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Uber die Aussichten einer therapeutischen Beeinflussung der progressiven Paralyse. 1) Von Oskar Fischer (Prag) (Eingegangen am 28. Januar 1911.) Die progressive Paralyse gilt bekanntlich als eine unheilbare, zur vollkommenen VerblSdung und zum Tode fiihrende Krankheit, die entweder gleichm~l~ig oder schubweise fortschreitet; seltener kommt es zu Stillst~nden oder auch zu Remissionen mit wesentlicher Besserung der somatischen und psychischen Symptome, wonach abet dann doch die Rezidiven mit um so grS~erer Wucht einsetzen. In der Literatur finden sich als groi~e Seltenheiten einzelne F~lle, deren Krankheit symptomatologisch vollkommen einer Paralyse entsprach, die aber doch in vollkommene Genesung iiberging. Ein Tell dieser F~lle blieb auch bei mehrj~hriger Beobachtung geistig gesund (manche davon waren tabisch), beim anderen Teil erschien auch nach mehrj~hriger geistiger Gesundheit und ungestSrter Berufsti~tigkeit wieder die ur- spriingliche Krankheit, die bei den meisten der publizierten F~lle zura Tode fiihrte. Solche FSlle sind, wie gesagt, sehr selten [Literatur siehe bei v. Halban ~) und I~ubina)]; deswegen wurde mit einer gewissea Berechtigung immer wieder hervorgehoben, da{~ hier Fehldiagnosea doch nicht ganz ausgeschlossen sind, besonders in Anbetracht dessen, dab die meisten derselben aus der ~lteren Zeit stammen, wo der Krank- heitsbegriff der Paralyse noch nicht ganz fixiert war; aus diesera Grunde ist auch der Einwand Alzheimers ganz berechtigt, da[~ solche geheilten Paralysen eventuell nichts anderes sind als zur Heilung gelangte spezifisch-luetlsche Hirnerkrankungen, besonders wenn man bedenkt, dal~ es uns bei unseren modernen ziemlich welt vorgeschrlttenen Hilfsmitteln auch heute noch nicht immer mSglich ist, eine sichere Diagnose intra vitam zu stellen. Diese Erkl~rung pa~t abet nicht fiir aUe derartigen FSlle, well bereits bei einigen derselben nach dem in 1) Vortrag, gehalten in der ,,Wissenschaftlichen Gesellschaft deutscher J~rzte in BShmen" in Prag am 3. Februar 1911. 2) Zur Prognose der progressiven Paralyse. Jahrb. f. Psych. 22. 190"2. a) Uber einen Fall progressiver Paralyse yon abnorm langer Dauer. Dissert Heidelberg 1910.

über die Aussichten einer therapeutischen Beeinflussung der progressiven Paralyse

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Page 1: über die Aussichten einer therapeutischen Beeinflussung der progressiven Paralyse

Uber die Aussichten einer therapeutischen Beeinflussung der progressiven Paralyse. 1)

Von Oskar Fischer (Prag)

(Eingegangen am 28. Januar 1911.)

Die progressive Paralyse gilt bekanntlich als eine unheilbare, zur vollkommenen VerblSdung und zum Tode fiihrende Krankheit , die entweder gleichm~l~ig oder schubweise fortschreitet; seltener kommt es zu Stillst~nden oder auch zu Remissionen mit wesentlicher Besserung der somatischen und psychischen Symptome, wonach abet dann doch die Rezidiven mit um so grS~erer Wucht einsetzen. In der Literatur finden sich als groi~e Seltenheiten einzelne F~lle, deren Krankheit symptomatologisch vollkommen einer Paralyse entsprach, die aber doch in vollkommene Genesung iiberging. Ein Tell dieser F~lle blieb auch bei mehrj~hriger Beobachtung geistig gesund (manche davon waren tabisch), beim anderen Teil erschien auch nach mehrj~hriger geistiger Gesundheit und ungestSrter Berufsti~tigkeit wieder die ur- spriingliche Krankheit , die bei den meisten der publizierten F~lle zura Tode fiihrte. Solche FSlle sind, wie gesagt, sehr selten [Literatur siehe bei v. H a l b a n ~) und I~ubina)] ; deswegen wurde mit einer gewissea Berechtigung immer wieder hervorgehoben, da{~ hier Fehldiagnosea doch nicht ganz ausgeschlossen sind, besonders in Anbetracht dessen, dab die meisten derselben aus der ~lteren Zeit stammen, wo der Krank- heitsbegriff der Paralyse noch nicht ganz fixiert war; aus diesera Grunde ist auch der Einwand A l z h e i m e r s ganz berechtigt, da[~ solche geheilten Paralysen eventuell nichts anderes sind als zur Heilung gelangte spezifisch-luetlsche Hirnerkrankungen, besonders wenn man bedenkt, dal~ es uns bei unseren modernen ziemlich welt vorgeschrlttenen Hilfsmitteln auch heute noch nicht immer mSglich ist, eine sichere Diagnose intra vitam zu stellen. Diese Erkl~rung pa~t abet nicht fiir aUe derartigen FSlle, well bereits bei einigen derselben nach dem in

1) Vortrag, gehalten in der ,,Wissenschaftlichen Gesellschaft deutscher J~rzte in BShmen" in Prag am 3. Februar 1911.

2) Zur Prognose der progressiven Paralyse. Jahrb. f. Psych. 22. 190"2. a) Uber einen Fall progressiver Paralyse yon abnorm langer Dauer. Dissert

Heidelberg 1910.

