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Uber das Leben auf dem Lande und sanfte Energietechnologien ,Wir sind ein recht genudfroher Haufen in Bschaid.. . Auf unserem Boden, in umserem Haus arbeiten wir fur unsere Grundbedurf- nisse: Essen, Obdach, Warme, Lebensfreu- de.. . Wir Neo-Selbstversorger und kleinbiir- gerlichen Kommunarden sind zwar keine ka- pitaltrachtigen Biobetriebsleiter, aber Schma- rotzer der Gesellschaft sind wir deswegen noch lange nicht.. . Wir zahlen fur Strom 30 Mark im Monat.. . Dam kommen (jetzt pro Jahr!), alles grob geschatzt, etwa 100 Mark fur Traktortreibstoff, 50 furs Dreschen, 50 fur den Tierarzt.. . " Diese Satze sind einem Aufsatz von R. Dil- loo in ,Die Zeit" vom 21. Marz 1980 ent- nommen, in dem das Leben einer Landkom- mune in Bschaid/Niederbayern geschildert wird, die unabhangig sein mochte und dafur Armut in Kauf nimmt. Die Menschen dort streben im Zuge der ,Landflucht in reverse" einem Lebensideal nach, das heute fur viele verlockend erscheint und auch mich - das mochte ich hier klar bekennen - immer wie- der gereizt hat. Die Frage ist nun, ob solch eine Lebensvor- stellung fur die menschliche Gesellschaft ins- gesamt denkbar ware. Hierzu sollten wir uns die Randbedingungen etwas naher betrach- ten, unter der die oben vorgestellte Kommu- ne lebt. Die Menschen dort behaupten von sich, kei- ne Schmarotzer der Gesellschaft zu sein. Dies scheint in finanzieller Hinsicht zuzu- treffen. Die energetische Autarkie mud man dagegen schlicht und einfach verneinen. Die Gemeinschaft verbraucht Elektrizitat, wel- che ,irgendwo" in einem umweltverschmut- zenden Kohle- oder Kernkraftwerk erzeugt wird. Die Zahl der ,Sklaven", die sich unsere Kommune hierdurch ,halt", kann mit rund 6 errechnet werden. Fur 30 DM Strom kann man namlich ganz uberschlagsmadig 120 kWh/Monat Arbeitsleistung erhalten. Ande- rerseits kann man fur die menschliche Ar- beitskraft etwa 80 Watt uber 8 Stunden pro Tag ansetzen (und beschwort dabei vielleicht schon friihindustrielle Verhdtnisse zuruck). Dariiber hinaus betreibt die Kommune einen Traktor (mit 30 Pferdestarken?!) und Iadt dreschen. Der Energiekonsum hierbei kann auf Grund der angegebenen Kosten mit rund 1500 kWh jahrlich abgeschatzt werden, so dad noch einmal 6 Sklaven notig sind, falls man ganz- lich Abstand von der unerwunschten Tech- nologie halten mochte. Auch die (prompte!) Verfugbarkeit einer arztlichen Versorgung rnit Krankenhaus, mit Rettungswagen - oder -hubschrauber mud mitberiicksichtigt werden. Und wer wohl konnte in einer primitiven Agrargesellschaft all jene Medikamente entwickeln und produ- zieren, die wesentlich an unserer hohen Le- benserwartung von rund 70 Jahren Anteil ha- ben. Von der Hausheizung - bekanntlich der Energiefresser Nummer eins - haben die Neubauern uberhaupt nicht gesprochen. Ich nehme an, sie besorgen sich (vollig legitim) Brennholz in den niederbayerischen Wal- dern. Falls allerdings jedermann dies prakti- zierte, verschwanden unsere Wdder ebenso rasch wie die in Indien an den Hangen des Himalaya. Obwohl man noch uber Herkunft und Transport von Baumaterial, Werkzeugen und Geraten nachdenken konnte, ist wohl schon jetzt klar geworden, dad ein Landle- ben fur alle wohl nicht (wie am Ende des Zeit-Artikels behauptet wird) ein gesundes Volk von Bauern zur Konsequenz hatte. Fur einzelne Zivilisationsmiide allerdings wird unsere Gesellschaft immer genugend Back-up in Form von Energie und Service zur Verfugung stellen konnen. Wer hiervon Gebrauch macht, sollte dann aber wenigstens die intellektuelle Redlichkeit besitzen, die fortbestehende Abhangigkeit von der Gesellschaft einzugestehen. Noch schoner ware ein stilles Dankeschon - etwa fur den Kumpel unter Tage, der Gesundheit und Leben riskiert, wenn er Kohle fordert, die letztlich auch den Strombedarf des landli- chen Neusiedlers deckt. Vielleicht noch ein paar Bemerkungen zu der Landflucht in reverse, die sich hierzulande aus Abneigung vor ,stinkenden und gefahrli- chen Grodkraftwerken", vor ,unmenschli- chen Betonblocken" und ,vollautomatisier- ten Fabrikanlagen" einerseits sowie ,Plastik- kase, Hormon-Fleisch und Fischmehleiern" andererseits immer deutlicher bemerkbar macht. Abgelehnt wird die harte Grodtech- nologie auf allen Sektoren, sei es im Nah- rungsmittelbereich, in der Stahlerzeugung oder -Verarbeitung oder der Energietechnik. Erwiinscht sind ,sanfte" Technologien, mit dezentralen und angepadten Einheiten. Dies gilt insbesondere auch fur die Energietech- nik, wo - krad formuliert - das Grodkraft- werk gegen den Sonnenkollektor auf dem Dach gestellt wird. Dabei ubersehen viele ,,Dezentralisten", dai3 zur Herstellung der dezentralen Einheit wie- derum Grodtechnologie notig ist. Weiter ist in diesem Zusammenhang wichtig, mit wel- chem Energie-System man die besten ,Ernte- faktoren" erhalt oder anders gefragt, wo sich die ins System investierte Energie am ehesten amortisiert. Leider sind derzeit die Erntefak- toren fur die bisher eingesetzten dezentralen Sonnenenergie-Nutzungssysteme sehr vie1 ungiinstiger als fur fossile oder Kern- Kraftwerke. Wenn wir uns zu guter Letzt noch vor Augen halten, dad die Menschheit in wenigen Jahr- zehnten wohl auf 8 Milliarden Kopfe ange- wachsen sein wird, sollte uns die Entschei- dung, die effektivere Grodtechnologie nicht einfach auszuklammern, nicht mehr schwer- fallen. Indien jedenfalls hat sich in dieser Richtung entschieden; es baut auf Kernkraft- werke, um der Abholzung seiner Walder ein Ende zu setzen und um von der dort unzu- verlassigen Energiequelle Wasserkraft (oft bleibt der Monsunregen aus) wegzukommen. Redaktion Physik in unserer Zeit / 11. Jahrg. 1980 / Nr. 3 95

