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120 W. SCHWENKE: Uber die Grundlagender Entstehungund Begegnung von Insekten-Massenvermehrungen im Wald Anz. Schddlingskde., Pflanzenschutz, Umweltschutz 67, 120-124 (1994) 1994, Blackwell Wissenschafts-Verlag,Berlin ISSN 0340-7330 Lehrstuhl fiir angewandte Zoologie, Fakultdt fiir Forstwissenschaften, Universitlit Miinchen, Deutschland Uber die Grundlagen der Entstehung und Begegnung von Insekten-Massenvermehrungen im Wald Von W. SCHWENKE Abstract On the fundamentals of forest insect outbreaks and of counter measures The forest insects outbreaks finally are founded on the transformating natural woods into artificial forests with destable ecological equilibrium. High tempera- tures in combination with dryness lead to insect out- breaks beginning with the break down of the watere- quilibrium in the trees. By this the resin- and sap- pressure drops allowing bark beetles to enter the trees - and the food quality for caterpillars (sugar contents of foliage) arises increasing the fecundity. Relating to the counter-measures it should be con- sidered that bark beetles are secondary and remain so. The only effective control consists in taking out all the strongly infested wood. In regard to foliar feeding in- sects there is a fundamental difference between de- ciduous trees and conifers: the former have high ability for regenerating and so they survive several complete defoliations whereas the latter die after one defoliation caused by early feeders or two defoliations caused by late feeding pests. The forest builder has created the pest-problem by transforming natural woods into artificial forests. The using of broadly acting pesticides resultS in new out- breaks with worse consequences. The situation is in- tensified by a present changing of climate in tendency to more heat and dryness and storms. Only by going back to natural woods it will be possible to overcome the wood pests problem. The present economical fore- stry has to make way for a ecological wood cultivation. 1 Einleitung Massenvermehrungen yon Waldinsekten, die zur Sch/i- digung oder gar Vemichtung yon Waldbesdinden fiihren, traten in Deutschland w/ihrend der letzten Jahrzehnte in zunehmender Zahl und auf immer gr6gerer Fl~iche auf. Zur Zeit sind es vor allem der im gesamten Gebiet stark auftretende Grofle FichtenborkenMifer oder Buchdruk- ker, Ips typographus (L.), sowie in S/idwestdeutschland und kleinen Teilen Sachsens an Eiche und anderen Laub- b~iumen der Schwammspinner, Lyrnantria dispar L., die erhebliche Sorgen bereiten und zahlreiche, oft emotional gefiihrte 6ffentliche Diskussionen ausl6sten. Dabei f/ilk auf, d~ bei diesen Diskussionen die Akzente meist falsch ~i esetzt werden: Man bleibt an der Oberfl~iche des Schiid- ngsproblems und vermeidet, zu dessen Wurzeln vorzu- dringen. Mit einer solchen Betrachtungsweise schiebt man aber das Problem nur vor sich her, anstatt es zu 16- sen. Die Sch/idlingsmassenvermehrungen k6nnen heute nicht mehr nur als l~tige Randerscheinungen und notwen- diges Obel der Forstwirtschaft betrachtet werden, son- dern sind zu Symptomen einer nicht mehr zeitgem~en, weil im Kern un6kologischen Wirtschaftsweise gewor- den. Im folgenden soil, fu~end auf 30j~rigen Erfahrun- gen im zoologischen Forstschutz in Bayern, versucht werden, dem Problem auf den Grund zu gehen und die wichtigsten Prinzipien der Entstehung und Begegnung der Schadinsekten-Kalamit~iten in unseren W~ildern her- auszustellen. 2 Grundlagen der Entstehung von Massenvermehrungen Die Waldinsekten zeigen wie alle Organismenarten in allen Okosystemen ein st~diges Auf und Ab ihrer Indi- viduenzahl, ihrer Masse, was als Massenwechsel oder Po- pulationsdynamik bezeichnet wird. Dabei ist der Mas- senwechsel jeder einzelnen Organismenart mit den Mas- senwechseln aller anderen Arten direkt oder indirekt ver- kniipft. Es ergibt sich ein hochkomplexes Beziehungssy- stem, das Okosystem, in welchem alle beteiligten Orga- nismenarten sich gegenseitig in ihrer Existertz bedingen, aber auch begrenzen und damit das Gesamtsystem in ei- nem beweglichen Gleichgewicht halten. Die gegenseitige Begrenzung der Organismenarten be- deutet im konkreten Fa!l, daf~ im natiirlichen Wald das 6kologische Gleichgewicht die Populationsschwankun- gender Tiere, z. B. bestimmter Insekten, in engen Gren- zen h~t. Ausreiger gibt es nicht, das heigt: Natfirliche W/ilder sind frei von Sch/idlingsmassenvermehrungen. Wo gibt es aber in Europa, zumal in Mitteleuropa, noch nattirliche W~ilder? Der wirtschaftende Mensch hat den gr6f~tenTeil der Naturwiilder in naturferne Kulturw~.lder umgewandelt und sie dabei in verschiedenem Grade sch/idlingsanf/illig gemacht, indem er ihre 6kologischen Gleichgewichte destabilisierte. Man kann die Pflanzen- und Tierarten eines Wald6ko- systems als Repr~entanten dieses Systems betrachten und sie als Maflstab der Entfemung eines Waldes vom Naturzustand verwenden. Ein heutiger Wald ist dann um so naturfemer und damit schiidlingsanf/illiger, je/irmer sein Inventar an urspriinglichen Pflanzen- und Tierarten ist. Demgem~i~ lautet das 1. Prinzip der Entstehung von Massenvermehrungen im Wald, das Prinzip der relativen Artenarmut: ,fie iirrner an urspriinglicben Pflanzen- und Tierarten ein Wald, desto gr6fler seine Anfiilligkeitfiir die Entstehung yon Insektenmassenvermehrungen. Hier also, in der Entfernung unserer Wiilder yore Naturzu- stand, liegt der Urgrund des Schiidlingsproblems. Die Beantwortung der Frage, woran man erkennen kann, ob eine Art ursprfinglich ist oder nicht, haben uns fiir die Pflanzen - also fiir die wichtigsten Komponenten der Wald6kosysteme -, die Geobotaniker und Pflanzen-

