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Uber Koordination und Inkoordination auf Grund graphischer Aufzeichnung yon Bewegungsvorgiingen. Von Dr. J. Pfahl (Bonn). Mit 7 Textabbildungen. (Eingegangen am 23. Mai 1929.) Ffir das Zustandekommen aller unserer ,,aktiven" Bewegungen und deren geordneten Ablauf, die Koordination, sind neben der Muskel- kontraktion auch die rein mechanischen Faktoren, die Schwere der Glieder und deren Wirkung, die Fallgeschwindigkeit, die Beharrung resp. die Tragheit sowie die Elastizitat der Muskeln von wesentlicher Bexleutung. Darauf hat auch O. FSrster in seinem bekannten Buche ,,Die Physiologie und Pathologie der Koordination." Jena (1902) namentlich im Anfang wiederholt hingewiesen (S. 3, 7, 8, 10 und 15). Sie kSnnen als treibende und als hemmende Krafte wirken, k5nnen die Agonisten und die Antagonisten unterstiitzen und behindern, und durch die Empfindungen, die mit den Wirkungen verbunden sind, uns veranlassen, beim Antrieb oder bei der Hemmung, wenn auch unbewuBt, schwacher oder starker einzugreifen. Je starker ihre Wirkung als treibende Kraft ist, um so geringer braucht die aktive Kraft, die Muskelkontraktion, zu sein. Ist sie zu stark, wfirde sie das Glied zu schnell bewegen oder fiber das gesteckte Ziel hinaus werfen, dann mfissen wir dureh Kontraktion der Antago- nisten hemmend eingreifen. Und da die passiven Drehungsmomente, dig Sehwerkraft, die Be- harrung, dig Tragheit und die Elastizitatskraft kontinuierlich, die Muskelkontraktionen aber diskontinuierlich wirken, so ergibt sich schon daraus, dab es auch ffir den Gesunden schwer, ja unmSglieh ist, bei der sogenannten ruhigen Haltung eines Gliedes das Glied immer im Gleichgewicht gegen die Schwere zu halten, und da~ es ebenso unmSg- lieh ist, ein Glied mit vSllig gleicher Gesehwindigkeit und in vSllig glattem Verlauf zu bewegen. ,,Wir sind alle bis zu einem gewissen Grade ataktisch und wir zittern alle, der ruhigste Chirurg und der sicherste Schfitze," sagte ich 1911 in dieser Zeitschrift in der Arbeit: ,,Die genauere Untersuehung feinster Zitterbewegungen usw." S. 725.

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Uber Koordination und Inkoordination auf Grund graphischer Aufzeichnung yon Bewegungsvorgiingen.

Von

Dr. J. Pfahl (Bonn).

Mit 7 Textabbildungen.

(Eingegangen am 23. Mai 1929.)

Ffir das Zustandekommen aller unserer ,,aktiven" Bewegungen und deren geordneten Ablauf, die Koordination, sind neben der Muskel- kontraktion auch die rein mechanischen Faktoren, die Schwere der Glieder und deren Wirkung, die Fallgeschwindigkeit, die Beharrung resp. die Tragheit sowie die Elastizitat der Muskeln von wesentlicher Bexleutung. Darauf hat auch O. FSrster in seinem bekannten Buche ,,Die Physiologie und Pathologie der Koordination." Jena (1902) namentlich im Anfang wiederholt hingewiesen (S. 3, 7, 8, 10 und 15). Sie kSnnen als treibende und als hemmende Krafte wirken, k5nnen die Agonisten und die Antagonisten unterstiitzen und behindern, und durch die Empfindungen, die mit den Wirkungen verbunden sind, uns veranlassen, beim Antrieb oder bei der Hemmung, wenn auch unbewuBt, schwacher oder starker einzugreifen.

Je starker ihre Wirkung als treibende Kraft ist, um so geringer braucht die aktive Kraft, die Muskelkontraktion, zu sein. Ist sie zu stark, wfirde sie das Glied zu schnell bewegen oder fiber das gesteckte Ziel hinaus werfen, dann mfissen wir dureh Kontraktion der Antago- nisten hemmend eingreifen.

Und da die passiven Drehungsmomente, dig Sehwerkraft, die Be- harrung, dig Tragheit und die Elastizitatskraft kontinuierlich, die Muskelkontraktionen aber diskontinuierlich wirken, so ergibt sich schon daraus, dab es auch ffir den Gesunden schwer, ja unmSglieh ist, bei der sogenannten ruhigen Haltung eines Gliedes das Glied immer im Gleichgewicht gegen die Schwere zu halten, und da~ es ebenso unmSg- lieh ist, ein Glied mit vSllig gleicher Gesehwindigkeit und in vSllig glattem Verlauf zu bewegen. ,,Wir sind alle bis zu einem gewissen Grade ataktisch und wir zittern alle, der ruhigste Chirurg und der sicherste Schfitze," sagte ich 1911 in dieser Zeitschrift in der Arbeit: ,,Die genauere Untersuehung feinster Zitterbewegungen usw." S. 725.

430 J. Pfahl: Uber Koordination und ]nkoordination

Vor kurzem hat wieder der Breslauer Physiologe Wachholder auf Grund von Untersuchungen mittels des Saitengalvanometers sich auf einem Vortrage in einer Jahresversammlung der Siidostdeutschen Psychiater und Neurologen in iihnlicher Weise ge~ul3ert. Er betont darin, da$ normale koordinierte und pathologische inkoordinierte Be- wegungen nicht, wie dies vielfach geschieht, in Gegensatz zueinander zu stellen sind, dab vielmehr die groben pathologischen Bewegungs. st6rungen im Keime sehon in der physiologischen Bewegungsausffihrung

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Abb. 1.

enthalten sind. Am Schlusse seines Vortrages sagt er: ,,meine Absicht war ledig!ich, Ihnen die der physiologischen und pathologischen Be- wegung gemeinsamen Elemente und deren gegenseitigen Zusammenhang durch Bahnung und Hemmungen aufzudecken, in der Hoffnung, Ihnen so einen Weg zu zeigen, den die patho-physiologische Bewegungs- forschung gehen kann, urn zu einer physiologisch begriindeten Er- kliirung und Einteilung der pathologischen BewegungsstSrungen zu gelangen."

Im Nachfolgenden mSchte ich an einigen Beispielen zeigen, dab auch die graphische Aufzeichnung unserer Bewegungen sehr wohl ge-

auf Grund graphischer Aufzeichnung von Bewegungsvorg~ngen. 431

eignet ist, die Angaben Foersters fiber die Wirkung der mechanischen Momente bei unseren Bewegungen zu best~tigen und zu veranschau- lichen und uns ebenso einen Weg ffir die sonstige patho-physiologische Bewegungsforschung zu zeigen 1.

Abb. 2.

