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(TBER EINIGE PHYSIKALISCHE VOI~GANGE BEI DEI~ AUSLOSUNG VON GENMUTATIONEN DURCH STRAHLUNG. II. Vol] P. JORnAN, K. G. ZIMMSR und N. W. TIMOFI~EFF-I~ESSOVSK¥. (Eingegangen am 3. November I9~4.) E inleitung. Vor einiger Zeit haben ZIMMER und TIMOF~FF-RF,SSOVSKY(1942) eine Analyse erweiterten Materials fiber die AuslSsung yon Genmutationen durch RSntgen- strahlung unter Heranziehung verfeinerter physikalischer l~berlegungen fiber das Treffereignis vorgenommen; sie ffihrte zu dem Schlu]3, dab als Treffereignis in diesem Falle die Erzeugung eines einzelnen Ionenpaares angesehen werden muB. Weiter konnte gezeigt werden, da~ die neueren Ergebnisse der Mutations- auslSsungsversuche mit Neutronen und der Neutronendosimetrie zu einer guten (~bereinstimmung mit den auf Grund von RSntgenversuchen entwickelten Vor- stellungen fiber das Prim~trereignis bei der MutationsauslSsung ffihren, und dab es nicht notwendig ist, einen Transport der Energie dureh aktivierte Mole- kiile bei der MutationsauslSsung zur Deutung der Befunde heranzuziehen. Es lag somit keine Veranlassung vor, die von TIMOF]iEFF-REssovsKY, ZI~M~R und DELBR(~CK (1935) vorgeschlagene Vorstellung der AuslSsung yon Gen- mutationen durch Strahlung grunds~tzlich abzuitndern. Uber den Wirkungsquerschnitt gegeni~ber Protonendurchgang. Im Zusammenhang mit der yon ZIM~ER und TIMOF~EFF-R~SSOVSKY (1938, 1942) gegebenen ffir dieAnlayse des Gesamtmaterials wichtigenDeutung desAb- falls der Mutationsrate je Dosiseinheit bei steigender Ionisationsdichte wird man jedoch dutch eine yon der frfiher benutzten etwas abweichenden Betrachtungs- weise zu einem Ergebnis geffihrt, das zun~chst eine Schwierigkeit bzw. einen Widersprueh zu bedeuten scheint. Eine n~here Untersuchung zeigt aber, dab dies nicht der Fall ist. Wenn man bei MutationsauslSsungsversuchen mit schnellen Neutronen als Treffereignis nicht die Erzeugung eines Ionenpaares im formalen Treffbereieh, sondern, was ebenso berechtigt ist, den Durchgang eines Rficksto~protons durch den Treffbereich annimmt, so kann man aus der Mutationsrate je Dosiseinheit einen formalen Querschnitt (Wirkungsquerschnitt) berechnen, dessen Durch. querung durch ein Proton mit der Wahrseheinlichkeit 1 die AuslSsung einer Mutation zur Folge hat. Einzelheiten fiber diese Betrachtungsweise z. B. bei ZI~M]~R (1943). Dieser Wirkungsquerschnitt stellt offenbar die Summe des eigentlich interessierenden, dem Obj ekt zukommenden Wirkungsquerschnitts und eines diesen umschlieBenden Gfirtels dar, dessen Breite etwa gleich dem halben Durchmesser der Ionisierungssi~ule des Protons anzusetzen ist. Die Durchfiihrung der Rechnung ffir die MutationsauslSsungsversuche mit schnellen Neutronen ffihrt, 5*

Über Einige Physikalische Vorgänge bei der Auslösung von Genmutationen Durch Strahlung. II

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(TBER EINIGE PHYSIKALISCHE VOI~GANGE BEI DEI~ AUSLOSUNG VON GENMUTATIONEN DURCH STRAHLUNG. II.

Vol]

P. JORnAN, K. G. ZIMMSR und N. W. TIMOFI~EFF-I~ESSOVSK¥.

(Eingegangen am 3. November I9~4.)

E inleitung.

