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FE Biltz. Stabil. chem. Vwbind. dureh energieliefernde Zusatxreaktionen. 215 Uber die Stabilisierung chemischer Verbindungen durch energieliefernde Zusatzreaktionen.1) Von WILDLM BILTZ. Instabile Verbindungen, als solche hohen thermochemischen Potentials, werden daran erkannt, da8 ihre Konzentrationen im Gleichgewichte mit ihren Zersetzungsprodukten unter den gewahlten Bedingungen klein sind. Man kann nun das Potential eines Systems, das eine zu stabilisierende Verbindung enthalt, dadurch verkleinern, das man ihr einen Stoff addiert, dessen Anlagerung unter Arbeits- leistung erfolgt. Folgendes Beispiel erlautert diesen Satz: Festes Cuprijodid ist bei den Normalbedingungen des Druckes und der Temperatur instabil; es zerfallt mit einer Warmeentwicklung, die von DONNAN auf 11 Gal geschatzt worden ist, in Cuprojodid und Jod: Wie das negative Vorzeichen der Bildungswarme als Merkmal der hinsichtlich der Abspaltung molekularen Jods endothermen Verbin- dung ausdriickt, ist das Gleiohgewicht in (1) nach links verschoben. Nun besteht eine Anlagerungsverbindung, CuJ, .31/, NH,, deren Bildung aus festem Cuprijodid und gasfarmigem Ammoniak nach folgender thermochemischen Qleichung verlauft: OuJ, + 3l/,NH, = CuJ2.31/, NH, + 60 Ca1.3) i2) CuJ + J = CuJ, - 11 Gal.,) (1) 1) Diese Abhandlung ist bereits in den Nachr. d. Ges. d. Wiss. zu Gattingen, Math.-phye. Kl., Sitzung vom 12. 11. 1926, veroffentlicht. Zum Ab- drucke in dieser Zeitschrift wurde sie mit einigen Abanderungen und Er- ganzungen versehen. 2) ABEQGI’S Handb. 11, 1, s. 575; auch nach einer Schatzung durch H. G. GRXNM und K. F. HERZFELD, 2. Phys. 19 (1923), 160 ist der Betrag negativ, wenn auch wesentlich kleiner. Die Gleichung bezieht sich auf die Abspaltung molekularen Jods; die Atomverbindungswarmen sind positiv [vgl. W. BILTZ, 2. angew. ekehem. 3% (1920), 3151. 3) Nach W. BILTX, Z anorg. U. aZZg. Chem. 148 (1925), 214 sind die Teil- bildungswilrmen der Cuprihalogenid-Ammoniakate ziemlich unabhangig vom Wechsel des Anions. Die hier intereesierenden Gesamtbildungswiirmen von CuCI,. 31/8 NH, und CuBr, 3’1, NH, betragen nach den neuesten Messungen ubereinstimmend 60 Cal. Damit rechtfertigt sich die bier im Texte eingesetzte GesamtbildungswLrme von CuJ, - 3’/, NH,. Eine unmittelbere Messung ist nicht m6glich, weil CuJ, als solchee nicht zuganglich ist. 18*

Über die Stabilisierung chemischer Verbindungen durch energieliefernde Zusatzreaktionen

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FE Biltz. Stabil. chem. Vwbind. dureh energieliefernde Zusatxreaktionen. 215

Uber die Stabilisierung chemischer Verbindungen durch energieliefernde Zusatzreaktionen.1)

Von WILDLM BILTZ. Instabile Verbindungen, als solche hohen thermochemischen

Potentials, werden daran erkannt, da8 ihre Konzentrationen im Gleichgewichte mit ihren Zersetzungsprodukten unter den gewahlten Bedingungen klein sind. Man kann nun das Potential eines Systems, das eine zu stabilisierende Verbindung enthalt, dadurch verkleinern, das man ihr einen Stoff addiert, dessen Anlagerung unter Arbeits- leistung erfolgt. Folgendes Beispiel erlautert diesen Satz: Festes Cuprijodid ist bei den Normalbedingungen des Druckes und der Temperatur instabil; es zerfallt mit einer Warmeentwicklung, die von DONNAN auf 11 Gal geschatzt worden ist, in Cuprojodid und Jod:

Wie das negative Vorzeichen der Bildungswarme als Merkmal der hinsichtlich der Abspaltung molekularen Jods endothermen Verbin- dung ausdriickt, ist das Gleiohgewicht in (1) nach links verschoben.