Die Kurven in Abb. 1 und 2 stammen alle yon der rechten Hand eines Studenten (eand. phil., 23 Jahre). Er hat sich als Sportler bet/~tigt, als Scharfschiitze wiederholt Preise und Medaillen erhalten. Er war

1 Besondere Untersuchungen der verschiedenen Empfindungen habe ich bei meinen Versuchspersonen nicht gemacht. Ich konnte sie bei der guten Gebrauchs- fahigkeit des untersuchten Gliedes {Hand) als normal voraussetzen.

432 J. Pfahl: ~ber Koordination und Inkoordination

nach Aussage seines Vaters (Lehrer) begabt, erledigte das Schulpensum leicht, hat te in allen F~chern gut und sehr gut, machte aber nie Auf- hebens davon, war, wenn er irgendeinen Auftrag fibernommen hatte, genau, ausdauernd. Ich kann also ohne Ubertreibung sagen: er hat te Verstandnis ffir die Sache, eine siehere Hand, Ruhe und guten Willen. Die Kurven wurden alle mit einem Appara t gewonnen, den ieh wieder- holt beschrieben habe, zuletzt in dieser Zeitsehrift 109, H. 1/2. Hand und Finger sollen sieh, w~hrend sie sich in Mittelstellung befinden, im Um- fange von 1 ~ in der horizontalen Ebene hin und her bewegen, etwa wie beim Schreiben des Buchstabens m (bei einem kleineren Teil der Unter- suchungen sind die Bewegungen von gr6Berem Umfange). Durch die Verl~ngerung des Schreibhebels auf 58 em bewegte sich die Feder dabei um 1 cm hin und her (entsprechend dem Abstand der vorher gezeich- neten Parallelen), bei der Volarflexion bis zur oberen, bei der Dorsal- flexion bis zur unteren Linie und zwar im Takte eines Sekundenpendels. B. sieht zun~chst aueh bei der Volarflexion auf die obere, bei der Dorsal- flexion auf die untere Grenze. Und doch geht auch bei ihm, dem Ge- sunden, bei der besten Bef~higung und dem besten Willen die Feder bald fiber das Ziel hinaus, macht sie bald vorher halt, was sich nament- lieh in den ersten 4/5 der 1. Kurve bemerkbar macht. In ihrem letzten Fiinftel und im ersten Ffinftel der 2. Kurve ist die Begrenzung gleich- m~l~iger, was wohl als Ubung zu deuten ist. In Kurve 2, bei der B. gleichfalls abwechselnd nach oben und unten sehen soll, wird die Auf- merksamkeit durch die neben der Grenzlinie angebrachte Punktreihe im mittleren Teil anscheinend mehr naeh oben, im letzten Teile mehr nach unten abgelenkt. Eine st~rkere Ablenkung habe ieh bei weniger Aufmerksamen gesehen, zumal dann, wenn ieh neben den Grenz- linien an Stelle der Punktreihe eine rote Linie zog, mit dem Erfolge, dab bei der Bewegung, bei der die Aufmerksamkeit mehr beansprucht wird, die Feder die Grenze besser erreicht oder h~ufig gar darfiber hinausgeht.

In Kurve 4 fixiert B. yon Anfang bis u dauernd (auch bei der Volar- flexion) die untere, yon u dauernd (auch bei der Dorsalflexion) bis o die obere Linie. Namentlich beim zweiten Teil der Kurve kSnnen wir sagen, dal~ die Bewegung in der Riehtung naeh der Grenze, die dauernd fixiert wird, auch sch~rfer die Grenze einh~lt, wahrend dies da, wo die Blicklinie nur um 1 ol v o n d e r vorgeschriebenen Grenze abweieht, nicht der Fall ist. In Kurve 5 hat B. die Augen bei den ersten 28 Hin- und Herbewegungen often, und fiihrt die Bewegungen genau aus. Dann schliel~t er die Augen, und sofort kommt die Hand, ohne dab er es merkt , aus den vorgesehriebenen Grenzen. Sie k o m m t allm~hlich immer mehr

1 Das Auge befindet sich ungef~hr so weir vonder Schreibfeder, wie das Handgelenk ~- etwa 58 cm.

auf Grund graphischer Aufzeichnung yon Bewegungsvorg~ngen. 433

in Dorsalflexion, voriibergehend aus dieser auch wieder etwas mehr in Volarflexion.

In Kurve 6 werden auf das Kommando ,,zu" (z bzw. z 1) die Augen gesehlossen, bei ,,auf" (a und a s) geSffnet. Wir sehen, dab auch hier der Umfang der Bewegungen in der kurzen Zeit, wo die Augen ge- schlossen sind, ungleiehm/~13iger wird. Etwas Xhnliches, wie wi re s hier im Experiment sehen, wird wahrscheinlich bei jemand zustande kommen, dem die Augen bei der Ermtidung unwillk/irtieh so lange zufallen, der durch die Ermiidung die Aufmerksamkeit verliert, oder bei jemandem, der sie als Unaufmerksamer nicht besitzt und deshalb nicht dauernd auf die Grenzen sieht, die ihm gegeben sind.

In den Kurven a, b, c der Abb. 2 werden alle Bewegungen der Hand gleichfalls im Sekundentempo ausgeffihrt, bei a i m Umfange von 3 ~ bei b im Umfange yon 2 o, bei c im Umfange von 1 o. Zeitweise werden die Grenzen ganz genau eingehalten, auch bei den Bewegungen im Um- range yon 3 ~ obwohl es hier bei dem dabei bestehenden grSBeren Tr/~gheitsmoment sicher schon einer feineren Koordination bedarf, als bei der Bewegung von 1 ~ vielleicht deswegen, weil es sich hier um Bewegungen handelt im Umfange von solchen, die Vp. schon sehr h/~ufig ausgeffihrt hat (beim Schreiben).

Viel ungleichm/~13iger im Umfange sind jedoch die Bewegungen in der Kurvenreihe g, wo sie im Umfange von 12--13 ~ ausgefiihrt werden, z. T. sicher deshalb, weil hier das Tr/tgheitsmoment grSSer ist, z .T. weft hier keine scharfen Grenzlinien gezogen waren, sondern weil B. nur den Auftrag hatte, die Hand soweit zu bewegen, wie es bei stitlstehender Trommel bei einigen passiven Bewegungen (siehe dicke Linie im Anfang der Kurve) geschehen war. Er h/~tte hier aber am Endpunkte der vorhergehenden Linie immer einen Anhaltspunkt fiir die Koordination gehabt. Doeh deren Aufgabe ist zweifellos bei diesen Bewegungen, d ie in gleicher Zeit, ausgefiihrt werden und den Umfang der andere'n um ein Vielfaches fiberschreiten, durch das st/~rkere BeharrungsvermSgen bedeutend schwieriger als bei den kleinen z, ebenso in Kurve d, wo die Hin- und Herbewegungen zwar nicht in gr61terem Umfange erfolgen als in c, aber doppelt so oft. Auch hier ist das Tr/igheitsmoment grSl3er.

