenn ein Schweizer Klub eine Meister-schaft gewinnt», sagt Direktor BernhardKuster. Ihm ist schleierhaft, wieso derBund die Schraube bei Wein und Bieranzieht. «Es gibt sicher Jugendliche, dienicht mit Alkohol umgehen können.Aber mir sind keine Beispiele bekannt,wo Jugendliche sich mit Wein oder Bierins Koma getrunken haben. Dieses Ge-setz verströmt den Geist der Prohibition.Man verteufelt den Alkohol.»

Der zuständige Chefbeamte wehrtsich gegen diesen Vorwurf. «Es geht nichtum ein Verbot um des Verbots willen»,sagt Alexandre Schmidt, Direktor der Eid-genössischen Alkoholverwaltung. Er be-stätigt aber, dass Freibier an Grossanläs-sen verboten werden soll. «Wenn jemandwild einlädt zu Freibier, dann wäre dasdurch das Gesetz unterbunden. Freibierfür eine grosse Menschenmenge, zumBeispiel für ein ganzes Festzelt, wäre pro-blematisch.» Zudem soll das Lockvogelan-

gebot neu auf alle alkoholischen Geträn-ke ausdehnt werden. «In jedem Fall nichtmehr möglich wäre also, wenn jemandim Vorfeld wirbt: Gratisbier, sollte dieSchweiz gewinnen.»

Eine Gratisrunde im kleinen Rah-men sei hingegen nach wie vor erlaubt,beteuert Schmidt. «Dass ein Wirt seinenGästen, die er kennt, spontan Freibierausschenkt, sollte im Rahmen des revi-dierten Gesetzes weiterhin möglich sein.»Doch in seinem Gesetzesentwurf steht

das Gegenteil. Dort heisst es, «der Einzel-handel mit alkoholischen Getränken zunicht kostendeckenden Preisen ist verbo-ten». Zudem können die Kantone denEinzelhandel weiter beschränken, «so-fern das öffentliche Wohl dies erfordert».

Für Gastrosuisse-Direktor BernhardKuster ist der Fall klar: «Gratisbier ist si-cher nicht kostendeckend – Freibier wä-re folglich nicht mehr erlaubt.» Ihm istkein Land bekannt, das so weit geht.«Dass man die Gratisrunde als einen Aktder Gastfreundschaft verbieten will, isteine völlige Überregulierung.» Kritik übter auch an der Bestimmung, dass dieKantone Ausnahmen vom Grundsatzkostendeckender Preise genehmigenkönnen: «Das öffnet Tür und Tor füreine willkürliche Auslegung.»

WIDERSTAND HABEN auch der Schweize-rische Gewerbeverband sowie die Bun-desratsparteien SVP, FDP und CVP ange-kündigt. So teilte CVP-Präsident Chris-tophe Darbellay dem Bundesrat mit:«Die Idee, den Beizen künftig zu verbie-ten, bei speziellem Anlass eine Gratis-runde auszuschenken, verhindert kei-nerlei Alkoholexzesse, sondern trifft imGegenteil die grosse Mehrheit der Bevöl-kerung, welche sehr vernünftig mit Al-kohol umgeht.» Voraussichtlich vor demSommer kommt der Gesetzesentwurfins Parlament.

> KOMMENTAR SEITE 15

Das neue Alkoholgesetz soll die Prävention verstärken – Bier und Wein werden den Spirituosen gleichgestellt

Kein Witz: Freibier soll in derSchweiz künftig verboten sein.Den Bundesbehörden ist esdamit (bier)ernst.

Bundesrat will Freibier nachFussballspielen verbieten

VON PETER BURKHARDT

Der Bund will den

Gratisausschank von

Bier unterbinden.