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O. Fischer: Uber die Aussichten einer therapeutischen Beeinflussung usw. 483

dem Rezidiv erfolgten Tode auch paralytische Ver~nderungen des Gehirns histologisch festgestellt werden konnten. Fiir einen Tell dieser F~ille muB man also die Paralyse doch gelten lassen, aul3er, man faBt die Erkrankung als eine Lues cerebri auf, nach deren Heilung sich erst eine Paralyse einstellte, eine Erkl~rung, fiir die wir noch weniger Anhaltspunkte h~,tten. Bei diesem Sachverhalt miiBte man sich fragen, ob man einen Zustand, in dem ein Paralytiker fiir l~ngere Zeit wieder geistig ganz normal wird, als Remission oder gar als wirkliche Heilung der progressiven Paralyse aufzufassen hat. Vom Standpunkt der rein klinischen Symptomatologie kSnnte man yon einer Heilung sprechen; wenn man aber als Hauptcharakteristicum der Krankheit den patho- logischen Prozel3 ansieht, dann mu~ man die MSglichkeit zugeben, dab wir hier sowie bei anderen Krankheiten - - ich verweise besonders auf die Tuberkulose - - e i n e n l a t e n t e n , d. h. e i n e n fiir u n s e r e k l i n i s c h e n H i l f s m i t t e l n i c h t d i a g n o s t i z i e r b a r e n P r o z e ~ vor u n s h a b e n . In dieser Frage sollte jedenfalls auch die Histo- pathologie mitsprechen, die doch in den letzten Jahren direkt aus- schlaggebend fiir die Umgrenzung des Krankheitsbildes des Paralyse geworden ist. Man miiBte zu diesem Behufe eine genaue Kenntnis der histologisehen Ver~nderungen des Gehirns solcher F~lle verlangen, die einmal an einem Krankheitsbild, das wir zu dem der progressiven Paralyse rechnen miissen, erkrankt waren, die dann geheilt und nach l~ngerer Zeit in geistiger Frische an einer interkurrenten Krankheit gestorben sind. Dieser Forderung entspricht bis jetzt nur ein einziger Fall: Es ist dies der geheilte Paralytiker T uczeksZ), der sparer yon K n o b l a u c h 2) beobachtet und obduziert wurde. Wegen der Wichtig- keit des Falles sollen einige kurze Daten dariiber mitgeteilt werden.

Es handelte sich um einen 36 Jahre alten Postsehaffner, der im Jahre 1877 an der Marburger Klinik beobachtet wurde. Es war eine typische megalomanische Paralyse mit Sprachst5rung, Tremor, Blasen- st6rungen und paralytischen Anf~llen, aber ohne PupillenstSrung. Es entwickelte sich Decubitus und Cystitis und schlieBlich brachte eine Pneumonie den Kranken hart an den Rand des Grabes. AllmKhlieh besserte sieh der Zustand des Kranken u n d e r wurde im Jahre 1878 gebessert entlassen. Sp~ter trat eine vollkommene Genesung ein, er war wieder in seinem Berufe t~tig und avaneierte. 1884 wurde eine Tabes konstatiert, die langsam fortsehritt; im Juli 1898 wurde dann der Kranke im paralytisehen Stadium einer sehweren Tabes ins Frank- furter Siechenhaus aufgenommen. Psyehisch zeigte er eine leichte

1) Beitri~ge zur pathologischen Anatomie und Pathologie der Dementia para- lytiea. Berlin 1884.

2) Kno bl au ch, Klinik und Atlas der ehronischen Krankheiten des Zentral- nervensystems. Berlin 1909. Verlag yon Julius Springer.

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Verwirrtheit und Desorientiertheit, aber nichts Paralytisches. Er starb nach 14t~giger Beobachtung. ,,Das Gehirn war makroskopisch normal, bei der mikroskopischen Untersuehung wurden keinerlei ffir Dementia paralytica eharakteristisehe Veriinderungen gefunden. Im Rfickenmark war dagegen typische graue Degeneration der Hinter- striinge schon mit bloftem Auge erkennbar."

Es kSnnte also dieser Fall als Beweis dafiir angesehen werden, daft eine Paralyse auch in anatomischem Sinne heilen kann; man wird aber bei solchen Fiillen d o c h i m m e r d a r a n z w e i f e l n kSnnen, daft das Gehirn auch wi~hrend der ersten Erkrankung paralytisch erkrankt gewesen ist; e in a b s o l u t e r Beweis wi rd in d i e se r F r a g e se lbs t - v e r s t i i n d l i c h nie e r b r a c h t w e r d e n k S n n e n .

Doeh, wie aueh die Auffassung der Remissionen bei der Paralyse ausfallen mag, vom praktischen Standpunkte bleiben sie besonders deswegen interessant, weil sic uns bei der Therapie als erstrebenswertes Ziel erscheinen mfissen ; und dazu hat uns die Natur bereits gar manchen, wenn auch nicht immer beachteten Wink gegeben.