Vor einiger Zeit haben ZIMMER und TIMOF~FF-RF, SSOVSKY (1942) eine Analyse erweiterten Materials fiber die AuslSsung yon Genmutationen durch RSntgen- strahlung unter Heranziehung verfeinerter physikalischer l~berlegungen fiber das Treffereignis vorgenommen; sie ffihrte zu dem Schlu]3, dab als Treffereignis in diesem Falle die Erzeugung eines einzelnen Ionenpaares angesehen werden muB. Weiter konnte gezeigt werden, da~ die neueren Ergebnisse der Mutations- auslSsungsversuche mit Neutronen und der Neutronendosimetrie zu einer guten (~bereinstimmung mit den auf Grund von RSntgenversuchen entwickelten Vor- stellungen fiber das Prim~trereignis bei der MutationsauslSsung ffihren, und dab es nicht notwendig ist, einen Transport der Energie dureh aktivierte Mole- kiile bei der MutationsauslSsung zur Deutung der Befunde heranzuziehen. Es lag somit keine Veranlassung vor, die von TIMOF]iEFF-REssovsKY, ZI~M~R und DELBR(~CK (1935) vorgeschlagene Vorstellung der AuslSsung yon Gen- mutationen durch Strahlung grunds~tzlich abzuitndern.

Uber den Wirkungsquerschnitt gegeni~ber Protonendurchgang.

Im Zusammenhang mit der yon ZIM~ER und TIMOF~EFF-R~SSOVSKY (1938, 1942) gegebenen ffir dieAnlayse des Gesamtmaterials wichtigenDeutung desAb- falls der Mutationsrate je Dosiseinheit bei steigender Ionisationsdichte wird man jedoch dutch eine yon der frfiher benutzten etwas abweichenden Betrachtungs- weise zu einem Ergebnis geffihrt, das zun~chst eine Schwierigkeit bzw. einen Widersprueh zu bedeuten scheint. Eine n~here Untersuchung zeigt aber, dab dies nicht der Fall ist.

Wenn man bei MutationsauslSsungsversuchen mit schnellen Neutronen als Treffereignis nicht die Erzeugung eines Ionenpaares im formalen Treffbereieh, sondern, was ebenso berechtigt ist, den Durchgang eines Rficksto~protons durch den Treffbereich annimmt, so kann man aus der Mutationsrate je Dosiseinheit einen formalen Querschnitt (Wirkungsquerschnitt) berechnen, dessen Durch. querung durch ein Proton mit der Wahrseheinlichkeit 1 die AuslSsung einer Mutation zur Folge hat. Einzelheiten fiber diese Betrachtungsweise z. B. bei ZI~M]~R (1943). Dieser Wirkungsquerschnitt stellt offenbar die Summe des eigentlich interessierenden, dem Obj ekt zukommenden Wirkungsquerschnitts und eines diesen umschlieBenden Gfirtels dar, dessen Breite etwa gleich dem halben Durchmesser der Ionisierungssi~ule des Protons anzusetzen ist. Die Durchfiihrung der Rechnung ffir die MutationsauslSsungsversuche mit schnellen Neutronen ffihrt,

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falls man den Wirkungsquerschnitt kreisfSrmig annimmt, zu einer Summe des Radius ~ des ,,eigentlichen" Wirkungsquerschnittes und der Gfirtelbreite Qo von ~ + ~o ~ 10-~ em.

l~ber den Durehmesser 2 ~0 der Ionisierungss/~ule schneller Protonen liegen bestimmte Angaben nieht vor. Man kann jedoch annehmen, dab er yon dem der Ionisierungssgule von ~-Teilchen nicht sehr verschieden ist. Die Dicke der Ionisierungssgule von ~.-Teilchen ist Gegenstand theoretischer und experimen- teller Untersuchungen gewesen; ihr Radius wird meist mit ~o ~ 5 . 1 0 --~ bis

5 • 10 -s cm angegeben. Damit scheint ein Widersprueh zu dem oben erhaltenen Befund vorzuliegen, nachdem ~ q- ~0 ~ 10-~ cm, d. h. also kleiner als die eben genannten Werte von Q0 sein soll, und man kann die Frage erheben, ob die Deutung der MutationsauslSsungsversuche abge/tndert werden mug. Wir hielten es jedoch fiir richtiger, zun/~chst zu priifen, welche physikalische Bedeutung den fiblieherweise als Durchmesser der Ionisierungss~ule angenommenen Werten zukommt.

