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Ueber Embolie der Arteria centralis retinae als Ursache pliitzlicher Erblindung. ~) Yon Prof. A. v. G r a e re. Am 7. December des verfiossenen Jahres stellte sich in meiner Klinik ein Mann vor, der vet ether Woche auf dem rechten Auge pl(itzlich erblindet war, nachdem er ungeflihr zwei Monate hindurch an an- derweitigen K~rperbeschwerden gelitten hatte. Die ge- nauere Feststellung der Anamnese ergab Folgendes: Patient, friiher stets gesund, insonderheit fret yon allen auf Rheumatismus und Herzleiden deutenden Symptomen, hatte im vergangenen September, als er einen vorw~irts riickend,,n Wagen aufhalten wollte, einen hefiigen Stoss mit der Deiehsel gegen die linke Brust erhalten, worauf er sofofft Schmerzen und einige Stun- den sp~iter eine ~ussere Anschwellung der betreffen- den Theile verspiirte. Am folgenden Tage bemerkte er *) Das Manuscript zu dieser Arbeit babe ich in etwas verSa- defter Form, n~tm[ich als klinischen Vortrag, der Redaction der Cli- ni qu e Europ 6e n e zugeschickt, um die internationalen Tendenzen dieses Blattes zu unterstlitzen, dennoch g[aubte ich bet der Neuheit des Gegenstandcs den Fall im Archly roprodueiren zu m(issen.

Ueber Embolie der Arteria centralis retinae als Ursache plötzlicher Erblindung

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Ueber Embolie der Arteria centralis retinae als Ursache pliitzlicher Erblindung. ~)

Yon

Prof. A. v. G r a e re.

A m 7. December des verfiossenen Jahres stellte sich in meiner Klinik ein Mann vor, der ve t ether Woche auf dem rechten Auge pl(itzlich erblindet war, nachdem er ungeflihr zwei Monate hindurch an an- derweitigen K~rperbeschwerden gelitten hatte. Die ge-

nauere Feststellung der Anamnese ergab Folgendes:

Patient , friiher stets gesund, insonderheit fret yon

allen auf Rheumatismus und Herzleiden deutenden

Symptomen, hatte im vergangenen September, als er

einen vorw~irts riickend,,n Wagen aufhalten wollte, einen

hefiigen Stoss mit der Deiehsel gegen die linke Brust

erhalten, worauf er sofofft Schmerzen und einige Stun-

den sp~iter eine ~ussere Anschwellung der betreffen-

den Theile verspiirte. Am folgenden Tage bemerkte er

*) Das Manuscript zu dieser Arbeit babe ich in etwas verSa- defter Form, n~tm[ich als klinischen Vortrag, der Redaction der Cli- ni qu e Europ 6e n e zugeschickt, um die internationalen Tendenzen dieses Blattes zu unterstlitzen, dennoch g[aubte ich bet der Neuheit des Gegenstandcs den Fall im Archly roprodueiren zu m(issen.

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Engbrfistigkeit beim Gehen, besonders beim Treppen- steigen, welche sich successive steigerte, bis 10 Tage sp~iter eine ziemlich betr~iehtliche Menge Blut ausge- hustet wurde. Ein ~ihalicher Zufall wiederholte sich einige Tage darauf. Patient war in der i'olgenden Zcit sehr ermattet und von Athemnoth sehr bedriickt, erholte sich dana allm~lig, doeh blieb die Engbrlistig- keit beim Treppensteigen. - - Am 26. November hatte Patient seine Besch~iftigungen als Kutscher bereits wie- der iibernommen, als er eines Tages wiihrend der Ar- belt im Stall bemerkte, dass sich w)c dem rechten Auge ein Nebel entwickelte. Er schloss hierauf das linke Auge, nm die Erscheinung zu pr[ifen. Zuerst konnte er noch alle Objekte wahrnehmen, jedoch diffus, wie durch ein farbiges Gewiilk. Das Gesichtsfeld zog sich dann ausserordentlich rasch zusammen, und inner- halb weniger Minuten war jade Lichtempfindung auf dem rechten Auge erloschen. Alles, was zurih:kblieb, war ein Spiel subiectiver Farben, welches sieh bei kSr- perliehen Bewegungen steigerte uad vielf'a('h modulirte.

Bei der Vorstellung des Patienten zeigte sich zu- n~ichst eine absolute Blindheit des rechten Auges, so dass .jede Spur quantitativer Liehtempfindung fehlte. Auch Feuerkreise konnten durch keinerlei Druek her- vorgcrufen werden, die Pupille war begreiflicher Weise auf Lichtcinfall in das rechte Auge vollkommen start, dagegen zog sich dieselbe sowohl sympathisch bei der Bewegung der linken Pupille als auch dana zusammen, wenn der Blick nach links her[ibergewandt oder die Ac- commodation in die N~ihe beansprucht wurde. Der ~ussere Habitus des Auges verricth im Uebrigen nichts

�9 Krankhaftes. Bei der Augenspiegel-Untersuehung war ieh nicht

wenig verwundert, einen Bef'und zu erhalten, win er sieh mir no('h hie hei frischen Erblindung,'n erg(,b(,n

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hatte. Ich fand bei vollkommen .klaren brechenden Medien die papilla optici ganz bleich, s~immtliche Ge- f'tissc innerhalb derselben aui' ein Minimum reducirt. Die Haupt-Artericnst~imme erschienen auch jenseits der Pal)ilia auf dcr Nctzhaut als ganz schmalc Linien, deren Aeste in entsprcchender Wcise immcr fciner und thiner wurden; Theilungen, die unter normalen Ver- h~iltnissen noch recht ansehnlich erscheinen, verschwan- den bereits vollkon~lmcn. Ein abweichendes Verhaltcn zcigtcn die Venen. Freilich waren auch sie an allen Punktcn dlinner als in der Norm, aber ihre Fiillung slicg gegen den Aequator bulbi hin. Die linksseitigen Gcf~isse waren sowohl auf der Papille, als auf der Netz- haut vollkommen normal. Der Vergleich der beiden ophthalmoskopischen Bilder, welchen die bcistehenden Figuren an die Hand geben, musste in der That ausser- ordentlich i'rappiren.

