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E. H. Riesonfeld u. M. Tobiank. ijber Polysiiuren 287 Uber Polysauren Yon F,. H. RIESENFELD und 11. TOBIANK Mit 46 Figuren im Test In der Lehre von der Konstitution der Iso- und Heteropolj-- sauren und ihrer Salze hat man es bisher meist bewuBt vermieden, Einzelheiten uber die Atomanordnung in der Molekel anzugeben in dem Bedenken, damit den Boden der Erfahrungstatsachen zu ver- lassen. Hiervon ist Zuni ersten Male PAULING~) abgegangen, der eine Regel aufstellte, die gestattet, ins einzehie gehende, plastische Bilder von der Anordnung der Atome zu geben. E r ging von der Vorstellung aus, daB die Saurebildner aller Iso- und Heteropolysiiuren positive Ionen sind, die von so vi&n negativ geladenen Sauerstoffionen umgeben sind, dal3 die Gesamt- Iadung jedes Bausteins, der im folgenden Anionenradikal oder kurz R a d i k a l genannt wird, negativ ist. Die Anionenradikale sincl entweder, entsprechend der Koordinationseahl 4, Tetraeder oder, entspreohend der Koordinationszahl 6, Oktaeder. Wiirfel, die durch die Koordinationszahl 8 bedingt sein wiirden, sind als Anionen- radikale bisher nicht beobachtet worden. Im Kern jedes Badikals steht das Stammion, an allen Ecken der Radikale sitzen Sauerstoff- ionen. Diese Anionenradikale lagern sich zu Gruppen, Ringen oder B a n d ern zusammen , welche die PolysLureanionen bilden. Die PAuLING’sche Regel besagt nun, dal3 diese Zusammenlagerung wegen der starken elektrischen Ladungen der Radikale immer nur an den Ecken der Radikale erfolgt, aber niemals so, daB sich Kantten oder Flachen beruhren. Diese Regel, die sich bei der Aufklarung der Konstitution der Palysilikate aufs beste bewabrt hat, wird den folgenden Betrach- tungen nigrunde gelegt. Verworfen aber w-ird das von PAULING in die chemische Konstitutionslehre neu cingefuhrte Kafigprin~ip,die Annahme, dal3 eine Anionengruppe frei in einem Kafig von Neu- tralgruppen schweben konne. Dieses Bild ist der Elektrostatik 1) L. PAULIXG, Journ. Am. chem. SOC. 51 (1929), 1010 u. 2868.

Über Polysäuren

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E. H. Riesonfeld u. M. Tobiank. ijber Polysiiuren 287

Uber Polysauren Yon F,. H. RIESENFELD und 11. TOBIANK

Mit 46 Figuren im Test

In der Lehre von der Konstitution der Iso- und Heteropolj-- sauren und ihrer Salze hat man es bisher meist bewuBt vermieden, Einzelheiten uber die Atomanordnung in der Molekel anzugeben in dem Bedenken, damit den Boden der Erfahrungstatsachen zu ver- lassen. Hiervon ist Zuni ersten Male PAULING~) abgegangen, der eine Regel aufstellte, die gestattet, ins einzehie gehende, plastische Bilder von der Anordnung der Atome zu geben.

E r ging von der Vorstellung aus, daB die Saurebildner aller Iso- und Heteropolysiiuren positive Ionen sind, die von so vi&n negativ geladenen Sauerstoffionen umgeben sind, dal3 die Gesamt- Iadung jedes Bausteins, der im folgenden Anionenradikal oder kurz R a d i k a l genannt wird, negativ ist. Die Anionenradikale sincl entweder, entsprechend der Koordinationseahl 4, Tetraeder oder, entspreohend der Koordinationszahl 6, Oktaeder. Wiirfel, die durch die Koordinationszahl 8 bedingt sein wiirden, sind als Anionen- radikale bisher nicht beobachtet worden. Im Kern jedes Badikals steht das Stammion, an allen Ecken der Radikale sitzen Sauerstoff- ionen. Diese Anionenradikale lagern sich zu Gruppen, Ringen oder B and e rn zusammen , welche die PolysLureanionen bilden. Die PAuLING’sche Regel besagt nun, dal3 diese Zusammenlagerung wegen der starken elektrischen Ladungen der Radikale immer nur an den Ecken der Radikale erfolgt, aber niemals so, daB sich Kantten oder Flachen beruhren.

Diese Regel, die sich bei der Aufklarung der Konstitution der Palysilikate aufs beste bewabrt hat, wird den folgenden Betrach- tungen nigrunde gelegt. Verworfen aber w-ird das von PAULING in die chemische Konstitutionslehre neu cingefuhrte Kafigprin~ip, die Annahme, dal3 eine Anionengruppe frei in einem Kafig von Neu- tralgruppen schweben konne. Dieses Bild ist der Elektrostatik

1) L. PAULIXG, Journ. Am. chem. SOC. 51 (1929), 1010 u. 2868.

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entnoinmen, in der es allerdings miiglich ist, eine elektrisch geladenc Kugcl in der Mitte sgmmetrisch gebauter Systeme schwebend ZLI

erhalten. Analoge Atomanordnungen waren in der Chemie vielleicht moglich. Die Tatsachc aber, daB bisher weder in der anorganischen noch in der organischen Chemie Fdle bekaniit geworden sind, die sich durcli dieses Bild besser als in der bisherigen Weise erklaren lassen, spricht gegen diese Annahme. Auch der Molekelbau deu wnigen Polysauren, zu deren Erklarung PATJLING das neue Bild ge- schaffcn hat, kann durch die geliiufigen Vorstellungen befriedigrnd beschrieben werden.

Bei der Bufstellung von Konstitutionsformeln fur die Polysauren unter Befolgung der PAuLING'schen Regel liegt eine grofie Schwierig- b i t darin, daB es unbestimmt gelassen ist, ob Tetraedcr oder Okta- eder die Radikile der Polysaureanionen bilden. Ein planloses Pro- bieren ist unbefriedigend, da es immer im Ungewissen M t , ob nicht \-on den zahlreichen Aufbaumoglichkeiten zufallig die wahrschein- lichste ubersehen wurde.

Es wurde ilaher nach einern einfachen Verfakren gesucht, das itus der Formel des Anions ohne weiteres die moglichen Anordnungen ZLI berechnen gestattet. Dann ist es in den meisten Fallen eine leichte Aufgabe, aus diesen die einfachste und darnit wahrschein- lichste Anordnung herauseusuchen.

Diejenigen Punkte, an denen 2 Radikale zusammenstoBen, an denen also 0-Atome stehen, die zwei Anionenradikalen gerneirisam sind, heiBen Bindestel lon. Nennt man die Zahl der Stammionen im komplexen Anion m, die Zahl der Sauerstoffionen 0, die Zahl tfer Oktaeder a und die der Eindestellen b, so ist die Zalil der Tetraeder im Komplex 7n -- a. Ferner besteht, wie m t n lcicht ein- sieht, die Beziehung

6~ + 4 t ~ n - U ) - b z= 0 ,

2 a - b = o - 4na.

4 m - - o = c . Setzt man

so wird 6 - - c

2 a=- , b = 2 a + c .

Fur b bestehen noch folgende vier Hedingungen. Damit in obiger Gleichung a nicht negativ wird, mu8

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und damit uberhaupt ein Zusammenhang der Radikale im Anion moglich ist, muB

b Z m - 1

sein. Dies ist die untere Grenze. Die obere Grenze von b ist durch die Zahl der Bindestellen in der dichtesten Kugelpackung gegeben. Ersetzt man alle Anionenradikale durch Kugeln gleichen Durch- messers und bezeichnet die Zahl der Bindestellen bei der dichtesten Kugelpackung dieser Kugeln mit p, so ist

Endlich muls, wenn o gerade ist, auch b gerade und, wenn o ungerade ist, auch b ungerade sein, also

b = o - - a . n ,

wobei n jede ganze Zahl sein kann. Dadurch ist die Zahl der moglichen Werte fur b und damit auch die der moglichen Werte von a so ein- geschrankt, daB man alle noch verbleibenden Moglichkeiten Ieicht uberblicken kann. Die Zahlenwerte fur m, o, a, b und c werden im folgenden als die Kennzahlen der Polysaureanionen bezeichnet.

Zur schnellen und ubersichtlichen Beschreibung der SO ge- fundenen Konstitution erwies sich eine flachenhafte Darstellung giinstig, bei der fur die Anionenradikale die folgenden Symbole ver- wandt wurden. Die Tetraeder [EOJ, wobei E jedes beliebige Element

sein kann, werden durch A und die Oktaeder [EO,] durch wieder-

gegeben. Das gleichseitige Dreieck deutet die Grundflache und der Punkt in der Mitte die Spitze des Tetraeders an. Vom Oktaeder ist die Grundflache, auf der beiderseits die vierseitigen Pyramiden aufsitzen, und die Achse, welche die Spitzen der Pyramiden ver- bindet, soweit sie nicht durch die Grundflache verdeckt ist, aus- gezeichnet. Der dicke Strich sol1 die Vorderkante des Okta- eders kennzeichnen. SchlieBen sich mehrere Oktaeder mit ihren diagonal gegenuberliegenden Eckon zu einem Ring zusammen, so

b S P .

Q

werden die Oktaeder gezeichnet, wobei die beiden dicken Linien

die an der AuBenseite des Ringes und die beiden dunnen Linien die an der Innenseite des Ringes liegenden Oktaederkanten bedeuten. Damit sich die Anionenradikale bei flachenhafter Darstellung nicht uberdecken, wird das Bild, wenn erforderlich, auseinandergezogen, und es werden die sich im Model1 beruhrenden Ecken durch . . . . . verbunden.

Z. anorg. U. sllg. Chem. Bd. 221. 19

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Im folgenden wird zunachst diese Berechnungs- und Zeichnungs- art an einigen Beispielen erklart.

Dichromate : Anion [Cr20,]-11; Kenrizahlen m = 2, o = 7, a = 0, b = 1, c = 1 (Fig. 1).

