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Udo Grashoff Die Hallesche Störung Hasenverlag EDITION Band 1

Udo Grashoff Die Hallesche Störung - vorwort · aber keineswegs Spekulationen, sondern historische Tatsachen. Erfindungsgabe ist nicht erforderlich, es genügt, genau hinzusehen,

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Udo Grashoff

Die Hallesche Störung

HasenverlagEDITION Band 1

Dr. Udo Grashoff:Die Hallesche Störung.Das Buch zur gleichnamigen Ausstellung zum Stadtjubiläum 1200 Jahre Hallehrsg. vom Zeit-Geschichte(n) e.V. – Verein für erlebte GeschichteHalle (Saale), Hasenverlag, 2008.EDITION Zeitgeschichte(n), Band 1

www.zeit-geschichten.de

Gestaltung: Steffi KaiserDruck: Druckwerk Christophe Hahn & Martin Paul GbR, Halle/S. Titelfoto: Stadtarchiv

Besonderer Dank an alle, die Fotos und Informationenzur Verfügung gestellt haben: Ralf Jacob (Leiter Stadtarchiv) und seine Mitarbeiter, Bernd Quilitzsch (MZ-Archiv) und Mitarbeiter, Prof. Werner Freitag, Prof. Hans-Joachim Kertscher, Dr. Uta Monecke, Dr. Andreas Schmidt, Wiebke Janssen, Frank Lausch, Wolfgang Seilkopf, Tobias Barth, Simone Trieder,

Trotz sorgfältiger Nachforschungen konnten die Rechtsinhaber der Fotos nicht in allen Fällen ermittelt werden.Alle Rechte vorbehalten, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen und elektronischen Wiedergabe.

HasenverlagGabelsberger Str. 5 in D-06114 Halle (Saale)Internet-FAX +49 (012126) 88 555 888Mobil +49(0170) 85 277 [email protected] www.hasenverlag.de

ISBN 978-3-939468-27-112,80 € (D)

Inhalt

5 Der geologische Gründungsmythos der Stadt

8 Das alte Halle

10 Hallesche Störungen:

Legenden und Wirklichkeit im Mittelalter

13 Hallesche Störer (Mittelalter)

15 Kleine Chronik des halleschen Stadtwappens

16 Halle im Umbruch (um 1500)

22 Auch das noch. Eine hallesche Chronik

24 Halle im Umbruch (um 1680)

26 Hallesche Störer (18. Jahrhundert)

29 Kleine Chronik der halleschen Straßenbeleuchtung

30 Hallesche Störer (um 1800)

33 Trotz alledem. Halle nach 1806

35 Hallesche Störer (Vormärz)

38 Halle im Aufbruch (Gründerzeit)

40 Hallesche Originale

42 Hallesche Störungen (Weimarer Republik)

44 Die hallesche Störung ergreift die Massen

46 Kleine Chronik der halleschen Luft

48 Hallesche Störungen (Nachkriegszeit)

51 Aufbegehren (1947-1990)

57 Halle – ein raues Pflaster?

Kleine Chronik des halleschen Pflasters

58 Der „Charme“ der Hallenser

62 Hallesche Störer (20. Jahrhundert)

66 Kleine Chronik des halleschen Eierwurfs

67 Halle im Umbruch (nach 1990)

69 Es hätte schlimmer kommen können

72 Die Störung der Störung

74 Anhang

5

Der geologische Gründungsmythos der Stadt

Halle ist gestört. Und das ist gut so, denn ohne diese

Störung würde es die Stadt vielleicht gar nicht geben.

Oder zumindest hieße sie nicht Halle. Und aussehen

würde sie auch ganz anders. So wie Leipzig etwa oder

Berlin oder eine ähnlich platte Stadt. Doch Halle hat

seine ganz spezielle Störung.1

Angefangen hat die Geschichte gegen Ende der

Kreidezeit, vor etwa 65 Millionen Jahren, als sich eine

Erdscholle allmählich über die andere hob. Diese von

den Geologen als „Halle-Störung“ bezeichnete

Bruchstelle läuft quer über den Markt.

Der Störung verdankt Halle seine frühe Existenz als

Stadt des Salzes, denn dadurch entstanden die

Salzquellen, die der Stadt bereits im Mittelalter eine

bedeutende Stellung einbrachten – damals war Hal-

le etwa 200 Jahre lang Mitglied im Städtebund der

Hanse.

Schaut man sich ein bisschen um in der Weltgeschich-

te, so findet man auch andere Orte, die ihre beson-

dere Bedeutung unterirdischen Brüchen verdanken.

Zum Beispiel Delphi. An der antiken Orakelstätte sol-

len, neuesten Forschungen zufolge, einst ansehnliche

Schwaden von Methan- und Ethangasen aus der

Erde aufgestiegen sein, was den Rausch der Prieste-

rinnen befördert haben soll. Im Jahr 362 fand dort das

letzte Orakel statt, etwa zur gleichen Zeit soll die

dampfende Erdspalte versiegt sein.2

Zurück nach Halle. Hier kann so ein eindeutiger End-

punkt der Störung nicht konstatiert werden. Schilde-

rungen wie die des halleschen Künstlers Klaus Völker,

welcher berichtet, stets Widerstände zu spüren bei

dem Versuch, von einer Seite des Marktplatzes auf die

andere zu kommen (und damit die hallesche Störung

zu überwinden), gaben und geben uns, den Initiato-

ren der Ausstellung zur „Halleschen Störung“ (Heidi

Bohley und Udo Grashoff), zu denken.

Geologisches Blockbild der Stadt Halle.Quelle: Landesamt für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt

6

Einmarsch von Soldaten zum Gottesdienst in die Marktkirche (ca. 1871). Foto: Stadtarchiv

Radpanne beim Stadtjubiläum 1961. Foto: Stadtarchiv

Der barocke Seitenflügel des Rathauses war 1945 von den Bomben verschont geblieben, und wurde erst 1950 abgerissen. Foto: Stadtarchiv

Nach der Wohnungssanierung in den 1990er-Jahren wurde es in manchen halleschen Badezimmern recht eng. Foto: MZ-Archiv

7

Der Verdacht, dass die Hallesche Störung bis in die

jüngere Vergangenheit die Geschicke der Saalestadt

beeinflusst hat, kam uns bei der Sichtung von histori-

schen Fotos im halleschen Stadtarchiv im Winter 2000,

als wir eine andere Ausstellung (über den 17. Juni

1953) vorbereiteten. Damals sprang uns die hallesche

Störung in Form befremdlicher Fotografien vom Hall-

markt um das Jahr 1870 ins Auge. Der Platz war eine

schlammige Wüste. Das kam uns bekannt vor. Halb

im Spaß, halb im Ernst fragten wir uns: Schwebt über

dieser Stelle zwischen Händelhalle und Hallmarkt – wo

die Stadtoberen in der 1980er-Jahren vergeblich ver-

suchten, einen Kulturpalast zu bauen, wo sie Unmen-

gen von Beton in den Boden schütteten, ohne festen

Grund zu bekommen, wo nach 1990 mit besserer

Technik ein Loch für eine Tiefgarage ausgeschachtet

und dann teilweise wieder zugeschüttet wurde, und

wo bis heute jenes ominöse Loch klafft – ein Verhäng-

nis?

Eine Nachricht, die kurz vor Redaktionsschluss ein-

traf, gab dieser Vermutung neue Nahrung: Am 30.

Oktober 2006 entschied die Landesregierung von

Sachsen-Anhalt, das Geistes- und Sozialwissen-

schaftliche Zentrum der Universität nicht an diesem

Ort zu bauen.

Ist in Halle eine untergründige regulative Idee am

Wirken?

Im Mittelpunkt dieses Büchleins, das gleichzeitig ein

erweiterter Katalog der Freiluftausstellung „Die halle-

sche Störung“ ist, die von Mai bis Dezember 2006 auf

dem Platz vor der Marktkirche zu sehen war, stehen

aber keineswegs Spekulationen, sondern historische

Tatsachen. Erfindungsgabe ist nicht erforderlich, es

genügt, genau hinzusehen, um zu erkennen: Halle ist

auch überirdisch gestört. Umbrüche und Störungen,

störende und gestörte Menschen waren und sind Teil

der Stadtgeschichte. Sie haben dafür gesorgt, dass in

dieser Stadt viele eigenartige und aberwitzige Dinge

passiert sind und immer noch passieren.

8

Steinkammergrab aus der Dölauer Heide, Landesmuseum für Vorgeschichte. Foto: Stadtarchiv

Das alte Halle

Halle ist alt. Aber wie alt ist die Stadt eigentlich?

9

Federzeichnung der Burg Giebichenstein um 1600.Quelle: Stadtarchiv

Bei der Eröffnung der 1000-Jahr-Feier in Halle durch Walter Ulbricht. Fotos: Stadtarchiv

Im Jahr 1961 feierten die Hallenser das 1000-jährige

Stadtjubiläum. Im Jahr 2006 wurde bereits die 1200-

Jahr-Feier ausgerichtet. Die Stadt ist demnach im Ver-

lauf von 45 Jahren ganze 200 Jahre älter geworden!

Was würde Georg Cantor dazu sagen? Der Mathe-

matiker ist in Halle verrückt geworden. Er war nicht der

einzige. Aber die Erklärung ist einfach: Alles ist relativ.

1961 wurde die urkundliche Nennung der Burg Gie-

bichenstein im Jahr 961 als Bezugspunkt gewählt. Die

Feiern 2006 beriefen sich auf die Erwähnung eines

Kastell-Neubaus bei einem Ort namens „Halla“ im

Jahr 806.

Halle als Siedlungsgebiet ist wesentlich älter. Schon

vor mehreren tausend Jahren siedelten hier Men-

schen, und nutzten auch damals schon die Salzquel-

len.

Halle als Stadt hingegen ist jünger. Die Befestigung

und Verdichtung der heutigen Innenstadt begann im

11. Jahrhundert. Und erst um 1200 wurde Halle nach-

weislich als Stadt bezeichnet.

10

Hallesche Störungen Legenden und Wirklichkeit im Mittelalter

Das Kastell – Phantasie und Wirklichkeit

Die Chronik des französischen Klosters Moissac ver-

merkt, dass bei Halle im Jahr 806 ein Kastell gebaut

wurde. Es ging darum, die Slawen, deren Siedlungsge-

biet bis an die Saale heranreichte, zurückzudrängen.

Das ist relativ sicher. Wo das Kastell aber genau gebaut

wurde, ist bis heute ungeklärt.

Stadtchronist Schultze-Galléra vertrat in den 1920er-

Jahren die These, das Kastell hätte eine Furt an der

heutigen Klausbrücke überwacht. Archäologe Volker

Hermann konnte dafür bis heute keine Belege finden.

Seiner Meinung nach war das Saaletal an dieser Stelle

vor 1200 Jahren sumpfig und unwegsam. Auch wur-

den bei Grabungen in den 1960er-Jahren keine Spu-

ren für ein Kastell gefunden. Hermann hält es daher

für wahrscheinlicher, dass das Kastell im Jahr 806 auf

dem Gelände des heutigen Amtsgartens gestanden

hat.3 Bewiesen ist auch das nicht. Dort müsste mal

jemand systematisch graben...

Halle auf Wanderschaft

Jüngsten Ausgrabungen zufolge ist das Gebiet um

den Markt erst um 1000 allmählich bebaut worden.

Das widerspricht der Vermutung von Stadtchronist

Schultze-Galléra, demzufolge sich der Ort Halla, den

die Klosterchronik um 806 erwähnt, am heutigen

Hallmarkt befand. Schultze-Galléra zufolge sollen die

Mongolen im 10. Jahrhundert die Siedlung am Markt

verwüstet, und die Salzbrunnen zugeschüttet haben.

Archäologische Spuren davon scheint es nicht zu ge-

ben. Die Erklärung des Archäologen Hermann geht

demgegenüber so: Die Siedlung Halla befand sich

um 806 am Giebichenstein. Wahrscheinlich ist der

Siedlungsschwerpunkt in den folgenden 300 Jahren

„gewandert“, und mit ihm auch der Name Halle. Salz-

quellen gab es zunächst am Giebichenstein auch, so

auf dem Gelände des späteren Wittekindbades, und

bei Lehmanns Felsen. Vielleicht war dort ein frühes

Zentrum der Salzgewinnung, und dann hat sich Halle

bis etwa 1100 allmählich zum heutigen Hallmarkt ver-

lagert.

Im Mittelalter war die „Wanderung“ einer Siedlung im

übrigen gar nicht so ungewöhnlich, weiß Volker Her-

mann. Auch die Städte Brandenburg, Erfurt, Lübeck,

Meißen und Weimar sind im Mittelalter „gewandert“.

Rekonstruktionsvorschlag von Architekt Alfred Koch für das irrtümlicherweise an der Spitze vermutete Kastell.Quelle: Freitag/Ranft (Hg.), Geschichte der Stadt Halle, Band 1.

11

Beim Festumzug zur 1000-Jahr-Feier.Foto: Stadtarchiv

Katastrophe und Neubeginn

1135 brennt Halle fast vollständig ab. Zuvor hat die

Stadt eine neue Mauer gebaut und das Stadtgebiet

auf das Fünffache vergrößert. Aber der Katastrophe

folgt der Aufschwung, und er wird nicht unwesentlich

durch Zugezogene mitgetragen: Flämische und nie-

dersächsische Siedler kommen nach Halle.

Schultze-Galléra schreibt darüber: „Der Brand der

Stadt, ihr Neuaufbau zog eine bedeutende innere

Umwälzung nach sich: die Gerichte der Oberstadt

wurden eingesetzt und gegen die der Talstadt festge-

legt und abgegrenzt.“4 In der Tat ist Halle über Jahr-

hunderte eine Doppelstadt. Das Berggericht findet

auf dem höher gelegenen Markt statt, das für die

Salzsieder zuständige Talgericht unten am heutigen

Hallmarkt.

Jedes Gericht hat seine eigene Hinrichtungsstätte.

Die geologische Bruchstelle wird im Mittelalter zur ju-

ristischen Grenze.

12

Der Graseweg

Als im Jahre 1350 die furchtbare Pest in Halle haust

und keinen verschont, weder Mann noch Weib, weder

Kind noch Greis, da will man sich durch Absperrungen

vor der Ansteckung retten. So vermauert und verna-

gelt man alle Ausgänge des Graseweges, in dem die

Pest aufgetreten ist, trotz des Flehens und des Jam-

mergeschreies der Einwohner, die elend verhungern

müssen. Erst nach zehn Jahren wird die Absperrung

niedergerissen: Hohes Gras ist auf der ganzen Straße

gewachsen, aus dem die weißen Knochen der Skelette

der Verhungerten und der an der Pest Gestorbenen

schimmern.5

An die Legende – hier in der Version des Stadtchronis-

ten Schultze-Galléra wiedergegeben – wird man heu-

te noch erinnert, wenn man den Ort aufsucht. Zwar

gibt es in Halle die Pest nicht mehr, aber seit einigen

Jahren versperrt ein Zaun den Graseweg.