Es ist schon in den ersten Anf~ingen der klinischen Psychiatrie aufgefallen, daft die verschiedensten Psychosen dutch interkurrente fieberhafte Erkrankungen unverhiiltnismiiftig gfinstig beeinfluftt werden, ein Umstand, der trotz der interessanten Arbeiten v. W a g n e r s 1) und seines Schiilers B o e e k 2) spS, ter kaum berficksichtigt worden ist. Das- selbe gilt auch ffir die progressive Paralyse ,indem jene F~ille, welehe eitrig-septisehe Erkrankungen im Laufe ihrer Paralyse durehgemaeht haben, sehr gem zu Remissionen neigen; ja beinahe alle Fiille yon weitgehenden Remissionen und ,,Heilung" der Paralyse, von denen die Litteratur berichtet, haben eine fieberhafte Eiterung fiberstanden. Auf Grund dieser riehtigen Beobachtungen - - die urspriinglich der damaligen Auffassung entsprechend zu falschen Vorstellungen gefiihrt batten - - florierte bei der Paralyse die Therapie mittels Moxen und Derivantien. L. M e y e r 3) hat dann diese Therapie weiter ausgebaut, indem er mittels Brechweinsteinsalbe Nekrosen und chronische Eite- rungen der Kopfschwarte setzte und diese in stS, ndiger Eiterung erhielt. Obzwar M e y e r im Jahre 1877 unter 15 so behandelten Fiillen von 7 Heilungen berichten konnte, von denen 4 fiber 3 Jahre (bis zur Publi- kation) gesund blieben, hat man spiiter von dieser Art von Therapie nichts mehr gehSrt; wohl deshalb, weil dabei als unerwfinsehte Neben- wirkung schwere Nekrosen des Schiideldaches aufgetreten sind.

1) Die Einwirkung fieberhafter Erkrankungen auf Psychosen. Jahrb, f. Psych. 7. 1887.

2) Versuche fiber die Einwirkung kiinstlich erzeugten Fiebers bei Psychosen. Jahrb. f. Psych. 14. 1894.

a) Die Behandlung der allgemeinen progressiven Paralyse. Berl. klin. Wochensch. 1877. Nr. 2].

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ei.er therapeutischel~ Beeinflussung der prooressi~en P;~ralyse. 485

Sps als sich die Auffassung fiber die Derivantien wesentlich ge~ndert hatte, suchtc mail in dem fieberhaften Zustande den Grund fiir die so gfinstige Wirkung jener interkurrenten Erkrankungen, und in Verfolgung dieser Auffassung schlugen v. W a g n e r und B o e c k vor, die Kranken mit fiebererzeugenden, sonst aber unschs Bakterien- toxinen zu behandeln; dazu ws sie das damals am leichtesten erh~ltliche Tuberkulin. B o e c k 1) konnte bald iiber gfinstige Resultate bei der Behandlung bei verschiedenen Psychosen berichten und Pi lc~ 2) zeigte sparer, dab sich nach der Tuberkulinbehandlung die durchschnitt- liche Lebensdauer einer grSf~eren Reihe von Paralysen nicht nur wesent- lich verl~ngerte, sondern dal~ auch grol3e Remissionen auftraten, die in einigen Fs his zur Erwerbsf/ihigkeit der Kranken geffihrt haben. In allerletzter Zeit hat v. W a g n e r a) in einem Vortrage wieder auf die gfinstigen Erfolge der Tuberkulintherapie der Paralysen hingewiesen und betonte wieder, dab man manchmal auch bei sicheren Paralysen ein derartiges Zurfickgehen aller Symptome beobachten kann, dab man immerhin yon einer Heilung sprechen dfirfe.

Im Jahre 1903 bin ich auf Grund der Versuche L. Me ye r s ebenfalls an die Frage der therapeutisehen Beeinflussung der Paralyse heran- getreten, jedoch auf andere theoretische Vorstellungen gestfitzt; es ist n~mlich der auch yon v. W a g n e r betonte Umstand auffallend, dal~ die Paralyse gerade yon denjenigen fieberhaften Prozessen gfinstig beeinfluBt wird, welche sich dutch langdauernde profuse Eiterungen auszeichnen. Solche Eiterungsprozesse waren frfiher aus selbstver- sts Grfinden viel hs und gerade das ist zum grSl~ten Tell der Grund daffir, dal~ die iiltere Literatur fiber viel mehr Heilungen der Paralyse zu berichten weii3 als die moderne. Von diesen eiterigen Prozessen wissen wir nun, daf~ sic immer mit einer Vermehrung der Blutleukocyten einhergehen; es lag deshalb die Annahme nahe, dab wir nicht in dem fieberhaften Proze[~ allein und als solchen das wirk- same Agens zu suchen haben, sondern in der Vermehrung der Leuko- cyten, denen wir ja seit M e t s c h n i k o f f mit guten Grfinden eine grol~e Rolle bei manchen Reparations- und Entgiftungsvorgs zuzu- schreiben haben. Ich versuchte schon damals bei Paralytikern kfinst- lich eine Leukocytose zu erzielen; nicht publizierte Versuche mit den damals bekannten positiv chemotaktischen Mitteln, dem Aleuronat und dem Terpentin, fiihrten zu keinem Resultat. Als dann sp~ter in der Nucleins~ure eine unsch~dliche und leicht injizierbare Substanz entdeckt wurde, welche unter leichter Fiebersteigerung zu einer hohen

1) Uber (lie Einwirkung kiinstlichen Fiebel's ~uff Psychosen. Jahrb. Psych. 14. 2) I~ber Heilversuche an Paralytikern. Jahrb. f. Psych. ~5. 1905. a) (Tber die Belmndlung der progressiven lh~r~lyse. Wiener me(1. Wochensch.

1909. Nr. 37.

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486 (). Fiscl)er: (~'ber die Ausslchten

Leukocytose des Blutes ffihrt, griff ich im Jahre 1907 meine friiheren Versuche wieder auf.

Inzwischen erschien eine Mitteilung yon Stern1), der schSne therapeutische Resultate mit Nuclein bei sekund~irer Lues erzielte und dieselben auf die Blutleukocytose bezog. 1908 teilte Lepi ne 2) mit dab er bei drei Phthisen mit psychischen Symptomen nach einer ein- maligen Injektion yon Nuclein eine Heilung der psychischen StSrungen gesehen habe, und bezog dies auf die Heilung einer tuberkulSsen Meningitis; wenn man bedenkt, dal~ es bei diesen F~llen zu keiner anatomischen Untersuchung kam und dal~ eine einmalige Nuclein- injektion diese Wunderwirkung gemacht haben soll, so muff man wobl fiber die Kfihnheit der Diagnose staunen.

