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lOO6 KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. 4. JAHRGANG. Nr. 21 2i. MAI i925 zu lassen. Denn EKMANN gelang es neuerdings, isolierte Herz- zellen eines Amphibiums, die noch keine Pulsation gezeigt batten, in der Kultur zum Schlagen zu bringen. Kommen hin- gegen im Explantat Herzzellen mit Leber- und Dotterzellen in ]3eriihrung, was ]~KMANNand ich ausgefiihrt haben, so dr~ngt die schlagende Herzzellenmasse das ulngebende Gewebe ohne weiteres beiseite, ja ern~hrt sich auf dessert Kosten und geht yon allen anderen Zellen zuletzt zugrunde, so eine allen anderen Geweben fiberlegene Lebenskraft zeigend. Dieses gleiche Verhalten le~ die Herzanlage auch in fremde Umgebung verpflanzt an den Tag. Sie verdr~ngt bei weiterem Wachstum alles benachbarte Gewebe oder verhindert es an seiner Entwicklung; so kommt es, daf3 Larven auf der- jenigen Seite, wo man die Herzanlage implantiert hat, ge- wShnlich atrophisch sind, wie ja auch bei Verpflanzung des Herzens auf den KopI, Gehirn und Kopfskelett in weitem Umfange nicht zur Ausbildung gelangen. Wenn auch ohne Zweifel jede einzelne Herzzelle ftir sich imstande ist, rhythmische Kontraktionen auszuffihren, so verliert sie diese F~higkeit im Augenblicke, wo sie mit einem Haufen anderer Herzzellen in Bertihrung kommt. Hier h6rt sie auI, Individuum zu sein, sie wird sogleich Teil eines fiber- geordneten Ganzen, muB ihre eigene Pulsation aufgeben und den der zusammengeh~uften Herzzellenmasse annehmen. Alle aueinandergelagerten explantierten Herzzellen schlagen somit synchron. So gelang es kiirzlich A. FISCHER, in der Kultur getrennte and verschieden schlagende Herzfragmente der gleichen Spezies zu vereinigen and auf diese Weise einen synchronen Puls zu erzielen. Eine cellul~re Beriihrung oder Anastomose scheint demnach eine namentliche Bedingung fiir eine gleich- m~Ll3ige Pulsation eines Herzzellenhaufens zu sein. Trotzdem vermag eine explantierte, mit Ektoderm iiberzogene, aus nur einigen hundert Zellen bestehende Herzanlage wesentlich mehr als im gleichen Rhythmus sich zu bewegen. Ihre beim weiteren Wachstum erfolgende morphologische Sonderung in vier Abschnitte ist stets begleitet von einer ftir jeden Abschnitt charakteristischen Pulsationsart. War friiher irgendetwas vorhanden, was die Herzzellen zwang, einheitliche Pulsationen auszuftihren, so tritt jetzt bei weiterer Entwicklung ein anf- einanderfolgendes, aber doch koordiniertes Arbeiten der ein- zelnen Abschnitte auf. Die Herzzellen, die an der Grenze solcher Abschnitte aneinanderstoBen, miissen also jetzt um- gekehrt die F~higkeit bekommen, unabh~ngig von ihrer Nach- barschaft zu pulsieren. An eine nerv6se Regulation im Explan- tat ist hierbei natiirlich nicht zu denken. Doch handelt es sich nur um Ar/c und Weise and das Graduelle in der Pulsation, nicht etwa um Eigenrhythmen einzelner Abschnitte. Denn solche Erscheinungen habe ich bei 6o explantierten Herzen nur zweimal beobachtet. Vielmehr seheint mir gerade IRegelm~Bigkeit im Rhythmus der Kon- traktionen eine dem embryonalen Herzen selbst innewoh- nende, typische Eigenschaft zu sein. Da ein explantiertes Herz gewShnlich langsamer schl~gt als das Herz eines gleich alten Kontrolltieres, so ist ohne weiteres klar, dab an dieser schnellen Pulsfolge des IZontroll- tieres Einflfisse vom Gesamtorganismus her wirksam sein mtissen, wobei man an einwachsende Nervenfasern denken k6nnte. Die sicherste Analyse dieser Frage muB die histologische Untersuchung sein. Ihrer auBergew6hnlichen Schwierigkeit wegen habe ich sie einstweilen auf sp/iter zurtickgestellt, da mit den gew6hnlichen, yon mir verwendeten F~irbemethoden auch mit den st~rksten VergrSl3erungen an einem pulsierenden schlanchf6rmigen Wirtsherzen keine Nerven aufzufinden waren. Die Epxlantate waren sicher nervenlos. Doch ist auch die Transplantation zur Prfifung auf das eventuelle Einwachsen yon Nerven in das Implantat allerdings mit Vorsicht verwendbar. Denn sollten tats~chlich Vagus- Iasern in das implantierte Herz einwachsen, dann w~re eine synchrone Pulszahl beider Herzen mit gr6Bter Wahrschein- lichkeit zu erwarten. Das ist aber niemals der Fall, jedes Herz behalf seiuen Eigenrhythmus bei. Dieser Befund macht einen nerv6sen Einflul3 des Wirtstieres auf das implantierte Herz sehr unwahrscheinlich. So bliebe denn noch fibrig, auf pharmakologischem Wege die Reaktion transplantierter Herzen auf Muskel- und Nerven- gifte zu priifen. Hier hat K. SCI~/3BELgefunden, dab Muskel- und Nervengifte, wie Xaliumsalze und ]3ariumsalze sowie Strophanthin, nach l~ngerer Zeit beide Herzen l~thmen, dab ferner durch Muscarin ein Stillstand des Wirtsherzens regel- m~Big erzielt werden kann, der durch Atropin aufgehoben wird, w~ihrend das transplantierte Herz meist nicht in Mit- leidenschaft gezogen wird. Doch scheint die Muscarinwirknng weder eine reine Nerven- noch eine reine Muskelwirkung zu sein, weshalb man mit einem Schlusse auf die Anwesenheit yon Nerven inl transplantierten Herzen ~uBerste Vorsicht walten lassen muB, die im tibrigen bei der I3eurteilung so komplizierter Vorg/~nge, wie sie sich im wachsenden t-Ierzen abspielen, notwendiger ist denn je. L i t e r a t u r: EI~MAI~, IXreue experimentelle Beitr~ge zur friihesten Entwicklung des Amphibienherzens. Soc. scient, fennica Comm. biol. 1. 1924. -- SC~3BEL und ST6HR Jm, Ein Beitrag zur Pharmakologie transplantierter Amphibienherzen. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. zo4. 1924. -- ST6HR Jm, Experimentelle Studien an embryonalen Amphibienherzen I u. II. Arch. f. mikr. Anat. u. Entwicklungsmechanik xo2 u. xo 3. 1924. -- ST6HR JR., Uber den formgestaltenden EinfluB des Blutstromes. Wfirzburger Abhandlungen 1925. UBER DIE WIRTSCHAFTLICHE UND DOCH SACH- GEM~SSE BEHANDLUNG UND VERHUTUNG DES KROPFES. ,: Von Prof. A. SCHWENKENBECHER, Marburg. Wie in anderen L~ndern, so hat auch in Deutschland in den letzten Jahren der Kropf an H~ufigkeit wieder zugenom- men. Einmal in den alpennahen Gegenden SfiddeutschIands, aber auch sonst, so in Franken, Thiiringen, l-lessen-Nassau. Nicht iiberall gleichm~13ig, sondern wie man das vom Kropf yon jeher kennt, in demund jenem Bezirk. So konnte z. ]3. in unserer Provinz derselbe /~rztliche Beobachter in den Schulen 1Vlarburgs bei 20% der Kinder eine Schwellung der Schilddrfise feststellen (KLINGERS Stadien II und III), in Schmalkalden bei 47%, in Frankenberg sogar bei 94%. Diesen Zahlen, die die H~ufigkeit einer VergrSBerung der Kinderschilddrfise widerspiegeln, entspricht nicht die Zunahme der Kr6pfe bei den Erwachsenen unserer Gegend, aber auch diese zeigen eine gewisse Vermehrung in letzter Zeit. AuI jeden Fall aber diirfte der an vielen Stellen Deutsch- lands erh6hten Frequenz des Schulkropfes eine gewisse prognostische Bedeutung zukommen insofern, als bei einem bestimmten Teil dieser Kinder die Schilddrtisenschwellung bestehen bleibt und sich im Laufe der Zeit zu ausgesprochen pathologischen Formen des Kropfes entwickelt. Deshalb finder der seit einigen Jahren yon Amerika ausgegangene, in der Schweiz und den anderen Alpenl~ndern in groBem Umfange wieder aufgenommene F2ampf gegen den Kropf auch in unserem Lande reges Interesse. Besorgt man doch mit Recht, dab mit der Zunahme des I~ropfes auch sein noch mehr geftirchteter ]3egleiter, der Kretinismus, der in den melsten Teilen Deutschlands so gut wie ausgestorben ist, wieder weitere Ausdehnung gewinnen k6nnte. Von alien Arzneimitteln, die bei der internen Behandlung des Kropfes Anwendung gefunden haben, gelten die dog- pr@arate als die ~ltesten, bekanntesten und wirksamsten. Vor einigen Jahren hat E. BIRCHER 1) in vortrefflicher Dar- stellung einen sehr vollst~ndigen geschichtlichen l)berblick fiber diese Therapie gegeben, auf den ieh bier verweise. Jede Verabfolgung yon Jod ist in Kropfgegenden yon einer ernsten Ge]ahr begleitet, dem dodhypert/~yreoidismus. Dieser, der in seinen Symptomen einem mehr oder weniger schweren Morbus Basedow v611ig gleichen kann und deshalb auch ,,Jodbasedow" genannt wird, entsteht in. der Regel dann, wenn die Therapie zu einer allzu schnellen Verkleine-

