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Überflieger 21

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Ausgabe Nummer 21

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Lenné - Überflieger - Jahrgang 6 Ausgabe 21Seite 2

EDITORIA

L

EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser!Wer kennt sie nicht? Redewendungen und Begriffe wie „kopflos, hirnlos, kopfge-steuert, hirnverbrannt“, alle gern gebraucht im Zusammenhang mit mehr oder weni-ger klugen Entscheidungen. Ein schlauer Mensch wird gern als „nicht auf den Kopf gefallen“ oder „kluger Kopf“ bezeichnet. Angesichts mancher Verhaltensweisen fragt man sich: Was hat „das Hirn da aus-gebrütet?“ oder „War das Hirn nicht einge-schaltet?“ Entscheiden wir voreilig, Mathe „hirnlos“ zu finden, oder jagen lieber einem „Hirngespinst“ nach, statt für die Bio-Klau-sur zu lernen, erhalten wir die „Quittung“. Die meisten - nicht immer freundlichen - Sprachschöpfungen kennen wir für die Bezeichnung von Fehlleistungen des Kop-fes: Man hat ein „Gehirn wie ein Sieb“, ein „Vakuum im Hirn“, ein „Spatzenhirn“ oder gar „einen Sprung in der Schüssel“. Halten wir etwas für eine „hirnverbrannte Idee“, bedenken wir nicht, dass die Redewendung damit zu tun hat, dass das Hirn durch Hitze beschädigt würde. Wird es schwierig, „zer-martern wir uns das Hirn“. Begreift jemand nicht, fordern wir: „Schalte dein Hirn ein!“ Alles dreht sich um den Kopf.

Unser Gehirn schaltet und lenkt fast alles, was wir tun. Nur ein Beispiel: In der Basis des Großhirns liegt die Schaltstelle der Freude. Hier reagiert Striatum auf Neues und Unerwartetes mit der Ausschüttung des Botenstoffes Dopamin. Unser Moti-vationssystem wird in Gang gesetzt, wir spüren Befriedigung. Lernen ist ansteckend und Motivation kann tatsächlich von einem auf den anderen Menschen „übersprin-gen“. Konkret: Schüler trifft Lehrer! Zu Be-ginn einer jeden Begegnung schätzt unser Gehirn innerhalb einer Sekunde und völlig unbewusst die Glaubhaftigkeit des Partners

automatisch über eine Analyse von Stimme Gesichtsausdruck und Körperhaltung ein. Dafür sind bestimmte Bereiche der Hirn-rinde und der sogenannte Mandelkern zuständig. Sie geben das Startzeichen für die Aufnahme von neuem Wissen und er-möglichen so Lernprozesse und Gedächtnis-bildung. Meist sind dem Lehrer die von ihm ausgesandten Signale gar nicht bewusst. Wenn ein Lehrer Wissensinhalte vorträgt, von denen er selbst nicht begeistert ist, ist das für die Gehirne der Schüler die direkte Aufforderung zum Weghören… Wir jeden-falls haben eine gute Ausrede, warum wir nicht zuhören und nichts lernen. Es geht ungeheuer spannend zu in unseren Köpfen. Daher steht im BRENNPUNKT die-ser Ausgabe das menschliche Gehirn. Was kann es, wie funktioniert es? Zugegeben, das Thema ist eine harte Nuss, die wir nur anknacken können. Doch wir wollen „einen Blick hineinwerfen“ in unsere „Schaltzen-trale“. Das hat der Homo sapiens schon vor etwa 7000 Jahren versucht. Lest ab Seite 18.

So manch einer von uns quält sich mit den leidigen Fremdsprachen, andere lernen sie leicht und gern. Es geht noch besser: Emil KREBS (1867 - 1930, Sinologe) beherrschte bis zu seinem Tod 68 Sprachen in Wort und Schrift und befasste sich mit insgesamt 111 Sprachen und Dialekten. Er gilt noch heute als eines der größten Sprachwunder der Welt. Herr E. Hoffmann aus Potsdam ist sein Großneffe und gab uns ein aufschlussrei-ches Interview. (S.25ff.) Natürlich gibt es auch jede Menge Schulin-ternes wie die Winterlager-Impressionen, unser Lehrerinterview, spannende Reise-berichte oder Kurzgeschichten und Tipps von uns für euch.Lasst euch überraschen! Kalle

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Inhalt Seite

Lenné - Intern

Auf die Piste! Lenné-Winterlager 2011 4Im Lehrer-Interview: Herr Jandt 6Zwei Plagegeister 9Auf Zehenspitzen erwachsen werden 10Derby High School bei uns zu Gast 1213. Seite: Rundgang durch unsere Schule 13Zu Hause in Sibirien 14Nach dem Abi: Abenteuer Ecuador 16

Kultur - Feuilleton

Wunderwerk im KopfVom Loch im Kopf 18Besser als jeder Computer 20Nicht schön, aber genial 23Wie werde ich ein Sprachgenie? 24Den Kopf voller Sprachen: Emil Krebs 25KurzgeschichtenEin Fahrstuhl und ein Vorspiel 30Keinen Kopf für Freiheit 32Kopf über... 34Gerüchteküche 35

Politik - Gesellschaft

Von gelaufenen Bildern und angelndem Ton 36Die Löwin 38Im ARD-Hauptstadtstudio 39Medienberuf: Nachrichtensprecher 41

Tipps - Trends

Potsdam Tipp: Die Fabrik der anderen Art 42Lehrerrätsel / Veranstaltungs-Tipp 44Film-Tipp: vincent will meer 45

In eigener Sache

Die Redaktion stellt sich vor 46Schluss mit lustig 47

Lenné - Überflieger - Jahrgang 6 Ausgabe 21 Seite 3

INHA

LTSV

ERZE

ICHN

IS

Nach dem Abi - Kinder betreuen in Ecuador Seite 16

Im BRENNPUNKT-Interview: Eckhard Hoffmann über das Sprachgenie Emil KREBS Seite 25

INHALTSVERZEICHNIS

Lenné-Winterlager 2011 Seite 4

BRENNPUNKT

Sarah-Edna - Tanzen mit Leidenschaft Seite 10

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Lenné - Überflieger - Jahrgang 6 Ausgabe 21Seite 4

Backside! Frontside und ab - die Piste hinuntergeschlittert! Wie jedes Jahr hat der Jahrgang 11 eine eisige Woche im Skilager in Italien verbracht. Dieses Jahr fuhren wir vom 14. bis 22. Januar in die Berge, um unsere Snowboard- und Skikünste unter Beweis zu stellen. Egal, ob wagemutiger Anfänger oder fortgeschrittener Profi, je-der bewältigte diese glatte Angelegenheit schließlich mit Erfolg. Zur Unterstützung bekamen wir kompetente sportliche Hil-fe von Frau Hickisch, Frau Rudolph, Frau Scharfenberg, Herrn Berndt, Herrn Börsch, Herrn Ritter, Herrn Pries und Herrn Gnadt. Mit ihnen erlebten wir unsere kälteste, anstrengendste und doch bisher schönste Schulwoche in Südtirol.

Start war am Freitag vom Potsdamer Haupt-bahnhof. Eine zwölfstündige, sehr witzige Busfahrt stand uns bevor. Nach einem un-terhaltenden Film, ein paar amüsanten Gesprächen unter Freunden und einer kleinen Pause überkam so manchen die Müdigkeit und eine sich rekelnde Nacht

begann. Gerädert von der schaukelnden Fahrt erreichten wir am nächsten Morgen unser Reiseziel Lappach (Lappago). Unsere Hirne signalisierten Begeisterung, als wir die wunderschöne Landschaft von Südtirol betrachteten. Die Unterkunft war eine Pen-sion mit niedlichen Zimmern und einem großen Balkon. Wir gewöhnten uns recht schnell an unsere neue Umgebung und gegen Mittag liehen wir die Ski- und Snow-board-Ausrüstungen aus. Dieser Tag wurde noch zum Faulenzen und Erholen genutzt, denn gleich am nächsten Tag erwartete uns jede Menge sportliche Aktivität.

Das Skigebiet Speikboden, wo wir trainier- ten, liegt in einer Höhe von 2.400 Metern am Südhang der Zillertaler Alpen und bietet sieben verschiedene Pisten mit über 10 Kilo-metern Abfahrt für jedes Niveau. Nun hieß es Üben, Trainieren und Fortschritte leisten. Tag für Tag gewöhnten wir uns besser an das Snowboardfahren und obwohl so mancher von uns ständig fiel, stand er wieder auf und fasste neuen Mut. Schmerzen gehörten

Auf die Piste und ab geht´s!

WINTERLAGER 2011

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dazu, genauso wie der Spaß beim Hinunter-düsen der verschiedenen Abfahrtstrecken. Unsere fortgeschrittenen Snowboarder ver-besserten ihre Fahrtechnik und erfreuten sich auf dem Eis. Manchmal kam ein total wild gewordener Skifahrer angebraust, um seine Künste zu präsentieren. Dies ließ so manchen Snowboard-Anfänger zusammen-schrecken. Trotzdem mussten wir zugeben, dass diese geübten Skifahrer eine tolle Figur auf ihren zwei Brettern machten. Unsere Skifahrer sahen auf den ersten Blick fast ebenso elegant und mutig aus, aber auch sie fanden so manche Abfahrt nicht gerade einfach. Nach der ersten roten Piste machte sich auf dem Gesicht schnell ein stolzes Lächeln breit, das sich in der Regel eine Weile hielt. Jeden Tag fuhren wir völlig fertig mit einem viel zu kleinen Bus zurück zur Pension. Noch dazu war es alles andere als leicht, mit Skischuhen als erster im Bus zu sein und einen Platz zu finden. Na gut, dann eben im Stehen träumen und Herrn Ritter beim müden Augenrollen beobachten.

Einige gingen abends in den Pub und tran-ken einen Prosecco, spätestens danach fiel jeder nur noch ins Bett. Die letzten Tage waren dann nicht mehr ganz so anstrengend und der Spaß überwog, denn die meisten konnten schon Kurven und mit den Skiern parallel fahren und daher ganz gemütlich die Pisten abwärts düsen. Nur ein kleiner

Teil musste noch an seinen Fähigkeiten oder Noch-nicht-Fähigkeiten arbeiten.

Der „Skifasching“ hat Tradition im Win-terlager der Lenné-Schule - und das zu Recht. Es war zum Totlachen, besonders die Lehrer sahen echt gut aus. Wie die Ver-rückten fuhren wir so verkleidet Slalom und machten uns einen lustigen, „bunten“ Tag. Am Tag danach durften wir nur in der zweiten Tageshälfte fahren, weil wir uns einen halben Tag lang ausruhen sollten. Also fuhren wir mit dem Sessellift bis ganz nach oben auf das Plateau „Sonnenklar“ und genossen von hier den traumhaft schönen Ausblick über weiß verschneite Berge mit Segelfliegern im Sonnenlicht. Danach ging es natürlich wieder die Pisten hinunter. Die schwarzen Pisten überließen wir den Profis. Aber der Talabfahrt konnten wir nicht widerstehen. Das wäre auch zu schade gewesen, denn diese Abfahrt war zwar anstrengend, aber eine phantastische Erfahrung.

Das war sie - unsere Wintersportwoche. Am Ende waren alle ziemlich erschöpft, aber zu-frieden. Mit einem kleinen Snackpaket aus der Kantine genossen wir die entspannte Busfahrt mit Filmen und Gequatsche zurück nach Potsdam. Tabea/ Tabatha

SÜDTIROL

Winterlager 2011 in Lappach/Südtirol

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Herr Jandt, wo haben Sie Ihre Kindheit und Jugend verbracht? Ich bin in Wittenberge an der Elbe im ehe-maligen Bezirk Schwerin groß geworden. Das war eine Stadt mit 38 000 Einwohnern, wo Nähmaschinen und Zellstoffprodukte hergestellt wurden. Als Kind war ich viel in der Natur und mit dem Fahrrad unterwegs. Ich hatte an der Fahrradstange meine Angel und habe ab und zu einen Fisch mit nach Hause gebracht. Von der 1. bis zur 8. Klasse ging ich an eine Polytechnische Oberschule. Dann bewarb ich mich für die Erweiterte Oberschule (EOS, vergleichbar dem Gymnasium), wofür man sehr gute Leistungen brauchte, da sehr stark ausgewählt wurde. Mein Abitur habe ich nach 12 Jahren abgelegt. Zu meiner Zeit erhielt man zwei Jahre lang finanzielle Un-terstützung, in der 11. Klasse pro Monat 110 Mark, in der 12. Klasse 130 Mark. Nach dem Abitur ging ich drei Jahre zur Armee, danach zur Uni Potsdam. Und schon sehen wir uns hier in der wunderschönen Stadt Potsdam, weil ich hier hängen geblieben bin.

Wie würden Sie Ihre eigene Schulzeit beschreiben?Ich war ein Schüler, der sehr intensiv für die Schule gearbeitet hat. Ich hatte Spaß daran. Ich hatte Lehrer, die mir gerade am naturwissenschaftlichen Arbeiten enorm viel Spaß vermittelt haben. Lehrer, die mir nie das Gefühl gaben, dass ich dumm sei, wenn ich mal einen Fehler machte, sondern mir gezeigt haben, wie ich diesen Fehler

vermeiden könne. Dass mich viele meiner Lehrer positiv beeindruckt haben, gab den Ausschlag dafür, dass ich Lehrer geworden bin.

Seit wann sind Sie Lehrer und wie lange schon an der Lenné-Schule? Ich habe 1992 hier mein zweijähriges Refe- rendariat als Mathe-Physik-Lehrer begon-nen. Informatik habe ich als drittes Fach studiert, habe also drei erste Staatsexamen gemacht. Für Mathe- und Physiklehrer gab es damals einen Einstellungsstopp. Es war nicht sicher, dass ich hier anfangen könnte. Doch da gab es Herrn Müller, der offen-sichtlich bemerkt hatte, was ich hier tat. Er setzte sich mit allen Mitteln dafür ein, dass ich bleiben durfte. 1994 unterschrieb ich meinen Arbeitsvertrag und bin seit-dem Lehrer an der Schule. Jeder Tag an der Lenné-Schule macht mir Spaß.

Wenn Sie noch einmal die Wahl hätten, was würden sie studieren?Da sitze ich manchmal zwischen zwei Stüh-len. Die Technik ist doch ein bisschen mein Steckenpferd. Ich konnte mein Hobby zum Beruf machen. Aber! Wenn ich daran den-ke, nur mit der toten Technik zu arbeiten, würdet ihr mir fehlen. Mit jungen Men-schen zusammenzuarbeiten und mit neuen Medien arbeiten zu können, ist eigentlich das Schönste, was ich mir momentan vor-stellen kann. Wenn du mich vor die Wahl stellen würdest, ich würde wieder Lehrer werden.

Beruf als Berufung. Herr Jandt im Interview

LEHRER - INTERVIEW

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HERR JANDT

Ihnen würde also der Beruf des Lehrers mehr fehlen als die Informatik?Ja, die Informatik kann man auch an an-deren Stellen bekommen, jedoch sehr trocken und abgeschottet. Sicher spielt Teamarbeit heute eine große Rolle, aber das sind dann fünf oder sechs Leute. Das wäre mir zu wenig. Ich fühle mich mit euch 650 und mit den 50 Kolleg/innen sehr wohl.

Welche Eigenschaften schätzen Sie an an-deren Menschen?Es gibt das geschwollene Wort der Loyalität. Wenn man einmal zu jemandem steht, ihm Vertrauen entgegenbringt und es zurück-bekommt, muss das verlässlich sein. Ich schätze es auch, eine kritische Tat eines anderen zu stützen, von der ich nicht sofort weiß, ob es die richtige Entscheidung war. Nicht das Fähnchen nach dem Wind aus-richten!

Worüber ärgern Sie sich?Ich ärgere mich, wenn man seine Arbeit als „Job“ auffasst. Wenn man Schüler ist und sein Abitur an der Lenné-Schule ablegen möchte, sollte man es als seine Aufgabe verstehen, die man jeden Tag mit allen zur Verfügung stehenden Fähigkeiten erfüllen muss. Wenn ich hier Lehrer bin, dann bin ich den ganzen Tag Lehrer und der Letzte, der aus dem Klassenraum geht. Beruf kommt von Berufung. Man muss dafür leben. Erst dann hat man Spaß bei der Arbeit. Wenn man als Schüler herkommt, weil es draußen kalt ist und hier schön trocken und warm, dann ist das falsch. Das kann ich nicht leiden.