Über die Grundlagen der Entstehung und Begegnung von Insekten-Massenvermehrungen im Wald

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120 W. SCHWENKE: Uber die Grundlagen der Entstehung und Begegnung von Insekten-Massenvermehrungen im Wald

Anz. Schddlingskde., Pflanzenschutz, Umweltschutz 67, 120-124 (1994) �9 1994, Blackwell Wissenschafts-Verlag, Berlin ISSN 0340-7330

Lehrstuhl fiir angewandte Zoologie, Fakultdt fiir Forstwissenschaften, Universitlit Miinchen, Deutschland

Uber die Grundlagen der Entstehung und Begegnung von Insekten-Massenvermehrungen im Wald Von W. SCHWENKE

Abstract On the fundamentals of forest insect outbreaks and of counter m e a s u r e s

The forest insects outbreaks finally are founded on the transformating natural woods into artificial forests with destable ecological equilibrium. High tempera- tures in combination with dryness lead to insect out- breaks beginning with the break down of the watere- quilibrium in the trees. By this the resin- and sap- pressure drops allowing bark beetles to enter the trees - and the food quality for caterpillars (sugar contents of foliage) arises increasing the fecundity.

Relating to the counter-measures it should be con- sidered that bark beetles are secondary and remain so. The only effective control consists in taking out all the strongly infested wood. In regard to foliar feeding in- sects there is a fundamental difference between de- ciduous t r e e s a n d conifers: the former have high ability for regenerating and so they survive several complete defoliations whereas the latter die after one defoliation caused by early feeders or two defoliations caused by late feeding pests.

The forest builder has created the pest-problem by transforming natural woods into artificial forests. The using of broadly acting pesticides resultS in new out- breaks with worse consequences. The situation is in- tensified by a present changing of climate in tendency to more heat and dryness and storms. Only by going back to natural woods it will be possible to overcome the wood pests problem. The present economical fore- stry has to make way for a ecological wood cultivation.

1 Einleitung

Massenvermehrungen yon Waldinsekten, die zur Sch/i- digung oder gar Vemichtung yon Waldbesdinden fiihren, traten in Deutschland w/ihrend der letzten Jahrzehnte in zunehmender Zahl und auf immer gr6gerer Fl~iche auf. Zur Zeit sind es vor allem der im gesamten Gebiet stark auftretende Grofle FichtenborkenMifer oder Buchdruk- ker, Ips typographus (L.), sowie in S/idwestdeutschland und kleinen Teilen Sachsens an Eiche und anderen Laub- b~iumen der Schwammspinner, Lyrnantria dispar L., die erhebliche Sorgen bereiten und zahlreiche, oft emotional gefiihrte 6ffentliche Diskussionen ausl6sten. Dabei f/ilk auf, d ~ bei diesen Diskussionen die Akzente meist falsch

~i esetzt werden: Man bleibt an der Oberfl~iche des Schiid- ngsproblems und vermeidet, zu dessen Wurzeln vorzu-

dringen. Mit einer solchen Betrachtungsweise schiebt man aber das Problem nur vor sich her, anstatt es zu 16- sen. Die Sch/idlingsmassenvermehrungen k6nnen heute nicht mehr nur als l~tige Randerscheinungen und notwen-

diges Obel der Forstwirtschaft betrachtet werden, son- dern sind zu Symptomen einer nicht mehr zeitgem~en, weil im Kern un6kologischen Wirtschaftsweise gewor- den. Im folgenden soil, fu~end auf 30j~rigen Erfahrun- gen im zoologischen Forstschutz in Bayern, versucht werden, dem Problem auf den Grund zu gehen und die wichtigsten Prinzipien der Entstehung und Begegnung der Schadinsekten-Kalamit~iten in unseren W~ildern her- auszustellen.

2 Grundlagen der Entstehung von Massenvermehrungen

Die Waldinsekten zeigen wie alle Organismenarten in allen Okosystemen ein st~diges Auf und Ab ihrer Indi- viduenzahl, ihrer Masse, was als Massenwechsel oder Po- pulationsdynamik bezeichnet wird. Dabei ist der Mas- senwechsel jeder einzelnen Organismenart mit den Mas- senwechseln aller anderen Arten direkt oder indirekt ver- kniipft. Es ergibt sich ein hochkomplexes Beziehungssy- stem, das Okosystem, in welchem alle beteiligten Orga- nismenarten sich gegenseitig in ihrer Existertz bedingen, aber auch begrenzen und damit das Gesamtsystem in ei- nem beweglichen Gleichgewicht halten.

Die gegenseitige Begrenzung der Organismenarten be- deutet im konkreten Fa!l, daf~ im natiirlichen Wald das 6kologische Gleichgewicht die Populationsschwankun- gender Tiere, z. B. bestimmter Insekten, in engen Gren- zen h~t. Ausreiger gibt es nicht, das heigt: Natfirliche W/ilder sind frei von Sch/idlingsmassenvermehrungen. Wo gibt es aber in Europa, zumal in Mitteleuropa, noch nattirliche W~ilder? Der wirtschaftende Mensch hat den gr6f~ten Teil der Naturwiilder in naturferne Kulturw~.lder umgewandelt und sie dabei in verschiedenem Grade sch/idlingsanf/illig gemacht, indem er ihre 6kologischen Gleichgewichte destabilisierte.