Über die Wirtschaftliche und Doch Sachgemässe Behandlung und Verhütung des Kropfes

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zu lassen. Denn EKMANN gelang es neuerdings, isolierte Herz- zellen eines Amphibiums, die noch keine Pulsation gezeigt batten, in der Kultur zum Schlagen zu bringen. Kommen hin- gegen im Explanta t Herzzellen mit Leber- und Dotterzellen in ]3eriihrung, was ]~KMANN and ich ausgefiihrt haben, so dr~ngt die schlagende Herzzellenmasse das ulngebende Gewebe ohne weiteres beiseite, ja ern~hrt sich auf dessert Kosten und geht yon allen anderen Zellen zuletzt zugrunde, so eine allen anderen Geweben fiberlegene Lebenskraft zeigend.

Dieses gleiche Verhalten l e ~ die Herzanlage auch in fremde Umgebung verpflanzt an den Tag. Sie verdr~ngt bei weiterem Wachstum alles benachbarte Gewebe oder verhindert es an seiner Entwicklung; so kommt es, daf3 Larven auf der- jenigen Seite, wo man die Herzanlage implantiert hat, ge- wShnlich atrophisch sind, wie ja auch bei Verpflanzung des Herzens auf den KopI, Gehirn und Kopfskelett in weitem Umfange nicht zur Ausbildung gelangen.

Wenn auch ohne Zweifel jede einzelne Herzzelle ftir sich imstande ist, rhythmische Kontraktionen auszuffihren, so verliert sie diese F~higkeit im Augenblicke, wo sie mit einem Haufen anderer Herzzellen in Bertihrung kommt. Hier h6rt sie auI, Individuum zu sein, sie wird sogleich Teil eines fiber- geordneten Ganzen, muB ihre eigene Pulsation aufgeben und den der zusammengeh~uften Herzzellenmasse annehmen. Alle aueinandergelagerten explantierten Herzzellen schlagen somit synchron.

So gelang es kiirzlich A. FISCHER, in der Kultur getrennte and verschieden schlagende Herzfragmente der gleichen Spezies zu vereinigen and auf diese Weise einen synchronen Puls zu erzielen. Eine cellul~re Beriihrung oder Anastomose scheint demnach eine namentliche Bedingung fiir eine gleich- m~Ll3ige Pulsation eines Herzzellenhaufens zu sein. Trotzdem vermag eine explantierte, mit Ektoderm iiberzogene, aus nur einigen hundert Zellen bestehende Herzanlage wesentlich mehr als im gleichen Rhythmus sich zu bewegen. Ihre beim weiteren Wachstum erfolgende morphologische Sonderung in vier Abschnitte ist stets begleitet von einer ftir jeden Abschnitt charakteristischen Pulsationsart. War friiher i rgendetwas vorhanden, was die Herzzellen zwang, einheitliche Pulsationen auszuftihren, so t r i t t jetzt bei weiterer Entwicklung ein anf- einanderfolgendes, aber doch koordiniertes Arbeiten der ein- zelnen Abschnitte auf. Die Herzzellen, die an der Grenze solcher Abschnitte aneinanderstoBen, miissen also jetzt um- gekehrt die F~higkeit bekommen, unabh~ngig von ihrer Nach- barschaft zu pulsieren. An eine nerv6se Regulation im Explan- ta t ist hierbei natiirlich nicht zu denken.