Nun besteht eine Anlagerungsverbindung, CuJ, .31/, NH,, deren Bildung aus festem Cuprijodid und gasfarmigem Ammoniak nach folgender thermochemischen Qleichung verlauft:

OuJ, + 3l/,NH, = CuJ2.31/, NH, + 60 Ca1.3) i2)

CuJ + J = CuJ, - 11 Gal.,) (1)

1) Diese Abhandlung ist bereits in den Nachr. d. Ges. d. Wiss. zu Gattingen, Math.-phye. Kl., Sitzung vom 12. 11. 1926, veroffentlicht. Zum Ab- drucke in dieser Zeitschrift wurde sie mit einigen Abanderungen und Er- ganzungen versehen.

2) ABEQGI’S Handb. 11, 1, s. 575; auch nach einer Schatzung durch H. G. GRXNM und K. F. HERZFELD, 2. Phys. 19 (1923), 160 ist der Betrag negativ, wenn auch wesentlich kleiner. Die Gleichung bezieht sich auf die Abspaltung m o l e k u l a r e n Jods; die Atomverbindungswarmen sind positiv [vgl. W. BILTZ, 2. angew. ekehem. 3% (1920), 3151.

3) Nach W. BILTX, Z anorg. U. aZZg. Chem. 148 (1925), 214 sind die Teil- bildungswilrmen der Cuprihalogenid-Ammoniakate ziemlich unabhangig vom Wechsel des Anions. Die hier intereesierenden Gesamtbildungswiirmen von CuCI,. 31/8 NH, und CuBr, 3’1, NH, betragen nach den neuesten Messungen ubereinstimmend 60 Cal. Damit rechtfertigt sich die bier im Texte eingesetzte GesamtbildungswLrme von CuJ, - 3’/, NH,. Eine unmittelbere Messung ist nicht m6glich, weil CuJ, als solchee nicht zuganglich ist.

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Wie die Addition von (1) und (2) ergibt, ist das Cuprijodid in dieser Anlagerungsverbindung gegen den Zerfall in Cuprojodid und Jod geschiitzt; denn die Entstehung der Anlagerungsverbindung aus den drei Komponenten: Cuprojodid, Jod und Ammoniak verlauft stark exotherm.

CuJ + J + 91, NH, = CuJ, .3l/, NH, + 49 Cal . (3) Man kann sagen, da8 das Plus an Warmeinhalt, dessen das

endotherme Cuprijodid bedarf, durch die warmeliefernde Anlagerungs- reaktion mehr als ausreichend gedeckt ist, oder auch: die Warme- menge, die Cuprijodid beim Zerfall liefern wiirde, reicht zur Ab- spaltung angelagerten Ammoniaks nicht aus; somit wird die An- lagerungsverbindung gegeniiber der einfachen Verbindung stabiler; denn die iiberschiissige Warmemenge des Cuprijodids wird durch die unter Verbrauch von Warme varlaufende Abspaltungsreaktion aufgenommen, ,,gespeichert6L.

Dieue letzte Formulierung erinnert an gegenwartig vie1 er- orterte, kinetische Fragen, bei denen es sich ebenfalls zum Zwecke der Stabilisierung um eine Ableitung von Reaktionsenergie aus Reaktionsprodukten handelt *), oder um Entaktivierung in einem energiereichen, angeregten Zustande befindlicher Massenteile durch zugesetzte Fremdstuffe 2), oder urn nicht wenige Falle der Katalyse; denn auch hier wird letzten Endes oft eine im Verhaltnisse zu ihrer Umsetzungsgeschwindigkeit hinreichend lange Stabilisierung energiereicher Formarten der Reagenzien durch Addition die Aufgabe dee Katalysators seinA3)

Das in Rede stehende Prinzip zur Stabilisierung von Verbin- dungen ist an sich thermochemisch trivial und seine Erkenntnis gewil3 nicht neu. Bereits LOTHAR hat es systematisch zur Festlegung bestirnmter Valenzstufen mittels Komplexbildung an- ge~ende t .~ ) Aber es ist die Absicht, darauf aufmerksam zu machen, da6 sich ihm eine weitere Fulle wohlbekannter Beispiele aus der praparativen Chemie unterordnet, die der theoretischen und experi- mentellen Untersuchung zum Teil gewiB geringere Schwierigkeiten bieten, als die genannten Aufgaben der chemischen Kinetik. Mit einem naheren Verstandnisse dieser Reaktianen konnte zugleich die

I) J. FRANCK, 2. Elektrochem. 31 (1925), 350. 3, Beispiel: Die Hemmung des photochemisehen Ozonzerfalls durch Fremd-

7 Vgl. z. B. bei W. FBANKENBURGER, 2. Elektf-oc?aem. 32 (1926), 490. *) Vgl. u. a. Ber. 4'2 (1909) 4105; 25. anorg. zc. ally. Chem. 149 (1925), 343.

gase. Vgl. 8. KISTIAKOWSKY, 2. phys. Chern. 117 ('19251, 357.