6Moly b do- P e r j o d a t e : Anion [ JMo,O,,]-v; Kennaahlcn m = 7, o = 24, a = 1, b = 6, c = 4 (Fig. 2). Fur b = 8, 10 oder 12 er-

Fig. 1 Fig. 2 Fig. 3

halt man keine oder keine symmetrische Konstitution. Konstitutionsformel: [ J(MoO,),]-V. 12Molybdo-Phosphat e: Anion [P310~~0~~]-~11; Kennzahlen

m = 13, o = 42, a = 1, b = 12, c = 10 (Fig. 3). Fur b = 14, 16, 18 . . , erhalt man keine oder keine so syrnmetrische Konstitution.

Konstitutionsformel: [P(3lo20,),]-v~~. Durchmustert man nach diesen Gesichtspunkten die Zusammen-

setzung und Eigenschaften der Iso- und Heteropolysauren und ihrer Salze, so sieht man, daB sich ihr Aufbau ganz unabhangig von der Wertigkeit der Saurebildner durch die gleichen Konstitutionsbilder beschreiben lafit. Diese sind in den meisten Fallen so regelmaaig, dal3 kaum ein Zweifel sein kann, daO die gefundene Konstitution die richtige ist. I n einigen Pallen, in denen verschiedene Komtitutions- bilder etwa die gleiche Symmetrie aufweisen, sind auch Isomerien bekannt. Daneben gibt es Falle, in denen mehrere Atomgruppierungen moglich erscheinen, aber bisher keine Isomerieerscheinung aufgefunden wurde. Auch laBt sich aus dcr AnaIogie mit anderen Elementen die Existenz vieler Polysauren voraussehen, die bisher nicht dargestellt sind. Gerade auf diese Punkte, in denen, wenn die Grundlage richtig ist, die weitere Forschung ansetzen mu& wird besonders aufmerksam gemacht werden. EIingegen darf man nicht erwarten, daB diese rein systematischen Betrachtungen in den zahlreichen Fallen, in denen, besonders bei den Isopolysauren, die Formulierung strittig ist, einen Ausschlag zugunsten der einen oder anderen Formel erbringen kiinnen.

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Es wird daher in solchen Fallen fur jede der experimentell hinreichend gestutzten Formeln das Konstitutionsbild aufgestellt. Einen wesent- lichen Beitrag zur spateren Entscheidung bringen die folgenden Be- trachtungen imrnerhin in den FBllen, in denen eines der strittigen Konstitutionsbilder sehr unsymmetrisch ausfallt.

1. Polysauren aus Tetraeder-Gruppen

Bei den am einfachsteii zusammengesetzten Xauren ist die hier vorgeschlagene Konstitutionsformel schon ziemlich allgemein angenommen. Diese Sauren sind nur deshalb mit aufgenommen, damit deutlich wird, daB die obige Regel auch fur diese einfachen Verbindungen gilt.

Die Pyrosauren und die ihnen analog zusammengesetztun Hetero- polysaurun bilden ein Doppe l t e t r aede r (Fig. l), denn sie haben, wie schon S. 290 angegeben wurde, die Kennzahlen m = 2, o = 7, a = 0, b = 1, c = 1. Hierher gehoren die Salze der folgenden Siiuren:

H,[S207], H2[Se207], H,[Se%(SO4)], HLSeO,(Cr04)], H2[Te207], Hz[Cr207], H2[310,07], HdU2071, HdP'&(sOJI, H3PO3(SeO4)], I%[PO,(MoOd] Y H4[P207] 3 H4[A%O,I 7 H4[Sb20,1 3 H U Z O ~ I ,

H4[Ta207], H4[Nb,O7], H&f%O7]. Bei diesen Komplexsauren ist nur diese eine Anordnung moglich. Die ihnen eigentumliche Atomgruppierung, das Doppeltetraeder [E20,], ist ein in zahlreichen Polysiiureanionen vorkommender Radikalkomplex.

Wird das Anion aus 3 T e t r a e d e r n gebildet, so bestehen 2 Kon- stitutionsmoglichkeiten, fur die Beispiele bekannt sind. Die 3 Tetra- eder konnen durch 2 Bindestellen verbnupft sein (Fig. 4), dann

Fig. 4 Fig. 5

lauten die Kennzahlen: m = 3, o = 10, a = 0, b = 2, c = 2. Bei- spiele fur diese Anionenkonstitution sind die Salze (Me bedeutet ein einwertigus Metall) : Me2[Cr,010], Me2[Mo3010], Me3~02(Mo04)J, Me,[As02(Cr04),], MeSIP,OI,,], Me,[Si,O,,]. Auch diesen Radikal- komplex, das Dre i f ach te t r aede r [E3OI0], werden wir in einigen kompliziert zusammengesetzten Polysauren wiederfinden. Die zweite Anordnungsmoglichkeit ist die, da13 die 3 Tetraeder einen Ring bilden (Fig. 5). D a m hat das Anion die Kennzahlen m = 3, o = 9,

19*

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292 Zeitschrift fur anorganische nnd allgemeine Chemie. Band 221. 1935

a = 0, b = 3, c = 3. Diese Konstitution haben die Salze Me,[V,O,],

Bei den aus 4 Tet raede rn aufgebauten Anionen sind 3 sym- metrische Anordnungen moglich. Betrtigt die Zahl der Bindestellen 3, so konnen die Tetraeder entweder eine 4-gliedrige Kette bilden (Fig. 6) oder um ein in der Mitte stehendes Tetraeder herumgelagert sein (Fig. 7). Beiden Anordnungen entsprechen die Kennzahlen m =4, o = 13, a = 3, b = 3, c = 3. Bei den Salzen der 3Molybdo-Arsen- sibure H3[AsO(Mo04),] und der 3 Chromo-Titansaure H4[TiO(Cr04),]

M~,[Si,Og] 7 Mez[ZrO,( S,O,)].

Fig. 6 Fig. 7

kann kein Zweifel bestehen, da13 die drei gleichen Mo- bzw. Cr-Tetra- eder urn das As- b m . Ti-Tetraeder herum gruppiert sind, da13 also die Konstitution dieser Salze der Fig. 7 entspricht. Die ketten- formige Anordnung der Tetraeder (Fig. 6) liegt sehr wahrscheinlich bei den Saben der 2 Sulfo-2Phosphorsiiure HJP,O,(SO,),], der 2 Sulfo - 2hrsensaure H2[Asz05(S04)2] und der 2 Sulfo - 2 Jodstiure &[J205(S04),] vor. Denn bei diesen Sguren sind j e 2 Tetraeder zweier verschiedener Stammionen im Siiureanion vorhanden.

Jede der 3 Siiuren konnte in 3 iaomeren Formen vorkommen, je naehdem ob beide SO,-Radikale, ob ein SO,-Radikal oder ob kein SO,-Radikal an den Enden der Kette stehen. Wahrscheinlich ist nur die Anordnung bestiindig, bei der die beiden SO,-Radikale die Enden der Kette bilden. Denn da die Schwefel- atome + VI, die anderen Atome aber + V Ladungen haben, so besitzen bei dieser Konstitution alle 4 Tetraeder die gleiche Ladung - I. Ale Beispiel diene die 2SuIfo-2Phosphors~ure. Die Sauerstoffatome verteilen sich dann in folgender Weise a d die 4 Tetraeder: so~l /~, PO,, PO,, so3r;,. Stiinden aber die Schwefel- atome in der Mitte, so besiLBen, da die 4 Tetraeder dann gebildet wiirden von POslia, SO3, SO,. P03li2, die Endtetraeder die Ladung - I1 und die mittleren Tetraeder aber die Ladung 0. Stiinde nur 1 SO,-RadikaI a m Ende der Kette, so wiire die Lrtdungsverteilung noch ungleichmiiBiger, denn die 4 Tetraeder wiiren dann S03y2, PO,, SO,, Po31/2 und ihre Ladungen betriigen - I, - I, 0, - 11.

Endlich sind zahlreiche Salze bekannt, bei denen es ungewilj ist, ob man ihnen die Gruppen- oder die Kettsn- konstitution zuschreiben soll. Das sind die Salze der fol- genden Sauren: H2[Cr,01,], H,[Mo401,], H6fP40,,] und

Beriihren sich die 4 Tetraeder mit 4 Bindestellen, so bilden sie einen Ring (Fig. 8). Die Siiureanionen dieser Konstitution haben die

Fig. 8 H6[v40131*

@

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Kennzahlen m = 4, o = 12, a = 0, b = 4, c = 4. Die Salze der Siiuren

H2[J204(Cr04)~1 7 H2[ J 2 0 4 ( ~ f O o 4 ) z l 9 112t J2°4(w04)d

H2p2°4(s04)d 3 HdAs20,(Mo04)21 7 HdSi4Od haben diese Konstitution. Diese besonders stabile Anordnung findet sich also, wie zu erwarten, am haufigsten.

Es ist von den komplexen Amminen und den ebenso konsti- tuierten Aquosalzen her bokannt, da13 Komplexgruppen die Neigung haben, sich urn eine Zentralgruppe herum zu gruppieren, und daB die Bildung langer Ketten, wie sie fruher von BLOMSTRAND und WURTZ angenommen wurde, niemals nachgewiesen werden konnte. Wir haben daher auch zu erwarten, daB bei den Polysauren Iange Tetracder- ketten, wie sie urspriinglich ULLIK~) angenommen hat, unbestgndig sind und zu zentrisch gebauten Tetraedergruppen umgelagert werden. Bei den aus 4 Tetraedern gebildeten Anionen lafit sich, wie gezeigt, bei einigen Salzen ihre Konstitution durch Annahme der Kettenformel, bei anderen durch Annahme der GruppenformeI besser erklaren. Bei den aus 5 und mehr Tetraedern gebildeten dnionen liegen keine Er- scheinungen mehr vor, die fur die Annahme gestreckter Ketten sprechen. Wir werden daher bei der Besprechung dieser Anionen- gruppen die Moglichkeit dieser Anordnung nioht weiter erortern und uns auf die anderen Gruppierungsmoglichkeiten beschranken.