Figur 1.

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Flgur 2,

Figur I. ste|lt den Augenhintergrund einos gesunden Auges dar, woboi f'fir dio Form des ()pticus ,nd Configuration der Gefiisse das rcchto A.ge dos Patientcn zum Vorbih| gonommen ist, wiihrcnd umgekehrt die Dicken der Geflisso genau nach d(!m [inkea gesun- den Auge des Patienten abgebildet sind. Ersteros geschah deshalb, um durch Congruonz der Gcf~issflguron dic Vencn und Arterien, welche sich in Figur I durch die verschiedcno F~irbung deutlich markiren, in Fig.. 2. dem I]intcrgrundo des kranke,t Auges, unmit- telbar wiederflnden zu kSnnen.

Handelte es sictl bier um eine Erblindl,ng, welchc Monate odor Jahre lang bestand, so wlh'de uns der erwiihnte Zustand der Gcf/isse nicht in Erstaunen setzen ; Fin(let mau docb bei den verschicdenstcn Fiillen yon hmaurose, welche zu Atrophic der Nctzhaut ffihren, eine iihnliche Riickbildung der (}ei',isse Auch gcwisse Formen yen Netzhaut-Intiltrationen, die sich Anfangs durch grSssere Schliingehmg (rod Verbreiterung der Ge- fiisse, durch streifige und diffuse Triibtmg der Netzhaut trod Verstreichung der Sehnervencontour charakteri- siren, laufen schliesslich auf" den Bcfund yon Netzhaut- atrophic hinaus, so dass in diosom Stadittm auch (tit, Un-

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terscheidung gegen eine Amaurose aus extraoeuler Ur- sache ophthalmoskopisch oft sehr schwer zu begriinden ist. Eadlich kSnnen auch die Secund~ir-Affectionen der Netzhaut nach chorioditischen Erkrankungen, Pigmentin- filtration der Netzhaut u. s. w. zum Schwunde der Netz- haut mit Verengerung der GeF~issst~mme Ffihren. Von alle dem konnte hier aber nicht die Rede sein. Zun~ichst war die Erblindung frisch; Patient hatte nicht allein bei seiaer Besehiifiigung frilher of't das linke Auge gesehlos- sen und sich yon dem intacten Sehvermi~gen des reeh- ten iiberzeugt, sondern er hatte auch im Beginne des Zufalls selbst alle Gegenstiinde erkannt und den Eintritt der Erblindung eonstatirt. Sodann liegen in dem oph- thalmoskopischen Bilde selbst zwei Momente, welcho uns verbieten, die Alteration tier Geflisse auf atrophia retinae zu beziehen. Einmal finder sich bei dieser, mag ihre Ursache extraocular oder in der Netzhaut selbst gewesen sein, nie das hier hervorgehobene Verh'altniss zwis(,hen Arterien undVenen insonderheit wiiet~st die rela- tive Fiilluug der letzteren nicht gegen den Aequator bulbi hin. Zweitens ist in unserem Falle die Substanz der Seh- nervenpapille, yon deren Oberfl~iehe bis zur Lamina cri- I)rosa, gut durchscheinend, w~ihrend bei atrophia retinae diese Substanz entwede,' opak wird (durch Vermehrung der biadegewebigen Elemente) oder durch Atrol)hie zu Grunde geht, wie II. Mfi l ler dargethan hat. Im ersten Falle bleibt die Papille zwar glatt, erh/ih aber das aus dem B(~f'unde veraheter Cerebral- und Sl)inal-Amaurosen bekannte sehnig weisse, gl~nzende Ansehen. Im letz- teren Falle wird sie gleiehzeitig ausgehShlt (retrahirt) und der st~irkere Reflex, den sie dann abgiebt, beson- ders durch die in abnorm,'r "Weise blossgelegte Lamina cribrosa geliefert. Bei unserem Patienten dagegen wird der Reflex, den die Lamina cribrosa sammt den Quer- fl~iehen der durehtretenden markhaltigen Faserb[indel abgiebt, in normaler Weise yon den durchscheinenden

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Schichlen dor Nervensubstanz ged'ampft. Nur ist das Colorit wegen der geringeren Beimischung bluthaltiger Gefiisse im Allgemcinen bldcher.

Wie kann sich nun eine so plStzlieh eingetretene Blutleere und GirculationsstSrung der Netzhaut erkl~iren ?

Zun~chst k0nnte an irgend eine C o m p r e s s i o n de r Get":isse im O p t i c u s yon a u s s e n her gedacht werchm, s c i e s , dass dieselbe durch einen Bluterguss innerhalb der Sehnervenseheide oder in den anliegenden Theilen oder durch eine rasch eingetretene hffihration in denselben Gebihhm eingeleitet werde. Alleiu wir miisson uns aus lrifiigen Gri'mden rasch yon dieser Ve,'muthung abwenden. Wegen des engon Contiguiffits- verh,ilt,fisses dcr bier in Re(le stehenden Arterien und Venen trifft eine iede yon aussen her wit'kende I)ruek- ursaehe I)eide zugieich und bedingt denmaeh, wenn sie einerseits die Blutzufuhr absehneidet, andererseits Blut- retention, und zwar letzteres in 5berwiegender Weise, weil (lie Venen eompressihler sind als die Arterien. So hat denn in der That die grfahrung bei allen yon aussen her auf den Sehnerv oder die Gef~sse wirken- den Druckursachen ein yon dem unserigen vollkommen abweiehendes ophthalmoskopisehes Bild nachgewiesen. Die Venen werden hierbei geschl~ingelt, breiter, die Netzhaut selbst, zuweilen dutch eine seriise Transsuda- tion geschwellt und leicht getriibt, verhiillt mehr oder weniger die Chorioidalgrenze des Sehnerven. Dieses Bild (meehanisehe Hyper'amie und Oedem der Netzhaut), welches iibrigens ohne bestimmte Grenzen in das ge- wisser endzSndliehcr Netzhaut-Intiltrationen iibergeht, babe ieh bei den versehiedensten Druekursaehen in der Orbita, z. B. Tumoren, Osteophyten nach Caries, ebenso I)ei intraeraniellen Tumoren, welehe die ven{Jsen Sinus eomprinfirt,,n, e,~dlit'.h bei lnliltrationen um und im Opticus wiederkehren sehen und babe mieh yon der