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GRUNDLOS TRATEN ZWEI MÄNNER denStudenten Damiano Tamagni vor dreiJahren an der Fasnacht in Locarno zu To-de. Sie wurden zu Freiheitsstrafen von jezehn Jahren verurteilt, die sie vollstän-dig absitzen müssen. Seit wenigen Tagenist nun klar, dass einen der Verurteilteneine zusätzliche Strafe erwartet: Der Kro-ate Ivica G.* (24) wird die Schweiz nachEnde seines Gefängnisaufenthalts verlas-sen müssen. Denn das Bundesgerichthat entschieden, dass sein Ausländeraus-weis nicht erneuert werden soll, wie sei-ne Anwältin Francesca Perucchi bestä-tigt. Sie werde ihren Klienten in derkommenden Woche besuchen. Perucchispricht von einer insgesamt «harten Stra-fe», mit der Ivica G. für seine Tat büsse.

ALS «RICHTIGEN ENTSCHEID» bezeichnetder Vater des Opfers, Maurizio Tamagni,den Beschluss des Bundesgerichts.«Denn wer soll das Land verlassen müs-sen, wenn nicht er, der für den Tod einesMenschen verantwortlich ist?» Eine Ge-nugtuung seien aber weder diese neueNachricht noch die Gefängnisstrafen,«denn nichts bringt mir meinen Sohnzurück», so Tamagni.

Ivica G. verbrachte seine erstensechs Lebensjahre in Kroatien, wohin ernun also wird zurückkehren müssen. Erstehe in Kontakt mit Menschen in Kroa-tien, kenne aber die Sitten und Bräucheseines Heimatlandes nicht gut, wie «La-RegioneTicino» berichtet.

Der Fall Damiano Tamagni bewegteim Februar 2008 das Tessin und die ganzeSchweiz. Ivica G. und zwei weitere jungeMänner, beide eingebürgert, prügeltenden Studenten in Locarno zu Boden undtraten seinen Kopf mit den Füssen. Da-nach feierten sie weiter, ehe sie von derPolizei verhaftet wurden. Das Opfer starbnoch in derselben Nacht im Spital. Diezwei Haupttäter wurden wegen vorsätzli-cher Tötung zu Freiheitsstrafen von jezehn Jahren verurteilt, ein dritter Angrei-fer erhielt zweieinhalb Jahre Haft. (PKR)

*Name der Redaktion bekannt

Fall Damiano:Täter mussausreisenVater des zu Tode geprügeltenStudenten begrüsst Entscheid

In den ersten Tagen nach derAKW-Katastrophe in Fukushi-ma war Horst-Michael Prassertäglich als Experte im Schwei-zer Fernsehen zu sehen, ohnedass die TV-Macher seine Ver-strickungen mit der Atomlob-by offengelegt hätten. Seithersind einige unschöne Detailsans Licht gekommen – zumBeispiel, dass der ETH-Profes-sor an einem Seminar Kern-energiefachleute im Schrei-ben von AKW-freundlichenLeserbriefen schulte.

JETZT GERÄT Prasser, dessenLehrstuhl für Kernenergiesys-teme an der ETH Zürich vomLobby-Verband Swissnuclearfinanziert wird, ins Visier derMühleberg-Gegner.

Rainer Weibel, Anwaltder rund 100 Mühleberg-Beschwerdeführer, hat am 7.April beim Ensi-Rat, dem Auf-sichtsorgan der Eidgenössi-schen Nuklearaufsichtsbehör-de (Ensi), ein Gesuch für dievorsorgliche Ausserbetrieb-nahme des AKW Mühlebergeingereicht. Damit verbun-den ist ein Ausstandsbegeh-ren an die Adresse von Pras-ser, der auch dem Ensi-Rat an-gehört und nach Ansicht derMühleberg-Gegner «unbeirr-bar die absolute Sicherheitder Schweizer AKW vermark-tet». Es könne nicht sein, soWeibel, «dass Prasser die Si-

cherheit des AKW Mühlebergbeurteilt und via Swissnu-clear gleichzeitig von jenenfinanziert wird, die das AKWMühleberg betreiben».