Bei den aus 5 Tetraedern gebildeten Anionen sind aus Sym- metriegrunden nur die durch Fig. 9 und Fig. 10 gekennzeichneten

Fig. 9 Fig. 10

hnordnungen bestandig. Das Anion [E5OI6] hat die Kennzahlen m = 5 , o = 16, a = 0, b = 4, c =4. Salze dieser Konstitution (Fig. 9) kennt man bei den Sauren H,p(CrO$a und H,[V50,,J2). Das Anion [E5OI5] hat die Kennzahlen rn = 5, o = 15, a = 0, b = 5, c = 5. Diesen ringformigen Bau (Fig. 10) hat das von JANDER und JAHR~) dargestellte 5 Vanadat K,(VO)[V50,,]. Auch die von ihnen

l) Sitzungsberichte der K. Akademie der Wissenschaften in Wien, Math.-

2, G. JANDER u. K. F. Jm, Z. anorg. u. allg. Chem. 220 (1934), 201. Naturw. Klasse 60, 2 (1869), 318.

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294 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 221. 1935

dargestellten sauren Kalium-5 Vanadtite K2H5[V5016] und K3H4W5Ol6], denen man nach JANDEIL die der Fig. 9 entsprechende Konstitution zuschreiben muB, konnten als Salze der cydischen 5 Vanadinsaure H5[V5Ol5] aufgefaBt werden, wenn man 1 H,O-Molekel mehr als Kristallwasser ansieht.

Besteht das Polysaureanion aus 6 Tehraedern , so gibt es 2 symmetrische Lagerungsmoglichkeiten, fur die experimentelle Be- lege bekannt sind. Den sperrigstmoglichen Bau besitzen die Anionen mit 5 Bindestellen (Fig. 11). Das Anion dieser Verbindungen hat die Kennzahlen nz = 6 , o = 19, u = 0, b = 5, c = 5. Die GNiobate Me,[Nb,O,(NbO,),] und die 6Tantalate Me,[Ta,O,(TaO,)J gehoren hierher .

Fig. 11 Big. 12

Bei den Anionen, die eine Bindestelle mehr besitzen, mu6 man ringformige Bindung annehmen (Fig. 12). Sie haben die Kennzahlen m = 6, o = 18, a = 0, b = 6, c = 6. Dime Konstitutionsformel wird man den Salzen der GKieselsaure H12[(Si03)6] und der Gh’iob- saure H,[(NbO,),] zuschreibenl).

Die im Vorhergehcnden besprochenen Polysluren waren so ein- fach zusammengesetzt, daB die hier aufgestellten Konstitutions- formeln recht wahrscheinlich sind. Bei den folgenden, aus m e h r als 6 R a d i k a l e n bostehenden PolysSuren kanri man aweifelhaft sein, ob die Annahme, daR sie nur aus Tetraedern aufgebaut sind, noch gerechtfertigt ist. Macht man diese L4nnahme, so kommt man fur die von JANDER und JAEIP,~) gefundene 8Vanadinslure H,[K4V,025~ zu folgendem Ergebnis. Als eine Diaquosaure kann man diese Saure nicht auffassen, denn es laBt sich fur eine solche kein einfttchee Formelbild finden. Nimmt man aber fur das Saureanion die Formel

I) Wenn uberhaupt eine 6Vanadinsgure existiert, was nach den oben an gefiihrten Arbeiten von JANDEE u. JAHR nahezu ausgeschlossen ist, so mii0tc sic die den obigen Polysaurcn maloge Formel H,[(VO,),J haben. Eine 6Vanadin same H,[H,(VO,),] kann es schon deshalb nicht geben, weil sich kein einfacha Strukturbild fur eine solche Siiure finden I%&.

2, G. JANDER u. K. I?. JAHR, Z. anorg. u. allg. Chem. 211 (1933), 49; 215 (1933), 1.

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E. H. Riesenfeld u. M. Tobiank. Uber Polysiiuren 295

[V,0,5]-x an, so kann das komplexe Anion, wie Fig. 13 zeigt, aus einern [V,O,]-Doppeltetraeder bestehen, dessen freie Sauerstoff- ionen durch [V04]-Tetraeder ersetzt sind. Die Kennzahlen der 8Vanadinsaure sind m = 8, o = 25, a = 0, b = 7, c = 7. Ihre Kon- stitutionsformel ist Hlo[VzO(V04)6].

Man kann annehmen, daB das Anion der von ROSENHEIM und seinen Mitarbeiternl) dargestellten gelben 12Molybdo-Pyrophosphate [P,Mo1,O4,]-~~ ganz Bhnlich gebaut ist (Fig. 14). Alle freien Sauerstoff- ionen des Zentraldoppeltetraeders sind durch Doppeltetraeder ersetzt.

Fig. 13 Fig. 14 Fig. 15

Die Kennzahlen m=14, o =43, a=O, b=13, c= 13 fuhren zu dieser Konstitution, die man Me,~,O(Mo,O,),] schreiben mul3. Die Tat- sache, daB diese Pyrophosphate eine Grenzreihe bilden, d. h. daB es bei ihnen - im Gegensatz zu den Phosphaten - in keiner Weise gelingt, mehr als 6Mo auf 1P in die Molekel einzulagern, und die gelbe Farbe dieser Verbindungen spreohen sehr zugunsten dieser Formel. TVir finden nBmlich bei den Polymolybdaten, da13 oft die Verbindungen gelb sind, wenn die Konstitutionsformel das Vorhanden- sein von [Mo,O,]-Doppeltetraedern erweist.

Fur die ebenfalls sehr symmetrische Anordnung, bei der alle 4 Bindestellen des Zentraltetraeders durch Dreifachtetraeder ab- gesattigt sind, wie es Fig. 15 zeigt, finden sich zahlreiche Beispiele. Die Kennzahlen dieser Verbindungen sind m = 13, o = 40, a = 0, b = 12, c = 12. Eine solchc Konstitution haben die 12lSIolybdo- und 12 Wolframo-Borate, -Silikate und -Phosphate, also die Salze der

und H,[P(W,01,,)4]. Diese Konstitution kommt den von M' und Sguren H~[B(W~OIO)J, H~[S~(M%OIO)~], H~[S~(W~OIIJ)~], H~~(MO,ol~>hl

l) A. ROSENHEI~X u. M. SCHAPIRO, Z. anorg. u. allg. Chem. 129 (1923), 196.

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296 Zeitsohrift fiir anorganische und allgemeine Chemie. Band 221. 1935

M"" E. KAIIANE l) dargestellten wasserfreien 12 Wolframo-Silikaten und -Phosphaten zu. Diese 4-basischen 12 Wolframosalze konnen also eine ganz andere Konstitution besitzen als die auf S. 303 be- handelten 8-basischen, was in den beiden versehiedenen Konstitutions- formeln

Me,[ Si(W3010)4] und Me,[ Si(W,O,),]

und den ihnen entsprechenden Formelbildern gut zum Ausdruck kommt. Dasselbe gilt von den Molybdophosphaten, von denen man ebenfalls wuBte, da!3 sie in der ,,gesiittigten GrenzreihecL 3-basische und 7-basische Salze bilden konnen entsprechend den Formeln

Gegen diese Formeln konnte man folgendes Bedenken geltend machen. Bei den Phosphormolybdaten z. B. kann man aus der gleichen Losung je nach der zugefugten Base sowohl die im Komplex w0,O7]- Gruppen wie die im Komplex [M~,O,~]-Gruppen enthalten- den Salze erhalten. Die Umlagerung der einen Ionenart in die an- dere muS daher sehr schnell erfolgen. Dies zwingt zur Annahme, daB in diesen Losungen nebeneinander die Gleichgewichte

und 2Mo0," + 2H' r Mo,07" + H,O

3 MOO," + 4H' fr Mo,O,," + 2 H,O bestohen, wobei die Konzentration von Mo2O7", wie die JANDaR'SChen Diffusionsbestimmungen beweisen, nur klein ist, und daB sich dicse Gleichgewichte, ahnlich wie dies von den Polychromaten her bekannt ist, sehr schnell einstellen.

In diese Abteilung gehoren schlieBlich eine hnzahl Phosphite und Hypophosphite. Das Phosphition hat bekanntlich die Kon-

stitution [EP;]", das Hypophosphition die Konstitution [HP"]' . Beide konnen also als Tetraeder aufgefal3t werden. Das Yhosphit- tetraeder ist an 3 Ecken, das Hypophosphittetraeder nur an 2 Ecken mit 0-Atomen besetzt. Nur letztere konnen durch andere Tetraedcr- gruppen ersetzt sein, also Bindestellen bilden. Um hierauf hinzu- weisen, sind in der figiirlichen Darstellung die H-Atome an den nicht bindungsfilhigen Tetraederecken angebracht.

Die komplexen Phosphite haben die Kennzahlen rn = 7, o = 21, a=O, b=7, c=7 (Fig. 16). Die mit H-Atomen bosetzten und daher

l) Mr u. Mme E. KAHANE, Bull. SOC. Chem. (4) 49 (1931), 559.

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nicht mehr freien Tetraederecken werden also nach dieser Be- rechnungsweise mit zu den Bindestellen geziihlt. Bekannt sind bisher nur Molybdosalze, die sich von der Saure H,[PH(Mo,O~)~] ableiten.

Den Hypophosphiten liegt eine aus 5 Tetraedern aufgebaute Gruppe zugrunde, die nur die durch Fig. 17 gekennzeichnete Struktur

Fig. 16 Fig. 17

haben kann. Sie hat die Kennzahlen m = 5, o = 14, a = 0, b = 6, c = 6. Rein dargestellt sind bisher nur die 2Dimolybdo-Hypophos- phite der einbasischen Saure H~H,(Mo,O,),].

2. Polysauren aus Tetraeder-Bandern

Auf die Existenz von Bandstrukturen ist man zuerst bei der Untersuchung der Polysilikate aufmerksam gewordenl). In den Bandern kiinnen die Komplexionen beliebige Lange haben, denn sie ist nur durch die Dimensionen der Kristalle begrenzt. Im folgenden sol1 nun gezeigt werden, da13 solche Bandanordnungen auch zur Er- kliirung des Aufbaus anderer Polysauren angenommen werden miissen. Dem einfachen Band, dessen Glied durch die Pig. 18a und 18b

Fig. 18a Fig. 18 b Fig. 19a Fig. 19b

dargestellt ist , entsprechen die Kennzahlen m = 2, o = 6, a = 0, b = 2, c = 2. Jede der in diesen Figuren durch Pfeile kenntlich gsmachten Stellen, an denen sich das gleiche Glied wieder anschliefit, entspricht also 1/2 Bindungsstelle. In dieser Weise entstehen die beiden in den Fig. 19a und 19b wiedergegebenen Bander. Den Salzen der Metavandinsaure H2[V,0J wird man die einfachere in Fig. 18a und 19a angedeutete Konstitution zuschreiben. Diese

l) Vgl. z. B. E. SCRIEBOLD, Ergebnisse der exakten Naturwissenschaften 11 (1932), 362.