Sie investieren sehr viel Zeit und Energie in schulische Projekte. Woher nehmen Sie die Kraft dafür? Zu Hause habe ich jemanden an meiner Seite, der auch so arbeitet. Meine Frau ist

Lehrerin, sie arbeitet auf eine vergleichbare Weise mit Schülern. Jemand, der nicht in diesem Bereich tätig ist, könnte mich unter Umständen nicht so gut verstehen und un-terstützen. Andererseits nehme ich die Kraft aus den vielen Dankeschöns, die man hier kriegt. Es ist schon Dank zu sehen, dass man akzeptiert wird. Immer, wenn ich mit mei-nen Schüler/innen ein Projekt durchziehe, reichen mir glänzende Augen. - Ich merke, dass es in unserer Gesellschaft sehr viele Kinder gibt, die ein Zweitzuhause brauchen. Das kann Schule heute bieten. Dazu muss es Lehrer/innen geben, die die Schüler als Partner akzeptieren und sagen: „Du kannst etwas, was ich nicht kann. Ich brauche dich dafür.“ Ich möchte das so vielen Schülern wie möglich geben. Daher möchte ich mich auch in die zweite Schülerfirma einklinken, in der das Schulradio aufgeht. Das sind 24 Schüler; mit den 16 aus der ersten Schüler-firma sind es dann 40. Wenn jeder Lehrer an unserer Schule einige Kinder an sich bin-det, haben wir hier optimale Verhältnisse. Du bist z.B. durch die Tätigkeit in der Schü-lerzeitung gebunden. Und noch weitere 15 Schüler/innen. Wenn wir so etwas mit möglichst vielen Schülern unserer Schule schaffen, können wir Dinge auffangen, die Elternhäuser heutzutage oft nicht leisten können. Erziehung können und wollen wir euren Eltern nicht abnehmen, aber wir können ein großes Stück weiterhelfen.

Was fangen Sie mit ihrer Freizeit an?Ich lese unwahrscheinlich gern. Ich bin sehr gern mit meiner Familie mit dem Fahrrad unterwegs oder bohre in meinem Garten herum, treffe mich abends mit Freunden zum Erzählen am Grill auf der Terrasse. Sehr gern bin ich auf unserem Wochenend-grundstück in Templin. Dort haben wir einen kleinen Bungalow am Wasser, wo wir tatsächlich immer noch die Angel ins

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Wasser halten können, so wie ich früher als Kind, nun mit meinen eigenen Kindern. Fernsehen mag ich nicht gern, da fehlt mir oft der Inhalt.

Wohin verreisen Sie am liebsten und wo war es am schönsten?Ich gönne mir mit meiner Frau jedes Jahr zum Hochzeitstag ein paar Tage an der Ostsee. An sich bin ich nicht so der „Reise-mensch“. Durch das Grundstück sind wir oft in der Uckermark. Kleine Traditionen! An-sonsten sind wir eher selten unterwegs und planen einen großen Urlaub sehr genau. Vor vier Jahren waren wir im letzten großen Urlaub für 14 Tage in Italien. Dort könnte ich wohnen. (Herr Jandt erzählt schöne Urlaubs-Anekdoten.) Gerade sind wir dabei, unseren nächsten Urlaub zu planen, auf Sizilien - ein bisschen mediterrane Gegend. Es können aber auch mal drei Tage Urlaub im Harz sein.

Welche Musik hören Sie?Anette Louisan beispielsweise. Mit meinen Kindern habe ich „Die Ärzte“ gehört, ich finde die Texte schön. Aber auf ein Konzert würde ich nicht gehen. Aus dem englischen Sprachbereich höre ich gern Norah Jones. Sonst auch gern Jazz.

Welches Buch würden Sie uns empfehlen?„Das Paulus-Evangelium“ von Wolfgang Hohlbein. Es handelt davon, dass man im Vatikan eine Möglichkeit gefunden hat, anhand weniger Daten mit einem „Super-rechner“ (mystische Handbewegung) die Vergangenheit multimedial nachzustellen. Auf einmal erkennt man, dass die Geschich-te des Christentums, wie man sie bisher konstruiert hat, falsch ist. Die Leute, die das erstellt haben, haben leider einen Fehler gemacht: Sie haben die Daten so abgelegt,

dass andere herankommen konnten. Und nun jagt man diese „Hacker“, denn wenn das an die Öffentlichkeit gerät, was der Vatikanrechner da errechnet hat, fällt die ganze Kirche in ihren Strukturen zusammen. Wenn es jedoch ans Tageslicht kommt, ver-lieren einige vielleicht nicht nur ihre Stelle, sondern ihren Kopf...

Was essen Sie besonders gern, was nicht?Es war nicht zuerst die Reise nach Italien da. Zuerst gab es die Vorliebe für mediter-ranes Essen. Egal was, von Pizza bis Pasta, über Oliven und ... Was ich überhaupt nicht gern esse, geht auf meine Kindheit zurück. Im Kindergarten gab es jeden Montag Milchreis mit Zimt und der musste aufge-gessen werden. Jeden Montag wiederholte sich dieses Spiel. Es ist mir nie bekommen und zu einer Phobie geworden. Als ich größer war, durfte ich Montags immer nach Hause gehen. Dort hat meine Oma für mich gekocht.

Der geangelte Fisch wird auch gegessen?Der wird auch gegessen, ganz klar. Auch meine Kinder! (kleiner Versprecher) Die ganz kleinen Fische, die meine Tochter angelt, bekommt die Katze. (lacht)

Wenn Sie eine Zeitreise machen könnten, wohin würden Sie reisen, wen würden Sie gern treffen?Ich würde in die Zeit wollen, in der geogra-fisch entdeckt wurde: Tiere, andere Men-schen, neue Pflanzen und Kontinente wur-den erforscht. Ich würde gern den Leuten begegnen, die solche Dinge erlebt haben, wie Vasco da Gama oder Vespucci.

Dann wünsche ich Ihnen eine schöne Reise und bedanke mich. Tanja

LEHRER - INTERVIEW

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Zwei Plagegeister

Endlich wieder abends fernsehen können, ohne dass man so leise stellen muss, dass kaum jemand noch etwas versteht! Sonst könnte ja das Baby aufwachen! Auch endlich mal wieder mit Mama ins Kino gehen, da kein Baby mehr an ihrer Brust hängt! Endlich kehrt wieder etwas Ruhe ins Haus ein! Das war meine Hoffnung, als meine kleine Schwester Fritzi laufen und halbwegs sprechen lernte!

Aber dann… kam diese kleine, schreiende und doch niedlich aussehende Nervensäge namens Hannes an, die mein Bruder ist…

Zwar ist es wirklich nicht lange her, dass Fritzi - inzwischen fast 3 Jahre alt - ein Baby war, aber wie ich jetzt feststelle, vergisst man doch relativ viel und schnell, was das für eine große Schwester wie mich bedeutet! So nach und nach kommen die Erinnerungen unweigerlich wieder. Wenn ich darüber nachdenke, hat mich schon bei Fritzi immer aufgeregt, dass man nie mit seinen Eltern sprechen konnte, ohne dass ein Baby schrie oder sonst irgendwie die Aufmerksamkeit auf sich zog.

Wenn man dann mal etwas ganz Wichtiges mit der Freundin am Telefon zu besprechen hat - ihr wisst… - und die Eltern rufen, man solle mal „kurz“ auf das Baby aufpassen, dann kann man der Freundin unter lautem Geplärre gerade noch sagen, dass man in 10 Minuten zurückrufen würde. Würde! Denn wenn der Kleine schon mal ruhig ist,

kann Mama die Pause nutzen und noch mal „schnell“ duschen… Und genau dann fängt klein Hannes an zu heulen und genau dann lässt er sich nicht einmal mit meinen Gesangskünsten beruhigen! Das sind die Momente, in denen ich denke: „Gott, warum ich?!“

Das klingt jetzt sehr negativ, aber letzten Endes sind die Kleinen ja nur eine kurze Zeit so hilflos und schreien bei jedem Wunsch oder Problemchen und es ist natürlich sehr süß, die ersten verrutschten Versuche eines Lächelns zu beobachten! Und klar, ich freue mich, dass ich nun auch noch einen Bruder habe. Sie werden wirklich schnell groß, die „Kleinen“, manchmal wünsche ich mir sogar Fritzi in Hannes‘ Alter zurück, denn da konnte sie mir wenigstens noch nicht widersprechen. ;D

Also, wenn ihr auch große Geschwister werdet, freut euch darauf, denn es ist wirklich schön, zwar nicht immer, aber doch sehr oft! Nane

Von links nach rechts: Fritzi, Nane und Hannes

ÜBER UNS

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Ich bin Sarah, Schülerin der Peter-Joseph-Lenné-Schule und gehe in die 12. Klasse. Meine LK-Fächer sind Englisch und Geschichte. Die Schule bedeutet für mich keine Qual, obwohl sie manchmal nicht leicht zu bewältigen ist. Um mich ein wenig zu erholen und abzuschalten, mir keine Gedanken über Extrempunkte, Fotosynthese oder Comment machen zu müssen, habe ich ein - ich würde sagen - recht spezielles Hobby, was als Ausgleich geradezu perfekt ist: Es ist das Balett.

Die meisten werden wissen, dass Ballett ein klassischer Tanz ist, der schon seit Jahrhunderten existiert. Das Ballett entwickelte sich tatsächlich schon im 15. und 16. Jahrhundert an den italienischen und französischen Fürstenhöfen. Zu dieser Zeit war es noch keine eigenständige Kunstform und es tanzten nur Männer auf der Bühne, wie man es auch vom Schauspiel der Antike oder des Shakespeare-Theaters kennt. In den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts waren Theater in Paris, die teilweise große Ballettensembles besaßen, sehr erfolgreich mit Mischformen von Ballett, Theater, Pantomime und Zirkus. Das Ballett veränderte sich - sowohl der Tanz selbst als auch seine Themen. Sie verselbständigten sich und bekamen ausgefeilte dramatische Handlungen. Um 1830 wurde erstmals der Spitzentanz (frz. en pointe: auf der Spitze) - damals noch als solistische Einlage - verwendet und war natürlichen den Tänzerinnen vorbehalten. Bald gehörte er zur technischen Grundlage des Corps de ballet und revolutionierte das Ballett des 19. Jahrhunderts. Seit Ende des 19. Jahrhunderts denkt dabei jeder an eine Ballerina in Spitzenschuhen

und Ballettröckchen - „Tutu“ aus mehreren Schichten Tüll. Ein Spitzenschuh besteht aus Satin, einer Ledersohle und einem Gipsplättchen. Das ist das Geheimnis, warum die Balletttänzerinnen sich so graziös auf der Spitze bewegen können. Die „Profis“ benutzen zum Schutz ihrer Füße, einen alten Socken. Die angehenden Profis, wie ich es bin, nutzen eine Art Silikoneinlage, die die Zehen vor Blasen und Wunden schützt. - Nein, es tut nicht weh, da ich genügend Muskeln aufgebaut und lange genug geübt habe, um eine gute Figur abzugeben.

Im 20. Jahrhundert erlangte vor allem das russische Ballett Perfektion und damit große Berühmtheit. Kennt ihr den „Nussknacker“ (Щелкунчик), ein Ballett in zwei Akten, oder „Schwanensee“ (Лебединое Озеро), eines der weltberühmtesten Ballette? Beide sind von Tschaikowski, dem russischen Komponisten des 19. Jahr-hunderts. Und vielleicht habt ihr schon einmal etwas von «pliée» (gebeugt) oder «tanguer» (strecken) gehört. Ich jedenfalls kenne diese Begriffe. Sie gehören fest zu meiner „aktiven Entspannung“.

ÜBER UNS

Auf Zehenspitzen erwachsen werdenvon Sarah-Edna Schneider

La danse en pointe

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TANZEN

Warum also tanze ich? Warum ausgerechnet Ballett? Nein, es hat nicht mit einem kleinen Mädchen angefangen, das seine Mutter anbettelt zum Ballett gehen zu dürfen, um Ballerina zu werden. Umgekehrt: Ich wurde gefragt, ob ich nicht dort hingehen wolle. Von wem? Nicht von meiner Mutter, die ihr Kind unbedingt auf der Bühne bewundern wollte. Es war ein Arzt. Seit meiner Geburt habe ich einen Haltungsschaden, mit den Genen geerbt sozusagen. Daher musste ich zu einem Orthopäden und der empfahl mir das Tanzen, da beim Ballett alle Muskelgruppen angesprochen werden, insbesondere der Rücken. So einfach! Deshalb gehe ich seit 10 Jahren brav einmal pro Woche - inzwischen schon zweimal - ins „Ballettstudio Marita Erxleben“ zum Training. Mein Rückenproblem hat sich nur etwas gebessert, aber ich kann immer noch Muskeln aufbauen. Viel wichtiger ist für mich, dass aus der „Pflicht“ zum Tanzen eine Leidenschaft geworden ist.

Wenn ihr glaubt, dass Ballett einfach nur bedeutet, Spitzenschuhe anzuziehen, Haare zurechtzumachen und loszuhüpfen, liegt ihr falsch. Um auf Spitze stehen zu können, eine perfekte Pirouette drehen oder Spagat machen zu können, braucht man eine etwa siebenjährige Ausbildung. Man muss genug Muskeln aufgebaut und Technik trainiert haben, damit es nach einem Tanz aussieht und nicht nach einem Entengewatschel. Auch benötigt man das „gewisse Etwas“ im Blick, in der Bewegung und in der Ausstrahlung, um dem Zuschauer die Botschaft des Tanzes übermitteln zu können. Man muss die Musik fühlen. Einen klassischen Tanz zu lernen, ist harte Arbeit und mit vielen Schmerzen verbunden. Jedes Jahr bereiten wir ein „Sommermärchen“ vor, um zu zeigen, was wir gelernt haben. Um diesen Tanz, der ungefähr zweieinhalb

Minuten dauert, perfekt und synchron zu beherrschen, trainiert und probt man ca. 4 Monate. In meiner Ballettschule ist es Tradition geworden, ein Kinderballett im Hans-Otto-Theater Potsdam aufzuführen.

Nach vielen Auftritten im Theater habe ich schon eine gewisse Routine, aber wenn es in den Proben nicht läuft, wie unsere Trainerin und Chefin des Studios es will, „fliegen schon mal die Fetzen“. Doch wenn ich hinter der Bühne stehe, das Herz klopft und die Hände zittern, da ich nichts falsch machen will, weiß ich, dass es nicht umsonst war. Wenn dann die Musik anfängt zu spielen, gehe ich auf die Bühne, stelle mich auf meine Position und tanze mit all meinem Können und meiner ganzen Kraft, egal ob ich eigentlich schon am Ende bin. Meine Leidenschaft und Seele gebe ich in diese paar Minuten. Diese Momente sind mir das Besondere und Wertvollste am Ballett. Deshalb tanze ich Ballett - seit inzwischen 11 Jahren und wer weiß, wie lange noch.

Ballett „Das hässliche Entlein“. Sommer 2010. Aufführung im HOT Potsdam. Das Entlein trifft erstmals auf die Schwäne. Sarah-Edna in der Mitte.

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Vom 17. bis 22. Februar waren 17 englische Schülerinnen und zwei Lehrerinnen von der Derby High School aus Derby in Mit-telengland bei uns zu Gast. Gemeinsam erlebten wir Besichtigungen in Potsdam, u.a. von Schloss und Park „Sanssouci“, eine Stadterkundung Berlins mit Besuch des Holocaust-Mahnmals und der Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße. Auf dem Programm standen natürlich auch der Besuch von Unterricht in unserer Schule und das private Familienwochenende. Wir danken allen Eltern für ihre gastfreundliche Betreuung unserer Partnerschülerinnen.

Der Kontakt zu unserer englischen Partner-schule besteht in diesem Jahr seit 21 Jahren. Schon seit 19 Jahren besuchen wir uns ge-genseitig. Im Februar 2012 werden wieder wir Potsdamer nach Derby fahren und dort gemeinsam 20 Jahre Derby High School und Lenné-Schule Potsdam feiern.

Bevor unsere englischen Gäste nach Derby zurückflogen, verbrachten wir am letzten

Abend ein paar gemütliche Stunden zum Auswerten, Erzählen und auch Planen im „Kashmir-Haus“ in Babelsberg. So richtig gemütlich wurde es durch das schmack-hafte indische Büfett, das für uns bereitet wurde. Für die große Unterstützung bedan-ken wir uns sehr herzlich bei Familie Butt, den Eltern von Sayeda Chand, 11c. Hedwig

SCHÜLERAUSTAUSCH

Derby High School bei uns zu Gast

FOTOS: Englische und deutsche Schülerinnen in „Sanssouci“ (oben), Valeria (Potsdam) und Caitlin (Derby) im „Kashmir-Haus“

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DIE 13. SEITE

Ich mag unsere Schule. Nun gut, ich mag sie nicht jeden Tag und auch nicht jeden Fleck der Schule, aber im Allgemeinen mag ich sie. Deshalb mache ich mit euch einen RUNDGANG DURCH UNSERE SCHULE.