Meine Untersuchungen teiltG ich am 18. Mai 1909 in der biologischen Sektion des ,,Lotos" in Prag mit (publiziert in der Prager med. Wochenschr. 1909. Nr. 29).

Die Behandlung bestand darin, dal~ ich 0,5 g nucleinsaures Natron (Boehringer) in steriler 10proz. LSsung unter die Haut des Unterarmes injizierte, worauf eine leieht entziindliche Lokalreaktion und mehrere Tage daurende Leukoeytose folgte; die Injektionen wurden naeh 3--5 Tagen wiederholt.

Bei allen therapeutisehen Fragen kommt es im allgemeinen darauf an, wie sigh ein gr61~eres Material verhs mit dem ein ganz gleich- artiges Kontrolhnaterial verglichen wGrden mug; deswegen wurden damals fiir die Nueleinbehandlung dig F~lle so gewiihlt, daf~ abwechselnd je ein Fall der in der Prager psyehiatrischen KIinik zur Aufnahme gelangten Kranken zur Injektion bestimmt wurde, wogegen der ns als Kontrollfall zu gelten hatte; von 22 mit Nuclein behandelten Paralysen wurden 2 so gebessert, dab sie ffir die Umgebung als gesund imponierend nach Hause entlassen werden konnten; bis zur Publi- kation der besagten Arbeit trat kein Rezidiv ein; weitere 2 Fhlle zeigten kfirzere Remissionen, worauf die Psychose wieder rezidivierte. Von den injizierten F~llen starben bis zur Zeit der damaligen Publi- kation 4 Fs yon dem Kontrollmaterial starben 8 und night Gin einziger zeigte eine Remission.

Im August 1909 beriehtete D o n a t h in dem internationalen medi- zinischen Kongresse zu Budapest fiber von mir vollkommen unab- h/ingig gemachte und ganz ~hnliche the'rapeutisehe Versuehe mit Nuclein bei Paralysen (publiziert zuerst in der Wiener klin. Woehen- schrift 1909. Nr. 38 und dann ausfiihrlieher in der allgemeinen Zeit-

1) Uber die Beeinflussung syphilitischer Erseheinungen durch die Nuclein- hyperleukocytose, bled. Klin. 1907. Nr. 32.

3) Etude sur l'enc4phalite subaigue curable des tuberculeux. Revue de m6d. 1908. p. 820.

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('mer therapeuti~('he~l th~einflussung der progressiven Paralyze. 487

schrift f. Psychiatrie 67, 3. 1910. D o n a t h s Methode bestand in der Injektion von nueleinsaurem Natron in 1--2% LSsung in Salzwasser; injiziert wurde 0,5--3 g Nuclein; es folgte lokale Entziindung und Blutleukocytose, wegen der grol~en Dosen auch in st~zkerem Mal~e; das Resultat war sehr eklatant: Von 21 Paralytikern besserten sich 10 bis zur Wiedererlangung der Arbeitsf~higkeit, bei 5 F~llen ~nderte sich der Zustand so welt, dab sie einer Krankenhausbehandlung nicht mehr bediirftig waren und nur bei 6 blieb die Therapie ohne EinflulL

Man ersieht sowohl aus meinem Material als auch besonders aus den noch giinstigeren Berichten Do n a t h s die fiberrasehende Wirkung des Nucleins. Die Hauptursache der viel besseren Resultate D o n a t h s dfirfte wohl in dem Materiale liegen: meine F~lle entstammen einer Irrenanstalt, D o n a t h s F~ille einem Krankenhausmaterial, welches mehr initiale FSlle aufweist, die schon deswegen giinstigere Chancen bei jeder Art von Behandlung bieten; vielleicht spielen auch die gr51~eren Nucleindosen D o n a t h s eine Rolle; ich glaube aber nicht, dab es die gr5Beren Mengen der injizierten Fliissigkeit sind - - wie D o n a t h an- zunehmen scheint - - , welcbe den Unterschied erkl~ren.

Bei der Besprechung der Arbeiten Do n a t h s muB ich mir, obzwar ungern, einige persSnliche Bemerkungen erlauben: Wie es so hi~ufig vorkommt, dal~ gewisse Fragestellungen sozusagen in der Luft liegen, so geschah es auch in dieser Sache; auch hier bin ich wie D o n a t h

- - beide unabh~ngig voneinander - - auf Grund einer ~hnlichen Frage- stellung und zu ganz gleicher Zeit in gleicher Weise vorgegangen. Da war es nun ein Zufall, dab meine Publikation eine kurze Zeit vor der Arbeit D o n a t h s erschien. Dies hat auch D o n a t h in seiner ersten vorl~ufigen Mittcilung beriicksichtigt und meine Resultate am Schlusse erwShnt. Aber in der spiiter erschienenen ausffihrlichen Publikation ist nicht mit einer Silbe meiner Arbeit gedacht. In der allerletzten Zeit erschien wiederum eine Publikation D o n a t h s l ) ; und auch da werde ich vollkommen totgeschwiegen. Warum? Die Tat- sache, dan ich in dieser Frage auch noch existiere und dan meine Arbeit friiher als seine Mitteilung publiziert wurde, wird D o n a t h auch mit seinem absichtlichen Nichtanf fihren nicht aus der Welt schaffen. Deswegen w~re es besser gewesen, dieses Vogelstrausspiel zu unterlas~',en.

