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3~ LINCK. Wittmaack, Experimentelle Studien fiber die Beziehungen der Liquor- sekretion und der Liquorzusammensetzung zu einigen Erkrankungen des inneren Ohres. Festschr. Urbantschitsch (1919). Die entziindlichen Prozesse des GehSrorgans. Handb. d. spez. Patholog., Anat. u. Histolog. -- Die regressiven, degenerativen, atrophischen Prozesse des GehSrorgans. Handb. d. spez. Patholog., Anat. u. Histolog. Zalewski, Quantitative Untersuchungen fiber den kalorischen Nystagmus. Monatsschr. f. Ohrenheilk. u. Laryngo-Rhinol., S. 694 (1914). Z ange, Pathologische Anatomie und Physiologie der mittelohrentspringenden Labyrinthentzlindungen als Grundlage der Klinik, zugleich eine kurze Klinik dieser Erkrankungen. Wiesbaden (1919). Handbuch der Neurologie des Ohres. Alexander, Marburg und Brunner. Aus der Universitiitsklinik ffir 0hren-Nasen-Halskranke in Greifswald. (Direktor: Prof. Dr. Linck.) Ober Sepsis und Sepsisbegriff. Von A. Linck, Greifswald. Wenn man die Literatur fiber progrediente eitrige Infektionen aus den letzten Jahrzehnten verfolgt, so zeigt sich im Gegensatz zu dem erfolgreichen Bemiihen um Klarstellung und Differenzierung der Atiologie und der genetischen Zusammenh~nge vielfach eine zu- nehmende Entdifferenzierung des Krankheitsbegriffs. Man bezeichnet heute unter Berufung auf Schottmfiller 1-3) alle Krankheitszu- st~inde, wo yon einem Herd aus konstant oder periodisch pathogene Eitererreger in den Blutkreislauf gelangen, und wo durch deren In- vasion subjektive oder objektive Krankheitssymptome ausgelSst werden, als Sepsis. Man hat damit alle frfiheren Differenzierungen im Rahmen progredienter Eiterinfektionen fiber Bord geworfen und unterscheidet nut noch akute und chronische Sepsis, leichte und schwere Sepsis und Sepsis lenta. Aber aUes ist Sepsis. Wenn das allgemein anerkannt und in dem medizinischen Sprachgebrauch eingeffihrt wfirde, so w~re damit allerdings dem 1) S c h o t t m f i l l e r , lJber Wesen und Therapie der Sepsis. Verhandl. d. Kongr. f. innere Medizin. Wiesbaden 1914. s) Das Problem der Sepsis. Festschrift des Eppendorfer Krankenhauses zur Feier seines 25jiihrigen Bestehens. S. 149ff. Leipzig-Hamburg, 1914. 8) S c h o t t m f i l l e r und Bingold, Die septischen Erkrankungen. Hand- buch d. inneren Medizin. 22. Aufl., Bd. 1, 2. Teil, S. 776ff.

Über Sepsis und Sepsisbegriff

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Page 1: Über Sepsis und Sepsisbegriff

3~ LINCK.

W i t t m a a c k , Experimentelle Studien fiber die Beziehungen der Liquor- sekretion und der Liquorzusammensetzung zu einigen Erkrankungen des inneren Ohres. Festschr. Urbantschitsch (1919). Die entziindlichen Prozesse des GehSrorgans. Handb. d. spez. Patholog., Anat. u. Histolog.

- - Die regressiven, degenerativen, atrophischen Prozesse des GehSrorgans. Handb. d. spez. Patholog., Anat. u. His to log .

Z a l e w s k i , Quantitative Untersuchungen fiber den kalorischen Nystagmus. Monatsschr. f. Ohrenheilk. u. Laryngo-Rhinol., S. 694 (1914).

Z ange, Pathologische Anatomie und Physiologie der mittelohrentspringenden Labyrinthentzlindungen als Grundlage der Klinik, zugleich eine kurze Klinik dieser Erkrankungen. Wiesbaden (1919).

Handbuch der Neurologie des Ohres. A l e x a n d e r , M a r b u r g und B r u n n e r .

Aus der Universitiitsklinik ffir 0hren-Nasen-Halskranke in Greifswald. (Direktor: Prof. Dr. Linck. )

Ober Sepsis und Sepsisbegriff. Von A. L i n c k , Greifswald.

Wenn man die Literatur fiber progrediente eitrige Infektionen aus den letzten Jahrzehnten verfolgt, so zeigt sich im Gegensatz zu dem erfolgreichen Bemiihen um Klarstellung und Differenzierung der Atiologie und der genetischen Zusammenh~nge vielfach eine zu- nehmende Entdifferenzierung des Krankheitsbegriffs. Man bezeichnet heute unter Berufung auf S c h o t t m f i l l e r 1-3) alle Krankheitszu- st~inde, wo yon einem Herd aus konstant oder periodisch pathogene Eitererreger in den Blutkreislauf gelangen, und wo durch deren In- vasion subjektive oder objektive Krankheitssymptome ausgelSst werden, als Sepsis. Man hat damit alle frfiheren Differenzierungen im Rahmen progredienter Eiterinfektionen fiber Bord geworfen und unterscheidet nut noch akute und chronische Sepsis, leichte und schwere Sepsis und Sepsis lenta. Aber aUes ist Sepsis.

Wenn das allgemein anerkannt und in dem medizinischen Sprachgebrauch eingeffihrt wfirde, so w~re damit allerdings dem

1) S c h o t t m f i l l e r , lJber Wesen und Therapie der Sepsis. Verhandl. d. Kongr. f. innere Medizin. Wiesbaden 1914.

s) Das Problem der Sepsis. Festschrift des Eppendorfer Krankenhauses zur Feier seines 25jiihrigen Bestehens. S. 149ff. Leipzig-Hamburg, 1914.

8) S c h o t t m f i l l e r und B i n g o l d , Die septischen Erkrankungen. Hand- buch d. inneren Medizin. 22. Aufl., Bd. 1, 2. Teil, S. 776ff.

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unerfreulichen Durcheinander der Definition und Begriffsbestim- mung, wie es jetzt in der einschliigigen Literatur infolge gegens~tz- licher Auffassung und z. T. vielleicht auch infolg e mangelnder Aus~ drucksdisziplin herrscht, mit einem Schlage ein Ende bereitet. Aus diesem Grunde kSnnte man auch die yon S c h o t t m i i l l e r ausgehende Uniformierung des Begriffs nur dankbar begriiBen und der aUge- meinen Annahme empfehlen, wenn damit das Problem der begriff- lichen Kennzeichnung auch sonst einer befriedigenden und end- giiltigen LSsung zugefiihrt wiirde. Das scheint mir aber nicht der Fall und auf diesem Wege iiberhaupt nicht mSglich zu sein. Denn es fehlt am Ausgangspunkt dieses Weges die klare und iiberzeugende Definition des Sepsisbegriffs.