Halle kämpft sich frei

Das Siedlungsgebiet Giebichenstein-Halle wird zwi-

schen 806 und 1680 mehr oder weniger von den

Magdeburger Erzbischöfen beherrscht. Ab Mitte des

13. Jahrhunderts aber erreichen die Hallenser eine

beachtliche Freiheit. Die Stadt kämpft, handelt und

kauft den Bischöfen einige Privilegien ab, und tritt

um das Jahr 1263 der Hanse bei. Möglicherweise

verweisen die Stadtfarben rot/weiß auf die Hanse-

Mitgliedschaft, die gut 200 Jahre währt. Zeichen des

Bürgerstolzes ist der Rote Turm, der im Verlauf des 15.

Jahrhunderts allmählich Gestalt annimmt.

Und wieder wuchert das Gras. Der Graseweg im Jahr 2007.Foto: Heidi Bohley

Hallescher Salzwirker im Mittelalter.Quelle: Stadtarchiv

13

Hallesche Störer (Mittelalter)

Müllerbursche und Esel

Es ist eine der ältesten Legenden

Halles, sie wird in mehreren Ver-

sionen erzählt, und eine davon

geht so: Als einst Kaiser Otto Halle

besuchen will, wollen die Hallenser

den Weg durch das Rannische

Tor verschönern, indem sie ihn mit

Rosen bestreuen. Weil aber die Els-

teraue überschwemmt ist und der

Kaiser einen anderen Weg neh-

men muss, trabt statt des Kaisers

nur ein Müllerbursche mit seinem

Esel durch die Rannische Straße.

Lachend bewerfen ihn die Leute

mit Rosen.

Müllerbursche mit Esel beim Festumzug 1961.Foto: Stadtarchiv

14

Ludwig der Springer

Ludwig II. war Halunke von Na-

tur aus und Hallenser eher gegen

seinen Willen. Unbestätigten Be-

richten zufolge brachte er knapp

drei Jahre im Verlies der Burg Gie-

bichenstein zu. In Ludwigs Auftrag

soll der Pfalzgraf Friedrich III. er-

mordet worden sein, dessen Gattin

Adelheid kurz darauf Ludwigs Ehe-

frau wurde. Ob er wegen dieser

Mordsache, oder erst später, als

er gegen den König opponierte,

hinter Gittern saß, ist nicht mehr

nachzuprüfen.

Dass er, wie behauptet, mit einem

legendären Befreiungssprung vom

Giebichenstein in die Saale ent-

kommen konnte, ist zwar nicht ganz

ausgeschlossen, es gibt aber auch

andere Erklärungen für den erst

lange nach Ludwigs Tod aufge-

kommenen Beinamen „der Sprin-

ger“. Zum Beispiel ein Sprachspiel

späterer Chronisten: Denn Ludwig

kam aus dem Stamm der Salier,

und der Springer heißt lateinisch

„saltator“.6

Ludwig beim Sprung in die Saale.Holzschnitt von Johann Beer (1655-1700).Quelle: Stadtarchiv

15

Kleine Chronik des halleschen Stadtwappens

1235

Halles Stadtsiegel zeigt ein von zwei Türmen flankiertes

massiv gemauertes Tor, das von einem dritten Turm

überragt wird.

Etwa zur gleichen Zeit ziert die Mondsichel mit den

beiden Sternen das Siegel der Schöffen des Gerichts

der halleschen Salzsieder im „Thal“.7

1424

Das Stadtsiegel zeigt die Jungfrau Maria mit Kind, und

zu ihren Füßen drei Wappenschilde mit Sichelmond

und Sternen.

um 1450

Sichelmond und zwei Sterne bilden fortan das halle-

sche Stadtwappen. Die Farben Rot und Weiß sind die

Farben der Hanse.

Juli 2000

Der Reporter einer überregionalen Zeitung, der Ange-

la Merkel auf ihrer Wahlkampftour begleitet, schreibt

(in Unkenntnis der unterschiedlichen Zackenzahl von

Sowjet- und Halle-Stern), dass in die Fassade von

Halles Ratshof immer noch ein Sowjetstern gemeißelt

sei.8

Rätselhaftes Stadtwappen: Ein Zeichner drehte 1492 in Halles Stadtwappen den Mond nach unten.Quelle: Chronik aus dem Jahr 1492, Stadtarchiv

16

Halle im Umbruch (um 1500)

Schumachermeister Weissack

Im 15. Jahrhundert verdrängen hallesche Bürger nach

und nach die wohlhabenden Besitzer der Salzsiede-

rechte, die so genannten „Pfänner“, aus dem städti-

schen Rat. 1478 nimmt dieser innerstädtische Macht-

kampf eine unerwartete Wendung, gemäß dem

Sprichwort: Wenn zwei sich streiten, freut sich der

Dritte. Der Dritte ist in diesem Fall der Erzbischof. Seine

Truppen stehen vor den Toren von Halle. Mit Hilfe des

Schumachermeisters Jacob Weissack, der am Sonn-

tag, dem 20. September 1478, klammheimlich ein

Stadttor öffnet, besetzt der Bischof die Stadt. Die Pfän-

ner müssen erhebliche Teile ihres Besitzes abgeben.

Nachhaltig wirken diese Maßnahmen zwar nicht, eine

Generation später beherrschen nahezu die gleichen

Familien das Salzgeschäft wie zuvor, aber Halle verliert

seine Freiheit. Als Zeichen der Unterwerfung lässt der

Erzbischof 1481 den Roland, Zeichen der Gerichts-

barkeit der Stadt, mit einem Häuschen umbauen.

Weniger symbolisch ist die Errichtung der Moritzburg,

ihr Zweck ist es, die streitlustigen Hallenser in Schach

zu halten.

Eine Leiche am Fenster – ein Herz für Halle

Im Jahr 1513 ist Halle unruhig, es gibt Gerüchte, dass

ein Aufstand der halleschen Bürger gegen den kran-

ken Erzbischof Ernst bevorsteht.

Der 23jährige Thomas Müntzer ist zu dieser Zeit in Halle

als Hilfslehrer tätig. Steckt er hinter den Aufstandsplä-

nen? Zwölf Jahre später, am 16. Mai 1525, gesteht der

revolutionäre Theologe unter der Folter in Heldrungen,

dass tatsächlich ein Umsturz geplant war.

1513 wird in Halle eine Aufruhrordnung erlassen – für

alle Fälle. Letztlich bleibt es aber ruhig, was vielleicht Hallore beim Stadtjubiläum 1961.Foto: Stadtarchiv

17

einem Trick zu verdanken ist: Als im Sommer der an

Syphilis erkrankte Erzbischof Ernst stirbt, wird der Leich-

nam an ein Fenster der Moritzburg gestellt, um Zeit zu

gewinnen zum Heranholen militärischer Verstärkung.

In der Stadt soll man glauben, der Bischof lebe noch.

Später werden die sterblichen Überreste des Bischofs

nach Magdeburg überführt – bis auf das Herz, das in

Halle bleibt.9 Es wird in der Maria-Magdalenen-Ka-

pelle der Moritzburg beigesetzt, wo es sich heute

noch befindet.

Festumzug zur 1000-Jahr-Feier. In der Mitte: Thomas Müntzer.Foto: Stadtarchiv

Abb. rechts: Stadtarchiv

Marktumbau anno 1500

Kurz nach 1500 wird am Marktplatz kräftig abgerissen.

Es fallen die Gewandhäuser und Verkaufsbuden, die

damals in Nord-Süd-Richtung quer über den Platz

standen. Der Friedhof wird ausgelagert. Und aus den

zwei unmittelbar hintereinander stehenden Kirchen

wird eine einzige gemacht: Das vordere Kirchenschiff,

einst zwischen Rotem Turm und Hausmannstürmen

gelegen, wird abgerissen und die Türme dem hinte-

ren Kirchenschiff, der heutigen Marktkirche, zugeord-

net. Durch die Umbauten bekommt Halle in seiner

Mitte sehr viel Platz.

18

Martin Luther im Jahr 1520. Kupferstich von Lucas CranachQuelle: Stadtarchiv

Kardinal Albrecht. Kupferstich von Dürer. Bildunterschrift: „So trug jener Augen, Wangen und Mund im 29. Jahre seines Lebensalters. 1519“ Quelle: Stadtarchiv

19

Halle und die Reformation

Kardinal Albrecht ist ab 1515 Vertriebsleiter des Paps-

tes für den Ablasshandel in Deutschland. Das heißt,

dass er Ablassbriefe verkaufen darf, von deren Erlös

er die eine Hälfte behalten, die andere an den Papst

abführen muss. Ablass bedeutet im Mittelalter, dass

man sich die Vergebung der Sünden erkaufen kann.

Sozial gestaffelt natürlich, für Fürsten kostet es 25 Gul-

den, für Handwerker nur einen Gulden, ganz Arme

können sich den Ablassbrief auch erhungern.

Albrecht braucht das Geld dringend, denn er hat

sich sein Amt mit einem Kredit des Bankhauses Fugger

gekauft, den er nun zurückzahlen muss. Allerdings

verdirbt ihm ein Wittenberger Theologe das Geschäft.

Martin Luther kritisiert in seinen berühmten Thesen,

die er am 31. Oktober 1517 an Albrecht schickt, zwar

weniger den Ablass an sich, sondern den marktschrei-

erischen Handel mit Ablassbriefen, den ein Mönch

namens Tetzel organisiert.

Aber Albrecht leitet den Beschwerdebrief Luthers an

den Papst weiter und macht damit aus dem lokalen

Ereignis einen Streit der Gesamtkirche, der wenig spä-

ter eskaliert. Es folgen Bücherverbrennung, Kirchen-

bann und die Reichsacht gegen Luther. So gibt die

Residenzstadt Halle, die zwar bis 1541 noch katholisch

bleibt, doch den Anstoß zur Reformation.

Das hallesche Heiltumbuch von 1520

Kardinal Albrecht hat 8.133 Reliquienpartikel und 42

ganze Körper von Heiligen zusammengetragen. Das

entspricht damals einem Buß-Ablass für mehr als 39

Millionen Jahre. 1519 verzeichnet der Nürnberger Ma-

ler Wolfgang Traut die Schätze in einem Katalog, dem

Heiltumbuch.10

Noch ein Esel in Halle: Johann Tetzel als Ablasshändler (zeit-genössische Karikatur).

Hallesches Heiltumbuch.Quelle: Stadtarchiv

20

Albrecht hinterlässt Halle als leere Schatztruhe

Kardinal Albrecht macht aus dem Dom gleich in zwei-

facher Hinsicht eine Schatztruhe. Drinnen lagern die

Reliquien und Kunstschätze des halleschen Heiltums.

Draußen lässt er der gotischen Kirche Renaissance-

giebel aufsetzen, wodurch der Dom auch äußerlich

wie ein Reliquienschrank wirkt.

Albrecht möchte den Dom zu seiner eigenen Grabkir-

che machen, aber diese Pläne zerschlagen sich 1541,

als der Bischof nach Mainz flüchtet. Alle tragbaren

Kunstschätze nimmt er mit. Selbst die Nägel lässt er

aus den Innenwänden des Domes entfernen.

Trotzdem sind es die Albrechtschen Bauten, die bis

heute das Bild der Stadt prägen: Die aus zwei Kirchen

zusammengelegte Marienkirche auf dem Marktplatz,

der Dom mit seinen Renaissancegiebeln, die Neue

Residenz und der Stadtgottesacker.

Armknochen des Evangelisten Lukas, in Silber gefasst, mit wel-chem er das Evangelium schrieb.Quelle: Das Hallesche Heiltumbuch

21

Alte Steine – Neue Residenz

Das Kloster Neuwerk ist im Mittelalter ein wichtiger kul-

tureller und ökonomischer Faktor. Mühlen, Weinbau,

Schulwesen und natürlich das religiöse Leben werden

vom Kloster geprägt.

Im 16. Jahrhundert wird das Kloster Neuwerk abgeris-

sen. Die Steine des Klosters lässt Albrecht für den Bau

seiner neuen Residenz verwenden.

Das Gebäude kann er aber nicht mehr beziehen.

Als Albrecht die Stadt verlässt, unter Mitnahme aller

Kunstschätze und unter Zurücklassung der Schulden,

ist der Reichtum der Renaissance dahin.

Andererseits bestimmen nach der Reformation die

durch erzbischöfliche Gewalt zurückgesetzten Pfän-

ner wieder stärker das städtische Leben.

Störung am Brunnen

Der Hallmarkt-Brunnen des Bildhauers Bernd Göbel,

noch zu DDR-Zeiten entworfen, erregt 1998 die Ge-

müter, weil Göbel Kardinal Albrecht als Hurenbock

darstellt. Albrecht war ein Renaissance-Kirchen-

fürst, der sinnliche Freuden hoch schätzte, er hatte

Konkubinen und lebte erst mit Elisabeth Schütz,

dann mit Ursula Rediger in einer festen Beziehung.

Albrecht heiratete seine Konkubinen nicht, hielt ih-

nen aber bis zum Tod die Treue und bekannte sich

zu seiner Tochter Anna.11

Der Streit im Jahr 1998 endet damit, dass die Mitra

vom Kopf der Bischofs-Figur entfernt wird; stattdes-

sen stehen dem Bischof jetzt die Haare zu Berge.

Traditionelles Fischerstechen vor der Neuen Residenz.Quelle: Stadtarchiv

Kardinalsfigur am Hallmarkt-Brunnen.Foto: Heidi Bohley

22

Auch das noch. Eine hallesche Chronik.

Anno 1487

Einem Hallenser namens Stein sind nach 13 Jahren

Haft im Ratsgefängnis die in den Stock gelegten

Füße derart abgefault, dass er sich frei machen und

seine Mitgefangenen befreien kann. Diese erschla-

gen den Kerkerwärter mit dem Schlüsselbund und

fliehen. Drei der schnell wieder eingefangenen Un-

glücklichen werden umgehend, zwei am folgenden

Tag enthauptet; zwei weitere schließlich begnadigt.

Welches Schicksal dem Fußversehrten zuteil wurde,

ist nicht bekannt.12

26. August 1550

Die im Jahr 1550 erlassene Stadtordnung verfügt,

dass am Korbteich (am heutigen Glauchaer Platz) zur

Bestrafung von Garten- und Felddieben ein Korb mit

einem Schwengel aufgerichtet wird, in welchen man

Diebe setzt, um sie von dort ins schlammige Wasser

fallen zu lassen oder verschiedene Male unterzutau-

chen.

Feuerwerk vor der Moritzburg, ca. 1616.Quelle: Stadtarchiv

11. September 1560

Ein „großer Wind“ wirft den Galgen (am heutigen Rie-

beckplatz) mit sechs daran hängenden Körpern um.

Es dauert 19 Wochen, bis ein neuer Galgen errichtet

wird, weil zunächst kein Zimmermeister diese Arbeit

machen will. Schließlich errichten alle 28 Meister den

neuen Galgen gemeinsam und erhalten als Lohn eine

Tonne Bier.

6. Januar 1637

Sächsische Soldaten zünden auf dem Estrich der

Moritzburg ein Feuer an, weil ihnen kalt ist. Die Balken

darunter beginnen zu glühen, im Untergeschoß lagert

Stroh, die Moritzburg brennt ab. In den folgenden

Jahren wird die Burg durch weitere Kampfhandlun-

gen des Dreißigjährigen Krieges restlos ruiniert.

26. Juli 1717

König Friedrich Wilhelm I. senkt die Schulden der Stadt

Halle von 4,5 Millionen Taler auf 0,4 Millionen Taler ab.