Von außen ist sie wunderschön orange, sie hat einen tollen und einzigartig gestalteten Schulhof. Es gibt etliche Kunstwerke, die Schüler mit Künstlern gestaltet haben. Die Lounge mit Palme und die Kelche auf dem hinteren Schulhof haben allerdings kein bisschen Farbe mehr und triefen traurig vor sich hin. Aber bald, im Frühling und Som-mer wird alles wieder wunderbar grün ein-gerahmt und harmoniert in gewisser Weise miteinander.Ich betrete das Foyer und sofort fällt mir der herrliche Mülleimer ins Auge, um den herum nett drapierte Papierkugeln, Taschentücher und lecker geschmierte Stullen liegen. Setzen wir unseren Rundgang fort! Ich gehe links die Treppe hoch und mir fällt die rot-weiße Papiertüte unseres Rewe-Bäckers auf. Ich bin erstaunt, dass sogar unsere Schüler auf umweltverträgliche Verpackungen achten. Die Tüte passt erstaunlich gut zu der rot-weißen Wand im Treppenhaus. Im oberen Foyer will ich mich an unsere schönen Tischgruppen setzen. Natürlich muss ich ein bisschen aufpassen, denn auch hier haben einige Musterschüler angeknabberte Brote und Käsebrötchen für ihre Nachfolger bereitgelegt. Der gemischte Geruch von Leberwurststulle und Käsebrot ist wirklich erhebend.Nachdem wir festgestellt haben, wie „nahrhaft“ unsere Foyers gestaltet sind, gehe ich mit euch zum Vertretungsplan. Im Flur entdecke ich erneut Taschentücher auf dem Boden. Ist das nicht freundlich? Man

putzt sich die Nase, um nicht im Unterricht geräuschvoll hochziehen zu müssen. Am Vertretungsplan sehe ich, dass ich in den Physikraum muss. - Bevor die Stunde anfängt, werde ich mir schnell noch die Hände waschen gehen, denn ich werde das Gefühl nicht los, dass irgendeine Türklinke klebrig war.In den Toiletten leide ich unter Atemnot! Ich drücke auf den Hahn, um mir das Eiswasser über die Hände fließen zu lassen und zu beobachten, wie die langen, schwarzen und blonden Haare im Becken lustige Muster bilden. Außerdem kann man wieder raten: Was verraten uns die Krümel von Wimperntusche, Kajal und Co. am Beckenrand denn heute über den Stil der schminkwütigen Mädchenfraktion? - Ich zupfe Zellstoff zum Abtrocknen ab und werfe ihn in den Mülleimer und… sehe Kunst. Ja, unsere künstlerisch begabten Mädchen waren auch hier kreativ und haben den langweiligen Mülleimer rundherum fein mit weißem Papier garniert.Während ich durch das oberste Foyer gehe, erkenne ich, dass wir auch eine ziemlich sportliche Schule sind. Eine Klasse jüngerer Schüler spielt mit einer Plastikflasche Fußball.Vor dem Physikraum, meiner letzten Station, stelle ich fest, dass es unter uns auch kleine Naschkatzen gibt. Das Pick-Up Papier wurde schlau hinter dem Raumschild versteckt. Im Physikraum setze ich mich an meinen Tisch und starte in die letzte Stunde dieses Tages mit dem Blick auf eine freundliche Kritzelei vor mir, ich lese: „Wer sitzt hier? Deine Mudda!“ Ich kann nicht weiter über den Sinn des Spruches nachdenken, die Stunde beginnt. Es ist auch alles gesagt. Anne-F.

Wer sitzt hier? Deine Mudda!

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ÜBER UNS

Zu Hause in Sibirienvon Dina Jakowlewa, 12/3Ich bin Schülerin der Lenné-Schule und wohne in Potsdam. Geboren bin ich 1994 in Russland, in der Stadt Omsk. Im Januar 1995 sind wir gemeinsam mit meiner Mutter, meiner Tante, ihrem Sohn und meiner Oma nach Deutschland umgesiedelt. Nun lebe ich schon seit 15 Jahren in Deutschland. In den ersten Jahren sind wir ab und zu alle gemeinsam nach Russland gefahren, aber irgendwann wurden diese Heimatbesuche immer seltener. Ich beschloss, dass es wieder einmal Zeit für Russland wäre, und die letzten Weihnachtsferien schienen mir optimal. Nach langen Diskussionen und mithilfe meiner genialen Überredungskunst hatte ich die Erlaubnis meiner Mutter, ganz allein nach Russland zu fliegen. Nach einem kurzen Telefonat mit meiner Oma, die noch in Omsk lebt, war es klar: Ich würde die Weihnachtsferien 2010 in Russland verbringen.

Mit 573 km² Fläche und 1.129.120 Einwohnern ist Omsk die achtgrößte Stadt Russlands. Die Stadt liegt in Asien am Zusammenfluss von Om und Irtysch. Während des Zweiten Weltkrieges wurden viele Industriebetriebe aus dem europäischen Teil der Sowjetunion nach Omsk verlegt, dadurch wuchs die Stadt innerhalb weniger Jahre auf das Dreifache. Wie jede Stadt hat auch Omsk eine spannende Geschichte, die hier etwas zu tun hat mit dem Zaren Peter dem Großen, mit Tabak und Goldvorkommen, mit einer 1716 gegründeten Festung aus Holz, mit dem Sibirischen Kosakenheer und wiederholten Tatarenüberfällen, mit Admiral Koltschak und Erzbischof Silvester. Im 19. Jh. war Omsk Verbannungsort für Dissidenten wie Fjodor Dostojewski, einen

der berühmtesten Schriftsteller Russlands und der Weltliteratur. - Aber irgendetwas sagt mir, dass euch das gerade nicht so sehr interessiert.

Interessant ist für euch ist sicher, dass Omsk in Sibirien liegt, 2.555 km von Moskau entfernt und etwa in der Mitte Russlands. Wenn ich Leuten in meiner Umgebung erzähle, dass ich nach Sibirien fahre, um dort meine Familie zu besuchen, erlebe ich sehr unterschiedliche Reaktionen: von Interesse über Desinteresse bis hin zu Abneigung. Manche haben gar keine Vorstellung von Sibirien, andere wiederum klammern sich an ein klischeehaftes Bild: dichter Wald, eingeschneite, kleine Holzhütten, keine Wasserleitungen, die totale Abgrenzung von der Zivilisation und natürlich kein Internetzugang. Rufen wir uns die bereits o.g. Merkmale der Stadt Omsk (Stadtrecht seit 1782) in Erinnerung, so werden wir schnell feststellen, dass eine ehemalige Industriestadt nicht in Holzhütten ohne Wasserleitungen erfolgreich produzieren und wachsen konnte.

Die Straßenbahnen sehen noch immer aus wie in alten russischen Filmen. Selbst bei minus 30 Grad fahren die Busse und Bahnen. Die Stadt Omsk ist gerade dabei, eine Metroverbindung - ähnlich der in Moskau - zu bauen.

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Etwas, woran die meisten Menschen wohl auch denken, wenn sie das Wort Sibirien hören, ist die eisige Kälte. Omsk liegt im südlichen Teil Sibiriens, die Durchschnittstemperatur im Winter liegt daher „nur“ bei ca. 30 Grad minus. Für deutsche Verhältnisse mag das kalt sein, für sibirische ist es recht warm. Und obwohl die Temperaturen dort um einiges kälter sind als in Deutschland, ist die Kälte dort “trockener” und fühlt sich aufgrund dieser geringeren Luftfeuchtigkeit viel angenehmer an. Trotzdem muss die Winterkleidung sorgfältig ausgesucht werden. Schon Wochen vor meiner Abreise habe ich alle Läden in Potsdam abgeklappert, um mir eine vernünftige Winterjacke und warme Winterstiefel zu kaufen. Glücklich in Omsk gelandet, in meinen schicken Stiefeln und meiner tollen Jacke, die mir wahnsinnig warm vorkam, musste ich schon nach zehnminütigem Warten auf das Auto feststellen, dass meine neue Jacke gar nicht sehr warm war. Auch meine Stiefel waren doch nicht so schick, denn die europäische Mode unterscheidet sich um einiges von der russischen.Als ich zu Hause bei meiner Oma eintraf, wollte ich nach den 5 ½ Stunden Flug nur noch todmüde ins Bett fallen, setzte mich aber doch erst an den sehr schön gedeckten Esstisch, um all die Leckereien auszuprobieren, mit denen meine Oma mich immer verwöhnt, wenn ich bei ihr bin. Nach dem Essen und ungefähr einem Tag Schlaf ging mein russischer Weihnachtsurlaub los. Zuallererst rief ich meine Freundin Tanja an, die in der Wohnung direkt unter uns wohnt. Wir sind genau genommen nicht zusammen aufgewachsen, aber irgendwie doch. Kennengelernt haben wir uns, als ich 2 Jahre alt war. Und immer, wenn ich in Omsk bin, ist sie die Erste, die ich anrufe. Wir verbringen fast die gesamte Zeit

gemeinsam und dazu müssen wir nur die Treppe hoch oder runter laufen. Tagsüber habe ich mich selbst beschäftigt, da meine Verwandten arbeiten mussten und meine Freunde, Tanja eingeschlossen, in der Schule waren. Da aber Tanja und ich wie Kletten sind, hat sie direkt nach der Schule bei mir geklingelt. Ich habe ihr dann etwas bei ihren Hausaufgaben und ihrem Bruder bei seinen Deutsch-Aufgaben geholfen. Danach war Zeit für interessantere Themen wie Musik, Mode und besonders all das, was wir in den vergangenen Jahren nicht erzählen konnten. Obwohl wir uns nur alle vier Jahre für ca. zwei Wochen sehen, kann ich behaupten, dass sie eine meiner besten Freundinnen ist.

Als Nächste kam meine Patentante Natalja zu Besuch. Irgendjemand hatte ihr geflüstert, dass ich Theater mag, also ist sie mit mir fast jeden zweiten Tag ins Theater gegangen. In dem Omsker Dramen-Theater spielt eine wirklich starke Truppe. Das Theater ist das älteste in Omsk und eines der besten russischen Theater außerhalb von Moskau oder St.-Petersburg... Дина Яаковлева

Den vollständigen Artikel und mehr Fotos findet ihr auf unserer Website hinter dem Button „Schulzeitung” im Lenné-Intranet.

Meine Patentante Natalja (rechts) und ich

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Abenteuer Ecuador von Wiebke Müller, Abi 2010NACH DEM ABI AUSGEFLOGEN

Die Schule neigte sich dem Ende zu und wie alle meine Mitschüler stellte auch ich mir die Frage „Was nun?“. Einen Studienplatz suchen oder doch lieber erst im Ausland einige Erfahrungen sammeln? Da ich noch unentschlossen war, welcher Studiengang der richtige für mich sein würde, entschloss ich mich für einen Auslandsaufenthalt. Doch nun stellte sich die nächste, weitaus schwie-rigere Frage: „Wohin sollte es gehen?“ Dass es etwas mit Kindern sein sollte, hatte ich bereits entschieden. Da ich jedoch zunächst keine sechs Monate oder gar noch länger weg wollte, kam ein Au-pair-Aufenthalt vor-erst für mich nicht in Frage. Nach langen Internetrecherchen stieß ich auf eine Organisation, die es mir ermöglichte, drei Monate ins Ausland zu gehen.

„Praktikawelten“ bot mir ganze 17 Länder in Lateinamerika, Afrika, Asien, Norda-merika, Australien und Neuseeland zur Aus-wahl an. Südafrika und Ecuador zog ich in meine engere Wahl. Ich habe mich schon immer sehr für Sprachen interessiert. Daher beschloss ich, mit Spanisch eine wei-tere Fremdsprache zu erlernen, und so fiel meine Wahl auf Ecuador. Ecuador ist eine Republik im Nordwesten Südamerikas und liegt an der westlichen Pazifikküste des Kontinents zwischen Kolumbien und Peru. Ecuador ist nach dem Äquator benannt, der quer durch das Land verläuft.

Am 8. September 2010 hieß es Abschied nehmen. In Berlin stieg ich mit gemischten Gefühlen in das Flugzeug, welches mich in meine neue Wahlheimat Ecuador bringen sollte. Ich war gespannt und freute mich natürlich auf die kommende Zeit in einem völlig unbekannten Land. Andererseits hatte ich auch Angst, mir zu viel vorgenom-

men zu haben. Die Kultur Südamerikas war mir völlig neu, da ich zuvor nie ein Land auf diesem Kontinent besucht hatte. Dazu kam noch, dass ich zunächst kein Wort Spanisch sprechen konnte. Dennoch ver-flog der Abschiedsschmerz schon während des Fluges und die Aufregung wuchs. In Ecuadors Hauptstadt Quito gelandet, wurde ich von einem Mitarbeiter der Organisation in Empfang genommen und in mein Apartment mitten im Herzen Quitos gebracht. Das Apartment teilte ich mit drei anderen deutschen Mädels. Da wir uns auf Anhieb super verstanden, hatte ich kei-nerlei Eingewöhnungsprobleme und das erwartete Heimweh blieb aus. In den ersten sechs Wochen belegte ich einen Spanisch-Intensivkurs. Das hat Spaß gemacht und war ungemein nützlich. Schon nach einer Woche konnte ich mich relativ gut mit den dort lebenden Menschen verständigen. Die Leute begegnen sich meist mit einem „Hola, como estas?“, erwarten aber keine Ant-wort. Die ersten Sätze, die ich beherrschte, begannen mit „Me gusta Ecuador porque …“ („Ich mag Ecuador, weil…“), da ich von so ziemlich jedem Ecuadorianer gefragt wurde, ob und wieso mir sein Land gefalle.

Die zweite Hälfte - nochmals sechs Wochen - widmete ich voll und ganz den Kindern eines Kindergartens. Mit ihnen hatte ich viel Spaß: Wir malten, bastelten und spielten auf dem Spielplatz. Sie nannten mich „Wieka“, weil sie sich meinen Namen einfach nicht merken konnten. Jeden Morgen wurde ich von ihnen mit „Buenas dias“ begrüßt; dafür sind die Kleinen aufgestanden. Einige kamen auch auf mich zugerannt und umarmten mich. Da gab es dann aber Ärger mit den Erzieherinnen, denn es gibt strenge Verhaltensregeln in Ecuador. Die

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Kinder wurden von den Erzieherinnen sogar gesiezt, das war mir aber zu seltsam. Die Kleinen haben viel von ihren Eltern erzählt und mich über meine Familie befragt. Oft war das schwer zu verstehen, da sie noch sehr klein sind und undeutlich sprechen und nach sechs Wochen waren meine Spanischkenntnisse natürlich auch noch lückenhaft. Am häufigsten habe ich die Worte „Sientate!“ (Setz dich hin!), „Come!“ (Iss!) und „Cuidado!“ (Vorsicht!) gebraucht.

Es ist erstaunlich, wie glücklich diese Kinder scheinen, obwohl viele in sehr ärmlichen Verhältnissen aufwachsen müssen. Das Land gehört zu den ärmsten Südameri-kas, die wirtschaftliche Ungleichheit in der Bevölkerung ist sehr groß. - Einmal pro Woche putzen die Kinder im Kindergar-ten nach dem Mittagessen ihre Zähne. Da die Waschräume zu klein für so viele Kinder sind, sitzen dann alle 30 draußen aufgereiht: Jeder bekommt seine Zahn-bürste, einen Becher für Wasser und Pasta und dann wird geputzt. Das müsste aller-dings viel regelmäßiger geschehen, denn einige haben leider schon sehr schlechte Zähne. Vor allem aber war es ein wunder-bares Gefühl zu erleben, wie sehr sich diese Kinder über meine Anwesenheit freuten.

Auch die beiden Erzieherinnen waren sehr freundlich. Jedoch hatten sie in einer Grup-pe von 30 vierjährigen Kindern nicht die Möglichkeit, sich mit jedem einzelnen zu beschäftigen. Umso glücklicher waren die Kleinen, dass ich mir Zeit für sie nehmen konnte. Ein paar Minuten „Hoppe-Hoppe-Reiter“ reichten aus, um sie zum Strahlen zu bringen.

An den Wochenenden fand ich Zeit, dieses wunderbare Land näher kennenzulernen. Quito liegt im Andenhochland, der Sierra (Gebirge) auf 2850 m Höhe. In der Sierra leben heute 38 Prozent der 14 Millionen Ecuadorianer. Ecuador ist geografisch, topo-grafisch und klimatisch eines der vielfältig-sten Länder der Erde. Schon Alexander von Humboldt bemerkte vor 200 Jahren, dass die einzige Konstante in der Geografie Ecuadors seine Vielfalt sei. - Ich nutzte diese einmalige Chance und bestieg den Cotopaxi (5897 m), den höchsten aktiven Vulkan der Welt. Humboldt schrieb 1810 über diesen Vulkan: “Der Cotopaxi [...] ist der höchste unter den denjenigen Vulkanen der Anden, welche in neuern Zeiten Ausbrüche gemacht haben. [...]”Ich stand auf dem „Mittelpunkt der Erde“ (Mitad del Mundo = Äquator), verbrachte vier Tage zwischen Schlangen, Spinnen, Affen und Raubkatzen im Dschungel, ver-suchte mich beim Surfen an der Pazifik- küste, kletterte Wasserfälle hinab und be-suchte typisch ecuadorianische Städte. Es waren unglaublich schöne und spannende Momente. Zu viele, um alle zu erzählen. - Dennoch, der Höhepunkt der Reise war für mich eine Woche auf den Galapagos-Inseln, die sich etwa 1000 km westlich der Küste im Pazifik befinden… Es geht spannend weiter. Den vollständi-gen Artikel und zahlreiche schöne Fotos findet ihr auf unserer Website. Die Red.