Man kann die Pflanzen- und Tierarten eines Wald6ko- systems als Repr~entanten dieses Systems betrachten und sie als Maflstab der Entfemung eines Waldes vom Naturzustand verwenden. Ein heutiger Wald ist dann um so naturfemer und damit schiidlingsanf/illiger, je/irmer sein Inventar an urspriinglichen Pflanzen- und Tierarten ist. Demgem~i~ lautet das 1. Prinzip der Entstehung von Massenvermehrungen im Wald, das Prinzip der relativen Artenarmut: ,fie iirrner an urspriinglicben Pflanzen- und Tierarten ein Wald, desto gr6fler seine Anfiilligkeitfiir die Entstehung yon Insektenmassenvermehrungen. Hier also, in der Entfernung unserer Wiilder yore Naturzu- stand, liegt der Urgrund des Schiidlingsproblems.

Die Beantwortung der Frage, woran man erkennen kann, ob eine Art ursprfinglich ist oder nicht, haben uns fiir die Pflanzen - also fiir die wichtigsten Komponenten der Wald6kosysteme -, die Geobotaniker und Pflanzen-

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soziologen erm6glicht. Sie haben ffir alle europ~iischen Waldstandorte die Pflanzenarten-Inventare der standort- bi~rfigen Naturw~ilder, einschlieglieh der Dominanzver- h~i/tnisse der einzelnen Arten, kartiert (u. a. ELLENBERG, 1986; OBERDORFER, 1990). Wenn wit an_hand dieser Na- turwaldkartierung die Vegetation eines heutigen Kunst- waldes mit jener des dort bodenbfirtigen Naturwaldes vergleichen, erkennen wir den Grad der Abweiehung und Verarmung und damit den Grad der Sehiidlingsanfiillig- keit und sehen gleichzeitig, welche Baum-, Strauch- und anderen Pflanzenarten - in welchen Mengenverh~ilmissen - hierhergeh6ren.

Vor der weiteren Behandlung dieses Problems sei zu- n~ichst das 2. Prinzip der Entstehung yon Insektenmas- senvermehrungen im Wald betrachtet: das Prinz~o der Audbsung durcb Wiirme + Trockenbeit. Es wird auch durch den altbekannten Satz ausgedriickt: ,,Warme und trockene Jahre sind Insektenjahre."

Insekten sind W~mefiere. W~rme beschleunigt ihre Entwicklung, erh6ht die Zahl ihrer Generationen oder Bruten, verst~irkt ihren Frail, verkfirzt die Dauer ihrer Entwicklungsstadien und damAt der Angriffszeit f/.ir die Gegenspieler: Parasiten, Pr~idatoren und Pathogene. So ist W~irme allein bereits sehr sch~idlingsfiSrdernd. Tritt nun noch Troekenheit hinzu, kommt es zur Eskalation.

Trockertheit he~t fiir den Baum: Wasserhaushaltsst6- rung, und diese bedeutet ffir die Borkenk~er eine rapide Herabsetzung des Harz- und Saftdruckes und damit der Abwehrkraft des Baumes gegen das Eindringen der K~fer (Lit. s. POSTNER, 1974) - und es bedeutet ffir die blatt- fressenden Raupen eine grundlegende Verbesserung der Ern~ihrung. Das beruht auf folgendem Zusammenhang: In Trockenperioden reichern die Bl~itter ihren ZeUsaft als osmotischen Verdunstungsschutz mit Zucker an (u. a. STOCKER, 1956). Ffir die blattfressenden Raupen ist aber gerade Zucker ein besonders wichtiger Ern~ihrungsfak- tor. Im Blatt sind ja normalerweise die Kohlenhydrate ganz fiberwiegend als St~irke festgelegt, die yon den Rau- pen bestimmter Entwicklungsstadien mangels des Fer- mentes Amylase nicht oder nur zu geringem Tell verdant werden kann. Die Raupen sind daher ffir ihren Kohlen- hydratstoffweehsel auf Zucker angewiesen, der ffir sie Mangelware ist. (Lit. s. BUDDENBROCK yon, 1956). Jetzt pl6tzlich, bei Trockenheit, sitzen sie am zuckergedeckten Tisch, fressen mehr und schneller, entwickeln sich ra- scher und erh6hen ihr K6rpergewicht und ihre Vemeh- rungspotenz entscheidend (u. a. SCHWENKE, 1963; PA- TOOK& 1973). Daneben hat Trockenheit auch eine starke Hemmwirkung gegen alle Insektenkrankheiten.

Mit einem im Weinbau fiblichen Hand-Zuckerrefrak- tometer kann man vor Ort nachprfifen, wie der Zuk- kergehalt der Baumbl/itter mit zunehmender Trockenheit stark ~steigt - und auch wie er yore Standort abh~ingt, denn zu gleicher Zeit sind die B1/itter auf n~hrstoffarmen Standorten zuckerreicher als auf n~ihrstoffreicheren.

Diese letztere Beobachtung zeigt, wie die beiden Grundprinzipien der. Entstehung yon Massenvermeh- rungen, relative Artenarmut und W~irme-Troeknis-Wir- kung, miteinander verknhpft sin& Die Wasserhaus- haltsst6rungen im Baum sind in arten- und n~ihrstoffar- men W~ildern stoker als in arten- und n~ihrstoffreicheren. Das liegt darin begrfindet, dai das Wasser- und N ~ r - stoffangebot des Bodens natfirlich mat dem Arteninven- tar an Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen korreliert ist. Daher werden Trockenperioden von naturnahen

Mischw~ildern welt besser fiberstanden als von naturfer- hen Monokulturen.