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298 Zeitsehrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 221. 1935

Konstitution kann sich nur auf den kristallisierten Zustand beziehen. In waBriger Losung zeigen die Metavanadate Polymerisationserschei- nungenl). Diese hiingen innig mit der Bandstruktur im kristalli- sierten Zustand zusammen, denn die einzelnen Glieder konnen in Losungen nicht frei existieren, sondern lagern sich in noch nicht niiher belrannter Weise zusammen. Dasselbe gilt fur die Meta- silikate, Metaphosphate und andere Metasalze, fur die ebenfalls im kristallisierten Zustand Bandstruktur anzunehmen ist. Das anomale Verhalten vieler dieser Metasalze in Losungen bei kryo- skopischer Bestimmung, bei Leitfiihigkeitsmessung usw. ist seit langem bekannt.

Es ist vorauszusehen, daB man die gleichen Erscheinungen auch bei den Losungen der folgenden Salze rnit Bandstruktur beobachten wird, die nocht nicht naher untersucht sind : Me,[VO,(PO,)], Ne,[VO,(AsO,)], Me[U0,(P03)] und Me[UO,(AsO,)]. Wahrscheinlich besitzen diese Salze, deren Anion aus zwei ungleichen Tetraedern besteht, einen den Fig. 18b und 19b, die diese Un- gleichartigkeit zum Ausdruck bringen, entsprechenden Bau.

Eine etwas komplizicrtere Bandstruktur besitzen die Salze der 2Vanado-Arsensaure H[AsO,(VO,),], deren Elementargruppe die Kennzahlen m = 3, o = 8, a = 0, b = 4, c = 4 hat. Die Glieder der Bandstruktur konnen entweder die durch Fig. 20a oder die durch Fig. 20b beschriebene Anordnung besitzen. Die Bander, die

Fig. 21a

Fig. 20b Fig. 21 b

sich aus den durch diese beiden Figuren dargestellten Gliedern zu- sammensetzen, sind in den Fig. 21 a und 21 b wiedergegeben. Eine Entscheidung zwischen diesen beiden Aufbaumoglichkeiten wird schwer zu erbringen sein. -~ ~-

l) P. D~~LLBERU, Z . phys. Chem. 45 (1903), 129.

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E. H. Riesenfeld u. M. Tobiank. iiber Polysauren 299

3. Polysauren aus Gruppen mit I Zentraloktaeder

Die einfachsten der in diesen Abschnitt fallenden Polysalze sind die der 1 Molybdo-Perjodsaure H5[ JO,(MoO,)J. Sie konnen keine andere als die durch Fig.22 wiedergegebene Struktur haben, da die Kennzahlen des Anions m = 2, o = 9, a = 1, b = 1, c = - 1 sind. Ebenso sicher wie die Konstitution der 1 Molybdo-Perjodate steht die der starker abgestittigten 4Molybdo-Perjodate Me,[ JO,(MoO,),] (Fig. 23) fest,, deren Kennzahlen rn = 5 , o = 18, a = 1, b = 4, c = 2 sind.

Ganz abgesattigt sind erst die Sake der Sauren, deren Anionen die Kennzahlen m =7 , o =24, a = 1 , b = 6 , c = 4 zukommen

B Fig. 22 Fig. 23

(vgl. Fig. 2). NaturgemaB kennt man recht viele Sauren dieser symmetrisehen Atomverkettung, deren Bestandigkeit mit ihrem symmetrischen Aufbau zusammenhangt. Man bezeichnet diese Saure- klasse oft als die 6er-Klasse der Heteropolysauren. Ihre Kon- stitution ist von MIOLATI und ROSENHEIM eingehend untersucht worden, und diese kommen schon zu der gleichen Konstitutions- formel, die auch wir ihnen beilegen miissen. Zu dieser Klasse ge- horen die Heteroperjodsauren €I,[J(MoO,),J und H5[J(wo4)6], die Heterotellursauren H,[Te(MoO,),] und H6[Te(W04),] und die Molybdo- und Wolframosauren zahlreiclier dreiwertiger Metalle, namlieh :

€&.[A~(XOO~)~], €&@?e(W04)6] und &[&fn(WO,),J. Von diesen Hetero- polysauren kommt man leicht zu den Komplexsalzen, wie man durch Vergleich der beiden Formeln Hg[Co(MoOJ6] und H,[Co(NO,),] un- mittelbar ersieht.

Nachdem Co~auxl) schon vorher eine ahnliche Formulierung vorgeschlagen hatte, hat ROSENHEIIVI~) zum ersten Male darauf hin- gewiesen, daB gewisse Isopolysauren diesen Heteropolysauren ganz analog gebaut sind, wofern man nur einen Teil des Wassers als Kon- stitutionswasser in den Komplex hineinnimmt. Dies ist berechtigt, da dieses Wasser ohne Zerstorung des Komplexes nicht zu entfernen

H9[Cr(Moo4)61 3 &[Fe(Mo04)61 9 139[c0(nf004)61, H9[Rh(Mo04)61~

1) H. COPAUX, Compt. rend. 166 (1913), 1771. 9 ) A. ROSENELEIIS, Z. anorg. u. allg. Chem. 95 (1916), 139.

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300 Zeitschrift fiir anorganische und allgemeine Chemie. Band 221. 1935

ist. Tut man dies, so kann man die scheinbaren Isosauren als Deri- vate einer hypothetischen Aquosaure H,,[H,O,] auffassen, in denen die zweifach positiv guladene Wasserstoffrnolekel den Kern des Zentraloktaeders bildet , dessen Ecken durch [EOJ-Tetraeder substituiert sind. So kommt man fur die P a r a m o l y b d a t e zur Formel

Meio[HdB1004>61 und fur die P a r a w o l f r a m a t e eur Formel

Fur diese Salze erhalt man nach der hier benutzten Regel die gleichen Kennzahlen wie fur vorstehende Heteropolysalze, niimlich m (6Mo + IH,) = 7, o = 24, a = 1, b = 6, e = 4, also ebenfalls die in Fig. 2 wiedergegebene Konstitution.

Diese Berechnungsart bezieht sich aber nur auf Anionen- komplexe, die sich von Aquosguren ableiten, und nicht auf solche, bei denen ein oder mehrere m7asserstoffatoine aus dem Grunde in den Komplex hineingezogen werden, weil sie schwer oder gar nicht durch Metalle ersetzbar sind. So sohreibt man die 6Dimolybdo- Phosphorsaure H,[P(Mo~O,)~] bisweilen, um anzudeuten, daB in ihr nur 3H- Atome durch Metall- oder Ammonium-Ionen ersetzbar sind. Bei den in dieser Weise geschriebenen Komplexen bleiben bei Anwendung obiger Berechnungsart die im Komplex stehenden Wasserstoffatome unberucksichtigt. Strukturell besteht der Unter- schied darin, daB bei den Aquosauren die H,-Molekel den Kern des Radikals [H,06]-x bildet, nIso im Schwerpunkt des Komplexes steht. Bei den sauren, wasserstoffhaltigen Ionen sind eine oder rnehrere an den Ecken von Radikalen stehenden 0-Atome durch die OH-Gruppe ersetzt. Es treten demnach z. B. ~0,OHJ-Radikale an die Stelle von [EOJ-Radikalen. Diese in der aul3eren Hdle des Kom- plexes stehenden H-Atome konnen unter besonderen Umstiinden austreten, d. h. durch Xationengruppen ersetzt werden. Es macht daher keinen Unterschied, ob man x. B. den obigen Anionen- komplex

[H4P(hlo,07),]-1Tr, [H,P(Mo,07),]-~~ . . . , oder [P(&IO~O,)~]-”~~

schreibt. Ob der Komplex Basen gegeniiber als - 111-wertig oder hoherwertig auftritt , kann von der Loslichkeit und Hydroly- sierbarkeit der durch Ersatz der H-Atome in der auBeren Hiilk des

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E. H. Riesenfeld u. M. Tobiank. Ober PolysLuren 301

Komplexes entstehenden Salze abhangen und braucht daher die Konstitution des Komplexes selbst nicht zu beeinflussen.

In den bisher besprochenen Verbindungen waren an die Ecken des zentralen Oktaederradikals nur einfache Tetraeder angelagert. In den folgenden sind diese teilweise oder vollstandig durch Doppel- tetraeder ersetzt. Man kennt nur eine Klasse solcher ungesattigten Verbindungen, namlich die, bei der am Zentraloktaeder 2 Tetraeder und 4 Doppeltetraeder hangen (Fig. 24). Auch von diesen gibt es nur wenige Beispiele, ihre Kennzahlen sind m = 11, o = 36, a = 1, b = 10, c = 8. Es sind dies die Salze der Dekasiiuren, namlich der 1UWolframo- Phosphate H7[P(W04)2(W20,),J, der 10Molybdo- Arsenate H,[A~(MoO,),(MO,O,)~] und der 10 Wolf- ramo- Silika te Big. 24

ROSENHEIM~) schreibt diesen Siiuron etwas andere Formeln zu, z. B. H8[SiO(W20,),]. Aus Symmetriegrunden ziehen wir die obige Schreibweise vor.

Die gesattigte Grenzreihe ist die bekannte 12er-Klasse, deren Konstitution ebenfalle zuerst durch die grundlegenden Arbeiten von ROSENHEIM und MIOLATI ermittelt worden ist. Diese nehmon fur die Salze der 12er-Klasse den gleichen Aufbau mi0 fur die der 6er-Klasse an (vgl. S. 299), nur daB in ihnen die [EOJ-Gruppe durch die [E,O,]-Gruppe ersetzt ist. Eine ganz andere Formulierung wahlte, wie im folgenden Beispiel der Wolframosauren gezeigt wird, PAULING in der oben angefuhrten Abhandlung.