Am ungleiehm~$igsten im Umfange sind sie aber in Kurve e. Hier soll die Bewegung die l~ichtung so oft wie m6glich wechseln, aber auch dabei in gleichen Grenzen bleiben. Vp. bewegt die Hand nunmehr in der Sekunde etwa 7mal naeh der Beuge- und 7mal naeh der Streckseite. Doch der Umfang der Bewegungen wechselt jetzt in gr6Btem Mal3e. Eine Volarflexion gegen das Ende der Reihe zu ist 5real so gro$, wie

1 Bei der Volarflexion sind die Abweichungen yon der Grenze iibrigens kleiner als bei der Dorsalflexion. Diese Erscheinung, die ich auch sonst 6fters beobachtet habe, verdient gleichfalls Beachtung, soll aber hier nicht weiter besprochen werden.

434 J. Pfahl: l~ber Koordination und Inkoordination

die vorhergehende. (Um die Bewegungen in der Kurve einzeln kennen zu lernen, sind sie hier bei einer Trommelgeschwindigkeit yon 10 mm, die anderen Bewegungen in dieser Abbildung, wie oben angegeben, immer bei v = 1 mm aufgeschrieben.) Eine Schrift, bei der der Umfang der kleinen Buchstaben z .B. einen solchen Gr6Benunterschied zeigte, wfirden wir gar nieht entziffern k6nnen.

Das passive Drehmoment der Beharrung, dessen Bedeutung ja F6rster betont, ist bier nach jedem einzelnen AnstoI3 sehr groB, sehleudert die Hand oft weit fiber die gegebenen Grenzen und wfirde sie ohne diese zwingenden Grenzen noch viel weiter schleudern als es hier geschieht; und andererseits kommt die Bewegung oft viel zu frfih zum Stillstand, lange bevor das Ziel erreicht ist. Wie weit dabei eine ungewollte, un- bewul3te Kontraktion der Antagonisten als koordinierende Hemmung oder ihre gewollte willkfirliche Kontraktion, die m6glichst bald nach jeder Bewegung eine solche in anderer Riehtung ausl6sen soll, wirkt, kann nicht entschieden werden. Jedenfalls kSnnen wir sagen: auch die Bewegungen des Gesunden sind im Experiment unter Umst/~nden in gewissem Sinne ataktisch. Sie sind es unter Umst~nden auch in der Praxis: Wenn z. B. unsere Gummischuhe sich drauBen allm/~hlich mit Schnee beladen, dann passen wir unsere Gangbewegungen der zu- nehmenden Schwere an. Ziehen wir die mit Schnee schwer beladenen Sehuhe zu Hause aus, dann sind die ersten Bewegungen der mit einem Male erleichterten Beine deutlich schleudernd und stampfend. Beim gew6hnlichen Gehen wird das sogenannte Sehwungbein, insbesondere der Oberschenkel in der Hauptsache durch die Schwungkraft respektive Pendelkraft nach vorne und oben bewegt, und bewegt sich durch die Sehwere wieder naeh unten. Gehen wir im Bassin fiir Nichtschwimmer oder im niedrigen Strom (etwa 1,20 m tier), dann tr i t t bei der Bewegung des Beines nach vorne oben zu der Pendelkraft noch die /~uBere Kraf t (der Auftrieb des Wassers) und wom6glich noch Muskelkontraktion. Dadurch wird die Aufw/trtsbewegung beschleunigt, wird schleudernd. Die Abw/~rtsbewegung, die sonst durch die Schwere erfolgt, muB jetzt durch Muskelkontraktion zustande gebracht werden. Und diese un- gewohnte Anforderung veranlaBt uns, zu stark zu innervieren und macht die Abw~rtsbewegung beim Gehen im Wasser zur stampfenden: Das Gehen des normalen Menschen im Wasser hat entschieden eine gewisse _~hnlichkeit mit dem Gehen des Tabikers. Auch die Bewegungen eines Gesunden sind ataktisch, wenn er in einer stark geffillten groi~en Badewanne liegend, /~hnliche Kreisbewegungen des Beines ausffihrt, wie wir sie zur Prfifung der Koordination yon dem auf dem Unter- suchungstisch Liegenden machen lassen, weil hier umgekehrt wie bei diesem das Bein nach aufw/trts dureh eine ~uf]ere Kraft, durch das Wasser, gehoben wird, w~thrend die Abw/~rtsbewegung ]etzt nicht durch

auf Grund graphischer Aufzeichnung von Bewegungsvorgiingen. 435

die Schwere erfolgt, sondern durch Muskelkraft zustande gebracht werden muB, und weil w~hrend der ganzen Bewegung, ganz andere, durchweg st~rkere, wahrscheinlich auch noch durch die im Wasser ausgelSsten StrSmungen beeinflul3te Widerst~nde zu fiberwinden sind, als bei den Bewegungen in der Luft, auf dem Untersuchungstiseh.

Beim Sehreiben der Kurven in Abb. 3 war Versuchsperson eine gute, Maschinenschreiberin, Handarbeiterin usw. Sie hatte bei der 1. Kurve den Auftrag, die in Mittelstellung befindliche rechte Hand bei leiehter Beugestellung der Finger, im Sekundentempo hin und her zu bewegen,

Abb. 8.

bei der Volarflexion die obere, bei der Dorsalflexion die untere Linie zu fixieren, hier haltzumachen und umzukehren. (Das Auge befindet sich dabei etwa ebenso weir yon dem Schreiber des Apparates, wie die Achse des Handgelenkes = 58 cm.) Bei der Volarflexion erreichte sie das Ziel h/~ufig nicht ganz, einige Mal geht sie dariiber hinaus. Bei der Dorsalflexion geht sie oft darfiber hinaus. Aber Abweichungen vom Ziele in dieser St~rke sind nach vielen Versuchen yon mir dutch die Vergr6[3erung mittels des Apparates auch beim Gesunden sehr h~ufig nachweisbar. Ohne Vergr6flerung wiirde man sie bei diesen Bewegungen, die etwa im Umfange den Bewegungen unserer Hand beim Schreiben der kleinen Buchstaben, z. B. eines kleinen m erfolgen, keine Unregel- miil3igkei$ bemerken. Da, wo die vorgezeichneten Parallelen aufhSren, schliel3t sie, der Anweisung entsprechend, die Augen (s. u.).

Z. f. d. ges, Ncur. u. Psych. 121. 29

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Bei der 2. Kurve fixierte sie auf der Strecke a--b andauernd die obere Linie (die Grenze fiir die Volarflexion), auf der Strecke b--c andauernd die untere Linie (die Grenze ffir die Dorsalflexion). Und jetzt sehen wir deutlich, wie auf der Streeke a--b bei der Volarflexion wieder nur geringe Abweichungen auftreten, bei der Dorsalflexion da- gegen, wo die Blicklinie nur um 1,5 ~ vom Ziele abweicht, die Hand jedesmal, oft sehr welt fiber das Ziel schieBt. Auf der Streeke b--c erfolgen die unter Kontrolle des Auges ausgeffihrten Bewegungen, die Dorsalflexionen, gleichfalls genauer, als die anderen. Eigentfimlicher- weise macht die Ungenauigkeit sich hier aber weniger stark bemerkbar und zweitens mehr dadurch, dab das gesteckte Ziel meistens nicht erreieht wurde. Es ist sehr wohl mSglieh, daI3 die gew~hlte Stellung der Hand bei dem Versuche nicht die gewiinschte Mittelstellung bzw. Ruhestellung war, sondern dab diese etwas mehr nach der Dorsalseite zu lag und da~ Vp. durch ein minimales Geffihl yon Unbequemlichkeit sehon veranlaBt wurde, fiber die Grenzen hinaus zu gehen, besonders auf der Strecke a--b, wo sie nicht auf die vorgeschriebenen Grenz- linien sieht, wo also die koordinierende Hemmung fortf~llt.

