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480 Kleine Mitteiiungen. kreideweiller Barbe. Sie erscheinen reich an Abbauprodukten des Stoffwechsels, ins- besondere au Earnlionkrementen. Die Geschlechtsdriisen konnen bis anf kaum nachzu- vreisende Reste reduziert sein. Nehrfach Tar auch die Musliulatur des Thorax in Mit- leidenschaft gezogeu und in schwaminigcs Gewebe verwandelt, in dem sich Iiaum noch kontraktile Elemente nachweisen lieaen. - Zur Kenntnis der Mehlmilbe. Man sollte glauben, d a l ein so allgemein vetbreitetes Tier \vie die Mehlmilhe schon einigermanen genugend erforscht sei. Dies war aber, vie wir einer Arbeit von Hanna Schulze') entnehmen, bisher nicht der Fall; es gelang der genannten Forscherin einige iiberrascliende Peststellungen beziiglich der Entwicklung zu machen. Die nieisten Tpo- glyphusarten besitzen ein sogenanntes Bypopusstadium (Dauerstadium', , das zwischen 1. und 2. Nymphenstadium eingeschoben ist und znr Erhaltung und Verbreitung der Art dient. Past allen Aiten lioninit nur e i n solches IJypopusstadium zu. Man kannte bisher nnr zivei Ausnahmen, bei denen zwei verschiedene Hypopusformen, eine frei bewegliche und eine encystierte, vorkonimen (Trichotarsus osnziue und Ludzcigi). Nun konnte H a n n a S c h u l z e bei der Mehlmilbe ebeufalls zwei morphologisch verschiedeno Hypopus- stadien feststellen : eine lebhaft bcwegliche und eine unbeweglich (aber nur selten encystierte). Letztere scheint meitaus in der Mehrzabl vorzukommen , ergaben doch Zahlungen das Verhaltnis von beweglichen zu unbemeglichen wie 1 : 36. Letztere (El ypopus 11) zeichnet sich gegeniiber der ersteren durch besondere Widerstandsfahigkeit sowolrl gegen Austrocknen als auch gegeu hohe und tiefe Temperatur aus (34,4* wurde 14 Tage obne jeden Schaden ertragen) nnd scheint damit fur die Arterhaltung eine grolSe Bedeutung zii besitzen, zumal die Dauer des Eypopus-11-Stadiums eine sehr ausgedehnte sein und wonioglich mehrere Jahre betragen kann. Uber die Verwendbarkeit des ,,freien Attributs" als Varietatenbezeichnung bei Aufstellung entomologischer Sammlungen. Vou Franz Heikertinger, Wieii. Andernorts ') habe ich das Wesen meines Vorschlags zur Bezeichnung von Varietateh mittels ,,freier AttributetLausfuhrlich dargelegt und begriindet. Ich glaube daber, mich an dieser Stelle auf die Wiedergabe der blolen Formel beschianken und deli Leser, der lnteresse fur die theoretische Scite der Sache besitzt, anf die genannte Veroffentlichung verweisen zu durfen. Die Formel lautet: ,,Zur Aberratiousbezeichnung sind freie, je ein cinziges Merkmal (ein Aberration s el e m e n t) ei n d e u ti g char ak t e r i s i e r end e Ken nw o r t e, Att ri b u t el zu verwenden. Diese Attribute sind keine Namen; sie unterliegen den1 Prioritatsprinzip nicht und fuhren liein obligates Autorzitat mit sich. Zur Bezeichnung kombinierter Abanderungen konnon beliebig viele Attri- b u t e an.ei nand e r ge r ei h t w e rd en." Zwecli meines nun schon fast zwanzig Jahre erlvogenen Vorschlags ist: Ergtens dem dilettantischen Tauferfieber, das sich in manchen entomologischen Teilgebieten in der ebenso wohlgemeint eifrigen wie unwissenschaftlich planlosen Benamsung oft der l) Schulze, Hanna, Zur Kenntnis der Dauerformen (Hypopi) der Nehlniilbe, Tyroglyphus furinae L. Centrbl. f. Bakt., Paras. u. Insekt. 2. Abt. Bd. 60. 1924. S. 536-549. 1 Tafel. z, Entom. Kliitter XIX, 1923, S. 18-29, 80-86.