Stabilisierwng chem. Terbind. dwch ertergieliefernde Zusatnreaktionen. 27 7

Moglichkeit einer mehr systematischen Herstellung bisher nicht bekannter Stoffe verbunden sein. Denn of7enbar muB grundsatzlich z. B. jede atomphysikalisch mogliche Verbindung zweier Elemente in Form eines Anlagerungsproduktes auch herstellbar sein, wenn es nur dem Experimentator gelingt, als Anlagerungsreaktion eine solche hinreichender Stabilisierungsenergie aufzufinden. Den besprochenen Vorgangen verwandt, aber nicht gleich sind die sogenannten gekoppelten Reaktionen l), bei denen die fiir eine Umsetzung erforderliche Energie durch eine zweite geliefert wird; verwandt hinsichtlich der Energie- bilanz, nicht gleicb, weil sich hier Lieferung und Qerbrauch von Energie mit v e r s c h i e den e n Molekiilen abspielt, eine Stabilisierung also nicht erreicht wird.

Wenn im folgenden einige Beispiere fiir Stabilisierung genannt werden, so sind diese einstweilen leider nur qualitativ abzuhandeln. Denn abgesehen davon, daB man die systematische Verwandtschafts- Iehre friiher wenig gepflegt hat, so sind, wie bei der Schilderung des Cuprijodid-Beispieles angemerkt wurde, die fraglichen ArbeitsgroBen im allgemeinen nur auf Umwegen zu erschlieBen; denn der un- mittelbaren Hessung sind die zu stabilisierenden Stoffe oft eben deshalb nicht zuganglich, weil sie in freier Form nicht bestahen.

1. S tab i l i s i e rung von Explos ivs tof fen . Es SOH von solchen Fallen abgesehen werden, in denen ein Zusatzstoff lediglich als Verdunnungsmittel wirkt. Unmittelbar der Stabilisierung des Cuprijodids vergleichbar ist dagegen die des Jods t icks tof fs . CH. HUGOT~) und 0. RUFF^) haben die Ammoniakate NJ, . 12NH,; NJ,. 3NH3 und NJ, - 2NH, dargestellt; durch Abbau erhalt man den gewohnlichen Jodstickstoff, der, wie schon R. BUNSEN f a d , die Zusammensetzung NJ, .NH, besitzt. Rum auBert sich iiber die Bestandjgkeit dieser Stoffe: ,,&fit Ausnahme des letzten Jodstick- stoffs fand ich bei den niederen Temperaturen, bei denen die anderen Verbindungen uberhaupt nur existenz€ahig sind, dieselben n ich t explosiv.'l Man erkennt die stabilisierende Wirkung der Ammoniakatbildung mit fortschreitender Menge Ammoniaks. Die Verbindung NJ, selbst ist iiberhaupt noch nie dargestellt worden, sondern nur in Form des noch immer hbchst instabilen Monammins, des Praparates, das schlechthin als ,,Jodstickstoff" bezeichnet wird.

l) Z. B. Bildung von Wasserstoffsuperoxyd als Begleiterscheinung des L6sens von Gold in Kaliumcyanid.

2, Awn. Chim. Phys. [7] 21 (1900), 5. 3, Ber. 33 (1900), 3025.

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278 w. Bilt%.

Bleiaz id kann durch Doppelsalzbildung merklich stabilisiert werden. Wie neuerdings L. BIECKENBACH mit W. R ~ R I G ~ ) fand, ist die Brisanz der Explosion von Doppelsalzen aus Bleiazid mit Blei- chlorid oder Bleibromid wesentlich geringer, als die von reinem Bleiazid.