Doch handelt es sich nur um Ar/c und Weise and das Graduelle in der Pulsation, nicht etwa um Eigenrhythmen einzelner Abschnitte. Denn solche Erscheinungen habe ich bei 6o explantierten Herzen nur zweimal beobachtet. Vielmehr seheint mir gerade IRegelm~Bigkeit im Rhythmus der Kon- traktionen eine dem embryonalen Herzen selbst innewoh- nende, typische Eigenschaft zu sein.

Da ein explantiertes Herz gewShnlich langsamer schl~gt als das Herz eines gleich alten Kontrolltieres, so ist ohne weiteres klar, dab an dieser schnellen Pulsfolge des IZontroll- tieres Einflfisse vom Gesamtorganismus her wirksam sein mtissen, wobei man an einwachsende Nervenfasern denken k6nnte.

Die sicherste Analyse dieser Frage muB die histologische Untersuchung sein. Ihrer auBergew6hnlichen Schwierigkeit wegen habe ich sie einstweilen auf sp/iter zurtickgestellt, da mit den gew6hnlichen, yon mir verwendeten F~irbemethoden auch mit den st~rksten VergrSl3erungen an einem pulsierenden schlanchf6rmigen Wirtsherzen keine Nerven aufzufinden waren. Die Epxlantate waren sicher nervenlos.

Doch ist auch die Transplantat ion zur Prfifung auf das eventuelle Einwachsen yon Nerven in das Implanta t allerdings mit Vorsicht verwendbar. Denn sollten tats~chlich Vagus- Iasern in das implantierte Herz einwachsen, dann w~re eine synchrone Pulszahl beider Herzen mit gr6Bter Wahrschein- lichkeit zu erwarten. Das ist aber niemals der Fall, jedes Herz behalf seiuen Eigenrhythmus bei. Dieser Befund macht einen

nerv6sen Einflul3 des Wirtstieres auf das implantierte Herz sehr unwahrscheinlich.

So bliebe denn noch fibrig, auf pharmakologischem Wege die Reaktion transplantierter Herzen auf Muskel- und Nerven- gifte zu priifen. Hier hat K. SCI~/3BEL gefunden, dab Muskel- und Nervengifte, wie Xaliumsalze und ]3ariumsalze sowie Strophanthin, nach l~ngerer Zeit beide Herzen l~thmen, dab ferner durch Muscarin ein Stillstand des Wirtsherzens regel- m~Big erzielt werden kann, der durch Atropin aufgehoben wird, w~ihrend das transplantierte Herz meist nicht in Mit- leidenschaft gezogen wird.

Doch scheint die Muscarinwirknng weder eine reine Nerven- noch eine reine Muskelwirkung zu sein, weshalb man mit einem Schlusse auf die Anwesenheit yon Nerven inl t ransplantier ten Herzen ~uBerste Vorsicht walten lassen muB, die im tibrigen bei der I3eurteilung so komplizierter Vorg/~nge, wie sie sich im wachsenden t-Ierzen abspielen, notwendiger ist denn je.

L i t e r a t u r: EI~MAI~, IXreue experimentelle Beitr~ge zur friihesten Entwicklung des Amphibienherzens. Soc. scient, fennica Comm. biol. 1. 1924. -- SC~3BEL und ST6HR Jm, Ein Beitrag zur Pharmakologie transplantierter Amphibienherzen. Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. zo 4. 1924. -- ST6HR Jm, Experimentelle Studien an embryonalen Amphibienherzen I u. II. Arch. f. mikr. Anat. u. Entwicklungsmechanik xo2 u. xo 3. 1924. -- ST6HR JR., Uber den formgestaltenden EinfluB des Blutstromes. Wfirzburger Abhandlungen 1925.

UBER DIE WIRTSCHAFTLICHE UND DOCH SACH- GEM~SSE BEHANDLUNG UND VERHUTUNG

DES KROPFES. ,:

Von

Prof. A. SCHWENKENBECHER, Marburg.

Wie in anderen L~ndern, so hat auch in Deutschland in den letzten Jahren der Kropf an H~ufigkeit wieder zugenom- men. Einmal in den alpennahen Gegenden SfiddeutschIands, aber auch sonst, so in Franken, Thiiringen, l-lessen-Nassau. Nicht iiberall gleichm~13ig, sondern wie man das vom Kropf yon jeher kennt, in d e m u n d jenem Bezirk. So konnte z. ]3. in unserer Provinz derselbe /~rztliche Beobachter in den Schulen 1Vlarburgs bei 20% der Kinder eine Schwellung der Schilddrfise feststellen (KLINGERS Stadien I I und III), in Schmalkalden bei 47%, in Frankenberg sogar bei 94%.

Diesen Zahlen, die die H~ufigkeit einer VergrSBerung der Kinderschilddrfise widerspiegeln, entspricht nicht die Zunahme der Kr6pfe bei den Erwachsenen unserer Gegend, aber auch diese zeigen eine gewisse Vermehrung in letzter Zeit. AuI jeden Fall aber diirfte der an vielen Stellen Deutsch- lands erh6hten Frequenz des Schulkropfes eine gewisse prognostische Bedeutung zukommen insofern, als bei einem bestimmten Teil dieser Kinder die Schilddrtisenschwellung bestehen bleibt und sich im Laufe der Zeit zu ausgesprochen pathologischen Formen des Kropfes entwickelt.

Deshalb finder der seit einigen Jahren yon Amerika ausgegangene, in der Schweiz und den anderen Alpenl~ndern in groBem Umfange wieder aufgenommene F2ampf gegen den Kropf auch in unserem Lande reges Interesse. Besorgt man doch mit Recht, dab mit der Zunahme des I~ropfes auch sein noch mehr geftirchteter ]3egleiter, der Kretinismus, der in den melsten Teilen Deutschlands so gut wie ausgestorben ist, wieder weitere Ausdehnung gewinnen k6nnte.

Von alien Arzneimitteln, die bei der internen Behandlung des Kropfes Anwendung gefunden haben, gelten die dog- pr@arate als die ~ltesten, bekanntesten und wirksamsten. Vor einigen Jahren hat E. BIRCHER 1) in vortrefflicher Dar- stellung einen sehr vollst~ndigen geschichtlichen l)berblick fiber diese Therapie gegeben, auf den ieh bier verweise.