Wiebke mit ecuadorianischen Kindern in Quito Foto links: Der Vulkan Cotopaxi

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WUNDERWERK IM KOPF

Vom Loch im KopfIn großen Schritten durch die Geschichte der Hirnforschung

Wer würde nicht gern wissen, warum und wie wir Menschen funktionieren. Es ist enorm spannend, dass da im Kopf eine Schaltzentrale sitzt, die alle Fäden in der Hand hält. Neugierde und Interesse an Aufbau und Funktionsweise des Gehirns reichen bis in die frühe Steinzeit zurück. Beweise für dieses Interesse des Homo Sapiens an dem, was sich im Kopf befindet, fand man an Schädeln in ca. 7000 Jahre alten frühsteinzeitlichen Gräbern. Diese weisen ein bis zu 5 cm großes, künstlich erzeugtes Loch auf, was Operationen am Kopf belegt. Das Entfernen eines scheiben-förmigen Knochenstücks aus dem Schädel-dach nennt man Trepanation. (Foto)

Diese Methode war in steinzeitlichen Kul-turen und bei einigen Naturvölkern noch bis in die Neuzeit stark verbreitet, kam jedoch selten in den antiken Hochkulturen und im Europa des Mittelalters vor. Diese Methode resultiert u.a. daraus, dass man Schwindel, Krämpfe, Epilepsie u.Ä. mit übernatürlichen Ursachen erklärte. Deshalb glaubte man, dass der dafür verantwortliche „Dämon“ so aus dem Kopf fliegen würde. Erste bekannte Aufzeichnungen über das Gehirn enthält ein Mitte des 16. Jh. vor Christus entstan-dener ägyptischer Papyrus, der sich mit der medizinischen Behandlung von Schädelver-letzungen beschäftigte.

Trotz der frühen Öffnung der Schädel blieben Gehirn und Nervensystem für Wis-senschaftler der Vor- und Frühgeschichte rätselhaft und damit weniger bedeutend als andere innere Organe. So galt das Herz in den antiken Kulturen Ägyptens und Griechenlands als wichtigstes Organ. Der

griechische Philosoph Aristoteles (384-322 v.Chr.) begründete dies damit, dass eine Verletzung des Herzens unweigerlich zum Tod führe, eine des Gehirns nicht zwingend. Allerdings gab es auch Gegenansichten anderer griechischer Gelehrter wie Pytha-goras (570-496 v.Chr.) oder Hippokrates (460-370 v.Chr.), die das Gehirn als ‚edel-stes‘ Teil bezeichnen. Auch der Philosoph Platon vertrat diese Ansicht. Er unterschied drei Teile der Seele und ordnete jedes einem Organ zu: der Leber Lust und Leiden-schaften, dem Herzen Stolz, Mut und Ärger, dem Gehirn immerhin den Verstand.

Der Wissenschaftler Galen (um 130-200 n.Chr.) entdeckte den Seh- und Hörnerv und deren Verbindung zum Gehirn. Mittels zahlreicher Experimente mit Tieren wies er nach, dass das Gehirn ein zentrales Organ für die Wahrnehmung ist. Galen entdeckte ebenfalls die Ventrikel - später Kammern genannt - und versuchte ihre Funktions-weise zu beschreiben. Lange Zeit forschte man nach dem „Inhalt“ der Ventrikel und Nerven. Galen vermutete, dass sie hohl seien und nahm an, dass sie einen luftartigen Inhalt enthielten, den er „Lebensgeist“ oder auch lateinisch Spiritus animalis nannte. Ga-lens Vorstellungen galten für viele Jahr-hun-derte als unwiderrufliche Lehre. Im Spät-mittelalter wurde die sog. Kammerdoktrin weiterentwickelt, es kamen immer mehr

Schädel mit Trepanation

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Kammern mit neuen Funktionen hinzu. Jedoch verbot die alles beherrschende Kirche für lange Zeit anatomische Untersu-chungen am Menschen. Der menschliche Körper sollte nur als vergängliches Gefäß für die unsterbliche Seele gelten.

In der Renaissance erwachte ein völlig neues Interesse am menschlichen Körper, zuerst durch die italienischen Künstler Leonardo da Vinci (1452-1519) und Michelangelo Buonarroti (1475-1564), beide berühmte Maler, Bildhauer und Architekten, die sich mit Anatomie und Philosophie befassten. Sie versuchten, den Körper des Menschen besser zu begreifen, indem sie in sein Inneres schauten. Da Vinci erstellte auf der Basis von eigenhändigen Leichensek-tionen seine berühmten anatomischen Zeichnungen und erste realistische Darstel-lungen der Hirnkammern. Der Belgier An-dreas Vesalius (1515-1564) führte öffentli-che Leichensektionen und Präparationen durch, wobei er der Darstellung des Gehirns besondere Aufmerksamkeit schenkte. Der französische Mathematiker und Phi-losoph René Descartes (1596-1650) stellte sich den Lebensgeist als zarten Windhauch vor, der durch feine Nervenschläuche weht, und entwickelte ein neues, mechanisches Modell der Hirnfunktionen. Trotz neuer Erkenntnisse und Methoden in der Wis-senschaft (Mikroskopie, Einfärben der Ner-venzellen), blieb die Frage nach dem Aggre-gatzustand des Spiritus animalis sowie des Transportes des Lebensgeistes ungeklärt.

Der Italiener Luigi Galvani (1737-1798) befasste sich mit der Rolle elektrischer Vorgänge im Nervensystem und wies nach, dass Nerven elektrisch reizbar sind: In seinen legendären Versuchen mit Frosch-schenkeln legte er einen Zinkstreifen an den Ischiasnerv und verband ihn über eine

Silberspange mit dem Muskel. In dem Mo-ment, als sich der Kreis schloss und sich eine Spannung entlud, zuckte der Muskel. Das bewies dennoch nicht, dass der Spiritus animalis mit Elektrizität gleichzusetzen sei.Der deutsche Physiologe Emil Du Bois- Reymond (1818-1896) wies nach, dass chemische und elektrische Reize einen Strom in den Nerven fließen ließen. Das belegte, dass Nerven nicht einfach passive Elektrizitätsleiter sind. Eine erste Aufzeich-nung dieses Stromimpulses in einer Zelle gelang 1939 den beiden englischen Bio-physikern Alan Hodgins und Andrew Huxley.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Errungenschaften in der Mikroskopie sowie in der Gewinnung und Einfärbung und Fixierung von Nervengewebe so weit fortgeschritten, dass sie zu unverzichtbaren Instrumenten der Wissenschaft wurden. Mithilfe der neuen Techniken konnten die faserigen Fortsätze (Neuronen) sichtbar gemacht werden. In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde die Neuronen-theorie geboren: die Enden der Neuronen weisen Verdickungen auf, sogenannte Endknöpfchen. Charles Sherrington (1857- 1952) beschrieb die Idee hemmender Nervenzellen und konnte ihre Existenz nachweisen (nach 1900). Sherrington gab der Kontaktstelle zwischen Nervenzellen ihren Namen: Synapse. 1949 äußerte der Kanadier Donald Hebb (1904-1985), dass die Synapsen durch die Muster ihrer Aktivi-täten veränderbar seien. Diese Annahme wurde seither mehrfach durch Experimente bestätigt: Nervenzellen können lernen.

Das Interesse an den Funktionen des Gehirns hat über die Jahrhunderte im-mer zugenommen. Die Erforschung des Hirns wird Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen weiterhin fesseln. Kalle

HIRNFORSCHUNG

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WUNDERWEK IM KOPF

Wie Gehirn und Gedächtnis funktionieren und welche Prozesse ablaufen, ist bis heute noch nicht ganz geklärt. Unser Gehirn ist vor allem eines: das genialste Wunderwerk der Welt, das sogar modernster Technik über-legen ist. Ja, es ist besser als jeder Compu-ter. Das menschliche Gehirn ist rund 1300 Gramm schwer. 100 Milliarden Nervenzel-len arbeiten im Gehirn zusammen, um uns Bewusstsein und Intelligenz zu verleihen.

Ewige BaustelleDas Gehirn verändert sich ständig. Es baut sich pausenlos um, formt sich neu, knüpft Netzwerke in einem Labyrinth von Ner-venzellen und zwar in jedem einzelnen Moment unseres Lebens. Das beginnt bereits vor der Geburt. Wie ein Urknall der Schöpfung bilden sich durch Zellteilung neue Neuronen, die eigentlichen Nerven-zellen. Einem genialen Bauplan folgend wandern sie an ihre späteren Arbeits- plätze. Für diesen Aufbau der Gehirnstruk-tur wird über die Hälfte der Erbinformation jedes Menschen benötigt. Geradezu ver-schwenderisch geht es dabei zu. Es werden sehr viel mehr Nervenzellen angelegt, als wir im Erwachsenenleben brauchen. Man schätzt, dass die Hälfte davon im Verlauf der Hirnentwicklung bis zum Moment der Geburt wieder zugrunde geht. Tragisch? Wissenschaftler verneinen, denn da wird verknüpft und verworfen, ausprobiert und umgebaut. Was ungenutzt bleibt, verküm-mert. Eine völlig normale Entwicklung. Das Gehirn eines Säuglings ist zwar nur ein Viertel so groß wie das eines Erwachsenen, verfügt aber bereits über fast ebenso viele Nervenzellen. Auch nach der Geburt bleibt der Denkapparat eine Baustelle. Noch mehr Neuronen entstehen, unnötige werden aus-gemistet.

Nicht die Menge macht’sMit dem fünften Lebensjahr nimmt die Gesamtzahl der Neuronen (Nervenzel-len) langsam ab. Aber: Die intellektuelle Leistung nimmt weiter zu, denn nicht die Zahl der Nervenzellen ist entscheidend, sondern die Verbindungen zwischen ihnen, an den richtigen Stellen. Jedes Neuron lässt Fortsätze wachsen, nimmt so Kontakt zu Tausenden anderen auf, elektrische Impulse funken hin und her. (vgl. Abb.) Zunächst entsteht ein gleichmäßiges Netz. Doch mit jedem Lernen, jeder Häufung von Impulsen bilden und verstärken sich einzelne Verbin-dungen. Aus schmalen Feldwegen wird eine Autobahn, andere Straßen wuchern zu und verschwinden. Die dichten Netzwerke sorgen dafür, dass sich die Größe unseres Gehirns im Laufe der Entwicklung vervier-facht. Die Entwicklung des menschlichen Gehirns läuft - laut Jason Hill, Hirnforscher an der Washington University St. Louis, - im Zeitraffertempo ab. Im Verlauf der Entwicklung vom Baby zum erwachsenen Menschen wachsen Teile der Großhirnrinde im Vergleich zu anderen Gehirnarealen mehr als doppelt so stark an - und zwar die für komplexe Denkleistungen, also all das, was Kleinkinder zuerst lernen müssen.

Besser als jeder Computer

Modell der Nevenzellen. Die Enwicklung des menschlichen Gehirns findet im Zeitraffer statt.

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Gedächtnis: Speichern, bitte! Unser Gehirn besitzt keinen zentralen Speicher. Gedächtnisinhalte werden in Zusammenarbeit weit verteilt liegender Nervenzellen der Hirnrinde gespeichert. Ein weiterer wichtiger Umbau auf dem Weg zum Erwachsenen geschieht beim Lernen. Wir speichern nicht einfach Inhalte ab. Der noch teilweise rätselhafte Vorgang verläuft in mehreren Stufen und hinterlässt deut-liche Spuren im Gehirn. Die erste Stufe ist unser sensorisches Gedächtnis oder auch Ultrakurzzeitgedächtnis. Hier wird Über-flüssiges von vornherein aussortiert, denn wir nehmen mit dem Auge so viele Informa-tionen auf, dass unser Gehirn längst „über-füllt“ wäre. Die Farbe von Frau Meyers Hut ist schließlich unwichtig. Nicht einmal ein Hunderttausendstel schafft es in das Kurzzeitgedächtnis, den Kurzzeitspeicher des Gehirns. Dieser hat eine geringe Kapa-zität und wird deshalb ständig neu über-schrieben. So behalten wir Erfahrenes oder Erlerntes mehrere Minuten im Kopf. Dann werden die eingegangenen Informationen entweder aussortiert oder sie gelangen - und das ist wieder nur ein winziger Bruch-teil - in das Langzeitgedächtnis, die dritte und dauerhafte Stufe. Damit das klappt, baut das Gehirn neue Kontakte zwischen den Nervenzellen auf. Neue Wege ent-stehen, Brücken zu vorhandenem Wissen werden geschlagen.

Lernen: Bauarbeit fürs Gehirn Lernen verändert das Gehirn, das ist die Er-klärung für unsere Entwicklung. Während des Lernens können wir unser Gehirn mit einem Ameisenhaufen vergleichen, in dem die Ameisen auf alten und neuen Pfaden emsig hin und her rennen, um ihn zu ver-bessern. Je öfter sie diese Pfade laufen, desto sicherer erreichen sie ihr Ziel. Daher

führt Üben auch zum Erfolg. Die Wiederho-lung von Informationen ist das Prinzip, mit dem wir dauerhaft oder zumindest lange Zeit etwas im Gehirn speichern können - egal, ob wir Vokabeln einer Fremdsprache lernen, uns ein Bild von Michelangelo ein-prägen wollen, ein Stück auf dem Musikin-strument üben oder uns auf die Fahrprü-fung vorbereiten.

Die beste Zeit fürs LernenFür fast jedes Lernen gibt es im Leben besonders geeignete Phasen. Sprachen lernen wir besonders gut zwischen dem dritten und zwölften Lebensjahr. Es klappt später auch, aber die Fähigkeit, wie ein Muttersprachler zu sprechen, geht ungefähr mit der Pubertät zu Ende. Jedoch kann man fürs Lernen auch zu jung sein, weil in den ersten Lebensjahren grundlegende Netze erst angelegt werden müssen. Bei Musikin-strumenten liegt die optimalste Zeitspanne zwischen dem Schulkindalter und der Lebensmitte. Die Fähigkeiten in der Ein-schätzung von Menschen entwickeln sich vermutlich am besten im Erwachsenen-leben. Interessant ist, dass nur wenige Wochen zur Verfügung stehen, um die rich-tige Verarbeitung von Sehinformationen zu lernen. Würde man einem Baby in dieser Zeit die Augen verbinden, könnte das Hirn die notwendigen Verknüpfungen gar nicht erst anlegen, das Kind könnte erblinden.

Gartenpflege fürs Gehirn Doch was passiert später, nach Schule, Aus-bildung oder Studium? Lange stand fest: Ist der Mensch erwachsen, entstehen keine neuen Nervenzellen mehr. Doch heute ist bewiesen, dass sich unser Gehirn in min-destens zwei Regionen selbst verjüngt: Die eine verarbeitet Gerüche, die andere, der so genannte Hippocampus, ist zuständig für

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Lernen und Gedächtnis. In beiden bilden sich kontinuierlich neue Zellen. Experten nennen diesen Prozess, der noch bis ins hohe Alter funktioniert, Neurogenese. Die Bauarbeiten im Kopf gehen also weiter. Der spätere Umbau des Gehirns ist ledig-lich kleiner, feiner und betrifft vor allem Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen. Die späteren Lernprozesse sind wie Garten-pflege fürs Gehirn.

Trainieren lohnt sichKennt ihr diese Schnellrechner? Geschwindigkeit beim Denken ist keine Hexerei, sondern eine Frage der Moti- vation. Forscher glauben, dass der Boten-stoff Dopamin dafür verantwortlich ist. Um den auszuschütten, reichen Anreize wie Lob, Süßigkeiten, Geld u.Ä., um das das Be-lohnungszentrum zu reizen. Die Belohnung muss nicht immer von außen kommen. Diese biochemischen Stoffe werden auch freigesetzt, wenn man sich mit einfachen Aufgaben in Schwung bringt. Dann möchte man weitermachen, weil man ein gutes Gefühl dabei hat. Die Belohnung liegt in der Sache selbst. Von entscheidender Be-deutung ist hier das Kurzzeitgedächtnis. Es liegt an der Stirnseite im Schläfenlappen, einem der vier Kortexareale. (vgl. Abb.1, S.23) Es dient dazu, Informationen für kurze Zeit abzulegen und damit zu arbeiten, etwa beim Kopfrechnen, Planen, Entscheiden, Erinnern. Wenn es im Kurzzeitgedächtnis um Dinge wie Planen oder Rechnen geht, kommt noch das Arbeitsgedächtnis ins Spiel. Mit diesem System wird aktiv, also bewusst gearbeitet. Die Leistung des Speicherns lässt sich in Geschwindigkeit messen, aber auch an der Merkspanne. Wie viel passt eigentlich in unseren Kopf? Wenn wir trai-nieren und lebenslang lernen, erweitern wir unser Kurzzeitgedächtnis und verbessern

seine Funktionsfähigkeit. Wir denken somit schneller und merken uns viel mehr.

Geistig fit bleibenÄltere Menschen sind z.B. besser darin, Entscheidungen zu treffen und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Ja, das trifft auch auf unsere Eltern zu! Dennoch lässt sich eines nicht leugnen: Mit zunehmendem Alter überwiegen die Abbauvorgänge bei Nervenzellen und Verbindungen. Auch das ist eine Form der Umstrukturierung. Weltweit suchen Hirn-forscher, Psychologen und Mediziner eine Antwort auf die Frage, ob sich dieser Abbau- prozess im Hirn stoppen lässt. Die Ergeb-nisse sind eindeutig: Der Geist muss gefordert werden. Nur dann wachsen neue Zellen und Verknüpfungen. Bleiben Lern-anreize aus, verkümmern sie genau so schnell, wie sie entstanden sind. Täglich 20 bis 90 Minuten geistige Tätigkeiten auf hohem Niveau sollen ausreichen, um das Gedächtnis und auch die allgemeine geis-tige Fitness zu stärken. Nach geistigem Warmmachen wird Lust auf mehr geweckt. Dann sollte man an seine Grenzen gehen. Das tun viele Menschen im Alltag nicht.