9. März 1735

Ein 14-Jähriger promoviert an der halleschen Univer-

sität. Philipp Baratier soll neben der deutschen die

französische, lateinische, griechische, hebräische, sy-

rische, chaldäische, jiddische und arabische Sprache

beherrscht haben. Zudem soll er sich in Theologie,

Philosophie, Geschichte, Mathematik und Astronomie

ausgekannt haben. Schon am 5. Oktober 1740 stirbt

das kluge Kind 19-jährig „an der Auszehrung“.

23

Dr. Otto Ule. Nach ihm ist in Halle die Ulestraße benannt.Foto: Stadtarchiv

Feuerwehr um 1900 im Hof der Moritzburg.Foto: Stadtarchiv

Himmelfahrt 1816

Weil durch die Heide ziehende Männergruppen das

Rauchverbot nicht einhalten, wollen Forstbeamte de-

ren Tabakspfeifen konfiszieren. Als das misslingt, holen

die Beamten den Landsturm. Die Männer verschan-

zen sich am Heiderand und treiben den Landsturm

mit einem Steinhagel in die Flucht. Schließlich rückt

Gendarmerie an und verhaftet acht Männer, die

schwer bestraft werden.

6. August 1876

Der Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr, Dr. Otto

Ule, wird bei einem Löscheinsatz in der Gr. Ulrichstraße

von einem herabfallenden Stein am Kopf getroffen.

Der pflichtbewusste Ule, der im Frack von einer Fest-

lichkeit zum Brandort geeilt ist, stirbt einen Tag später.

24

Halle im Umbruch

(um 1680)

Halle wird Provinznest

Im Dreißigjährigen Krieg verliert die Saalestadt beide

Burgen. 1636 setzen schwedische Soldaten die Burg

Giebichenstein absichtlich in Brand, während sächsi-

sche Soldaten ein Jahr später den Brand der Moritz-

burg durch Unachtsamkeit verursachen.

Der Krieg stellt aber auch die Weichen für eine lang-

fristige Veränderung Halles. Im Westfälischen Frie-

densvertrag von 1648 wird festgelegt, dass mit dem

Tod des erzbischöflichen Administrators Augustus der

Status Halles als Residenzstadt erlöschen wird. Da

Augustus jedoch noch weitere 32 Jahre am Leben ist,

entfaltet sich in dieser Zeit in der Stadt noch einmal

ein am barocken Dresden orientiertes anspruchsvolles

Kulturleben.

Umso härter ist die Zäsur, als Halle 1680 preußisch wird.

Der Hof geht nach Weißenfels. Und zu allem Unglück

rafft 1683 eine Pest-Epidemie ein Drittel der Bevölke-

rung hinweg.

Hugenotten kommen

1685 bietet der preußische König Friedrich Wilhelm

I. den in Frankreich wegen ihrer Religion verfolgten

evangelischen Glaubensgenossen (Hugenotten)

freie und sichere Niederlassung in Brandenburg an. Zu

den empfohlenen Städten für eine Ansiedlung gehört

auch Halle. Hunderte Franzosen kommen in die Stadt,

gründen 18 Woll- und Seidenstrumpf-Manufakturen,

bauen eine Mühle und eine Brauerei.

Die Hallenser beäugen die Neuankömmlinge misstrau-

isch und feindselig. Weder können sie den Neid auf

die Privilegien und die Geschäftstüchtigkeit der Frem-

den zügeln, noch vermögen sie, religiöse Toleranz zu

üben. Die Franzosen werden beleidigt, auf dem Markt

mit verfaulten Früchten beworfen, ihre Gottesdienste

werden gestört. Da es auch wirtschaftlich nicht so gut

läuft, ziehen vor allem die wohlhabenderen Hugenot-

ten schließlich Leipzig als Wohnort vor.

Langfristig aber verändern die Franzosen die Saale-

stadt, indem sie – nach einem Urteil des Stadtchronis-

ten Hertzberg – mit ihren feinen Sitten zur Milderung

der „alten Hallischen Derbheit“ beitragen.13

Universität und „Franckesche Stiftungen“ entstehen

Mehrere Schulen werden nach 1680 in Halle gegrün-

det. Die wichtigsten sind August Hermann Franckes

Schul-Imperium „Franckesche Stiftungen“ (seit 1698)

und die Universität (seit 1694). Der Aufklärungsphilo-

soph Christian Wolff kommt nach Halle. Seine Vorle-

sungen haben so großen Zulauf, dass der preußische

König der Universitätsgründung zustimmt.

Händel wird geboren

In dieser spannenden Zeit wird Halles größter Sohn, der

Komponist Georg Friedrich Händel, geboren.

Händels Vater, der Wundarzt Georg Händel, hat mit

Anna Oettinger, der Witwe eines halleschen Chirur-

gen, bereits sechs Kinder, als Anna 1682 ein Opfer

der verheerenden Pest-Epidemie wird. Ein Jahr später

heiratet Georg Händel die junge Pfarrerstochter Doro-

thea Taust und zeugt mit ihr im Alter von fast 62 Jahren

den später weltberühmten Georg Friedrich.

25

Einmarsch der Preußen in Halle. Festumzug zur 1000-Jahr-Feier 1961. Foto: Stadtarchiv

Ankunft der Hugenotten in Halle. Festumzug 1961.Foto: Stadtarchiv

August Hermann Francke und die Waisenkinder.Festumzug 1961. Foto: Stadtarchiv

Georg Friedrich HändelQuelle: Steffi Kaiser

26

Hallesche Störer (18. Jahrhundert)

Harte Sitten: Fürst Leopold von Dessau (1676-1747)

In Halle wird 1718 das Regiment des Fürsten Leopold

von Dessau stationiert. Gegen den Willen der halle-

schen Bürger lässt der „alte Dessauer“ über Nacht

die Bäume auf dem Domplatz fällen, um Platz für

Exerzierübungen zu schaffen. Mehrfach kommt es zu

Beschwerden, weil die Preußen auch nicht davor zu-

rückschrecken, immatrikulierte Studenten nachts aus

dem Bett zu holen und gewaltsam dem Kriegsdienst

zuzuführen. 1719 kommt es in Halle zu Ausschreitungen

der Studenten aus Protest gegen eine solche Zwangs-

rekrutierung, 1734 boykottieren die Studenten aus

ähnlichem Anlass die Lehrveranstaltungen.

Wirtschaftlich profitieren die Bürger vom Regiment

kaum, da die private Einquartierung der Soldaten

nicht honoriert wird. Und es ist nicht gerade ein er-

freulicher Anblick, wenn in der engen Schlossgasse

Deserteure und Delinquenten bei Spießrutenläufen

gezüchtigt werden. Geschlagen wird auf den ent-

blößten Rücken. Wie der Schweizer Albrecht Haller

bei einem Besuch in Halle 1726 beobachtet, geht

dem Gezüchtigten ein Unteroffizier voran, damit dieser

nicht zu rennen beginnt. Manche Soldaten versuchen,

die Ruten zu knicken, um die Härte der Schläge zu

mindern. Um das zu verhindern, werden die Ruten

vorher kontrolliert.14

Eine außergewöhnliche Promotion:

Dorothea Christiana Erxleben (1715-1762)

Es ist in erster Linie seine aufgeklärte Weltsicht, die

Friedrich den Großen veranlasst, Dorothea Leporin (so

ihr Geburtsname) als erster Frau in Deutschland ein

Universitätsstudium zu gestatten. Allerdings kommt die

Familie Leporin durch den Krieg im Jahr 1741 erst ein-

mal in enorme Schwierigkeiten, da Dorotheas Bruder

nach Sachsen geflüchtet ist, um der Einberufung zum

Kriegsdienst zu entgehen. Dem Deserteur droht die To-

desstrafe, und so bittet Dorothea den König in einem

Brief, ihren Bruder straffrei nach Halle zurückkehren

zu lassen, da sie sich alleine – ohne Begleitung durch

den älteren Bruder, der gleichzeitig mit ihr die Studien-

zulassung erhalten hat – „nicht nach Universitaeten

getrauet“. Der Bruder entscheidet sich jedoch dafür, in

Göttingen zu studieren. Und Dorothea bleibt in Qued-

linburg, heiratet den Pfarrer Erxleben, bekommt Kinder

und praktiziert – gemeinsam mit ihrem Vater – als Ärz-

tin. Erst nach dem Tod des Vaters, genötigt durch eine

Denunziation von konkurrierenden Medizinern, die ihr

wegen der fehlenden Ausbildung „Kurpfuscherei“ vor-

werfen, kommt sie 13 Jahre später auf das Privileg zu-

rück. Am 12. Juni 1754 verteidigt Dorothea Christiana

Erxleben in Halle ihre Dissertation. Der Termin ist zuvor

noch einmal verschoben worden, weil sie zwischen-

durch noch ein Kind bekommen hat.15

Quelle: Wikipedia (l.), Stadtarchiv (r.)

27

Bewegtes Forscherleben: Christoph Semler

(1669-1740)

Schon als kleiner Junge soll Christoph Semler mit er-

staunlicher Geduld eine Uhr auseinander genommen

und wieder zusammengesetzt haben. Später kon-

struiert er in seinem Haus ein Uhrensystem, wodurch

in jedem Zimmer die gleiche Zeit angezeigt wird. Das

bleibt keineswegs die einzige bemerkenswerte Erfin-

dung. Er entwickelt ein Schiff mit Windmühlenantrieb,

einen Energiespar-Ofen, einen Pflug, der gleichzeitig

pflügen, eggen und säen kann, und weitere originelle

Dinge. Als Gründer der ersten deutschen Realschule

(1708 in Halle) bringt Semler den Schülern praktische

Fähigkeiten bei. Viele Lehrmaterialien aus Semlers Re-

alschule befinden sich heute in der Naturalienkammer

der Franckeschen Stiftungen. Der studierte Theologe,

Mathematiker und Philosoph will aber mehr sein als nur

Didaktiker. Ihn reizt das Unmögliche. Deshalb versucht

Semler, Baumwolle, Datteln und Zuckerrohr in Halle

heimisch zu machen. Dreißig Jahre lang arbeitet er an

der Konstruktion eines Perpetuum Mobile. Zudem ge-

lingt ihm eine „bis heute in ihrer Tragweite noch nicht

ergründete Entdeckung“ (Prof. Hans-Joachim Kert-

scher): Die „Dreyfache Methode die Länge zur See zu

finden, samt deren darzu gehörigen Instrumenten und

See-Charten“. Eigentlich will er diese Erfindung noch

publizieren, aber er stirbt, und das Manuskript geht auf

abenteuerlichen Wegen verloren.16

Viele Unterlagen von Semler sind verschollen. Abbildung des in Merseburg gebauten und nach der Demonstration im Jahr 1715 zerstörten Perpetuum Mobile von Johann Ernst Elias Bessler. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Ernst_Elias_Bessler

28

„Robin Hood“ aus Halle: Christian Andreas Käsebier

(geb. 1710)

Er hasst die Reichen und hilft den Armen, aber ein

Halunke ist er trotzdem. Aufgewachsen in der Mittel-

straße 17, zeigt Käsebier bereits als Junge eine be-

achtliche kriminelle Energie. Eines Tages setzt er sich,

wie die Legende berichtet, neben einen Bauern, der

sein Geld zählt, auf einen Holzstapel. Käsebier tut, als

würde er Nüsse knacken. Unbemerkt nagelt er dabei

die Hose des Bauern an den Holzstapel, um ihm dann

das Geld zu rauben.

Später schart Käsebier eine Räuberbande um sich

und macht Preußen unsicher. Vorübergehend lebt er

in Halle, heiratet und frönt der Spiellust. Ab 1748 ver-

bringt er wegen der Verbrechen seiner Bande einige

Jahre im Zuchthaus Stettin, wird aber aufgrund seiner

Schläue vom preußischen König nach Prag geholt.

Dort soll er als Spion die Eroberung der Stadt in die

Wege leiten, verrät aber den König und macht sich

aus dem Staub. Um 1762 soll er unter falschem Na-

men in Preßburg gelebt haben. Danach verliert sich

seine Spur.17 Christian Andreas Käsebier im Kerker in Stettin.Quelle: Stadtarchiv

29

Kleine Chronik der halleschen Straßenbeleuchtung

1. August 1729

An diesem Tag beleuchten erstmals Öllaternen die

halleschen Straßen. Den Anlass dafür gibt König Fried-

rich Wilhelm I., der auf der Rückreise von Karlsbad

durch Halle fährt. Ziel der Beleuchtung ist laut Edikt des

Königs die „Verhütung von Diebereien und anderem

nächtlichem Unfug“. Allerdings brennen die Lampen

in den folgenden Jahren nur in den Wintermonaten,

nicht im Sommer, und auch nicht bei Mondschein.18

30. Januar 1869

Der Experimentalchemiker Niedergesäß erleuchtet

Halle von den Hausmannstürmen aus zwischen 7 und

8 Uhr abends. Das Licht soll bis Nietleben sichtbar ge-

wesen sein.

11. April 1965

Auf dem Markt werden 24 zusätzliche Leuchten in-

stalliert. „Das bedeutet, daß es abends auf unserem

Marktplatz viermal heller als bisher ist. Mit anderen

Worten: das ist Großstadtbeleuchtung“, heißt es

stolz in der SED-Zeitung „Freiheit“. Der Artikel moniert

gleichzeitig auch, dass an zwei HO-Warenhäusern die

Neonreklame nicht funktioniert.19

4. August 2003

„Mit maßvollen Abschaltungen von Straßenlampen

sollen in Halle strukturelle Einsparungen von bis zu

700.000 Euro erreicht werden“, schreibt der Hall-

Anzeiger. „Der Beschluss des Stadtrates sieht vor,

grundsätzlich nur jede zweite Straßenlaterne weiter

zu betreiben. Außerdem soll bei Leuchten mit zwei

Glühlampen nur noch eine Lampe brennen. Die

Innenstadt und die Leipziger Straße sind von der Ver-

änderung ausgenommen, um keinen Imageschaden

entstehen zu lassen.“ Weiter heißt es: „Der finanzielle

Spielraum für die Stadt ist ausgesprochen eng. Würde

die Einsparung bei den Straßenlaternen nicht erzielt,

so träfen die Kürzungen andere, gleichfalls wichti-

ge Bereiche in unserer Stadt, wie zum Beispiel das

Vereinsleben oder die Förderung von Kindern und

Jugendlichen.“20

Mitteldeutsche Zeitung vom 6. 12. 2000

30

Hallesche Störer (um 1800)

Karl Friedrich Bahrdt (1740-1792)

Ein Radikalaufklärer wird Gastwirt

Der bei Studenten sehr beliebte Professor für Theo-

logie und Sprachwissenschaft, der seit 1779 in Halle

lehrt, engagiert sich als Vorkämpfer für Demokratie

und Menschenrechte. Er publiziert eifrig und macht

sich Feinde.

Bahrdt gilt seinen Zeitgenossen nicht nur in politischer

Hinsicht als „enfant terrible“, sondern auch hinsicht-

lich seiner als „frivol“ und „sittenlos“ empfundenen

Lebenshaltung. Beispielsweise schwängert er seine

Haushälterin und verstößt die Ehefrau.