PAULING nimmt an, daB sich diese Verbindungen von einer Metawolframsiiure der folgenden Formel ableiten, in der die zentrale Wasserstoffmolekel durch andere Btome ersetzt sein kann :

”* H S [ S ~ ( W O ~ Z ( ~ Z O , ) ~ ~ 3

H6[H204. w1&(oH),6l H4IISiO4. W12OdOH),6l H5IIBO4. Wl,Ol8(OH)361 H3[p04’ W12°18(0H)361 ’

Als ein Argument fur diese von PAULING vorgeschlagene Formeln konnte man anfuhren, daB die von HOARD^) ausgefuhrte Rontgen- analyse dieser Formulierung nicht widerspricht. Da aber nach HOARD die Elementarzelle der 12Molybdophosphate aus 8 P-Atomen, 96 Mo-Atomen und wenigstens 320 O-Atomen besteht, so lassen sieh

l) A. ROSENHEIM, X. anorg. u. allg. Chem. 220 (1934), 82. z, J. L. HOARD, Z. Kristallogr. 84 (1933), 227.

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302 Zeitschrift fur anorganische und allgenreine Chemie. Band 221. 1935

noch viele andere Atomanordnungen ausdenken, die ebenfalls nicht im Widerspruch zur Rontgenanalyse stehen.

Auch stimmen KEG GIN'S^) an Phosphorwolframsaurepulver ge- machten, rontgenanalytischen Befunde mit denen HOARDS nicht uberein. KEGGIN deutet sein Rontgenogramm in folgender Weise. Dss Phosphorsaure-Zentraltetraeder ist von 4 Triwolframsaure-Okta- edern umgeben. Diese Deutung wird dadurch ermoglicht, da13 die P ~ u ~ ~ ~ c - R e g e l - 2 Radikale konnen irnmer nur 1 O-Ion gemeinsam haben - fallen gelassen wird. Die Wolframsaure-Oktaeder werden von KEGGIN so zusammengefugt, daIj sie je 2 O-Ionen mit den1 rechts und dem links benachbarten Oktaeder gemsinsam haben. Das 5 . O-Ion haben alle 3 Wolframsaure-Oktaeder einer Gruppe unter sich und rnit dem Phosphorsaure-Zentraltetraeder gemeinsam. Das 6. O-Ion ist frei. Auf diese T'eise kommt KEGGIN zu der Struktur- formel H3[P(W3010)4], die mit der von uns auf S. 295, Fig. 15 auf- gestellten ubereinstimmt. Bisher ist unseres Wissens die von KEGGIN in Aussicht gestellte ausfuhrliche Veroffentlichung noch nicht er- schienen. Es la& sich daher nicht entscheiden, ob die rontgeno- graphischen Dater1 nicht auch der von uns vorgeschlagenen Kon- stitution genugen. Der Vnterschied besteht darin, daB wir anstett der Wolframsaure-Oktaeder ebensolche Tetraeder annehmen. Das gestathet uns, an der PAuLIKG-Regel festzuhalten, durch deren Auf- gabe ein neuer Unsicherheitsfsktor in die Strukturdeutung der Poly- sauren hineinkommt, der das Problem stark kompliziert.

Die nur wenig bnfriedigenden Ergebnisse dieser rnit den besten theoretischen und techniechen Hilfsmitteln ausgefuhrten rontgens- graphischen Untersuchungen beweisen gleichzeitig, da13 die Rontgen- analgse nicht imstandc ist, die dtomanordnung so komplizierter Kom- plexe, wie die der Salze der Polysauren, aufzuklaren, sondern nur insofern wichtige Beitrage liefert, als sie gewisse Atomanordnungen ausschlieBen bann.

Der Haupteinwand gegen PAULING'S Konstitutionsformeln wurde schon in der Einleitung (S. 287) vorgebracht. E r besteht in folgendem. Das im Kern des Kornplexions stehende Sguretetraeder schwebt frei in der Schale der auBeren Gruppen. Das ist ein ad hoe angenommenes Aufbauprinzip, das sich weder in der anorganischen noch in der organischen Chemie irgendwo wiederfindet. Aber nuch viele chemische Tatsachen sprechen gegen diese Formulieruiig2).

l) J. F. KEGGIN, Nature 131 (1933), 908; 132 (1935), 361. 2, A. ROSENHEIM, Z. anorg. u. allg. Chem. 220 (1934), 83.

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E. H. Riescnfeld u. M. Tobiank. uber Polysauren 303

Neuerdings wandten sich G. JANDER und H. WITZMANN~) gegen die von R ~ I O L A T I und ROSENHEIM aufgestellten Formeln. Sie zeigten experimentell, daB bei Saurezusatz zu Wolframsiiure [WO&II die Bildung von Diwolframsaure [W,0,]-11 nicht beobachtet werden kann, sondern sich die Wolframsiiure sofort zur Hexasaure [W602J-x11 polymerisiert. Dies beweist aber zunachst nur, daB die Ionen der Wolfram- und die der Hexawolframsaure in einem grol3en pH-Inter- vall stabil sind, sagt aber gar nichts daruber Bus, ob nicht die Poly- merisation doch uber die Diwolframsaure erfolgt, dieser Ubergang aber durch die von G. JANDER angewandten Methoden gar nicht gefunden werden konnte. Die Bildung von Doppeltetraedern [E207] ist in so vielen Disauren mit Sicherheit nachgewiesen (vgl. S. 291), und die Doppeltetraeder treten auch, abgesehen von den sehr zahl- reichen Salzen der 12er-Klasse, so oft als Strukturelemente in Poly- sauren auf, dnIj diesem grol3en Tatsnchenmaterial gegenuber die Diffusionsgeschwindigkeitsmessungen allein nicht als ausschlaggebend angesehen werden konnen. Auch aus den Messungen der Extinktions- konstantenl) kann nur der SchluB gezogen werden, daB infolge hydrolytischer Spttltung in den untersuchten Losungen die Ronzen- tration der IXetero- und Isopolysauren gegen die der Dissoziations- produkte zurucktritt. Dies spricht in keiner Weise gegen ihre Existenz in kristallisierter Form.

Fur die folgenden Heteropolysiiuren halten wir also die von MIOLATI und ROSENHEIM aufgestellten Strukturformeln imnmer noch fur diejenigen, welche die expurimentellen Beobachtungen am ge- nauesten wiedergeben und mit unseren sonstigen Strukturanschau- ungen am bcsten ubereinstimmen. Diese Forrneln ergeben sich auch bei der Anwendung der PAurmc’schen Regel in der him vor- geschlagenen Jj’orm. Denn man erhalt fur die Sauren der 12er-Klasse die Kennzahlen m = 13, o = 42, a = 1, b = 12, c = 10, die zu dem in Fig. 3 miedergegebenen, einfachen und symmetrischen Struktur- bild fuhren. Dieses gilt demnach fur die Salze folgender Sauren:

H8[si(D102 O7)61 H8[ Sn ( !k10207)6] H8[Si(Tv7T207>61 H&W1$rJA)J H8[Ti(Mo2O7),l H7[P(N0207)61

H8[Ce(R10207)61 E’7[p(JvZ07)61 Hf3[Zr(Mo207)61 H7[As(’iro207)61

WW~020J61 I%t J017207>6i. ____ ___

1) G. JANDER u. H. WITZMANN, Z. onorg. u. allg. Chem. 214 (1933), 146.

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304 Zeitsckift fiir anorganische und allgemeine Chemie. Band 221. 1935

Nach COPAUX~) und ROSENHEIM~) konnen auch die Me ta- molybdate und Metawolframate als Salze der 12er-Klasse auf- gefal3t werden. Analog zu den obigen Hetropolysiiuren konnen diese Salze als solche der 6Dimolybdo-Aquosiiure Hlo[H2(Mo20,),] und der 6Diwolframo-Aquosaure Hl,[H2(W20,)G] beschrieben werden. Fur diese Formulierung sprechen die zahlreichen Isomorphieerscheinungen, die sich zwischen Hetero- uiid Isosalzen finden. Weiter braucht an dieser Stelle auf die Berechtigung dieser Auffassung nicht eingegangen zu werden, weil KOPPEL~) das fur und gegen dieselbe sprechende experi- mentelle Material schon sehr sorgfiiltig zusammengetragen hat. Die Annahme, daB bei diesen SBuren ebenso wie in den schon vorher besprochenen Paramolybdaten und Parawolframaten eine H,Moleksl den Kern des Zentralradikals bilden kann, stutzt PAULING durch den Hinweis, daB auch in den Heterosauren nur Atome mit kleinem Atomdurchmesser - B, P, X i - als Saurebildner wirken. Diese Be- hauptung laBt sich aber, wie die obige Zusammenstellung zeigt, nicht aufrecht erhalten, tlenn es sind auah Sauren mit Ce und J afs Siiurebildner bekannt, die einen recht grol3en Atomdurchmesser haben.

Eine genauere Betrachtung der Fig. 3 zeigt, daB diem Kon- stitutionsauffassung auch identisch ist mit den von PFEIFFER~) vor- geschlagenen Formeln fur

Metawolframsiiure und Tetramolybdansaure H10~H20G(Wo3)12~ H i d H 2 0 6 ~ 0 0 & l .

Denn im Mittelpunkt des Zentraloktaeders steht das H,-Ion. Urn diese gruppieren sich 6 0-Ionen. Urn sie herum lagern sich in einer 2. Sphiire 6 W0,-Gruppen und in einer 3. Sphare nochmals 6 W0,- Gruppen, zusammen also 12 W03-Gruppen.

Von einigen dieser Siiuren, z. B. der 12 Wolframo-Kieselsiiure sind 2 isomere Formen bekannt. MARIGNAC~) bezeichnete die zweite als Isoform. Einzelheiten iiber die experimentellen Befunde, die zur Annahme dieser Isomerie fuhrten, findet man bei R O S E N I I E ~ ) zu- sammengestellt. Die Isoform ist die unbestandigere, ihr wird daher

H. COPAUX, Ann. chim. phys. (8) 17, 207. 2) A. ROSENHEIM, Z . anorg. Chem. 79 (1913), 292. a) A~EGG-AUERBACH, IV. Bd., 1. Abtl., 2. Hiilfte, Leipzig 1921, S. 635ff.

4) P. PFEIFFER, Z. anorg. u. allg. Chem. 105 (1919), 26. 7 J. C. MABIGNAG, Compt. rend. 55 (1862), 888. 6, A. ROSENHEIM, Heteropolysiiuren, ABEGG-AUERBACR, IV. Bd., 1. Abtl.,

und 82Bff.