JaFF£ (1913) untersuchte die Druekabh~ngigkeit der Ionisation in Gasen (und als Extremfall in dielektrischen Flfissigkeiten) und stellte fest, dab unter Berficksichtigung der Diffusion und der Wanderung der freigesetzten Elek- tronen alleVorg/tnge im wesentlichen in einer S/iule mit dem Radius ~0 = 10-6 cm sich abspielen; ,,in Hexan fiberschreitet praktisch nichts einen Mantel mit ~0 = 5 . 1 0 - e c m ''. Diese Aussage enth/~lt keiner le i Angaben fiber die uns eigentlich interessierende r/~umliche Verteilung der prim£ren Ionisationsakte, sondern nur fiber den Raum, in dem diese sowie alle sich an die prim/~ren Ionisationen anschlieBenden Sekund~rprozesse stattfinden. Besonders deutlich wird dieser Tatbestand in der Formulierung von MOHLI~ und TAYLOR (1934), die die Ionisationsverteilung bei R6ntgenbestrahlung von flfissigem Schwefel- kohlenstoff studierten und dabei sich auch der S~ulenvorstellung bedienen. "The physical significance of Q is probably as follows: The secondary electrons produce positive ions and ter t iary electrons of about 10 V energy which move away until they become at tached to molecules to form heavy negative ions. The constant 2 Q is (apart from a small geometrical factor) the distance the electron goes before at taching."

Diese Formulierung enth/~lt eine Kri t ik aueh der aus WILsoN-Kammer-Auf- nahmen gewonnenen Absch~tzungen der S~ulendicke 2 ~. Denn die erw/~hnten ,,schweren negativen Ionen" k6nnen sicherlich ais Kondensationskerne wirken, so dag auch die Dicke der Nebelspur viel mehr Aufschlug fiber sekund~re Diffusions- un=l Wanderungsvorgi~nge, als fiber die primi~re Ionisationsverteilung gibt. Man kommt damit zu dem Schlug, dag die beiden bisher benutzten Bestimmungs- verfahien fiber die uns interessierende Verteilung der prim~ren Ionisation keinen Aufschlug geben und dag die Werte des S/~ulenhalbmessers Q0 ~ 5 . 1 0 -~ bis

5 • 10 -8 cm mSglicherweise viel zu grog sein kSnnten; denn die diffundierenden langsamen Elektronen 15sen keine prim~ren Ionisationsprozesse aus.

Die Frage nach der Dieke der prim/~ren ¢¢-Ionisierungss~ule kann durch fol- gende ~berlegung beantwortet werden. Das an einem Atom vorbeistreiehende ~¢-Teilchen soll als unendlich schwer gedacht werden, so dab es seinerseits keine Beeinflussung durch das Atom erf/~hrt. Das Atom steht dann unter der Ein- wirkung eines iiugeren elektrischen Feldes, welches in gegebener Weise eine

Vorg/tnge bei der AuslSsung von Genmutationen durch Strahlung. II. 69

Funkt ion der Zeit ist. Die zur ~-Bahn parallele Feldkomponente ist, wenn v die (relative) Teilungsgesehwindigkeit und b den kleinsten Abstand 0¢-Teilchen-- Atom bezeichnet, w/~hrend fiir die Zeit t als Nullpunkt der Augenblick der n/ichsten Begegnung gew/~hlt wird, gleich:

e v t E l i (t) = / (t) = ( 1 / ~ ~ • (1)

Das Atom, anschaulichkeitshalber als (anharmonischer) Oscillator mit einer zur Teilchenbahn parallelen Koordinate q vorgestellt, erfiillt die SCHRSDING~m Gleiehung :

{ H ( p , q ) ~ - e q / ( t ) -~ 2~i.~-------~ ~ = 0 " (2)

Ihre LSsung ffir den Fall, dab das Atom sich urspriinglich im n-ten Zustand befindet, lautet, wenn ~m die m-te Eigenfunktion ftir das ungestSrtc Atom ist:

~p = e- a ""%t (%~ ÷ ~ B ( m , n ) ~ m ) (3) m

mit t

B (m, n) = eq (m, ~) / e2 ~i ~(m, n)(t" - t) / (t') dr' (4)

-- oo

q (m, n) : Matrixelement ffir das ungestSrtc Atom. Die l~bergangswahrscheinlichkeit zum m-ten Zustand infolge des Vorbeigangs

des schnellen Teilchens ist danach gleich

• / e ' ~ i ' ( m , ' ~ ) r / ( t ' ) dt '[ • (5) h 2

- ~ I

Auszurechnen ist also das Integral 4-oo + c o

g ~ / e 2 ~ i v t t d t :ftsin2~vt.dt.