Soviel zu den Grundlagen der Emstehung von Insek- tenmassenvermehrungen im Wald. Nun zu den Gegen- magnahmen, beginnend mit den Borkenl~fem, deren Be- traehtung sich auf die Rindenbriiter in Nadelb~iumen be- schr~inken soil.

3 Gegenmaf~nahmen 3.1 Borkenkiifer

Wie erwihnt, ffihrt Wassermangel zu einer rapiden Senkung des Harzdrucks, was mit Druckmef~gerliten leicht nachweisbar ist. Betroffen sind nicht nur stehende, sondern auch ffisch gef~illte Biiume und gebrochene Baumteile. Sie alle entwickeln als chemische Reaktion auf den Wassermangel besfimmte Rindensubstanzen, die fiir den Menschen nicht riechbar shad, von den Borkenkiifem aber als Duftstoffe wahrgenommen werden und ihnen als Wegweiser zu dem disponierten Holz dienen. Man be- zeiehnet das Holz, das solehe Rindenduftstoffe produ- ziert, als ,,fLngisch". Diese Rinden- oder Primiirduftstoffe bilden den Schltissel zum Borkenkiifer-Problem und sind in ihrer Bedeumng noch nicht genfigend beachtet wor- den. Nach erfolgtem Einbohren in das disponierte Holz produzieren die Kiifer ihrerseits artspezifische Sekund~ir- duftstoffe oder Pheromone, um mat ihnen weitere Artge- nossen herbeizulocken.

Grundlegend wichtig ffir die Gegenmainahmen ist nun, dai die K~ifer- entgegen verbreiteter Meinung - bei st~kerer Vermehrung undBrutholzmangei rlicht prim~ werden, d. h. in gesunde B~iume eindringen. Sie fliegen solehe Biiume gar nicht an, well diese keine Rindenduft- stoffe aussenden.

Vor einigen Jahren besuchten der Leiter des Forstamtes Berchtesgaden und der Verfasser sfidlich vom K6nigssee einen Fichtenbestand, in den vor geranmer Zeit eine La- wine eine Schneise gebrochen und geworfen hatte. Das liegende Holz war fiber und fiber mit alten Borkenk~ifer- Brutbildern besetzt. Zur Zeit unseres Besuches war kein lebender Borkenk~er mehr zu sehen. Eine Betrachtung der an den R~ndern der Sehneise stehenden Fichten er- gab, daft diese - mit Ausnahme weniger B/iume - frei yon Borkenk~erbefall geblieben waren. Nach der g~gigen Meinung h~itten die im Bruchholz sich entwickelten und unter starken Populafionsdruck geratenen Borkenk~er auf die gesunden Biume der Umgebung iibergehen mfis- sen. Das taten sie aber nicht, denn diese waren mangels Rindenduftstoffe nicht f~ingisch. Daher hatte die Borken- k~er-Massenvermehrung im Bruchholz der Lawine sich qkhuasi ,,totgelaufen'. Sie war in sich zusammengebrochen.

Niche Beobachtungen wurden in den vergangenen Jahrzehnten bei lokalen Sturmbrfichen immer wieder ge- macht, nicht nut im Gebirge, sondern auch in Flachland- w/ildem. Bei den riesigen Sturmbrfiehen der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland, wo an ein vollst~diges Aus- r~iumen des Bruchholzes gar nlcht zu denken war, h~itte ein Pfim~rwerden der Borkenk~ifer zum Tod beinahe des gesamten deutschen Nadelwaldes ffihren miissen.

Auf Luftbildfotos yon Sturmbrfichen in Fichtenbe- st~den, z. B. im Nationalpark Bayerischer Wald, ist zu- weilen an einer Seite der Bruchfl~iehe eine relativ breite Randzone yon Fichten zu sehen, die durch Borkenk~ifer- befall abgestorben ist. Hierin liegt jedoch kein Beweis ffir ein Prim~irwerden des K~ifers. Der Sturm hatte hier in der Kernzone seines st~keren Druckes die B~iume geworfen

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und in Sturmrichtung mit etwas vermindertem Druck eine Reihe von Randzonen-Fichten angeschoben, was zu Wurzelrissen ffihrte, die wiederum Wasserhaushaltsst6- rungen und die Borkenk/ifer-Disposition der B/iume ver- ursachten.

Die Feststellung, daft Borkenk~ifer sekund/ire Sch/idlin- ge sind und bleiben, liit~t es als falsch erscheinen, den Wald um einen Borkenk~er-Herd herum insgesamt als bedroht zu betrachten und den Herd mittels F/illung von grot~enteils gesunden B/lumen abzuriegeln, um mit die- sere Riegel aus neuem Bruchholz den Sch/idling zu k6- dern und an weiterer Ausdehnung zu hindern. Das rich- tige Vorgehen besteht in einer sorgf/iltigen Betrachtung des ganzen umgebenden Bestandes und in einer Heraus- nahme der vom K/ifer bereits starker befallenen Biiume sowie alles liegend befallenen Holzes mit anschlieflender Entrindung und Rindenvemichtung.

Der Sinn dieser Herausnahme wie auch der Anwen- dung yon Pheromonfallen ist die Senkung der Borkenk/i- ferdichte mit dem Ziel, den wasserhaushaltsgest6rten, f/ingischen stehenden B~iumen, die bei Trockenheit oft in erheblicher Zahl fiber das Waldgebiet verstreut sind, die Chance zu geben, einen schwachen K/iferbefall, um den sie kaum herumkommen, bis zum n/ichsten Regen zu fiberstehen, der ihnen ihre Abwehrkr/ifte zurfickgibt und ihre Existenz sichert.