Bekannt ist die Stabilisierung des an sich h6chst explosiblen W a s s e r s t o ff s u p e r oxy d s durch Anlagerung. BERTHELOT zeigte, da8 Bariumsuperoxyd ein Mol Wasserstoffsuperoxyd unter Entbindung von 10,2 Cal, d. h. von nahezu der Halfte cler zur Bildung von Wasserstoffsuperoxyd aus Wasser und Sauerstoff notigen Warme- menge aufnimmt, und R. WILLSTATTER ,) vermochte, bestandige Ver- bindungen der ZusammensetzungNa,SO, H,O . l/% H,O, und (NH4)2S0, - H,O, darzustellen; Anlagerungsprodukte von Wasserstoffsuperoxyd an Harnstoff sind Handelsware geworden. Uber die stabilisierende Wirkung der Hydratation vgl. auch unter 3.

2. Stab i l i s i e rung d u r c h Doppelsa lzb i ldung. Die ver- grijBerte Stabilitat von Doppelsalzen gegeniiber einfachen auBert sich sowohl thermischen , wie hydrolytischen Einfliissen gegeniiber. Im vorliegenden Zusammenhange interessieren aus der Fiille des Materials vielleicht besonders Beispiele, bei denen die einfachen Salze iiberhaupt nicht in reinem Zustande synthetisierbar waren. Es sind dies solche aus hoherwertigen Metallen und sehr schwachen Sauren, wie Kohlensaure und schweflige Skure. Hierher gehoren Kalium-Uranylcarbonat und Natrium-Thoriumaarbonat. Beide Stoffe werden zur analytischen oder praparativen Abtrennung der in ihnen enthaltenen Schwermetalle benutzt , worin sich bereits ihre relative Widerstandsfahigkeit auspragt. Eine Deutung findet diese aber erst in dem vorliegenden Zuspmmenhang. Ebenso wird die praparative Verwendbarkeit der ziemlich haltbaren Thorium-Alkalisulfit-Losungen thermochemisch verstandlich. Auffallig sind dem nicht definierbaren einfachen Chromocarbonat gegeniiber die Alkali-Chromocarbonate, die von einer, wie die Literatur sagt, ,,bemerkenswerten Bestandig- keit" sind. Ein Beispiel technischer Verwendbarkeit bietet das ,,P1umboxanCn" 3), ein Natriummanganatplumbat , Na,MnO, .Na,PbO,, das durch Sauerstoffaddition in eine Doppelverbindung des sonst nicht bekannten Natriumperplumbats, etwa von der Zusammen- setzung Na,Pb04 ubergeht. Eine technisch sehr bedeutsame Stellung

l) Festschrift d. Preu5. Bergakademie zu Clausthal 1925, S. 124. *) Ber. 36 (1903), 1528. 3, 2. angew. Chem. 39 (1926),33, Beil.: Chem. Apparate u. Maschinenwesen.

Stabilisierulzg chem. Verbind. durch energieliefevnde Zusatmeaktiolzelz. 279

nahm lange Zeit hindurch das von H. PRECHT untersuchte Salz KHCO,.MgCO, .4H,O ein, fiir dessen Stabilitat seine Entstehung aus Chlorkaliumlosungen bezeichnend ist.

3. Stab i l i s i e rung von S a u r e n d u r c h Sa lzb i ldung. Die stark exothermen Neutralisationsvorgange kijnnen als stabilisierende Zusatzreaktionen betrachtet werden, die dem selbstfatigen Zerfall endothermer Siiuren entgegenwirken. Am klarsten ergibt die Bildung der Ammoniumsalze aus freien Sauren und Ammoniak die Zu- gehbrigkeit der Salzbildung zu unserem Schema. Die Beispiele sind hier sehr zahlreich; denn fast samtliche Sauerstoffsauren der Halogene, des Schwefels und Stickstoffs, die ganz iiberwiegende Mehrzahl der Halogenosauren und Cyanosauren konnen hier genannt werden. So stabilisiert die exotherme Ammoniakanlagerung, die als solche nicht fa6bare Bleichlorwasserstoffsaure und aus der hiichst zersetzlichen Zinnchlorwasserstoffeliure wird das haltbare Ammonium- stannichlorid. Nach M. VOLMER l) besteht zwischen der Konstitution des Ammoniumperchlorats und nberchlorsauremonohydrats kein riintgenographisch nachweisbarer Unterschied. Es stabilisiert die Hydratation in ahnlicher Weise, wie die Anlagerung von Ammoniak 2, und es ist begreiflich, daB Sauren - aber auch viele andere Stoffe - durch Wasseraddition bestandiger werden.