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angegebenen Entstehungsweise einigemal dutch Ob- duction versichern k~nnen. Es ist demnach in tier dutch Compression yon aussen bedingten ophthalmo- skopischen Ver~inderung die Ueberf~]liung und Schl,in- gelung der Netzhautvenen eine unerl~ssliehe Bedingung.

Man k6nnte f~rner das Krankheitsbild, um das es sich handelt, dutch eine Z e r r e i s s u n g der Gefi isse, z. B. im Opticus erkl';iren. In der That werden die Ge- f~isse, wenn sic kein Blur mehr erhahen, zusammen- fallen, und die verh~ltnissm/issig an den kleinen Ve- hen schwache Musculatur der Wandungen wSrde es auch erkl/iren, dass aus diesen das Blut relativ am we- nigsten ausgetrieben wird. Ich besinne mich eines Studenten, der dutch einen Schl~gerhieb auf's Auge das Gesicht verloren hatte, und bei welchem ich reich f'tir berechtigt hielt, als nieht lange naeh der Verletzung ein analoges ophthalmoskopisches Bild sich zeigte, eine Zerreissung der im Opticus befindlichen Gef'/isse, oder doeh wenigstens der Arterie anzunehmen. Aber in un- serem Falle hatte zur Zeit der Erblindung nicht die mindeste Verletzung stattgefunden und es musste da her auch diese Herleitung fallen.

Demnach blieb nur eine Erkl/irung tibrig, n~imlich die, dass ein C i r c u l a t i o n s h i n d e r n i s s in den Ar- t e r i en s e lb s t best~inde. Begreilticher Weise wird eine Verstopfung der arteria centralis retinae denselben Einfluss auf das ophthalmoskopische Bild aus('tben, wie eine Zerreissung. Die durch V ire h o w gegri]ndete Lehre yon den Embolien, welche eine so m~chtige Entwiekhmg f'fir die ganze Pathologic gewonnen hat, verpflichtet uns, i~berall , wo eine Verstopfung der Gef:,isse ver- muthet wird, das Herz und das ganze Gef'tlsssystem genau zu durchsuclwn, um irgendwo die Quelle eines Embolus aus/indig zu machen. Die Exploration des tterzens, die i]brigens niemals bei amaurotisehen Leiden

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vernachl/issigt werden darf, war bier ausserdem durch die Anamnese nahe gelegt. Schon als icb das Ohr in der Gegend deL" Herzspitze anlegte, h/~rte ich ein sehr langes und starkes systolisches Ger~iusch, welches sieh in der gesammten IIerzgegend wiedel'fand, in der HShe des zweiten rechtseitigen Intercostalraumes sein Maximum erreichte und deutlich bis in die Carotiden hinein zu verfolgen war. Da der Fall ~}r reich ein dogmatisches Interesse hatte, so zSgerte ich nicht, den- selben meinem verehrten Freunde Professor T r a u b e vorzustellen, welcher fblgenden Befund notirte:

,,Das manubrium sterni und dig dazu geh~h'igen Rippenknorpel sind etwas prominenter als in der Norm, der Thorax ist beiderseits gut uud gleichm/issig aus- dehnbar, wie iiberhaupt in den Lungen nichts Abnormes zu entdecken. Ein Spitzenstoss des Herzens ist nicht zu finden, nur eine schwache diffuse Erschiitterung zwischen 4. und 6. Rippe. Die llerzd/imps Ftingt oben links yon der dritten Rippe an und geht unten ohne scharfe Grenze in die Leberd'iimpfung tibet'. Sic ist kaum intensiver als in der Norm, 5berragt nach aussen (lie Mamillarlinie nicht, sowie auch unter dem Sternum der Sehall nichts Abweichendes zeigt. An allen Stellen der tlerzgegend hiJrt man ein lautes, langes systotisches Afterg(~r~iuseh, welches seine grSsste Intensit/it rechts vom Sternum im zweiten Intercostal- rat,m, demniichst an der Herzspi(ze hat, der diastolische Ton an der Herzspitze ist s('hwach und etwa~ unbe- stimmt, el)enso links veto Sternum in der H;Jhe /let' dritten Rippe. Rechts in derselben tt~Jhe fehlt der- selbe g/inzlich; im zweiten Intercostalraum ist hier ein schwaches aber deutlicl,es systotisches Schwirren fS},lhar. Sonst weder in der [I~+rzgegend noch an att(lerll 'l'heilen des Thorax irgend eine abnorme He-

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bung oder D'ampfimg, Die Carofiden yon mittlerem Volumen und miissiger Spannung zeigen ein grobes systolisehes Sehwirren, ausserdem ein dumpfes, rauhes Geriiuseh. Der diastolisehe Ton mangelt in denselben. Die Radialarterien, permanent fiihlbar, nieht gesehliin- gelt, zeigen einen sehr kleinen Puls. Die venae ju- gularis ragen etwas stiirker hervor."