Über die Verwendbarkeit des “freien Attributs” als Varietätenbezeichnung bei Aufstellung entomologischer Sammlungen

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480 Kleine Mitteiiungen.

kreideweiller Barbe. Sie erscheinen reich an Abbauprodukten des Stoffwechsels, ins- besondere au Earnlionkrementen. Die Geschlechtsdriisen konnen bis anf kaum nachzu- vreisende Reste reduziert sein. Nehrfach Tar auch die Musliulatur des Thorax in Mit- leidenschaft gezogeu und in schwaminigcs Gewebe verwandelt, in dem sich Iiaum noch kontraktile Elemente nachweisen lieaen.

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Zur Kenntnis der Mehlmilbe. Man sollte glauben, d a l ein so allgemein vetbreitetes Tier \vie die Mehlmilhe schon

einigermanen genugend erforscht sei. Dies war aber, v i e wir einer Arbeit von H a n n a S c h u l z e ' ) entnehmen, bisher nicht der Fall; es gelang der genannten Forscherin einige iiberrascliende Peststellungen beziiglich der Entwicklung zu machen. Die nieisten T p o - glyphusarten besitzen ein sogenanntes Bypopusstadium (Dauerstadium', , das zwischen 1. und 2. Nymphenstadium eingeschoben ist und znr Erhaltung und Verbreitung der Art dient. Past allen Aiten lioninit nur e i n solches IJypopusstadium zu. Man kannte bisher nnr zivei Ausnahmen, bei denen zwei verschiedene Hypopusformen, eine frei bewegliche und eine encystierte, vorkonimen (Trichotarsus osnziue und Ludzcigi). Nun konnte H a n n a S c h u l z e bei der Mehlmilbe ebeufalls zwei morphologisch verschiedeno Hypopus- stadien feststellen : eine lebhaft bcwegliche und eine unbeweglich (aber nur selten encystierte). Letztere scheint meitaus in der Mehrzabl vorzukommen , ergaben doch Zahlungen das Verhaltnis von beweglichen zu unbemeglichen wie 1 : 36. Letztere (El ypopus 11) zeichnet sich gegeniiber der ersteren durch besondere Widerstandsfahigkeit sowolrl gegen Austrocknen als auch gegeu hohe und tiefe Temperatur aus (34,4* wurde 14 Tage obne jeden Schaden ertragen) nnd scheint damit fur die Arterhaltung eine grolSe Bedeutung zii besitzen, zumal die Dauer des Eypopus-11-Stadiums eine sehr ausgedehnte sein und wonioglich mehrere Jahre betragen kann.

Uber die Verwendbarkeit des ,,freien Attributs" als Varietatenbezeichnung bei Aufstellung entomologischer

Sammlungen. Vou F r a n z H e i k e r t i n g e r , Wieii.

Andernorts ') habe ich das Wesen meines Vorschlags zur Bezeichnung von Varietateh mittels ,,freier AttributetL ausfuhrlich dargelegt und begriindet. Ich glaube daber, mich an dieser Stelle auf die Wiedergabe der blolen Formel beschianken und deli Leser, der lnteresse fu r die theoretische Scite der Sache besitzt, anf die genannte Veroffentlichung verweisen zu durfen. Die Formel lautet:

,,Zur A b e r r a t i o u s b e z e i c h n u n g s i n d f r e i e , j e e i n c i n z i g e s M e r k m a l (e in A b e r r a t i o n s e l e m e n t) ei n d e u t i g c h a r ak t e r i s i e r e n d e K e n n w o r t e , A t t r i b u t el z u v e r w e n d e n . D i e s e A t t r i b u t e s i n d keine Namen; s i e u n t e r l i e g e n den1 P r i o r i t a t s p r i n z i p n i c h t u n d f u h r e n l iein o b l i g a t e s A u t o r z i t a t m i t s i c h . Z u r B e z e i c h n u n g k o m b i n i e r t e r A b a n d e r u n g e n k o n n o n be l i eb ig v i e l e A t t r i - b u t e an.ei n a n d e r g e r e i h t w e rd en."