2. Halfte, S. 1043.

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E. H. Riesenfeld u. M. Tobiank. Uber Polysiiuren 305

eine weniger symmetrische Struktur zukommen. Dieser Anforderung genugt die durch Fig. 25 wiedergegebene Konstitution, bei der 2 Ecken des Zentraloktaeders unbesetzt und die 4 anderen mit Dre i - f a c h t e t r a e d e r n besetzt sind. Demnach ware die Isosaure eine

Fig. 25

4Triwolfranio-Kieselsaure der E’ormel H,[ SiO,( W30&J. Dreifach- tetraeder konnen nicht so stabil wie die Doppeltetraeder sein, denn ihre Bildung wird auch bei anderen Klassen der Polysauren seltener beobachtet. Das stimmt damit uberein, daB von allen Saben der 12er- Klasse nur die 12 Wolframo-Silikate und -Borate diese Isomerie zeigen.

Bei den Vanado-Molybdo-Polysalzen mussen sogar Vierfach- tetraeder [V,O, .Mo,O,] als Bausteine angenommen werden. Wie Fig. 26 zeigt, sind bei der Grenzreihe der Vanado-Molybdo-Phosphate je 2 Bindestellen des Zentraloktaeders nit einem solchen Vierfaoh- tetraeder besetzt. Diese Konstitution haben die Salze der 3 Divanado- dimolybdo-Phosphorsaure H,[P(V,O,. Mo,O,),] mit den Kennzahlen n~ = 13, o = 39, a = 1, b = 15, c = 13.

Fig. 26 Fig. 27

Diesem Aufbau recht ahnlich ist der durch Fig. 27 angedeutete, bei dem ebenfalls je 1 Vierfachtetraeder 2 Bindestellen des Zentral- oktaeders absattigt. Nur betrigt hier die Zahl der Bindestellen jedes Vierfachtetraeders 4 gegen 3 bei der vorigen Anordnung. Dies ist der Bau der Anionen der 12Vanado-Phosphate Me,[P(V,O,,),] mit den Kennzahlen m = 13, o = 36, a = I , b = 18, c = 16.

4. Polysauren aus Gruppen mit zwei und mehr Zentraloktaedern

Wir besprechen zunachst die Polysiiureanionen, deren Kern aus zwei aneinanderstooenden Oktaedern besteht, und bei denen die

Z. anow n. allg. Chem. Bd. 221. 20

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freieri Bindestellen dieser Oktaeder mit einfachen Tetraedern be- setzt sind.

Diese Konstitution kann man den Paramolybdaten und Para- wolframaten der 6er- und den Metamolybdaten und Metawolframateii der 12er-Klasse zuschreiben, wenn man sich nicht entschlieBt, sie als Heteroaquosauren (vgl. S. 300 und 304) aufzufassen. Nimmt man z. B. bei deli Paramolybdaten, den Salzen der hquosaure H,,[IX,(MOO~)~], an, dalj der Wasserstoff nicht im Kern des Zentral- oktaeders sondern, wie fruher ausgefuhrt (S. 300), an den an das Zentraloktaeder angelagerten Tetraedern steht, so kann man das Anion auch [Mo,O,,]-x schreiben. Fur dieses erhalt man als niedrigste Kennzahlen m = 6, o = 23, a = 2, b = 5, c = 1, nnd aus diesen er- gibt sich die in Fig. 28 dargestellte Konstitution, die am besten durch die Formel [ (MoO~~,~)~(M~O, ) , ] -~ beschrieben wird. Jedes der beiden zusammenhiingenden Zentraloktaeder ist disubstituiert. Dasselbe gilt fur die entsprechend zusammengesetzten Parawolframate. Diese Ver- bindungen gehoren nach dieser Suffassung einer ungesattigten Reihe an.

Fig. 28 Fig. 29

Die entsprechenden Verbindungen der gesattigten Grenzreihe sind die Metamolybdate und Metawolframate. Den Metamolybdaten z. B. miiISte man dann statt der Formel Me,,[H,(Mo,O,),] die Formel Me,o[Mol,O,l] und den Metawolframaten die entsprechende Formel Ble,,[Wl,O,J zuschreiben. Die neueren Untersuchungen von VALLANCE und PRITSCHETT~) am Natriummetawolframatz) sprechen sehr zugunsten dieser Formel. Fig. 29 zeigt die Konstitution dieser Verbindungen, deren Kennzahlen m = 12, o = 41, a = 2, b = 11, c = 7 sind. Aus diesen leiten sich die Konstitutionsformeln H,[Mo,O(MoO,),,] und Hl,[W,O(WO,)lo] ab. Demnach hatte man diese Sauren als 10Mo-

R. H. VALLANCE u. E. K. T. PRITSCHETT, ,Journ. chem. SOC. London 1934, 1686.

”) Die Autoren bezeichnen dm Salz als Natrinmparawolframat.

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E. H. Riesenfeld u. M. Tobiank. uber Polysiiuren 307

lybdo-Dimolybdansaure bzw. als 10 Wolframo-Diwolframsaure zu be- zeichnen. Auch in dieser Weise als Isosiiure gesohrieben, erscheint der Bau dieser Sauren sehr symmetrisch. Zur Entscheidung, welche der beiden Formeln, Heteroaquo- oder IsosLure, besser begrundet ist, reicht das bisher vorliegende experimentelle Material nicht aus.

Nach G. JANDER und H. WITZMANN') sind die Para-, Tri- und Metamolybdate als saure Salze der Saure H6[Mo,0,,] aufzufassen. Sollte diese Formulierung zutreffen, so kiimen diesen Salzen die Kennzahlen m = 6 , o =21 , a - 2 , b =7, c = 3 zu. Fig. 30 zeigt, daB man zwei sich beriihrende Oktaederradikale annehmen muB. Jedes der beiden Oktaeder hat 3 freie Ecken und 2 mit Tetra- edern besetzte , die sich gegenseitig beruhren. Die gleiche Kon- stitution kame dann auch den Wolframaten zu, die sich nach JANDER

Fig. 30 Fig. 31 a Fig. 31 b

von einer Saure der Formel H,[W,O,,] ableiten lassen. Es ist nicht zu leugnen, daB der ungesattigte Charakter dieser Sauren es wenig wahrscheinlich macht,, dal3 sich die teilweise recht stabilen, oben ge- nannten Isopoly-Molybdate und -Wolframate von ihnen ableiten.

Ahnlich, aber wesentlich symmetrischer ist die Konstitution der 10Molybdate Me,[Mo,,03,], deren Existenz freilich durch die JANDER- schen Untersuchungen aweifelhaft geworden ist. Diese Salze haben die Kennzahlen na = 10, o = 31, a = 2, b = 13, c = 9. Zwei Zentral- oktaeder stoBen zusa,mmen, und an jedem hHngen 2 einander be- ruhrende Tet,raeder (Fig. 31 a). Die Formel H,[Mo,O,(Mo,O,),] druckt diese Konstitution am besten aus.

Die Alkalisalze dieser Saure kommen in einer leichtloslichen und einer schwerloslichen Form vor,). Die leichtloslichen Salze gehen beim Erhitaen in die schwerloslichen uber, die also bei allen Tempe-

l) G. JANDER u. H. WITZMAXN, Z. anorg. u. allg. Chem. 215 (1933), 316. 2, A. XOSNNHEIIVI u. J. FELIX, Z. anorg. Chem. 79 (1913), 292.

20*

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308 Zeitschrift fiir anorganische und allgemeine Chemie. Band 221. 1935

raturen bestiindiger sind. Komrnt die durch Fig. 31 a wiedergegebene Konstitution den leichtloslicheren Salzen zu, so wird man den schwerloslichcren die durch Fig. 31 b angedeutete zuschreiben, die, wie man am Modell leicht erkennt, weniger sperrig ais die erste ist.

Sollte sich die JANDER’SChe Auffassung a h richtig erweisen, da13 diem von ihren Entdeckern als 30 Molybdate angesprochenen Salze tatsiichlich 24Molybdate sind, so mu13 diese Isomerieerschei- nung in der auf S. 313 angegebenen Weise erklart werden.

Nach JANDER’S Diffusionsmessungen sollen sowohl die Para- wie die Metawolframate der 6er- Klasse angehoren. BestSitigt sich diese Annahma, so mu13 das ganz verschiedene Verhalten dieser beiden Verbindungsarten ihrer verschiedenen Konstitution zugeschrieben werden. So kann man z. €3. annehmen, da13 dem Anion der Meta- wolframate die in Fig. 28 dargestellte Konstitution

zukommt. Die schwierige Bildung des kornplexen Metawolfrarnat- anions und seine schnelle Hydrolysierbarkeit konnte mit dem aus der Figur ersichtlichen ungesattigten Cherakter zusammenhangen. Fur die Parawolframate kann man dann die symmetrische der Fig. 2 entsprechende Formel annehmen, sie also als Salze der Aquostiure H,,[EI,(WO,),] auffasson.

Tut man dies, so findet man auch leicht eine Erklarung fur die von ROSENHEIM und WOLFF~) beobachtete langsame Umwandlung der Parawolframate in siedend heiBer Losung. Man kann hierbei die schon von diesen anfgestetlte Hypothese, da13 die konstitutive h d e r u n g in einer Hydrolyse besteht, und da13 dabei ein zweikerniges Gebilde entsteht, beibehalten. Man kann niimlich diese aweite Art Parawolframate als Diaquosalze (Fig. 13) der Formel Me,[H,O(WOJ,] auffassen. Sie haben dann die Kennzahlen m = 8, o = 85, a = 0, b = 7 , c = 7 .

Eine andere Erklarung des verschiedenen Verhaltens der Meta- und Parawolframate wird spater (S. 312) besprochen.