Wenn hiernaeh an der Diagnose ether Stenose der Aortenklappen nicht gezweifeh werden konnte, so ist es aueh nieht unwahrseheinlieh, dass es sieh um einen friseheren Zustand noeh nieht abgelaufener Endoearditis handelt. Hierf'fir sprieht einmal die Anamnese, indem Patient unmittelbar naeh jenem vor zwei Monaten statt- gehabten Trauma und erst seit jener Zeit yon Brust- symptomen (Blutauswurf, Beklommenheit) befallen wurde. Zweitens argumentirt tier Defect ether jeden namhaften Volumsveriinderung in demselben Sinne, sofern naeh dem Befunde entweder gar keine oder nur eine iiusserst geringe Vergr~isserung des linken Ventrikels annehm- bar ist. Bet solehen fi'iseheren an noeh bestehende Endoearditis gebundenen Herzleiden sind ohne Zweifel die Bedingungen fiir das Zustandekommen emboliseher Gefiissverstopfungen die allergiinstigsten ; aberselbst wenn sieh die Saehe anders verhiehe, und der Klappenzustand lediglieh als ein Residuum zu betraehten Mire, so sehliesst dies das Vorkommen einer Embolie durehaus nieht aus. Bekanntlieh klinnen die an den verdiekten Klappenrlindern stattfindenden Blutgerinnungen ebenso wie losgerissene Stiieke des Klappenrandes selbst, in den Kreislauf gesehleudert, in jedem Stadium dieser Uebel zur Ursaehe yon Gefiissverstopfungen werden.

Unter solehen Umst'anden hielten wir uns fiir bereeh- tigt, die D i a g n o s e a u f E m b o l i e tier r e e h t e n a r t e r i a e e n t r a l i s r e t i n a e f e s t z u s t e l l e n ? W i r h a t t e n i n d e m Zustande desHerzens Alias, was zu einer solehen Verstop-

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lung den Grund abgeben kann, n~imlich eineAlteration der Aortenklappen, welche wahrseheinlieh mit noeh florider Endocarditis in Verbindung stand, und wir hatten an- dererseits in dem re(:hten Auge eine Ver~inderung, die sieh, so weir meine Ertahrungen und Schlussfolgerungen reichet~, eben nur durch ein Hinderniss in dem Lumen der Arteria selbst erkl~iren l~isst. Offenbar steht unsere Diagnose bier noeh auf viel festeren Fiissen, als wenn wir bei einem Leiden im linken Herzen unter den ge- wShnliehen Merkmalen der embolischen Hemiplegie eine Gehirnembolie annehmen. Dort sind wit ledig- lieh auf die FunctionsstSrung besehr~inkt, w~ihrend wir in unserem Falle ausser der FunetionsstSrung (Amau- robe) zugleich das hSehst pathognomonische Symptom einer beinahe vSlligen Blutleere und eigenthiimliehen Cireulationsstiirung in dem betroffenen Organ dureh das Ophthalmoskop entnehmen. Wit verlegen die Era- belie deshalb in die arteria eentralis retinae, weil bei der vollkommen normalen Chorioidalcirculation kein Grund vorhandea ist, dieselbe htiher hiuauf zu loea- lisiren.

Begreiflieher Weise ersehien uns die weitere Beo- baehtung des Patienten yon hohem Interesse. Es musste entweder eine neue Belebung der Netzhaut- circulation oder secundiire Ver~inderungen in dem Ge- webe der ~etzhaut erwartet werden. Ieh nahm deshalb den Patienten, obwohl ieh mir in prognostischer Be- ziehung nicht viel verspraeh, auf l~ingere Zeit in meine Klinik auf.

Sehon zwei Tage naeh der damaligen Vorstellung, n~mlieh am 9. December, win'de unsere Autinerksam- keit bei der ophthalmoskopisehen Untersuehung dureh ein neues Ph~inomen gefesselt. Wit l)emerkten in der einen Vene, welehe im urngekehrten Bilde nach in- hen und oben verl~iuft, trod welche, beil~iufig gesagt,

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yon s~immtlichen Netzhautvenen die relativ st~irkste war, ein eigenthlimliches Circulationsph~inomen. Es zeigte sich zun~ichst eine grosse Ungleichm~issigkeit in der F~illung dieser Vene in tier Art, dass verh~iltniss- m~issig gefiillte und vlillig blutleere Strecken wech- selten. Dies Aussehen konnte sich nicht etwa durch Gewebstriibungen, weh~he das Gefilssrohr ungleich- m~issig bedeckten, erkl~iren. Abgesehen davon, dass das Bild des Ges iiberall vollkommen scharf war, bewies schon der gleich zu erw~ihnende Wechsel in der Fiillung der Vene gegen sine solche Vermu- thung. Wurde die Aufmerksamkeit auf die einzelnen Parthieen sch';irfer fixirt, so gewahrte man eine voll- kommen arhythmische Bewegung der im Gef~issrohr enthaltenen Blutcylinder, welche bald stossweise nach dem Opticus vorriickten, bald wiederum vollkommen still standen. Bei diesen Verschiebungen ereignete es sich zuweilen, dass die friiher blutleeren Theile in ~ihnlicher Weise wie zuvor zwischen den blutgefiillten einge- schaltet blieben, nur dass die Oertliehkeit im Augen- hintergrunde eine andere geworden war. In der Regel aber ergoss sich das Blur aus den ges R~iumen in die dazwischenliegenden blutleeren, so dass hier- (lurch der Unterschied in der Fiillung ein ger~ngerer, die Unterbrechungen des Blutgehalts weniger auffallend wurden. Allm~lig zog sich dana das Blur wieder in bestimmte Gef~issstrecken zusammen, so dass sich un- geF~ihr der urspriing|iehe Anblick herstellte. Auch die ganze Form uad Schl~ingelung der Vene variirte w'~h- rend dieser Erscheinung.