Zwecli meines nun schon fast zwanzig Jahre erlvogenen Vorschlags ist: Ergtens dem dilettantischen Tauferfieber, das sich in manchen entomologischen Teilgebieten in der ebenso wohlgemeint eifrigen wie unwissenschaftlich planlosen Benamsung oft der

l ) S c h u l z e , H a n n a , Zur Kenntnis der Dauerformen (Hypopi) der Nehlniilbe, Tyroglyphus furinae L. Centrbl. f. Bakt., Paras. u. Insekt. 2. Abt. Bd. 60. 1924. S. 536-549. 1 Tafel.

z, Entom. Kliitter XIX, 1923, S. 18-29, 80-86.

Kleine Mitteiluugen. 4s 1

nichtigsten Aberrationen auslebt, eine legale Schranke zu setzen, den alle Gbersicht iiber- flutenden, kleinlichen Nanienschmall abzulassen - und zweitens rationelle Ordnung und ein zielklares System in den heute systemlosen Modus der Varietatenbenennung zu bringen. In diesem Sinne bitte ich urn objektive, eingehende Erwagung meiner auf den ersten Hick naturgemaB ungeivohnt anniutenden Vorschlage.

Hier sol1 nur an einem konkreten Beispiele die praktische Brauchbarkeit dieses Systems der freien Kennwoite (Attribute) bei Klarlegung der Farbungsbilder einer Art und bei Aufstellung von Sammlungen erlautert werden.

Auf Weidengebiisch an sandigen FluBufern lebt eine mittelgrofie Halticine: Chue- toenema (Tlaiaoma) seitiicoerzdea Boch. I n der letzten eingehenden (und sachlich vor- ziiglichen) Bearbeitung der mitteleuropaischen Halticinen durch J. IV e i s e l ) sind die Farbilngsverhaltnisse dieser Art wie folgt charakterisiert : ,,Schmarz, Kopf und Halsschild m e t a l h h griin, messing- oder kupferfarbig, Fliigeidecken dunkelblau oder blaugrun, selten schwach violett . . . Beine mit Ausnahme der sch\varzen Hintersche.nke1 rostrot . . .L'. ,,. . . Die Farbe der vorderen Schenkel verjndert sich zuweiien in dunkeirostrot bis pech- braun und geht zuletzt in ein ziemlich reines oder metallisches Schwarz iiber (var. a); die der Flugeldecken wird nicht selten messinggelb, kupferig, spangrun- odrr erzfarbig scliwarz (var. b)." Diese Abanderungen sind folgendermaBen benannt und diagnosiiziert iTorden : ,,var. a. femomlis: E'emoribus nnterioribus nigris, tarsis plerumque infuseatis. - var. b. salaceti. Elgtris aurichalceis, cupreis, aeneis aut aeneo-nigris."

Trennung und Benennung der Formen ist einfach und klar, theoretisch einn-andfrei. Erst in der Praxis zeigen sich Scllwierigkeiten. Ein Tier mit schwarzen Vorder- und Mittelschenkeln und erzbraunen Flugeldecken beispielsweise ist ,,var. feiizoralis"; es iSt aher auch var. saliceti". Nennen wir es ,,var. feimralis", so bleibt ungesagt, daB es erzfarbige Decken, nennen wir es ,,var. sal icetP, so bleibt unausgedruckt, daB es schwarze Vorderschenkel besitzt. Wir miifiten es folgerichtig ,,var. fernoralis sulieeti': nennen ; dann erst ist es erschopfend bezeichnet. Eine solche Doppelbezeichnung ist nun nach der heutigen Gepflogenheit nirgends gebrauchlicli ; aber sie gibt uns den Fingerzeig, wo wir die einfache, zwanglose LGsung des ganzen Problems zu suehen hahen. Lassen wir klare, von selbst verstandliche Eigenschaftsbezeichnungen (aeneipennis, cnpripennis, subnigripennis usw.) an Stelle nichtssagendor, zuniindest nichts zur Sache sagender Nanien (wie suliceti) treten, befreien w n diese frei gewahlten, weiteres verstandlichen Eigenschaftsbezeichnungen - die ,,Kennworte'L oder ,,Attribute" wie wir sie neunen - von jederlei Zwang, der in der Nomenklatur sonst fur Namen gilt, nehmen mir soviel soleher Attribute, als wir zur befriedigenden Bezeichnung der variierenden, individuellen Eigenschaften eben benotigen - und das System liegt in fast rerbliiffender Einfaahheit fertig vor uns.