Jede Verabfolgung yon Jod ist in Kropfgegenden yon einer ernsten Ge]ahr begleitet, dem dodhypert/~yreoidismus. Dieser, der in seinen Symptomen einem mehr oder weniger schweren Morbus Basedow v611ig gleichen kann und deshalb auch ,,Jodbasedow" genannt wird, entsteht in. der Regel dann, wenn die Therapie zu einer allzu schnellen Verkleine-

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rung des tZropfes ffihrt. so i s t ' a u c h der ausgesprochene Jodbasedow eine schwere Erkrankung, die bisweilen erst nach monatelanger Behand- lung zur Heilung gelangt. Bei einer Anzahl yon Kranken wird sogar die Operation der toxischen Schilddrfise 2) nStig, deren Entfernung erfreulicherweise meist rasch zur Genesung fiihrt. Sogar Todesf~ille sind infolge des Jodhyperthyreoidis- mus beobachtet worden !

Neuerdings sind aus der Schweiz Mitteilungen gekommen, die fiber eine betr~ichtliche, geradezu besorgniserregende Zunahme der HyperthyreoseI1 und anderer Jodsch~idigungen berichten. Diese toxischen Erscheinungen zeigen allerdings meist Erwachsene, die sich selbst ohne ernste ~rztliche I(ontrolle, zum Teil mit ungeeigneten t (ropfmit teln und iiber- m~il3igen Joddosen behandelten2). Die dieserhalb yon der Schweizerischen Kropfkommission eingeleitete Umfrage bei s~imtlichen Jkrzten der Schweiz hat te ein tiberraschendes Ergebnis3): In den Jahren 1922--19124 wurden in diesem Lande angeblich fiber 36oo Basedowerkrankungeii ~irztlich behandelt , yon denen ein Dri t te l als Jodbasedow angesprocheii wurde. Treffen diese Angaben einigermaBen zu -- nach meinen Erfahrnngen wird die Diagnose: Morbus Basedow bei Kropftdigern, die gleichzeitig nervSse Herz- und Gef~LI3- st6rungen aufweisen, irrigerweise viel zii oft gestellt - - , so ha t das alte Dogma yon der , ,Seltenheit des genuinen I~Iorbus Basedow in tZropflgndern" ffir die Schweiz seine Geltung verloren. Es is t deshalb vielleicht nicht ohne Interesse zu hSren, dab wir glauben, zur Zeit bier in Hessen und im benach- bar ten Siegerland neben der sicheren Frequenzsteigerung der gew6hnlichen I~r6pfe, auch eine solche des echten Morbus Basedow lind anderer endokriner St6rungen (Fettsucht) feststellen zu k6nnen.

Zu den 11oo F~illen yon Jodbasedow, die die Umfrage in der Schweiz fiir die letzten 3 Jahre meldet, kommen noch IlOO andere Jodsch/idigungen. Aber immer wieder zeigt es sich, dab sowohl der Hyper thyreoidismus wie auch die anderen Jodnebenwirkungen zum kleinsten Teile auf die beh6rdlich empfohlene Verabfolgung des jodierten I~och- salzes und eine ~trztlich sorgf~ltig fiberwachte Therapie zu- riickzufiihren sind. Meistens handel t es sich um die Folgen eines unkontrol l ier ten , ,wilden" Jodgebrauchs in h6heren Einzelgaben. GewiBlich kommt also der Jodmenge bei der Entstehung. der gef~ihrlichen Vergiftiingen eine wichtige Rolle zu. Und v. FELLENBERG~) ha t recht, wenn er sagt, dab eine t~gliche Zufuhr yon etwa 5omill ionstel Gramm Jodkal i in der Tagesportion yon IO g IZochsalz einem IZropf- triiger kein gr6Beres Risiko zumutet, als es ein Wohnungs- wechsel-nach einem jodreicheren, kropffreien Orte mit sich br ingt ! Trotzdem steht lest, dab bei der hochgradig gesteiger- ten Jodempfindlichkeit einzelner Menschen und Schilddriisen selbst Minimaldosen yon Jod ernste St6rungen ausl6sen k6nnenS). Wir sind somit aul3erstande, die Nebenerschei- nungen der Jodtherapie des Kropfes vdllig auszuschalten.

Es is t deshalb wiederholt die Frage aufgeworfen worden, ob nicht s ta r t des Jodes andere Substanzen zur Behandlung des Kropfes herangezogen werden k6nnen. Auf Grund yon Tierversuchen und Beobachtungen an kropfkranken Menschen sind Arsenik6), QuecksilberT), Benzonaphthol6), Thymolg), ferner Calcium, Phosphor, Chinin, Silicium, Atropin genannt und empfohlen worden. In gr6Berem Umfange sind aber diese 3/Iittel am 3/Ienschen bisher nicht nachgeprtift worden. Gewil3 sind auch sie yon Nebenwirkungen nicht frei, j a wenn man an die Notwendigkeit einer langdauernden Be- handlung denkt, mag vielleicht das Jod noch harmloser erscheinen als die meisten dieser eben aufgez/ihlten Medi- kamente 6).

Nach Lage der Dinge muB man also vorerst beim Jod bleiben, dessen Erfolge und Gefahren man wenigstens genau kennt. Das is t doch schon ein Schrit t zu deren t3eherr- schung l

Man ha t nun weiterhin AufschluB zu erhalten versucht, ob es unter der sehr groBen Anzahl der verschiedenen Jod- pr/ iparate nicht welche gibt, die infolge ihrer Zusammen- setzung weniger gef~ib_rlich sind als andere. Ein solcher Ge-

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Wie der Morbus Basedow s e l b s t , danke liegt nahe. Wissen wir Arzte doch z. B., dab man die bekannten Erscheinungen des leichten Jodismus (Schnup- fen, Kopfweh, Acne) mildern kann, wenn man mit dem Jodsalz gleichzeitig Natron bicarbonicum oder Ant ipyr in gibt. BIRCHER 1~ gebraucht seit Jahren zur Behandli ing des Kropies Tabletten, die auBer Jod in Lipojodin, Chinin, Silicium und Calcium enthalten. Er ist der l~berzeugung, dab diese Komposit ion besser und milder wirke als die fib- lichen Jodalkalien.

Auch yon der Darreichung organisch gebundenen Jodes, von JodeiweiB, namentl ich aber von Jodfet ten bzw. Jodfet t- s~uren, n immt man das an, da das Jod aus diesen Verbindun- gen langsamer resorbiert werde.