S c h o t t m i i l l e r sagt: ,,Eine Sepsis liegt vor, wenn sich inner- halb eines KSrpers ein Herd gebildet hat, yon dem aus konstant oder periodisch pathogene Bakterien in den Blutkreislauf gelangen derart, daB durch die Invasion subjektive oder objektive Krankheitserschei- nungen ausgel6st werden." Das ist keine Definition, sondern ein Dogma, durch welches unter willkiirlicher Benutzung des kenn- zeichnenden Begriffs die Zustiinde bei progredienter eitriger Infektion nach vorwiegend morphologischen (pathologisch-anatomischen und klinischen) Gesichtspunkten rubriziert und zusammengefaBt werden. Auf diese Weise wird das wichtigste und ausschlaggebende Moment, welches im Wesen progredienter Eiterinfektionen enthalten ist, n~n- lich das Moment der Quantit~it, begrifflich nicht geniigend beriick- sichtigt. Dabei betont S c h o t t m i i l l e r 1) selbst, dab die Sepsis ein Quantitiitsbegriff sei. Er hat damit yon sich aus das Stichwort in seine Darlegungen geworfen, welches die Nachteile einer solchen be- grifflichen Zusammenfassung nach vorwiegend morphologischen Gesichtspunkten klar beleuchtet. Dieser Nachteil besteht darin, dab Krankheitszustiinde, welche in ihrem Quantit~itsgrade, d. h. in dem wichtigsten biologischen Teil ihres Wesens, ganz verschiedenartig sind, unterschiedslos in der gleichen Weise namentlich gekennzeichnet werden.

Daher kommt es dann auch, dab bei allen ErSrterungen iiber praktisch wichtige Probleme, namentlich therapeutischer Art, so iiber- aus schwer eine Verst~indigung zu erzielen ist. Jeder Diskussions- redner versteht unter dem gleichen irrefiihrenden Sammelnamen Sepsis etwas in seinem biologischen Wesen anders geartetes, und so

1) S c h o t t m f i l l e r , 1. c. 3*

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redet man dauernd aneinander vorbei. Das zeigte sich schon gleich in der Diskussion zu dem S c h o t t m fil 1 e r schen Vortrag fiber ,,Wesen und Behandlung der Sepsis" (KongreB der inneren Medizin (1914)), und das zeigt sich seither immer wieder und fiberall, wo fiber das Problem der Sepsis und fiber ihre Therapie verhandelt wird, zumal heute, wo der Kreis der daran beteiligten Interessenten alle Dis- ziplinen und Sonderdisziplinen der Medizin umfaBt und demzufolge die Zust~inde bei progredienter eitriger Infektion, entsprechend der verschiedenen ~tiologie und Einstellung, yon den verschiedensten Gesichtspunkten aus betrachtet und beurteilt werden.

Damit ist auch praktisch der Beweis erbracht, dab die Ver- allgemeinerung und Entdifferenzierung des Begriffes Sepsis, wie sie sich aus der Definition S c h o t t m f i l l e r s ergibt, der weiteren Ent- vdcklung des Sepsisproblems nicht fSrderlich gewesen ist. Deshalb empfiehlt es sich meines Erachtens, die Frage der Definition und Begriffsbestimmung bei Zust~inden progredienter eitriger Infektion nicht auf diesem Standpunkt ruhen zu lassen, sondern ihre Beant- wortung in anderer Weise zu versuchen.

Wenn man sich zu diesem Zweck in der fiberlieferten Literatur nach geeigneten Handhaben umsieht, so steht man allerdings einem hoffnungslosen Durcheinander yon Begriffsauffassungen und Be- griffsbestimmungen gegenfiber, die zum grSBten Teil aus 1Angst ver- flossenen Zeiten stammen, wo man die fraglichen Krankheitszust~inde anders ansah, als w i re s heute tun mfissen. Sepsis, Py~mie, Septi- kiimie, Septikopy~mie, Pyosepsis und andere Namen werden teils gleichbedeutend, teils in verschiedener Bedeutung gebraucht (K i r s chne r ) . In diesem Durcheinander heben sich nut vereinzelte scharf umschriebene Begriffsauffassungen wohltuend ab. So ersetzt L e x e r 1) das ganze Namensgewirr durch den einfachen Begriff: ,,Eitrige Allgemeininfektion" und unterscheidet nur metastasierende und nicht metastasierende Formen. M a r t e n s ~) formuliert kurz und bfindig in neuester Zeit: ,,Sepsis ist die auf dem Lymphwege fort- schreitende Infektion; sie ist grundverschieden yon Py~mie, welche die auf dem Venenwege, auf Grund eitriger Thrombophlebitis, fort- schreitende Infektion bedeutet".

Eine beffiedigende Aufkl~rung geben indessen auch diese

1) Lexer, Lehrbuch d. allgemeinen Chirurgie. Stuttgart 1912. 6. Aufl. l) Martens, ~3ber PyAmie und Sepsis. Dtsch. med. Wochenschr.

1929, Nr. 44, S. 1825ffo

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Begriffsformulierungen nicht. L e x e r hat es sich sehr leicht gemacht mit dem Problem. Mit einer einfachen Umtaufe, wie K i r s c h n e r 1) das bezeichnet hat, ist uns nichts geniitzt; denn wit sind damit nicht ,,der Verpflichtung enthoben, eine klare Definition zu geben". Und die ist in dem Begriff ,,eitrige Allgemeininfektion" nicht ohne weiteres enthalten. M a r t e n s besticht mit seiner klaren biindigen Formu- lierung. Bei n~herem Zusehen zeigt es sich aber, dal3 es unm~glich ist, die komplizierten anatomischen und klinischen Zust~inde und Zusammenh/inge, um die es sich handelt, auf diese einfache rein mechanisch-morphologische Formel zu bringen, ganz abgesehen davon, daI3 die scharfe Trennung von Lymphangitis und Thrombo- phlebitis bei progredienten eitrigen Infektionen mit dem wirklichen pathologisch-anatomischen Geschehen nicht in Einklang zu bringen ist.

Das Entscheidende ist, dab all die iiberlieferten Begriffe, gewoUt und bewul3t, mit dem Sinn der Allgemeininfektion belastet sind, obwohl die damit bezeichneten KrankheitszustAnde zu allermeist yon einer solchen himmelweit entfernt sind und es zum gr6Bten Teil auch bleiben. Denn wir sind doch von Schot tmi i l l e r2) , und das ist sein grol3es Verdienst um die Sepsisfrage, dartiber belehrt worden, dab die iiberlieferte Annahme yon der Vermehrung pathogener Keime im Blutkreislauf im allgemeinen auf einem Irrtum beruht. An der Richtigkeit dieser auf eine Unzahl sorgfgdtiger bakteriologischer Blutuntersuchungen gestfitzten Lehre ist ftiglicherweise nicht mehr zu zweifeln. Sie findet ja auch vielf~ltige praktische Best~tigung durch die vielen geheilten F~ille yon sog. eitriger Allgemeininfektion, wo dutch rechtzeitige Diagnose und zweckm~Bige chirurgische Behandlung schwere und schwerste Krankheitszust~inde mit einem Schlage beseitigt wurden und die Bakterien gleichzeitig aus dem Blute vSllig verschwanden. Das w/ire nicht m~glich, wenn die in den S~iftekreislauf gelangten Bakterien bereits zur Vermehrung bef~ihigt gewesen w~iren. In den F~llen aber, wo trotz chirurgischer Behand- lung der Krankheitszustand unver~ndert blieb und die Keime im Blute sich welter nachweisen liel3en, hat es sich noch immer hinterher gezeigt, dab dies nicht mit einer selbststiindigen Keimvermehrung, sondern mit zuriickgebliebenen nicht beherrschten Infektionsherden und neuen Keimausschwemmungen zusammenhing.

1) K i r s c h n e r , Die eitrige Allgemeininfektion. Verhandl. d. Vereins f. wissenschaftliche Heilkunde K6nigsberg i. Pr. (1. Februar) 1926, S. 64. ref. Dtsch. med. Wochens'chr. 1926, Nr. 29.

*) S c h o t t m i i l l e r , 1. c.