Nach dem System der freien Attribute sieht das i'bersichtsbild der chromologischen Verhaltnisse der Art ungefahr so aus:

Immer bleibt die Uezeichung halb.

cupri- aenei- i Konnten wir nach dem alten Modus in1 ganzen nur drei Formen bezeichnen:

1. ,,StammformL' (richtiger Nominztform) mit roten Vorderschenkeln und e n t w e d e r blauen o d e r violetten o d e r blaugriinen Decken - 2. eine ,,var. femoralisLL mit schwarzen

I ) E r i c h s o n , Naturg. Insekt. Deutschl., Col. VI, 1884, S. 7.58. 2i dnch solche Formen liegen mir vor.

Zeitschrift fiir angemandte Entomologie. X, 2. 31

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Vorderschenkeln und e n t w e d e r blauen o d e r violetten o d e r grunen o d e r erz- o d e r kupferfarbigen o d e r fast schwarzen fliigeldecken und - 3. eine ,,Tar. saliceti" mit e n t w e d e r roten o d e r schwarzen Vordeischenkeln und mit e n t w e d e r erzgriinlichen o d e r erzbraunen o d e r kupferigen o d e r fast schwarzen Decken - wobei uns die rnit Namen unausdruckbaren Foimen mit schmarzen Vorderschenkeln und erzgrunen, erz- braunen: kupferigen oder fast schwarzen Decken (kombinierte var. feinoralis und saliceti) in der Hand blieben - so konnen a i r nach den] neuen System ohne Zwang j e d e d e r zwol f m o g l i c h e n (und beliebig vieler etwa noch moglicher) K o m b i n a t i o n e n m i t v o l l k o m m e n e r P r a z i s i o n e i n f a c h u n d u n m i t t e l b a r j e d e r m a u n v e r s t a n d l i c h a u s d r u c k e n . Wir konnen die ,,fa. coeruleipennis rufofemorata" von der ,,fa. subni- gripennis nigrofemorata" usw. usw. klar, scharf, einfach unterscheiden.

Wenn aber eine so eingehende Scheidung gar nicht gewiinscht wird, wenn nur das Flugeldeckenkolorit allein in Betracht kommt? - Nun, dann sprechen wir nur von der ,,fa. ' cupripennis" und veinachiaseigen die Beinfarbung. In jedem Falle ist klar und un- mittelbar alles das gesagt, was z n wissen verlangt wird.

Noch mehr. Ein Exemplar besitzt dunkelbrauue Vorderschenkel und blaugriine Decken, also fjbergangsfarbungen. Wie ist dieses Stuck zu bezeichnen? - Wenn wir nicht vorziehen, es zu einem der Hauptfarbnngstypen (z. B. iriridipennis nigrofemorata) zu ziehen, wenn es einmal anf genaue Farbungsbezeichnungen ganz besonders ankommt. dann konnen wir zwanglos auch Mischfarbuugen ausdrucken : fa. coeruleoviridipennis piceofemorata.