Die Natur liefert uns im Lebertran eiI1 jodhaltiges Fett , das nach KONIG 11) durchschnit t l ich o,o3% Jod enthal ten soll. Von anderer Seite wird dieser Jodgehalt allerdings weir niedriger angegeben [o,oo2% Mc. CARRISON12). DaB dem Lebertran eine ausgesprochene Jodwirkuiig zukommt, erscheint uns nicht mehr zweifelhaft, seitdem die Erfahrungen mit den Jodminimaldosen vorliegen. DaB aber auch bei Verabfolgung des Lebertrans leichter Jodthyreoidismus beobachtet werden kann, diirfte weniger bekannt sein. Doch kann man die Angabe LEWlNS la) kaum anders deuten, dab ,,bisweilen im Anfange der Kur eigentfimliche Unruhe, nerv6se Spannnng sowie St6rungen des Schlafes sich bei sensibeln Personen zeigen". Auch bei Verabfolgung yon Jodfetts~uren (Jodostarin) und anderen organischen Ver- bindungen ha t man bei der Kropfbehandlung in den letzten Jahren wiederholt dieselben St6rungen wie bei der Ver- wendung yon Jodalkal ien gesehen. Da nun diese bei ein- facher konstanter Zusammensetzung wesentlich billiger sind, da angerdem das Jodkal ium bereits iiberall zur Kropftherapie gebraucht wird, empfiehlt es sich schon deshalb, um ver- gleichbare Resultate zu erhalten, in Deutschland m6glichst einheitlich anorganische Jodpr~parate, nnd zwar das Jod- kalium, per os zu verwenden. Wissen wir schon fiber die pharmakologische Wirkung der Jodalkalien recht wenig, so sind die Verh~Lltnisse hei Anwendung organischer Jod- verbindungen noch ganz ungekl~Lrt14).

Die alten Kropfsa lben dtirften wegen der Ungenauigkeit der Dosierung am besten ganz zu vermeiden sein; auch nach ihrer Applikat ion v~rde iibrigens gelegentlich Jodbasedow gesehen.

Was sollen wir nun tun, um die Jodkaliumbehandlung des Krop]es nach MSglichkeit ihrer Gefahren zu entkleiden? Die bis auf COINDET (1820) zudickgehende ~rztliehe Er- iahrung gibt uns da drei erprobte RatsehlAge an die Hand :

I. Man gebe jedem Kranken eine mSg]ichst kleine, ihm vorsichtig angepaBte Joddosis.

2. Man gebe Jodpr~para te nicht ohne Pause lange Zeiteii hintereinander15).

3. Man iiberwache sorgfMtig den Kranken w~hrend der Behandlung.

Diese drei Leits~Ltze l inden wir immer wieder in den Verordniingen aller wirklich erfahrenen nnd mit der Kropf- behandlung ver t rauten fi~rzte, mSgen uns auch die Einzel- heiten ihres Vorgehens als noch so verschieden anmuten! So gibt HoTz 16) Erwachsenen mit hypothyreot ischem Kropf yon einer 5proz. Jodkali l6sung 5 Tropfen w~Lhrend der ersten 5 Tage eines jeden Monats, d. i. etwa o, oi g Jod pro dosi. WAGN]~R V. JAUREGG 17) empfiehlt Tagesgaben yon I mg Jodkal ium aufw~rts. Andere, wie SCI r lEURLEN 18) raten, die kurm~gige Behandlung des Kropfes mit den gleichen Jod- dosen wie die Prophylaxe zu beginnen, z. ]~. mit 3 mg Kal. jodat . , einmal pro Woche (Wiirt temberger Prophylaxe). KASPER 5) in Wien verordnet zun~chst noch geringere Dosen, n~mlich die kleinste, yon BAYARD als noch eben wirksam erkannte Menge yon I mg Jodkal i pro Mortar: Bp.: Sol. kal. jodat , o,ooi : 15o.o MDS. T~glich niiehtern I Teel6ffel! Nach Bedarf wird diese Arznei verst~rkt bis zn 8 mg pro Monat.

Ich glaube nicht, dab es m6glich ist, sich etwa ftir Deutsch- land aiif irgendein best immtes Schema der Therapie fest-

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zulegen, da sich die Grhge der Jodgabe nach der Empfind- lichkeit der betr. t3ev61kerung und des zu behandelnden Individuums, sowie nach der Ar t der Struma richten muB. i m allgemeinen aber kann mall, da die herr. Pat ienten ja unter dauernder /irztlicher Aufsicht stehen, ohne Bedenken und mit Aussicht auf schnelleren Erfolg gr6Bere Jodmengen anwenden, als bei der Massenbehandlung bzw. -prophylaxe. Doch pflegen da, wo Milligramme und Zentigramme Jodkal i ohne Effekt silld, anch grol3e Tagesgaben yon o,I--O, 5 und noch ~del mehr, kaum besser und schneller zu wirken; wohl abet k6nnen die groBen Joddosen das Kropfgewebe sch~tdigen! ~9) Auch in den eigenttichen Kropfl~indern sind gr6Bere Jodgabell meist unsch~tdtich, wenn sie nur kurze Zeit gegeben werdei1, wie das z. B. MARINE und KRINBALL ~~ in Ohio empfahlen. (2real im Jahre 0,2 g Jodkal i je I0 Tage lang!) Die kurzen Kuren haben den groBen Vorteil einer leichteren I3berwachung! Bei langer Kurzeit entziehen sich die Pat ientel l meist nach einiger Zeit ihrem Arzte und brechen ent tguscht durch das lange Ausbleiben eines sicht- baren Erfolges die Behandlung ab, oder aueh sie setzen diese auf eigene Faus t nnd oft mit anderen gefghrticheren Jod- mit teln fort. Bei der grztlichen Kontrolle des Kropftrggers, die mindestens alle 2 Wochen wghrend der Behandlung er- folgen soll, is t stets dessen allgemeine Erregbarkei t zu priifen, ferner ist das K6rpergewicht festzustellen und zu notieren, Herz und Struma sind natiirl ich ebenfalls regelm~Big zu untersllchen und zu messen.

Diejenigen Kr6pfe, die durch die Jodbehandlung nicht beeinfluBt werden, sind meist die glteren und festeren Kr6pfe, adenomat6se llnd Kolloidkr6pfe. ]3ei den Pat ienten mit ganz alten, groBen Cysten- und Knotenkr6pfen braucht man die Jodtherapie erst gar nicht zu versuchen. Sie geh6ren, fails Behandlung n6tig, yon vornherein ill die Hand des Chirurgen. In anderen jodrefraktgren F~illen wird man einen Versuch mit Thyreoidintable t ten in steigendell Dosen (o,I his o, 5 g auch mehr pro die) machen khnnen. Oft fiihrt dieser noch zum ZieI.

Immer aber werden noch genug Kr6pfe iibrigbleiben, bei dellen jede interne Therapie versagt; das sind nieht framer nur die groBen, har ten Kr6pfe /ilterer Individuen, SOlldern allch zahlreiche weiche Schilddriisenschwellungen junger Menschen. Die Zahl der Kr6pfe, die auf Jod nicht ansprechen, wird sehr verschieden angegeben. Sie r ichtet sich natiirlich nach der vorhergegangenen Auswahl der F~ille. Jedenfatls ist sie bei Erwachsenen weft gr6Ber als bei Kindern und Adoleszenten.