In Kurve 1 hat die Versuchsperson, soweit die Parallelen reichen, die Augen often, fixiert aber, wie schon gesagt, nur eine Linie. In dem Moment, wo die Parallelen aufhSren, sehlieBt sie (auf Verlangen) die Augen. Je tz t werden die Bewegungen grSBer, oft 2mal so groi3, wie bei offenen Augen, obwohl sic die Anweisung erhalten hatte, die gleichen Bewegungen beizubehalten. Die Dorsalflexion nimmt aber an Umfang durchweg starker zu, als die Volarflexion, so dab die Hand schon am Schlusse der 8. Dorsalflexion um 3 ~ mehr dorsal gestellt ist, als vorher. Eine Empfindung von dieser Lageveranderung hat Vp. jedoeh nicht; sie ist vielmehr beim ()ffnen der Augen sehr erstaunt darfiber; noch mehr als bei dem 2. Versuch, wo naeh Kurve 3 etwas ~hnliches zustande kommt. ,,Das ist aber merkwfirdig," sagt sie, und als nun bei dem 3. Versueh (Kurve 4) durch die Bewegungen, die bei AugenschluB aus- geffihrt werden, die Hand umgekehrt allm~ihlich ungefahr in dem gleichen Verhaltnis naeh der Volarseite rfickt (Kurve 3 und 4 kreuzen sich in- folgedessen) sagt sic beim ()ffnen der Augen spontan: , ,Jetzt wollte ich verhfiten, dab die Hand aus der gewfinschten Lage nach der einen Seite heraustritt und bin nun in den entgegengesetzten Fehler verfallen." Nach Foerster (Lehrbuch S. 26) ,,liegt jedenfaHs beim Mensehen die MSgliehkeit vor, dab die Innervation eines Muskels auch von optischen Eindrficken des Gliedes erfolgen oder der Muskel vielleicht gar blol~ auf Grund einer irgendwie wachgerufenen Bewegungsvorstellung inner- viert werden kann."

Gerade die zuletzt angeffihrten Angaben der Versuchsperson sprechen naeh meiner Ansicht ffir diese Annahme yon Foerster. Ihre Bewegungen

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in der letzten Kurve werden zweifellos vor allem beeinfluBt durch die unangenehme Vorstellung, in der vorhergehenden einen Fehler be- gangen zu haben und durch den Wunsch, nun keinen Fehler zu machen, sondern in den gegebenen Grenzen zu bleiben, werden aber bei ihrem lebhaften Temperament wieder zu stark dadurch beeinflugt. DaB der Umfang ihrer Bewegungen bei Augenschlul~ immer zu grol~ wird, kann auch zwanglos als Erscheinung ihres lebhaften Temperaments auf- gefagt werden. Sie, von stilrmischer Natur, ffihlt sich durch die engen Grenzen, die Parallellinien gehemmt,. Bei der anderen Vp. l~gt in Kurve 3, Abb. 1, als zuerst die obere Linie fortf~llt, die Volarflexion deutlich an Umfang etwas nach, spi~ter, als dazu noch die untere Grenze fortf~llt, auch die Dorsalflexion. Trotzdem diese Vp. sonst im Leben keines Antriebes bedarf, halte ich es doch f fir mSglieh, dag hier bei offenen Augen die obere Linie als Antrieb auf die Volarflexoren, die untere als Antrieb auf die Dorsalflexoren gewirkt hat. M6glicherweise hat Vp. aber auch bei Fortfall der Grenzlinie aus Vorsicht zu stark gehemmt.

Beim Schreiben s~mtlieher Kurven in Abb. 4 war ich selb~t Versuchs- person und Versuchsleiter zugleich.

Ich bin 62 Jahre alt, dementsprechend presbyobisch und benutze bei 1Engerem Lesen ein Glas. Ich verfiige aber nach den Untersuchungen eines Ophthalmologen aus letzter Zeit fiber volle SehschErfe, kann gewShnliche Druckschrift auch ohne Glas auf eine Entfernung von 60 cm (gleich dem Abstand meiner Augen vom Kymographion bei dem Versuch) gut lesen. Im Gebrauch der Hand bin ich in keiner Weise behindert, benutze sie viel zu Handarbeiten, zum Zeichnen und habe eine glatte Handschrift.

Die Hand befand sieh bei allen Kurven, bis auf Kurve 3 (s. u.) in Mittelstellung. Bei Kurve 3, 4, 5, 6, 7 und 8 sehe ich bei der Volar- flexion auf die obere, bei der Dorsalflexion auf die untere Linie. Bei Kurve 1 wird unter st~rkster Anspannung der Aufmerksamkeit und des Willens andauernd (auch w~hrend der Dorsalflexion) die obere, bei 2 andauernd (aueh wEhrend der Volarflexion) die untere Linie scharf fixiert. Dementsprechend wird auch bei Kurve 1 durchweg die obere, bei Kurve 2 die untere Grenze genau eingehalten, nur selten um ein Minimum fiberschritten (vielleicht, weil in diesem Moment die Lider unwillkfirlich ffir einen Augenblick geschlossen warenl), w~hrend die Bewegung nach der anderen Seite viel ungleichm~Biger begrenzt ist. Solche und andere Kurven (z. B. Abb. 1, Kurve 6) veransehaulichen immer besser als die bloge Behauptung. Sie k6nnen auch dem Arzt gegenfiber dem Patienten, dem P~dagogen gegenfiber dem Schiller,

1 Um diese Frage zu entscheiden, mtiBte man gleichzeitig Bewegungen der Hand und der Augenlider aufschreiben.

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438 J. Pfahl: tiber Koordination und Inkoordination

dem Berufsberater am Berufsberatungsamt, einen Beweis an die Hand geben, wie wichtig seine Forderung ist, ,,stets die Augen im Leben offen hal ten!" ,,Stets das Ziel im Auge."