Am st~irksten entwickelt war das erwllhnte Ph~i- nomen in dem Abschnitt der Vene, welcher die Grenze der Papille nicht mehr als 3 j" iiberschritt. Hier sah man oft ein sehr j':ihes Ansehwellen und Vordringen der Blutcylinder nach dem Opticus hin'

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bis zu einer gewissen Grenze, ienseits derer wieder vollst~indige oder unvollst~indige Blutleere s Es konnte hierdurch mitunter der Anschein einer peri- staltischen Bewegung im Gef~ssrohr entstehen. Der in der Papille selbst liegende Gef~issabschnitt schien in der Regel vollkommen blut]eer, nut bei den st~irksten Circulationssfflssen drang das Blur in denselben ein, und nur hiichst ausnahmsweise durchlief es densel- ben g~inzlich his zur Ausmiindungsstelle, in welchem Falle es den Anschein hatte, als wenn wirklich perio- diseh ein Theil des in der Netzhaut enthaltenen Venen- blutes das Innere des Auges wieder verliess. Bei sehr genauer Aufmerksamkeit konnte das Circulationsph~i- nomen, obwohl welt undeutlicher, his in die mittlere Zone der Netzhaut verfolgt werden. In den nlichsten Tagen gelang es auch, dasselbe in der naeh aussen und unten verlaufenden Vene zu finden. Noch einige Tage sp~iter ersehien es zuweilen in allen, wobei abet meist die (ira umgekehrten Bilde) nach innen und oben gehende Vene den hiichsten Grad darbot.

Niehts war nat'fir]ieher, als bei diesem eigenthiim- lichen Ph~inomen an die partie]le Wiederherstellung einer Blutcirculation zu denken. Die Priifimg des Ge- sichts zeigte .jetzt in der That zuerst eine Andeutung quantitativer Lichtwahrnehmung und zwar nach innen und oben. Es entsprach dies der Lage jener das Ph~i- nomen vorzugsweise darbietenden Veue, welche sieh im umgekehrten Bilde nach innen und oben, demnach in Wirklichkeit nach aussen und unten befand. Man h~itte schliessen k~nnen, dass diese Netzhautregion, welehe nun wieder einigen Blutreiz erupting, auf Grund (lessen aueh eine spfirliche FunctionsfShigkeit er- hielte, allein diese speciellere Beziehung zu um- schriebenen Netzhautregionen konnte sp~iter keine wei- tere Begrllndung erhalten. Obwohl eine quantitative

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Lichtperception sich erhieh und nach einigen Schwan- kungen sogar entschieden zunahm, so zeigte doch die Modalit~it derselbea kein Abh';ingigkeitsverh~iltniss yon dem Circulationsph~inomen auf der Netzhaut, so dass z. B. 4 Wochen nach Auinahme des Patienten die Lichtperception in einer unzweif'elhaften Weise nur nach der Schl~iie hin nachgewiesen werden konnte, w~ih- rend die Circulations-Erscheinung zu dieser Zeit wie- der vorwaltend in der urspriinglich hervorgehobenen Vene beobachtet wurde.

Fiir die Erkl~irung der beschriebenen Circulations- Erscheinung lassen sich verschiedene Vermuthungen aufstcllen. W~ire es vollkommen sicher; dass ein Their des Blutes dutch das im Opticus befindliche Venenende pcriodisch wieder aus dem Auge ausfliisse, so miisste jetzt auch allerdings auf's Neue Blur in die Netzhaut eindringen. Dies k~innte entweder aufGrund einer L~i- sung des Embolus durch die ~iusserst verdiinnten Ar- teriea in einer unmerklichen Weise stattfindcn, oder cs kiinnte ein f'dr die Untersuchung nicht nachweisbarer collateraler Weg crSffnet sein. Da aber der Nachweis, dass Blut in der anges Weise wirklich periodisch abfloss, immerhin als ein ungentigender angeschen werden muss, so ist es auch miiglich, dass die ganze Circulations-Erscheinung eine untergeordnete Bedeutung hat. Es kiinnte sehr wohl bei dem Wechsel des intraocularen Druckes, welcher w~ihrend des Einstriimens des Blutes in die Chorioidea, bei den Accommodations- Ver~inderungen etc. stattfindet, eine Verschiebung der Blutcylinder in den collabirten, wenig resistenten Netz- hautvenen bedingt werden. Ja, es ktinnte auch local dutch das Turgesciren gewisser Chorioidalregionen w~ihrend der Circulation ein wechselnder Gegendruck gegen die anliegende Netzhaut und die darin enthalte- nen Gef'~issabsehnitte zu Stande kommen.

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Ich brauche nicht hervorzuheben, dass das frag- liche Ph~inomen mit dem bekannten Venenpuls ant" der Netzhaut nicht das mindeste gemeinsam hat. Schon die Oertlichkeit desselben, vorwaltend ausserhalb der Papille mit Verbreitung bis in die mittlere Netzhaut- zone, dann das vollkomme arythmische und endlich der gesammte Habitus desselben, sehliessen jede Aehnlich- keit aus. Dagegen muss ieh anfiihren, dass ein mit dem unserigen identisches Ph~inomen bereits im Jahre 1851 yon E d u a r d J a e g e r beobachtet und in dessen Werke fiber ,,Staar und Staaroperationen (Pag. 104 his ]08) ausFdhrlich jedoch damals begreiflicherweise ohne die Vermuthung eines embolischen Ursprungs be- schrieben worden ist.