Nach Grtinden fiir dies verschiedene Verhalten zu suchen ist miiBig, solange wir fiber die Entstehungsbedingungen des Kropfes nicht besser orientiert sind. ,,Kropf" ist nur ein Symptom, das Ergebnis wahrscheinlich recht verschie- dener physiologischer und pathologischer Vorg~inge.

Es fragt sich deshalb: Sollen wir i iberhaupt alle Kr6pfe behandeln, z. ]3. auch die weichen Schilddriisenschwellungen im Pubert~itsalter und zur Zeit der Schwangerschaft ? Zwischen der ,,groBen Sehilddriise" nnd dem ,,pathologischen Kropf" gibt es keine Grenze17), und wenn wir z. B. nicht die Schul- kr6pfe behandeln wollen, so werden wir ,,soundso viele Krhpfe ins erwachsene Alter schieken und zum Teil dem Chirurgen reservieren" [DE QOERVAIN15)]. Aus diesem Grunde erscheint uns zu einer Zeit wieder ansteigender tgropfh~iufigkeit die Jodbehandll lng der kindlichen ,,groBen Schilddriise" als n6tig, auch wenn diese sich in vielen Fitllell spontan wieder zuriickbildet. Der besonders gute Erfolg, den die Therapie des Jugendkr0pfes aufweist, s tempelt diese z u einer wert- vollen Vorbeugungsmal3nahme gegen die krankhaften Kropf- gebilde des sp~tteren Lebens~l).

Die heute bereits in verschiedenen L/~ndern gefibte Kropfpropliylaxe mit jodhalt igem Kochsalz oder auch jod- halt igem Trinkwasser2~) sucht nach MSgli~hkeit die gesamte Bev61kerung zu erfassen. Um verbreitete Sch~digungen zu vermeiden, ha t man den Jodzusatz ~uBerst klein gew~thlt; in der Schweiz gibt man o, 5 g Jodkal ium auf IOO kg Salz, das sind etwa 5o millionstel Gramm pro Person und Tag.

Ftir Deutschland kann diese allgemeine Prophylaxe nicht in Betracht kommen, h6chstens iiir einige wenige ab- geschlossene Kropfbezirke. In der Schweiz und andeien Alpenl~ndern ha t man es eben nicht nur mit dem Kropf, sondern auch mit dem ihm verwandten Kretinismus zu tun, w~ihrend der letztere in nnserm Lande kaum noch existiert . Des- halb bedeutet das Kropfiibel ftir uns nicht eine solche Sch~idi- gung der Volksgesundheit, dab wit die nicht v611ig auszu- schaltenden Gefahren eines mhglichst allgemeinenJodgebrauchs mit in Kauf nehmen miil3ten. Dagegen kommt die sog. Schul- prophvlaxe und eine m6glichst umfassende ~rztlich geleitete Be- handlung aller jugendtichen Kropftr~iger ats wichtigste Vorbeu- gungsmal3nahme ftir unsere Verh~ltnisse in Betracht.

Die Schulprophylaxe is t bereits seit einigen Jahren auch an verschiedenen Stellen Deutschlands im Gebrauch. Sie hat, soweit ich die Li tera tur tibersehe, fast allgemein beziiglich ihrer Ergebnisse befriedigt uud nirgends ernstere Schlidi- gungen ausgel6st. Die dabei angewandten Methoden sind unter sich etwas verschieden. Im Interesse einer einheit- licheren Beurteilung des neuen Verfahrens empfiehlt es sich dringend, allgemein m6glichst einunddasselbe Jodpr~iparat zu verwenden, und zwar das Jodkalium. Nicht nur aus Grfinden der Sparsamkei t l Die Hhhe der Joddosis richter sich auch bier nach den 5rtlich verschiedenen Graden der Jod- empfindlichkeit der Bev6tkerung, nach dem Plane der Jod- anwendung (lange oder kurze Kurven, lange Pausen, kurze Pausen[), l e t z ten Endes nach dem Erfolgel

So wird dutch FREY 2a) neuerlich die yon STEINLIN24) in St. Gallen eingefiihrte Methode empfohlen, naeh der die Schulkinder im ersten Jahr 4 o, im zweiten I2, im dri t ten nur 8 Dosen yon je I m g Jodkal ium erhalten. Dieser Vorschlag is t sicher sehr vorsichtig, ich glaube aber nieht, dab diese Jodgaben z. 13. hier in Hessen geniigen wiirden. Die Wtir t tem- berger Schulprophylaxe sieht ftir die Dauer yon 7 Jahren whchentlich 3 mg Jodkal ium vor. Dafiir wird abet die Prophylaxe auf die H~lfte des Jahres beschr~nkt. In anderen Gegenden sind gr613ere Jodgaben verabfolgt worden: So gab LILL ~5) in Wtirzburg pro Woehe bis zu 5 mg Jod in anorgani- scher Verbindung, doch bezeichnet er selbst diese Dosen als unn6tig hoch. MARINE und KIMBALL 20) i iberschrit ten mit ihrer Methode der Schulprophylaxe die Hhhe der je tz t in Europa fiblichen Joddosierung um etwa das Hundertfache. Wie ich schon mitteilte, erhielten Schulkinder auf ihre Ver- anlassung zur Kropfprophylaxe 2real im Jahr io Tage lang 0,2 g Jodkalium. Ernstere Jodsch~iden wurden auch dabei nicht beobachtet.

Wit haben in Frankenberg seit i~/2 Jahren in jeder Schul- woche I m g Kalium joda tum verordnet und waren mit den Erfolgen nut leidlieh zufrieden. (Riickgang der Kr6pfe auI die H~ilfte, aber immer noch 19% der Klingerschen Stadien I I I nnd IV.)

Das Jodmit te l wird in kleinen Tablet ten, lX{alzbonbons oder I~iigelchen durch den Lehrer regelmfiBig verausgabt. Der Preis ]i~r die dodlcalitabletten ist vielfach noch zu hoeh/ Man kann im Notfall solche Tablet ten leicht selbst herstellen bzw. dutch die Ftirsorgerin, Schwester oder auch dutch den Lehrer herstellen lassen, indem man sich in einer guten Tropf- flasche eine 2proz. Jodkalil6sung h~lt und je I Tropfen dieser Fltissigkeit auf kleine Znckersttickchen auftr~iufelt. Jeder Tropfen enth~ilt I mg Kal ium jodatum[

Die Xrztliche 121berwachung der Kinder geschieht durch den Schularzt. Ein- his zweimal j/ihrtich finder eine Durch- untersuchung der Schulen start . Zwischendurch empfiehlt es sich, dnrch den Lehrer oder die Ftirsorgeschwester bei den Sehiilern Nachfrage nach nervhsen Sthrungen, Herz- klopfen usw. zu halten. Kinder, die fiber solche Erscheinungen klagen, sind sogleich 5zztlich zu untersuchen.