Bei den Kurven 3--8, Abb. 4, sieht die Vp. bei der Volarflexion nach der oberen, bei der Dorsalflexion nach der unteren Linie. Das

Auge wandert also, den Bewegungen der Hand entsprechend, hin und her; dab die Grenzen hier nicht so scharf eingehalten werden wie in Kurve 1 und 2 nach der fixierten Seite, trotzdem sie auch hier bei jeder Bewegung scharf fixiert werden oder fixiert werden sollen, kSnnte dadurch erkl~rt werden, da]~ es bei diesen Hin- und Herbewegungen des Auges, die allerdings nur 1 ~ betragen, leieht zu optischen T~uschun-

auf Grund graphischer Aufzeichnung yon Bewegungsvorgi~ngen. 439

gen kommen kann, in/~hnlicher Weise, wie sie bei Hin- und Herbewegun- gen eines Gegenstandes und auch bei Bewegungen des Beobachters auftreten, z.B. bei der Bahnfahrt (deren Entstehung und Wirkung wird sehr gut in der Umsehau [Illustrierte Wschr. 1925, 329] in einer Arbeit von Dr. Ehrenstein beschrieben und illustriert).

In Kurve 2--8 der Abb. 4 befand sich meine Hand im Beginn des Versuches in Mittelstellung (bei Mittelstellung der Finger) und bleibt bei offenen Augen, auch bei ihren Bewegungen, ziemlich genau in den vorgeschriebenen Grenzen. Nach AugenschluB (z!) tritt sie bei allen Versuchen bei der folgenden Reihe yon Bewegungen aus den Grenzen heraus und zwar mit einer Ausnahme (s. u.) jedesmal naeh der Dorsal- seite, meist Schritt ffir Schritt. In Kurve 4 ist sie am Schlusse der 20. Dorsalflexion schon um 3 ~ weiter dorsalw/~rts gestellt als bei offenen Augen. Ieh vermutete, daB die Anfangsstellung etwas unbequem war, da ich ~hnliches h/~ufig sah (s. o.). Ich w/~hlte daher einmal als Anfangs- stellung eine solche, yon der man mit Bestimmtheit sagen konnte, dab sie unbequem sei: die Hand befand sich beim Schreiben yon Kurve 3 in Dorsalflexion, desgleichen waren s/~mtliche Finger in allen Gelenken gestreckt. Das Einhalten dieser Stellung erfordert schon bei ruhiger Haltung, noch mehr beim langsamen Hin- und Herbewegen der Hand in den vorgeschriebenen Grenzen eine intensive Anspannung der Auf- merksamkeit und erkl/irt es ohne weiteres, dab hier naeh AugenschluB bei Fortfall des Antriebes der durch den Gesichtseindruck (Parallel- linien) gegeben wird, die Hand ausnahmsweise immer mehr nach der Volarseite riiekt; so wird ja allm/~hlieh die Stellung immer bequemer.

Die Frage, ob ich bei diesen Bewegungen eine Empfindung davon hatte, daB die Hand allm/ihlieh gegen meinen Willen in die bequemere Stellung riickte, muB offen bleiben. Beherrseht wird hier ja das Vor- stellungsleben von der starken Anspannung des Willens fiir das Ein- halten dieser abnormen Stellung, das Empfindungsleben durch die unangenehmen Empfindungen, die damit verbunden sind. DaB diese Momente bei der Dorsalflexion noeh st/irker wirken als bei der Bewegung in der umgekehrten l~ichtung, bzw. dab eine Beugung yon 1 o schon eine gewisse Erleichterung, also ein gewisses Lustgefiihl brachte, kSnnte, ohne dab ieh mir dessen bewuBt wurde, die Ursaehe davon gewesen sein, dal~ die Hand allm~hlieh immer mehr und mehr nach der Beugeseite riickt.

Bei allen anderen Proben merkte ieh niehts davon, dab die Hand aus den gegebenen Grenzen heraustrat. Meine Vermutung, dab die bei AugensehluB auftretende Abweichung dadureh bedingt ist, daB das Einhalten der gew/~hlten Grenzen noch mit einer gewissen Unbequem- lichkeit verbunden war, ist zwar nicht bewiesen, aber doch wahr- seheinlich. Ich babe auch Kurven zur Hand, bei denen bei AugensehluB

440 J. Pfahl: Uber Koordination und Inkoordination

keine Abweichung zustande kam. Hier wurden vermutlich die Be- wegungen bei bequemerer Stellung ausgeffihrt. (Die Stellung der Hand und l~inger wurde nur gesch/s nicht gemessen mit einem Winkel- messer.) Auffallend ist auch, dab da, wo die Hand bei AugenschluB aus der gegebenen Stellung heraustritt , dies im allgemeinen im Laufe der Bewegungsreihe ganz allm/~hlich, Schritt ffir Schritt, in abgestufter, oft in rein und gleichm~Big abgestufter Weise geschieht und daB die Stellungsver/~nderung auch den anderen Versuchspersonen ebensowenig wie mir zum BewuBtsein kam. Auch diese Umst/~nde sind meines Erachtens nicht ohne Bedeutung und verdienen es, an gr6Berem Material noch n/~her untersucht zu werden.

Die allm/~hhche Abweichung nach der Dorsalseite in der Reihe yon Bewegungen bei AugenschluB kam dadurch zustande, daB der Effekt der Dorsalflexion durchschnittlich jedesmal etwas gr6Ber, oder der der Volarflexion etwas geringer war. Der Unterschied im Umfange zweier einzelner Bewegungen ist aber sehr gering, nicht gr6Ber als wit ihn auch bei offenen Augen bei zwei aufeinander folgenden Einzelbewegungen manchmal finden. Hier wird der Fehler aber vom Auge bemerkt und dann korrigiert ; bei geschlossenen Augen wird er nicht bemerkt, wieder- holt sich und ffihrt dadurch nach und nach zu einer st~rkeren Abweichung yon 1--3~ aber wie gesagt, oft in fein abgestufter Weise, bei den ein- zelnen Hin- und Herbewegungen im Durchschnitt etwa 0,1 ~ Es ist mir wahrscheinlich, dab diese minimalen Abweichungen im Unter- bewul~tsein ausgel6st werden, wenn selbst Abweichungen yon 1--3 ~ uns nicht zum BewuBtsein kommen.

DaB der Umfang zwischen je 2 aufeinander folgenden Bewegungen so gering ist, spricht meines Erachtens dafiir, dab wenigstens dann, wenn wir Bewegungen yon m/~Bigem Umfange kurz vorher 6fters aus- geffihrt haben, oder bei Bewegungen, die wir tagt/~glich ausfiihren, wie die Bewegungen der Beine auf glattem Boden oder die Bewegungen der Hand beim Schreiben auf glattem Papier, auch ein sogenanntes motorisches Ged/~chtnis mitwirkt, d .h . dab auch frfiher Erlebtes und Erfahrenes die St/irke des Antriebes auf die Agonisten oder Anta- gonisten beeinflussen kann. Von der sensorischen Theorie, die ein so genau abgestuftes motorisches Ged/~chtnis nicht gelten 1/~Bt (s. Foerster, Lehrbuch S. 20), wird dies als Faktor bei der Koordination ja bestritten. Hier beeinfluBt es meines Erachtens aber doch die St/~rke der Inner- ra t ion und den Umfang der Bewegungen: BewuBte zentripetale Ein- drficke wirkten bei den betreffenden Versuchen nicht mit. Gesichts- eindrficke waren ja ausgeschlossen, und Stelhmgsempfindungen kamen jedenfalls nicht zum BewuBtsein. DaB in dem anderen Falle in Kurve 3, Abb. 4, eine ausgesprochene und bewuBte Unannehmlichkeit der Hand bei den Hin- und Herbewegungen bei AugenschluB die Hand gegen

auf Grund graphischer Aufzeichnung yon Bewegungsvorgi~ngen. 441

den Willen der Vp. Schritt fiir Schritt aus der unangenehmen Stellung herausbrachte, zeigt, dab natiirlich auch zentripetale Einfliisse mit- wirken. Wahrscheinlich wirken sie auch dann mit, wenn sie uns nicht zum Bewul~tsein kommen. U n d sehen wir, wenn wir eine angeblich unbequeme Lage in unauff/~lliger Weise zum Ausgangspunkt unserer Versuehe w/~hlen, dabei etwas Xhnliches bei jemandem, dem wir nieht volles Vertrauen schenken, dann gewinnt die Glaubwiirdigkeit seiner Angaben durch die Versuche.

