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Z. Physik 233, 84--88 (1970) Llber die Expansion der Milchstrage und die Deutung der Weberschen Gravitations-Signale P. JORDAN I. Institut ffir Theoretische Physik der Universitgt Hamburg Eingegangen am 12. Januar 1970 About Kerr's Galactic Expansion and Weber's Gravitation Signals The expansion of the galaxy seeming to be detected by Kerr can probably not be explained as resulting from a rapid diminution of the central mass of the galaxy (this hypothesis being put forward by Field, Rees, Seiama). But it follows as a con- sequence from the scalar-tensor theory of gravitation (as developed by Jordan, Thiry, Brans-Dicke) if the value f/f= --~, as taken from the difference between ephemeris time and inertial time, has the correct order of magnitude. The events in the nucleus of the galaxy, triggering the Weber signals, must probably be collisions between neutron stars and normal stars. w 1. Nach einer von Kerr ~ begriindeten Vorstellung ist die Milch- straBe in einer sehr langsamen Expansion begrfffen. Es handelt sich dabei anscheinend um eine homogene Expansion, an welcher alle Bestandteile der MilchstraBe (also versehiedene Sternarten, sowie auch Dunkelmassen) gleichermagen teilnehmen. Quantitativ ist diese Expansion also durch einen einzigen Parameter zu beschreiben, dessen Wert dadurch gemessen werden kann, dab fiir unsere Sonne, deren Abstand r vom Kern der MilchstraBe etwa 10 Mpc betr/igt, die radiale Geschwindigkeit annghernd ~: = 7 km/sec (1) betr/igt. Zahlenm/iBig anders ausgedriickt bedeutet das also in erster N/iherung 1"/r = 10- 9/Jahr. (2) Einige Verfasser z haben diese Tatsache im Rahmen sehr spekulativer Annahmen - welche, wenn richtig, erhebliche Ver~inderungen bisheriger astrophysikalischer und kosmologischer Vorstellungen efforderlich machen - gedeutet durch die Hypothese, dab im Kern der Milchstral3e 1 Kerr, F. J. : Monthly Notices Roy. Astron. Soc. 123, 327 (1962). 2 Field, G, B., Rees, M. J., Sciama, D. W. : Preprints 1969.

Über die Expansion der Milchstraße und die Deutung der Weberschen Gravitations-Signale

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Z. Physik 233, 84--88 (1970)

Llber die Expansion der Milchstrage und die Deutung

der Weberschen Gravitations-Signale

P. JORDAN I. Institut ffir Theoretische Physik der Universitgt Hamburg

Eingegangen am 12. Januar 1970

About Kerr's Galactic Expansion and Weber's Gravitation Signals The expansion of the galaxy seeming to be detected by Kerr can probably not be explained as resulting from a rapid diminution of the central mass of the galaxy (this hypothesis being put forward by Field, Rees, Seiama). But it follows as a con- sequence from the scalar-tensor theory of gravitation (as developed by Jordan, Thiry, Brans-Dicke) if the value f / f= --~, as taken from the difference between ephemeris time and inertial time, has the correct order of magnitude. The events in the nucleus of the galaxy, triggering the Weber signals, must probably be collisions between neutron stars and normal stars.

w 1. Nach einer von Kerr ~ begriindeten Vorstellung ist die Milch- straBe in einer sehr langsamen Expansion begrfffen. Es handelt sich dabei anscheinend um eine homogene Expansion, an welcher alle Bestandteile der MilchstraBe (also versehiedene Sternarten, sowie auch Dunkelmassen) gleichermagen teilnehmen.

Quanti tat iv ist diese Expansion also durch einen einzigen Parameter zu beschreiben, dessen Wert dadurch gemessen werden kann, dab fiir unsere Sonne, deren Abs tand r vom Kern der MilchstraBe etwa 10 Mpc betr/igt, die radiale Geschwindigkeit annghernd

~: = 7 km/sec (1)

betr/igt. Zahlenm/iBig anders ausgedriickt bedeutet das also in erster N/iherung

1"/r = 10- 9/Jahr. (2)

Einige Verfasser z haben diese Tatsache im Rahmen sehr spekulativer Annahmen - welche, wenn richtig, erhebliche Ver~inderungen bisheriger astrophysikalischer und kosmologischer Vorstellungen efforderlich machen - gedeutet durch die Hypothese, dab im Kern der Milchstral3e

1 Kerr, F. J. : Monthly Notices Roy. Astron. Soc. 123, 327 (1962). 2 Field, G, B., Rees, M. J., Sciama, D. W. : Preprints 1969.