Einen eigenartigen Schutz gegen die Oxydationswirkung der Luft erfahrt die freie Ferrocyanwasserstoffsahre, wenn man ihr Ather anlagert.

Wie der basische Anteil eines Salzes durch Addition einer starken Saure stabilisiert wird, lehrt die Bestandigkeit des Phos- phoniumbromids, PH, . HBr, im Vergleiche mit dem, der Entstehung aus den Elementen nach, endothermen Phosphorwasserstoff.

4. S t a b i l i s i e r u n g b e s t i m m t e r Valenzs tufea . DaB man sich zur Fixierung gewisser Wertigkeitsstufen mit Vorteil ihrer Festlegung in komplexen Verbindungen bedienen kann, war gewif3 nicht nur dem Verfasser schon friiher aufgefallen und gelegentlich besonders betont worden. Nun verdankt man H. G. GRIMN und K. F. HERZFELD 7 eine interessante Schatzung der Bildungswarmen ungesattigter und iiberslttigter binarer Verbindungen. Die Zahlen

l) Arm. 440 (1924), 200. *) Beispielsweise la& sich das Wasser aus Kobaltonitrathydrat nicht ohne

Zersetzung des Salzes entfernen, wohl aber glatt durch Ammoniak erseteen (F. EPHRAIX und E. ROBENBERG, Ber. 51 (1920), 130).

'1 2. Phys. 19 (t933), 141.

280 W . €lilt%.

dieser Autoren geben eine Vorstellung davon, welche Stabilisierungs- energie die Zusatzreaktionen haben miiBten, wenn man diese zumeist hypothetischen Verbindungen in Form von Derivaten herstellen wollte. Der bisherigen Erfahrung, die ohne diese .Leitlinien vorging, entnehmen wir folgende Beispiele.

a) S t ab i l i s i e rung d u r c h Komplexbi ldung. Als Schul- beispiel ist hier wiederum auf das eingangs zitierte Cupri j odid hinzuweisen; es wiirde sich lohnen, den Versuch mit Cupricyanid zu wiederholen, urn auch den in diesem Falle unbestandigen hohen Valenzzustand des Kupfers zu stabilisierea. Entsprechend 1ABt sich beim Golde die niedere Valenzstufe festlegen: Auroj odid ist in reinem Zustande aus den Elementen schwer zu erhalten; wohl aber kaun das Diamminaurojodid im thermischen Gleicbgewichte mit seinem Abbauprodukte, dem Monamminaurojodid, bestehen. 1)

VersucEt man, das letzte Nolekiil Amrnoniak zu entfernern, so tritt Zersetzung ein, dem Sinne nach ganz ahnlich, wie beim Jodstickstoffmonammin, nur sehr vie1 weniger energisch. A u r i - ch lo r id hat nach PELLATON bei 256,5O den Chlordruck einer Atmosphare. Nach N. PAEBAVANO und G. NALQUORI~) zersetzt sich komplex gebundenes AuC1, schweres und es ist sehr kennzeichnend, daB diese Stabilisierung durch Caesiumchloricl wirksamer, als durch Kaliumchlorid oder Silberchlorid erfolgt , wie die entsprechenden Zersetzungstemperaturen :

AgAuC1, . . . . 294O KAuCI, . . . 415O CsAuC1, . . . . 486O

zeigen. Der S t a b i l i s i e r u a g des viernrertigen B le i e s im Ammoniumplumbichlorid war bereits gedacht worden. Entsprechend finden wir das d re iwer t ige Mangan in iiur unbesfindigen ein- fachen, wohl aber in zahlreichen, sehr widerstandsfahigen Komplex- verbindungen. Beispielsweise ist, wie H. GALL und R. MENGDAHL fanden ,), die Verbinduag MnCl, *NO ein leicht rein darstellbares Salz. Die Reindarstellung von wasserfreien Tha l l i s a l zen st6Bt auf bieher nicht iiberall mit Sicherheit iiberwundene Schwierigkeiten. Dagegen sixld die entsprechenden Doppelsalze und Komplexsalze haltbare Stoffe. Mit Vorteil kann man sich der Cyanide bedienen,

I) W. BILTZ, 2. amrg. u. a2Zg. Chem. 148 (192B), 192. 2/ Gaix. chiin. 66 (1986), 13. ’) Ber. 60 (1927), 86.