Alle 3 Kurven in Abb. 5 geben Bewegungen meiner Hand (je 2 Volar- flexionen und 1 Dorsalflexion) wieder. Sie sind von einem Kymo- graphionblatt yon 50 cm Li~nge aus einer 1/ingeren Bewegungsreihe

2,

Abb. 5.

herausgegriffen (diese lange Reihe kann in der Reproduktion ohne Verkleinerung, die vermieden werden soil, nicht wiedergegeben werden). Hand und Mittelfinger befinden sich in Mittelstellung. Bei Kurve 3 ist der Schreibhebel nur dureh sein Eigengewicht und das Gewicht der Hand belastet, bei 1 und 2 aul~erdem noeh durch eine runde Blei. platte yon einem Kymographion im Gewicht yon 2000 g (Schwerpunkt -~ 15 cm vom Drehpunkt des Hebels). Bei 1 dreht sieh das Kymo- graphion mit v = 50 ram, bei 2 und 3 mit v ----- 10 ram.

Die Bewegungsgeschwindigkeit der Hand betritgt in Kurve 1 bei a = Null. Sie nimmt sti~ndig zu, hat bei b ihren H6hepunkt erreicht und sinkt dann wieder sti~ndig bis auf Null (bei c). Von da bewegt sictl das Glied auf gleiche Weise in umgekehrter Richtung und so fort, bin und her. Die dadurch entstehende Kurve zeigt einen vSllig glatten Verlauf yon der Wellenform der Pendel- und Elastiziti~tsschwingungen (Sinusschwingungen) und da bei der lotrechten Stellung der Gelenk-

442 J. Pfahl: ~ber Koordination und Inkoordination

achse Pendelkr/~fte bzw. Schwerkr~fte nicht in Wirkung treten, ist die Bewegung zweifellos in der Hauptsache die Folge yon Elastizit/~tskr/iften. Von a--b, d. h. bis zu dem Augenblicke, wo die Muskeln, die die Hand bewegen, im Zustande des Elastizit/itsgleichgewichtes sich befinden, wirkt hier die Elastizit/itskraft der Volarflexion als treibende Kraft . Die weiter Volarflexion, b--c, erfolgt dann in der Hauptsache durch die Beharrung; ihre Geschwindigkeit nimmt aber jetzt wieder sts ab durch die hemmende Wirkung der Elastizit~tskraft der Dorsal- flexoren. Eine Bewegung yon der gleichen Form kommt zustande, wenn ich meiner Hand bei gleicher Stellung und gleicher Belastung einen leichten StoB gegen die Riick- oder Beugeseite erteile, und sie dann vSllig der Einwirkung der mechanischen Kr~fte (Elastizit/it und Be- harrung) iiberlasse 1.

Auf die eine Bewegung yon unten naeh oben folgt dann immer eine Reihe yon Nachbewegungen yon der gleibhen Wellenform und Wellen- 1/~nge, die aber an Umfang yon Bewegung zu Bewegung abnehmen und allm~hlich erl6schen, vorausgesetzt, dab nicht neue Muskelkraft durch bewuBte oder unbewuBte zentrale oder dureh reflektorisehe Impulse hinzutritt .

Soll nun in einer Reihe yon Bewegungen nicht nur deren Form, sondern auch der Umfang der gleiehe bleiben, dann gen/igt es nach den Gesetzen der Meehanik, wenn jedesmal im Augenbliek der gr6Bten v (bei b) bei der Volarflexion den Volarflexoren, bei der Dorsalflexion den Dorsalflexoren ein einziger Impuls yon geringer, aber gleicher St/~rke zukommt, in der fibrigen Zeit das Glied dem Einflusse der Beharrung und Elastizit/it fiberlassen wird. (W/ihrend des gr6Bten Teiles einer solchen Bewegung, die wir doeh als aktive Bewegung bezeiehnen, braueht also unser Zentralnervensystem nicht in T/~tigkeit zu sein und unsere Muskeln auch nur dureh Wirkung ihrer meehanisehen Krs

Schon zur genauen L6sung dieser Aufgabe ist eine gewisse Ko- ordination erforderlich: Das abwechselnde Einsetzen der l~uskelkraft der Volar- und Dorsalflexoren im gleiehen Wechsel, in gleieher St/irke, im riehtigen Augenblieke und yon der gleiehen kurzen Dauer. Und schon diese Aufgabe, die einfachste, die ieh mir fiir eine Bewegungsreihe denken kann, wenn ich die Gruppe der Volar- und Dorsalflexoren in funktioneller Hinsieht als Einheit ansehe, kann aueh vom Gesunden nieht mit absoluter Genauigkeit, wenn aueh relativ genau, gel6st werden: Um die glatte Wellenform deutlieh zu veranschaulichen, habe ich Kurve 1 in Abb. 5 bei v = 50 aufgeschrieben und dabei auBerdem noch belastet (s. o.), kann aber infolgedessen nur zwei Hin- und eine Riiekbewegung wiedergeben. Beim Sehreiben der Kurve in Abb. 6, die gleichfalls yon

1 Vgl. P]ahl, ~ber Elastizit/~tswirkungen unserer Muskeln. Z. Biol. 81, 211.

auf Grund graphischer Aufzeichnung von Bewegungsvorgitngen. 443

dem sicheren Schiitzen stammt, ist v auch gleich 50, der Hebel da- gegen unbelastet. Jetzt kann er, der Frequenz der durch einmaligen Ansto$ ausgelSsten Elastizit/~tsbewegungen entsprechend und das Dreh- moment der Elastizit~t ausnutzend, in der Sekunde etwa je 3 Hin- und Herbewegungen machen. Aber der Umfang der Bewegungen ist auch bei dem sicheren Schfitzen selbst unter diesen einfachsten Bedingungen nieht genau der gleiche. Und das kann wieder die Folge davon sein, da$ die Impulse zu verschiedener Zeit, also bei verschiedener Ge- schwindigkeit der Bewegungen oder in verschiedener St/~rke eingesetzt haben, oder yon versehiedener Dauer waren. Die Wellenform 1/~$t sich auch bier bei der grol~en v noch gut erkennen.