Letzte Woche hatten dieMühleberg-Gegner bereits einAusstandsbegehren gegenalle Ensi-Mitarbeiter einge-reicht. Die Beschwerdeführerverlangen, dem Ensi die Si-cherheitsprüfung zu entzie-hen und stattdessen ein Gut-achten einer unabhängigenExpertengruppe einzuholen.Geprüft werden soll, ob diegesetzlichen Ausserbetrieb-nahmekriterien für das AKWMühleberg erfüllt sind. Dembisherigen Aufsichtspersonalwerfen sie vor, nicht wirklichunabhängig zu sein.

PRASSER WILL will sich nichtzu den Vorwürfen äussern.Im «Landboten» sagte Prasser,er verstehe sich nicht als Ab-hängiger der Atomindustrie.Allerdings muss sich Prassertatsächlich Fragen gefallenlassen: Er betonte bisher stets,die Reaktoren in Fukushimahätten das Erdbeben pro-blemlos überstanden und sei-en erst wegen des Tsunamisin Schwierigkeiten geraten.Nach dem neuerlichen Erdbe-ben am letzten Donnerstaghaben in Japan aber auch an-dere AKW mit Problemen zukämpfen – ohne, dass ein Tsu-nami übers Land gefegt wäre.

Atomlobbyistim Visier derAKW-GegnerETH-Professor Horst-Michael Prasser sollbei Atom-Aufsichtsbehörde in Ausstand treten

VON CHRISTOF MOSER

AM SAMSTAG VOR EINER WOCHE raste ein27-jähriger Mann in Kilchberg ZH mitseinem schwarzen Ferrari 458 Italia ineine Mauer. Eine Frau (23) kam dabeiums Leben, der Lenker sowie eine weite-re Beifahrerin (21) wurden verletzt. «DerGesundheitszustand der beiden Überle-benden hat sich verbessert», sagt JürgBoll, der zuständige Staatsanwalt, aufAnfrage. Er habe Ende dieser Woche mitersten Einvernahmen in diesem Fall be-gonnen, so Boll weiter.

BOLL HAT SICH einen Namen gemachtals Staatsanwalt, der Raserdelikte konse-quent ahndet. Seit er im Amt ist, sinddie Strafen für Raser härter geworden. Erist Chef einer Gruppe von sechs Staats-anwälten, die sich auf die Untersuchungvon Raserunfällen spezialisiert hat. Erkonnte durchsetzen, dass das Auto alsTatwaffe gilt und beschlagnahmt wer-den darf. Ebenso mit zu seinen Erfolgenzählt, dass Raser wegen eventualvorsätz-licher Tötung verurteilt werden können.

Wie diese Woche bekannt wurde,handelt es sich beim Unfallverursacherum einen jungen Unternehmer, der2005 einen Heimfahrservice für Betrun-kene gegründet hat. Zur Frage, ob derLenker in der Tatnacht Alkohol im Bluthatte, wollte sich Staatsanwalt Boll nochnicht äussern. (PKR)

Raser-Unfall:Beginn derEinvernahmenStaatsanwalt Jürg Boll gilt alsMann der harten Strafen

Wie in den Campingferien geht es

derzeit vor dem Viktoriaplatz in

Bern zu und her: Rund 20 Zelte

sind aufgestellt, Männer und Frau-

en geniessen das sonnige Wetter in

Liegestühlen und beim Brunchen.

Die Menschen haben sich aber

nicht zum Ferienmachen versam-

melt, sondern zum Demonstrieren

– sie fordern die Stilllegung des

Atomkraftwerks Mühleberg BE. Vor

den Zelten steht das Hauptgebäu-

de des Kraftwerkbetreibers BKW,

und möglicherweise müssen die

Camper noch lange dort bleiben.

Denn sie haben angekündigt, nicht

zu verschwinden, ehe Mühleberg

abgeschaltet ist. (RED)

AKW-Gegner haben ihre Zelte aufgeschlagen

Camper haben sich vor demHauptsitz der Mühleberg-Be-treiberin BKW eingenistet.