Bei den folgenden Polysauren sind die Ecken der Zentraloktaeder durch Mehrfachtetraeder abgesattigt. Unter den Phosphormolyb- daten gibt es Salze, denen die scheinbar sehr komplizierte Formel Mel,~,Mo,,05,] xugeschrieben wird. Sucht man die Kennzahlen dieser Verbindungen: m = 18, o = 59, a = 2, b = 17, c = 13, so sieht man, vgl. Fig. 32, daIj je 4 der 5 freien Ecken der aneinander- stobenden Oktaeder mit Doppeltetraedern besetzt sind. Die Kon-

l) A. ROSENHEIN 11. A. WOLFF, Z. anorg. u. allg. Chem. 193 (1930), 47.

r~w~3~,z)2~w04)41-x

_____

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E. H. Riesenfeld u. M. Tobiank. tfber Polysauren 309

stitutionsformel der freien 8Dimolybdo-diphosphors5lure ist also recht einfach, man schreibt sie am besten Hl,[P20,(Mo,0,)8].

Bei den Verbindungen dieses Typus kann nach unserem Aufbau- prinzip nur diese eine symmetrische Konstitutionsformel aufgestellt werden. Es ist auch z. B. nur ein Silbersalz der Formel

hergestellt wordenl). Fur die gans ahnlich gebaute 9 Dimolybdo- Diphosphorsaure der Formel H,,(P,O,(Mo,O,),) - aq konnen aber zwei

Agl,[P,O,(~~,O7)81. 20 H,O

Fig. 32

L--_\

Fig. 33a Fig. 33 b

verschiedene Konstitutionsformeln nahezu gleicher Symmetrie auf- gestellt werden, und bei diesen Verbindungen sind auch 2 isomere Formen beobachtet wordenz). Die freie Saure bildet ein orange- farbenes und ein gelbes Hydrat, und die -4lkalisalze gelbe und weiBe Isomere. Die heller gefarbten Isomere sind bei tiefer Temperatur, unterhalb etwa 100, die tiefer gefarbten oberhalb 400 bestandig. Die Kennaahlen beider Formen sind m = 20, o = 65, a = 2, b = 19, c = 15. Fur die Konstitution der heller gefarbten Isomere wird man annehmen, daB die der Beruhrungsstelle der beiden Zentraloktaeder benachbarten Ecken mit Doppeltetraedern, und die der Beruhrungs- stelle gegenuberliegenden Ecken mit einfachen Tetraedern besetzt sind (Fig. 33a). Den tiefer gefarbten Isomeren wird man die Kon- stitution der Fig. 33b zuschreiben. Statt der 9 Doppeltetraeder sind

1) A. ROSENHEIM u. A. TRAUBE, Z. anorg. Chem. 91 (1915), 101. 2) 1. c., S. 98. Auf diese Obereinstimmung machte mich Herr Prof. ROSEN-

MEIM aiifmerksam, dem ich hierdurch bestens danke.

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6 Dreifachtetraeder an die beiden Zentralradikale angelagert. Die Formel Me12[P20,(Mo,010),] gibt diese Konstitution wieder. Da schon oft beobachtet wurde, daB der Ersatz von [EOJ-Radikalen durch [E,O,]-Radikalc oder von diesen durch [E,O,,]-Radikale zu einer Farbvertiefung fuhrt, kann uber die Art der Zuordnung der Konstitutionsformeln zu den beobachteten Isomeren kein Zweifel bestehen. AuBer den schon besprochenen Salzen haben diese Kon- stitution auch die 9 Dimolybdo-Diarsenate Me,,[As,O,(Mo,O,),] und die 9Diwolframo-Diphosphate MeloH,[P202(W20,),].

Ersetzt man in der Atomanordnung der Fig. 33a je 2 Doppel- tetraeder durch ein Dreifachtetraeder, so kommt man zum Aufbau der 16 Molybdate Ne2[Mol,04,]. Den Kennzahlen dieser Salze nz = 16, o = 49, a = 2, b = 19, G = 15 genugt die in Fig. 34 gezeichnete Konstitution, die auch in der Anionenformel

[IMo,0(Mo,0io)4(Mo0,)21-11

zum Ausdruck kommt. Der regulare Bau spricht fur die Existenz dieser Verbindungsklasse , die neueren Untersuchungen JANDER'S

Fig. 34 Fig. 35

aber dagegen. Erst weitere Untersuchungen konnen die Entschei- dung erbringen.

Bei den Polyvanadaten begegnet man meist dem Bestreben, die Radikale dichter aneinander zu lagern (Fig. 26, 27), so auch bei den Polyvanado-Perjodaten Me,[ J2Vla0,,]. Die Kennzahlen dieser Salze m = 16, o = 47, a = 2, b = 21, G = 17 sprechen dafur, daB nur eine der 5 freien Ecken jedes der beiden Zentraloktaeder durch ein einfaches Tetraeder abgesattigt ist, die anderen Ecken aber durch Tritetraeder, von denen jedes 2 Ecken besetzt und noch mit dem Nachbart.ritetraeder verbunden ist (Fig. 35). Die Konstitutions- formel dieser Polyvanado-Diperjodate schreibt man daher am besten

Me,,[ J,~(VO4)2~~3091:s)4-1*

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E. H. Riesenfeld u. M. Tobiank. iiber Polysiiuren 31 1

Komplieierter, aber dabei von groBter Symmetrie, ist die Zu- sammensetzung der Salne der 3 Divanado-9 Dimolybdo-Diphosphor- saure H,[PB(V,0,),(i\~o,07),]. Den Kennzahlen dieser Salne m = 26, o = 81, a = 2, b = 27, c = 23 genugt die durch Fig. 36 wieder- gegebene Konstitution, Die beiden Zentraloktaeder sind durch Doppel- und Vierfaohtetraeder vollstandig abgesattigt.

In diese Klasse wiirden auch die weil3en 5Molybdo-Diphosphatel)

M~,EP,0*(~0~*), l gehoren, deren Existenz zweifelhaft ist. Es sind unbestiindige Verbindungen. Das steht im EinkIang damit, da13 ihr Aufbau, der den Kennzahlen m = 7 , o = 24, a = 2, b = 8, c = 4 gehorchen rniil3te, recht unsymmetrisch ausfiillt. Die zwei P-Zcntraloktaeder sind durch ein Mo-Tetraeder verbunden. An jedem der beiden Zentraloktaeder sitzt ein Mo-Doppeltetraeder, das 2 Ecken des Okta- eders besetzt. Drei Ecked jedes Oktaeders bleiben daher frei.

n

A Fig. 36

I

Fig. 37

Nur eine Verbindungsklasse ist bekannt, in der mehr als 2 Zentral- oktaeder zu einer Anionengruppe zusammengetreten sind. Das sind die 17 Dirnolybdo-Tetraphosphate Me~,[P404(Mo,0,)l,]. Ihre Kenn- zahlen m = 3 8 , o =123, a = 4 , b = 3 7 , c = 2 9 zeigen, daB (Fig. 37) 4 Zentraloktaeder eine Kette bilden. Alle ihre Ecken, mit Ausnahrne der beiden Enden, sind mit Doppeltetraedern besetzt. An den Enden stehen einfache Tetraeder. Dieser Auffassung gemaB kann man die Konstitutionsformel der freien SBure

l) A. ROSEITHEIN, Heteropolystiuren, S. 1026.

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5. Polystiuren aus Oktaeder-Ringen

Wie sich die Tetraederradikale zu Ringen zusammenschliel3en konnen (S. 291, 292, 293 und 294), so tun dies auch die Zentraloktaeder. Ringe, die nur aus Oktaedern bestehen, sind nicht bekannt. In den bisher beobachteton Fallen sind die Oktaeder teilweise substituiert und schlieBen sich die an den Oktaedern hangenden Tetraeder auch ihrerseits z u Ringen eusammen.

Einen solchen Ringbau konnen wir im Anion der Parawolfra- mate annehmen, wenn wir mit JANDER Para- und Metawolframate als Salze der 6er-Klasse auffassen und das ganzlich verschiedene Verhalten dieser beiden Verbindungsarten durch Verschiedenheiten im Anionenbau erklaren wollen, aber die auf S. 308 vorgeschlagene Auffassung der Parawolframate als Aquosalze verwerfen. Wir konnen dann fur das Parawolframation [W60a]-1v, dessen Kennzahlen m = 6, o = 21, a = 3, b = 9, c = 3 sind, wie Fig. 38 zeigt, einen

. . . . . . . . . . ,

' ..._.__.__... . Fig. 38 Fig. 39

Dreierring annehmen. An jedem Zentraloktaeder sitzt ein Tetraeder, und auch die Tetraeder bilden einen Dreierring. Der freiwillige ifbergang der Metawolframate in die stabilwen Parawolframate er- klgrirt sich dann dadurch, daB die aus 2 Oktaedern und 4 Tetraedern (Fig. 30) bestehenden Metasalze in 3 Oktaeder und 3 Tetraeder uber- gehen, die zu einem Ring zusammentreten.

SchlieBt man sich dieser Auffassung JANDER'S nicht an, sondern rechnet die Metawolframsaure der 12er-Klasse zu, verwirft aber die Annahme von Aquosalzen, so erhalt man fiir ihr Anion die FormeI [W,,O,J-XII. Die Kennzahlen m = 12, o = 42, a = 6, b = 18, G = 6 (Fig. 39), geben ein Bild vom Bau dieses Anionenkomplexes. Die 6 mono- substituierten Zentraloktaeder schIieBen sich zu einemninge zusammen. Dieser ist dadurch stabilisiert, dal3 auch die 6 an den Oktaedern sitaenden Tetraeder ihrerseits wieder einen Ring bilden. Diese Kon- stitution wird am besten durch die Formel H,,[(W,O,),] beschrieben.

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Die gleiche Mehrfachverknupfung findet sich bei einer Yoly- molybdansaure, die von JANDER~) zuerst beschrieben wurde. Sie hat die Formel H12[Mo,,0,,], also die Kennzahlen m = 24, o = 78, a = 6, b = 30, c = 18. Bei dieser Polymolybdansaure sind die Zentraloktaeder trisubstituiert (Fig. 40). Nur zwei der drei an jedem Oktaeder sitzenden Tetraeder bilden einen Ring. ,4m Model1 erkennt man ohne weiteres, da8 die dritten Tetraeder zu weit voneinander ent- fernt stehen, als daB sie sich zu einem Ringe zusammenschlieBen

Fig. 40

konnten. Die Konstitutionsformel der Polymolybdansiiure wird danach Ye,,[~o,O,,),]. Wahrend diese Saure dem alteren Strukturschema nicht eingegliedert werden konnte, bietet ihre Konstitutionsaufklarung durch das hier aufgestellte Schema keine Schwierigkeiten.