Nun ist

(6)

-~-oo

vsin co v. dv ~ - ~ 3 ~ -- 2 co g o (~) , (7)

- -oo

wenn mit K o (oJ) die modifizierte BF.ss~L-Funktion 2. Art bezeichnet wird. Deshalb bekommt man endgiiltig als ~bergangswahrscheinlichkeit

!q(m,n) ] 2 4 16z2v~ [ ( 5 ) 1 2 h~ e - - v4 K 0 27ev • (8)

Die Abh~ngigkeit von b - - ' a l s diejenige, wonach gefragt wird - - steckt aus- schlieBlich im Fak to r K~. Hieriiber lehren die vorhandenen Tabellen (vgl. z. B. WATSON, B~ssEL-Funct4ons), dab K (x) mit wachsendem x noch schneller abf~llt als e -x. Man bekommt praktisch keine Ionisierung mehr, wenn

2~ty b > 1 (9) V

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wird. Man kann somit den Radius Q0 der prim~ren Ionisierungss/iule aus der Formel

v ~o ~ b 2 ~ r

berechnen, wobei lediglich vorauszusetzen ist, dab der so berechnete Wert grSBer als ein Atomradius ist (denn das wurde im vorigen Ansatz (2) vorausgesetzt).

Ffir 2 3r v kommt etwa 10 le in Frage, entsprechend ~ 10 V. Nimmt man dann fiir v etwa 10 7 (die H£1fte des ffir RaC geltenden Wertes), so erh~lt man b = ~o ~ 10-7 em. Bei etwas langsameren Teilchen sollte dieser Wert sogar noeh unterschrit ten werden. Die Rechnung ffihrt also zu dem Ergebnis, dab ffir den Radius ~o der Ionisierungss/~ule Werte yon 10 -7 cm und kleiner einzusetzen sind, wenn man nur die prim~ren Ionisationsereignisse in Betracht zieht. Damit ver- schwindet aber die eingangs erw/~hnte Schwierigkeit; denn aus RSntgenstrahl- versuehen fiber die AuslSsung einzelner Mutationsschritte ergibt sieh der Radius des formalen Treffbereiehs zu ~ = 10 -7 cm. Der Radius der Ionisationss~ule ist, wie wir sahen, mit ~0 ~ 10-~ cm anzusetzen. Es liegt daher kein Widerspruch, sondern eine sehr befriedigende ~bere ins t immung vor, wenn die Neutronen- bestrahlungsversuche als Summe der Radien yon Wirkungsquerschnitt eines Gens beziiglieh einer Mutation (~) und der Ionisierungss/~ule (~o) einen Wert ~ A- ~o

10 -~ cm liefern. Die Ergebnisse dieser yon unserer frfiheren Analyse etwas abweichenden Betraehtung mfissen somit als weitere Stfitze der Gesamtvorstellung von der Natur der Genmutat ionen gewertet werden.

Prdizisierung der A ussagen beziiglich Tre//bereich, Energiewanderung und Energietransport.

Die oben besprochene weitgehende Sicherung der von TIMOFI~.FF-REssOVSK¥, ZIMMER und :D~LBRi~CK (1935) abgeleiteten Gesamtvorstellung yon der Natur der Genmutat ionen stiitzt in erhebliehem MaBe auch die in diesem Zusammenhang gewonnene Anschauung v o n d e r Existenz reeller Treffbereiche von erstaunlicher GrSBe ffir die AuslSsung yon Genmutat ionen; denn die oben erw/~hnten formalen Treffbereiehe bzw. Wirkungsquersehnitte stellen, wie wir oft betont haben, eine untere Grenze ffir die reellen Treffbereiche dar. Da andererseits ange- nommen werden muB, daB eine Genmutat ion in einer spezifischen ~nderung eines r/~umlieh sehr kleinen Bezirks (~nderung einer oder einiger weniger Atom- bindungen) innerhalb des Treffbereichs besteht, wird auch die Bedeutung eines Energieiibertragungsvorganges im Treffbereich immer klarer. Die diesbeziig- lichen l~berlegungen, insbesondere Vorstellungen fiber Energieiibertragungs- meehanismen wurden kfirzlich yon RI~.HL, RoMPs, TIMOFI~EFF-REssOVSKY und ZIMMER (1943) eingehend behandelt, so dab wir darauf nicht niiher einzugehen brauehen.