Die Borkenk~er sind, auch wenn sie nicht ,,prim/if" werden, verheerende Sch/idlinge, die unz/ihlige vorfiber- gehend geschw/ichte und damit ,,f/ingische" B/iume ver- nichten, die ohne diesen Befall gr6fltenteils am Leben bleiben wiirden.

Die selektive Entfemung des von Borkenkifern stark befallenen Holzes ist und bleibt die einzige wirksame und zugleich bestandschonende Methode der Borkenk/ifer- Bek~mpfung.

Vielleicht gelingt es in naher Zukunft auch, den noch schwach befallenen B/lumen mit einem umweltschonen- den Rindenstreichmittel zu helfen, das in die Brutg/inge eindfingt und die Sch/idlinge vernichtet. Arbeiten an sol- then Streichmitteln aus Natur61en sind im Gange.

Auf die Verwendung chemischer Borkenk/ifergifte zur sogenannten ,,Vor-Ausflug-Spritzung" sollte verzichtet werden, da hier einem geringen Erfolg erhebliche Um- weltsch~iden, insbesondere die Vernichtung von Borken- k/ifer-Pr/idatoren und -Parasiten, gegeniiberstehen.

Die soeben skizzierte Borkenk/iferbek/impfung, beste- hend im Ausr~inmen des Kiiferholzes, unterstiitzt dutch Pheromonfallen, bedeutet im Prinzip ein st~ndiges Her- laufen hinter dem Sch~idling, der dann ja auch meist der Schnellere ist. Die Devise mug daher lauten: Verhfiten statt vernichten - dem Schiidling zuvorkommen, statt ihm nachzulaufen. Die eingangs genannte Beziehung zwischen Verarmung des urspriinglichen Arteninventars und Sch~idlingsanf~illigkeit gilt auch ffir den Borkenk~ifer. Die naturfemen einstufigen Nadelholzmonokulturen sind weitaus sturm- und bruchgef~Jardeter als die natur- n/iheren mehrstufigen Mischwiilder und unterliegen zu- dem viel stoker dem Trockenstref~ und damit dem Bor- kenk~iferbefall. Das Problem ist nur dadurch zu 16sen, daf~ aus den borkenk~erdisponierten Kunstw~ildern wie- der borkenk~erresistente Naturwalder werden.

Es sei hierbei der Begriff ,,Naturwiilder" verwendet, auch wenn es in vielen F/illen wohl nur mehr gelingen wird, der ursprfin!glichen Waldform mehr oder weniger nahezukommen, also naturnahe Wiilder wiederherzustel- len. Aber man kann es als sicher betrachten, daf~ die Ab-

wehrkraft derartiger natumaher W~ilder gegen Borkenk/i- fer und andere Sch~4dlinge entscheidend gr6f~er ist als die der jetzigen naturfemen Forsten.

3.2 Blattfressende Raupen Was nunmehr die blattfressenden Raupen (einschliefflich

der Blattwespen-,,Afterraupen') betrifft, so wirkt die Trok- kenheit bei ihnen, wie gesagt, haupts~ichlich fiber eine Ver- besserung der Nahrungsqualit/it. Darin stimmen alle Baum- arten iiberein. Nicht fiberein stimmen sie aber in ihrer Erho- lungsf/ihigkeit nach starkem Raupenfra~. W~hrend die Laubb/iume imstande sind, noch in der Vegetationsperiode, die den Blattverlust brachte, umfangreiche Ersatztriebe zu bilden und damit ihre Existenz zu sichern - und dies auch bei mehrmaligem Kahlfr~ hintereinander -, haben fast aUe Nadelb/iume, darunter die Fichte und die Kiefer, diese F~_igkeit nicht. Von ihnen ist nur die Kiefer imstande, einen einzigen Kahlfrafl zu iiberstehen und dies auch nur, wenn es sich um einen Sp/itfrafl handelt.

Von den vier wichtigsten Nadelholz-Blatffressern, Nonnenspinnet* (Lymantria monacha L.) an Fichte und Kiefer, sowie Eule (Panolis flammea Schiff.), Spanner (Bupalus piniarius L.) und Buschhornblattwespe (Di- prion pini L.) an Kiefer, sind die Nonne und die Eule Frfihfresser mit maximalem Raupenfr~ im Juni, w~rend der Spanner und die Blattwespe Sp/itfresser sind mit Fraf~- maxima im August/September. ImJuni sind aber die n~chst- jiihrigen Knospen nicht genfigend ausgebildet, so da~ der Kahlfrafl durch Frfihfresser ein Todfra~ ist.

In den Nadelw/ildem mfissen daher ein 1. Kahlfraf~ durch Friihfresser oder ein 2. Kahlfrafl dutch Sp/iffresser unbedingt verhindert werden; dies allerdings mit spar- samsten Bek/impfungsmitteln und auf minimaler F1/iche. Bei Laubw/ildern ist dagegen, wie die sehr reichhaltige Li- teratur aus vielen L/indem zeigt, der Raupenfr~ - auch bei mehrmaligem Kahlfrai~ hintereinander - weder fiir den Bestand als solchen noch ffir einen wesentlichen Tell der Einzelb/iume existenzbedrohend, so d ~ hier prlnzi-

ell yon Bekiimpfungsmatgnahmen abgesehen werden nn. Trotz dieser gesicherten Erkenntnisse beruhen die

im sfiddeutschen Schwammspinner-FraBgebiet 1993 und 1994 durchgefiihrten Bek~mpfungsaktionen auf der Be- ffirchtung, daf~ den W/ildern die Vernichtung oder zu- mindest ein starker Verlust an Einzelb/iumen drohe, wenn nicht bek~mpft worden w/ire.