Kurve l, Abb. 5 ist, wie gesagt, bei v = 50 mm, Kurve 2, Abb. 5 bei v = 10 mm aufgeschrieben. Wiirden bei der letzteren v Bewegungen

Abb. 6.

im Tempo der Bewegung 1 aufgeschrieben, dann wtirden auf der gleichen Strecke jetzt etwa 5 glatte Hin- und Herbewegungen aufgesehrieben und ausgefiihrt werden, die aber bei gleichem Umfange der Bewegung jetzt steiler erscheinen wiirden und die Wellenform. weniger deutlich erkennen liel~en. Vp. hat jedoeh den Auftrag, jetzt die Hand in viel langsamerem Tempo zu bewegen, so langsam, dal~ die Kurve 2 der Kurve 1 m6glichst parallel bleibt, mit einer v also, die im Durchschnitt 5mal geringer ist als bei der ersten Bewegung. Um dieser Forderung einiger- maf~en gerecht zu werden, mul~ sie der Elastizit/~tswirkung und der Beharrung durch willkiiriiche Innervation der Muskeln immer entgegen- wirken, mu$ dem zu stark wirkenden Drehmoment der Elastizitat bei d usw. ein hemmendes Drehmoment durch eine Muskelkontraktion entgegensetzen. Und da die Elastizit/~tsmomente, wie gesagt, konti- nuierlich wirkende Kr/ffte, unsere Muskelkontraktionen aber dis- kontinuierlich wirkende Kr~fte sind, so kann unter diesen Bedingungen keine glatte, immer vorw/~rts laufende Bewegung, keine glatte Kurve zustande kommen. Es kommt durch die Hemmung zur Verlangsamung, zum Stillstand, zuweilen zum Riiekschritt. Diese Verlangsamungen usw. erfordern dann immer wieder ein neues Eingreifen der Agonisten zur AuslSsung des Fortschrittes der Bewegung in der verlangten l~ichtung. Das kann unter bestimmten Umst/~nden schon durch deren Elastizit/~ts- kr~fte, unter anderem aber nur dureh ihre aktive Kontraktion zustande kommen.

444 J. Pfahl: tAber Koordination und Inkoordination

In noch schnellere Bewegung als in Kurve 2 kann schon das Dreh- moment der Elastizit/~t allein die Hand bringen, wenn der Hebel un- belastet ist, in Kurve 3. Jetzt, wo aber die Hand in einem noch viel langsameren Tempo bewegt werden soll, muB die Hemmung noch viel h/iufiger einsetzen. I-Iier, wo die dadurch entstehende Kurve unterhalb der glatten Kurve 1 aufgesehrieben wird, entfernt sich die Linie infolge- dessen im aufsteigenden Teil (Volarflexion) immer v o n d e r glatten Linie, im Gegensatz zu Kurve 2, die oberhalb der glatten Linie auf- geschrieben ist. Hier muB die hemmende Wirkung der Antagonisten die Ann/~herung, bei Kurve 2 die Entfernung verhiiten. Sie muB in beiden F/~llen die zu groBe Geschwindigkeit der Bewegung in koordi- nierender Weise herabsetzen. Bei der Dorsalflexion ist das Verhalten umgekehrt.

Und zu diesen Riickw/~rtsbewegungen, von Isserlin als RtiekstoI] bezeichnet, kommt es nicht nur zur Zeit, wo das Glied seine hSchste Geschwindigkeit hat (bei s), sondern in geringerem Grade auch da, wo die Hand sich langsam vorw/~rts bewegt (bei 1). Sie ist nach meiner Ansicht der Ausdruck der Koordination. Sie wird ausgel6st durch die Beobachtung, dab die Bewegungslinie sich der Grundlinie zu stark n/~hert, m6glicherweise auch durch Stelhmgsempfindungen. Die Beob- achtung durch das Auge wird uns nicht immer klar zum BewuBtsein kommen; noch weniger werden es die Stellungsempfindungen, sowie die Impulse zur koordinierenden Hemmung, die sicher, wie viele Fak- toren der Koordination, aus dem Unterbewul]tsein ausgelSst werden. Der Ausfall der Gesichtseindriicke oder deren ungeniigende Beachtung bewirkt es schon beim Normalen, dab die Hemmung nicht rechtzeitig einsetzt, dab die Teilbewegungen zu schnell erfolgen. Zu einem leichten Schleudern kommt es dann schon hier (bei s). Es erreicht seinen H6he- punkt bei St6rungen der Empfindung, insbesondere beim Tabiker, wenn die Druckempfindungen der Haut und die Stellungsempfindungen ausfallen, zumal, wenn bei Augensehlug aul]erdem die Kontrolle durch die Gesichtseindrtieke zum Fortfall kommt. Aber was uns hier als Schleudern entgegentritt, sehen wir in geringerem Grade aueh beim Normalen; wir sehen die groben pathologischen Bewegungsst6rungen, wie Wachholder sagt, ,,im Keime schon in der physiologischen Be- wegungsausfiihrung" :.

Und wenn bei einem Unruhigen, Angstlichen, Aufgeregten die Hemmungen mit gr61~erer Kraf t einsetzen, als beim Schreiben von Kurve 3, dann werden die Hin- und Riickwi~rtsbewegungen, die wir dureh die Vergr6$erung des Apparates auch beim ruhigen Chirurgen, beim sichersten Schiitzen sehen, st/irker. Sic machen sich dann auch

: Wachholder, Die physiologischen Grundlagen pathologischer Bewegungs- st6rungen. Arch. f. Psychiatr. 81, H. 5, 729.

auf Grund graphischer Aufzeichnung von Bewegungsvorg~ngen. 445

ohne VergrSBerung unserem Auge bemerkbar und werden zu dem, was wit als krankhaft, als Zittern, bezeiehnen.

Man wird gegen meine Deutung der 3 Kurven in Abb. 5 Einw~nde erheben kSnnen, wird sagen kSnnen: ,,Die glatte Kurve wurde auf blan~es Papier aufgesehrieben. Dabei kann die Aufmerksamkeit bei- seite, gelassen werden. Bei der 2. und 3. bedingt die Forderung eine Kurve zu sehreiben, die der 1. parallel lauft, eine st~ndige Anspannung der Aufmerksamkeit. Starker angespannt ist die Aufmerksamkeit bei der 2. und 3. Kurve in Abb. 5; aber nicht deshalb, weil sie den ersteren parallel blieben, sondern weil die Bewegung jetzt viel langsamer er- folgen soll. Aueh wenn Vp. unter sonst gleichen/~uBeren Bedingungen beim Aufschreiben der Bewegungen auf unbeschriebenem Papier, ohne hinzusehen, oder bei geschlossenen Augen der Forderung nachkommt, eine solche Bewegung tier unbelasteten Hand in dem langsamen Tempo auszufiihren, wie die stark belastete Hand bewegt wurde, oder sie noch langsamer bewegt, l~Bt diese Bewegung dutch die Vergra[3erung mittels des Apparates ein feines Zittern erkennen; desgleichen, wenn die be- lastete Hand durch diskontinuierliche Muskelkontraktionen noch wesent- lich langsamer bewegt wird, als in der glatten Kurve, wo die Bewegung im wesentlichen durch die Elastizit/s und Beharrung erfolgt (dab dies die Haupttrieb- und Hemmungskrdi/te bei diesen Bewegungen sind, geht aus der Wellenform = Sinusform und aus dem vSllig glatten Verlauf hervor. Der glatte Verlauf sprieht iibrigens aueh daffir, dab die Feder meines Apparates eine gute Fiihrung hat, was bei manchen anderen Apparaten fiir graphische Aufzeichnung nicht der Fall ist.)