Bevor ich zur Schilderung weiterer therapeutischer Versuche mit Nuclein fibergehe, will ieh noeh fiber die bisherigen Schicksale meines ersten Materiales beriehten. Vorerst fiber die bis zur ersten Publi- kation geheilt gebliebenen zwei F~ille. Beide sind nun wieder rezidiv geworden; und zwar erkrankte der erste Fall nach einer beinahe zwei-

1) Weitere Ergebnisse der Behandlung der progressiven Paralyse mit Natrium nucleinicmn. Berl. klin. Wochenschr. 1910. Nr, 51.

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488 (). Fischer: [;her (lie AIlssLchteH

jiihrigen Remission an einer typischen Paralyse mit Megalomanie, beim anderen dauerte die Remission 10 Monate, worauf wieder eine manisch-depressive Form der Paralyse auftrat, die nach 11/2 Jahren zum Tode ffihrte.

Die Verfolgung der Schicksale aller Kranker meiner ersten Beob- achtungsreihe war mit mancherlei Schwierigkeiten verbunden, da sich einige einer weiteren Beobachtung entzogen; deswegen ist es auch nicht mSglich, eine vollkommene tabellarische Darstellung zu geben. Interessant ist abet folgendes: Von den injizierten 22 Fiillen starben bisher 17, von den nichtinjizierten Kontrollfiillen starben bisher 16; wenn bei allen diesen F/illen die Durchschnittsdauer der Krankheit - - aus selbstverstiindlichen Griinden vom Datum der Aufnahme bis zum T o d e - - berechnet wird, so bekommt man bei den unbehandelten F~Jlen als Durchschnittsdauer der Paralyse 7 Monate, wogegen die NucleinfKlle eine Durchschnittsdauer yon 15 Monaten aufweisen.

Wenn wir auch bei unserem ersten Materiale sehr weitgehende Besserungen erzielen konnten, so waren dieselben doch nicht dauernd, es folgte dennoch das Rezidiv. Ich kann nun noch fiber weitere Ver- suche mit Nuclein berichten, die an einem etwas gfinstigeren Kranken- materiale gemacht wurden als dies bei dem ersten Material der Fall war; die jetzige Nucleinserie betrifft n/~mlich das Krankenmaterial eines Privatsanatoriums, also Kranke, welche im allgemeinen viel friiher eine Anstaltsbehandlung aufsuchen als dies fiir 5ffentliche Irrenanstalten die Regel ist. Auch hier ging ich vergleichend vor; je ein Fall der Aufnahme wurde injiziert, wogegen der n~ichste Fall als Kontrollfall galt. Ich kann so - - im Verlaufe yon 18 Monaten - - fiber 10 behandelte und 10 unbehandelte Fiille berichten, deren Ver- gleich in instruktivster Weise die Wirkung des Nucleins demonstriert: Auf Grund dessen, dab sich eine vollkommene Unschiidlichkeit des Nucleins in meiner ersten Versuchsreihe ergab und dab auch Do n a t h gr6Bere Mengen ohne Schaden und mit Erfolg verwendet hatte, steigerte ich die Dosen; ich verwendete jetzt das Natrium nucleinicum (Boeh- ringer), das in 10proz. steriler wiisseriger LSsung in steigender Dosis von 0,5--3 g subcutan meist in den Unterarm injiziert wurde (die Firma C. F. Boehringer & SShne in Mannheim hat mir zu diesem Zwecke sterile gebrauchsfertige LSsung in Phiolen hergestellt).

Es wurde mit einer Dosis von 1/2--1 g begonnen; nach 20--36 Stunden schwoll die injizierte Stelle etwas an, es t ra t Temperatursteigerung und Leukocytose auf. Die lokalen Schwellungen waren manchmal erysipel- iihnlich, ohne dab sie je zu Komplikationen geffihrt hS~tten. Bei stiirkeren Schmerzen geniigte ein trockener Verband; nach 3--4 Tagen ging das Fieber und die Leukocytose zurfick und je nach der Stiirke der ersten Reaktion wurde die Dosis gesteigert. Die Leukocytose stieg

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einer therapeutischen Beeinflussung der progressiven Paralyse. 489

bei dieser Behandlung meist auf 15--28000, die Tempera tur bis 39,5~ Abszedierungen, wie D o n a t h solche beschreibt, habe ich nie gesehen. Die Kranken ver t rugen die Injekt ionen durchwegs sehr gut, bei der Tempera turs te igerung wurde natiirlich Bet t ruhe gewahr t ; manche waren einige Tage nachher etwas brummig und gereizt.

Die so behandelten Fhlle waren durchweg kliniseh vol lkommen gesicherte Paralysen; bei vielen wurde auch das Serum und der Liquor nach Wassermann und auf Pleoeytose untersucht .

Es folgen jetzt die Daten der einzelnen mit Nuclein behandelten Krankhei tsf~l le:

|. 43j~hr. Hauptmann. Lues vor 21 Jahren. Behandlung: 18. Januar 1909 bis 9. M~i 1909. Beginn: Etwa vor 2 Monaten. Somatisch: Pupillenstarre, Facialisbeben, Tremores, StSrung der Spraehe

und der Schrift; Aorteninsuffizienz. Im Harn Eiweil~ und Zueker. Wassermann im Blute positiv.

Psychisch: Megalomanischer Zustand mit Demenz; im Verlaufe einige epilepti- forme Anf~ille. Zucker schwindet zuerst, erseheint sparer wieder und Pat. geht am 9. Mai 1909 unter Zeichen eines diabetischen Komas zugrunde.