1787 gibt Bahrdt seinem Lebensweg eine spektakulä-

re Wendung: Angesichts der reaktionären politischen

Wende in Preußen wirft er seine Professur hin und zieht

sich auf einen Weinberg zurück. Bahrdts Gastwirt-

schaft, in der auch Feste und Turniere sowie Vorlesun-

gen stattfinden, entwickelt sich zu einem beliebten

Ausflugsziel der Hallenser.21

Der radikale Aufklärer gründet eine aufklärerische,

geheime Korrespondenzgesellschaft, die „Deutsche

Union“. 1789 wird Bahrdt verhaftet und muss über ein

Jahr in Haft verbringen. Wenig später stirbt er.

Friedrich Christian Laukhard (1757-1822)

Ein Skandal-Gelehrter wird Soldat

Der Philosophie-Dozent ist hochbegabt, aber selten

nüchtern. Er liebt wilde Feiern und Bordellbesuche.

Deshalb ist er auch ständig verschuldet. Im Winter

1783 hat er nicht einmal mehr Geld, um das Holz zum

Heizen seines Hörsaals zu bezahlen. Damit versiegt

seine Einnahmequelle, das Honorar, das er von den

Studenten bezieht.

In dieser Situation erregt Laukhards Entschluss, als

einfacher Soldat (und nicht etwa, wie man es bei

einem Magister vielleicht erwartet hätte, als Offizier)

zu dienen, großes Aufsehen. Die Hallenser kommen

in Scharen, um dem einstigen Dozenten beim Exerzie-

ren zuzusehen: Ein Gaudi!

Später wird Laukhard als preußischer Soldat Zeuge

der berühmten „Kanonade von Valmy“ am 20. Sep-

tember 1792.22 Als er 1795 wieder nach Halle zurück-

kehrt, erhält er keine Lehrbefugnis. Er schreibt Bücher

über sein wildes Leben, heiratet, ohne das Glück zu

finden. 1802 verlässt er die Saalestadt erneut, und lebt

als Pfarrvikar und Privatgelehrter in verschiedenen Or-

ten im Saarland und in Rheinland-Pfalz.23

Quelle: http://www.ifhas.de/heymann/1933-45/heide/ga-lera.htm

Quelle: Stadtarchiv

31

Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852)

Ein Raufbold schreibt ein Buch

Jahn kommt als 17-Jähriger zum Studium nach Halle.

Der starke Jüngling legt sich mit den hiesigen Korpsstu-

denten an, deren flegelhafte Sitten ihn anwidern.

Beispielsweise ist es zu dieser Zeit üblich, dass Studen-

ten die Hallenser vom Bürgersteig in die Gosse sto-

ßen.

Nach mehreren Prügeleien überfallen ihn Korpsstu-

denten mit Peitschen und Spazierstöcken. 1799 zieht

sich Jahn in eine Höhle an der Saale zurück (das so

genannte Schneiderloch; heute die Jahnhöhle ge-

nannt) und schreibt ein patriotisches Buch. Ein Theolo-

giestudent namens Höpffner kauft ihm das Manuskript

ab und bringt es unter eigenem Namen heraus.

Jahn verlässt Halle, studiert an weiteren Universitäten,

ohne je ein Studium abzuschließen. Er etabliert das

Turnen als Organisationsform des Patriotismus, kämpft

1813 im Lützowschen Freikorps und wird zum Idol einer

neuen Studentengeneration.

Von dem Aufenthalt in Halle bleibt dem späteren

„Turnvater“ eine Narbe am Kopf, die angeblich von

einem Kampf auf dem Marktplatz herrührt.24

Philipp Friedrich Theodor Meckel (1755-1803)

Ein Arzt wird Präparat

Der Mediziner, seit 1779 in Halle, interessiert sich Zeit

seines Lebens sehr für die Anatomie des menschlichen

Körpers und nimmt zahlreiche Leichenöffnungen vor.

Selbst zwei eigene, früh verstorbene Kinder obduziert

er. „Mein Knochengerippe soll künstlich zusammen-

gesetzt werden, und einen eigenen Schrank zur Auf-

bewahrung erhalten“, verfügt Meckel dann auch

folgerichtig in seinem Testament. So geschieht es.

Auch die Leber wird präpariert; die anderen sterbli-

chen Überreste kommen in das Grab auf dem Stadt-

gottesacker.

Das Skelett des Professors steht bis heute in der halle-

schen Anatomie. Es ist eine Besonderheit, denn Me-

ckel hatte ein zusätzliches 13. Rippenpaar.25

Quelle: StadtarchivQuelle: http://www.preussen-chronik.de/_/person_jsp/key=person_friedrich+ludwig_jahn/row=3.html

32

„Ich erinnere mich mit Entzücken jener akade-mischen Jahre, die ich in Halle gelebt. In Halle herrschte damals ein frisches, seelenvolles, höchst bewegtes, wissenschaftliches Leben. Es waren zu jener Zeit zwölfhundert Studenten in Halle, und deren geselliges Leben war wilder und rauer als es je gewesen.“Ludwig Börne, 1823

Meckels Skelett.

Bahrdts Weinberg in Nietleben.Quelle: Stadtarchiv

„Die Aufklärung hatte Energien geweckt, zu de-ren Meisterung vielen der Charakter fehlte.“Bernhard Weißenborn, Heimatkalender für Halle und

Saalkreis 1922

33

Trotz alledem(Halle nach 1806)

Drei Tage nach der verheerenden Niederlage der

Preußen bei Jena und Auerstedt nehmen französi-

sche Truppen im Oktober 1806 Halle im Handstreich.

Napoleon persönlich kommt in die Saalestadt. Zu den

ersten Maßnahmen des französischen Imperators ge-

hört die Schließung der Universität, weil die Studenten

offenbar zum Widerstand bereit sind.

Alle 1.200 Studenten müssen Halle unverzüglich verlas-

sen. Fast zwei Jahre bleibt Halles Universität geschlos-

sen, und auch danach erreicht die Lehrstätte nicht

mehr ihr bisheriges Niveau. Das ist eine Katastrophe für

die Stadt, deren gesellschaftliches und wirtschaftliches

Leben durch die Universität geprägt wird.

August Hermann Niemeyer, Kanzler der Universität, wird 1806 von den Franzosen in Geiselhaft genommen. 1000-Jahr-Feier in Halle.Foto: Stadtarchiv

Wieder geht ein Esel auf Rosen

Als am 24. Mai 1808 der Bruder von Napoleon, der

als König von Westfalen eingesetzte Jerome, nach

Halle kommt, säumen junge Mädchen seinen Weg

mit Blumen. Der Universitätsprofessor Rüdiger kom-

mentiert das, so besagt jedenfalls eine Anekdote,

mit den Worten: „Heute haben wir eine hallesche

Legende aufgeführt – der Esel, der auf Rosen geht.“

Halle wird Kurort

Trotz des Niedergangs gibt es um 1806 auch Tatkraft

und Hoffung in Halle. So schart der in Ostfriesland

geborene Mediziner Christian Reil wohlhabende Bür-

ger um sich und gründet eine Gesellschaft, die dem

wirtschaftlichen Niedergang etwas entgegensetzen

will. Die Idee, Halle zum Kurort zu machen, wird ge-

boren. Reil baut einen Badesalon und einen Kursaal.

1810 kommen bereits 70 reiche Familien zur Kur nach

Halle. Die Kurortidee kann an das Entstehen einer

Gartenkultur anknüpfen, die schon im 18. Jahrhundert

begonnen hat. Mehrere Bürger haben Gärten nach

englischem Vorbild angelegt; einen dieser Gärten hat

der beim preußischen König wegen seiner Sympathien

für die französische Revolution in Ungnade gefallene

Hofkapellmeister Johann Friedrich Reichardt erwor-

ben. Zeitweise macht Reichardts Garten als „Herberge

der Romantik“ sogar Heidelberg Konkurrenz.26 Reils Ba-

desalon besteht nur kurze Zeit. Doch später entstehen

neue Solbäder, unter anderem das „Wittekind-Bad“.

Johann Christian Reil.Quelle: Stadtarchiv

34

Das einstige „Fürstenthal“ unterhalb der Moritzburg, wo Reils Badesalon im Jahr 1809 stand. 1864 wurde hier wieder ein Solebad eingerichtet. Die Ge-gend zwischen Robert-Franz-Ring und Pfälzer Straße wurde um 1900 mit Wohnhäusern bebaut.

Zeichung des Barfüßerklosters am heutigen Universitätsplatzmit der Schulkirche, die Reil kauft und als Theater nutzt.Goethe steuert zur Eröffnung 1814 einen Prolog bei.

Quelle: Stadtarchiv (4)rechte Seite: Dr. Uta Monecke

35

Hallesche Störer (Vormärz)

Friedrich Wilhelm Alexander Held (1813-1872)

Der Leutnant a.D. gibt seit Mitte 1843 in Halle die

politische Zeitschrift „Locomotive“ heraus. Held, der

seine Zeitschrift zunächst in Leipzig publiziert hat (wo

sie verboten wurde), ist ein Schalk: Alle Stellen, die der

Zensor gestrichen hat, kennzeichnet Held durch ein

rätselhaftes „Cfnstrschffrf“. (Ersetzt man „f“ durch „e“

und „t“ durch „u“, erschließt sich der Sinn.)

Held verläßt Halle nach der Eskalation der Streitigkei-

ten mit dem Zensor im Frühjahr 1844. Die zensierten

Passagen nimmt er mit und publiziert sie wenig später

in dem Buch „Censuriana oder die Geheimnisse der

Zensur“, das in Kassel erscheint. Während der Revolu-

tion 1848 wirkt Held in Berlin.27

36

Gustav Adolf Wislicenus (1803-1875)

„Eine radicale prächtige Figur“ sei Wislicenus, so der Publizist Ar-

nold Ruge. 1844 sorgt der Pfarrer der halleschen Laurentiuskirche

mit einem provokanten Vortrag über die Autorität der Bibel für

Aufsehen. Wislicenus plädiert dafür, dass der „in uns selbst inne-

wohnende lebendige Geist der Wahrheit“ zur Norm des Chris-

tentums erhoben wird. Das widerspricht dem reformatorischen

Schriftprinzip – der streitbare Pfarrer wird seines Amtes enthoben,

schart gleichzeitig viele Anhänger um sich und gründet die erste

freie Gemeinde in Halle, die auf Kultus und Sakramente verzichtet

und sich dem „Prinzip unbedingten Wahrheitsstrebens“ verpflich-

tet. 1848 ist Wislicenus Vorsitzender des revolutionären „Demokra-

tischen Volksvereins“ in Halle.

1853 geht er nach Amerika, um einer Haftstrafe wegen Lästerung

der Bibel zu entgehen. Dann lebt er bis zu seinem Lebensende in

der Schweiz.28

Friedrich Wilhelm Gustav Rawald (1812-1892)

Der in Nienburg geborene Weinhändler kommt 1839 nach Halle.

Das gediegene Weinlokal Rawald, an der Stelle des heutigen

Opernhauses gelegen, wird bald zum Treffpunkt fortschrittlich

gesinnter Hallenser. Dort kann man mehrere Zeitungen lesen,

unter anderem die „Hallesche Demokratische Zeitung“, die der

Weinhändler mit herausgibt. Gustav Rawald zeigt Rednertalent

und Courage und wird 1848 eine der wichtigsten Persönlichkei-

ten der revolutionären Bewegung in Halle. Er begründet den

„Demokratischen Volksverein“ mit und ist Pfingsten 1848 beim

Demokraten-Kongress in Frankfurt/Main der einzige Vertreter der

Provinz Sachsen.

Im November 1848 wird er wegen seines revolutionären Engage-

ments verhaftet und muss sechs Jahre Haft in der Zitadelle Mag-

deburg verbüßen. Danach lässt sich Rawald in Freyburg/Unstrut

nieder, wo er wiederum eine revolutionäre Tat vollbringt: Er initiiert

dort im Januar 1856 die Aufnahme der Sektproduktion.29

Quelle: Stadtarchiv (2)

37

1848 in Halle

Bereits am 26. März 1848 kommt es in Halle zur ersten

Großkundgebung an den Pulverweiden mit 7.000

Teilnehmern. Die Revolutionsereignisse kulminieren

schließlich im Herbst 1848 in einer Störung auf dem

Marktplatz. Nachdem es in Berlin zum offenen Bruch

zwischen Regierung und Nationalversammlung ge-

kommen ist, sollen Teile der Landwehr zur Unter-

stützung des Königs nach Berlin geschickt werden.

Das versucht eine große Volksmenge zu verhindern.

Nachdem es nicht gelungen ist, die Einkleidung der

Soldaten an der Saline zu verhindern, kommt es am

Vormittag des 19. November 1848 zu einer Protest-

kundgebung auf dem Markt. Während mehrere

Am 19. November 1848 kommt es zum Zusammenstoß von Bürgerwehr und demokratischen Lanciers auf dem halleschen Markt.Quelle: Hallische Nachrichten vom 19. November 1928.

Redner auftreten, umstellt auf Anweisung der städti-

schen Behörden die Bürgerwehr den Markt. Gegen

11 Uhr ergeht der Befehl an die Volksversammlung,

auseinanderzugehen. Dieser wird nicht befolgt. Da-

raufhin rückt die Bürgerwehr gegen die Demonstran-

ten vor. Dem stellt sich jedoch eine aus besitzlosen

Arbeitern gebildete Teiltruppe der Bürgerwehr, das

„Lancier-Korps“ (so genannt wegen der Bewaffnung

mit Lanzen), entgegen, um das freie Versammlungs-

recht zu schützen. Schüsse fallen, mehrere verwun-

dete Menschen stürzen zu Boden, Panik bricht aus.

In den nächsten Tagen werden revolutionäre Politiker

inhaftiert. Das Lancier-Korps wird aufgelöst.

38

Halle im Aufbruch (Gründerzeit)

Das Ende der Salzstadt

Am Anfang war das Salz. Aber die hallesche Stö-

rung, die dafür sorgt, dass die Sole sprudelt, hat

auch ihre Grenzen. Bereits der für Halle katastro-

phale Siebenjährige Krieg (1756-1763) besiegelt das

Ende der Einzelsieder unterhalb des Marktes; danach

wird Salz in einer gemeinschaftlichen Pfännerei und

in der heute noch erhaltenen königlichen Saline

gesiedet. Im Jahr 1868 wird das Salzsieden im so

genannten „Thal“ dann endgültig eingestellt. Die

Siedehütten werden abgerissen. Um 1875 ist die Stel-

le eine öde Schlammwüste. Wenig später beginnt

hier die gründerzeitliche Bebauung des Hallmarktes.

Frohe Zukunft im Paulusviertel

Geröll aus der Grube „Frohe Zukunft“ wird nördlich der

Ludwig-Wucherer-Straße aufgeschüttet. Dabei wird

auch eine feuchte Senke verfüllt, in der die „faule

Witschke“ fließt. Unterirdisch gibt es diesen Wasser-

strom bis heute: Feuchte Keller und Risse in manchen

Gebäuden des Paulus- und Mühlwegviertels zeugen

davon.

Auf dem Hasenberg entsteht 1903 die imposante

Pauluskirche. Zeitgleich werden Straßen angelegt, die

erst nach und nach von Wohnhäusern gesäumt wer-

den.