Wusstet ihr, dass das Gehirn am Wochenende nachlässt, falls wir nichts tun? Neue Nervenverbindungen können im Kopf nur entstehen, wenn die Aufgaben schwierig und vielfältig sind. Nur wer zwischen Herausforderungen hin und her schaltet und neue Probleme löst, hält seinen Kopf wirklich fit. Besonders gut eignen sich das Spielen eines Musikinstru-ments oder das Tanzen. (vgl. Artikel „Auf Zehenspitzen erwachsen werden“, S.10) Beim Tanzen laufen nicht nur jene Teile auf Hochtouren, die für die Motorik zuständig sind, sondern auch der so genannte Precu-

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ONneus im Scheitellappen. Der ist wichtig für

Orientierung und Raumsinn und eng mit Hirnfunktionen wie Gedächtnis und Vorstel-lungskraft verknüpft. Beim Tanzen nimmt man ständig neue Informationen auf und setzt sie ganz schnell um. Bewegung, Aus-dauer, Koordination, schnelle Reaktionen -

all das erfordert geistige Hochleistung und ist deshalb so effektiv.

Vielleicht liegt darin die Genialität unseres Gehirns: Es bewahrt die einzigartige Neuro-plastizität ein Leben lang - wenn wir ihm die Chance dazu geben. Noreen

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Unsere „grauen Zellen“ sind natürlich nicht so grau wie auf der Abbildung. Aber unser Gehirn ist ein Wunderwerk der Natur und längst noch nicht vollständig erforscht. Doch wir sollten alle zumindest eine Ahnung davon haben, was in unserem Kopf abläuft. Wir versuchen, euch hier und auf unserer

Website einen kleinen Einblick in unseren „Denkapparat“ zu verschaffen. Wenn ihr also mehr über Aufbau und Funktion des Hirns wissen wollt, lest den Artikel „Nicht schön, aber genial“ auf unserer Website hinter dem Button „Schulzeitung“ auf der Lenné-Seite. Noreen

Nicht schön, aber genial. Unser Gehirn: Bau und Funktion.

Abb.: Großhirn in der SeitenansichtVier Lappen und der Kortex mit sensorischen und motorischen Arealen für diverse Funktionen

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DEN KOPF VOLLER SPRACHEN

Ich lerne zwei Fremdsprachen, mehr oder weniger freiwillig. Mit Englisch habe ich in der 4. Klasse angefangen und ich schlage mich damit ganz passabel durch die ver-schiedensten Länder der Welt, wenn ich mal auf Reisen bin. Die zweite Fremdsprache, Russisch, lerne ich seit der 9. Klasse und es bereitet mir das eine oder andere Mal ziemliche Kopfschmerzen. Manche von uns lernen noch Französisch oder Latein, aber ich höre oft, dass auch sie sich plagen.

Doch wie muss es sein, wenn man zehn oder zwanzig oder sogar noch mehr Fremd-sprachen kann? Einige von euch werden jetzt mit den Augen rollen, aber glaubt mir: Es gibt sie, die sog. Sprachgenies! Aber wie hätte ich vielleicht auch ein Sprachgenie werden können? Ich hätte vielleicht vor meinem dritten Lebensjahr anfangen sollen, weil das die natürliche Phase des Sprach-erwerbs ist. So genannte frühe Bilinguale (Zweisprachler) erlernen von Geburt an ihre zweite Sprache. Getestete späte Bilinguale lernten sie im Alter von etwa 11 Jahren und lebten anschließend für längere Zeit im Land der Zweitsprache. Amerikanische Forscher stellten bei Untersuchungen im MRT¹ fest, dass frühe Bilinguale beim Spre-chen der Mutter- oder einer Fremdsprache immer dasselbe Nervenzell-Netz im Boca-Areal² nutzen. Dieses Netz hatte sich also bei seiner Herausbildung in frühester Kindheit gleich als Zweisprachennetz entwickelt. Die späten Bilingualen hingegen aktivierten für jede Sprache ein anderes Nervenzell-Netz, ihr Gehirn erstellt bei jeder neuen Sprache

ein neues Netz. Versuche an der Universität Basel zeigten jedoch, dass frühe Bilinguale auch die dritte, später erlernte Sprache in das erste Netz eingliedern konnten.

Was heißt das für uns? Der Zug zum frühen Bilingualen ist für die meisten von uns abge-fahren; wenn wir es nicht schon sind. Aber es ist immer noch möglich, verschiedene Fremdsprachen zu erlernen und das bis ins hohe Alter. Allerdings: Je älter wir werden, desto schwerer wird es, neue Sprache zu er-lernen! Kleinkinder imitieren Sprache und erlernen sie fast im Spiel durch Versuch, Irrtum und wieder Versuch. Wenn - wie in unserem Fall - das Gehirn erst ein neues Netz anlegen muss, funktioniert das nicht mehr automatisch und mühelos, sondern erfordert enorme Anstrengungen. Wir ken-nen das: Wir müssen Vokabeln und gram-matische Regeln lernen, sie immer wieder bewusst anwenden und stetig wiederholen. Auch neue Netzwerke können durch Übung zu erstaunlicher Leistung gebracht werden, schon vorhandene werden gestärkt. Wir merken das besonders, wenn wir für länge-re Zeit eine Sprache im Ausland trainieren konnten. Aber auch intensive Vorbereitung auf den Sprachunterricht hilft! Es gibt also auch das: Spätlerner, die Fremdsprachen fast wie eine Muttersprache beherrschen.

Der am 15.11.1867 in Freiburg geborene Sinologe³ Emil Krebs war so ein Beispiel: Er beherrschte Chinesisch und schließlich 68 Sprachen in Schrift und Sprache. Lest dazu unser Interview ab Seite 25. Anne-F.

Wie werde ich ein Sprachgenie?

¹MRT: Magnetresonanztomograf: Das Gerät verfolgt (hier) den Blutfluss im Gehirn und zeigt so Regionen, die besonders aktiv sind.²Boca-Areal: Bereich in unserer Hirnrinde, der für die Produktion von Sprache zuständig ist.³Sinologie: Chinakunde

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Herr Hoffmann, Emil Krebs war ihr Großonkel und lebte von 1867 bis 1930. Was macht ihn zu einer Ausnahmegestalt der Geschichte und noch heute interessant für uns?Krebs war als Vielsprachler ein Polyglott bzw. ein Hyperpolyglott. Er beherrschte 68 Sprachen in Wort und Schrift, und befasste sich mit insgesamt 111 Sprachen und Dialekten. Natürlich gibt es auch heute Polyglotte. […] Aber Professoren (z.B. Eduard Erkes), die ihn noch gekannt haben, hielten Krebs […] für den größten Vielsprachler, der je gelebt hat. Damit beherrschte er schon damals etwas, was in unserer Zeit enorm an Bedeutung gewonnen hat. Außerdem war Krebs immer bestrebt, nicht nur die Sprache fremder Völker, sondern auch ihr Wesen aus der geschichtlichen Vergangenheit heraus zu verstehen. Ich meine, all das macht ihn auch aus heutiger Sicht zu einer Ausnahmegestalt.

Was war der Auslöser für Sie, sich mit dem Leben ihres Großonkels intensiv zu beschäftigen?Im Grunde genommen begann es in der Kindheit. Mein Großvater war ein Bruder von Emil Krebs. Leider habe ich ihn in meiner Kindheit nicht umfassend befragt. Ich habe mich über Zeitungen informiert und auch aus den Erzählungen meiner Eltern einiges über meinen Großonkel erfahren. In der Schule habe ich dann leider einen „Knacks“ bekommen: Ich habe meinem Lehrer, den ich achtete, von meinem Großonkel erzählt. Er unterbrach mich jedoch sofort, weil das einfach nicht sein konnte, was ich ihm erzählte.

Danach habe ich mir vorgenommen, nie wieder in der Öffentlichkeit über Krebs zu sprechen. Ich habe das auch so gehalten - bis zu meinem Ruhestand. […] Ich habe angefangen zu „forschen“ und kam voran. An einem Buch zusammen mit dem Sprachendienst des Auswärtigen Amtes wird augenblicklich gearbeitet. […]

Emil Krebs entdeckte schon in seiner Kindheit und Schulzeit die Leidenschaft für Sprachen. Wie entwickelte sich dieses Interesse? Im Grunde genommen war das purer Zufall. Er ist in eine Dorfschule gegangen […], fand ein deutsch-französisches Vokabelheft und hat sich mit Französisch beschäftigt. Er hat die Vokabeln zwar gelernt, aber nicht die Lautsprache. Er sagte dann seinem Lehrer etwas in der Schriftsprache, daraufhin wurde man aufmerksam und hat ihn weiter gefördert. [...] In Freiburg/Schlesien besuchte Krebs die Realschule, das genügte ihm nicht. Also wechselte er zum damaligen ev. Gymnasium in die Kreisstadt Schweidnitz (Swidnica) und wählte alle angebotenen Sprachen (Latein, Griechisch, Französisch und Hebräisch). In seinem Abiturzeugnis wurde er in diesen Fächern mit „Gut“ und „Sehr gut“ bewertet. Zusätzlich zu diesen vier Sprachen lernte er acht weitere autodidaktisch: Neu-Griechisch, Englisch, Italienisch, Spanisch, Russisch, Polnisch,

Den Kopf voller SprachenWer war Emil KREBS? Interview mit Eckhard Hoffmann

Emil Krebs 1925

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Arabisch und Türkisch. Man darf aber nicht davon ausgehen, dass er diese gleich beherrschte, er hat sie später in seinem Berufsleben vertieft. Dennoch: Als er 1887 als 19-Jähriger das Gymnasium verließ, waren ihm bereits zwölf Sprachen geläufig.

Wie lernte Emil Krebs neue Sprachen? Wir können es nur aus seiner Bibliothek ableiten, die Aussagen seiner Frau stützen die Schlussfolgerungen. Krebs hat mit Wörterbüchern und Grammatiken begonnen. Grundlage waren das intensive „Einpauken“ und das Wiederholen von Vokabeln. In vielen Sprachen hat er mithilfe einfacher Schulfibeln weitergelernt und zur Vertiefung mit Chrestomathien (Textauszüge aus verschiedenen Werken) und Selbstlernhilfen gearbeitet. […] Auch kam ihm sein Theologiestudium zugute. Emil Krebs besaß das Neue Testament in 61 Sprachen. Alle Übersetzungen des Neuen Testaments gehen auf die gleiche Grundlage zurück, so konnte er seine Sprachen festigen. Chinesisch beherrschte er durch seine Arbeit als Dolmetscher der Gesandtschaft. Jedoch schreibt Krebs 1918 in einem Aufsatz über das Chinesischlernen, er sei sicher, dass es keinen chinesischen Wissenschaftler gebe, der alle Schriftzeichen des Chinesischen beherrsche. Das sei nicht möglich.

Wonach wählte er die Sprachen aus? Diese Auswahl konnte sehr zufällig zustande kommen. Der Botschafter von Henting beschreibt, dass sie in China gemeinsam beim Frühstück gesessen hätten und Krebs eine ihm unbekannte Sprache am Nachbartisch gehört habe. Er […] erfuhr, dass es Armenisch war. Sofort am nächsten Tag bestellte er in Leipzig entsprechende Bücher und Schriften. […] Ein zweites Beispiel ist Baskisch. Er hörte […] von dieser Sprache. Wieder besorgte er sich Bücher und

lernte innerhalb von vier Monaten Baskisch. Als Grundlage diente ihm ausschließlich Spanisch, obwohl diese Sprache keinen ursächlichen Zusammenhang zu Baskisch besitzt. [... ] Er lernte also neue Sprachen oft über andere und nicht über das Deutsche.

Emil Krebs beherrschte 68 Sprachen in Wort und Schrift. Wie gelang es ihm, sich all diese Sprachen zu merken und auseinanderzuhalten?In einem Nachruf zu Emil Krebs schreibt Professor Lessing, der beim SOS und auch in China tätig war, dass in Krebs‘ Gehirn alles genauestens sortiert war. […] Man darf aber nicht annehmen, dass er jede Sprache beim Hören sofort zuordnen oder perfekt sprechen konnte. Mitte der 1920er Jahre wurden für den König in Kabul (Afghanistan) Wissenschaftler gesucht. Man wollte Krebs gern haben, er hat das Angebot aber abgelehnt. In einem Brief schreibt er über die Unterhaltung mit einem der Prinzen: „Ich merkte auf einmal, dass meine Kenntnisse in Puschtu (eine der afghanischen Sprachen) im Moment nicht ausreichten, um mich flüssig mit ihm zu unterhalten. Da ich aber wusste, dass der Prinz Syrisch konnte, bin ich auf Syrisch umgestiegen. Dann konnten wir uns unterhalten.“

Welche Sprache nutzte der Legationsrat Krebs tatsächlich am häufigsten im Gespräch?[…] Für seine Tätigkeit in China brauchte er auf jeden Fall die Sprachen Chinesisch, Mongolisch, Mandschurisch, jedoch auch Japanisch, Italienisch, Russisch, Französisch, Englisch, Niederländisch, Portugiesisch und Dänisch. Das waren neben Amerika die wichtigsten Gesandtschaften oder Botschaften in Peking. […] Krebs war auch mehrere Monate für die italienische Gesandtschaft als Dolmetscher tätig. […]

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Unter den Sprachen waren auch Dialekte und Stammessprachen. Konnte er sie jemals anwenden?Das ist kaum bekannt. In China gibt es natürlich sehr viele verschiedene Dialekte; einige davon hat er verwenden können, vor allem die Pekinger Umgangssprache. Er hat es einmal beschrieben: Als er nach China kam, war er erschüttert, dass er seinen chinesischen Koch nicht verstehen konnte. Er musste diesen in Shanghai gängigen Dialekt (der Koch stammte aus Shanghai) erst lernen. […] Seine Frau konnte daher zuerst überhaupt nicht beeinflussen, was es zu essen gab. Später (1915) hat Krebs eine Übersetzung chinesischer Schattenspiele angefertigt. Das ist sein umfangreichstes Werk in der Pekinger Umgangssprache.

Woher nahm Emil Krebs immer wieder die Motivation und die Kraft, sich an neue Aufgaben zu wagen?Ich vermute, dass hier eine Sucht vorhanden war, […] immer neue Sprachen in einem gewissen Rahmen zu beherrschen. Das war seine Motivation. […]

Welche Bedeutung hatte der Legationsrat Krebs für das Auswärtige Amt des Deutschen Reiches und der Weimarer Republik?In der Kaiserzeit ging es natürlich vor allem um den Kontakt zum damaligen chinesischen Kaiserhaus. Da Krebs der am besten Chinesisch und Mandschurisch sprechende Ausländer war, wurde er oft zur „Kaiserin Witwe“, der Mutter des Kaisers, eingeladen. (Fotos web: Kaiserin Witwe und Einladungsschreiben an Krebs) Mandschurisch wurde als „Geheimsprache“ im Palast genutzt. Die Kaiserin Witwe fungierte damals als Regentin Chinas, denn der Kaiser war noch ein Kind. Krebs hatte ab 1901 hervorragende Verbindungen zu

chinesischen Politikern. So unterhielt er eine freundschaftliche Beziehung zum damaligen ersten Präsidenten Chinas Yüan Shikai (1913 bis 1916). Interessant ist die in historischem Chinesisch verfasste Einladung. (Briefkopie mit Übersetzung auf der Website) […] Zur Bedeutung für das Auswärtige Amt der Weimarer Republik äußerte der damalige Leiter des Sprachendienstes Gautier: „Krebs ersetzt uns 30 Außendienstmitarbeiter.“ Das entspricht so ungefähr der Anzahl der Sprachen, die er dort einsetzte. Die Personalakte spricht von über 40 Sprachen.

Wie viele und welche Länder, deren Sprache er beherrschte, hat Emil Krebs tatsächlich bereist?Es sind nur wenige bekannt, China natürlich und die Mongolei. Außerdem ergaben sich berufliche Reisen nach Japan (Foto), Korea, Russland und Italien. […] Man muss sich auch bewusst machen, dass eine Reise in ein anderes Land zur damaligen Zeit ein Riesenproblem darstellte. 1913 heiratete Emil Krebs. Seine Frau hat die Hochzeitsreise von Shanghai nach Peking beschrieben. Die

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Prinzenbesuch um 1912 in der deutschen Gesandtschaft in Peking. Krebs links hinter den beiden chinesischen Prinzen.

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Reiseschilderung birgt viel Erstaunliches.Eisenbahnen gab es nur sehr beschränkt. Chinas Hauptstadt Peking wurde erst um 1900 an das Eisenbahnnetz angeschlossen. Man ist damals überwiegend mit dem Schiff gereist, mit der Bahn soweit möglich, ansonsten mit Eseln, Sänften oder zu Fuß. […] Nicht zu vergessen: Wenn man außerhalb Pekings für zwei, drei Tage reiste, nahm man alles mit: Betten, Töpfe, Nahrung; eine ganze Karawane ist losgezogen. (Auszug dieser Hochzeitsreise-Beschreibung von Mande Krebs auf der Website.)