Wie aber driicken wir'die ,,Stammform" aus? - Hier wollen wir uns vorerst ein- ma1 klar werden, ob wir unter dem ganz unbezeichnenden Worte ,,Stammform", das all- zusehr an eine hier gar nicht gemeinte Abstammuug erinnert (vgl. ,,StammelterncL USW.)

die n o m e n k l a t o r i s c h e Normalform, d. h. e r s t b e n a n n t e Form, oder die gewohnliche, die h a u f i g s t e Form der Art verstehen wollen. Erstere bezeichnen wir am klarsten Bls , ,Nominat fo ' rm" , letztere als , ,Dominan t fo rm" ; den Ausdruck ,,Stammform" ver- meiden wir am besten ganzlich. Die Bezeichnung mit dem Kennwort aber kann so er- folgen: ,,fa. coeruleipennis rufofemorata nom. et dom." Es ist dem Leser auf den ersten Blick klar, d a l bei dieser Art Nominatform und Dominantform zusammenfallen uud wie sie aussehen: sie besitzen blaue Flugeldecken und helle Vorderschenkel.

Klar sehen wir den gesaniten Variationsum fang der Art ausgebreitet vor uns; klar, scharf nnd kurz konnen wir jedes individuelle Farbungsbild in Worten ausdrucken. Der anlerordentliche Vorzug dieser AusdruLksmoglichkeiten wird erst demjenigen klar, der die heutigen Verhaltnisse in der Varietatenbenennung kennt, in der nicht selten gauz zufallige, i n d i v i d u e l l e Eigunschaften (z. B. kupferige Flugeldecken und dunkle Vorderschenkel , violettschwarze Fliigeldecken und dunke Vorderschenkel usw.) zu- sammengeklammert und mit Aberrationsnamen (noch dazu oft mit sachlich vollig nichts- sagenden, wio ab. nobizis, ab. Meyeri u. dgl.) belegt werden, was zur Folge hat, daB v ide Aberrationsbeschreibungen nur auf bestimmte Einzelindividuen wirklich passen und andere Individuen mit etwas abweichenden Eigenschaftskombinationen entweder ge- waltsam hineingezwangt werden oder unbenannt bleiben (also in der ,,Stammform" unter- tauchen) mussen, wenn der ordnungsliebende Taufer es nicht vorzieht, jeder einzelnen der ungezahlten Merkmalskombinationen einen besonderen Namen zu geben , was in Konsequenz der heutigen Gepflogenheit theoretisch vielleicht logisch ware, in der Praxis aber zu uberflutender Spielerei niit Namen fuhrt, die jede Wissmschaftlichkeit erdrucken. Bier zeigt das ,,freie AttributLL den Ausweg.

Dieses ,,freie AttribuV gilt nur als Bezeichnung fur f l u k t u i e r e n d e Var i a t ionen , fur Formen, die v e r s t r e u t u n t e r d e r D o m i n a n t f o r m l e b e n u n d a u s d i e s e r 4erfahrungsgemaB oder mutmallich) h e r v o r g e h e n , also fur das, was in der Systematik 'von heute zumeist als ,,A be1 r a t i on'' bezeichnet wird. Fur die Subspezies, Enterart, geographische oder biologische Rasse bleibt die Bezeichnung mittel8 eines richtigen N a m e n s , der allen nomenklatorischen Regeln unterworfen (dem Artnamen ,,nomen-

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klatorisch koordiniert") ist, aufrecht. Doch kann das ,,freie Attribut" zwanglos auch zur unverbindlichen Erganznng eines Rassennamens herangezogen werden. %in Beispiel hiefiir:

Nehmen wir an, die Porm mit dunklen Vorderschenkeln komme nur im Siiden, dort aber ausschliefllich und scharf gesondert vor, l ) ware ,also geographische Rasse und fiiilrtc als solcbe z. B. den Nanien meridio?zalis. Dann konnte gesetzt aerden: sernieoerulen meridionalis (fa. nigrofemorata). Es ist dann unniitte.lbar das charakteristiscbe Rassen- merkmal ausgedruckt und das Katalogbild wird so von selbst zur vereinfachten Ue- stimmungstafel. Welch wertvolle Errungenschaft es aber ware, wenn ein groPer Katalog an Stelle der heute herumgetragenen toten Synonynie und ungezahlten Zitate vermoderter Fehldeutungen, die nieniandem wirklich etwas nutzen, die veriorener Ballast sind, mit eher weniger als mehr Raunanfwendung .cine unniittelbar benutzbare Aberrations- bestimmungstafel, einen von selbst sprechenden ii'berblick iiber den Variationsumfang der Art bote - das zu ernlessen iiberlasse ich der Einsicht unbefangener Kollegen.