Stabilisierung &em. Perbiizd. d w h energieliefernde Z usaf~~eakt ionen . 28 1

wenn es gilt, Verbindungen e inwer t igen Nicke ls und ein- wer t igen Koba l t s zu erhalten, wie dies BELLUCI und CORELLI und neuerdings mit besonderem Erfolge G. GEUBE I) gelungen ist, der Kaliumdoppelcyanide von einwertigem Nickel und Kobalt durch elektrolytische Reduktion herstellte. Den in jeder Hinsicht klassi- schen Beleg fur das Thema dieses Absatzes bietet das d re iwer t ige Ko bal t . Die beliebig zu vermehrende Fulle der komplexen WERNER’SChen Kobaltsalze gehiirt einfachen Verbindungen zu , von denen bisher keine einzige dargestellt werden konnte. Versuche, zu Kobalttrichiorid zu gclangen, schlugen durchaus fehl , wahrend seine komplexen Derivate d ie anorganischen Stoffe sind, welche vermSge ihrer BestHndigkeit am ersten Konstitutionsbestimmungen zulieBen. Wird der Komplex systeniatisch abgebaut , so gelangt er mit wachsender Verarmuag an Komplexbildnern alsbald in das Un- bestandigkeitsgebiet und das Kobalt wird zweiwertig2)

b) D u r c h Autokomplexbi ldung. Fohlt ein Fremdstoff, dessen Anlagerung die Stabilisierungsenorgie liefert, so addieren sich bisweilen mehrere Molekiile der gleichen Art zu einer stabilen Autokomplexverbindung. So kennt man das CIilorid des z wei- wer t igen Molybdans nicht in monomolekularer Form, wohl aber in t r imo leku la re r , als Mo,Cl,. Ahnlich, obschon unter gleich- zeitiger Oxydation, entsteht nach 0. EUFP und F. T H O N A S ~ ) aus dem wenig haltbaren Chlorid des d re iwer t igen T a n t a l s .das t r i m o l e k u l a r e Oxychloridhydrat , Ta,CI,O * 3H,O. Einen vie1 griiBeren Reichtum an Belegen bietet iadessen die Kohlenstoff- chemie; denn die Autokomplexbildung oder, wie man in diesem Zusammenhange zu sagen pflegt, Po lymer i sa t ion ist offenbar gerade fur ung es at t i g t e org an i s c h e Verb in dun g en 4, besonders kennzeichnend.

5. S t a b i l i s i e r u n g f r e i e r Radika le . Ein Extrem unvoll- kommener Sattigung und damit geringer S tab iMt stellen die freien Radikale dar. Es entspricht unserem Prinzip, daB die Derivate des f re ien Methyls durch ihr VermGgen zur Adagerung, Solvatation und Autokomplexbildung ausgezeichnet sind ; die so er-

I) 2. Elektrochem. 32 (1936), 561. $) W. BILTC, 2. anorg. Chem. 83 (1913), 186. 3, 2. a.norg. ec. aZZg. Chem. 148 (1925), 19. 3 Als Beispiel ftir die Stabilisierung einer ungesiittigten aktivierten Ver-

bindung darf die Konservierung des bestrahlten Ergosterins, also eines Vitamins, durch Fettzusatz genaiint werden.

282 W. Biltx.

haltenen Abkommlinge des Methyls sind bestlndiger, als dies selbst. Bei der Darstellung des ,,freien" T e t raa t h y l amm o n ium s benutzte SCHLUBACE mit seinen Mitarbeitern verfiussigtes Ammoniak als Losungsmittel. Man erhalt tiefblaue Losungen, in denen das Tetra,- athylammonium gewill im selben Zustande vorliegt, wie metallisches Natrium im gleichen Medium. Aber die Tatsache, da6 gediegene Alkalimetdle und Erdalkalimetalle in derartigen Lasungen an Ammoniak gebunden sind, zeigt uns an, da6 auch das Tetraathyl- ammoniumradikal im strengsten Sinne des Wortes in diesen Lo- sungen keineswegs ,,frei", sondern als Ammiii vorliegt. Man wird kaum fehl gehen, wenn man auch hier wieder in der Addition von Ammoniak an das zu stabilisierende Radikal die Reaktion sieht, deren Eintritt jene Losungen vor allzu groBer Verganglichkeit schutzt. Neben der blauen gibt es auch eine farblose, stabilere Form solcher Losungen und in einer solchen vermochte SCHLUBACH auch das Ammonium selbst zu erhalten; wenn es, wie SCHLUBACH~) ver- mutet, zutrifft, da6 diese farblosen Radikale dimolekular sind, so wiirde hier also die Autokomplexbildung schiitzen.