Ein Hauptargument bildet dabei das Nacheinander- Wirken yon Kahlfrat~ und Eichenmehltau auf den neu ge- triebenen Bliittern. In der Tat berichten einige Arbeiten, vor allem aus Sfidost- und Osteuropa (u. a. Min. Land- u. Forstw. Rum/inien, 1971), vom Absterben einzelner Ei- chen nach SchwammspinnerfraB mit anschlieflendem Mehltaubefall. Eine Meldung, die sich auf s/imtliche Ei- chenbest~nde Kroatiens und Slawoniens bezieht (SCHEDL, 1936) spricht gar yon 1,75 Millionen Festme- tern Eichenholzanfall, verursacht zwischen 1909 und 1925 durch Schwammspirmer + Mehltau. Selbst wenn diese Zahl richtig w/ire (es f/illt auf, daf~ aus allen Jahrzehnten da- nach keine derartige Schadensmeldung wieder erfolgte), so ergibt sich aus ihr, bezogen auf die dortigen riesigen Fl~ichen von mehreren hunderttausend Hektar sowie dem langen Zeitraum, auch nur ein Holzanfall yon welt weniger als 1/2 Festmeter pro Hektar und Jahr.

Sehr wichtig ffir eine Versachlichung der Diskussion fiber die Raupenfra~folgen im derzeitigen Schwamm- spinner-Vermehrungsgebiet ist es, daf~ in Hessen und

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Nordbayern einige 1993 nicht behandelte und kahlgefres- sene Laubw~ilder als Testbest~nde auch weiterhin unbe- handelt blieben. Sie werden die Nachwirkungen von mehrmaligem KahlfraB + Mehltaubefall zeigen.

Nach allen heutigen Erkennmissen hat die Bek~np- fung des Schwammspinners ftir die Existenz der betref- fenden Laubw/ilder keine Bedeutung, wohl aber ffir die Sicherung der Holzprodukfion. Denn zweifellos ffihrt je- der starke Raupenfrafl zu einem Verlust an Jahresholzzu- wachs. Womit ein Punkt berfihrt w~e, den es n~iher zu betrachten gilt.

Der heutige Forstschutz ist seinem Wesen nach nicht Waldbestandsschutz, sondern Produktionsschutz und als solcher ein Erffillungsgehilfe des Waldbaus. Der Wald- ban hat in den vergangenen zwei Jahrhunderten im Sinne einer auf Maximalproduktion ausgerichteten Forstwirt- schaft den gr6t~ten Tell der bis dahin artenreichen na~r- lichen W~ilder in artenarme Kunstforsten umgewandelt mit der Folge, daf~ diese zunehmend von Sch~idlingen be- fallen wurden. Zur Abwehr dieser Sch~idlinge und Be- wahrung der Produktionsleistung dient der Forstschutz, der dabei in der Regel breitenwirksame Sch~idlingsbe- k~npfungsmittel verwendet.

Es l~if~t sich eindeutig belegen, dab die immer umfang- reicher gewordene Ausbringung breitenwirksamer Um- weltgifte nicht eine Abnahme der Insektenmassenver- mehrungen, sondern ihre Zunahme zur Folge hatte. Denn jeder dieser Eingriffe sch~idigt das Wald6kosystem nachhaltig und erh6ht seine Sch~idlingsanf~illigkeit. So entwickelte sich eine unheilvolle Spiralbewegung von Sch~idlingsvermehrung - Bek~npfung - st~irkere Sch~id- lingsvermehrung- stfirkere Bekiimpfung, und dies in im- mer kfirzeren Abst~den.

In dramatischer Weise verschiirft wird diese Entwick- lung durch eine seit mehr als zwei Jahrzehnten sichtbare Klimaverschiebung zu mehr W~irme, Trockenheit und auch Stiirmen. Es sei hierzu auf die zahlreichen unzwei- deutigen Hinweise der Klimaforscher verwiesen. Bei Fortsetzung dieser Entwicklung werden die Schadinsek- ten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten der Forst- wirtschaft Probleme von bisher nicht gekannten Aus- maf~en bereiten. Auch die derzeitige Massenvermehrung des Schwammspinners, der schwerpunktm~qig in Sfidost- europa verbreitet und besonders w~me-, trockenheit- und lichtliebend ist, im sfidlichen Deutschland und in Teilen der Schweiz ist im Lichte dieser Klimaverschie- bung zu sehen.

Man hat dem Schwammspinner in zahlrelchen sfid- deutschen Eichen- und Eichenmischw~ildern optimale Ver- mehrungsbedingungen geschaffen und zwar durch Ver- ~nderung der ursprfingllchen Mischwaldstruktur. Dem wird entgegengehalten, daf~ es sich bei einem Tell der be- fallenen W~ilder um noch relativ natfirliche artenreiche Mischbest~inde handele, deren Sch~idlingsdisposition ei-

~ entlich unverst~ndlich sei. Wie dort abet der standort- firtige Wald wirldich anssehen miii~te, kann man, wie

schon gesagt, bei den Geobotanikern erfragen. Sie wiir- den eine vom heutigen Bild abweichende Waldgesell- schaft beschreiben, und bestimmt wfirden sie auf einen heute gravierenden Mangel an Schattenb~iumen hinwei- sen. Der extrem lichtbedfirftige Schwammspirmer ist ffir das Fehlen yon Beschattung besonders dankbar.

Die im Frfihjahr 1993 und 1994 durchgeffihrten Be- k~npfungsaktionen verwendeten als Insektizid das h~iu- tungshemmende Harnstoffderivat Dimilin. Mit seiner Hilfe wurde in jeweils mehreren tausend Hektar Wald ein

Kahlfrat~ verhindert. Gerade diese Erhaltung der Bebliit- terung wird nun in dem derzeitigen Meinungsstreit fiber das Ffir und Wider yon Bek~znpfungsmaBnahmen ins Feld gef/ihrt und die Melnung vertreten, dat~ die Blattver- schonung mittels Dimilin ffir das Okosystem giinstiger sei als die Blattvernichtung durch Raupenfrafl. Diese Meinung ist jedoch irrig.