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Wenn von einem Infektionsherd, einem prim~iren oder sekun- d/iren, pathogene Keime in den Blutkreislauf hineingelangen und durch den S~ftestrom verschleppt werden, so ist das also keine Allgemeininfektion. Denn diese Keime sind noch keine selb- st/indigen entscheidenden Kampfeinheiten im Widerstreit zwischen Infektion und Abwehrkr/iften; sie sind Geschossen vergleichbar, welche an den vorhandenen Immunit~itskr~ften des Blutes, des Retikuloendothels, der Organe, der Gewebe und der Zellen wirkungs- los abprallen. Man kann sie auch mit feindlichen PatrouiUen- schw~irmen vergleichen, die yon der Abwehrexekutive im lebenden Organismus arretiert werden. Auch wenn es einzelnen Bakterien- schw~men bei der einmaligen oder wiederholten ~berschwemmung des Blutes gelingt, hier und da im Organismus festen FuB zu fassen, sich anzusiedeln und lokal zu vermehren, wenn also eine Metastase entsteht oder eine solche an mehreren Stellen sich entwickelt, so bedeutet das immer noch keine Allgemeininfektion, sondern nur einen vereinzelten oder mehrfachen Durchbruch in der aUgemeinen Abwehr- front. Solange diese h~lt, unter dem Schutz der allgemeinen noch unerschiitterten Immunit/itslage, kann man auch beim Eintreten multipler Metastasen nicht von einer Allgemeininfektion, sondern nur yon multiplen Infektionsherden im Organismus sprechen.

Mir scheint, der Fehler, an dem das ganze Begriffsproblem krankt, ist der, dab mit dem Wortbegriff vielfach zu willkiirlich umgegangen ist. SchlieBlich war doch Sepsis kein WortgefiiB ohne Bedeutung, das bisher unbenutzt war und zu vSllig freier Verfiigung stand fiir beliebige Begriffserweiterungen. Es war doch vielmehr urspriinglich fiir eine ganz bestimmte Begriffsvorstellung vorgesehen und erfunden und damit auch von vornherein in seiner begrifflichen Kapazit~t beschr~inkt. Deshalb ist dem Problem auch nicht damit gedient, wenn der eine dies, der andere jenes in das Wort Sepsis hineindeduziert, der eine viel, der andere wenig hineinzubringen sucht. Wir kommen auf diese Weise aus den Gegens~itzen nicht heraus, und k5nnen zu keiner Verst~indigung in dem Sepsisproblem kommen, weil immer nur Behauptungen gegen Behauptungen stehen.

Wenn wit zu einer Einigung und Verst~indigung kommen wollen, so muB vorher eine Einigung dariiber erzielt werden, was der Begriff Sepsis bedeuten soll. Dabei werden wir wohl oder libel zuriickgreifen miissen auf die urspriingliche Bedeutung des Wortes. Diese war: ,,F/iulnis im und am lebenden Organismus ~uf Grund eitriger pro-

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gredienter Infektion". Die Vorstellung von (3bertritt fauliger Stoffe ins ]31ut bzw. aus dem ]31ut in die Gewebe, die zu dieser Namens- gebung ffihrte, war freilich falsch. Was man ffir F~ulnis gehalten hatte, war nut der Ausdruck gewesen einer ungehemmt fortschrei- tenden eitrigen Infektion im Siiftekreislauf. Als man das erkannte, wurde der Name Sepsis nicht etwa fallen gelassen, was vielleicht das richtigste gewesen ware, sondern in fibertragener Bedeutung weiter dazu benutzt, um eine besonders schwere Form der eitrigen Infektion zu kennzeichnen. Und so wurde der Begriff Sepsis aus einem Qualit~tsbegriff zu einem Quantit~tsbegriff. Erst sp~ter wurde der Begriff Sepsis verquickt mit Vorstellungen und Begriffen, die sich aus der pathologisch-anatomischen und klinisch sympto- matologischen Morphologie, aus bakteriologischen und chemischen Feststellungen im Blut und aus Beobachtungen fiber den Transport- mechanismus bei eitrigen Infektionen ergaben. Damit ging das quantitativ Kennzeichnende im Sepsisbegriff wieder verloren.

S c h o t t m f i l l e r 1) selbst hat es aus dem Gewirr der neu hinzu- getretenen Vorstellungen wieder hervorgeholt, indem er den Satz priigte: ,,Sepsis ist ein Quantit~itsbegriff"! Das ist eine kurze klare Definition, mit der sich etwas anfangen liil~t. Sie entspricht dem fiberkommenen Sinn des Wortbegriffs und entscheidet fiber seine Verwendung und seinen Verwendungsbereich bei der Kennzeichnung von Infektionen eitriger Qualit~it, ffir die der Name ja von vorn- herein allein bestimmt war.

QuantitAt bedeutet im Hinblick auf eitrige Infektion und Infektion fiberhaupt: Grad der Virulenz, St~irke der Immunitiits- belastung dutch die Invasion der pathogenen Keime, Stiirkeverh~ilt- his zwischen bakteriellem Angriff und biologischen Abwehrkriiften im Organismus.

Es liegt im Wesen eines Quantitiitsbegriffs, dab seinem An- wendungsbereich ganz bestimmte Grenzen gezogen sind. Je genauer und sch~irfer der Begriff, desto enger die Grenzen seiner Anwendung; je allgemeiner und ungenauer der Begriff, um so weiter die M~glich- keiten seiner Verwendung.

Bei eitrigen Infektionen ist eine genaue exakte Quantitiits- bestimmung freilich unm~glich, well sich der gegenw~irtige und vor- aussichtliche Grad der Immunit~itsbelastung durch die Invasion tier pathogenen Keime niemals genau errechnen, sondern nur un-

1) Schottmiil ler , 1. c.

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gef~hr abschlitzen 1/iBt an der Hand der feststellbaren klinischen und anatomischen Auswirkungen. Alle Versuche einer genaueren Berechnung sind fehlgeschlagen, wie ja auch die SchluBfolgerungen, die man in dieser Richtung aus dem Vorhandensein, aus dem ein- maligen oder mehrmaligen Auftreten yon Keimen im Blute ziehen zu mtissen glaubte, sich als irrig herausgestellt haben. Immerhin vermag man leichte, schwere und ganz schwere Infektionen zu unterscheiden auf Grund klinischer und anatomischer Feststellungs, mSglichkeiten. In diesem allgemeinen Rahmen wird man sich also auch fiber die Verwendung eines Quantit~itsbegriffs ffir die Infektion entscheiden miissen.

Fiir den Begriff Sepsis wiirde es entsprechend seiner frfiheren Bedeutung am n~ichsten liegen, nur die schweren Grade der eitrigen Infektion damit zu kennzeichnen, wo die Bilanz aus dem beobach- teten Infektionsverlauf eine offenkundige Schwerbelastung der Immunitiitskritfte dartut.

S c h o t t m f i l l e r stellte mit Recht fest, dab dabei im Laufe der Zeit mehr und mehr F~lle mit unterliefen, die aus anscheinend schwersten Zust~inden heraus nach zweckentsprechender operativer Behandlung in kiirzester Frist in Heilung fibergehen konnten. Die SchluBfolgerung, dab deshalb die beschr~nkende Verwendung des Sepsisbegriffs auf diese Kategorien der Infektion falsch gewesen sei, ist abet nicht berechtigt. Denn wie kam es, dab derartige F~lle aus schwerem Zustande heraus mit einem Schlage gesund wurden ? Doch nur deshalb, weil dutch die Entwicklung der Diagnostik und der chirurgischen Therapie die starke quantitative Immunitittsbelastung rechtzeitig in gfinstigem Sinne korrigiert werden konnte. Ohne diese kiinstliche Korrektur der Immunitlitslage wfirden die betreffen- den F~lle das stets bleiben bzw. geblieben sein, als was sie mit dem Begriff Sepsis quantitativ gekennzeichnet werden sollten, n~imlich schwerste eitrige Infektionen.