~ber die Expansion der MilchstraBe 85

eine laufende erhebliche Verkleinerung der dortigen Masse vor sich geht. Da mir diese Hypothese in mehrfacher (teilweise noch zn besprechender) Weise Bedenken verursacht, m6chte ich eine Alternativl6sung ftir die Deutung dieser Expansion der Milchstral3e zur Diskussion stellen.

w 2. In einer friiheren Note 3 habe ich folgendes gezeigt: Wenn man versuchsweise die Diracsche Hypothese anerkennt, wonach die Gravita- tionskonstantef in Wahrheit nicht konstant, sondern langsam abnehmend ist, was im Rahmen eines Friedmann-Kosmos zu beschreiben w~ire durch:

f=fo(1--et); fo=const ,

~. Jahr ~ 1, (3)

so wird ein ,,Newton-Diracsches" Mehrk6rperproblem

. . . . r I - - r k rk = J Lmt ~ (4)

kC-k I ~'l - - " k [

in der N~iherung (et) z = 0 befriedigt dutch

r = 9 1 . ( l + e 0 , (5)

t = T . ( l + e t ) ,

wobei 91=91(T) die L6sung eines exakt Newtonschen Mehrk6rper- problems mit wirklich konstanter ,,Gravitationskonstante" fo ist:

d 291~ _ ~ 9 t / - -91k ~=JoLkmt 191t_91~13. (6)

Es ergibt sich also nach (5) einerseits eine nichtlineare ~nderung der Zeitskala - wobei T die Ephemeridenzeit, t die Atomuhrzeit (= exakte Inertialzeit) ist; andererseits eine homogene Expansion des Systems.

Ein genauer Vergleich yon Inertialzeit und Ephemeridenzeit ist (wie in I besprochen) von Nicholson und Sadler in etwa zehnj/ihriger Regi- strierung von Sternbedeckungen durch den Mond durchgefiihrt worden. Die Verfasser kamen zu dem Ergebnis, dab beide Zeitskalen sehr genau tibereinstimmen. Jedoch haben Becker und Fischer 4 die Einzelergebnisse dieser Registrierung einer noch genaueren Durchrechnung unterzogen und in der neunten Dezimale eine Abweichung gefunden, welche (5) zu best/itigen scheint, mit dem ungef/ihren vofl/iufigen Wert

e = 2.10-10/Jahr. (7)

Dies 1/iSt es als denkbar erscheinen, dab die empirisch anscheinend vorliegende Expansion der MilchstraBe gerade der Expansion (5) ent-

3 Jordan, P.: Z. Physik 201, 394 (1967). (Irn folgenden als I bezeichnet.) 4 Becker, G., Fischer, B.: Mitt. d. PTB, Febr. 1967.

86 P. Jordan:

spricht; in der zu erwartenden Genauigkeit ist ja (2) hinreichend fiber- einstimmend mit (7).

Die frfiher gegebene theoretische Begrfindung ffir (5) bezieht sich zwar grunds~itzlich nur auf ein Mehrk6rperproblem mit Newtonscher Fernwirkung, w/ihrend bei Betrachtung der MilchstraBe im Ganzen die Retardierung der Schwerkraft nicht auBer Acht gelassen werden daft. Da jedoch die Rotation der MilchstraBe eine in hoher Ann~iherung stationiire Bewegung ist, dfirften die Retardierungseffekte nur geringen Einflul3 auf die von uns betrachteten Beziehungen haben.

Eine klare Entscheidung fiber die physikalische Realitgt der Expansion (5) wird sich jetzt innerhalb weniger Jahre dadurch ergeben, dab ein Laser-Reflektor auf dem Monde aufgestellt worden ist. Die Enffernung Erde-Mond ist quantitativ sehr gtinstig ffir die Prfifung der Expansion r =(1 +~t)91.

Es dfiffte aber vorteilhaft sein, schon jetzt die bereits diskutierte Expansion der MilchstraBe im Sinne der ,,skalar-tensoriellen" Gravita- tionstheorie (Jordan, Thiry, Brans-Dicke) zu durchdenken.

Ein weiterer Zugang ist durch die Radar-Echo-Experimente yon Schapiro u. Mitarb. gegeben, die nach Ehlers (pers6nl. Mitteil.) schon jetzt (7) als den maximal erw~igbaren Weft von e erkennen lassen und ftir die n~ichsten Jahre einen weiteren Fortschritt der Kl~irung versprechen. (W/ihrend der Veffasser der vorliegenden Note das Ergebnis (7) als nicht unwahrscheinlich ansieht, bevorzugt Dicke die Vermutung eines noch kleineren e.)

w 3. Zur Rechtfertigung der Hypothese der Massenabnahme im Kern der MilchstraBe sind die Ergebnisse von Weber angeffihrt worden, wel- chef mit seiner jetzt berfihrnt gewordenen Apparatur in unregelm~iBigen Abst/inden vonder Gr6Benordnung eines Tages ein Gravitationssignal von etwa 20 see Dauer empf/ingt - augenscheinlich vom Kern der MilchstraBe her - das nach seinen Berechnungen einer Energieveraus- gabung von etwa einer Sonnenmasse entsprechen kfnnte. Die letztere Angabe ist jedoch noch nicht hypothesenfrei begrfindbar, zumal nach der skalar-tensoriellen Gravitationstheorie der Hauptanteil einer Signal- welle in 10 Mpc Enffernung von der Strahlungsquelle eine Welle des gravischen Skalarfeldes sein dfirfte, start einer solchen des Tensorfeldes. Auf die Bedeutung dieses Punktes haben Robinson und Winicour 5 hingewiesen.