Wie muss man sich das Privatleben ihres Großonkels vorstellen?[...] Er hat seine Frau in Berlin kennen gelernt und es hieß über diese Begegnung: „Wir waren in einem Kreis versammelt und da war auch ein Mensch, der [zum damaligen Zeitpunkt] 45 Sprachen beherrschte. Er schwieg in 45 Sprachen.“ Über Krebs war bekannt, dass er schwierig war. […] Krebs hat ihr irgendwann während seines Urlaubs in Deutschland einen Heiratsantrag gemacht. [...] Den Antrag hat sie weder angenommen noch abgelehnt. Er schreibt darüber: „Ich musste meinen Urlaub verlängern und jeder Verlängerungstag kostete mich 65 Mark, weil mir jeder Urlaubstag vom Gehalt abgezogen wurde.“ Und schließlich ist er doch unvollendeter Dinge nach China zurückgereist. Sie wusste, wie besessen er arbeitete und warum sie zögerte. Krebs hat seine Frau geliebt. Er hat auch ihre beiden Kinder aus erster Ehe geliebt, aber er hat kein normales Familienleben geführt. Es wurden Termine ausgemacht, um das Familienleben zu besprechen. Sonst war er dienstlich unterwegs oder in seiner Bibliothek. [...] - In ihrer Selbständigkeit war Mande Krebs eine Frau, die ihrer Zeit schon weit voraus war.

Was führte dazu, dass Emil Krebs 1917 China verlassen musste?Es war im Grunde genommen der Eintritt Chinas in den Ersten Weltkrieg (1917). China verbündete sich mit den Alliierten gegen Deutschland. Nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen wurde das Deutsche Reich durch die niederländische Gesandtschaft vertreten. Die deutsche Regierung bot damals den Niederländern Dolmetscher an und diese sagten: „Wir möchten Emil Krebs.“ Das geht aus der Personalakte klar hervor. Die Franzosen allerdings waren strikt dagegen. Daraufhin musste auch Krebs China verlassen [...]. Man vermutet, Krebs hätte zu viele Bezie-hungen innerhalb Chinas gehabt. […]

Nachdem Emil Krebs aus China zurückgekehrt war, schloss er sich äußerlich und innerlich von seiner Umwelt ab und vergrub sich in seine Sprachstudien. Wie erklären Sie das?[…] Ab November 1917 wurde Krebs beim Auswärtigen Amt zu verschiedenen Arbeiten herangezogen, die in irgendeiner Weise immer mit seinem Sprachgenie zusammenhingen, ihn aber überhaupt nicht befriedigten, weil er von China etwas ganz anderes gewohnt war. Jetzt auf einmal war er der Bürokratie unterworfen und in Positionen tätig, die ihm nicht gefielen und auch nicht seinen Fähigkeiten entsprachen. […] Er hat sich nun wieder intensiver in die Sprachstudien vertieft […]. Krebs war dann in Berlin über 10 Jahre beim Auswärtigen Amt tätig, ab Juli 1923 endlich im Sprachendienst. Nebenberuflich wurde er als amtlicher Übersetzer für Finnisch bei Gerichten und Standesämtern in Berlin und Potsdam bestellt. Erst mit seinem Einsatz beim Sprachendienst des Auswärtigen Amtes fühlte er sich wieder aufgehoben.

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Muss man sich dieses enorme Sprachtalent als eine „Inselbegabung“ vorstellen?[…] Ich denke, das war Krebs nicht, denn seine Begabung lag nicht einseitig bei den Sprachen. Schon in der Schule zeigte sich seine Stärke in Mathematik, die im Abiturjahr unter Festlegung bestimmter Auflagen zu einer Befreiung vom täglichen Mathematik-Unterricht geführt hatte. In seinem Abschlusszeugnis erhielt er für die mathematischen Leistungen ein „Sehr gut“ mit dem Zusatz „beschäftigte sich mit gutem Erfolg privatim mit mathematischen Disziplinen, die jenseits des Gymnasialziels liegen.“ In China war er Diplomat und hatte regel-mäßigen Umgang mit dem Kaiserhaus und mit Regierungsstellen. Emil Krebs erfüllte also vielseitige Aufgaben.

Haben Sie etwas vom Talent Ihres Großonkel geerbt oder gibt es in Ihrer Verwandtschaft ähnliche Begabungen?Sprachlich nein. In meiner Verwandtschaft gibt es eher in anderen Bereichen Hoch-begabte. Einer ist Dozent an einer Hoch-begabtenschule, ein anderer hatte im Abitur eine Durchschnittsnote von 0,9 und bekam ein Stipendium von der Bundesrepublik Deutschland. Er lebt jetzt in China und hat auch die chinesische Sprache erlernt.

Zu der Frage, was ich von ihm geerbt habe: Ich kann auf keinen Berg gehen. Mir wird schwindelig. Dasselbe liest man über Emil Krebs in der Hochzeitsreise-Beschreibung seiner Frau: „Mein Mann konnte nicht mit auf den Berg gehen. Als ich von dort wieder zurück kam, saß er mit tibetischen Priestern zusammen und las ihnen aus deren Schriften vor, weil er schneller lesen konnte.“

Was würden Sie Ihren Großonkel fragen, wenn Sie ihn nächste Woche treffen könnten?Ich hätte eine ganz simple Frage: „Was verbindest du mit dem Begriff des Glücks?“ Das kann ich mir bei seinem Leben nicht vorstellen. Vielleicht war er glücklich, wenn er eine neue Sprache erlernt hat.

Wir bedanken uns sehr herzlich für das Interview, die zahlreichen Materialien und Fotos. Noreen, Helen, Norah

Das Interview ist stark gekürzt. Auf unserer Website findet ihr das vollständige Interview und interessante Materialien wie Auszüge aus der Hochzeitsreise-Beschreibung oder eine Auflistung aller durch Krebs genutzten Sprachen. Historische Fotos spiegeln das Leben von Emil Krebs im China jener Epoche.

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Emil Krebs vor einer Audienz im Kaiserhaus. Die Begleitung ist die Ehefrau eines Diplomaten.

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ÜBER UNS

November. Mir ist kalt. Ich kann mei-nen Atem sehen. Endlich erreiche ich das Bechstein-Center Berlin, wo ich heute einen Klavierauftritt habe. Die Drehtür bewegt sich so langsam, dass ich ungeduldig werde. Ich berühre das Glas und fluche, als die Tür endgültig stehen bleibt. Die Menschen auf der anderen Seite, die hinaus wollen, wer-fen mir böse Blicke zu. Dann bin ich drin. Weihnachtsmusik hallt durch das Shopping-Center. Grauenhaft. Ich blicke hoch. Ich muss da hinauf. Aber wie? Ah, da vorne, ein Fahrstuhl. Ich schaue genauer hin und stocke entsetzt: ein Glas-Fahrstuhl. Auch das noch! Leute erfinden Ängste oder Ticks, um hervorzustechen, um sich besonders zu machen. Ich hingegen gebe nicht gern zu, dass ich schwer unter Höhenangst leide, es ist aber wahr. Ich bin nicht stolz darauf, finde es schrecklich. Es hilft nichts. Ich drücke den Knopf und er ist da, öffnet sich für mich. Ich steige ein, zusammen mit ein paar anderen Leuten. Ich drehe mich mit dem Rücken zur Glaswand. Ganz ruhig, Helen. Denk an etwas Schönes. Denk an… einen Sonnenun-tergang. Ich sitze an einem Strand und beobachte den… eine Möwe, sie fliegt der Sonne entgegen, sie fliegt, sie steigt höher, dann fällt sie. Tief ins Meer hinein. Mir wird heiß und kalt. Doch nun - endlich - bin ich oben angekommen. Ich steige aus, ohne einen Blick zurückzuwerfen.

Ich gehe den Gang entlang. Da ist es. Meine Klavierlehrerin begrüßt mich überschwäng- lich. Ich lächele. Sie ist aufgeregt. Was sie natürlich nicht sagt, aber ich bin nicht nur höhenängstlich, sondern auch Menschen verstehend. Um uns herum zahlreiche Bechstein-Flügel. Sie fangen bei einem Preis von 5.000 an und enden bei 30.000 Euro. „Spiel dich doch schon mal ein!“, sagt

meine Klavierlehrerin mit trällernder Stimme, dann ist sie schon wieder im Gespräch mit einem Elternteil. Ich schaue mich um. Ich wähle einen Flügel für 11.000 Euro aus. Schwarz. Glänzend. Schrecklich hässlich, man sieht jeden Fingerabdruck. Aber ich bin nicht nur höhenängstlich und Menschen verstehend. Ich neige auch zur Ironie. Also setze ich mich schmunzelnd an den glänzenden Flügel, obwohl zu mir wohl eher ein hellhölzernes, süßes, kleines, schnuckeliges, günstiges Klavier gepasst hätte. Dann spiele ich und es spielt sich genau so, wie es aussieht. Aber gut. Das Stück, das ich vorspielen werde, spiele ich so weg, ohne nachzudenken. Passt.

Ich gehe einen Raum weiter, dort sammeln sich Menschen im Zuschauerbereich. Müt-ter und Väter mit Kindern und Großeltern. Davor ein weiterer Flügel, dunkelbraun. Ich nehme mir ein Programm, setze mich und studiere es. Ich bin ziemlich spät dran. Ich muss an meine Freundin denken, die jetzt alles Mögliche interpretieren würde: „Ah, davor kommt ein schnelles Stück, dazu bildet deins einen guten Kontrast, es ist eher verträumt, ah, und es ist länger, auch nicht schlecht, dann freuen sich alle über dein kurzes. Kurz vor Schluss ist eigentlich nicht schlecht, weil die Leute freudiger gestimmt sind, da es bald vorbei ist. Vielleicht sind sie aber auch …“ Zum Glück ticke ich nicht so.

Das Konzert beginnt und ich höre meine Klavierlehrerin, die tapfer mit ein paar kleinen Versprechern durch das Programm führt. Mit jeder Ansage werden meine Finger kälter. Sie sind immer kalt. Ich bin nämlich nicht nur höhenängstlich, Men-schen verstehend und neige nicht nur zur Ironie, sondern auch zu fröstelnden Händen

Ein Fahrstuhl und ein Vorspiel von Helen

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KURZGESCHICHTEN

und Füßen. Auf die Art, dass ich es nicht mehr merke, weil es Standard ist. Nur Men-schen zucken vor mir zurück beim Anfassen und lassen Kommentare à la „vampire“ los. Egal. Ich lausche den Stücken. Kleine Kinder verspielen sich, halten aber mutig durch. Ich habe keine Noten dabei, weil ich ein „Ohne-Noten-Spieler“ bin. Ich lerne das Stück mit Noten, spiele es so zwei- bis drei-mal, lege die Noten dann weg und spiele auswendig. Meine Klavierlehrerin und mei-ne ganze Familie schwärmen von meinem Talent, aber ich habe nie Zeit, also wird nie eine Pianistin aus mir, das will ich auch gar nicht. Das Gras ist immer grüner auf der an-deren Seite. Was man hat, will man nicht.

Ich bin dran. Ich stehe auf. Die Leute gucken, aber ich bin nicht aufgeregt. Nicht so sehr. Ich kneife nur meine Augen zusam-men und überlege ernsthaft, ab welcher Temperatur man die Finger nicht mehr

bewegen kann. Ich habe noch nie darüber gelesen. Ich setze mich auf den Hocker. Heißt der Hocker am Flügel auch Klavier-hocker? Oder Flügelhocker? Ich beginne mein Vorspiel. Es macht Spaß. Auftritte machen mir großen Spaß, obwohl man es mir nicht bis sehr wenig ansieht. Ich verberge meine Gefühle gern. Nur wenige Menschen erkennen sie. Nur die, die mich sehr gut kennen. Ich spiele das Stück ohne darüber nach-zudenken. Ich habe herausgefunden, dass ich beginne, jeden Ton in Frage zu stellen, wenn ich zu sehr über ein Stück nachdenke. So ist es besser. Meine Hände verharren auf einem Akkord, er klingt sehr harmonisch. Das muss der Schluss-akkord sein, denn die Leute klatschen. Supi, denke ich und stehe auf. Verbeugen, lächeln, fertig, Ende.

Ach ja, der Fahrstuhl. Abwärts. Ende.

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Prolog

Es klopft.„Jemand daheim?“ Stille.„Ja!“„Oh, wer nur?“‚ Stille . Nichts.„Ist da ein Engel?“„Nein!“„Der Teufel?“„Nein!“„Hmm... Ein Dichter?“„Nein!“„Oder ein Dieb?“„Nein!“„Wer dann ? Ein Irgendwer?“„Nein! Nur ICH!“

Krass. Das ist echt krass. Wir stehen und fallen von einer Sekunde in die nächste. Gedanken schleifen über den Boden. Ereignisse stolpern hinterher. Überrollen uns. Erstaunlich. Wie einen Dinge ins Schwanken bringen können, die zuvor „normal“ schienen! Ich war immer etwas sonderbar. Ich wollte jemand sein, der bewundert wird, der durch sein Handeln etwas bewegen kann. Ich war jemand, der keine Angst zeigte, und dessen Stolz bis zum Himmel reichte. Alles war ein Fehler, doch der größte Fehler war, ein Jemand sein zu wollen! Die Welt von unten habe ich - trotz allem - schon oft genug gesehen. Mein noch kurzes Leben haben viele Geschichten begleitet. Das Schauerliche ist, dass ich sie nie mehr los werde. Sie haben mich geprägt - bis aufs Herz. Ich wurde geprügelt, weil ich selbständig dachte. Ich wurde vergewaltigt, weil ich

alles besser wusste. Ich bin fast gestorben, da ich auf Leute hörte, denen ich vertraute. Mein Inneres wurde zerfetzt von meiner Mutter, weil sie der Meinung war, sie müsse mir die Wahrheit an den Kopf klatschen, wieder und wieder. Ihre Wahrheit.

Es war ein Sommertag. Der Wind blies mild durch mein Haar. Meine Mutter ging neben mir, mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Wir spazierten am Strand entlang. Möwen flogen über uns hinweg, das Meer war ruhig, so ruhig, dass man an diesem Tag mit keinem Sturm gerechnet hätte, der eine Seele zerstören konnte. Meine Füße krallten sich in den Sand wie die Finger meiner Mutter um ihre Handtasche. Die Luft roch so gut. Freudig summte ich ein Lied vor mich hin. Friedlich war es und angefüllt mit positiven Dingen. Für einige Zeit vergaß ich meinen Schmerz wie die Erinnerungen. Ich ließ mich fallen, entspannte, erlöste meinen Geist aus der Anspannung. Ich floh nicht mehr. Leben wollte ich im JETZT.

Vor mir spielten Kinder. Kreischend tollten sie über den Strand, bewarfen sich mit Algen und strahlten eine solche Reinheit aus, dass ich schlucken musste. Da war die Vergangenheit plötzlich wieder an meiner Seite, tippte mir auf die Schulter. Ein kleines Mädchen rannte vor einem anderen weg, trat in eine Kuhle, fiel hin. Mit dem Gesicht landete es im Sand, kopfüber. Ja, Dreck hatte ich auch ständig im Mund... Es fing an zu weinen, schaute sich entsetzt nach ihrer Verfolgerin um. Kein Elternteil oder sonst jemand kamen ihm zu Hilfe. Also tat ich es. Kniend half ich ihr hoch. Mit großen Augen schaute sie mich an. Mit einer Hand wischte ich ihre Tränen fort. Auf den ersten Blick sah

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Keinen Kopf für Freiheit

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KURZGESCHICHTEN

„Fang nie an aufzuhören, höre nie auf anzufangen!“Cicero

ich keine Verletzung an ihr. Ich fragte: „Tut dir etwas weh?“ Kopfschütteln. „Es sieht auch alles heil aus.“ Ich lächelte. „So etwas kann passieren, wenn man zu übermütig ist.“ Böse guckte sie zu dem anderen Mädchen. Ich schüttelte den Kopf: „Nein, nein. Sie kann nichts dafür, woher sollte sie wissen, dass im Boden eine Unebenheit ist!?“ Die großen Augen klimperten ungläu-big. „Vielleicht entschuldigt sie sich bei dir, wenn du ihr die Möglichkeit gibst.“ Sie wandte sich zur Seite und winkte der Spielgefährtin, zögernd nur. Diese kam langsam näher. Mit einer Umarmung war die Sache aus der Welt. Die Näschen in der Luft sprangen sie davon. Wenn es nur immer so einfach wäre. Hinter mir hörte ich die hohe Stimme einer Frau: „Ist alles in Ordnung, Helene?“ Das musste die Mutter sein. Helene nickte. „Danke, dass Sie geholfen haben. So etwas machen nicht viele Leute“, wandte sich die Frau an mich. Ich nahm den Kopf hoch, dankte ihr mit einem Lächeln. Ein letzter Blick und ich ging sehr langsam zu meiner Mutter zurück, die ein paar Meter abseits stehen geblieben war. Sie zündete sich eine Zigarette an. Mit abfälligem Rümpfen der Nase spuckte sie aus: „Falsch. So was tun nur Menschen, die denken, sie wären etwas Besonderes.“ Mein Herz setzte aus. Ich starrte sie an. Mit einem knurrenden „Hmm!“ stolzierte sie an mir vorbei. Ich verstand sie: Sie ist der

Meinung , dass all die schrecklichen Dinge, die mir zugestoßen sind, allein meine Schuld waren. Ich spürte, wie das letzte bisschen Gefühl mich verließ. Schatten zogen sich über mein Gesicht, keine einzige Frage schlich sich in meinen Kopf.