Als man den Quantitiitsbegriff Sepsis ffir die schweren F~dle eitriger Infektion erfand, fehlte noch jeder lJberblick fiber die zu- kfinftigen MSglichkeiten, durch vervollkommnete Diagnostik und durch Ausbau der allgemeinchirurgischen und spezialchirurgischen Therapie die 13berbelastung der Immunit~tslage bei eitrigen Infek- tionen zu korrigieren. Der grunds~tzliche Fehler, der bei ~Jbernahme und Weiterffihrung des Begriffs Sepsis yon einem bestimmten Zeit- punkte an gemacht wurde, und der, wie die Argumentation S c h o t t -

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mi i l l e r s zeigt, z, T. auch Schuld an der eingetretenen Diskredi- tierung und Verwirrung dieses Quantit~itsbegriffs gewesen ist, war: Man pal3te ihn nieht der fortschrittlichen Entwicklung yon Dia- gnostik und Therapie an und berficksichtigte nicht die gewonnenen M6glichkeiten, eine gegebene ungiinstige Immunit~itslage entschei- dend korrigieren zu k6nnen, wodurch aus schweren Infektionen mit einem Schlage schnell heilende gutartige Krankheitszust~inde ge, macht werden konnten. H~itte man das berficksichtigt, so wiire man vielleicht folgerichtigerweise dazu tibergegangen, die Anwendung des Quantitiitsbegriffs Sepsis entsprechend einzuschr~inken, indem man fernerhin nur noch diejenigen F~ille als Sepsis ffihrte und be- zeichnete, bei denen die Fortschritte yon Diagnostik und Therapie an der ungiinstigen quantitativen Bilanz der Immunitiitslage nichts zu /indern vermochten, und diejenigen, bei denen dies erfolgreich m6glich gewesen war, als verhinderte Sepsis auffal3te und kennzeichnete.

Wenn man nun heute das Gegenteil tut und, wie S c h o t t m f i l l e r vorsehl~igt, unter Weiterfassung des Begriffs nicht blol3 die heilungs- fiihigen schweren Fiille, sondern auch die leichten Ffille yon Infek- tion mit entsprechenden morphologischen und bakteriologischen Kriterien zur Sepsis rechnet, so verliert der Name seinen Sinn als Quantitiitsbegriff, und jede Grenze zwisehen einfacher und pro- gredienter eitriger Infektion geht verloren. Denn schliel31ich be- deutet jede Infektion, auch die leichteste, eine gewisse Quantit~it der Immunit~itsbelastung, jede eitrige Infektion hat hinter sich einen Eingangsherd oder einen Entwicklungsherd und liil3t auf irgend einem Wege einmal oder wiederholt unter fieberhafter Reaktion pathogene Keime in die Blutbahn hineingelangen. Mit dem gleichen Rechte k6nnte man daher fiberhaupt jede eitrige Infektion yon vornherein mit Sepsis bezeichnen.

Je mehr man sich mit der Auffassung S c h o t t m f i l l e r s fiber Sepsis und Sepsisbegriff besehiiftigt, und sie mit den praktischen Erfahrungen der Chirurgie (insbesondere der Spezialchirurgie unseres Fachs) in Einklang zu bringen sucht, um so schwerer ist es meines Erachtens, sich damit abzufinden. Denn dabei zeigt es sich, dab die ,,Sache" durch Miteinbeziehung der leichten F/ille doch Sehaden erleidet, sofern man unter ,,Sache" die Aufgabe versteht, fiir die so extrem verschiedenen Arten progredienter eitriger Infektion Begriffe zu geben, auf denen eine klare Einstellung und Verst~indigung in diagnostischen und therapeutischen Fragen aufgebaut werden kann.

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42 L I N C K .

Mir scheint, der einzige Weg, um den Begriff Sepsis aus seiner Verwirrung zu retten und ihm seine Sch~irfe als Quantit~itsbegriff wiederzugeben, ist der, dab man nunmehr den Bereich seiner An, wendung noch weiter einengt als bisher und nur auf die F~ille der st~irksten Immunit~itsbelastung beschr~inkt. Die st~irkste Belastung ist abet die, wo die Abwehrkr~fte des Organismus unter dem An- sturm der eitrigen Infektion versagen bzw. zusammenbrechen und die eitrige Infektion von dem Gesamtorganismus Besitz ergreift. Das bedeutet dann aber auch eine wirkliche Allgemeininfektion.

Wenn es richtig ist, dab die ImmunitAtskr~ifte im Organismus und im Blute selbst die Vermehrung der Keime im S~ftekreislauf verhindern, so ist die logische SchluBfolgerung, dab nach vSlliger ErschSpfung dieser Abwehrkr~ifte die schrankenlose Vermehrung der pathogenen Keime im S~iftekreislauf nicht mehr aufgehalten werden kann. In diesem Punkte bedarf also die ablehnende Stellung S c h o t t - mi i l l e r s zur Frage der Keimvermehrung im Blute doch wohl einer Korrektur im Sinne seiner Gegner, die bei Darniederliegen der Ab- wehrkr~ifte eine schrankenlose Vermehrung der Keime im Blute annehmen (S e I t e r s 1)).

Man braucht iibrigens diese Keimvermehrung gar nicht in das str5mende Blut allein zu verlegen; sie kSnnte sich ebensogut auch in den Geweben der verschiedenen Organgebiete abspielen, besonders derjenigen Gebiete, die bereits im Laufe der vorhergehenden Stadien zum Tr~iger des Infektionsfortschrittes geworden sind, Dabei ist es dann auch gar nicht nStig, dab die Keimvermehrung sich im Blut- bilde zum Ausdruck bringen lassen miiBte. Eine Besitzergreifung des Organismus durch die Allgemeininfektion kann schlieBlich auch darin bestehen, dab die Stoffwdchselprodukte der Keime mangels paralysierender Gegenkr~ifte den gesamten KSrper impr~ignieren. Auch das ist etwas, was sich 'der Darstellung im Blute entziehen kSnnte. Jedenfalls darf es auch wohl keinem Zweifel unterliegen, dab die Infektionen und ihre zerst5renden Kr~fte es sind, welche den des Abwehrschutzes beraubten Organismus zugrunde richten und seinen Tod herbeifiihren. Die von R o m b e r g entdeckte und yon S c h o t t m i i l l e r als Todesursache bei schweren eitrigen Infektionen angenommene VasomotorenlAhmung ist doch nicht als selbst~ndiger

1) S e 1 t e r s, Die Er reger der Sepsis. Verhandlungen des Vereins ffir wissenschaftl iche He i lkunde K6nigsberg i. Pr. im F e b r u a r 1926. S. 73f f . ; ref. D. med. W. 1926, Nr. 29.

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Vorgang, sondern auch nur als Auswirkung der aus der Allgemein- infektion hervorgegangenen Sch~digungen aufzufassen, durch welche lebenswichtige Funktionen aul3er T/itigkeit gesetzt werden.