Wenden wir uns nun den Vorteilen bei A u f s t e l l u u g e i n e r S a m m l u n g zu. Heute sieht der Samniler fur Clzaet. (7'lan.J sernicoerulea in der Sammlung drei Rubriken vor : ,,Stammformll - var. fernoralis - var. saliceti. Eine feinere Differenzierung feblt (siehe oben !); in jeder Rubrik stecken verschiedene, undifferenzierte Kombinationen; ge- wisse Formen (kombinierte ab. feenzoralis saliceti) konnen uberhaupt nicht befriedigend untergebracht werden. Ein klares plastisches Ubersichtsbild der Variationsfahigkeit der Art bietet die Sammlung nicht.

In einer kleineren Sammlung kann jedes Stuck charakterisierend bezettelt werden ; did Anordnung kann deni Geschmack des dufstellers anheimgestellt bleiben. In einer groaeren Sammlung aber konnen zwei Spalten (Eolonnen) nebeneinander fur die Art angelegt werden; die erste far die rufo- femorata-, die zweite fur die nigrofemorata-Formen. Ein Zettel, auf den1 dies vernierkt ist (etwa in der Grolje eines Insekteu- Aufklebeplattchens, ebenso auf eine besondere Nadel gcsteckt, ebenso gestellt und ebenso hochgeriickt wie ein solches) mag jede dieser Kolonnen eroffnen. Die erste Querreihe jeder der zwei Kolonncn kann nun fur die fa. coerulei- pennis, die zweite fur die fa violaceipennis usf., ausgespart bleiben. (Jede Reihe wird mit einem Zettelchen eroffnet, z. B. die erste Qnerreihe der ersten Kolonne: fa. rufo- femorata coeruleipeunis, die erste Querreihe der zweiten Kolonne: fa. nigrofemorata coeruleipennis usf.)

Die Sammlung bietet auf diese Weise gleichsam das Bild eines Koordinatensystems, in dem jeder Kombination ihre ganz bestimmte Stelle zukomrnt, an der sie sofort gesuclit und gefundcn, bezw. ihr Felilen sofort festgestellt aerden kann. Es ist jederzeit, ein klarer Uberblick sowohl iiber die moglichen als auch iiber die in der Sammlung tatsach- lich vertretenen Formen der Art gegeben.

Es ist wohl selbstverstandlich, da8 nach gleicher Methode auch Skulptur- und Groljenaberrationen (z. R. fa. subglabricollis, fa. perpunctipennis, fa. minor usw.) behandelt w-erden konnen, daQ nach Bedarf auch drei oder mehr Kolonnen angelegt werden konnen, daR rnit eineni Wort je nach dem Tatsaehenbedarf das System ausgebaut oder vereinfacht n w d e n kann. (Ich erwahne dies nur deshalb ausdrucklich, m i l mich die Erfahrung ge- lehrt hat, daB gerade solche von mir vorgefiihrte Durchfuhrungsbeispiele oft als starre Regeln genommen, buchstabengemafi auf Falle mit ganz anderen Vorbedingungen an- gemendet werden, dortse!bst naturgemalj nicht befrierligen konnen, worauf dann das ganze System als ,,ungeeignet" abgelehnt wird.) Festzuhaiten ist nur an den Grundprinzipien: K e i n e N a m e n mit Prioritatszwang, mit Autorzitat. rnit Homonyniieverbot usw., sondern freie, e i g z n s c h a f t e n b e z e i c h n e n d e K e n n m o r t e , und zwar s o v i e l e als zur Charakteristik ebeu notig sind. (Naheres hieriiber in meiner eingangs zitierten drbeit.)