Sehon eine Woche nach der ersten Vorstellung des Patienten erschien die Gegend der macula lutea nicht mehr normal. Die centrale Netzhautregion ring an, ~iber die darunter liegende Chorioidea einen triiben Sehleier zu wers welcher sich yon Tag zu Tag verdichtete und am 20. December als eine vollkom- men opake grauweisse Infiltration ersehien. Die n~ichste Umgebung des Foramen eentrale trat als ein intensiv kirsehrother Fleck, ungef/ihr yon IA Diameter der Papilla optici in Mitten der genannten Infiltration her- vor. Die iiusserste 6renze der krankhaft entarteten Netzhautparthie war [ibrigens nicht nach allen Richtun- gen seharf festzustellen, da dieselbe ziemlich unmerk- lieh in die gesunde Naehbarschaft fiberging. Soviel war jedoch zu ermitteln, dass yon jenem die Umgebung das foramen eentrale bezeichnenden kirsehrothen Flecke die Gewebs-Infiltration naeh alien Seiten an Diehtig- keit zunahm und ihre grgJsste Intensitilt in dem Saume einer querovalen Figur erreichte, deren lilngerer hori- zontaler Durehmesser den der Papille e/was fibertraf. Von diesem Saum nach auswiirts nahm die Infiltration

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in der s erw~ihnten allm/iligen Weise ab. Auch die Nachbarschaft des Opticus nach aussen war noch in leichtem Grade erkrankt, ienseits der Papille, d. h. nach der Naso zu, war die Netzhaut vollkommen normal. - - Stellte sich bet ether oberfl~ichlichen Betrachtung die infiltrirte Netzhaut ziemlich gleichm~issig dar, so zeigte eine eingehendere Untersuchung, (namentlich wenn umer Benutzung schw~icherer K0nvex-Gl~iser eine si~irkere VergrSsserung des umgekehrten Bildes bean- sprucht wurde,) dass die triiben Stellen eine Unzahl weisslicher Stippchen und Piinktehen enthielten, welche nach Analogie ~ihnlicher Befunde wohl aus KSrnehen- Zellen-Aggregaten bestehen diirften. Der rothe Fleck um das foramen centrale bot ein so lebhaftes Kolorit, dass ich zun~ichst an eine Apoplexie daehte, bald aber musste ich eine Erkl~irung adoptiren, welehe Dr. L i e b - r e i c h Fdr ~ihnliche F/iIle yon Netzbaut-Infiltration zuerst aufgestellt hat. Es scheint sieh n~imlich bier lediglich um einen Kontrast-Effekt zu handeln. W~ihrend die angrenzenden, stark infiltrirten Netzhautregionen dutch ihre Oiacit~it die Chorioidea verhiillen, ist die n~ichste Umgebung des foramen eentrale (auf Grund ihrer ana- tomischen Eigenthfimlichkeit?) yon der Infiltration fret und ]~isst die Chorioidea deutlich hindurchsehimmern. Letztere erseheint hier um so lebhafter colorirt, als einerseits das Pigment in dieser Gegend physiologiseh st~irker angeh~iuft ist und andrerseits die Fiirbung sich im Vergleich zu der angrenzenden trfibweissen Netzhaut besonders hervorhebt. - - Dieser ganze Prozess erin- nerte lebhaft an das, was nach Embolie yon Gehirnar- terien in der Substanz des Gehirns vor sich geht.

Der friiher erw~ihnte Lichtschein des Patienten blieb ein ~iusserst diirt'tiger, ja er schien w~ihrend der Aus- bildung des Netzhautleidens noch an Deutlichkeit zu verlieren, so (lass er nut bet miihsamer Untersuchuug

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und in beschr~inkter Richtung nachgewiesen werden konnte.

Obwohl ich auf Grund tier gestellten Diagnose wenig Hoffnung auf Wiederherstellung des Sehvermii- gens hatte, so konnte ich reich doch einiger therapeu- tischer Versuche nicht enthalten. In einem anderen Fall yon so pliltzlicher Erblindung h/itte man ein ab- leitendes Veffahren fiir indicirt erkl';irt, allein man weiss bereits aus der Geschichte der Gehirnembolie, dass die entkr/iftenden Mittel eine etwaige Naturheilung im All- gemeinen stilren. So war auch bei unserem Patienten eine doppelte Blutentleerung an der SehlMe durchaus erfolglos geblieben, und ich land keinen Grund, dieselbe oder ~ihnliche Mittel zu wiederholen. Die einzige the- rapeutisehe Idee, zu welcher man in solchen F,:illen kommen kann, ist die, alle Momente, welche die Aus- bildung eines collateralen Kreislaufs hindern, sorgf~iltig aus dem Wege zu r/lumen. Zu solchen scheint mir im Innern des Auges der relativ starke Druek zu ge- htlren. Sehen wir doeh naeh Paracentesen, wie die Gef~isse im Innern des Auges unmittelbar mehr Blur in sich aufnehmen, wie ferner nach Iridectomie bei Glaucom zahlreiche Apoplexieen entstehen etc. Ebenso kiinnte auch eine pliitzliche Abnahme des Drucks die L~isung des Embolus oder die Ausbildung eines collate- ralen Kreislaufs beF6rdern. Jedenfalls schien es mir, naehdem die di~itetisehen Bedingungen fiir das Allge- meinbefinden mit Beriicksichtigung des Herzleidens in geeigneter Weise regulirt waren, erlaubt, diesen Weg einzuschlagen. Es wurde zuvSrderst eine Paracentese, dann eme Iridectomie nach der Schl~ife hin verriehtet.

Ueber den unmittelbaren Effekt auf die Ges lung kann ich wenig mittheileu, da ieh das Auge kurz nach dem operativen Eingriff einer ophthalmoskopischen Untersuchung nicht unterwerf'en wollte. Einige Tage