Wir formulieren also: S e p s i s i s t d e r t e r l n i n a l e Z u s t a n d w a h r e r A l l g e m e i n i n f e k t i o n be i p r o g r e d i e n t e r e i t r i g e r I n f e k t i o n , w o d i e E i t e r e r r e g e r d e n G e s a m t o r g a n i s m u s d u r c h d r i n g e n u n d s i c h d a r i n h e m m u n g s l o s v e r m e h r e n . S ie i s t d a m i t d e r A u s d r u c k e i n e s v o l l k o m m e n e n V e r - s a g e n s o d e r Z u s a m m e n b r e c h e n s d e r A b w e h r k r ~ i f t e g e g e n f i b e r d e r I n v a s i o n u n d V e r b r e i t u n g p a t h o g e n e r K e i m e u n d i h r e r S t o f f w e c h s e l p r o d u k t e i m S / i f t e k r e i s - l a u I de s O r g a n i s m u s . (Se l te r s 1) formuliert seinen Standpunkt in iihnlicher Weise: ,,Das fiir die septischen Erkrankungen Typische mul] sein, dab die in das Blut gelangten Bakterien sich bei gitnz- lichem Darniederliegen der Abwehrkr~fte des K6rpers schranken- los vermehren k6nnen.")

Dieser Zustand kann prim/Jr gegeben sein und damit dem Ver- lauf der progredienten eitrigen Infektionen yon vornherein den Stempel der Sepsis aufpr/igen, oder er entwickelt sich erst sekundiir. Im ersteren Falle handelt es sich um eine p r i m / i r e, g e n u i n e S e p s i s (Stenger2)). Der Organismus wird hierbei yon der Ein- trittspforte aus im glatten Zuge von den pathogenen Keimen fiber- rannt und vernichtet, ohne dab es zu wesentlichen pathologisch- anatomischen Ver/inderungen in den Gef/iBen und Organen kommt. Ein solcher Vorgang betrifft Organismen, welche fiir die gegebene eitrige Infektion /iberhaupt keine Abwehrkr/ifte aufzubringen ver- m6gen, sei es, dab sie nicht vorhanden waren, sei es, dab sie zwar vorhanden waren, aber durch die Toxine der eingedrungenen Bak- terien sofort gel/ihmt wurden. Der K6rper wird ohne nennens- werten Kampf fiberwunden; sein Schicksal ist von vornherein ent- schieden und vermag auch durch keine /iuBere Hilfe abgewendet werden. (Primiire tonsillogene und puerperale Sepsis, prim/ire chirurgische Verletzungssepsis, Gasbrandsepsis.) Eintrittspforte ist gleichzeitig Sepsisentwicklungsherd.

D ie s e k u n d / i r e S e p s i s i s t e i n e E r s c h 6 p f u n g s s e p s i s . Sie ist die h/iufigste Form der Sepsis iiberhaupt und betrifft Organis-

1) 1. c. ~) Stenger, Sepsis in der Oto-Rhino-Laryngologie. Verhandl, d.

Vereins f. wissenschaftliche Heilkunde K6nigsberg i. Pr. (1. M/irz) 1926, S. 103ff.; referiert Dtsch. reed. Wochenschr. 1926, Nr. 29.

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men, welche anf~nglich und fiir gewisse Dauer wohl befiLhigt sind, den Kampf gegen die eindringende Infektion aufzunehmen und durch- zuhalten. I)ie Abwehrkr~fte sind aber nicht stark genug, die Infek- tion auf die Eingangspforte zu lokalisieren und ihr Fortschreiten im Organismus zu verhindern. Die Infektion schreitet auf Wegen vor- w~rts, die teils zuf~dlig yon der Gunst der anatomischen Lage (Sinus sigrnoideus bei Ohreiterungen, Venenplexus bei puerperalem Uterus), teils gesetzm~Big von der geweblichen Affinit~t der Erreger be- stimmt werden. Es kommt zu Gewebsphlegrnonen, zur Lymph- angitis und Lymphadenitis, zur Peril, Endo-, Thrombophlebitis in der Nachbarschaft oder in der weiteren Umgebung der Eingangspforte. Immer neue Kampftruppen wirft .die Infektion in Form von Bak' terienmassen auf den erschlossenen Bahnen in den S~ftekreislauf. Immer wieder werden sie von den Abwehrkr~ften des str~menden Blutes und der Gewebe aufgerieben und vernichtet. Verzweifelt wehrt sich der Organismus. Schon hat die Infektion an der einen oder anderen Stelle oder an verschiedenen Orten gleichzeitig, fern yon der Eintrittspforte, festen Ful3 gefal3t (Metastase), aber noch immer leistet der K6rper Widerstand, wenn auch allm~hlich seine Abwehrkr~fte zu erlahmen beginnen angesichts der immer h~ufiger und massiger werdenden bakterieUen 13berschwemmung und der damit immer starker werdenden toxischen Beeinflussung, bis schlieB- lich der gAnzliche Zusammenbruch und damit die Allgemeininfektion, die Sepsis, da ist. Der Organismus ist damit in seiner Geamtheit fiberwunden und unrettbar verloren. Die Bakterien vermehren sich schrankenlos und durchsetzen mit ihren Toxinen den S~ftekreislauf und die Gewebe. Das ftihrt dann das Ende dutch Vergiftung und L~hmung der zentralen Lebensfunktionen herbei.

Alle diese pathologischen Entwicklungen und Geschehnisse bei progredienten eitrigen Infektionen, die zwischen dem Infektions- beginn und dem Endstadium, der Ersch6pfungssepsis, liegen, lassen sich im Hinblick auf diesen AbschluB als p r ii s e p t i s c h e Z u- s t i i nde bezeichnen und zusammenfassen. Ffir sie gilt die For- mulierung, welche S c h o t t m i i l l e r fiir die Sepsis gegeben hat. Es mul3 also jetzt unter entsprechender Xnderung des Objekts und unter Hinzufiigung des quantitativen Ausblicks heiBen: Ein p r A s e p t i s c h e r Z u s t a n d l i e g t v o r , w e n n s i c h i n n e r - h a l b des K 6 r p e r s e in H e r d g e b i l d e t h a t , y o n d e m a u s ~ : o n s t a n t o d e r p e r i o d i s c h p a t h o g e n e E i t e r e r r e g e r in

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d e n B l u t k r e i s l a u f g e l a n g e n d e r a r t , d a b d u r c h d i e s e I n v a s i o n s u b j e k t i v e o d e r o b j e k t i v e K r a n k h e i t s e r - s c h e i n u n g e n a u s g e l 6 s t w e r d e n , u n d d i e G e f a h r e i n e r S e p s i s h e r a u f b e s c h w o r e n bzw. e i n e S e p s i s h e r b e i - g e f iih r t wi r d. Das Gemeinsame und Kennzeichnende dieser Zu- st~inde ist also, dab sie einer progredienten eitrigen Infektion ihre Entstehung verdanken, und dab im Hintergrunde ihrer Weiter- entwicklung und Auswirkung die Sepsis lauert.