II. 34j~hr. Bahnbeamter. Lues vor 10 Jahren. Beobachtung: 21. M~rz 1909 bis 30. Mai 1909. Beginn: Seit 2 Jahren neurasthenisch; seit 8 Tagen aggressiv, stark gereizte

Stimmung, holprige Sprache, zittrige Schrift. Somatisch: Pupillendifferenz, aber prompte Reaktion. Tremor der Zunge

und Lippenbeben, gesteigerte Sehnenreflexe. Liquorpleocytose von 15 Zellen; Wassermann im Liquor und Blut positiv.

Psychisch: Gereizte Stimmung, leieht demente Enphorie; kindisches Wesen. Allm~hliche Besserung. Pat. wird ganz geordnet; die Tremores, die StSrung der Sehrift und der Sprache gehen vollkommen zuriiek. Pat. geht genesen nach Hause.

Im November 1909 trat er wieder in seinen friiheren Dienst ein und versah ihn vollkommen zur Zufriedenheit. Im April 1910 wurde er kindisch und dement, und mul~te dann im Mai den Dienst verlassen; wurde zusehends dementer. Ende Augugt 1910 ausgesprochene paralytische Anf~lle mit Hemiplegie und S!)rach- stSrun~. ]m Dezember 1910 in schwerer Demenz gestorben.

III. 33j~hr. Oberleutnant. Lues vor 10 Jahren. Beobachtung: Seit 15. April 1909. Beginn: Vor einem Jahr mit ,,Neurasthenie"; zusehends dement geworden. Somatiseh: Pupillen normal; Faeialisbeben, Tremores, StSrung yon Sehrift

und Spraehe. Wassermann im Blut positiv. Psychisch: Einfach euphorische Demenz progredienten Charakters.

IV. 58j~hr. Oberst. Lues in den 20er Jahren. Beobaehtung: 17. Mai 1909 bis 5. Februar 1910. Benign: Vor 2 Jahren neurasthenisch. SomaCi~h: Pupillentr~igheit, Tremores, StSrung yon Spraehe und Sehrift. Psychisch: Megalomanisch, dement; zusehends stumpfer und dementer und

wird in ganz dementem Zustand entlassen. Im April 1910 gestorben.

z. f. d. g. Neur. u. Psych. O. IV. 39 ~

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490 O. Fischer: i.Sber die Aussiehten

V. 45jghr. Advokat. Lues vor '20 Jahren. Beobachtung: 14. Juli 1909 bis 9. Oktober 1909. Beginn: Seit 3 Jahren tabiseh, neurasthenisch; seit einem halben Jahr GrSl~en-

ideen. Somatisch: Tabes, StSrung von Schriit und Sprache. Psychiseh: Demente Megalomanie; durch 14 Tage ein deliranter Erregungs-

zustand, in dem am 9. Oktober 1909 der Exitus erfolgt.

VI. 53j~hr. Obermeister. Lues vor 25 Jahren. Beobachtung: 20. August 1909 bis 10. Oktober 1909. Be~nn: Seit einem Monat naeh einer starken Uberanstrengung gereizt un(t

manisch. Somatiseh: Differente triage Pupilten, Beben, Tremores, keine SprachstSrung;

Sehnenreflexe an den unteren Extremitiiten fehlend; Romberg. Psyehiseh: Leieht manisehes Zustandsbild; ~ird dann gebessert entlassen,

bekommt noeh yore Hausarzt Nucleininjektionen; stellt sich noeh naeh 6 Wochen vor~ macht psyehisch einen vollkommen normalen Eindruck; die Tremores sind gesehwunden, sonst somatiseh unvergndert.

Seit 3 Monaten befindet sich Pat. wieder in einer Irrenanstalt wegen rezidivierter Paralyse.

VII. 40jghr. Hauptmann. Lues vor 9 Jahren. Erste Beobachtung: 18. September 1909 bis 6. Februar 1910. Beginn: Seit einigen Monaten unter manischen S)~nptomen. Somatisch: Pupillen unregelmgl~ig, einseitige Lichtstarre, keine Tremores;

Wassermann im Blur positiv. Psyctfisch: Sehr exaltierte und motorisch erregte Megalomanie. Allm~hlich~

Besserung. Pat. geht dann psyehisch genesen und unter partieller Krankheits- einsieht nach Hause. Wassermann blieb positiv. War einige Monate beurlaubt; seit Juli machte er wieder Dienst. Anfang September riickte er in die ManSver; di.e Vorbereitungen dazu strengten ihn etwas an, er war einige Tage nervSs uncl zerstreut, aber dann wieder ganz normal. Am 6. September stfirzte sein Pferd mit ihm einen kleinen Felsen herunter, er erbrach nachher und fiihlte sich sehr elend; im Verlaufe einiger Tage wurde auch die Sprache sehr schlecht und stolpernd.

Zweite Beobachtu~.g: Seit 24. September 1910. Somatisch: Beiderseitige Pupillenstarre, starker Tremor, Facialisbeben,

Sehnenreflexe an den unteren Extremitgten fehlend, choreatische Unruhe des linken Beines; Wassermann im Blur positiv.

Psychisch: Euphorisch, megalomanisch, wird zunehmend dement; im Ver- laufe einige epileptiforme Anf~lle.