Es scheint mir, daB der Erzeugungsmechanismus der Gravitations- signale durch die bisherigen spekulativen ~berlegungen noch nicht aus- reichend verst/indlich gemacht ist.

5 Robinson, D. C., Winicour, J. : Phys. Rev. Letters 22, 198 (1969).

Uber die Expansion der MilchstraBe 87

Wir haben uns im Kern der MilchstraBe eine sehr grol3e Zahl von normalen und yon Neutronensternen in engem Raum vereint vorzu- stellen. Es gibt dann, als denkbare Ursachen katastrophaler Vorg~inge, Zusammenst613e yon

1) zwei normalen Sternen,

2) einem normalen Stern und einem Neutronenstern,

3) zwei Neutronensternen.

Der Fall 1) wird zwar zu turbulenten Vorg~ingen, aber nicht zu einem auf etwa 20 sec begrenzten Ereignis fiihren. Der Fall 3) kann nur selten eintreten wegen der Kleinheit der Neutronensterne. Es verbleibt also wohl nur die M6glichkeit 2).

Beim Fallen eines Meteoriten auf einen Neutronenstern - nur fiber diesen Vorgang wissen wir theoretisch etwas Sicheres - ben6tigt zwar der Meteorit bis zur Erreichung der Sternoberflache nur endliche Eigen- zeit. Aber ein weit entfernter Beobachter B (in einer Umgebung, die praktisch der Minkowski-Metrik entspricht) wird in seiner Zeitmessung das Auftreffen des Meteoriten niemals erleben, sondern wegen der an der Sternoberflgche im Idealfall unbegrenzt wachsenden Rotverschiebung nur eine asymptotische Anniiherung an den Stern beobachten k6nnen. (Diese der Einsteinschen reinen Tensortheorie der Gravitation entsprechende Folgerung wird zwar durch die skalar-tensorielle Theorie - mit Ersatz der Schwarzschildschen L6sung durch die Heckmannsche - etwas ent- sch~irft.) Ftir den strahlungswirksamen Anfangsteil des Fallvorganges ist eine Dauer von 20 sec ffir B durchaus plausibel.

Im Fall 2) wird der Neutronenstern bei Eindringen in den anderen (bzw. schon kurz vorher) auf dessen Materie eine Anziehung ausiiben, welche ein Zusammenstfizren frei fallender Materie zum Neutronenstern hin ausl6st. Dieser Vorgang ist also ~hnlich einer Supernova-Implosion, vollzieht sich jedoch deshalb erheblich anders, weil der Neutronenstern innerhalb yon 20 sec nur etwa 10 z bis 104 km fief in den normalen Stern eindringen wird. Der Gesamtbetrag freigesetzter Energie muB also erheblich geringer sein, als bei einer Supernova - i m Einklang mit der Tatsache, dab die Kerne normaler Galaxien keineswegs als Orte bevor- zugter Supernova-Ereignisse zu erkennen sind. Die in unserer Milch- straBe in Abst~inden yon etwa 300 Jahren auftretenden Supernovae er- geben sich ja, wie bei den anderen Galaxien, vorwiegend auflerhalb des Kerns.

Die erw/ihnten Spekulationen tiber eine angebliche Massenverminde- rung des Milchstral3enkerns nehmen hypothetisch an, dab Zusammen- st6Be 2) oder 3) zum Endergebnis eines einzigen Neutronensterns fiihren miiBten, unter Verwandlung der H~ilfte der beteiligten Anfangsmassen in Gravitationsstrahlung. Das diirfte jedoch dem Erhaltungsgesetz der

88 P. Jordan: ~Jber die Expansion der Milchstral3e

Baryonenzahl widersprechen. Man mug sich wohl vorstellen, dab der ursprtingliche Neutronenstern yon einer Hiille zusfitzlicher Materie um- geben wird, wobei das Ganze dieses ver~inderten Sterns im Sinne von Oppenheimer und Volkov ftir den Beobachter B in asymptotischer Zu- sammenziehung begriffen ist. Vielleicht kommt sp~iter ein nochmaliger /ihnlicher Vorgang in Betracht.

Die andeutungsweise beschriebenen Vorg/inge werden im Wahrheit wesentlich komplizierter verlaufen aufgrund der Mitwirkung von Rota- tion und Magnetfeldern 6. Jedoch dtirfte das keine Anderung ergeben betreffs unserer Schliisse, dab nur der Vorgang 2) ffir die Erzeugung eines Weber-Signals in Frage kommt, und dab die zugeh6rige Energiefreisetzung wesentlich geringer ist, als im Falle einer Supernova.

6 Vgl. dazu Lynden-Bell, D.: Nature 223, 690 (1969).

Prof. Dr. P. Jordan 2000 Hamburg 13 Isestr. 123