Die prltseptischen Zustlinde setzen sich je nach ihrer topisch- anatomischen Ntiologie aus mehr oder weniger mannigfaltigen patho- logisch-anatomischen Einzelvorgiingen zusammen. Ihr besonderes Gepriige erhalten sie aber iiberall dureh die KrankheitsverAnderungen, welche der fortschreitenden Ausbreitung der Infektion ihre Ent- stehung verdanken und gleichzeitig selbst als Triiger und Vermittler des Infektionsfortschrittes der weiteren Krankheitsentwicklung zum Endziel der ErschSpfungssepsis dienen, Fiirihre Kennzeichnung stehen uns im einzelnen alle jene Namen zur Verfiigung, welche aus chemischen, mechanischen, bakteriologischen, morphologischen, pathologisch-anatomisehen und klinischen Gesichtspunkten her- geleitet und z. T. zur Definition der Sepsis gemiBbraucht bzw. mit ihr selbst identifiziert wurden: Lymphangitis, Lymphadenitis, Phlegmone (Unterhautzellgewebsphlegmone, Halsphlegrnone, Beeken- bindegewebsphlegmone, Mediastinalphlegmone), Thrombophlebitis, Pyiimie, Metastasen (Lungen-, Pleura-, Gelenk-, Muskel-, Nieren-, Leber-, Milzmetastasen).

Alle diese Krankheitsvorg~nge lassen sieh auch bei unserer Auffassung des Sepsisproblems als Sepsisentwicklungsherde kenn- zeiehnen, vielleicht sogar mit besserem Recht, als vom S c h o t t - mi i l le rschen Standpunkte aus. Denn im Grunde ist ein Entwicklungsherd sinngem~iB doch immer nur ein Vorstadium. Wenn S c h o t t m f i l l e r auf dem Standpunkt steht, dab das Auf- treten und Vorhandensein solcher Herde und ihre augenblickliche Auswirkung bereits eine Sepsis bedeutet, so pal3t der Ausdruck Entwicklungsherd nicht mehr recht bin. Da ist der Name Sepsis- herd der richtigere, den S c h o t t m i i l l e r ja auch sp~iter in seinen Darlegungen eingefiihrt hat.

Sepsisentwieklungsherde bei pr~iseptischen Zust~nden sind Etappen auf dem Wege des Infektionsfortschrittes, und dabei gibt es in der Reihenfolge des Auftretens und der gegenseitigen Ab-

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h~ingigkeit Etappen I., II., III . usw. Ordnung. Allerdings geht die Kontrolle fiber die AbhAngigkeit sehr bald verloren. In dieser Hin- sicht lassen sich hSchstens die Etappen I. Ordnung und, bei vor- handener Thrombophlebitis mit Lungenmetastasen, die Etappen II. Ordnung bestimmen. Von da an ist dann eine Feststellung dar- fiber, was aus dem Prim~ixherd seinen Ursprung genommen hat, und was aus den verschiedenen Etappen hervorgegangen ist, iiber- haupt nicht mehr mSglich.

Dabei spielen nicht selten auch Prim~rherde noch eine aktive Rolle, yon denen man klinisch fiberzeugt ist, dab sie vollkommen abgeheilt sind. Das vermag man z. B. nicht selten bei der progre- dienten eitrigen TonsiUitis zu beobachten. Die Abheilung in der Tonsille ist in solchen FAllen nur eine scheinbare. Der Herd, aus dem die Phlegmone, die Lymphangitis oder die Thrombophlebitis ihren Ursprung genommen haben, schwelt unter der Decke schein- barer Heilung und ist auch weiter imstande, Keime in den Kreislauf hinein zu entsenden. Im fibrigen sind gerade bei der akuten pro- gredienten Tonsillitis der Prim~irherd und die erste Infektionsetappe (Thrombophlebitis) nicht selten rAumlich so stark genAhert, dab ihre Isolierung nur auf anatomisch-prAparatorischem Wege mSglich ist. Deshalb ist der Standpunkt von M a r t e n s , der die sog. abgeheilte Tonsillitis grundsAtzlich als eine erledigte Angelegenheit ansieht, und mit einem abgeheilten Furunkel oder einer abgeheilten Ver- letzung vergleicht, vSllig unhaltbar. Richtig ist vielmehr nur der entgegengesetzte Standpunkt derjenigen Oto-Rhinologen, die in dem Verbleiben einer Tonsille, welche den Ausgangsherd fiir einen prAseptischen Zustand abgegeben hat, eine schwere Gefahr erblicken und dementsprechend ihre sofortige chirurgische Beseitigung im Rahmen der sonstigen chirurgischen Therapie fordern.

Das Entwicklungsprogramm der prAseptischen ZustAnde ist nicht unabAnderlich. Es gibt verschiedene MSglichkeiten, durch welche ihr Entwicklungsgang unterbrochen oder abgebogen werden kann. Ersteres ist der Fall, wenn eine Heilung eintritt. Diese kann yore Organismus selbst erreicht werden, wenn rechtzeitig erhShte Abwehrenergien ffir eine Abriegelung des Entzfindungsfortschritts sorgen, und wenn es dann durch weitere gfinstige UmstAnde gelingt, die demarkierten Herde zu resorbieren oder nach auBen zu entleeren (Spontanheilung). Eine solche gfinstige Wendung gehSrt allerdings zu den Seltenheiten. Eine bedeutsamere Rolle spielt bei der hei-

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lungsgem~iBen Umwandlung pr~iseptischer Zust~inde die chirurgische Therapie, welche durch Feststellung und Entleerung yon Abszessen, dutch Spaltung yon Phlegmonen und durch Unterbindung und Aus- schaltung yon thrombophlebitischen Venenkomplexen die Infektion zum Stillstand zwingt. In vielen Fiillen l~iuft das Entwicklungs- programm bis zum bitteren Ende der Ersch6pfungssepsis nur deshalb, weil die gegebenen M6glichkeiten zur chirurgischen Beherrschung nicht erkannt und ausgenutzt werden (die S e p s i s d e r v e r p a 13 t e n G e l e g e n h e i t e n ) .

Um ein Abbiegen des Entwicklungsprogramms handelt es sich in solchen F~illen, wo durch den Fortschritt der Infektion .auf meta- statischem oder kontinnierlichem Wege eine eitrige Meningitis oder eitrige Peritonitis eingeschaltet wird. Es sind das Krankheitszustiinde, die im Augenblick ihres Entstehens als selbstiindige und in sich abgeschlossene Prozesse in den Vordergrund treten und dem weiteren pathologischen Entwicklungsgang den besonderen Stempel auf- priigen (pritseptische Meningitis bzw. Peritonitis). Ehe es zur ErschSpfungssepsis kommen kann, ist der Tod bereits dutch die eingeschaltete Meningitis bzw. Peritonitis herbeigefiihrt. Das pflegt bei der priiseptischen Meningitis die absolute Regel zu sein. Nur bei der Peritonitis kann es unter Umst~inden vorkommen, dab sie sich in herdf6rmige Eiterungen aufl6st und auf diese Weise in den weiteren Entwicklungsgang der Ersch6pfungssepsis eingliedert.

Nun gibt es noch eine Gruppe von Krankheitszust~inden bei eitrigen Infektionen, die neuerdings auch zur Sepsis gerechnet werden. Das sind jene Zust~inde, wo durch einen chronischen eitrigen Entzfindungsherd (Mittelohrgebiet, Nebenh0hlengebiet, Ton- sillen, Nierenbecken, Z~ihne, Zahnforts~itze usw.) infolge 13bertritts von pathogenen Keimen in den Kreislauf periodische Fieber- steigerungen verschiedenster Art und H6he veranlaBt werden, die nach kfirzerer oder llingerer Dauer wieder von selbst verschwinden, um nach kfirzerer oder liingerer Pause wieder aufzutreten. Auf diese Weise beherrschen sie entweder allein das Krankheitsbild, oder sie sind verbunden mit sonstigen subjektiven oder objektiven Krankheitserscheinungen, vorzugsweise in den Gelenken, in den Nieren und im Herzen. Auch diese Folgezust~inde sind dadurch aus- gezeichnet, dab sie in der Regel im periodischen Verlauf nur fiir kiirzere oder l~ingere Zeit andauern und dann wieder verschwinden, um mit einer neuen Fieberattacke wieder aufzutreten.