Von der Jodprophylaxe ausgesehlossen werden kranke und iibererregbare Kinder, besonders solche mit nerv6ser Puls- beschleunigung, ferner alle die, deren Schilddriise nicht ver- gr6Bert ist (KLINGERS Stadien o und I).

Was soil nun mit denjenigen Kinderll geschehen, deren grol3e Schilddrtise sich trotz einer l~ngerdauernden Schul- prophylaxe nicht verkleinert? Wie SCH~U~LEI~ ~8) berichtet,

Page 4: Über die Wirtschaftliche und Doch Sachgemässe Behandlung und Verhütung des Kropfes

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werden in Wf i r t t emberg solche Kinder ihren Haus~rz ten zur Behand lung iiberwiesen. LILL ~5) ha t sich du tch den ~rzt- l ichen Verein seines ]3ezirks die grunds~tzl iche Zus t immung erwirkt , alle kropfigen Kinder in der Schule selbst behande ln zu dfirfen. Beide Mal3nahmen haben manches ffir und manches gegen sich ! Genau besehen ist ja jede Schulprophylaxe nichts anderes als ein therapeut i sches Verfahren. D u t c h die E n t - lassung gerade der jenigen I~inder aus der Schulprophylaxe , die am schwers ten zu beeinflussen sind, scheiden gewil3 oft die am meis ten kropfgef~krdeten t ( inder aus jeder Behand- lung aus. Dadurch ver l ie r t die Schulprophylaxe n ich t un- erhebl ich an Bedeu tung l Auf der anderen Seite wird der Schularz t du tch die t3ehandlung dieser Kinder , die einer besonders sorgf~lt igen und hAufigen Kontro l le bedfirfen, wesent l ich mehr belastet . In j edem F a l l is t diese wicht ige Frage ernst l ich zu prfifen und baldigst zu regelnl

AuBer den Schulen kommen noch andere Ansta l ten , wie For tbi ldungsschulen, Seminare, ev th sogar die Universit~Lten, ferner Turn- und Spor tgemeinschaf ten ffir die Durchff ihrung einer sys temat i schen I~ropfbehandlung in ]3etracht. Auch die Schwangeren und Neugeborenen werden den 26~rzten zu besonderer 13erficksichtigung empfohlen [ScHEURLEN 18)]. Dal3 wir neben der med ikament6sen ]3ehandlung der Kropf- tr/~ger auch ffir eine hygienische Lebensweise und E rn / i h rung [Gemfise in der Kost l lS) l , ffir Bet/ t t igung, n a m e n t l i c h der Jugend in Luf t und Sonne zu sorgen haben ~), muB ausdrfick- lich hervorgehoben werden, denn wir behandeln n ich t KrSpfe, sondern Menschen, meis t sogar jugendl iche Menschen, die in ihrer E n t w i c k l u n g gel i t ten haben.

Die im vors tehenden wiedergegebenen Vorschl~tge zur Behand lung und Vorbeugung des Kropfes sind vieleror ts er- p rob t und haben auch in Deu t sch land sich bew~hrt . Es gibt, soweit ich sehe, zur Zei t keine anderen Methoden, die ungef/~hrlicher und wirksamer, auch keine, die bei gleieh befr iedigender Le i s tung im Preise bil l iger w~ren.

L i t e r a t u r: 1) BII~CHRR, Schweiz. med. Wochenschr. 1922, Nr. 29. -- 2) ItoTz, Sitzungsber. d. Schweiz. Kropfkommission v. 22. IX. 1923, S. 41. -- ~) STINRR, Enqu~te i~ber Jodsch~digungen in dcr Schweiz in den Jahren 1922/24. Im Manuskript mir freund- lichst zu Verfikgung gestellt durch Herrn E. BIRCHER-AARAU. t) YON F~LLRNBRRa, Schweiz. reed. Wochenschr. 1925, S. 56, ~) KASPAR, Wien. reed. Wochcnschr. 74, 1757. I924- -- ~) BAYARD, ]3eitr~ge zur Schilddrasenfrage. Basel: 13enno Schwabe & Co. I919. S. 16, bezweifelt wohl mit Recht die therapeutische Wirkung der Arsenverbindungen bei Kropf. -- ~) Quecksilber ist ein altes K r o p f m i t t e l [BIRCHERX)]- - - 8) Nach Benzonaphthol und Thymol sah MRSS~RI.I Rtickgang des Kropfes bei Soldaten. Von BAYAgD ~) wird alas ,,propter hoc" bezweifelt. -- 9) DR Qn~RVAIN, Schweiz. reed. Wochenschr. 55, Nr. 4- 1925. -- ~) BIRCHER, Korresp.-131att f. Schweiz. ~rzte 1918, Nr. 37. -- ~1) K6~IO, Chemische Zusammen- setzung der menschlichen Nahrungs- and Genugmittel. Berlin: Springer 19o 3. -- ~'~) Mc CARRISON, cit. nach KongreBzentralbt. f. d. ges. inn. Med. 23, 318. 1922. -- x~) LEWlN, Die Nebenwirkungen der Arzneimittel. Berlin: HirschwMd 1899. -- x~) BLEYRR, Mi~nch. reed. Wochenschr. 1924 . Nach HIINZlt~R~ und WYss, Ktin. Wochen- schrift 1922, S. 544, ist die Verwendung yon Jodkalium deshalb besser als die organischer Jodpr~parate, weft letztere ungleich- m~Biger resorbiert werdeI1. Auch KLINGRR, Sitzungsber. d. Schweiz. Kropfkommission v. 21. I. I922, S. 46, hMt das Jodkalium fflr wirksamer als das Jodostarin. -- x~) Schon D'ESPINR hat darauf hin- gewiesen, dab bei protrahierter Jodbehandlung mit kleinen Dosen der Hyperthyreoidismus viel h~ufiger eintrit t als bei mittleren, ja selbst hohen Dosen, wenn diese nur kurze Zeit gebraucht worden. (Zit. nach DR QnRRVAI~, Sitzungsber. d. Schweiz. Kropfkommission v. 24. VI. 1922, S. 25.) -- 1~) HOTZ, zit. nach ENDERLEN, Klin. Wochenschr. 1922, S. 458. -- ~) WAGNER VON JAURRGG, Wien. klin. Wochenschr. 37, H. I6. 1924. -- is) SeHRnRLRN, Mittelrhein. Chirurgentag Stuttgart 1925, Zentralbl. L Chirurg. 52, 595. 1925- -- 19) ALBERT KOCHRR, Die Behandlung des Kropfes. n . Aufl. Bern: A. Francke A. G. 1921. S. 14. -- ~0) MARINE und KIMBALL, Arch. of international reed. 22. I9~8. -- g~) SRIFERT, M~nch. nled. Wochenschr. 1924, S. 1792. -- ~e) OLIN, Journ. of the Americ. reed. assoc. 82, i328. 1924. -- ~a) F~RY, Klin. Wochenschr. 1925, S. 460. -- et) STEIN- LIN, Sitzungsber. d. Schweiz. Kropfkornrnission v. 24. VI. 1922, S. IO. -- ~) LILL, Mflnch. reed. Wochenschr. 1924 , S. 1791. -- e~) Ich erinnere an die Schweizer Erfahrung, dab junge Leute w~h- rend ihrer Milit~rdienstzeit oft ihren Kropf verlieren. GOT~INaRR, zit. nach KOCI~RR, Korrespi-Blatt f. Schweiz. _~rzte 1917, Nr. 49.