Dagegen bedarf die Frage naeh der M6gliehkeit einer sekund/iren Energie- fibertragung aus dem umgebenden Medium an die mutierende Einheit einer erneut en Diskussion, da dieses Problem in letzter Zeit dureh mehrere experimentelle Untersuchungen weitgehend gekl/~rt werden konnte.

Bei manehen dureh RSntgenstrahlen hervorgerufenen ehemischen Reaktionen in w/~Briger LSsung wurde beobachtet, dab ihre absolute Ausbeute der Zahl der

Vorgange bei der AuslSsung von Genmutationen durch Strahlung. II. 71

vorhandenen reaktionsf~higen Molekfile nicht proportional ist (I~RICKE und Mit- arbeiter 1927--1943). Experimentell pr~gt sich das vor allem darin aus, dab der absolute Umsatz vonder Konzentration der gelSsten reaktionsf~higen Mole- kfile in weitem Bereich unabh~ngig ist. Dies wurde meist dahin gedeutet, dab Wassermolekfile, die bei der Bestrahlung nicht allzu konzentrierter w~Briger L6sungen primer den gr6Bten Teil der Strahlungsenergie aufnehmen, in einen ,,aktivierten" Zustand fibergehen und ihre Energie vorzugsweise nur bei StSBen mit reaktionsf~higen Molekfilen verlieren. Wir haben frfiher bereits betont {Z!MMEI~ und TIMOY]~]~FF-R~SSOVSKY 1942), dab keinerlei Grfinde oder Hinweise vorliegen, diesem an sich sehr interessanten radiochemischen Ph~nomen grund- s~tzliche Bedeutung ffir die Strahlenbiologie im allgemeinen und ffir die Aus- 16sung von Genmutationen im besonderen zuzuschreiben. Eine eingehende Prfi- fung schien jedoch so lange schwierig, als fiber den Mechanismus des Energie- transportes nur die eben erwKhnte Hypothese des ,,aktivierten" Wassers vorlag. Neuere experimentelle Untersuchungen verschiedener radiochemischer Reaktionen in verschiedenen L6sungsmitteln haben jetzt weitergehende Aussagen erm6glicht. Im Gegensatz zu den Befunden an wi~Brigen L6sungen ergaben Versuche an benzo- lischen LSsungen des weiBen Phosphors, dab bei der radiochemischen Umwandlung desselben in roten Phosphor eine ~bertragung der primer vom Benzol auf- genommenen Energie nicht stattfindet (ZI~M~R 1944). Versuche mi t anderen Reaktionen (der Entf~rbung yon Methylenblau- und ThymolindophenollSsung durch RSntgenstrahlung) zeigten j edoch, dab auch andere LSsungsmittel als Was- ser die frfiher nur an Wasser beobachteten Energiefibertragungsph~nomene liefern (Glycerin und Glykol, ZIMMER 1944, Schwefelsi~ure, Tetrachlorkohlenstoff und ~thylenehlorid, ZI~ME.R und CRON 1944). Dieser Befund spricht gegen die Hypo- these, dab es sieh bei der Energiefibertragung um aktivierte Molekfile handelt ; denn wenn die Annahme von aktivierten Wassermolekfilen zwar gewagt, aber nicht unmSglich erscheint, so ist die Annahme von etwa gleich stabilen aktivierten Molekfilen der anderen Substanzen recht unwahrscheinlich. Dies um so mehr, als die mittlere lineare Entfernung des Energietransportes in l~bereinstimmung mit einer Absch~tzung FRICKEs ZU 10 - s em gemessen werden konnte (ZIMr~R und BOUMAN 1944).