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Durch diese Zustiinde, die sich iiber Monate und Jahre hinziehen k6nnen, pflegt die Immunit~tslage des K6rpers im allgemeinen nicht entscheidend erschiittert zu werden. Das geschieht nur dann, wenn der Infektionskoeffizient in dem urs~ichlichen Herd pl5tzlich durch i~uBere konditionelle Umst~inde oder durch Hinzutreten neuer viru- lenter Keime eine Steigerung erf~ihrt, und damit die Entziindungs- vorgAnge in ein akutes ausbreitungsf~ihiges Stadium treten (akute Exazerbation). Daraus kann sich dann auf die eine oder andere Art (Lymphangitis oder Thrombophlebitis, Phlegmone) eine prli- septischer Zustand entwickeln, der schlieBlich, wenn er unbeherrscht bleibt, durch Zermiirbung der Immunitlitskriifte zur ErschSpfungs- sepsis fiihrt.

DaB man diese Zust~nde entsprechend der Universaldefinition S c h o t t m i i l l e r s zur Sepsis rechnete (chronische Sepsis), hat ja ganz besonders dazu beigetragen, die miBbriiuchliche Verwendung dieses Begriffes und die Unzuliinglichkeit der zugrunde liegenden Definition zu offenbaren. Wenn wir sie jetzt aber yon unserem Standpunkte aus begrifflich kennzeichnen und in das richtige Ver- hiiltnis zur Sepsis stellen sollen, so sind wir einigermaBen in Verlegen- heit.- Denn es gibt keinen Begriff, der das in kennzeichnender Weise einwandfrei zum Ausdruck br~chte, was hier in eigenartiger Kom- bination vorliegt: In einem lokalen Entzfindungsherd die Neigung und Fiihigkeit zur Ausbreitung der Infektion auf dem Wege des Kreislaufs bei absolut stabiler allgemeiner Immunit~itslage. Zum Gliick gibt es aber in der Pathologie die MSglichkeit, entferntere ~,hnlichkeiten des Krankheitsvorganges dutch die Verwendung der Endigung -oid begrifflich zu kennzeichnen. Wenn wit uns dieser MSglichkeit hier bedienen, und dabei die qualitative Verwandtschaft mit den zur Sepsis fiihrenden Infektionen beriicksichtigen, so ergibt sich daraus der Begriff , , S e p t o i d e Z u s t ~ n d e " . Darunter sind nach obiger ErSrterung Erkrankungen zu verstehen, denen i r g e n d w o i m K S r p e r e in I n f e k t i o n s h e r d z u g r u n d e l i e g t , v o n d e m in p e r i o d i s c h e n S c h i i b e n v o n l ~ n g e r e r o d e r k i i r z e r e r D a u e r p a t h o g e n e B a k t e r i e n in d e n B l u t k r e i s l a u f g e l a n g e n , d e r a r t , d a b d u r c h d i e I n v a - s i o n s u b j e k t i v e o d e r o b j e k t i v e K r a n k h e i t s e r s c h e i - n u n g e n a u s g e l S s t w e r d e n , o h n e d a b d a b e i d i e a l l g e - m e i n e I m m u n i t i i t s l a g e e i n e b e m e r k e n s w e r t e E r - s c h i i t t e r u n g e r l e i d e t .

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~bcr Sepsis und Sepsisbegriff. 49

Worin besteht nun hiernach das grunds~tzlich Neue und Ntitz- liche in der vorgeschlagenen Art der Definition, Begriffsbestimmung und Einteilung ? Es besteht darin, dal3 der Begriff Sepsis yon allen ~ul3erlichen morphologischen, chemischen und mechanischen Ge- sichtspunkten pathologisch-anatomischer und klinischer Betrach- tungsweise losgel6st und unter einen einheitlichen biologischen Ge- sichtspunkt gestellt wird, yon dem aus gesehen er als Quantit~ts- begriff das VerNiltnis zwischen Infektion und Immunit~tslage im Organismus am Schlul3 unbeherrschter bzw. unbeherrschbarer Eiter- infektionen anzeigt.

Die Begriffe ,,pr~septische Zust~nde" und ,,septoide Zustlinde" sind unter denselben biologischen Gesichtswinkel gestellt und for- muliert. Sie zeigen an, welche Perspektiven sich in der Entwicldung progredienter eitriger Infektionen aus dem Verhiiltnis zwischen Infektion und Immunit~tslage im Hinblick auf die Sepsis ergeben k6nnen. Sie fassen gesondert diejenigen Krankheitszust~inde zu- sammen, an deren Ende erfahrungsgemiiB die Sepsis steht, und diet jenigen, wo das erfahrungsgem~13 nicht ohne weiteres der Fall ist, und sie bewirken dadurch eine grunds~itzliche Trennung qualitativ verwandter abet quantitativ grundverschiedener Krankheitszustiinde.

Auf diese Weise ist eine Differenzierung und Einteilung zustande gekommen, welche eine klare Grundlage flit die klinische Beurteilung und ffir die therapeutische Er6rterungen und Entschlfisse abgeben kann, sofern sie sich in die gegebenen und bew~ihrten klinisch- diagnostischen Gesetze und Handhaben einffigen l~Bt. Dies ist aber bestimmt der Fall, was die Begriffe: septoide Zust~inde und pr~i- septische Zust~inde anbelangt. Denn dutch ihre Einfiihrung iindert sich ja nichts in der Diagnostik gegenfiber den damit zusammen- gefa/3ten, in ihrer klinischen und pathologisch-anatomischen Kenn- zeichnung unver~ndert gebliebenen Krankheitszustiinden. Auch im Hinblick darauf, was man nicht zu diagnostizieren vermag, iindert sich nichts. Dazu geh6ren leider oft die genetischen Grundlagen und bei den pr~iseptischen Zust~inden die den Infektionsfort- schritt vermittelnden und ibm zugrunde liegenden pathologisch- anatomischen Vorg~nge und Zust~nde.

Es bedeutet doch wohl eine ~)bersch~itzung der klinischen dia- gnostischen MSglichkeiten, wenn man, wie M a r t e n s 1) und andere, glaubt, Lymphangitis und Thrombophlebitis bei progredienten In-

1} Martens, 1. c. Archly f. Ohren-, Nasen- u. Kehlkopfheilkunde. Bd. 126. Jx

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fektionen klinisch voneinander unterscheiden und darauf eine diffe- renzierte Beurteilung der Krankheitslage aufbauen zu k5nnen. Seit- dem man die pathologisch-anatomischen Zusammenh~nge genauer studiert hat, weiB man, dab die beiden Hauptformen des Infektions- transportes gar nicht scharf voneinander getrennt und einzeln auf- treten, sondern immer miteinander kombiniert vorkommen, nur dab in dem einen Falle die Lymphangitis, im andern Falle die Thrombophlebitis als EtappenstraBe der Infektion mehr in den Vordergrund bzw. in den Hintergrund tritt. Damit hiingt es ja auch zusammen, dab sich die urspriinglich fiir zuverl~ssig angesehenen klinischen Unterscheidungskriterien im Fieberverlauf (die Kontinua fiir Lymphangitis, die Intermittens und SchiittelfrSste flit Thrombo- phlebitis) praktisch als unzuverliissig und triigerisch erwiesen haben. Endgiiltige Klarheit schaffen dariiber in der Regel erst die operative Revision bzw. die Obduktion. Eine Ausnahmestellung nimmt nut die otogene Thrombophlebitis ein, die einer klinischen Feststellung be- sonders leicht zug~inglich ist, einfach deswegen, weil wegen der ana- tomischen Verh{iltnisse eine Beriicksichtigung anderer Transportwege praktiseh in der Regel nicht in Betracht gezogen zu werden braucht.