Danach hatte ich nur noch einmal Kontakt mit ihr. Meine größte Angst war einge-treten. Sie hatte geredet, mit anderen überdiese Erlebnisse, vor denen sie mich nicht beschützt hatte. So sehr es mich schockierte, ließ es mich auch kalt. Irgendwie hatte ich gewusst, dass nichts anderes von ihr zu erwarten war. Nach einigen Jahren der Irrungen, der Qualen, der Verluste, war ich bereit aufzustehen, wieder zu leben. Ich hob den Kopf aus dem Sand. Ich fand ein Ziel. Ich verstand, dass ich mich nicht zu verstellen brauchte, um gemocht zu werden. All die übertriebenen Ideale warf ich beiseite. Ich besuchte die Schule erneut, feierte Geburtstage, lachte, versuchte zu glauben und lebte bei meinem Vater. Als er mir eines Tages gestand: „Jeder Mensch ist in gewisser Weise etwas Besonderes, du bist es für mich. Du hast gekämpft, damit das Strahlen in dein Leben eintritt. Ich bin stolz auf dich!“ Endlich spürte ich lang vergessene Liebe. Mein Herz hustete nicht mehr, es schlug in einem Rhythmus, der allem eine neue Melodie gab. Kalle

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10.50 Uhr, ca. 30°C und die Wasserober-fläche ist von den vorherigen Durchläufen aufgewühlt. Kleine Wellen kräuseln sich am Beckenrand. Viermal 25 Meter liegen vor mir und ich sage mir, dass das zu schaffen ist, dass ich gut genug trainiert habe. Meine Muskeln spannen sich an und ich steige auf den Startblock. Ich schaue nach links: meine Kontrahenten sind auch soweit. Ich schaue auf das Wasser, das nun vor mir liegt, und gehe in die Knie, sodass meine Fingerspitzen den vorderen Rand des Startblockes zu fassen kriegen. Pfiff! Ich lehne mich im Sekundenbruchteil nach hinten und lasse meinen Körper nach vorne in das Wasser schnellen. Auftauchen, du musst auftauchen, sagt mein Kopf , und ich tauche auf. Ich ziehe die Luft durch meinen Mund ein, fixiere das Bahnende mit den Augen und der Kopf geht wieder unter Wasser. Meine Augen sind weiterhin offen und ich sehe wieder das Bahnende, aber es ist verschwommen, es ist blau und ich kann nichts mehr deutlich erkennen. Meine Muskeln spannen sich an und lassen mich wie automatisch funktionieren. Schnell erreiche ich das Bahnende und schlage an, wende und fange an mit Kraul. Ich hebe meine Arme aus dem Wasser und drehe meinen Kopf zur Seite. Kopf unter Wasser, Arm heben und einatmen. Kopf unter Wasser. Ich merke, dass ich hinten liege und zwinge mich dazu, weniger den Kopf zu nutzen, weniger zu atmen sondern nur noch zu schwimmen. Bahnende, anschlagen, wen-den. Ich liege auf dem Rücken und schaue an die Hallendecke. Meine Ohren registrie-ren dumpfes Gebrüll von den Zuschauer-rängen und ich strecke meinen Kopf, um das Bahnende zu sehen. Ein letztes Mal schlage ich an und setze erneut zum Kraul an. Meine Muskeln werden bleiern und ich bekomme

den Arm nur noch schwer aus dem Wasser gehoben. Alles tut weh und meine Lunge zieht sich zusammen. Arm heben, Kopf aus dem Wasser. Gierig sauge ich die Luft ein und fülle meine Lungen mit neuem Sauer-stoff. Arm runter, Kopf unter Wasser. Unter der Oberfläche scheint alles ruhig, doch ich spüre meine schmerzenden Arme und Beine, die sich durch das flüssige Nass graben. Die Bahn hat scheinbar kein Ende. Wieder geht mein Kopf zur Seite und ich sehe niemanden, keine Kontrahenten. Habe ich jetzt verloren? Endlich erblicke ich das lang ersehnte Ende und meine Arme strecken sich, um ermüdet auf den Beckenrand zu fallen. Ich hebe meinen Kopf aus dem Wasser und höre Gebrüll. Höre, wie meine Kontrahenten nach mir ankom-men, spüre meine Lunge und atme tief ein. Kopf über… Ich habe gewonnen. Anne - Franziska

Kopf über ...ÜBER UNS

Anne-Franziska beim Wettkampf

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AUFGESCHNAPPT

Schon mal drüber nachgedacht?!

In einer Küche wird gekocht, in der Regel leckere Gerichte. In der Gerüchteküche wird auch gekocht, doch was dort entsteht, ist selten schmackhaft. Jeder kennt sie. Manche lieben sie, andere verabscheuen sie: Gerüchte!

Gerüchte sind das älteste Massenmedi-um der Welt. Meist sind es unwahre oder zumindest ungesicherte Aussagen über andere Menschen. Nicht selten werden sie von anderen benutzt, um eine bestimm-te Person zu verleumden, zu demütigen oder auszugrenzen. Man hört sie überall: in der Schule, bei der Arbeit, im Sport und natürlich auch in der so genannten Regen-bogen-Presse, z.B. über Prominente.

Und trotzdem sind Gerüchte für alle Be-troffenen gleich schlimm: Sie zerstören den Ruf und machen ihnen das Leben schwer. Man muss Gerüchte nicht einmal mit Absicht in die Welt setzen; manchmal reicht ein kleines, unbedachtes Wort, um die Verbreitung auszulösen. Heute geht es noch schneller als früher: per Telefon, Handy, E-Mail oder Facebook… und schon weiß es die halbe Schule. Manche Leute setzen Gerüchte absichtlich in die Welt, um

Aufmerksamkeit oder Anerkennung zu bekommen oder gar jemandem gezielt zu schaden. Irgendwie muss man sich doch für den Verrat der ehemals besten Freun-din rächen! Und eine „Bild-Zeitung“ muss schließlich hohe Auflagen erzielen.

Einige „Gerüchte-Köche“ erfinden gar noch etwas hinzu, um die „Story“ spannender zu machen. Dann brodelt die Gerüchteküche natürlich besonders. Man überlegt, ob das Gerücht wahr sein könnte. Im besten Falle wägt man ab, ob es vielleicht doch nicht glaubhaft klingt. Ganz egal, wie es ausgeht, doch derjenige, den es betrifft, ist meist völlig machtlos. Es ist schwer, ein Gerücht zu entkräften und die Wahrheit publik zu machen. Gerüchte kommen leider deutlich schneller, als sie gehen.

Überlegt also genau, was ihr „in die Welt setzt“ und wem ihr etwas sagt! Nina

„Ein Gerücht ist wie ein Ei - wenn es erst einmal ausgebrütet ist, bekommt es unweigerlich Flügel.“

(Annette Kolb, 1870 – 1967, Schriftstellerin)

Gerüchteküche

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Von gelaufenen Bildern und angelndem Ton Mein Praktikum bei „Anna und die Liebe“

Ich sitze auf meinem Fensterbrett und schaue dem Sonnenuntergang zu. Ich kann ihn jeden Abend sehen. Manchmal foto-grafiere ich ihn, wenn er besonders schön ist. Ich schaue auf die Uhr. Die Sonne ist schon wieder zwei Minuten später als gestern untergegangen. Die Tage werden länger! Ich freue mich. Dann stockt mein Atem. Mein Blick ist auf die Uhr gerichtet. Dann ein Aufschrei. Ich springe vom Fen-sterbrett und renne. Ich stolpere, stehe wieder auf. Es folgt ein hechtartiger Sprung, dann liege ich auf dem Sofa. Ich sammle mich, suche hastig nach der Fernbedienung. Ich fluche. Meine Mutter kommt herein. Ich rufe verzweifelt meine Frage nach der verdammten Fernbedienung. Sie hält sie mir hin. Ich reiße sie ihr aus der Hand und drücke hastig die gewohnten Tasten. Nun atme ich auf: Ich bin gerade noch richtig zur Serie „Anna und die Liebe“.

Einen Monat zuvor.„Anna und die Liebe“? Ach, das ist eine die-ser schnulzigen, klischeehaften Telenove-las, bei denen nur das gedreht wird, was die Zuschauer gut finden - und das auf Masse. Dann war die Zusage im Briefkasten. Ich runzele die Stirn, als ich den Brief sehe, der an mich adressiert ist. Aber dann fällt es mir wieder ein: Ich hatte mich für ein Prak-tikum bei der Produktionsfirma “Producers at Work” beworben! Ich denke nur: Cool! Hab ich auch was und muss mir keine Sor-gen mehr machen, wo ich mein Praktikum absolvieren könnte. Meine Erwartungen sind dank meiner Vorurteile gegen diese Serie nicht wirklich hoch. Ich würde also beim Studiodreh von „Anna und die Liebe“ dabei sein.

Zwei Wochen später. Heute ist mein letzter Tag im Praktikum. Ich weine, zwanzig andere um mich herum tun es auch. Aber nicht meinetwegen. Eine Schauspielerin namens Fiona, die schon zwei Jahre dabei ist, hat heute ihren letzten Tag. Ich bin die einzige, die nicht ihretwe-gen heult. Ich schaue in die Runde. Da sind Menschen, die ich in so kurzer Zeit so sehr ins Herz geschlossen habe: der Ton, die Requisite, die Kamera, die Regie, die Auf-nahmeleitung, die Maske, die Schauspieler. Zuerst habe ich mich über diese spezielle Ausdrucksweise noch gewundert: „Ist die Requisite jetzt fertig? Der Ton mal bitte aus dem Bild und die Kamera näher ran mit dem Bild.“ Die Leute werden mit ihrem Fachge-biet angesprochen, denn der Ton z.B. ist der Mensch, der die lange Stange hält, an der das Mikro befestigt ist, das nennt man Angeln. Oder: Wenn eine Szene zu Ende ge-dreht ist, ist sie erst wirklich zu Ende, wenn die Regisseurin und auch wirklich NUR die Regisseurin sagt: „Gut, das Bild ist gelaufen.“

Niemals hätte ich gedacht, dass hinter einer dieser oberflächlichen Serien so unwahr-scheinlich liebenswürdige, interessierte, talentierte Leute stecken. Alle klatschen, denn die Regisseurin hat ihre Abschlussrede an Fiona beendet und überreicht ihr Blu-men und ein Fotobuch, wofür ich noch eine Stunde zuvor von jedem fleißig

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Unterschriften gesammelt habe, natürlich heimlich, was gar nicht so leicht war. Die Runde löst sich jetzt auf und alle bauen ab. Das war der letzte Drehtag 2010 und nach dem Abbau würden alle nach draußen ge-hen und darauf anstoßen. Aber inoffiziell ist jetzt die Zeit meiner kleinen Abschieds-runde. Ich bekomme ein Foto und werde gedrückt. Anscheinend hat auch die Crew mich ins Herz geschlossen und ich kann noch gar nicht glauben, dass es jetzt vorbei sein soll. Alle beteuern, ich solle unbed-ingt wiederkommen! Das habe ich vor. Ich werde wiederkommen. Mit diesen Worten schleiche ich aus dem Studio. Die volle Aufmerksamkeit ist nun Fiona gewidmet, die Sekt einschenkt. Alle sind gut gelaunt und erzählen von ihren Plänen für die Wei-hnachtsfeiertage. Niemand beachtet mich mehr und ich gehe genauso leise, wie ich fünf Tage zuvor gekommen war.

Während ich das letzte Mal im Jahr 2010 den langen Gang hinuntergehe, denke ich sch-munzelnd an meine Tage beim Dreh zurück. Daran, wie ich zuerst auf einen Hocker nach hinten gesetzt wurde und nur das Rotlicht schalten durfte. Wenn gedreht wird, ist es wichtig, dass niemand hineinplatzt. Wenn ich den grünen Knopf drücke, geht draußen vor dem Studio eine lautlose Rotlicht-Sirene an, damit niemand stört. Stundenlang saß ich auf dem Hocker, stocksteif, mit voller Konzentration beobachtete ich das Gesche-hen. Ich fand alles wahnsinnig spannend und wollte bloß nichts falsch machen und so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf mich richten. Bloß nicht den Prozess stören! Doch ich lebte mich ein. Ich kam schnell in Gespräche mit der Crew und verstand mich super mit ihr. Alle fragten mich zuerst, ob ich das hier gewonnen hätte, was ich lachend verneinte. An einem Tag war sogar ein „Hardcore-Fan“ da. Sie bekam keinen

Ton heraus, hatte leuchtend rote Wangen, als sie durch das Studio geführt wurde, doch ihre Wangenfarbe verwandelte sich in ein Grün-Weiß, als Jeanette aus der Maske kam und ihr die Hand schüttelte. Spätestens da war der Bann in mir gebrochen und ich war mittendrin. Ich gehörte zur Crew. Ich übernahm ganz unterschiedliche Aufgaben und wollte am liebsten alles gleichzeitig wissen und ausprobieren. Meine Über-schwänglichkeit ließ mich leider auch in ei-nige Fettnäpfchen treten. Eines Tages kam ich hochmotiviert und enthusiastisch ins Studio und zwar mit einem riesigen Kuchen-blech. Es wurde natürlich gerade nicht ge-dreht, aber es herrschte doch relativ an-gespannte Stille, in die ich, breit grinsend, fragte: „Wer will denn ein Stück Kuchen!?“ Daraufhin schauten mich alle böse und fra-gend an, bis jemand sagte: „Ja, aber doch nicht hier drin! Hier wird nicht gegessen!” Auch sollte man lieber NIEMALS die Logik der Story anzweifeln (Das ist doch total bescheuert, wenn der Fahrstuhl kaputt ist, geh‘ ich die Treppen rauf und nicht zum Stromkasten und repariere ihn! Außerdem haben die sich eben noch gestritten und jetzt knutschen sie!), schon gar nicht, wenn die Drehbuchautorin genau neben einem steht und alles gehört hat. Wichtig ist auch, Kabel IMMER auf dem Boden zu ziehen. Sonst könnte ja jemand stolpern. Und trotz allem oder vielleicht gerade deshalb hatten mich alle furchtbar gern. Und ich sie.

Bei mir ist es mit „Anna und die Liebe“ wie mit klassischer Musik. Eigentlich doof, aber wenn ich einen Bezug dazu habe, dann kann ich es lieben und genau das eine Lied 4589 Mal hintereinander hören. Ich kenne nun die Schauspieler und, was noch viel cooler ist, ich kenne die Drehorte. Jetzt warte ich sehnsüchtig auf die Folgen, bei denen ich mitgewirkt habe, das kann gar nicht mehr

PRAKTIKUM

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lange dauern. Dann werde ich quiekend vor dem Fernseher sitzen. Und auch nach diesen Folgen werde ich mich nicht davon trennen können. Nicht, dass ihr mich falsch versteht: Ich finde die Serie immer noch blöd. Aber es ist für mich ein Weg „dran-zubleiben“, ein Festhalten, um mit wunder-vollen Erinnerungen ein bisschen verbun-den zu bleiben im Sinne von: Es ist noch nicht vorbei!

Auch wenn es nicht genau das ist, was ich später machen will, war ich die ganze Zeit leidenschaftlich und interessiert dabei und habe sehr viel gelernt. Für meine Zukunft erträume ich mir, als Regisseurin eigene Filme zu drehen. Helen

WELT DER MEDIEN

Kostümabteilung im Studio

Die Löwin

Auf samtenen Pfotensetzt sie an zum Sprungüber der Erde, der roten

brennt der Himmel in morgendlicher Dämmerung.

Sie reißt ihre Zähne in den Hinterlaufvon einer der Antilopen

über der Steppe geht die Sonne aufim Land der Savannen und Tropen.

Die Akazie spendet Schattendort bringt sie den Raub

ihrem königlichen Gatten,der träge döst im trockenen Staub.

Der Löwe schüttelt seine Königsmähneund lässt sich von ihr verpflegen.

Die Löwin aber fletscht wissend die Zähne sie ist ihm weit überlegen.

Hannah, Abi 2010

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ARD-HAUPTSTADTSTUDIO

Das Gebäude war von außen schon sehr groß und eindrucksvoll, sodass ich einen er-eignisreichen Tag erwartete. Dieser musste jedoch noch etwas warten, denn wie sich herausstellte, waren wir zwei Stunden zu früh gekommen. Macht nichts! Im großen, bunten Berlin lässt sich Zeit gut „totschla-gen“. Bei einem zweiten Anlauf war das Ge-bäude schon brechend voll und eine lange Besucherschlange wartete an der Kasse.

Aus dem ersten Vortrag von „Radio Fritz“ erfuhren wir, dass der Beruf des Radio-moderators keineswegs ein lockerer Job ist, bei dem man nach Lust und Laune locker vor sich her plappert. Die Beiträge werden zuvor genauestens vorbereitet, die Musik wird sorgfältig ausgewählt und natürlich dürfen auch aktuelle Nachrichten nicht fehlen. Es ist ein Haufen Schreibarbeit, der einer Sendung vorausgeht. Einfallsreich-tum und Kreativität sind gefordert, ebenso Teamwork und die Fähigkeit, sich gut und abwechslungsreich ausdrücken zu können. Den Moderatoren werden Seminare für Sprech- und Stimmtraining ans Herz gelegt und gute Laune steht oben auf der Liste.