Gut, wird der Sammler, der zurneist Liebhaber ist, nach Lektiire des Iroranstehenden sagen, - das alles mag richtig und sehr voIteilhaft sein. Iusolange aber die Kataloge

Anders nach der Methode des !,,freien Attributs'!.

l) Was nicht der Fall ist! 31"

48 & Kleine Mitteilungen.

noch nichts anderes ausweisen, als eine var. fernoral is und eine var. sal ieeti , mocbte ich doch gerne wissen, ob ich diese in meiner Sammlung besitze und im Batalog anmerken kann. Ich kann und mag sie nicht so ohne weiteres verschwinden lassen und durch Attribute ersetzen, die nirgends als Sammlangsbestandteil nominell zum Ausdruck kommen.

Nun, es besteht kein Hindernis fur den, der es tun will., die alten Aberrations- nanien mitzufiihren ; aber besser nicht als Gruppierungs- und Klarungsgrundlage (a19 solche sind sie vielfach ganz unzuliinglich), sondern an zweiter Stelle, als Hilfs- Auskunfts- mittel. Zwanglos kann nuf den Zetteln, die die freien Attribute tragen, anch zugefiigt werden, ob die Form unter die ,,var. (besser ab.) femwaZisLL oder ,,saZiceti" fallt und zwanglos kann nach dieser Angabe die Anmerkung im Sammlungskatalog unter diesen Namen erfolgen. Es wlre indes sehr zu empfehlen, wenn Bearbeiter einzelner Insekten- grnppen Kataloge nach den1 Attributsystem zu bauen versuchten nnd wenn in absehbarer Zeit solche Kataloge vou Gruppen oder ganzen Insektenordnungen rnit A berrationehezeich- nungen nach diesem System erscheinen konnten.

Dann konnte jeder Sanimler die Aberrationen jeder Art ohne alle sonstige Literatur, unmittelbar nach den Worten des Katalogs bestimnien, bozeichnen und aufstellen; e r erfiihre unmittelbar aus dem Katalog den ganzen Variationsumfang der Art, miiQte die Forinen, die nioglich sind und die ihm noch fehlen und wiirde angeregt, nach ibnen zu suchen. Dann konnte e r sie, menn er xie findet, sogar im Katalog sichtbarlich ahstreichen; es verlohnte also die Muhe des Suchens.

An Stelle des Gammelns von S a m e n , wie es heuto gar nicht so selten geiibt wird, n-urde ein zielk-lares Sucheii und Sammeln der F o r m e n , ein tiefes Eindringen in den Stoff selbst, und zwar ohne vie1 umstandliches Literaturstudiom, an der Hand des Katalogs allein, treten. Und zu gleicher Zeit murde die beangstigend anrollende und den wissen- schaftlichen Ernst der Entomologie zu begrahen drohende Aberrationsnamenflnt ablaufen, denn das Tauferfieber, die ,,Mihi"-Sucht und ,,Mihi.l-Jagd nach Aberrationen werden aus der entomologischen Welt versahwinden in den1 Bugenblicke, da ihr Bazillus, die gleich- zeitige Unsterblichkeit des Autornamens mit dem Aberrationmamen, ausgerottet mird. Denn das freie Kennvort kennt keinen Autornarnen, keicen lockenden Lohn fur die Eu-igkeit.

Aber die heute gultigen Eomenklaturregein '? Borniieren sie nicht anderes? Diirfen wir uns denn u'ber sie hinwegsetzen?

Dieser Einwznd beruht auf einem Irrtum. Eas System des freien Attribnts kann ohne weiteres in heliehigem Uinfange i n n e rh a1 b der heute gtiltigeu Xomcnklaturregeln durchgefuhrt werden. Es versto5t nirgends gegen dieselben, es fiigt sieli uberall zwanglos in die Regeln? es widerspricht keiner. Im Gegenteile: Die heute uhliche Gepflogenhsit, Aberrationen niit Namen zu rersehen. fur die alle liechte und Pflichten eines Artnamens in Anspruch genomnien werden, diese Gepflogenheit steht in einem gewissen logischeri Widerspruch rnit den1 TVortlaut wie mit dem Geist der Nomenklaturregeln, welehe aus- driicklich - und zviar rnit absichtlich betonter Einschranliung - n u r v o n d e n S a i n e n d e r G a t t u n g e n , A r t e n und U n t e r a r t e n s y r e c h e n , n i r g e n d s a b e r s a g e n , d a Q i n d i v i d u e l l e A b e r r a t i o n e n m i t e b e n s o l c h e n N a m e n b e l e g t w e r d e n d i i r f e n o d e r g a r , d a h s o l c h e N a m e n d i e s e l b e n R e c h t e g e n i e a e n s o l i e n , d i e v o n d e m R e g e l t e s t e k l a r u n d a u s d r u c k l i c h au f A r t - u n d U n t e r - a r t n a m e n b e s c h r a n k t w e r d e n .