Die naheliegende Frage, ob die Energiefibertragung fiberhaupt durch diffun- dierende Teilchen oder aber durch einen der bekannten Energiefibertragungs- mechanismen (RIEItL, ROMI~]!~, TIMOF]~EFF-RESSOVSKY und ZIM~CIER 1943) erfolgt, konnte durch Bestrahlung von MethylenblaulSsungen in Glycerin bei - - 700 C ent- schieden werden. Unter solchen Bedingungen, bei der die L5sung zu einem harten Glas erstarrt war, konnte im Gegensatz zur Bestrahlung bei Zimmcrtemperatur eine Energiefibertragung nicht nachgewiesen werden. Dieser Befund schlieBt die Annahme der sog. ,,elektronischen" Energiewar~derung durch Dipolresonanz aus, da diesc in der K~lte besser und nicht schlechter vor sich gehen wfirden. Es muB daher angenommen werden, dub die ~bertragung der primer vom LSsungs- mittel aufgenommenen Energie durch diffundierende Teilchen erfolgt, undes ist wahrscheinlich, dab es sich dabei nicht um aktivierte LSsungsmittelmolekfile, sondern um Spaltstficke derselben handelt.

Es soll nun nicht behauptet werden, dab dem Energietransport aus dem LS- sungsmittet durch Spaltstficke desselben in keinem Falle Bedeutung fiir die

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Strahlenbiologie zukommt. Versuehe fiber die Inakt ivierung von Viren in w/~Briger LSsung (BORN, MDLCH]~RS, PXTAU und ZI~r~ER 1944) haben vielmehr die Bedeu- tung der sekund~tren Energieiibertragung ffir eine Strahlenreaktion eines ,,Lebe- wesens" eindeutig gezeigt ; s ie stellen aber andererseits einen Ausnahmefall vom Standpunkt der Strahlenbiologie dar, we i l e s sich um eine reine, ziemlich ver- dfinnte LSsung der reagierenden Molekfile handelt. Sobald neben der inter- essierenden reagierenden Molekfilart reaktionsf/~hige Beimengungen in vergleich- barer oder grSBerer Menge vorliegen, bildet sich ,eine Konkurrenz um die verffig- bare Energie heraus, die dazu fiihrt, dab der Energietransport an die interessierende Molekfilart vernaehl/issigbar gering wird. Eine solche Konkurrenz wird bei den meisten biologischen Objekten und insbesondere bei den Genen vorliegen, da der Zellkern nicht eine verdfinnte, reine ,,GenlSsung", sondern ein halbflfissiges Ge- menge reaktionsf/~higer Stoffe enth/ilt. Auch der halbflfissige Zustand sprieht . gegen nennenswerte Beteiligung des Energietransportes aus dem LSsungsmittel, da, wie der oben erw/~hnte K~lteversuch gezeigt hat, die MSglichkeit der freien Diffusion yon Wiehtigkeit far das Eintreten des Effektes ist.

Unsere frfihere Aussage, dab bei der AuslSsung von Genmutat ionen keine Grfinde oder Hinweise ]iir die Annahme einer Mitwirkung yon Energietransport durch das LSsungsmittel vorliegen, kann deshalb jetzt dahin erweitert und prg- zisiert werden, dai3 nach den heute vorliegenden Ergebnissen gewichtige Grfinde gegen die Mitwirkung eines solehen Energietransportes sprechen. Auch dieser Befund bildet eine wesentliche Stfitze unserer frfiher entwickelten Vorstellung fiber die Natur der Genmutation.

Zusammen/assung.

1. Es wird gezeigt, daft die Berechnung des Wirkungsquerschnittes eines Gens (bezfiglich MutationsauslSsung) gegeniiber dem Durehgang eines schnellen Protons nieht im Widerspruch zu der frfiher entwickelten Ansehauung fiber die Natur der Genmutat ion steht, sondern diese stfitzt.

2. Naeh neueren experimentellen Untersuehungen liegen (ebenso wie frfiher) keine Hinweise/i~r, wohl aber gewichtige Grfinde gegen die Annahme vor, dal3 sekunditrer Transport pr imer yore , ,LSsungsmittel" aufgenommener Energie far die AuslSsung yon Genmutat ionen yon Bedeutung ist. Auch dieser Befund bildet eine Stfitze unserer frfiheren Grundvorstellungen.

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