Über das Leben auf dem Lande und sanfte Energietechnologien

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Uber das Leben auf dem Lande und sanfte Energietechnologien

,Wir sind ein recht genudfroher Haufen in Bschaid.. . Auf unserem Boden, in umserem Haus arbeiten wir fur unsere Grundbedurf- nisse: Essen, Obdach, Warme, Lebensfreu- de.. . Wir Neo-Selbstversorger und kleinbiir- gerlichen Kommunarden sind zwar keine ka- pitaltrachtigen Biobetriebsleiter, aber Schma- rotzer der Gesellschaft sind wir deswegen noch lange nicht.. . Wir zahlen fur Strom 30 Mark im Monat.. . Dam kommen (jetzt pro Jahr!), alles grob geschatzt, etwa 100 Mark fur Traktortreibstoff, 50 furs Dreschen, 50 fur den Tierarzt.. . "

Diese Satze sind einem Aufsatz von R. Dil- loo in ,Die Zeit" vom 21. Marz 1980 ent- nommen, in dem das Leben einer Landkom- mune in Bschaid/Niederbayern geschildert wird, die unabhangig sein mochte und dafur Armut in Kauf nimmt. Die Menschen dort streben im Zuge der ,Landflucht in reverse" einem Lebensideal nach, das heute fur viele verlockend erscheint und auch mich - das mochte ich hier klar bekennen - immer wie- der gereizt hat.

Die Frage ist nun, ob solch eine Lebensvor- stellung fur die menschliche Gesellschaft ins- gesamt denkbar ware. Hierzu sollten wir uns die Randbedingungen etwas naher betrach- ten, unter der die oben vorgestellte Kommu- ne lebt.

Die Menschen dort behaupten von sich, kei- ne Schmarotzer der Gesellschaft zu sein. Dies scheint in finanzieller Hinsicht zuzu- treffen. Die energetische Autarkie mud man dagegen schlicht und einfach verneinen. Die Gemeinschaft verbraucht Elektrizitat, wel- che ,irgendwo" in einem umweltverschmut- zenden Kohle- oder Kernkraftwerk erzeugt wird. Die Zahl der ,Sklaven", die sich unsere Kommune hierdurch ,halt", kann mit rund 6 errechnet werden. Fur 30 DM Strom kann man namlich ganz uberschlagsmadig 120 kWh/Monat Arbeitsleistung erhalten. Ande- rerseits kann man fur die menschliche Ar- beitskraft etwa 80 Watt uber 8 Stunden pro Tag ansetzen (und beschwort dabei vielleicht schon friihindustrielle Verhdtnisse zuruck).