Und eine Bewegung kann im Gegensatz zu den zitternden Be- wegungen vSllig glatt verlaufen, auch wenn Vp. darauf achten soll, daI~ sie einer anderen glatten parallel bleibt; die Kurven a, b, c, Abb. 7 zeigen je 3 Volar- und Dorsalflexionen meiner rechten Hand (bei Mittel- stellung der Hand und Finger und einer Belastung des Hebels mit einer Bleiplatte yon 2000 g aus einer langeren Bewegungsreihe herausgegriffen, aufgeschrieben bei v = 50 ram).

Kurve a, zuerst aufgeschrieben, zeigt, den auSeren Umst/~nden ent- spreehend, die v511ig glatte Wellenform yon Kurve 1 in Abb. 5, auch etwa deren Wellenlange. Die Wellenh5he ist geringer, weil ich die Bewegung hier, um Platz zu sparen, durch schw/~chere Anst6l]e aus- gelSst habe. Kurve b verlauft, der Forderung entspreehend, der Kurve a fast v6llig parallel, ist, wie diese, trotz der Anspannung tier Aufmerk- samkeit vSllig glatt und wellenfSrmig mit Wellen yon gleicher HShe und L/s wie in a. Daft diese Wellen in langeren Reihen gleiche Form und gleiche L/~nge haben, ist bei den meisten Vpn. durch einige Vor- iibungen aueh leieht zu erreiehen. (Sie brauehen nur darauf zu achten, in welehem Tempo die Hand einige Nachbewegungen ausfiihrt, wenn

446 J. Pfahl: ~ber Koordination und Inkoordination

ich ihr einen einmaligen Anstol3 gebe) ebenso, dal3 sie annghernd die gleiche HShe haben. Schwieriger ist es, die Wellenreihe mit einer vorhergehenden genau in Parallele zu bringen. Bei Kurve c haben die Wellen z. B. im wesentlichen auch die Form, I~nge und HShe der Wellen in den Kurven a und b, sind aber gegen diese verschoben, sind ihnen nicht parallel. Hier haben meine Impulse etwa um 1/5 Sekunde zu spgt eingesetzt. Unruhig werden die Bewegungen dieser Kurve, die auf die ersten folgt, obwohl ich deren Resultate, den MiSerfolg des Ver- suches, beim Schreiben der Kurve fibersehen kann, jedoch nicht, sondern

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Abb. 7.

bleiben vSllig glatt. In allen 3 Kurven ist das Tempo der Bewegung den mechanischen Kr~ften, der Elastizit~t der betreffenden Muskeln, sowie der Schwere der Hand und der Belastung des Sehreibhebels bzw. der Beharrung angepaBt. In allen 3 Kurven kommt die Bewegung in der Hauptsache durch diese koatinuierlieh wirkenden Kr~fte zustande und verl~uft infolgedessen vSllig glatt. Eine solche glatte Bewegung kann eben auch nur durch kontinuierlieh wirkende Kr~fte zustande kommen; bei unseren Gliedern also nicht durch rasch aufeinander folgende MuskelstSl3e; das sind ja, wie die Physiologie immer gelehrt hat und wie uns in neuerer Zeit namentlich das Ergebnis der Unter- suehungen mittels des Saitengalvanometers gezeigt hat, unvollkommene Tetani. Kurve d ist auf die gleiehe Weise entstanden, wie die Kur- ven a, b, c, also bei Bewegungen mit belastetem Hebel und ist wie diese

auf Grund graphischer Aufzeichnung yon Bewegungsvorgiingen. 447

vSllig glatt. Bei e und / ist der Hebel unbelastet. Wird die Hand jetzt in dem Tempo bewegt, wie bei d, dann ist das Tr/~gheitsmoment (das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit) geringer. Es kommt im Laufe der einzelnen Hin- und Herbewegung immer zur Verlangsamung, zum Stillstand, zur Riickw~rtsbewegung. Wir sehen auch bier wieder deut- lich den EinfluB des passiven Drehmomentes als Tell der Koordination.

SchluflsStze.

Uberall linden wir also in den Versuchen die Angaben yon F6rster fiber die Bedeutung, die die passiven Drehmomente, die Schwere, die Be- harrung und die Elastizit/~t haben, bestdtigt und durch die Kurven veranschaulicht. Vor allem auch dadurch, dal3 die Bewegungen im vergr6[3erten Um]ange, bei guter Ffihrung der Apparatteile, z, T. auch bei groBer v der Trommel aufgeschrieben sind.

Und welter sehen wir aus den Versuchen, dal3 auch bei geschickten und sicheren Personen, z.B. bei der guten Handarbeiterin und dem sicheren Schfitzen, bei Vpn., bei denen wir normale Empfindungen voraussetzen k6nnen, insbesondere in der 1/ingeren Reihe yon Hin- und Herbewegungen das Glied oft betr/~chtlich aus den gegebenen Grenzen heraustritt, ohne dal3 dies den Versuchspersonen zum Bewul3tsein kommt, dab wir also mit Hilfe der fibrigen Empfindungen, der Druck- empfindungen, der Stellungsempfindungen usw. allein den Bewegungen des Gliedes nicht die Genauigkeit des Bewegungsumfanges geben kSnnen, wie wires bei offenen Augen unter Leitung der optischen Empfindungen vermSgen, dab die Inkoordination ,,ira Keime" schon bier vorhanden ist.

DaB auch der Stellungssinn yon Bedeutung ffir die Bewegungs- ausfiihrung is~, hat ja von Frey in dieser Zeitschrift vor einiger Zeit ausgeffihrt 1.

Lust- und Unlustgeffihle, das Geffihl, durch bestimmte Grenzen eingeengt zu sein, der Wunsch aus diesen beengenden Grenzen (,,aus sich") herauszutreten, die Erkenntnis, dabei einen Fehler gemacht zu haben, die Absicht, ihn in der Folge zu vermeiden, zu groSe Vorsicht und andere psychische Vorg/~nge (s. o.) kSnnen ebenfalls treibend und hemmend auf Agonisten und Antagonisten einwirken.

Beim Menschen sind HSchstleitungen in der Koordination nur unter Hilfe der optischen Eindriicke und st~rkster Anspannung des Willens und der Aufmerksamkeit zu erreichen.

1 Vgl. M. v. Frey, Z. Neur. 104, H. 4/5 (1926).