Der einstige Ort der Salzgewinnung, nach dem Abriss der Sie-dehütten. Blick vom Schülershof Richtung Moritzburg.

Blick von der „Spitze“, Richtung Marktkirche.

Die „faule Witschke“ wird verfüllt.Fotos: Stadtarchiv

39

Am Hasenberg um 1900.Foto: Gottfried Riehm (Stadtarchiv)

Händels falsches Geburtshaus.Foto: Stadtarchiv

Hirsch und Händel

Zum 200. Geburtstag von Georg Friedrich Händel lässt

der Besitzer das Geburtshaus des Komponisten pom-

pös dekorieren. Über der Toreinfahrt wird auf einer von

Pilastern getragenen Konsole eine Händelbüste auf-

gestellt; die Fenster umkränzt oben Eichenlaub- und

Lorbeer-Stuck, während unten Schilder an Werke des

Meisters erinnern. Hinzu kommt ein Hirsch in plastischer

Darstellung mit dem Schriftzug „Dies Haus steht in Got-

tes Hand – zum weißen Hirsch wird es genannt“.

Mal abgesehen davon, dass Händel im „Haus zum

gelben Hirsch“ gelebt hat – das dekorierte Haus ist

nicht das Geburtshaus von Händel. Erst 1922 wird der

Irrtum nachgewiesen: Der große Komponist kam im

Nachbarhaus zur Welt.

40

Hallesche Originale

Silber-Sechser

Großer Kopf, krumme Beine, verwachsene kurze Ge-

stalt: Schön ist er nicht, der legendäre „Silber-Sechser“.

Nachgesagt wird dem Pferdepfleger des Ausspann-

gasthofes „Grüner Hof“ eine nahezu unerschöpfliche

sexuelle Potenz. Man erzählt, dass er seine Dienstleis-

tung für einen Sechser (25 Pfennige) anbietet. Vor

allem Markt- und Bauersfrauen sollen Ende des 19.

Jahrhunderts seine Kundinnen gewesen sein.30

Zeitungs-Maxe

Maxe läuft in den 1920er-Jahren „wie ein geölter Blitz“

durch die Straßen und verkauft Zeitungen. Sein richti-

ger Name ist Max Körtge, geboren ist er wahrschein-

lich im Mai 1884. Er verleiht sich mehr oder weniger

phantasievolle Titel und drapiert seine Brust mit selbst

gebastelten Orden wie zum Beispiel einer „Goethe-

Medaille“.

Angeblicher Arbeitsort des Silber-Sechsers: Der „Grüne Hof“ am Steintor um 1900, kurz vor dem Abriss. Foto: Gottfried Riehm (Stadtarchiv)Foto rechts: Stadtarchiv

41

Zither-Reinhold (1878-1964)

Einer Erkrankung an Unterleibstyphus im Alter von

neun Jahren verdankt Reinhold Lohse sein kindliches

Gemüt. Die Hallenser mögen den einfältigen Straßen-

musiker, der eigentlich Pastor werden will.

Reinhold zieht mit einem Leierkasten, später mit einer

Zither durch die Innenstadt. Die Leute schenken ihm

Geld, Zigaretten, Süßes. Alkohol lehnt er rigoros ab.

Mit einer Fettbemme und einer Tasse Kaffee ist er

glücklich.

Aber nicht alle meinen es gut mit ihm. Jugendliche

stürzen den Leierkasten in die Saale. 1952 antwortet

Reinhold auf die Frage, wo sein Leierkasten geblieben

sei: „Der ist kaputt, da ham die Kinder Pferdeäppel

reingesteckt.“

1954 lebt Reinhold bei einer Verwandten, bei der er

seine nicht unbeträchtlichen Tageseinnahmen ab-

liefern muss. Bei einer Gerichtsverhandlung wird be-

kannt, dass sie das Geld vertrunken hat.

Am 17. April 1957 wird Zither-Reinhold auf der Schmeer-

straße von einem Radfahrer angefahren. Einen Monat

später ist er schon wieder wohlauf.

Als seine Zither kaputt ist, schenken ihm Mitarbeiter der

HO zu Weihnachten 1958 ein nagelneues Instrument.

Im Herbst 1964 stirbt Reinhold Lohse an den Folgen

eines Unfalls; er ist am Franckeplatz gegen einen Bus

gelaufen. Zur Beerdigung kommen 250 Hallenser.31

Foto: Stadtarchiv

Artikel aus der Liberal-Demokratischen Zeitung vom 18. Mai 1957

42

Hallesche Störungen (Weimarer Republik)

Halle ist in der Zeit der Weimarer Republik eine Stadt

der politischen Extreme.

Kommunistische Ideen erlangen ab 1918 im Raum

Halle eine Massenbasis. Bei der Wahl zur Weimarer

Nationalversammlung erhält die links von der SPD

stehende USPD in Halle 41 Prozent der Stimmen. Im

Februar 1919 demonstrieren ca. 40.000 Arbeiter auf

dem Markt mit roten Fahnen und Losungen wie „Alle

Macht den Arbeiter- und Soldatenräten!“

Gleichzeitig gibt es massive Gegenreaktionen. Im

Januar 1919 demonstrieren 25.000 hallesche Bürger

gegen die Revolution. Als im Februar 1919 Bergarbei-

ter den Generalstreik ausrufen, dem sich drei Viertel

aller Betriebe sowie die Eisenbahner anschließen, kon-

tert das hallesche Bürgertum mit einem Gegenstreik:

Ärzte, Postbeamte, Bäcker und Fleischer legen das

öffentliche Leben vollends lahm.

Diese radikale Spaltung prägt die 1920er-Jahre in

Halle. Politische Auseinandersetzungen fordern hun-

derte Todesopfer. Gewalt erzeugt neue Gewalt, zum

Beispiel im Frühjahr 1919:

Obermatrose Karl Meseberg, seit 1918 Kommandeur

einer Kompanie revolutionärer Matrosen in Halle, wird

am 13. März 1919 ein Opfer rechter Paramilitärs. Sie

schießen auf ihn und werfen ihn schwer verletzt in die

Saale, wo er ertrinkt. (Der Haupttäter, ein Medizinstu-

dent, flieht ins Ausland.)

Auf ähnliche Weise wird zehn Tage vorher der Reichs-

wehr-Oberleutnant von Klüber gelyncht. Der Offizier

wird auf einem „Erkundungsgang“ in Zivil von einem

24-jährigen Kriegsinvaliden erkannt und angegriffen.

Eine wütende Menschenmenge quält von Klüber zu

Tode. (Der Kriegsinvalide wird vier Monate später zum

Tode verurteilt.)

Der Mord an dem Offizier soll Vergeltung sein für die

gewaltsame Beendigung des Generalstreiks durch

General Georg Maercker: Am 1. März 1919 rücken die

Truppen von General Maercker in die Stadt ein, um

den Generalstreik zu beenden. Bewaffnete Arbeiter

versammeln sich kampfbereit auf dem Markt, aber

der Soldatenrat lehnt Widerstand als aussichtslos ab.

Vereinzelt kommt es dennoch zu Gefechten im Stadt-

gebiet, bei denen mindestens 36 Menschen sterben.

Während der Kampfhandlungen gerät die Situation

in der Stadt außer Kontrolle. Hunderte Geschäfte wer-

den in der Nacht vom 2. zum 3. März 1919 geplündert.

Nach der Niederschlagung des Streiks bildet General

Maercker zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ord-

nung paramilitärische Verbände, so das „Freikorps

Halle“. Das begünstigt aber auch neuen Terror, wie

zum Beispiel den Lynchmord an Meseberg.

Weitere gewaltsame Störungen erschüttern in den

Jahren 1920 und 1921 die Saalestadt, mit mehreren

hundert Todesopfern. Das Klischee vom „roten Halle“

ist dabei nur eine Teilwahrheit. Große Teile von Halles

Arbeiterschaft sind in dieser Zeit kommunistisch einge-

stellt, große Teile von Halles Bürgerschaft deutschnati-

onal. Die Rechten sammeln sich zum Beispiel um den

radikalen „Stahlhelm“-Führer Theodor Duesterberg.

Auch wird in Halle der militante Bund „Wehrwolf“ ge-

gründet. Zur Demokratie bekennt sich nur eine Minder-

heit: Halle ist in dieser Zeit vor allem eines: extrem.32

Fotos: Stadtarchiv (6)

43

Hallesche Störung von links: Ende 1932 spricht Hitler auf dem Sarrasani-Platz. Plötzlich ist der Ton weg. Der Kommunist Franz Heyl soll es gewesen sein, der das Kabel mit einem Beil durch-trennt hat. Heyl stirbt 1936 in einem Konzentrationslager.

Hallesche Störung von links: Seit November 1918 treibt eine ca. 260 Mann starke Matrosenkompanie unter Obermatro-sen Karl Meseberg die Revolution in Halle voran.

Hallesche Störung von rechts: Truppen unter General Georg Maercker schlagen Anfang März 1919 den Generalstreik ge-waltsam nieder. Mindestens 36 Menschen sterben.

Begünstigt durch die Beteiligung der Polizei am bürgerlichen Gegenstreik werden am Wochenende 2./3. März 1919 Ge-schäfte geplündert und zerstört. „Lumpenproletariat“ soll sich ebenso daran beteiligt haben wie „brave Bürgersleute“.

Hallesche Störung von rechts: Studienrat Fritz Kloppe grün-det 1923 in Halle den rechtsradikalen Bund „Wehrwolf“.

Fritz Weineck, Hornist des Rotfrontkämpferbundes, stirbt 1925 während einer Wahlkampfveranstaltung der KPD im Volkspark durch eine Polizeikugel. In der DDR wird er als „klei-ner Trompeter“ zur Märtyrerfigur gemacht.

44

2. August 1914. Mobilmachung in Halle für den 1. Weltkrieg.Quelle: General-Anzeiger für Halle und die Provinz Sachsen,19. August 1914.

„Nach Paris“ lautet die Losung, die Soldaten 1914 mit Kreide an ihre Waggons schreiben.

Hallenser bei einem Wahlkampfauftritt von Hitler 1932. Ankunft von Truppen der Heeresnachrichtenschule in Halle 1936.

Die hallesche Störung ergreift die Massen

45

Fotos: Stadtarchiv (6)

Maidemonstration in Halle 1954.

Massenkundgebung mit Erich Honecker an den Betonfäus-ten am Thälmannplatz (heute Riebeckplatz). Das 1970 ein-geweihte „Monument der siegreichen Arbeiterklasse“ wurde 2005 abgerissen.

3. Festival der Jugend der DDR und der UdSSR 1975.

46

20. Jahrhundert

Professor Rajabali Khorb aus dem Iran, der zum 1000-

jährigen Stadtjubiläum 1961 nach Halle gekommen

ist, äußert angesichts der verschmutzten Saale und

der permanenten Dunsthaube über der Stadt: „Wenn

Halle eine ‚Perle an der Saale’ ist – das hörte ich in

einem Loblied –, so ist es doch wohl eine dunkle Per-

le.“36

Ludwig Ehrler, ehemaliger Rektor der „Burg“, erinnert

sich: „Da war ja noch in den 60er Jahren der sprich-

wörtliche englische Nebel, wo man im November

mitunter – an der Lutherlinde ist mir das passiert – je-

manden anrannte, so dicht war das. Die Autos wur-

den mit Fackeln durch die Straßen geführt und überall

brannten Feuer, Signalfeuer – also es war sprichwört-

lich Kriminalnebel aus London. Aber diese industrielle

Geschichte hat eben verdeckt, was da unter dem

Staub, wie ein Aschenputtel, was für eine Prinzessin

unter dieser grauen Decke ist.“37

Zahl der Nebeltage in Halle35

Zeitraum 1891-1900 13,5

Zeitraum 1961-1970 59,3

Rechts: Gasse in der halleschen Innenstadt um 1956

Foto: Stadtarchiv

Kleine Chronik der halleschen Luft

Vor 1800

Ludwig Tieck schreibt am 12. Juni 1792 aus Halle

an Wackenroder: „Ich ging neben den Gärten hin,

wo mich der balsamische Duft von tausend Blumen

umfing, die Lichter erloschen nach und nach in den

Häusern, die Hunde bellten mir allenthalben nach, ich

ging vor einer Wassermühle vorbei, deren schäumen-

der Wasserfall wie Flammen in dem Strahl des Mondes

flutete, alles war so schön, so abenteuerlich.

Ich setzte mich oft nieder, die schönen Gegenden zu

übersehen. Die Saale glänzte mir wie ein großer See,

tausend kleine Sterne zitterten auf der ungewissen

Oberfläche, ein leichter goldener Nebel ruhte über

die ganze Gegend ...“33

19. Jahrhundert

Stadtchronist Schultze-Galléra schilderte die Gegend

des heutigen Hallmarktes wie folgt: „Stieg man von

der Treppe an der Kirche ins ‚Tal’ hinab, gelangte

man in einen ganz mittelalterlich zurückgebliebenen

Stadtteil voll krauser enger Gassen, Säcke, Schlupfen,

daß kaum ein Mensch sich hindurchwinden konnte,

in ein Gewirr kleiner, zwei- und dreistöckiger, niedriger,

gelb und grün angestrichener Häuser mit dunklen, un-

geteilten Fluren und engen Höfen. Abseits davon, auf

der Mitte der Halle zogen sich zwei lange Gebäude

entlang, die Siedehäuser; Tag und Nacht quoll aus

ihren Schornsteinen der Kohlenrauch ...“34

47

48

nen, und dann – fast glaube ich, eine Halluzination zu

haben – sehe ich plötzlich in der Luke des dem Schü-

lershof direkt gegenüberliegenden Türmchens einen

winzig kleinen Lichtschein.“ Sollte dort jemand mit

einer Taschenlampe hantieren? Die Hallenser sitzen

in den Kellern und Bunkern der Stadt. Hans Naundorf

begreift, dass eine Granate den Turm getroffen hat.38

„Mit unserem Kleinlöschgerät, einer Handspritze und

Brechwerkzeugen eilten wir zum Turm. Leider wurde

uns sehr bald klar, daß ein Eindringen unmöglich war.

Alle Türen waren verschlossen und damit unserem

Bemühen Einhalt geboten. Wir mußten, da die uns zur

Verfügung stehenden Hilfsmittel unzulänglich waren,

von Löschversuchen Abstand nehmen und gaben

eine Meldung an unsere Wache ab.

Inzwischen hatte sich der Brand so weit entwickelt,

daß sich nun bereits aus der Luke des kleinen Ecktürm-

chens eine größere Flamme herauswand, die wie ein

feuriges Fahnentuch um das Türmchen wehte. Von

unserem Standort konnten wir deutlich beobachten,

wie der innere Luftzug im Turm die herausschlagen-

de Flamme entfachte. Sie wurde größer und größer.

(...) Es kamen dann auch weitere Löscheinheiten zur

Brandstelle, die aber ebenfalls die Aussichtslosigkeit

einsehen mußten, dieses Feuer, das nun wütend um

sich griff, wirksam zu bekämpfen. Allein die Höhe des

Brandes und die zu Gebote stehenden Hilfsmittel (zu

kurze Leitern und zu geringer Wasserdruck) machten

jeden Versuch zunichte. (...)