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Die Nachricht: Am Montag beginnt vor demBundesstrafgericht in Bellinzona der Prozessgegen Privatbankier Oskar Holenweger wegenGeldwäscherei, Urkundenfälschung, ungetreuerGeschäftsbesorgung und Bestechung. Die Affärehatte zur Abwahl von Christoph Blocher alsBundesrat beigetragen.

Der Kommentar: Mit dem Wort Skandal ist alsJournalist vorsichtig umzugehen. Doch im FallHolenweger, der längst ein Fall Justiz ist, mussgleich von vier Skandalen berichtet werden.

> Skandal Nummer 1: Da wartet ein Mann fast acht Jahre auf den Prozess,obwohl vom Anfangsverdacht nichts mehr übrig geblieben ist. Es ist nichtetwa eine Geschichte, die sich in Italien abspielt, sondern in der Schweiz.Die Länge des Verfahrens ist für Oskar Holenweger nicht mehr gutzuma-chen. Die Bank kaputt, der Ruf ruiniert, das Berufsleben blockiert.

> Skandal Nummer 2: Holenweger ist nachweislich nicht der Drogengeld-wäscher, für den ihn der damalige Bundesanwalt Valentin Roschacherhielt. Roschacher, der sich heute als Bergmaler versucht, verliess sich un-ter gütiger Mithilfe seines späteren Nachfolgers Erwin Beyeler auf einezwielichtige Figur namens Ramos – einen verurteilten kolumbianischenDrogenbaron, der sich als Doppelagent entpuppte. Eine Pleite erstenRanges, die den Steuerzahler rund 15 Millionen Franken kostete.

> Skandal Nummer 3: Die Untersuchungsbehörden verhinderten, dass dieRamos-Akten ins Gerichtsverfahren aufgenommen wurden. Das ist, wiewenn nach einem Diebstahl in der Migros die Aussagen des Privatdetek-tivs unter Verschluss blieben. Mehr noch: Die Bundesanwaltschaft ver-suchte gar erfolglos, den Ausstand des Gerichtsvorsitzenden Peter Poppzu erreichen – nur weil dieser die Brisanz der Akten erkannt hatte.

> Skandal Nummer 4: Mit einer konstruierten Anklageschrift wird versucht,Holenweger doch noch etwas anzuhängen, was in Frankreich längst zur Ein-stellung des Verfahrens geführt hat. Mit einer solch dünnen Beweislage wür-de sich ein kantonaler Staatsanwalt kaum vor die Gerichtsschranken wagen.

«Kommt endlich Licht ins Dunkel?», so die «NZZ» gestern. Die Frage istrhetorisch, aber zumindest hat es Richter Popp jetzt in der Hand, wenn sichdie Anklagepunkte nicht bestätigen, Holenwegers Ehre wiederherzustellen.

Die 4 Skandale imFall HolenwegerVON SANDRO BROTZ

[email protected]

Die Nachricht: Die Umweltorganisa-tion Ecopop lanciert eine Initiativezur Beschränkung der Einwande-rung. Auch die SVP springt auf denZug auf. Nur Grüne und Linke lassenbisher die Finger vom heiklen Thema.

Der Kommentar: «Basel hinkt Zürichund Genf hinterher», haderte die«Basler Zeitung», weil Basels Bevölke-rung laut Prognosen weniger stark

wachsen wird. «Wir fühlen uns vom Bundesamt für Statistikungerecht behandelt», protestierte Uris Volkswirtschaftsdirek-tor Isidor Baumann. Mit nur zwei Prozent Bevölkerungszunah-me sei Uri «zu schlecht positioniert».