tIBER DIE WIRKUNG KONSTLICHER SAUER- STOFFATMUNG IM HOCHGEBIRGE.

(Vorl~iufige Mitteilung.)

Von

Prof . Dr . phil . e t reed. ERICH STE~N, GieBen. Aus dem Institut fiir Hochgebirgsphysiologie und Tuberkulose:orschung i.u Davos.

E ingehende Unte r suchungen in Davos haben LOEWY*) zu dem Ergebnis geftihrt, , ,dab an den im H6henk l ima auI- t r e t enden Ersche inungen die LuJtdruekerniedrigung und dami t die ve rminder t e Sauers tof fspannung einen viel bedeu tenderen Ante i l haben, als ihnen in den le tz ten J ah rzehn t en zugebil l igt worden ist und dab gewisse Wirkungen , die in mi t t l e ren H6hen (155o m) zur ]3eobachtung kommen, und deren ein- deut ige Erk l~ rung bisher ausstand, aui die mi t der Lu i t - verdf innung e inhergehenden Verminderung der Sauerstoff- zufuhr zurfickzuffihren s ind" . LoEwY stel l t rest, dab die Atemgrd/3e sowie der Blutdruck sehon in 155o m H6he eine Ste igerung erfahren, dab diese Steigerung abet prompt zuri~ck- geht, wenn man die Versuchsperson Sauersto]J einatmen ldiflt.

Der im t tochgeb i rge verr inger te Sauers toffgehal t der Luf t ffihrt zu einer Herabse t zung des Sauerstoffgehal tes des ]3lutes und dami t der Gewebe. ]Die 1Reaktion auf diese Sauers to f fve rminderung ist bei den verschiedenen Geweben grundversch ieden; am empfindl ichs ten scheint das Atem- zentrum und das Knoehenmark zu sein.

Eigene Versuche, fiber die hier kurz ber ieh te t werden soll - - e ingehendere Mit te i lungen werden sparer erfolgen - - , ff ihrten zu einer Bes t~ t igung der yon L o E w u dargelegten Anschanung, sowie zu einer Reihe neuer Ergebnisse.

Methodik: I. E in kleiner Glas t r ichter ist mi t einer Gummi- m e m b r a n fiberspannt. Vom Glas t r ichter ffihrt ein Schlauch zu einer Mareyschen Kapsel ; der Schreibhebel derselben zeiehnet auf einer ro t ie renden T rommel Ver~nderungen in der Spannung der G u m m i m e m b r a n des Glast r ichters fort- laufend auf. Die Versuchsperson r u h t sich 1/~ngere Zei t aus, s i tz t neben e inem Tisch. legt den l inken Arm auf, so dab die H a n d fiber die T ischpla t te hinausragt , und hMt mi t der- selben den Glastr ichter . Die rechte H a n d wird ausgestreekt , die F inger gespreizt und en tspannt , der Mit te l f inger soll m i t der Spi tze lose auf der Membran aufliegen. Die Zi t te r - bewegungen werden so aufgeschrieben.

I I . Die A t m u n g wird ill der Weise aufgeschrieben, dab n m den T h o r a x ein Gummisch lauch gelegt wird, dessen E n d e n du tch eine ' K l e m m e zusammengeha l t en werden. In den Schlauch ist ein T-St i ick eingeschal tet , yon dem die Ab- le i tung zur Mareyschen Kapsel erfolgt.

Die Versuche wurden angestel l t an Einheimischen, an Kranken und an vorfibergel~end zur E rho lung oder zum Zweck wissenschaft l icher Arbei ten sich in Davos aufha l tenden Per- sonen. Es wurde zuerst Zi t te r - und A t e m k u r v e ohne Sauer- s toff aufgenommen, dann a tme te die Versuchsperson 3 Mi- nu ten Sauers toff ein, worauf e rneut der Versuch angeste l l t wurde. In einigen F~llen wurde dann nach 5 - - 1 o Minuten der Versuch ohne Sauerstoff wiederholt . Bei den frisch aus der Ebene H e r a u f k o m m e n d e n wurde die Un te r suchung mSglichst bald nach dem Ein t re f fen in Davos angeste l l t und dann nach einiger Zeit e rneu t vorgenommen.

I. I ch gebe zun~chst eine K u r v e eines I6j~hr. Davosers (Kurve I und In): Wie deut l ich ersicht l ich ist, zeig~c weder die Zi t ter - noch die A t e m k u r v e einen merkl ichen EinfluB der Sauers tof ie ina tmung. Der Tremor ist recht stark, geht aber auf Sauers to f fe ina tmung nicht zurfiek, und auch die A t m u n g zeigt keine Einschr~nkung.

2. E in 61 J ah re al ter Davoser , der seit 55 J a h r e n ohne Un te rb rechung in Davos ans~ssig ist. W i r l inden (Kurve 2), dab anfangs ein ziemlich s tarker Tremor bes teh t ; dieser geht indessen nach E i n a t m u n g yon Sauers toff ganz erhebl ich zu- trick, er wird feinsehlS.giger, die einzelnen Zi t te rbewegungen viel le icht auch seltener. 5 Minuten nach Un te rb reehung der Sauers tof izufuhr n i m m t der Tremor wieder merkl ich zu. Die A t m u n g ble ibt unbeeinflul3t.

*) LOEWY, Beitr~ge zur Physiologie des H6henklimas. Pflfigers Archly x9~5.