Die Abenddämmerung ist inzwischen hereingebro-

chen. Ein klarer, wolkenloser Himmel wölbt sich über

dem schaurig-schönen Bild. Es ist so unendlich traurig,

tatenlos dem Vernichtungswerk des rasenden Feuers

zusehen zu müssen. Gebannt hängen aller Blicke an

dem brennenden Turm. Wie bei einem riesigen Feu-

Hallesche Störungen (Nachkriegszeit)

Der Rote Turm brennt ab

Der dichterisch begabte Feuerwehrmann Hans

Naundorf berichtet von seinem Einsatz am Nach-

mittag des 16. April 1945, als der Marktplatz unter

US-amerikanischen Artilleriebeschuss gerät: „Einschla-

gende Geschosse, zerfetzte Fassaden, herumliegende

Trümmer und einige Tote am Eingange der Schmeer-

straße, das war das grausige Bild, das sich uns zu dieser

Stunde bot.“ Der Feuerwehrtrupp sucht Deckung am

Schülershof, und Hans Naundorf späht in Richtung

Roter Turm: „Wie in Gedanken versunken stehe ich

in diesen Augenblicken und nehme das Bild dieses

schönen Bauwerkes, umstrahlt vom Sonnenschein

und auf dem Hintergrund eines seidig-blauen Früh-

lingshimmels, in mich auf. Erinnerungen werden wach,

und meine Ohren vermeinen ganz fern den Glocken-

klang seines herrlichen Geläutes zu vernehmen. Dann

heftet sich mein Blick an seine Bedachung. Ich sehe

die schlanken, spitzen Ecktürmchen, die diese umkrö-

Der Rote Turm: 30 Jahre ohne Spitze.Foto: Danz

49

erwerk flattern brennende Balken, glühende Teile der

Bedachung aus der Höhe zur Erde. Das Feuer frißt sich

weiter nach oben, an dem nun zu Tage tretenden

Sparrengerüst weiterlaufend, bis zur höchsten Spitze,

bis zum Turmknauf. Wie aus feurigglänzendem Filigran

gebildet, hebt sich die Kontur des Turmes mit seinem

unendlichen Sparrengewirr leuchtend gegen den

nachtblauen Himmel ab. Die ganze Schönheit dieses

nun sterbenden stolzen Bauwerkes tritt noch einmal

wundersam in Erscheinung. Das, was vor Jahrhun-

derten ein Baumeister erdachte, was fleißige Hände

schufen, hier sinkt es in Schutt und Asche!

Nun hat das Feuer den Turm in seiner ganzen inneren

Ausdehnung ergriffen, rasend jagen die riesigen Feu-

erlohen empor. Die großen Spitzbogenfenster leuch-

ten in blutig-roter Feuerglut. Feuerkaskaden rauschen

in Abständen hernieder. Der Turmhelm scheint nun so-

weit zerfressen zu sein, daß sein Gesamtgefüge jeden

Augenblick zusammenbrechen muß. – Dann – wie

seltsam berührt es! – ein einziger, klagender Anschlag

einer Glocke! Sie läutet ihrem Turm den Grabgesang!

– Ein leichtes Beben regt sich noch im glühenden

Gebälk, eine leichte Drehung, kaum bemerkbar von

unten, folgt, und dann senkt sich die Spitze nach

Südwest. Mit donnerndem Getöse bricht sie in einer

prasselnden Feuergarbe zusammen. (...)

Längst ist Mitternacht vorüber; die angrenzenden

Straßen und der Markt haben sich inzwischen von

Menschen geleert. Wie vielen mag gleich mir dabei

das Herz schwer gewesen sein? – Die Trümmerreste,

die weit um die Brandstätte herum liegen, haben wir

abgelöscht. Still und einsam folgen wir unserer Arbeit.

Der grauende Morgen zieht herauf.

Ich gehe etwas abseits, meinen Blick noch einmal

dem Turme zuwendend. Die schwarze Silhouette

einer Ruine hebt sich vom dämmernden Morgenhim-

mel ab, klagend und mahnend. Mein Herz ist von tie-

fer Traurigkeit erfüllt, als hätte ich einen lieben, alten,

treuen Freund verloren.“39

Von 1945 bis 1976 steht der Rote Turm als Torso auf

dem Markt, versehen mit einem provisorischen Flach-

dach. Stadtplaner ziehen 1964 sogar den Abriss in

Erwägung.40 Zehn Jahre später ist davon keine Rede

mehr. Der Turm bekommt 1976 sogar wieder eine ori-

ginalgetreue Haube.

Fred Frohberg und sein Holzbein

Das in Halle kursierende Gerücht, der in der Saale-

stadt geborene Schlagersänger Fred Frohberg (größ-

ter Hit: “Zwei gute Freunde“) hätte sein Bein beim

Kohleklauen in der Nachkriegszeit verloren, ist ganz

offenbar falsch: Sein Bein verlor der 19-jährige Soldat

in den letzten Kriegsmonaten. Trotzdem war da auch

was mit Kohlenklau. Aber nicht er war es, sondern drei

Frauen – Verlobte, Mutter und Tante, die im Februar

1947 auf dem halleschen Bahnhof Kohlen klauten

und erwischt wurden. Als sie dem Polizisten erklärten,

dass sie die Kohlen brauchen, um für eine Hochzeits-

feier eine warme Stube zu haben, ließ der Ordnungs-

hüter sie laufen, samt Kohlen – unter der Maßgabe

allerdings, zur Hochzeit eingeladen zu werden, wo er

dann auch erschien und mitfeierte – so steht es jeden-

falls in Frohbergs Autobiografie.41

Fred Frohberg

50

Beim Laternenfest 1947 setzt eine Feuerwerksrakete ein Trans-parent des Gewerkschaftsbundes an der Burg Giebichenstein in Brand. Die Hallenser jubeln. „Der Spiegel“ berichtet am 30. August 1947 darüber.

51

Aufbegehren (1947-1990)

60.000 Menschen demonstrieren am 17. Juni 1953 auf dem Hallmarkt. „Freiheit“ steht auf dem Transparent, das der De-monstrant den sowjetischen Panzern entgegenhält.Fotos: Archiv Verein Zeit-Geschichte(n)

52

53

Zwei Hallenser fliegen im Jahr 1964 über die Mauer hinweg bis nach Minden. Und das, obwohl sie nach eigener Aussage nie zuvor ein Flugzeug gelenkt haben.

Artikel aus: Die Welt vom 17. April 1964, S. 28.

54

Halbstarke in Halle

„Außer Rand und Band“ geraten in den 1950er-Jah-

ren keineswegs nur die Jugendlichen westlich der

deutsch-deutschen Grenzlinie. Auch im Osten kommt

es zu Krawallen, die zwar (laut einer aktuellen For-

schungsarbeit der Historikerin Wiebke Janssen) nicht

ganz so geballt und zahlreich wie in Westdeutschland

auftreten, aber dennoch für das SED-Regime unge-

heure Brisanz bergen.

Wieso es am 16. Dezember 1958 auf dem Weih-

nachtsmarkt zu einer größeren Schlägerei zwischen

„Halbstarken“ und der Volkspolizei kommt, lässt ein Ar-

tikel in der „Freiheit“ am 20. Dezember durchblicken:

Demnach hätten Halbstarke einen Soldaten der NVA

angepöbelt, worauf es zu Handgreiflichkeiten kam.

Ein massives Polizeiaufgebot hätte schließlich 39 Betei-

ligte verhaftet, darunter vier weibliche Jugendliche.

Die sind keineswegs nur mitgegangen, sie mischten

auch kräftig mit, weshalb eine von ihnen wegen

Landfriedensbruch zu acht Monaten Haft verurteilt

wurde. Der Tumult auf dem Hallmarkt wird auch in der

westdeutschen Presse zum Thema, so meldet „Die

Welt“ am 24. Dezember, dass ein Volkspolizist zu Tode

kam. In Halle selbst wird darüber in der Presse nicht

berichtet. Statt dessen versucht die „Freiheit“, die

Weihnachtsmarkt-Schlägerei als Folge einer gezielten

Einschleusung der „amerikanischen Unkultur“ in die

DDR darzustellen. FDJ-Funktionäre berichten von ei-

nem westlich gekleideten Unbekannten in schwarzer

bzw. roter Lederjacke, der als angeblicher Rädelsfüh-

rer von Westdeutschland aus das Ganze eingefädelt

habe. Der Unbekannte bleibt ein Phantom. Der Volks-

polizist indes, so hat Wiebke Janssen herausgefunden,

ist tatsächlich an jenem turbulenten Abend gestor-

ben. Er erlitt bei dem Polizeieinsatz infolge gesundheit-

licher Probleme einen Herzinfarkt.

Notiz in der SED-Zeitung „Freiheit“ vom 18. Dezember 1958.

55

Protest gegen die Biermann-Ausbürgerung

Eine Flugblatt-Aktion gegen die Ausbürgerung des

Liedermachers Wolf Biermann erschreckt zu Weih-

nachten 1976 die Machthaber. Obwohl bis 1986 fast

10.000 Menschen überprüft werden, gelingt es der

Staatssicherheit nicht, die fünf befreundeten jungen

Leute (zwei Frauen, drei Männer) ausfindig zu ma-

chen, die am 23. Dezember 1976 die 500 selbstgefer-

tigten Flugblätter in Briefkästen gesteckt haben.42

Friedliche Revolution

„In unserem Lande ist die Kommunikation zwischen

Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört.“ Mit

diesem Satz beginnt der Gründungsaufruf des NEUEN

FORUM. In Halle ist die Störung besonders stark aus-

geprägt. Während am 9. Oktober 1989 die Leipziger

Montagsdemonstration friedlich verläuft, setzt die

Polizei in Halle Schlagstöcke ein. Und noch Ende Ok-

tober plant die SED eine Gegendemonstration „Rote

Fahnen gegen weiße Kerzen“, die aber nicht mehr

zustande kommt.43

4. November 1989. Foto: MZ ArchivFlugblatt, am 23. 12. 1976 in Briefkästen verteilt. Quelle: BStU

56

57

Halle – ein raues Pflaster? Kleine Chronik des halleschen Pflasters

18. Jahrhundert

„Freilich ist das Pflaster der Straßen bodenlos schlecht,

trotzdem man die Stadt erst 1725 mit 8.195 Talern Un-

kosten umgepflastert hat.“44

19. Jahrhundert

„Man klagt weiter über das schlechte Pflaster, trotz-

dem um 1820 die ganze Stadt umgepflastert war.“45

20. Jahrhundert

Paul Frankl konstatiert, dass „Halle inzwischen soviel

schöner geworden ist (sogar gutes Pflaster hat und

bessere Straßenbeleuchtung als einst)“.46

21. Jahrhundert

„Trotz mancher technischer Fehler bei der Verlegung

ist die Stadt mit der neuen Pflasterung besser be-

nutzbar geworden, und das ist zweifellos notwendig.

Es hätte dafür aber nicht des teilweise sehr hohen

Aufwandes bedurft. Der groß verkündete optische

Qualitätsanspruch ist weitgehend verfehlt. Allzu viele

Spielereien vermitteln nichts weiter als ein neues Bei-

spiel für die Beliebigkeit, wie sie heute auch in vielen

anderen Lebensbereichen um sich greift.“47

Hallenser im Baudreck: Richard-Wagner-Straße um 1900.Foto: Stadtarchiv

58

Der „Charme“ der Hallenser

„Meine Kneipe ist keine Kirche“

Seit 1913 führt Bernhard Weißbach die legendäre Knei-

pe „Sargdeckel“ mit harter Hand. Arbeiter, Schauspie-

ler und vor allem Studenten zechen hier. Eines Abends,

als die Kneipe wieder mal überfüllt ist, fordert er die

Stammgäste „in grob bestimmender aber doch höfli-

cher Weise“ auf, abwechselnd eine halbe Stunde zu

stehen.48 Weißbach ist bekannt dafür, dass er Radau-

brüder und Volltrunkene eigenhändig vor die Tür setzt.

Leute, die er nicht mag, platziert er an einen Tisch in

der hintersten Ecke, selbst wenn die Kneipe leer ist.

Wer seinen Anweisungen nicht Folge leistet, wird auf-

gefordert, das Lokal zu verlassen. Schachspielen oder

die Bestellung nichtalkoholischer Getränke fasst Weiß-

bach als Provokation auf: „Meine Kneipe ist keine Kir-

che“, lautet einer seiner Leitsprüche.

Das Haus soll früher einem Sargtischler gehört haben.

Zwischenzeitlich wird der Name sogar behördlich

verboten; Weißbach überpinselt daher den Schriftzug

„Sargdeckel“ mit den Buchstaben „S.D.“.

Als Weißbach 1937 stirbt, ist er gerade mal 56 Jahre

alt. Seine Nachfolger versuchen, die rüde Tradition

fortzusetzen. Ein Kraftfahrer, der hier im Jahr 1968 ein

alkoholfreies Getränk verlangt, wird von Wirt Rolf Va-

lerius mit den Worten abgewiesen: „Diese Kneipe ist

kein Wartesaal“.

Nicht zuletzt wegen des groben Wirtes war der „Sarg-

deckel“ auch in den siebziger und achtziger Jahren

eine Kultkneipe in Halle. 1994 wurde das Haus ab-

gerissen, damit die „Öffentlichen Versicherungen

Sachsen-Anhalt“ und die „Versicherungsgruppe Han-

nover“ dort einen Büroblock bauen konnten.

Der „Sargdeckel“ in den 1920er-Jahren.Foto: Stadtarchiv

Rechte Seite:Nachruf auf Bernhard Weißbach in der Saale-Zeitung vom 3. Dezember 1937. Der Sargdeckelwirt ist in SA-Uniform abgelich-tet: Auch das gehört zur Geschichte dieser Kneipe.Quelle: Stadtarchiv

Noch ein grober Wirt: HOG „Frohe Zukunft“ anno 1990.Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 3. April 1990

59

60

„’S jeht niche“49

Eine Anekdote aus der Zeit vor 1900 berichtet, dass es

in der Nacht kaum möglich ist, auf dem Bahnhofsvor-

platz eine Pferdedroschke zu bekommen.

Halles Oberbürgermeister, der deshalb eines Nachts

nach Hause laufen muss, ordnet daher – unter An-

drohung von Strafe – an, dass sich Tag und Nacht

mindestens eine Droschke am Bahnhof bereitzuhalten

hätte.

14 Tage später kommt der Bürgermeister mit dem

Nachtzug nach Halle zurück, und stellt erfreut fest,

dass eine Droschke wartet. Er stößt den vor sich hin

dösenden Kutscher an und sagt: „Fahrn Sie mal los.“

Der Kutscher blickt sich um und nölt: „’S jeht niche.“

– „Warum?“ – „Weils ähm nich jeht.“

Umständlich erzählt der Kutscher von der Anordnung

des Oberbürgermeisters: „Desdewejen gann ich ähm

nich fort, weil denn geene Droschke mehr uffn Bahn-

hofe is.“ Auch die Offenbarung des OB („Wissen Sie,

ich bin selbst der Oberbürgermeister“) beeindruckt

ihn nicht. Der Kutscher klopft seelenruhig seine Pfeife

am Trittbrett aus: „Das nitz ooch nischt, da missense

erscht bei mein Scheff nungerjehn in de Mansfelder

Straße un den fra’n, un wenn där saat, ich derf fahrn,

denn fahr ich, sonst muss ich hierbleim.“Auch in die-

ser Nacht geht der Oberbürgermeister zu Fuß nach

Hause.