Ein natfirlicher Blattverlust durch RaupenfraB ffihrt zu einer kurzzeitigen Verminderung der Populationsdichte eines Tells der direkt und indirekt yore Blattfrafl abh~in- gigen Insektenarten. Da~egen greift das Dimilin viel tiefer und nachhaltiger in das Okosystem ein. Es tfifft ffir meh- rere Monate alle sich h~iutenden Kleintiere, die den Wirk- stoff mit der Nahrung aufnehmen, und das sind nicht nur die Blatffresser und ihre R~iuber und Parasiten, sondern vor allem auch die Abfallfresser und Zersetzer wie Col- lembolen, Bodenmilben, Asseln, Tausendffifler und auch die Fadenwfirmer (Nematoden), die - meist weniger als 1 mm lang - in fiesiger Anzahl an der Humlfizierung des Bestandsabfalls beteiligt sin& Auch sie h~iuten sich und unterliegen damit dem H~iutungshemmstoff. Des weite- ren dringt Dimilin auch in abgelegte Insekteneier, z. B. von Raubinsekten, ein und verhindert die Entwicklung der Embryos. Damit nicht genug, werden Insekten, die Dimilin aufgenommen haben, aber nicht daran starben, groflenteils unfruchtbar. Dimilin hat also auch eine be- achtliche sterilisierende Wirkung. Und schlieffllch bedeu- tetes fiir die parasitischen Schlupfwespen und Raupen- fliegen, die wichfigsten Schiidlingsfeinde fiberhaupt, ei- nen Riesenunterschied, ob sie mitsamt den Raupen, in de- nen ihre Larven gerade parasitieren, vom Dimilin get&et werden - oder ob sie sich in unbehandelten Raupen

runghaft vermehren k6nnen, um dann in grofler Zahl fiberlebenden, durch Hunger dezirnierten Raupen an-

zugreifen. Alle diese z. T. erst in den letzten Jahren zuta- ge getretenen Nebenwirkungen des Dimilin lassen keinen Zweifel daran, daft ein Einsatz dieses Umweltglftes das Wald/Skosystem weitaus stoker sch~idigt, als es ein nafiir- licher Blattverlust durch Ranpen vermag.

Gleichwohl bildet zur Zeit das Dimilin das Bek~axtp- fungsmittel der Wahl, so lange W~ilder vor einem TodfraB bewahrt werden mfissen, und das sind nach heutigen Er- kennmissen nur Nadelw~ilder. Die zur biologischen Sch~idlingsbek~impfung produzierten Bacillus-Pr~parate sind in ihrer gegenw~irtigen Form hierffir im. allgemeinen. nicht geeignet. Abgesehen davon, daf~ auch sle eme erheb- liche Breitenwirkung aufweisen, k6nnen sic wegen ihrer noch zu geringen Effizienz einen KahlfraB bei sehr hoher Sch~idlingsdichte nicht verhindern. Zudem sind sie sehr witterungsabh~ngig.

Die mehrfach ge~iuflerte Meinung, der Schwammspin- ner sei yon bek~impfungsfrei gebliebenen und daher kahl- gefressenen BestL~den aus in weniger befallene, oft welt entfernte W~ilder der Umgebung eingewandert und habe diese gleichsam ,,infiziert", ist irrig. Derartige Meinungen tauchen bei Insektenmassenvermehrungen in W~ildern immer wieder auf und waren frfiher sogar einmal Gegen- stand einer ,,Herdtheorie bzw. ,,ISIberflugtheorie (u. a. PAULY 1891). Sie sind in allen F~illen widerlegt worden. Die meisten forstsch~idlichen Insektenarten Europas, dar- unter auch der Schwammspinner, sind fiber den gr/Sgten Tell des Kon'dnents verhreitet, jedoch in normalen Jahren in so geringer Dichte, daB man sie kaum bemerkt. Erst bei giinstigen Umweltkonstellationen tauchen sie pl6tzlich in Massen auf, dabei nicht fiberall gleichzeitig, sondern hier ein Jahr frfiher, dort ein Jahr sp~iter. Man hat hierffir

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124 W. SCHWENKE: Uber die Grundlagen der Entstehung und Begegnung von Insekten-Massenvermehrungen im Wald

das Bild einer auftauchenden gebirgigen Insel verwendet: Im ersten Jahr tauchen die h6chsten Sp.itzen auf, im r~ch- sten Jahr folgen die niedrigeren. Mit Uberfliigen hat das nichts zu tun. Die Entstehung einer Insektenmassenver- mehrung ist prinzipiell standortgebunden, autochthon.

Wenn in waldnahen Ortschaften Falter, Eigelege und Raupen zu sehen shad, stammen sie vonde r Anlockung der Falter durch elektrisches Licht. In andere W~ilder, ab- seits von ihrem Entwicldungsort, fliegen die Falter mit Si- cherheit nicht. Ihr einziges Geschiift ist die Kopulation und Eiablage vor Ort.