Ganz anders als bei den pr~septischen und den septoiden Zu- st~nden liegen freilich die VerhAltnisse bei der diagnostischen Er- fassung der Sepsis in der beschr~nkten Anwendung des Begriffs. Es diirfte wohl niemals so recht mSglich sein, die einzelnen Phasen des septischen Zusammenbruchs von Beginn an exakt zu diagnosti- zieren, zu verfolgen und zu registrieren. Es kann also praktisch leicht vorkommen, dab man die Sepsis bereits vor sich zu haben vermeint, w~hrend der Organismus noch nicht daran denkt, sich zu ergeben, und dab man andererseits noch an WiderstandsmSglich- keiten glaubt, w~hrend der Organismus in Wirklichkeit bereits iiber- wunden ist. Erst im vorgeschrittenem Stadium wird man den Zu- sammenbruch der Immunit~tslage an seinen allgemeinen klinischen Auswirkungen in der Regel erkennen kSnnen. SchlieBlich schadet es auch nichts, wenn man gelegentlich als Kliniker sich darauf be- schri~nken mul3, nach letalem AbschluB der Katastrophe zu sagen: ,,Es war eine Sepsis." Praktisch macht das wirklich nichts aus. Denn zu Andern ist nach erfolgtem Zusammenbruch der Abwehr- krlifte und nach Beginn der Allgemeininfektion in unserem Sinne an der Katastrophe ]a doch nichts mehr.

Trotzdem hat der Begriff Sepsis auch unter diesen Umstiinden

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fiir den Kliniker praktischen Wer t ; denn er repr~isentiert in sich die gesammelte prognostische Perspektive auf den ernsten Hintergrund eines unwiderrufliehen katastrophalen Krankheitsabschlusses, dem fast alle pr~iseptischen Zust~inde fiber kurz oder lang, abet unabwend- bar zusteuern, wenn sie nicht rechtzeitig festgestellt, in ihren Zu- sammenh~ingen erkannt und beseitigt werden.

Daraus ergeben sich dann auch fiir eben diese Zust~inde die ent- sprechenden Konsequenzen im Hinblick auf die praktische Therapie vollkommen klar und eindeutig in absolut chirurgischem Sinne. Die Frage der rein internen Therapie ist bei dieser perspektivischen Einstellung iiberhaupt indiskutabel, weil es klar ist, dab auf diesem Wege nur kostbare Zeit verschwendet und der Patient der Katastrophe mehr und mehr gen~hert und schlieBlich rettungslos ausgeliefert wird. Oft steht die Situation bei Beginn der Therapie gerade auf des Messers Schneide, so dab jede Minute Iiir den Endausgang entscheidend sein kann. K i r s c h n e r 1) kennzeichnete seiner Zeit die kritische Krank- heitslage in derartigen Fiillen treffend mit dem Zitat : ,,Was du yon der Minute ausgeschlagen, bringt keine Ewigkeit Zuriick."

Bei den septoiden Zustiinden ist die prognostische Perspektive eine ganz andere, und daraus ergeben sich auch ganz andere Ein- steUungsmt~glichkeiten in der Therapie. Zwar in den F~llen, wo der ~itiologische Herd mit Sicherheit erkannt und lokalisiert werden konnte, wird die chirurgische Ausschaltung dieses Herdes (z. B. Ton- siUektomie, radikale Ohr- bzw. Nebenh6hlenoperation, chirurgische Zahnbehandlung) immer die zuverl~issigste Therapie bleiben. Denn sie erm~glicht es, den Organismus mit einem Schlage yon l~istigen und beunruhigenden Krankheitseinfliissen zu befreien, weitere Organ- schiidigungen zu verhindern und einen schwelenden Infektionsherd zu beseitigen, aus dem schlieBlich doch einmal die offene Flamme des ungehemmten Infektionsfortschrittes (akute Exazerbation, prii- septischer Zustand) hervorbrechen und den Organismus in der Er- schtipfungssepsis verzehren kann.

Absolut ist aber die chirurgische Indikationsstellung bei den septoiden Zustiinden niemals, so lange die Krankheitslage nicht dutch eine akute Exazerbation im ursiichlichen Herd eine entschei-

�9 dende Wandlung erfahren hat. Deshalb ist bei ihnen auch die inter- nistische Therapie in der einen oder anderen Form durchaus disku- tabel, zumal wenn die ~itiologischen Zusammcnh~inge nicht ganz

1) K i r s c h n e r , 1. c. S. 73. 4*

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gekl~t werden konnten. Gerade in solchen F/illen wird man sich mit Recht darauf berufen kSnnen, dab durch die interne Behandlung nicht nur kein unersetzlicher Zeitverlust zu entstehen braucht, sondern im Gegenteil durch einstweiliges Hinhalten dem 0rganismus vielleicht noch Gelegenheit gegeben werden kann, yon sich aus mit dem ursiichlichen Herd und den Krankheitsfolgen fertig zu werden. Allerdings wird die Tatsache, dab derartige Ausheilungen septoider Zust~nde voriibergehend oder endgiiltig auch ganz spontan erfolgen k6nnen, uns in der therapeutischen ]3ewertung des angewandten Mittels entsprechende Zuriickhaltung auferlegen mfissen. SchlieI31ich gibt es aber auch septoide ZustXnde, bei denen die Art und Lokalisation des urs~chlichen Herdes iiberhaupt jede chirurgische Therapie verbietet und nur eine interne Behandlung zul~13t (Endokarditis und Pyelitis).

Dieser kurze 13berblick scheint mir darzutun, dab die oben gegebene Differenzierung und Einteilung der Zust~nde bei pro- gredienten eitrigen Infektionen sowohl in diagnostischer wie in therapeutischer Hinsicht durchaus praktische Verwendung finden kann. Die Schwierigkeit besteht nur darin, dal3 man sich der bisher gebr~uchlichen begrifflichen Vorstellungen und Definitionen, die in allen Disziplinen lest eingewurzelt sind, erst einmal vollkommen entschl~gt. Diese Schwierigkeit diirfte sich aber im Laufe der Zeit fiberwinden lassen, wenn das praktische Interesse und die praktische Notwendigkeit es erfordern. Gerade die Oto-Rhino-Laryngologie hat aber ein besonderes Interesse daran, sich yon den iiberkommenen Vorstellungen und Definitionen des Sepsisbegriffs loszumachen und zu solchen fiberzugehen, welche besser wie jene den mannigfaltigen diagnostischen und therapeutischen Aufgaben zur exakt unter- scheidenden Grundlage dienen k6nnen.

Aus der Univ.-Klinik fiir Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten, Kiel. (Direktor: Prof. Dr. A. Z i m m e r m a n n . )

Z u r P e r n o k t o n n a r k o s e in d e r O t o - R h i n o - L a r y n g o l o g i e .

Von Dr. K u r t B u r g d o r f , Assistent der Klinik.

Seit reichlich einem Jahre werden an unserer Klinik Versuche Init dem Pernokton Riedel unternommen und wir verffigen bis jetzt fiber ein Material yon 35 F~llen, die wir in Pernoktonkombinations- narkose operiert haben.