Kleine Ulrichstraße um 1900, Foto: Stadtarchiv

61

Reichardt und die Regenrinne

Der romantische Garten des Hofkapellmeisters Jo-

hann Friedrich Reichardt hat die Zeiten überstanden,

wenngleich es am Rande manchmal recht ruppig zu-

ging. So wird Reichardts Haus im Jahr 1903 wegen der

Begradigung der Seebener Straße abgerissen.

Um an Reichardt zu erinnern, errichten Verehrer des

Komponisten am Rande des Parks einen Gedenkort.

An der Mauer, über der eine Büste angebracht ist,

steht zu lesen:

„Zum Volk hast Du Dein Lied gesungen,

Des Künstlers Ruhm Dir selbst errungen,

So bleib ein Vorbild deutscher Art,

Die Volk und Kunst mitsammen paart. (...)“

Der Wunsch, Reichardts Vorbild solle eine Harmoni-

sierung von Volk und Kunst bewirken, fand an diesem

Ort leider keine Erfüllung. Hier kommt es in den 1920er-

Jahren zur harten Konfrontation von Kunst und Alltag.

Vom Grundstück des angrenzenden Hauses der Witte-

kindstraße wird ein Abflussrohr von hinten durch die

Gedenktafel getrieben. Das löst öffentlichen Protest

aus; das Ableitungsrohr muss wieder entfernt werden.

Dabei wird die Tafel jedoch endgültig ruiniert.50

Aus der Mitteldeutschen Zeitung vom 13. September 2005.

„Hallenser – das sind Menschen mit so unendlich viel Charme, den sie aber gut verstehen zu ver-bergen.“51 Hans-Dietrich Genscher

62

Hallesche Störer (20. Jahrhundert)

Felix Graf von Luckner (1881-1966)

Foto: Agentur Keystone

Die weltweite Vermarktung von Luckners Abenteuern

im Ersten Weltkrieg und die Vortragsreisen mit Show-

einlagen (wie das Zerreißen von Telefonbüchern) ma-

chen Felix Graf von Luckner in den 1920er-Jahren zum

Weltstar. Sympathie bringt ihm, selbst bei einstigen

Gegnern, seine ritterliche Art der Kriegsführung ein.

Die Nazis schicken Luckner 1937 erneut auf Werbe-

Tour. Aber der Graf hält sich nicht an die Vorga-

ben, lässt Propagandamaterial ins Meer werfen und

macht aus der Reise eine private Vergnügungsfahrt.

Als das rauskommt, wird ein Sonderehrengericht ge-

gen ihn vorbereitet. Dabei wird Luckner auch mit dem

Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern kon-

frontiert. Um kein Aufsehen zu erregen – inzwischen

hat der Zweite Weltkrieg begonnen und Hitler will jede

Unruhe an der „Heimatfront“ vermeiden – wird der

„Seeteufel“ 1939 aber nicht verurteilt, sondern nach

Halle verbannt, wo seine Eltern wohnen. Er darf nicht

mehr publizieren, nicht mehr reisen.

Der Graf, „eines der größten Schlitzohren des Jahrhun-

derts“ (Norbert von Frankenstein), nimmt es Zeit seines

Lebens mit der Wahrheit nicht so genau. Aber in den

letzten Kriegstagen im April 1945 hat er tatsächlich

eine Sternstunde. Er trägt maßgeblich zur kampflosen

Übergabe der Stadt an die US-Truppen bei. Luckners

Einschaltung in die Verhandlungen verhindert, dass

Halle flächenhaft bombardiert wird.52

63

Der Jodler (1894-1981)

Er läuft im Sommer in kurzer Lederhose und einem

weißen Motorrad-Sturzhelm auf dem Kopf durch

Halle, führt mit den Hirschen im Zoo lebhafte Ge-

spräche, und erschreckt ansonsten die Leute durch

lautes Trällern und das Grölen eigenartiger Worte wie

„Humpelbeen“. Klar, der Typ ist verrückt. Deshalb lebt

Paul Grunicke, so sein bürgerlicher Name, auch im

Pflegeheim in der Beesener Straße. Gleichzeitig aber

hat er die Gabe, seine Krankheit so originell auszule-

ben, dass er in den 1970er-Jahren zum Stadtgespräch

wird. Neben dem Spitznamen „Joodler“ rufen ihn die

Hallenser auch „Tante Anna“ bzw. „Tante Hannelore“.

Das kommt daher, dass der Jodler in der Wintersaison

sein Outfit verändert. Dann trägt er nämlich eine Da-

menperücke, und geht am Krückstock.53

Der hallesche Musikproduzent Frank Lausch erinnert

sich noch sehr lebhaft an den Jodler: „Die Anzugs-

ordnung variierte selbstredend entsprechend zur Jah-

reszeit. Die kurze Lederhose reichte immerhin bis fast

zum Knie. Dazu wurde entweder eine Art kurzer Joppe

getragen, oder eben auch nicht. Konsequenterweise

gab es die Krachlederne auch bis tief in den Novem-

ber, dann allerdings zur langen Unterhose. Außerdem

wurde gern schmückender Unfug durch die Stadt

getragen, wie das berühmte Kofferradio, welches nur

das Gehäuse eines ‘Stern Elite‘ war. Die Schiffermütze

rundete das Bild ab. An einen Motorradhelm kann

ich mich nicht erinnern, will ihn aber um Gotteswillen

nicht in Frage stellen. Der Gamsbarthut war dann eine

Entscheidung des Pflegeheims.

Jedenfalls gab es in den letzten Lebensjahren ein

optisches Lifting des Jodlers. Er trug einen hellblauen

Sommeranzug, schwarze Arbeitsschuhe und stellen-

weise eine weiße Küchenuhr um den Hals.

Sein Repertoire an (angesungenen) Liedern war

scheinbar unerschöpflich. Mitte der 70er nahm Ecke

Bethmann, hallesches Rock-Urgestein, den Jodler

gern mit zu Gigs seiner damaligen Band TREND. Die

sowieso schon skurrilen Veranstaltungen wurden da-

durch noch einen Hauch eigentümlicher.“

Foto: Privatarchiv Frank Lausch

64

Frank Lausch hat einige Tondokumente vom Jodler ar-

chiviert: In einem Gespräch mit Frau Danneberg, einer

damals 81-jährigen Opernsängerin, lässt Paul Grunicke

einige persönliche Daten sprudeln. So nennt er seinen

Geburtsort Teutschenthal – was überraschend ist, da

er einen eher böhmisch klingenden Dialekt spricht

– und sein Geburtsdatum, den 25.12.1894. Auf die

Bemerkung der alten Dame: „Da sind Sie doch auch

Steinbock“, schmettert er ihr entgegen: „Feiertag!“

– „Wa?“ – „Ich bin an einem Feiertag geboren!“

Zwischen einigen unvermittelten Jodlern und Liedan-

fängen erwähnt er auch einen Unfall in Leuna. Einmal

redet er von einem Schädelbruch, zweimal von einem

Schädelbasisbruch. Das könnte sein seltsames Geba-

ren vielleicht erklären.

Der Jodler und die Gruppe TREND im Jahr 1977.Fotos: Privatarchiv Frank Lausch

65

Halles sprachmächtigster Untergrund-Dichter

„Matthias“ BAADER Holst schreibt Zeilen wie „laß

das mit dem menschsein lerne bäcker“ und hält

sich nicht dran. Er lernt Baufacharbeiter, arbeitet

als Postbote und Bibliothekar. Und er lässt es nicht

mit dem Menschsein, verweigert 1982 den Wehr-

dienst und liest viel. Seine Spontanlesungen auf

Parties haben Kult-Status. BAADER Holst zeichnet,

tritt mit Bands auf, ist Mitherausgeber der Literatur-

zeitschrift „Galeere“, die verboten wird. 1988 zieht

er zum Prenzlauer Berg nach Berlin. BAADER Holst

stirbt Ende Juni 1990, im Alter von 28 Jahren. Im

Morgengrauen läuft er in Berlin gegen eine Stra-

ßenbahn. Tage später erliegt er seinen schweren Ver-

letzungen – es ist die Nacht vor der Währungsunion.54

„Matthias“ BAADER Holst (1962-1990)

Foto: André Gessner

66

Kleine Chronik des halleschen Eierwurfs

14. Juli 1593

Auf dem halleschen Marktplatz wird ein Pranger er-

richtet.

„In alten Zeiten ist der Gebrauch gewesen, daß man

diejenigen, so an den Pranger gestellt worden, mit

faulen Eyern geworffen, welche der Rath bezahlt ...“55

11. Mai 1991

Im Frühjahr 1991 zeichnet sich deutlich ab, dass das

Versprechen des Bundeskanzlers, es werde keinem

schlechter, aber vielen besser gehen, so nicht einlös-

bar ist. Die Arbeitslosigkeit steigt dramatisch. Die Ab-

wanderung ist nicht zu stoppen. Also heißt es in Halle:

Faule Eier statt blühender Landschaften. Helmut Kohl

wird am 11. Mai 1991 auf dem halleschen Markt mit

Eiern beworfen.

Allerdings ist der Werfer kein Arbeitsloser, sondern ein

Jura-Student, der sich den Studienplatz mit einem ge-

fälschten Abiturzeugnis erschlichen hat.56

Ein Abend, etwa im Jahr 2000

Ort der Handlung ist das Café Nexus in der Kohl-

schütter Straße: „Eines Abends kam eine junge Frau

ins Lokal gestürzt, zückte ein großes, rohes Ei aus

ihrer Manteltasche, donnerte dies mit gekonntem

Schwung einem Gast auf den Kopf und verschwand

so schnell wie sie gekommen war“, berichtete Nexus-

Wirt Torsten Weiß im Januar 2001 einem MZ-Lokalre-

porter, ohne den Hintergrund dieses Ereignisses näher

aufklären zu können.

Fotos: MZ-Archiv

67

Halle im Umbruch

(nach 1990)

Dynamik aus Hildesheim

Dirk Bettels, 26-jähriger Bankkaufmann, hat 1990

schnell erkannt, was in Halle los ist: „Die Leute haben

keine Dynamik. Eine Portion Faulheit mischt sich mit

einem Quentchen Angst und 40 Jahren verordneter

Lethargie“, vertraut er der Hildesheimer Allgemeinen

Zeitung an.

Bettels hingegen zeigt Dynamik, wird in Halle im Hand-

umdrehen Chef der Magistratskanzlei, zweiter Mann

neben dem Oberbürgermeister, Aufsichtsratsvorsit-

zender der Halleschen Wohnungs- und Grundbesitz

AG und Aufsichtsratsmitglied der Hall-Bau AG. Leider

setzt er seine Dynamik eher im eigenen Interesse

als im Interesse der Stadt ein. Ende 1990 erhebt die

„Frankfurter Rundschau“ den Vorwurf, Bettels hätte

gute Bekannte aus Hildesheim mit Aufträgen ohne

Ausschreibung versorgt.57 Mitte 1991 enthüllt die „Mit-

teldeutsche Zeitung“, dass Millionenbeträge aus der

Kasse der Wohnungsgesellschaft HWG an zwei Anwäl-

te geflossen sind – der eine ist der Onkel von Bettels,

der andere der Anwalt der Familie in Hildesheim:

„Anderthalb Millionen. Für ein paar Tage Arbeit.“ Laut

MZ-Recherche ist das „nicht rechtens“, da „zum da-

maligen Zeitpunkt ein westdeutscher Anwalt für seine

Beratungen auf dem Gebiet der damaligen DDR kein

Honorar erhalten darf“.

Die hohe Honorarsumme ergibt sich aus dem ge-

schätzten Stammkapital der HWG, das Bettels etwa

zehnmal so hoch einschätzt wie der spätere hallesche

Finanzdezernent Brisken.58 Als sein Gönner, OB Peter

Renger, als Inoffizieller Mitarbeiter des MfS enttarnt

wird, geht Dirk Bettels nach Hildesheim zurück. Dort

ist er neben seiner unternehmerischen Tätigkeit heute

u.a. Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer

Hannover und Honorarkonsul der Slowakischen Re-

publik.

Ganoven GmbH Halle

Die komplette Deindustrialisierung von Halle ist ein

dunkles Kapitel, das der Aufarbeitung harrt. „Mafia-

ähnliche Zustände, in denen sich alles unter der Hand

abspielt“, bescheinigt der Journalist Michael Jürgs der

halleschen Treuhand-Niederlassung. Unternehmer

entziehen halleschen Betrieben Millionenbeträge und

sanieren damit ihre verschuldeten Firmen. Ein Liqui-

dator verschwindet mit einer Million D-Mark. Einige

der kriminellen Machenschaften von Unternehmern

und Treuhand-Managern sind mit Haftstrafen belegt

worden. Die Betriebe hingegen sind weg, und die

Arbeitsplätze auch.59

Foto: MZ, 6. November 1990.

68

Ein Einfamilienhaus bläht sich auf

„Auf Generationen hinaus verhunzt“ sei der Markt-

platz durch die „Geistlosigkeit“ eines Kaufhaus-Neu-

baus, findet der Journalist Günter Kowa im Jahr 1994,

und fragt entsetzt:

„Handelt es sich beim Kaufhof am Marktplatz nicht in

Wahrheit um ein Einfamilienhaus, aufgedunsen zu ei-

nem form- und gestaltlosen Klumpen?“

Quelle: MZ vom 2. November 1994

69

Es hätte schlimmer kommen können

Wenn in Irland etwas Schlimmes passiert, hört man

dort oft die Redewendung „it could be worse“ (es

könnte schlimmer sein). So berichtet es Heinrich Böll

in seinem „Irischen Tagebuch“. Und nicht genug

dieser guten Sitte, in Irland gibt es auch noch eine

Zwillingsschwester dieser Redewendung, die lautet:

„I shouldn’t worry“ (ich würde mir keine Sorgen ma-

chen). Halles Stadtgeschichte, unter diesem Blick-

winkel betrachtet, offenbart eine ganze Menge von

Episoden, die den Schluss zulassen, dass es auch viel

schlimmer hätte kommen können.

Modell des Entwurfs von Ernst Sagebiel für ein nationalsozia-listisches Gauforum in Giebichenstein.Foto: Stadtarchiv

Noch kurz vor dem Kriegsende 1945 zerschlug eine Bombe das Dach der Marktkirche und zerstörte einen Pfeiler. Die Kirche hätte einstürzen können. Foto: Stadtarchiv

70

Architurwettbewerb Rathausneubau 1993, erster Preis (Gott-fried Böhm, Köln). Foto: Stadtarchiv

Viel wurde in Halle abgerissen. Das Foto zeigt den Schülershof in den 1980er-Jahren, als ein Flächenabriss großer Innenstadt-areale begann. Aber es gab auch noch drastischere Pläne. 1964 wurde zum Beispiel der Abriss des Roten Turmes und der Bau einer Hochstraße am Robert-Franz-Ring diskutiert.Foto: Stadtarchiv

Bevölkerungsentwicklung in Halle. Die längste Zeit seiner Existenz hatte Halle weit weniger Einwohner als heute.Quelle: Wikipedia

71

Beinahe hätte es in Halle im Jahr 1986 eine schlimme Gasexplosion gegeben, wie diese Information der Staatssicherheit belegt.Quelle: BStU60

72

Die Störung der Störung

Halle ist gestört. Und wenn es noch eines letzten Be-

weises bedurft hätte, dann liefert ihn die Geschichte

dieser Ausstellung. Fast wäre sie ein Opfer der Verzö-

gerungen beim Umbau des Marktplatzes geworden.