Dariiber hinaus betreibt die Kommune einen Traktor (mit 30 Pferdestarken?!) und Iadt dreschen.

Der Energiekonsum hierbei kann auf Grund der angegebenen Kosten mit rund 1500 kWh jahrlich abgeschatzt werden, so dad noch einmal 6 Sklaven notig sind, falls man ganz-

lich Abstand von der unerwunschten Tech- nologie halten mochte.

Auch die (prompte!) Verfugbarkeit einer arztlichen Versorgung rnit Krankenhaus, mit Rettungswagen - oder -hubschrauber mud mitberiicksichtigt werden. Und wer wohl konnte in einer primitiven Agrargesellschaft all jene Medikamente entwickeln und produ- zieren, die wesentlich an unserer hohen Le- benserwartung von rund 70 Jahren Anteil ha- ben.

Von der Hausheizung - bekanntlich der Energiefresser Nummer eins - haben die Neubauern uberhaupt nicht gesprochen. Ich nehme an, sie besorgen sich (vollig legitim) Brennholz in den niederbayerischen Wal- dern. Falls allerdings jedermann dies prakti- zierte, verschwanden unsere Wdder ebenso rasch wie die in Indien an den Hangen des Himalaya.

Obwohl man noch uber Herkunft und Transport von Baumaterial, Werkzeugen und Geraten nachdenken konnte, ist wohl schon jetzt klar geworden, dad ein Landle- ben fur alle wohl nicht (wie am Ende des Zeit-Artikels behauptet wird) ein gesundes Volk von Bauern zur Konsequenz hatte.

Fur einzelne Zivilisationsmiide allerdings wird unsere Gesellschaft immer genugend Back-up in Form von Energie und Service zur Verfugung stellen konnen.

Wer hiervon Gebrauch macht, sollte dann aber wenigstens die intellektuelle Redlichkeit besitzen, die fortbestehende Abhangigkeit von der Gesellschaft einzugestehen. Noch schoner ware ein stilles Dankeschon - etwa fur den Kumpel unter Tage, der Gesundheit und Leben riskiert, wenn er Kohle fordert, die letztlich auch den Strombedarf des landli- chen Neusiedlers deckt.

Vielleicht noch ein paar Bemerkungen zu der Landflucht in reverse, die sich hierzulande aus Abneigung vor ,stinkenden und gefahrli- chen Grodkraftwerken", vor ,unmenschli- chen Betonblocken" und ,vollautomatisier- ten Fabrikanlagen" einerseits sowie ,Plastik- kase, Hormon-Fleisch und Fischmehleiern" andererseits immer deutlicher bemerkbar macht. Abgelehnt wird die harte Grodtech- nologie auf allen Sektoren, sei es im Nah- rungsmittelbereich, in der Stahlerzeugung oder -Verarbeitung oder der Energietechnik. Erwiinscht sind ,sanfte" Technologien, mit

dezentralen und angepadten Einheiten. Dies gilt insbesondere auch fur die Energietech- nik, wo - krad formuliert - das Grodkraft- werk gegen den Sonnenkollektor auf dem Dach gestellt wird.

Dabei ubersehen viele ,,Dezentralisten", dai3 zur Herstellung der dezentralen Einheit wie- derum Grodtechnologie notig ist. Weiter ist in diesem Zusammenhang wichtig, mit wel- chem Energie-System man die besten ,Ernte- faktoren" erhalt oder anders gefragt, wo sich die ins System investierte Energie am ehesten amortisiert. Leider sind derzeit die Erntefak- toren fur die bisher eingesetzten dezentralen Sonnenenergie-Nutzungssysteme sehr vie1 ungiinstiger als fur fossile oder Kern- Kraftwerke.

Wenn wir uns zu guter Letzt noch vor Augen halten, dad die Menschheit in wenigen Jahr- zehnten wohl auf 8 Milliarden Kopfe ange- wachsen sein wird, sollte uns die Entschei- dung, die effektivere Grodtechnologie nicht einfach auszuklammern, nicht mehr schwer- fallen. Indien jedenfalls hat sich in dieser Richtung entschieden; es baut auf Kernkraft- werke, um der Abholzung seiner Walder ein Ende zu setzen und um von der dort unzu- verlassigen Energiequelle Wasserkraft (oft bleibt der Monsunregen aus) wegzukommen.

Redaktion

Physik in unserer Zeit / 11. Jahrg. 1980 / Nr. 3 95