VIII. 34jghr. Privater; Lues vor 8 Jahren. Beobachtung: 20. Dezember 1909 his 4. April 1910. Beginn: Vor einem Jahre manisch, dann abwechsetnd depressiv und manisch. Somatisch: Pleoeytose und pos~tiver Wassermann im Liquor, Wassermann

im Blute zuerst negativ, spgter positiv; sonst keine somatiscben Zeiehen. Psychisch: Leicht maniakalisch, abwechselnd mit leichter Depression, die

allmghlich schwindet. Pat. ging psychisch vollkommen gesund nach Hause. Vom Oktober bis Dezember 1910 war er bei einer Bank angestellt. Im De-

zember fiel ibm selbst auf, dab seine Sprache manchmal holperig werde; er wurde leieht reizbar und ging aufs Land. Dort ging es ihm einen Monat gut, dann bekam er Anf~IIe yon Angst, und wurde am 9. Januar 1911 wieder eingebraeht. Somatisch ist an ibm aui~er einer ganz leiehten Sprachst5rung keinerlei Ver~nderung auf- getreten. Wassermann ist im Blute positiv. Psychiseh ist Pat. einfach gehemm%

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leieht deprimiert, mit Krankheitseinsieht; dazwisehen manchmal immer nur fiir oinige Stunden leicht euphorisch.

IX. 39j~hr. Beamter. Lues vor etwa 20 Jahren. Beobaehtung: 12. April 1910. bis 22. Mai 1910. Beginn: Seit 5 Jahren tabiseh und zusehends dementer. Somatiseh: Tabisch; Wassermann im Blute positiv. Psyehiseh: Einfache stumpfe Demenz; ungebessert entlassen.

X. 33j~hr. Bahnbeamter. Lues vor 11 Jahren. Erste Beobaehtung: 25. Juni 1910 bis 8. September 1910. Beginn: Vor einem Jahre einfach neurastheniseh, wegen vorhandener Pupillen.

tr~gheit damals mit Sublimatinjektionen behandelt worden; dann maehte er wieder Dienst; jetzt neurasthenisch und dann maniseh.

Somatiseh: Pupillentr~gheit, Tremores, fehlende Sehnenreflexe an den unteren Extremit~ten. Pleoeytose im Liquor; Wassermann im Blute und Liquor positiv.

Psyelfiseh: Leicht manisch-kindisehes Zustandsbild, mit leiehter Sprach- stiirung; allm~ihliehe Beruhigung. Pat. wird ganz klar, fiir alles einsiehtig und psychiseh gesund entlassen; als interessant ist zu beriehten, dab in den letzten 4 Woehen bei dreimaliger Untersuehung die Wassermannsehe Reaktion negativ ausfiel, aber bei der letzten Untersuchung wieder sehwaeh positiv gefunden wurde.

Pat. wurde entlassen; er stellte sich seither noeh einigemal vor, und blieb bis auf die tabischen Sy-mptome geistig gesund. Im Oktober wurde ihm inzwisehen eine Salvarsan-Injektion gegeben, die er ganz gut vertrug, nur klagt er seither fiber zeitweise einsotzende wie blitzartige Sehmerzen in den Amen, seltener in den Beinen. Bald zeigte sich aber wiedor eine st~rkere Reizbarkeit, unde r selbst merkte, dal~ er beim Spreehen manchmal anstolle.

Am 19. Januar 1911 wurde Pat. zum zweiten Male aufgenommen. Es besteht eine leichte SpraehstSrung und sonst die friiheren somatisehen Symptome. Psy- chische Reizbarkeit, Andeutung einer Euphorie, aber keine sonst nachweisbare Demenz.

Von den unbehande l t en F~l len zeigte nu r ein einziger eine weit- gehende Remiss ion; es ist dies:

XI. 52j~hr. General. Lues in der Jugend durehgemaeht. Beobachtung: 3. Dezember 1909 bis 21. Juni 1910. Begiml: Seit etwa 3 Jahren auff~llige Charakterver/s gab viel weniger

auf sein :Aul~eres acht, in der letzten Zeit zunehmende Stumpfheit und Demenz; hat sich in den letzten Wochen in Bordellen herumgetrieben und dabei einen weichen Schanker mit beiderseitigen eiternden Bubonen gehott. �9

Somatisch: Pupillenstarre, Tremores, SpraehstSrung, ungleiche Patellar- reflexe; weicher Schanker mit jauchig-eiterigen Bubonen; Pleocytose im Liquor, Wassemann im Blute und Liquor positiv.

Psychisch: Vollkommen stumpfe Demenz. Von Kratzwunden der Hand eine Phlegmone, die operiert werden mul~te,

in deren Verlaufe mehrere Tage andauerndes Fieber yon 39 ~ C; die Bubonen heilten trotz mehrfacher Operation sehr langsam, indem sie zur Vernarbung beinahe 5 Monate brauchten; 19 Enesolinjektionen. Pat. wurde wesentlich ge- bessert entlassen und soll sich seither noch mehr gebessert haben.

Der Vergleich be ider Serien erg ib t folgendes: U n t e r den 10 mi t Nucle in behande l t en Fg l l en t r a t en 5 wei tgehende

Remiss ionen auf, die so wel t gingen, dab ein Teil derselben wieder

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492 (). Fischer: ~)ber die Aussichten

erwerbsf/ihig wurde, bei allen trat aber wieder ein Rezidiv ein, und zwar bei dreien ein schweres Rezidiv, bei zweien der F~lle bisher nut eine ganz leichte Versehlimmerung.

Unter den Kontrollf/illen weist nut ein Fall eine weitgehende Remission auf.

Diese Differenzen sind so groB, dab sehon dadureh ein Zufall aus- gesehlossen erscheint. Besonders interessant ist, dab der einzige remis- sionierte Fall aus der Kontrollserie nieht ohne ~iuBere Veranlassung seine Remission bekam, sondern erst naeh einem l~inger dauernden septischen Fieber.