Nach Lieferschwierigkeiten und einem langen Winter

sorgten offenbar Diebe dafür, dass die Pflasterung

des Marktplatzes nicht fertig wurde. Und ausgerech-

net das letzte Stück, das überhaupt an die Reihe kam,

war jene Stelle an der Marktkirche, wo die Ausstellung

im Mai 2006 aufgestellt werden sollte. Bis wenige

Tage vor der geplanten Eröffnung sicherten die Ver-

antwortlichen zu, dass der Markt fertig würde – und

hielten sich nicht dran. Eröffnet wurde die Ausstellung

dann schließlich am 13. Juni. Nichtsdestotrotz feierte

Halle schon am 10. Mai 2006 die Neugestaltung des

Marktplatzes, immerhin sah ja jeder, dass an dem

Problem gearbeitet wurde. Aber auch die feierliche

Enthüllung des restaurierten Roland-Standbildes am

Roten Turm blieb von einer Störung nicht verschont.

Oberbürgermeisterin Ingrid Häußler betonte in ihrer

Rede, dass der hallesche Roland ein ganz besonderer

sei, denn er trage sein Schwert in der Scheide. Wenig

später fielen die Hüllen, und die steinerne Figur reckte

den Anwesenden ihr blankes Schwert entgegen – so

wie sie es schon seit dem Mittelalter tut, oder genauer

gesagt seit 1719, als der hölzerne Roland des Mittelal-

ters durch eine Kopie aus Stein ersetzt wurde. Ein be-

sonderes Exemplar ist der hallesche Roland durchaus,

aber nicht wegen seines Schwertes, sondern weil er

keinen Helm, keine Krone und Rüstung trägt.61

Mitteldeutsche Zeitung vom 10. Mai 2006

73

Gegenwärtig herrscht Ruhe an der halleschen Stö-

rung, konstatierte erst kürzlich der Geologe Prof. Max

Schwab.62 Für die geologischen Platten im Untergrund

mag das stimmen. Erdbeben sind bis auf Weiteres

nicht zu befürchten. Überirdisch aber ist zwischen

Trotha und Silberhöhe, Neustadt und Hufeisensee

wohl noch manches zu erwarten ...

74

AnhangAnmerkungen

1 Mit diesen treffenden Worten beschrieb Sylvia Pom-

mert in der Mitteldeutschen Zeitung die geologische

Herkunft von Halle (Zitat aus dem Internet: http://peo-

ple.freenet.de/hallesfreunde).2 Vgl. Axel Bojanowsky, Die Abgase von Delphi, in:

Süddeutsche Zeitung vom 7./8. Oktober 2006, S. 24. 3 Vgl. Volker Hermann, Die Entwicklung von Halle (Saa-

le) im frühen und hohen Mittelalter, Halle 2001, S. 33.4 Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Die Stadt Halle,

Halle 1930, S. 39. 5 Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Die Sagen der

Stadt Halle und des Saalkreises, Halle 1922, S. 55. Von

der Legende soll die Straße ihren Namen „Graseweg“

erhalten haben. Wahrscheinlicher ist aber, dass der

Name auf den Grashof verweist, ein Anwesen der

Herren vom Grashof, das sich im Mittelalter dort be-

fand. 6 Vgl. Hilmar Schwarz, Die Ludowinger, Eisenach 1993.7 Vgl. Heiner Lück, Siegel und Wappen der Stadt Halle,

in: Werner Freitag/Andreas Ranft (Hg.), Geschichte

der Stadt Halle, Halle 2006, Bd. 1, S. 156-167. 8 Stadtarchiv Halle, Sammelmappe IV/23.9 Vgl. Werner Piechocki, Als in Halle die Sieder streik-

ten..., in: Mitteldeutsche Neueste Nachrichten vom

5./6. April 1975; Ders., Aufruhrordnung von 1513, in:

Freiheit vom 20. August 1988. 10 Vgl. Heinrich L. Nickel (Hg.), Das Hallesche Heilthum-

buch von 1520, Halle 2001 (Reprint von 1520). 11 Vgl. Ludwig Grote, Kardinal Albrecht und die Re-

naissance in Halle Halle 2006.12 Vgl. Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Die Sagen

der Stadt Halle und des Saalkreises, Halle 1922, S. 106;

Dr. Wendel, Unser Marktplatz vor 400 Jahren, in:

Hallische Zeitung vom 10. Oktober 1925.

Die anderen Begebnisse dieser Chronik sind notiert in:

Sammelmappe IV/23, Stadtarchiv Halle.

13 Stadtarchiv Halle, Sammelmappe IV/5. 14 Norbert Böhnke, Neuerungen im Alt-Anhaltischen

Regiment, in: http://www.ifhas.de/barockeshalle.htm

(1.1.2007).15 Vgl. Ursula Schmiedgen, Dorothea Christiana Lepo-

rin, verheiratete Erxleben (1715-1762). Pfarrfrau und

streitbare Ärztin in Quedlinburg, in: Eva Brinkschulte /

Eva Labouvie (Hg.), Dorothea Christiana Erxleben.

Weibliche Gelehrsamkeit und medizinische Profession

seit dem 18. Jahrhundert, Halle 2006, S. 32-54, hier S.

48-50. 16 Hans-Joachim Kertscher, Exkurs Johann Ernst Philippi,

in: Ders., „Dis ist die schöne Stadt, die Halle wird ge-

nennet“ (unveröffentlichtes Manuskript).17 Siegmar Baron von Schulze-Galléra, Christian Andre-

as Käsebier. Ein Erzbösewicht aus Alt-Halle, 7-teilige

Serie in: Heide-Bote 8 (1934) Nr. 48-52 und 9 (1935) Nr.

1-2.18 Diese und die folgende Begebenheit aus: Stadtar-

chiv Halle, Sammelmappe IV/23. 19 Der Markt ist viermal heller, in: Freiheit vom 11. April

1965. 20 http://hallanzeiger.de/archiv/lokalnachricten/2003/

beleuchtung.htm?seite=3 (1.1.2007). 21 Bahrdts Weinberg befand sich sehr wahrscheinlich

auf dem Gelände der späteren Irrenanstalt Nietleben

an der Heideallee. Vgl. Stadtarchiv Halle, Familienar-

chiv Karl Friedrich Bahrdt 949.22 Das Artilleriegefecht zwischen der preußisch-öster-

reichischen Koalitionsarmee und französische Revo-

lutionstruppen brachte die Richtung Paris marschie-

renden Koalitionstruppen zum Stehen; die Revoluti-

onstruppen gingen von der Defensive in die Offensive

über. Goethe, der an dem Feldzug teilnahm, soll am

Abend nach der Kanonade zu Offizieren gesagt ha-

ben: „Von hier und heute geht eine neue Epoche der

Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid da-

75

bei gewesen.“ Vgl. Stefan Winkle, Die Ruhr als Kriegs-

seuche während der Campagne in Frankreich 1792 in

den Aufzeichnungen von Goethe und Laukhard, in:

Hamburger Ärzteblatt 42 (1988), S. 13-20.23 Vgl. H. Peter Brandt, Friedrich Christian Laukhards

Leben und Leiden, Idar-Oberstein 2001; Stadtarchiv

Halle, Familienarchiv Friedrich Christian Lau(c)khard

2045; Stefan Winkle, Die Ruhr als Kriegsseuche wäh-

rend der Campagne in Frankreich 1792 in den Auf-

zeichnungen von Goethe und Laukhard. 24 Stadtarchiv Halle, Familienarchiv Friedrich Ludwig

Jahn 2926. 25 Stadtarchiv Halle, Familienarchiv Ph.F.Th. Meckel

1438. 26 Stadtarchiv Halle, Familienarchiv Johann Christian

Reil 11075 I, II.27 Vgl. Uta Monecke, Zwischen staatlicher Obrigkeit

und bürgerlichem Aufbruch. Preußische Zensur und

städtische Zensoren in Halle und Naumburg 1816-

1848, Halle 2006. 28 Stadtarchiv Halle, Familienarchiv Wislicenus 42.29 Stadtarchiv Halle, Familienarchiv Gustav Rawald

2623. 30 Zu halleschen Originalen vgl. Stadtarchiv, Sammel-

mappe IV/22. 31 Stadtarchiv Halle, Familienarchiv Zither-Reinhold

2603. 32 Vgl. Dirk Schumann, Politische Gewalt in der Wei-

marer Republik 1918-1933, Essen 2001; Stadtarchiv

Halle, Sammelmappe I/10. 33 Aus: Joachim Bagemühl (Hg.), An der Saale hellem

Strande. Literarische Streifzüge durch die Landschaft

zwischen Elbe und Harz, Halle-Leipzig 1987, S. 109f.34 Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Die Stadt Halle,

Halle 1930, S. 259. 35 Quelle: Ausstellung „Halle - Stadt der Arbeit“, Stadt-

museum 2006/07.36 Zeitungsnotiz in der „Freiheit“ 1961, genaues Datum

unbekannt. 37 Ludwig Ehrler, Maler und ehemaliger Rektor der

Hochschule für Kunst und Design „Burg Giebichen-

stein“, im Interview mit Tobias Barth. 38 Offenbar beschossen die US-Truppen den Turm,weil

sie darin einen deutschen Artilleriebeobachter ver-

muteten. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Roter_

Turm_(Halle) (1.1.2007).39 Hans Naundorf, Der Brand des Roten Turmes, ma-

schinengeschr. Bericht, 5 S., Stadtarchiv Halle.40 Vgl. das Interview mit Kurt Marholz: Die Meinung des

Denkmalpflegers, in: Der Neue Weg vom 30. Dezem-

ber 1964. 41 Manfred Anders, Fred Frohberg. Zwei gute Freunde,

Halle 2001, S. 32f.42 Vgl. Udo Grashoff, Erhöhter Vorkommnisanfall. Aktio-

nen nach der Biermann-Ausbürgerung im Bezirk Halle,

Halle 2001. 43 Vgl. Udo Grashoff, Keine Gewalt! Der revolutionäre

Herbst 1989 in Halle an der Saale, Halle 2004. 44 Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Halle im Roko-

ko, Halle 1935, S. 6.45 Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Die Stadt Halle,

Halle 1930, S. 246.46 Paul Frankl, Die Physiognomie des Geistigen Halle,

1931. 47 Hendryk Löhr, Pflastergestaltung in der Innenstadt,

in: Arbeitskreis Innenstadt, Heft Mai 2003. 48 Darüber berichtet die Saale-Zeitung in einer Notiz

am 3. Februar 1936, in: Stadtarchiv Halle, Häuserar-

chiv 126. 49 Nach der gleichnamigen Anekdote in: Ernst Bun-

gers, Närrsche Leide, Halle 1929, S. 81-84. 50 Vgl. Stadtarchiv Halle, Familienarchiv Johann Fried-

rich Reichardt 11000. 51 http://de.wikiquote.org/wiki/Halle_an_der_Saale

(1.1.2007). 52 Vgl. Felix Graf von Luckner, Aus siebzig Lebensjahren,

Biberach 1955; Norbert von Frankenstein, „Seeteufel“

Felix Graf Luckner. Wahrheit und Legende, Hamburg

1997. 53 Vgl. Der Joodler, in: Liberaldemokratische Zeitung

76

vom 4. Februar 1976; Jedrällert un jefiffen, in: Mittel-

deutsche Neueste Nachrichten vom 8. Juni 1978.54 Peter Wawerzinek, Es läßt sich keiner umerziehn, in:

Tageszeitung vom 19. Juli 1990, S. 17. 55 Stadtarchiv, Sammelmappe IV/23. 56 Vgl. http://hoelle.free.fr/eitag.html 57 Vgl. Szenen aus Halle – Westdeutsche Seilschaft gibt

die Richtung an, in: Frankfurter Rundschau vom 3. De-

zember 1990, S. 7; Die fünf Türme beherrschen Halles

Markt – doch wer beherrscht Halle? In: Hallesches

Tageblatt vom 5. November 1990, S. 3.58 Steffen Reichert, Wie mit einem Deal in Halle die Mil-

lionen verschoben wurden, in: Mitteldeutsche Zeitung

vom 8. Juni 1991, S. 18.59 Vgl. Michael Jürgs, Die Treuhändler, München 1998,

bes. S. 356-363.60 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 14709, Bl. 118. 61 Schultze-Galléra nimmt an, dass die Rolandsfi-

gur mehrfach dem Zeitgeschmack angepasst wur-

de. „Möglich, daß bei der Wiederaufrichtung des

Rolandbildes 1854 bedeutendere Aenderungen

vorgenommen worden sind, denn die Repara-

turkosten beliefen sich auf 222 Taler; so mag die

Krone vom Haupte herabgemeißelt sein, vielleicht

ist auch der Schild getilgt worden.“ Vgl. Siegmar

Baron von Schultze-Galléra, Die Sagen der Stadt

Halle und des Saalkreises, Halle 1922, S. 32, zit. 53.62 Max Schwab, Der geologische Untergrund der Stadt

Halle und die „Hallesche Marktplatzverwerfung“, in:

Werner Freitag/Andreas Ranft (Hg.), Geschichte der

Stadt Halle, Halle 2006, Bd. 1, S. 78-90, zit. 84.

Literatur, Quellen zur Stadtgeschichte

Stadtarchiv Halle, Häuserarchiv 126

Stadtarchiv Halle, Familienarchiv: Karl Friedrich Bahrdt

949; Joseph von Eichendorff 1458; Dorothea Erxleben

2550; Georg Händel 3214; Friedrich Ludwig Jahn 2926;

Fritz Kloppe 11237; Friedrich Christian Lauckhardt

2045; Ph.F.Th. Meckel 1438; Thomas Müntzer 2927;

Gustav Rawald 2623; Johann Christian Reil 11075 I, II;

Wislicenus 42; Zither-Reinhold 2603.

Stadtarchiv Halle, Sammelmappen I/6, I/10, I/20, I/21,

IV/5, IV/22, IV/23, IV/25.

Stadtarchiv Halle, Mappe VI 11.

Werner Freitag/Andreas Ranft (Hg.), Geschichte der

Stadt Halle, Halle 2006.

Werner Freitag, Halle 806 bis 1806. Salz, Residenz und

Universität. Eine Einführung in die Stadtgeschichte,

Halle 2006.

Volker Hermann, Die Entwicklung von Halle (Saale) im

frühen und hohen Mittelalter, Halle 2001.

Hans-Joachim Mrusek, Halle/Saale, Leipzig 1960.

Heinrich L. Nickel (Hg.), Das Hallesche Heiltumbuch

von 1520, Halle 2001.

Martin Schellbach, Kampf und Sieg der Reformation

in Halle, Halle 1941.

Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Die Sagen der

Stadt Halle und des Saalkreises, Halle 1922.

Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Die Stadt Halle,

Halle 1930.

Siegmar Baron von Schultze-Galléra, Halle im Rokoko,

Halle 1935.

Holger Zaunstöck (Hg.), Halle zwischen 806 und 2006,

Halle 2001.