4 Konsequcnzen

Zurtickkommend auf den Kern des Forstsch~idlings- problems ist festzustellen, daft nach allem Gesagten zu diesem Problem eine neue Einstellung dringend geboten ist. Man mug endlich wegkommen von der Vermeh- rungs-/Bek~impfungs-Spirale, vom st~ndigen Herlaufen hinter den Sch~idlingen, von der Beseitigung nurder Sym- ptome anstatt der Ursachenl Jedes weitere Jahr im alten Stil ~ h r t zu weiterer ZerstSrung dessen, was yon unseren Wald6kosystemen noch fibriggeblieben ist, und er- schwert die Riickkehr zu naturnahen W~ildern. Die fun- damentale Bedeutung der Ur- und Naturwiilder unseres Globus fiir Klima, Wasser, Boden, Luft, Erhaltung der Pflanzen- und Tierwelt sowie fiir die menschliche Ge- sundheit ist in jiingerer und jfingster Zeit zu einem welt- weiten Thema geworden. Besonders in den hochindu- stfialisierten und bev~51kerungsreichen L~ndern Europas miissen die Wiilder, als die wichtigsten Landschaftsein- heiten, natfirlich gestaltet und erhalten werden. Die heute in Europa dominierenden Kunstforsten, die gr6fltenteils nut mit Hilfe umweltzerst6render Maflnahmen am Le- ben gehalten werden k6nnen, sind nicht oder nur man- c~elhaft in der Lage, die genannten Fundamentalaufgaben

es Waldes zu erftillen. Die Sch~idlingsvermehrungen shad Symptome eines

kranken Waldes, und der kranke Wald ist das Ergebnis ei- ner Forstwirtschaft, die in dieser Form heute nicht mehr zeitgem~is ist. Solange die Forstwirtschaft sich nicht ver- ~ndert - und zwar yon einer 5konomischen Forstwirt- schaft alten Stils zu einer zeitgem~iflen 6kologischen Waldwirtschaft - , wird sie die Produktionsforsten nicht umgestalten, und solange diese nicht umgestaltet sind, wird es Insektenmassenvermehrungen in immer ldirzeren Absfinden und in immer schwererer Form in unseren Wiildern geben.

Die GeseUschaft ist jetzt am Zuge. Sie muff entschei- den, was sie vom Wald erwartet und welche Form von W~ildern sie d e m g e m ~ beansprucht. Wenn sie vom Wald alles das verlangt, was ihr ein nattirlicher, gesunder Wald geben kann - und das muff sie einfach verlangen, um iiberleben zu k6nnen - , dann sollte sie das mit voltem Einsatz tun und vor allem auf rasche Verwirklichung dringen. Sie sollte aber auch beriicksichtigen, d ~ die Mehrkosten fiir diese produktionsiirmeren W/ilder nicht allein den Waldbesitzern aufgebiirdet werden k6nnen.

Es ist dringend n6tig, die Offentlichkeit hierzu griind- lich aufzukl~iren. Wie grofl das Defizit in dieser Hinsicht noch ist, zeigte allein schon die negative 6ffentliche Re- aktion auf die Forderung des Bundes Naturschutz in Ba~cern nach Unterlassung von Bek~impfungsm~- nanmen gegen den Schwammspinner. Der Bund Natur- schutz bewies damit als einzige Institution die Weitsicht, zu einem Stopp der verhiingnisvollen Vermehrungs-/Be-

k~mpfungs-Spirale dort aufzurufen, wo sie grundsiitzfich vermieden werden kann: in den Laubw~dern.

Der Wald muff einen neuen Sinn erhalten. Er mug sich vom gewinnmaximierten Wirtschaftsobjekt zu einer fun- damentalen Lebensgrundlage Eir den Menschen wandeln. Zu dieser Konsequenz ffihrt die folgerichtige Betrach- tung des heutigen Forstschiidlingsproblems.

Zusammenfassung Die fundamentale Ursache der Forstinsekten-Massenver-

mehrungen besteht darin, daf die heutigen Kunsfforsten natur- fern sind und kein stabiles 6kologisches Gleiehgewieht mehr be- sitzen. Beim Zusammentreffen von Wiirme und Trockenhelt kommt es zu Massenvermehrungen, wobel die Wasserhaus- haltsst6rungen im Baum die Hauptrolle spielen. Sie senken die Harzungskraft als Mittel der Abwehr von Borkenk~ern, und sie f6rdern die Blattfresser durch Verbesserung der Nahrungsquali- tiit (Erh6hung des Zuckergehalts).

Beziiglich der Gegenmafnahmen ist zu beriieksichtigen, daft Borkenk~ifer sekundiir sind und blelben. Die einzlg wirksame Bek~impfung ist hier die Enffernung des stark von Kiifern befal- lenen Holzes aus dem Wald. Bei den Blattfressern besteht ein grundsiitzlicher Untersehied zwischen Laub- und Nadelbaum- sch~idlingen. Die Laubb~iume haben ein grofles Regenerations- verm6gen und sterben auch nach mehrmaligem Kahlfraf nicht ab. Bei den Nadelbiiumen bedeutet tells ein einmaliger, teils ein zweimaliger Kahlfraf den Tod des Waldes.

Der Waldbau hat durch Umwandlung der Naturwiilder in Kunstforsten das Sch~dlingsproblem geschaffen. Die Ausbrin- gung breitenwirksamer Pesfizide fiihrt zu immer hiiufigeren und st~keren Sch/idlingsvermehrungen. Die Situation verseh/irft sich eklatant durch eine im Gang befindlicbe Klimaverschiebung in Richtung zu mehr W/irme, Trockenheit mad Stiirmen. Nur die Riickkehr zu naturnahen W~ildern kann das Forstsch~dlingspro- blem 16sen. Die heutige 6konomisehe Forstwlrtschaft mug zu einer 6kologlschen Waldwirtschaft werden.

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Anschrift des Verfassers: Prof. era. Dr. W. SCHWENKE, Lehr- stuhl fiir Angewandte Zoologie, Fakultiit fiir Forstwissenschaften, Universi6it Miinchen, Hohenbachernstr. 20, D-85354 Freising.