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nach der Iridectomie waren mir zwei Dinge autt~llig. Zun~ichst waren jetzt wenigstens zeitweise die Gef~isse etwas mehr geFdllt, so dass der Untersehied zwischen dem im Opticus befindlichen Ende und dem peripheri- sehen nicht mehr so frappant hervortrat, als ich ihn neulich in der Figur versinnlichte. Da erstere Parthie jetzt h~iufig fdr l~ingere Zeitabschnitte his zur Ausmfin- dungsstelle eine dfinne Bluts~iule enthielt, so musste auch intercurrent Bin schwacher continuirlicher Blutaus- fluss statuirt werden. Das oben beschriebene Circula- tions-Ph~inomen dauerte hierbei noch an, wenngleich in sehw~icherem Grade. Zweitens war eine sehr rasche R~]ekbildung der Netzhautinfiltration unverkennbar. Es wurden die frfiher stark grauweiss-opaken Parthieen innerhalb weniger Tage blass und wieder so dureh- scheinend, dass man an allen Stellen die Pigmentsehicht der Aderhaut gewahrte. In derselben Weise als die Infiltration zur[ickging, verlor auch die n~ichste Umge- bung der maeu]a lutea ihr intensives kirschrothes Ko- lorit und ging unmerklieh in eine liehtbr~iunliche F~irbung iiber, welche sich nicht mehr erheblich yon der F~irbung der angrenzenden Theile unterschied. Gerade diese Ver~inderung der Farbe, proportional zur Rfickbildung der Infiltration., sprach ausserordentlich f[ir die yon Dr. L i e b r e i c h entnommene Erkl~rung durch Kontrast. Vierzehn Tage naeh der Iridectomie sah man yon dem ganzen Netzhaudeiden nur noch eine sehwache Andeutung, es markirte sich .jene Zone, in welcher frfi- her die Tr[ibung ihre HShe erreicht hatte, durch einen lichtgraulichen Ring, welcher das frfiher bezelchnete querovale Bereich umschloss. Innerhalb dieses war das Netzhautgewebe hSehstens mit einem feinen Schleier durehzogen. - - Ob diese Rfiekbildung wirklich die di- rekte Folge der Irideetomie war, ist schwer zu beur- theilen. Fassen wir den bis zum Operationstermin raseh

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progressiven Verlauf' und die alsdann folgende rapide Verringerung ins Auge, so erseheint es allerdings wahr- scheinlich, dass die Operation letztere eingeleitet habe. Es w~ire dies so zu verstehen, dass durch die Druck- abnahme wieder ein gewisser Grad continuirlieher Cir- culation hergestellt und dadurch bereits emgeleitete FolgestSrungen in der Ern~ihrung reducirt worden w~i- ten. Milglich ist es auch, dass es sich hier lediglich um spontane Vorg~inge handelte, da wir analoge Netz- hautinfiltrationen unter anderen Umst~inden allerdings rasch zuriickgehen sehen.

In den Funktionen des Auges zeigte sieh jetzt gegen friiher allerdings darin eine Aenderung, dass ein welt priiciserer Lichtschein nach der Schl~ifenseite bin nachweisbar war. Patient konnte die Bewegung einer Hand, wenn man dieselbe mehr als 20 ~ yon einer zur Ansichtsebene senkrechten Linie schl~fenwllrts entfernte, wahrnehmen und zwar ie nach tier Beleuch- tungsvei'h~ltnissen anf 1', 2', 3'. Hierbei blieb es aber und es stellte sich somit immer mehr die traurige Gewissheit heraus, dass ein brauchbares Sehve§ nicht wiederkehren wiirde. Diese Gewissheit steigerte sich dadurch, dass die in tier papilla optici zwi- sehen der Oberfl~iche und lamina eribrosa befindliche Silbstanz allm~ilig matt und schliesslich opak wurde, was aut" die atrophische Riickbildung der Nerven- Elemente hinwies. Es konnte kein Zweifel mehr ob- walten, dass dutch die Circulationsaufhebung erst eine Zersetzung des Netzhautgewebes (wahrscheinlich fettiger Zerfall) und dann ein Schwund desselben eingeleitet worden sei. Dass wir die erstere ophthalmoskopisch nut in den centralen Theilen der Netzhaut nachweisen konnten, schliesst nieht aus, dass sie in welt grlisserem Umfange stattgefunden hatte. Wit wissen besonders aus den Untersuchungen yon H. MiHler, dass eine

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Reihe yon krankhaften Ver~inderungen, namentlich in der Faser- und Zellenschicht, welche endlich zu einem vollkommenen Schwund dieser Lagen fiihren, his jetzt nut dem anatomischen Nachweise aufbewahrt sind. Aug der anderen Seite kann es wohl sein, dass dieselbe circulatorische Ursache in verschiedenen Netzhautre- gionen je nach deren speciellen Bau auch verschiedene Ver~inderungen hervorruft. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist die an GanglienzeUen reichste Gegend der macula zu der Entwicklung you K(irnchenzellen und den hiermit verbundeneu optisch frappanten Infiltrationen vorwaltend disponirt.

Der Kr~iftezustand des Kranken hatte sich beim Gebrauch yon Minerals~iuren abwechselnd mit leichten Abfiihrmittela und Diureticis sichtlich gehoben, auch die Engbriistigkeit um Einiges abgenommen. Trotz- dem land sich ungef~ihr 6 Wochen nach der Vor- stellung ein diastolisches Afterger~iusch ein. Das- selbe war am deutlichsten oberhalb des processus xi- phoideus, blieb jedoch auch bier erheblich schw~cher als das systolische Ger~iusch. Wir machten daraus den Schluss, dass die stenosirten Aortenklappen jetzt 'auch ihre Sufficienz verloren hatten und wurdeu in der An- nahme best~irkt, da s se s sich bei der Aufnahme des Patienten nicht um eiu abgelaufenes, sondern um ein mit noch bestehender Endorcardictis verbundeues Lei- den gehandelt.