Die Wirtschaft, und mit ihr der Bund und die Kantone, set-zen auf die Zunahme der Bevölkerung,weil mehr Leute mehr konsumieren undso das Wachstum der Wirtschaft fördern.Schon seit 1990 wächst die Bevölkerungstärker als das Bruttoinlandprodukt (BIP)pro Kopf. Deshalb wird der grösste Teil deswachsenden Wirtschaftskuchens aufmehr Köpfe verteilt, ohne dass der Einzelne merklichprofitiert.

Das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), Öko-nomen und Politiker kümmert das wenig. Sie verbreiten es alsErfolg, wenn das gesamte BIP gewachsen ist. Es stört sie nicht,wenn dieses primär aus der Zunahme der Bevölkerung resul-tiert. Mehr Menschen bringen mehr Umsatz, ohne dass sich De-tailhändler, Banken oder Versicherungen anstrengen müssen.«Volkswirtschaften mit Zugriff auf eine wachsende Bevölke-rung erhalten die Chance auf zusätzliche Nachfrage», formu-lierte ein Leitartikler der «NZZ». Die Zürcher SP-PolitikerinJacqueline Badran stimmt zu: «Solange wir eine auf Wachstumausgerichtete Wirtschaftsordnung haben, brauchen wir die Zu-wanderung.» Das ist neu. Denn bisher setzte man in der dichtbesiedelten Schweiz mehr auf Produktivitätssteigerung als aufBevölkerungswachstum. Unterstützung erhält Badran vomeinstigen Gewerkschafter und heutigen Arbeitsmarkt-Expertenim Seco, Serge Gaillard: «Ohne Einwanderung wäre namentlichdas Wachstum der Bautätigkeit nicht möglich gewesen», freutsich Gaillard, also ob die Schweiz nicht schon genug verbautwäre.

Da stellen sich immer mehr Leute die Frage: Wozu dasalles? Wozu braucht die kleine Schweiz eine Million mehr Ein-wohnerinnen und Einwohner? Warum sollen wir noch mehrErholungsräume zubetonieren, noch mehr ländliche Gebietedem Agglomerations-Brei opfern? Wollen wir in Städten nochdichter aufeinander wohnen? Wollen wir sechsspurige Auto-bahnen? Einmal muss Schluss sein. Warum nicht jetzt?

Junge und Alte, die nicht glauben, eine zusätzliche MillionMenschen bringe eine höhere Lebensqualität, landen schnell inder Nähe rechtsextremer Ausländerhasser und Asylanten-Scharfmacher. SVP-Exponenten haben jetzt einen Ausländer-stopp sogar mit dem Zückerchen versüsst, dass sie dann keineneuen Atomkraftwerke in der Schweiz mehr fordern. Es istnicht zu bestreiten: Wenn eine Million mehr Menschen in derSchweiz leben, werden wir ohne in- oder ausländischen Atom-strom nicht auskommen.

Nur weil die SVP diese Wahrheit zuerstaussprach, um einmal mehr auf die Aus-länder zu dreschen, dürfen sich Grüneund grüne Linke nicht ducken. Im Ge-genteil. Sie denken weiter: Die Belas-tung der Umwelt hängt nicht nur von

der Zahl der Köpfe ab, sondern auch vom Verbrauch pro Kopf.Eine stabile Bevölkerung reicht nicht. Noch wichtiger ist es,den Stromverbrauch zu senken.

Kalifornien dient als Beispiel. Dort ist der Verbrauch proKopf seit über dreissig Jahren stabil geblieben, während er inder Schweiz um fast 50 Prozent stieg. Eine sinnvolle Regulie-rung sorgt in Kalifornien dafür, dass Energiekonzerne zuerstdas Stromsparen mit Milliarden fördern und erst in zweiter Li-nie in neue Kraftwerke investieren. Mengenrabatte für Haushal-te, Gewerbe und Industrie, wie sie in der Schweiz üblich sind,gibt es in Kalifornien nicht. Im Gegenteil: Progressive Tarife sor-gen dafür, dass Vielverbraucher höhere Preise zahlen müssen.