Wir sehen also, da$ das Nuclein den Verlauf der progressiven Paralyse in sehr interessanter Weise zu beeinflussen imstande ist, dab es in einer sehr groBen Zahl der F/~lle zu an Heilung grenzenden Remissionen fiihren kann; aber bei geniigend langer Verfolgung dieser Remissionen sind bis jetzt alia wieder in Rezidive verfallen. Als inter- essant ist hervorzuheben, da$ die mit Nuelein erzielten Resultate ganz denen/~hneln, welehe man mit Tuberkulin gewinnen konnte; dies ist darum so bemerkenswert, dab die durch die beiden Stoffe im KSrper verursachten StSrungen doeh im allgemeinen ganz verschiedena sind; aber eines hat das Tuberkulin mit dem Nuclein gemeinsam, es maeht neben der H y p e r t h e r m i e aueh noeh eine B l u t l e u k o c y t o s e , die sieh qualitativ nur wenig yon der Nueleinleukoeytose untersaheidet. Don a t h hat dureh Kochsalzinfusionen ebenfalls Besserungen bei der Paralyse erzielt und dieselben damit erkl/irt, dab die Toxine hierbei au',s dem K6rper herausgesahwemmt werden. Dazu lieSe sieh bemerken, dal] auch nach Kochsalzinfusionen Fieber und Blutleukoeytose auftreten. Aus all dem und dem bereits friiher erwKhnten wfirde ich einstweilen annehmen, dab das die P a r a l y s e bee in f lu s sende Agens doch in der L e u k o c y t o s e und deren s a n s t i g e n B e g l e i t p r o z e s s e n zu suchen ist , die wit in ihrer Gesamtheit noch nicht kennen, die zu suchen abet unsera naehste Aufgabe sein wird. Jedenfalls wird man noch andere Mittel versuchen miissen, die ebenfalls Leukoaytose her- vorrufen; es ~ibt deren bereits eine stattliche Reihe.

Jedenfalls zeigen alle diese therapeutischen Versuehe, dab wir doeh noch fiber Mittel verfiigen, die auf den bisher so delet~iren Ver- lauf der Paralyse einen giinstigen Einfluf~ ausfiben k51men.

Wenn man heute yon tier Therapie der Paralyse spricht, so mul~ real aueh die Salvarsantherapie der Paralyse erw~hnen, die in aller- letzter Zeit viel voreiliges Aufsehen in der Tagespresse erregt hat.

Van vornhreein erseheint mir diese Behandlung bei der Paralyse nieht aussichtsvoll, und zwar deswegen, well wir allen Grund zur Annahme haben, dab bei der Paralyse der sonst tharapeutisah beein- fluBbare syphilitische ProzeB versehwunden ist, dab die Paralyse

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einer therapeutischen Beeinflussung der progressiven Paralys~ 493

nicht eine luetische, sondern, wie man das seit langem auffal~t, eine metaluetische Erkrankung ist. Wenn aber das Salvarsan dadurch seine Heilwirkung ausiibt, dab es die SpirochKten abtStet, dann kiinnte das Salvarsan bei der Paralyse nichts nfitzen, da wir, trotz mancher gegenteiliger Ansichten (P l au t , Ne isse r u. a.) keine stichhaltigen Grfinde haben, im KSrper des Paralytikers noch wirksame und die Krankheit provozierende Spiroch~ten zu erwarten. Die bisherigen Erfahrungen bestiitigen diese Erwartung; denn die bereits doch schon ziemlieh zahlreichen, wenn auch immer nur kurzen Berichte fiber diese :Frage schildern im allgemeinen keine guten Erfolge, und die sp~rliehen Erfolge, die verzeichnet werden, liel3en sieh auf Grund unserer Nuclein- erfahrungen auch damit erkl~ren, dab das Salvarsan bekanntlich aueh eine kurzdauernde Leukoeytose erzeugt. Jedenfalls sind die Nuelein- resultate bei vollkommener Gefahrlosigkeit viel eklatanter, was man yon der Salvarsantherapie der Paralyse sicher nieht sagen kann. Ehr l i ch hat ja sehon zu Anfang der 606-/~ra vor der Anwendung des Mittels bei sehweren Erkrankungen des Gehirns gewarnt, und in der allerletzten Zeit hat sieh wieder W a l t h e r P i c k warnend aus- gesprochen, der sagte, dal3 die Zahl der Versehleehterungen die der Besserungen fibersteigt, weswegen er vor der Salvarsan-Therapie bei der Tabes und Paralyse ausdriieklieh warnt.

So interessant die mit dem Nuelein erzielten Resultate yore thera- peutisehea Standpunkte sind, so kSnnen sie immer noeh nicht als praktisch zufriedenstellend genannt werden. Und doch zeigen uns die natiirlichen ,,Heilungen" der Paralyse, an denen heute kaum gezweifelt werden diirfte, da$, wenn aueh selten, von mindestens einer Art Heilung gesproehen werden kannl). Diese zufiillig dureh natfirliehe Vorkomm- nisse herbeigefiihrten Heilungen miissen uns als Muster dienen; wir miissen erst alle die Bedingungen genauer kennen lernen, unter denen dies gesehieht, und erst dana werden wir imstande sein, aUe diese Bedingungen kfinstlieh herbeizuffihren, erst dann werden wir yon einer rationellen Therapie der Paralyse sprechen kSnnen. Einstweflea wird es notwendig sein, in dieser I~iehtung viele, sehr viele Erfahrungen mit den bisher bekannten Mitteln zu sammeln, und unter denen ge- biihrt nach den bisherigen Erfahrungen dem Tuberkulin und Nucleia der erste Platz.

z) Uber den Begriff der ,,Heilung" s. S. 483.