Sollten die von RoimNHmw und FELIX als Dekamolybdate an- gesprochenen Salze sich als 24Molybdate erweisen, so kann man die auf S. 308 besprochene Isomerie dieser Salze dadurch erklaren, daB sich zunachst eine Bandkonstitution ausbildet. Dieses Anionenband bestande aus Oktaedern, deren samtliche Sauerstoffionen ersetzt sind, und zwar 2 durch Doppeltetraeder und 4 durch Einfach- tetraeder. Die bandformige Bnordnung kame dadurch zustande, daB je 2 an der gleichen Olitaederdiagonale sitzenden einfachen Tetraeder mit dem Nachbaroktaeder ein Sauerstoffion gemeinsam haben. Die Konstitutionsformel dieses Anions wurde lauten:

[Mo(Mo,O,)2(MoO,),1-IV, G. JANDER, Z. anorg. u. allg. Chem. 194 (1930), 414.

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seine Kennzahlen waren m = 8, o = 26, a = 1, b = 8, c = 6. Wenn sich in der Hitze die leichtloslichen Alkalisalae in schwerlosliche um- lagern, wiirde dieses Anionenband in die durch Fig. 40 dargestellte, bestandigere Ringkonstitution ubergehen.

6. Komplexe Doppelsalze

Nur in wenigen Fallen gelang es nicht, Konstitutionsrnoglich- keit zu finden. Dies ruhrt daher, daB diese Verbindungen Doppel- salze zweier verschiedener Weteropolysauren sind. so erklBrt sich z. B. die Konstitution der Diphosphate mit einer ungeraden Anzahl Nolybdo- oder Wolframogruppen. Die 17Molybdo-Diphosphate der Formel Mei~H,[P2(Mo20,),fMo0,),1

sind Doppelsalze der Formel

Me5H2[P(Mo207)2po04) 21. 1fe5H2[P(RTo207)3 (b1004)31 * Die 21 Wolframo-Diphosphate Me6H,[P2(W207),(W04)3] sind ebenfalls Doppelsalze zweier bekannter Heteropolysauren, wie man ohne weiteres aus der UbersichtIieher geschriebenen Formel

Me,H41]P(mr20,)61 * Me,H4[P(W2O,),(w04),1 ersieht. Die 22Wolframo-Diphosphate Me,[P,0(W20,),,] sind als Doppelsalze der 5 Diwolframo-PhosphorsZiure und der 6 Diwolframo- PhosphorsZiure aufzufassen. Man wird die Salze richtiger

schreiben. Me7p0(W207)51 ' Me7[P(W207)61

7. Unwahrschsinliche Konstitutionsformeln

Eine der groI3ten Schwierigkeiten der Konstitutionserforschung der PolysHuren und -salze bietet die xhnlichkeit der analytischen Befunde dieser oft nur schwer in reinor Form darstellbaren Stoffe und die Unscharfe der Methoden zur Ermittolung des Mol- gewichtes. Keinem Kenner dieses Gebietes ist es daher zweifelhaft, daB, noch mehr als in anderen Gebieten der anorganischen Chemie, in diesem viele Stoffgemische und ungenugend analysierte Stoffe als neue Verbindungstypen beschrieben sind. Die Konstitutiomermitte- lung kann einen neuen Anhaltspunkt geben, solche Fehler anfzu- decken. Es ist sehr wahrscheinlich, daB Stoffe, fiir die keine sym- metrische Konstitutionsforrnel gefunden werden kann, auch nicht existieren. Doch muIj davor gewarnt werden, diesen Forschungs- beitrag als ausschlaggebend anzusehen oder gar den Satz urn- zukehren und eine symmetrische Formel als Existensbeweis fur die

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betreffende Verbindung zu betrachten. Im folgenden sollen einige Beispiele gegeben werden.

hus der Bestimmung der Diffusionskoeffizienten saurer Molyb- datl6sungen schlieBt G. JANDER~), da13 im Gebiete PR = 6 [Mo3O1J-1v- Ionen in waBriger Losung vorhsnden sind. Diese Ionen miil3ten aus einem [MOO,]-Oktaeder bestehen, das an 2 benachbarten Ecken [Moo4]-Tetraeder substituiert hat, die sich gegenseitig beriihren. Keine so unsymmetrisch gebaute Ionenart ist bisher sicher nach- gewiesen. Daher miissen erst starkere Beweise fur ihre Existenz- moglichkeit gefordert werden.

Fiir die 6Vanadinsaure hatte DULLBEKG~) die Formel H,[v,O,,] aufgestellt. Durch die ausschlaggebenden Untersuchungen G. JAN- DER’S~) kann diese Formel schon als widerlegt gelten. Die Kon- stitutionsformel, die dieser Verbindung zukame, fallt zwar sehr regel- rnaBig aus. Die 6 [VO,]-Tetraeder wiirden in einer Ebene in dich- tester Packung zusammenstol3en. Dichteste Paokungen werden aber bei den Polysaureanionen nie beobachtet. Sie sind auch deshalb von vornherein ausgeschlossen, weil die Krafte der gegenseitigen Ab- stoBung der samtlich negativ geladenen Radikale fur eine derartige Anordnung zu grol3 sind. Auch in diesem Falle liefert also die Icon- stitutionsbetrachtung ein neues Argument gegen die aufgestellte Formel.

Zusammenfassung

Die neuen Erkenntnisse, welche die Aufstellung der Kon- stitutionsformeln fiir die Polysaureri erbracht hat, lassen sich folgendermaljen zusammenfassen.

1. Alle Polysauren entstehen durch AneinanderIagerung von [EOJ-Radikalen oder [EOJ- und [EOJ-Radikalen. Diese erfolgt stets nur in der Weise, daB zwei benachbarte Radikale 1 0-Ion gemeinsam haben. Die [EO,]-Radikale kann man als Tetraeder, die [EO,]- Radikale als Oktaeder auffassen. Im Kernpunkt des Radikals steht jeweils das Stammion, die Ecken sind mit 0-Ionen besetzt. Durch diese Aneinanderlagerungen ent stehen 3 verschiedenartige Gebilde, niimlich Gruppen, Ringe und Biinder.

2. Fiir die Konstitutionsformeln der iiberwiegenden Mehrzahl der Polysauren und -salze erhalt man mit diesen Vorstellungen so

I) G. JAS’DER, Z. anorg. u. allg. Chem. 194 (1930), 414. a ) P. D~LLBERG, 1. c. 3, G. JANDER u. K. F. JAHR, Z. enorg. u. allg. Chem. 211 (1933), 49;

212 (1933), 1.

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316 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 221. 1935

symmetrische Strukturen, daB ihre Stabilitat sehr einlench- tend ist.

3. Die Polysauren und -salze mit Bandstruktur zeigen, wie zu erwarten war, in waBrigen Losungen Polymerisationserscheinungen, denn die einzelnen Glieder sind nicht frei bestilndig, sondern lagern Rich zusammen.

4. Gelost ist die Frage, warum die 12Nolybdo-Phosphate und 12Wolframo-Silikate mit verschiedenen Basizitaten auftreten konnen. In der niedrigeren Basizitat gruppieren sich, wie die Formeln Me3[P(Mo3010)J und Me,[Si(W30,,),] (Fig. 15) zeigen, die Mo- bzw. W-Tetraeder um ein Zen t r a l t e t r aede r , in der hoheren Basizitat, wie die Formeln Me,[P(Mo,O,),] und Me,[Si(W20,),] (Fig. 3) zeigen, urn ein Zen t r a lok taede r .

5. Die bei den 8-basischen 12Wolframo-Silikaten und den ent- sprechenden Boraten beobachteten Isomerieerscheinungen werden versthdlich. Die Orthosalze leiten sich von der 6 Diwolframo- Kieselsiiure H8[Si(Wz0,)6] (Fig. 3) ab, die Isosalze von der 4Tri- wolframo-Kieselsaure HE[ Si0,(W3010),] (Fig. 25). Das Entsprechende gilt fiir die Borate.

6. Bei den 9 Dimolybdo-Diarsenaten und -Diphosphaten lassen sich 2 Strukturformeln von nahe gleicher Symmetrie aufstellen. Bei diesen beiden Verbindungsklassen sind auch 2 isomere Salzreihen, eine hellere und eine dunklere, hergestellt worden. Auf Grund eines oft beobachteten Zusammenhanges zwischen Farbe und Konstitution IaBt sich z. B. bei den Molybdaten den helleren Isomeren die Formel

MedPzOz(Mo207),l und den dunkleren die Formel

J 4 e ~ ~ [ P 2 0 ~ ( M o 3 0 ~ o ) 6 ~

zuordnen. 7. Ebenso ergeben die Strukturformeln eine Erkliirung fur die

an den Alkalisalzen der 10Molybdate beobachteten Isomerieerschei- nungen.

8. Zur Entscheidung der Frage, ob die Para- und Metamolybdate und die entsprechenden Wolframate aIs Isosiiuren oder als Hetero- aquosguren aufzufassen sind, Iiefert die Strukturanalyse keinen ent- scheidenden Beitrag. In beiden FaIlen lassen sich Strukturformeln entwickeln, die eine so groBe Symmetrie aufweisen, wie die Re- stiindigkeit dieser Salze fordert.

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9. Fur eine Anzahl anderer Polymolybdate nnd -wolframate kanti man die Asymmetrie der einsig moglichen Strukturformeln als Gruncl gegen die Annahme der Stabilitat dieser Salze geltend machen. Das gilt fur die Salze der 3Molybdosaure H,[&lo,O,J, der 6Molybdosaure H,[Mo,O,,] und der analog zusttmmengesetzten Iso- sauren mit anderen Stammionen. Auch fur die weil3en 5 Molybdo- Diphosphate Me,[P,O,(MoO,),J liil3t sicli keine voll befriedigende Strukturformel finden.

10. Ein gutes Beispiel fur eine Yolysaure, deren Konstitutions- erklarung bisher Schwierigkeiten machte, durch das hier aufgestellte Aufbauprinzip aber gelost wird, ist die 24RIolybdosfiure H,~o,,O,,].

Berlirc, P~Lysikalisch-chemisches Institut der UniversitBt, i rn h'ocember 1934.

Bei der Redaktion einggangen am 29. November 1934.