Von einer solchen Energiepolitik will die SVP nichts wissen.Unser ökologischer Fussabdruck ist ihr egal. Sie will AKW gegenImmigranten ausspielen. Deshalb dürfen Grüne und Linke dieBevölkerungspolitik erst recht nicht der SVP überlassen.

*Urs P. Gasche ist freier Publizist und zusammen mit Hanspeter

Guggenbühl Autor des Buches «Schluss mit dem Wachstums-

wahn – Plädoyer für eine Umkehr». Rüegger Verlag. Fr. 19.50.

Bevölkerungswachstummuss grünes Thema seinGASTBEITRAG VON URS P. GASCHE*

«Wozu braucht diekleine Schweiz eine Millionmehr Einwohner?»

Die externen Kolumnisten und Kommentatoren des «Sonntags» äussern in ihren Beiträgen ihre persönliche Meinung.

Die Nachricht: Der Bundesrat möchte mit einemneuen Alkoholgesetz «einen verantwortungs-vollen Umgang mit alkoholischen Getränken»und einen besseren «Jugendschutz» erreichen.Freibier nach einem Fussballspiel wäre verboten.

Der Kommentar: Die Nullrisiko-Ideologenmachen aus der Schweiz immer mehr einenVerbotsstaat. Nach dem Kindersitzzwang fürunter 12-Jährige haben sie als neustes Tummel-feld die Alkoholbekämpfung entdeckt. Und dasohne jede Notwendigkeit: In den vergangenen

20 Jahren ging der Alkoholkonsum um mehr als ein Fünftel zurück.

Gewiss: Alkoholexzesse gibt es. Aber ist das wirklich in jedem Fallunerwünscht? Würde der Schweiz nicht im Gegenteil ein gesundes Massan Masslosigkeit gut tun? Und: Was bitte sehr hat Freibier damit zu tun?Wenn sich Jugendliche ins Koma saufen wollen, tun sie das sicher nicht imgeschützten Rahmen eines Restaurants. Problematischer ist eher, dass siesich heute überall und jederzeit mit harten Spirituosen eindecken können.

Und noch problematischer ist, dass der Verbots-Wahnsinn überhandnimmt. Beispiele gefällig? An den höheren Schulen Basels ist der Verkaufvon Süssem verboten. Im Kanton Zürich haben mehrere Schulen denKindern verboten, mit Trottinetts in die Schule zu kommen. Den Vogelabgeschossen hat eine mir bekannte Thurgauer Gemeinde: Wegen an-geblicher Unfallgefahr liess sie einen Baum auf dem Schulareal fällen,auf den Schüler mehrerer Generationen problemlos geklettert waren.

Doch nicht nur in den Staatsstuben greift die Vollkasko-Mentalitätum sich. So lassen immer mehr Eltern ihre Kinder nicht mehr ohneVelohelm aus dem Haus, selbst wenn diese nur im Sandkasten spielen.Und wenn die Zürcher Zünfter morgen am Sechseläuten um den Bööggreiten, dann verlangt ihr Komitee, dass sie keinen Alkohol trinken – ohnedass es zuvor nennenswerte Zwischenfälle mit besoffenen Zünftern gab.

Was kommt als Nächstes? In Luzern planen Politiker einen Zwangs-Vegitag in Alters- und Pflegeheimen. Auf nationaler Ebene sind inDiskussion: ein Trottinettverbot für Kinder unter sieben Jahren, einRauchverbot auf öffentlichen Plätzen und ein Helmobligatorium fürVelofahrer. Die totale Bevormundung ist nicht mehr weit. Das ist einebedenkliche Tendenz in einem Land, das einmal als freiheitlich galt.

Eine Bierideeaus BundesbernVON PETER BURKHARDT

[email protected]

Silvan Wegmann zur Woche: Was passiert mit Atomkraftwerken und Christoph Blocher?

Der Sonntag | Nr. 14 | 10. April 2011Seite 15 MEINUNG