Das System der freien Attribute steht somit dem Geiste nach in beseerem Einklang niit den heutigeu Nomenklaturregeln, die es nirgends heriihrt oder verletzt, als die heute ohne Rechtsgrundlage geubte Gepflogenheit des Verleihens w irklicher, nur fur Arten und Unterarten voibehaltener Namen an individuelle Abexrationen. Es hesteht sohin kein legales Hindernis fiir den Systematiker, das Kennwortsystem in sofortigen Gebrauch zu nehmen. Insbesondere wurde sich seine Erprobung uud s e h Ausbau in kleineren Mono- graphien und Spezialarheiten iiber solche Gruppen, in denen formenreiche Arten vor- kommen, empfehlen.

Kleine Mitteilungen. 485

So liist das Kennwort die Frage der Abberrationsbezeichnung: Es gibt das, was ge- fordert wird, niimlich ein Wort fur einen Begriff, der im Interesse der Wissenschaft festgehalten und hervorgehoben werden mu13 - vermeidet aber gleichzeitig das, was urn jeden Preis vermieden werden muB, namlich die Erstickung der Systematik rnit uferloser Aberrationsnamenflut.

Personalnachrichten. Der Direktor der Biologischen Beicbsanstalt , Geheimer Regierungsrat Professor

Dr. 0. d p p c l beging am 1. Juni ciieses Jahres sein 25jahriges Dienstjubilaum an der genannten Anstalt. Wi r schlieBen uns dem Wunsche M o r s t a t t s , des Verfassers des Juhilaumsartikels im Nachrichtenblatt, an, daB noch viele Jahre unermudlicher Arbeits- kraft den vergangenen folgen und daB der Biologischen Reichsanstalt der zielhewuBte energische Fuhrer noeh lange erhalten bleiben moge.

Dr. C u r t S c h l u t e r . Teilhaber und wissenschaftlicher Leiter der Firma Dr. Schluter & Dr. Mal ist in Anbetracht der Verdienste der Firma urn die angewandte Entomologie aiilaijlich des 7Ojahrigen Restehens genannten Hauses zum Ehrenburger der Universitat Munchen ernannt worden.

A m 2. September ist Hofrat Prof. J o h a n n e s B o 11 e , ehemaliger Direktor der k. k. Landwirtschaftlichen Versucbsstation in Gorz, nach langerem schweren Leiden in Florenz gestorben. B o l l e hat sich grole Verdienste um die angemandte Entomologie erw orben. Sein Spezialgebiet war die Seidenraupenzucht, iilrer die er mehrere Werke und zahlreiche Arbeiten, auch in dieser Zeitschrift, veroffentlicht hat. Seine Forschungen galten vor allem den Krankheiten der Seidenraupe, wo er sich durch die Entdeckung der Polgedei (auch , ,Bo l l e ' s che K o r p e r c h e n " genannt) hei gelbsuchtigen Kaupen einen unsterblichen Namcn gemacht hat. Auch der Parasiteufrage und der dainit zusammen- hangendon ,,biologischen Bekampfuug" hatte e r sich mit groDer Begeisterung zugewandt, wie aus dem noch in diesem Heft ahgedruckten Aufsatz uber die Bekampfung der Nu t - laus mit Aphelimm mali hervorgeht. Personlich Tar Ro l l e eiu uheraus liebenswurdiger, hilfsbereiter Kollege, der bis in seine letzten Tage die Begeisterungsfahigkeit eines Jiing- lings sich bewahrt hatte. Wir alle, die ihn Iiannten, Ferden ihm ein treues ehreudes dndenken hewahren. H. E.