6. (fewill wird hier, wie oft, der sachliche Erfolg ordnender Erkenntnis hinter dem reicher, voraufgegangener Empirie zuriick- stehen miissen. Immerhin bietet eine mehr als bisher bewu6te Be- nutzung der Moglichkeit zur Stabilisierung von Verbindungen mancherlei Ausblicke. Wenngleich diesen noch nicht nachgegangen werden konnte, so fiigen sich doch einige noch nicht oder nur un- vollstandig veroffentlichte Ergebnisse des hiesigen Institutes hier ein und konnen daher eine vorlaufige Erwahnung verdienen. Einige Erfahrungen betrafen die S tab i l i s i e rung von Stof fen gegen Licht . Die Bildungswarme von 1 Mol Chlorsilber aus Metal1 und atomistischem Chlor betragt etwa 59 Cal. Da die Strahlungsenergie des sichtbaren Lichts zwischen 35 und 70 Cal liegt, so ist die photochemische Empfindlichkeit des Salzes verstandlich. Nun werden bei der Bildung von AgCl- 3 NH, aus Ammoniak und Chlorsilber 30 Cal gewonnen. Die durch diesen Zasatzbetrag vergrollerte Bildungswarme des freien Salzes liegt, wie man sieht, auBerhalb der (frenzen der Strahlungsenergie des sichtbaren Lichtes. Wie friihere und neuere Versuche, deren photochemisch quantitative Erganzung freilich noch aussteht , zeigten, sind die Ammoniakverbindungen des Chlorsilbers in der Tat unempfindlich gegen Tageslicht.

'1 Be?-. 54 (1921), 2816.

Stabilisierung chsm. Verbind. durch energieliefernde Zusatwrreaktiomn. 283

Nach E. WILKE-D~RFURT und G. BALZ~) sind die Diazonium- borfluoride sehr bestandig und nicht explosiv. (3, BALZ und E. SCHIEMANN~) machten sich diese Stabilisierung zunutze, um durch quantitative thermische Zerlegung aus solchen Stoffen Arylfluoride darzustellen.

Wahrend, wie in Absatz 4 betont, alle Versuche zur Darstellung der freien Kobaltihalogenide, der Stammsubstanzen der WERNER'- schen Komplexsalze, gescheitert waren, sofern sie Chloride, Bromide und Jodide betrafen, fanden sich in der Literatur Angaben uber ein freies K ~ b a l t i f l u o r i d . ~ ) Es gelang E.BIRK, wie in der nach- folgenden Mitteilung berichtet wird, ohne Schwierigkeit, das elektro- lytische Darstellungsverfahren zu wiederholen; der Stoff erwies sich aber als au tokomplexes H y d r a t : Co2F6.7H,0. Damit steht diese Verbindung in Parallele zu dem polymeren Chromifluorid WERNER'S, Cr,F, - ?H,O, und dem Ferrifluorid von BERZELIUS, Fe,F, . 9H204), und die Sonderstellung des Kobaltifluorids gegen- uber den anderen Halogeniden des dreiwertigen Kobalte ist beseitigt. Denn auch das Fluorid besteht keineswegs als solches in freier Form; es ist vielmehr durch Autokomplexbildung und Rydratation stabilisiert und das Praparat verdankt seine Existenz in erster Linie d e n ausgezeichneten Vermbgen der Fluoride, Verbindungen mit ihresgleichen einzugehen.

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l j Ber. 60 (1927)) 116. 2) Ber. 60 (1927)) 1186. Auf die Stltbilisierung von Diazovcrbindungen

durch Anlagerung an Fremdstoffe aind neut:rdings einige Patente ertcilt worden. Vgl. Zbl. 1927, I, 815.

3) G. BARBIERI und F. CALZOLARI, Atti R. Accad. dci Lincei (5) 14, I (1905), 464.

150 (1925), 63. 4) Vgl. R. WEINLAND, J. LANL3, H. FIPENTSCEER, Z. UWWg. 24. dig. &em.

Earmover, Technische Hochschzcle, Inslitut fur anorgankche Chemie.

Bei der Redaktion eingegangen am 11. Juli 1927.