Zum Schluss einige Bemerkungen, welche die Stel- lung unseres Falles in der Literamr bezeichnen. Die Em- bolie yon Augengefiissen ist an sich nichts Neues. V i r chow, der diese Provinz tier Pathologie nicht blos entdeckt, sondern auch in tiefgehendster Weise cuhi- virt hat~ liess bei seinen anatomischen Untersuchungen das Auge keineswegs unberiicksichtigt. In seinen ge- sammelten Abhandlungen (1856. pag. 539 und 711),

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finden sich bereits zwei Beispiele, we Prozesse im Auge in Fo]ge yon Embolie der arteriellen St~imme resp. de- ren Verzweigungen aufiraten, ebnnso im Archly f'dr pathologische Anatomie (1856, 9. Band, II. Heft, p. 307; 10. Bd., II. Heft, p. 179). Wenn V i r c h o w durch diese Publicationen, denen sich noch einige iibereinstimmende anschlossen, die als metastatische Chorioiditis, py~imische, puerperale Endophhalmie in der Augenheilkunde be- kannte Entziindungsform zum grlissten Theil auf Era- belie reduzirt hatte, so spricht er auch bereits (Archiv fiir path. Anatomie, X., 2 pag. 187) die Vermuthung aus, dass ,,ausser der ichorrh~imischen und puerperalen Form auch manche rheumatische und artbritische Amau- rose in der Endocarditis ihre Erkl~irung finden wird." An diese Vermuthung schliesst sich unser Fall als die erste derartige Beobachtung an. In allen bisher publi- zirten F~illen handelte es sich um auff~illige, ~nit Infiltra- tion des Glasklirpers, manaigfache entziindliche Ver~in- derungen der Augenh~iute, verbundene Prozesse, welche schneller oder langsamer zur ZerstSrung des Organs teadirten. Bei unserm Patienten war yon alledem nichts vorhanden, das Uebel trat ohne sichtbare Zeichen als Amaurose auf, und auch sp~iter blieben die Ver~inde- rungen lediglich auf die Netzhaut beschr~inkt. Diese Unterschiede erkl~iren sich theils dadurch, dass bei un- serem Patienten die Aderhautcirculation yon der Era- belie durchaus verschont blieb, theils wohl auch durch die Beschaffenheit des Embolus selbsi. Die friiher publizirten F~ille betreffen Individuen, welche w~ihrend des Puerperalfiebers, Phlebitis, Endocarditis pyiimisch erkrankt waren und bei denen sich yon den Gerinnseln aus iiberall eine Tendenz zur Eiterinfiltration entwickelte. Bei unserem Patienten war die Blutmis(.hung vollkom- men normal und (lie Beschwerden hingen lediglich yon der dutch ein Trauma hervorgertffenen endocarditis ab.

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Die durch Embolie eingetriebene PfrSpfe wirkten daher lediglich als mechanisches Circulationshinderniss auf die betroffenen Organe.

Fiir die ophthalmologische Wissenschaft sind often- bar die F~ille aus der letzten Kategorie yon h(iherem Interesse. Patienten, welche w~ihrend des Puerperal- Fiebers oder py~imischer ZustSnde die sogenannten Metastasen aufdas Auge bekommen, sind in der unend- lichen Mehrzahl dem Tode verfallen und das Augeniibel wird demnach nur in untergeordneter scmiotischer Bezie- hung den Arzt besch~iftigen. In den F~illen aus unserer Kategorie giebt schon die Feststellung der Diagnose eine gewisse Befriedigung, da sieh dieselbe nicht der ~;usser- lichen Betrachtung ergiebt, ferner bieten die Secund~ir- vorg~inge, welehe der ophthalmoskopischen Untersu- chung zug~nglich bleiben, ein hohes Interesse fiir die physiologisehe Pathologic, und endlich kniipfen sich prognostische und therapeutische Refiexionen der ver- sehiedens en Art an. So kann namentlich der Zustand als Vorbote anderweitiger, iiir das Leben gef'~ihrlicher, Embolien eine Rolle spielen. Am erfreuliehsten w~ire es freilich, die Wiederherstellung dcr Circulation durch Liisung des Embolus oder Ausbildung collateraler Ge- f'~isse zu beobachten, eine Freude, die uns in dem vor- liegenden Falle nicht verg~innt war.

Ob HergSnge, wie der yon uns beschriebene h~iufig pliitzliehen Erblindungen zu Grunde liegen, muss die Zukunft entscheiden. Blicke ich auf meine eigenen Erfahrungen zurliek, so finde ich allerdings mehrere Beobachtungen, yon denen ich ietzt glauben mSehte, dass sic der in Rede stehenden Kausalit~it zugehSrig sind. So besinne ich mich auf 2 Kranke, welche herz- leidend waren und pl(itzlich auf einem Auge (tie Seh- kraft vollkommen verloren, yon denen der eine sich wenige Woehen nach der Erblindung, der andere etwas

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sp~iter in meine Behandlung begab. Bei dem einen land sich in der exquisitesten Weise eine kSrnige Infiltration der eentralen Netzhautregion. In beiden war mir die starke Verdiinnung der Gef'~sse bei tier verh~iltniss- m~issig kurzen Dauer der Erblindung auff'~illig, so wie auch in beiden die Therapie erfolglos blieb. Eine feste Ueberzeugung kann ich jedoch der Riickerinnerung an jene Fiille nieht entnehmen, weil die Lehre der Embolie damals noch weniger ausgebildet und die Untersuchung deshalb naeh den gegenw~irtigea Anforderungen unzu- liinglieh war.

Fiir den Zusammenhang 'zwischen Herzleiden und Amaurosen, dessen thats~iehliche Feststellung sehon S e i d l und K a n k a , ~o wie B l o d i g crast besch~ifiigt hat, giebt der Naehweis einer auf das Gef'~isssystem der Netzhaut beschriinkten Embolie eine wichtige anato- mische Stiitze. lch zweifle nicht daran, dass in ZukunR noch andere Mittelglieder der Erkl~irung, namentlich i'iir die allm~ilig bei Herzleiden auRretenden Amaurosen, sich ergeben werden. Sehon der vermehrte oder ver- minderte Blutzufluss, wie er ,ie nach der niiheren Natur des Herzleidens stattfindet, kann miiglicher Weise die Transsudation yon Nahrungssaft in einer t~ir die Func- tion delet~ren Weise alieniren und die Ern~ihrung dieser iiusserst feinen Nervengebilde, sei es im Auge oder ausserhalb desselben beeiatriichtigen.