Leider waren nur zwei Etagen des Studios für die Präsentation der unterschiedlichen Medienberufe vorgesehen. Es blieb uns daher nichts anderes übrig, als uns zwischen den Leuten hindurch zu quetschen und - mal länger, mal kürzer - vor dem gewünschten Stand zu warten, bis ein Platz frei wurde. Es wurden so ziemlich alle Medienberufe

vorgestellt: der des Regisseurs, des Ton-machers, des Journalisten im Hörfunk, beim Fernsehen, im Pressebüro, in Nachrichten-agenturen oder in der Öffentlichkeitsarbeit, ebenso Berufe des Radios, der bildenden Künste und viele weitere.

Überall gab es Prospekte und Hefte über Berufe, Hochschulen und empfohlene Stu-diengänge, Beratungsstellen und Plakate. Am Ende des länglichen Saals (Foto oben) befand sich eine Bühne, auf der ununter-brochen mit den in den einzelnen Berufsfel-dern tätigen Menschen Partner-Interviews und Diskussionen geführt wurden. Sie alle beantworteten Fragen zu den Aufgaben, Anforderungen und dem Alltag ihres Berufs, zu Voraussetzungen für die Berufswahl und zu ihrem Ausbildungsweg und Werdegang. Am Ende jedes Gespräches konnte das

Wo Politik zur Nachricht wird Im ARD-Hauptstadtstudio von Noreen

Blick von oben auf die Veranstaltung

Medien sind heutzutage das mächtigste Instrument, um die Gesellschaft zu beein-flussen. Am Tag der offenen Tür besuchten Helen und ich das Studio der ARD in Berlin.

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WELT DER MEDIEN

Publikum Fragen an die interviewte Person stellen. Viele Berufsbilder wie das des Beleuchters, Maskenbildners, Repor-ters, Tonmachers, Journalisten wurden auf diese Weise interessant vorgestellt. Medienberufe sind sehr vielseitig und in jedem Fall sollte der Berufsausübende flexi-bel und spontan sein, denn oft müssen die Nachrichten in kürzester Zeit vorbereitet werden. Stressresistenz ist demnach auf jeden Fall ein Kriterium für die Berufswahl. Über den Beruf des Nachrichtensprechers berichtet Helen genauer. (rechte Seite)

Am Ende des Tages konnten wir in Grup-pen die Arbeitsplätze der Berufstätigen im ARD-Hauptstadtstudio besichtigen. Aus diesem Studio werden die Nachrichten der „Tagesschau“ ausgestrahlt. Besonders interessant waren die verschiedenen Möglichkeiten der Darstellung wie z.B. die unzähligen verdunkelten Glasscheiben für die richtige Lichteinstellung. Die gesamte Decke war dicht mit Scheinwerfern be-hängt. Licht, Einstellung, Lautstärke, alles muss haargenau passen. Die wunderbaren

Hintergrundbilder, die wir während der „Tagesschau“ bestaunen, werden meist nur eingeblendet. Die berichtende Person steht nur vor einer quietschgrünen Wand (Green Screen, Foto unten) und liest einen Text ab, der direkt vor der Kamera abläuft. Diese Sprecher sind sehr geübt darin, beim Lesen möglichst wenig die Augen zu bewe-gen, und sie sind längst nicht so gut informi-ert, wie manch ein Zuschauer glaubt. Ich jedenfalls war erstaunt, wie sehr für diese kurzen Beiträge „geschummelt“ wird. Die politischen Beiträge scheinen dem Zuschau-er schnell gemacht zu sein, aber tatsächlich steckt ein riesiger Haufen Arbeit dahinter. Es wird unglaublich viel geschnitten und oft neu gedreht, wenn es sich nicht gerade um eine Live-Show handelt. Auch Talkshows und Interviews werden in diesem recht kleinen, aber funktional perfekten und da-her ausreichenden Raum gehalten.

Insgesamt war es ein interessanter Tag, ob-wohl man hier und da einige starke Nerven brauchte, aber mit genügend Geduld wurde man schließlich belohnt.

Im ARD-Nachrichtenstudio: Green Screen und Fernsehbild

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MEDIENBERUF

Am „Tag der Medienberufe“ im Berliner Hauptstadtstudio der ARD wurden wir mit Informationen zu unzähligen Berufen der großen und weiten Medienwelt förmlich überschüttet. Für Noreen war das sehr spannend, aber doch nicht ganz das, was sie sich für ihre Zukunft vorstellt. Für mich war es schon genau das Richtige.

Bei einer unserer Führungen durch das Stu-diogebäude lernten wir Berufe wie den des Requisiteurs, der Maskenbildnerin oder des Tontechnikers kennen. Besonders spannend war für mich der Besuch des Nachrichten-Studios, wo einige Programme gedreht wur-den. Ich befasste mich also etwas genauer mit dem Beruf des Nachrichtensprechers. Ich stellte mich vor den „Green Screen“ (Foto linke Seite) und sah mich in einer Kamera. Vor mir lief ein Text, den ich las. Das war gar nicht so einfach.

Ein Nachrichtensprecher hat an einem Tag sehr viel zu tun. Er bekommt die Beiträge verschiedener Autoren im Laufe des Tages und vor der Sendung. Dazu muss er recher-chieren und sich seinen Text selbst zusam-menbauen. Dabei muss er natürlich nicht nur auf Inhalt, sondern auch auf Grammatik und Rechtschreibung achten. Wenn ver-schiedene Menschen ihr „O.K.“ gegeben ha-ben, wird dieser Text in den Bildschirm vor seinem Platz im Studio eingegeben. Wenn je-mand, den man natürlich nicht im Bild sieht, an einer Kurbel dreht, fährt der Text fort und der Nachrichtensprecher kann weiterreden. Das ist gar nicht so leicht und muss lange geübt werden. Je schneller gedreht wird, desto schneller muss der Sprecher reden. Aber nicht irgendwie. Es darf natürlich nicht zu auffällig sein, dass der Sprecher seinen Text abliest. Kurz über dem Text befindet

sich die Kamera, die dem Zuschauer vor-gaukelt, dass der Nachrichtensprecher ihm das alles aus dem Kopf erzählt.

Damit ihn jeder Zuschauer versteht, muss der Nachrichtensprecher in deutlichem, angemessenem Deutsch sprechen können. Füllwörter haben in einer Nachrichtensen-dung nichts zu suchen. Auch sollte der Sprecher nicht in einem Dialekt reden, vor allem nicht in den ARD-Sendungen, denn jeder Bürger Deutschlands soll sich an-gesprochen fühlen. Weitere Anforderungen sind eine umfassende Allgemeinbildung und eine schnelle Reaktionsfähigkeit, denn nicht einmal im Fernsehen läuft immer alles glatt. Zumindest die ARD fordert für die Bewerbung zum Nachrichtensprecher ein Hochschulstudium, gern auch in einer geisteswissenschaftlichen Disziplin.

Wer von euch also bisher dachte, ein/e Nachrichtenprecher/in stellt sich mal eben 15 Minuten vor die Kamera und liest ein bisschen Text und geht dann nach Hause, hat sich getäuscht. Es ist ein Vollzeitjob mit Schichten rund um die Uhr, aber einer, der klüger macht und sicherlich auch viel Spaß.

Der Beruf des Nachrichtensprechers von Helen

Tagesschau-Sprecher der ARD: Jan Hofer

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POTSDAM -TIPP

Woran denkt man beim Wort „Fabrik“? Natürlich an Verarbeitung, Herstellung, Produktion oder Ware, vielleicht auch an Lärm und Fließbänder. Doch in der Stadt Potsdam bekommt der Begriff „Fabrik“ eine ganz andere Bedeutung. „Haus der Kunst“ würde es eher treffen, aber „Fabrik“ passt zum Gebäude und klingt spannender.

Direkt am Tiefen See, inmitten eines un-gewöhnlichen Geländes des Kulturstand-ortes Schiffbauergasse befindet sich die fabrik Potsdam. Sie ist ein internationales Zentrum für Tanz und Bewegung und wurde 1990 - kurz nach der Wende - von einer Gruppe von Künstlern als experimentelle Kulturstätte für Tanz, Theater und Musik gegründet. Die ehemaligen Fabrikge-bäude wurden seitdem zu Kultureinrich-tungen umfunktioniert. Inzwischen ist die fabrik zu einem der wichtigsten Tanzhäuser Deutschlands geworden, bekannt vor allem durch die Potsdamer Tanztage, ein interna-tionales Festival für zeitgenössischen Tanz, das vom 25. Mai bis 05. Juni 2011 zum 21. Mal stattfindet. Die fabrik bedient drei selbständige, aber eng verbundene Bereiche: Aufführungen internationaler Tanzkompanien auf der

Bühne, Workshops und Kurse für Laien und Profis in den Studios (Studiohaus), das Projekt „Tanz in Schulen“ und Kindertanz-kurse. In der fabrik kann man also Tanz sehen und selbst ausführen. Das Haus ist offen für Profis und Laien, für Kinder und Erwachsene. Hier sind alle Sparten des Tanzes vereint; Tanzkurse für Jung und Alt werden angeboten, in denen verschiedene Richtungen des zeitgenössischen Tanzes erlernt werden können. Kursteilnehmer, die regelmäßig das Tanzbein schwingen, erhalten zusätzlich Sonderrabatte. Für die Workshops werden professionelle Tänzer aus der ganzen Welt gewonnen. Wer nicht selbst tanzen will, kann Theater-aufführungen oder öffentliche Proben, die Gespräche über Aufführungen oder die Künstlersprechstunden besuchen. Das gemeinsam mit dem Studio Offizze des Waschhauses durchgeführte Projekt „Tanz in Schulen“ ermöglicht Schülern, zeit-genössischen Tanz zu erlernen und sogar eigene Aufführungen auf die Beine zu stellen. Sogenannte fabrik-Scouts wirken als „Botschafter“ der fabrik an Hochschulen, Unis und Institutionen. Sie vermitteln Kri-tiken, Ideen, Tipps und Kontakte. Oft ent-stehen daraus neue, interessante Projekte.

Die Fabrik der etwas anderen Art

O VERTIGO (Montréal) - Szene aus ONDE DE CHOC - SCHOCKWELLE

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TIPPS

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ENDS

Die fabrik Potsdam verfügt über optimale Räumlichkeiten. Verschiedene Tanzstudios können für Kurse, Workshops und Proben oder auch für private Veranstaltungen gemietet werden, vom kleinen Studio bis zum riesigen Saal. Zusätzlich angebotene Dienstleistungen sind Catering, technische Betreuung und Künstlervermittlung wie Bands oder DJs. Für eine kleine Verschnauf-pause lädt die fabrik in ihr idyllisches Café ein. In der Woche ist es von 10 bis 18 Uhr geöffnet, für spezielle Abendveranstaltun-gen auch bis spät in die Nacht. Auch das Café steht für private Feiern wie Hoch-zeiten oder Geburtstage zur Verfügung.

Wenn euch die Neugier gepackt hat, geht einfach hin. Wählt unter den vielen Veran-staltungen aus, genießt euren Aufenthalt und lasst euch faszinieren. In der fabrik Potsdam ist für jeden etwas dabei. TabathaTIPP: Unter dem Titel „Meisterchoreografen“ präsentiert die fabrik Stücke international bekannter Choreografen und Tanzensem-bles. Mit der Lösung unseres Lehrerrätsels auf der nächsten Seite könnt ihr Gratis-karten gewinnen: 5mal 2 Karten für ZERO VISIBILITY (OSLO) am 17. April 2011.

Kontakt: fabrik Potsdam - Internationales Zentrum für Tanz und Bewegungskunst Schiffbauergasse 10 14469 Potsdam Telefon: +49 331 240923 E-Mail: [email protected] Internet: www.fabrikpotsdam.de

INFOBOX

FABRIK POTSDAM

ZERO VISIBILITY CORP. (OSLO) Szene aus IT’S ONLY A REHEARSAL

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VERANSTALTUNGS- TIPP

Einige von euch haben die junge Dame aus dem letzten Lehrerrätsel erkannt: Es ist Frau Kanski. Je zwei Theaterkarten des HOT Potsdam für die richtige Antwort gingen an Sophie Läuter, Dina Jakowlewa und Tanja Wehling aus der 12/3.

Und hier unser neues Rätsel: Wer erkennt die junge Dame?

Euch winken lohnende Gewinne*:

• 3mal je 2 HOT-Theater-Freikarten für eine Vorstellung nach Wahl

• 5mal je 2 Gratiskarten in der fabrik Potsdam, dem berühmte Tanztheater, für die ZERO VISIBILITY CORP. aus Oslo am 17. 04. 2011.

Die Lösungen sendet wie immer per Mail an [email protected], gebt sie uns persönlich oder werft sie in den weißen Postkasten neben dem Vertretungsplan. Vergesst nicht euren Namen und die Klasse.

Viel Glück beim Raten! Der Einsendetermin ist der 30.03.11

DAMALS - Das Lehrerrätsel

Die ARCHE Potsdam lädt ein:WANN: Dienstag, 15. März 2011, 19.30 Uhr

WAS: Vortrag zum Thema: „Das Sprachgenie Emil Krebs als Kaiserlicher Botschafter in China“

WER: Eckhard Hoffmann aus Potsdam-Golm (Großneffe von Emil Krebs) hat nach intensiver Forschung viel Interessantes über Person und Zeit zu erzählen.

WO: Arche Potsdam - im Pater-Bruns-Haus, Am Bassin 2

EINTRITT frei. SPENDE erwünscht.

Potsdam - Veranstaltungs - Tipp

Die chinesische Visiten-karte von Emil Krebs für direkten Zugang zum Kaiserhaus

*Auch Lehrer/innen dürfen teilnehmen, können jedoch nur begrenzt gewinnen.

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TIPPS

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FILM-TIPP

„Fotze! Fick dich! Arschloch!“ sind Wörter die Vincent ausspuckt, ohne es bewusst geplant zu haben. Der Grund ist das Tourette-Syndrom, an dem er erkrankt ist. Am besten ist diese Krankheit mit seinen eigenen Worten zu beschreiben: „Ich habe einen Clown im Kopf, der mir in den ungünstigsten Situationen zwischen die Synapsen scheißt.“

Vincent ist ein junger Mann von 27 Jahren. Seine Mutter war Alkoholikerin und ist nun tot. Sein Vater ist Politiker und es scheint, als hasse er Vincent für das, was er ist. Da sich der Vater nicht mit seinem behinder-ten Sohn herumschlagen möchte, schickt er ihn in eine Art Heim, eine Fachklinik, in der - wie Vincent feststellt - so Leute wie er, Behinderte und Gestörte, wohnen. Vincent kommt mit seinen sieben Sachen an, da-runter eine kleine Bonbondose, in der sich die Asche seiner Mutter verbirgt, und ein Foto seiner Mutter, auf dem sie an einem Strand Italiens zu sehen ist.

Vincent teilt ein Zimmer mit Alex. Die Diagnose seines Mitbewohners: Zwangs-neurose. Eine junge Frau namens Marie, die wegen ihrer Magersucht hier lebt, zeigt ihm das Gelände. Es scheint von Anfang an, als habe Vincent Interesse an dem dün-nen Mädchen. Eines Abends steht Marie in Vincents Bad. Mit den Schlüsseln der Heim-leiterin Frau Rose in der Hand, fragt sie ihn, wohin sie fahren wollen. Seine Antwort lautet: „Ans Meer.“ Vincent will den letzten Wunsch seiner Mutter erfüllen. Er nimmt die Bonbondose, Alex schließt sich ihnen an. So beginnt eine aufregende Reise mit überraschenden Hindernissen und anrüh-renden Entwicklungen.

Viele Szenen des Films bestechen mit wun-derschönen Berglandschaften der Alpen. Es macht Lust, selbst eine Reise anzutreten. Vincent wird von dem deutschen Schau- spieler Florian David Fitz verkörpert, welcher zudem das Drehbuch zum Film schrieb. Beeindruckend einfühlsam spielt er den an Tourette erkrankten jungen Mann.

„Vincent will Meer“ ist ein Film, der Spuren hinterlässt. Da die Filmhandlung sehr rea-listisch wirkt, entpuppt sich vor allem das Ende als sehr ergreifend. Der Streifen ist auf jeden Fall empfehlenswert und man sollte, wenn man - so wie ich - nah am Wasser ge-baut ist, lieber eine Packung Taschentücher griffbereit halten. Norah

Seine Diagnose: Tourette - Syndrom

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DIE REDAKTION STELLT SICH VOR

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In meiner Freizeit …bin ich (meist) gut gelaunt.

In der Schule bin ich …ein „kleiner“ Wirbelwind.

Ich finde an mir gut, dass …ich mich von anderen nicht zu sehr beeinflussen lasse.

Meine Macken sind, …dass ich bei gekauften Lebensmitteln erst einmal durchlesen muss, welche Zutaten drin sind und dass es mich aufregt, wenn jemand laut atmet, besonders beim Fernsehen.

Meine liebsten Urlaubsziele sind/ wären …London und New York! Und das Zuhause meiner besten Freundin.

Wenn ich eine Zeitreise machen könnte, …würde ich ins 19. Jahrhundert reisen und in einem ganz tollen Kleid auf einem Ball tanzen.

Ich schreibe für die Schülerzeitung, weil …es mir einfach Spaß macht, Gedanken und Ideen aufs Papier zu bringen.

In 10 Jahren …studiere ich in London.

Mein bester Ratschlag:Einfach immer lachen!!!

NAME: Nane Valerie PlegerKLASSE: 8/1ALTER: 13

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IMPRESSUM

Überflieger - Schülerzeitung der Peter-Joseph-Lenné-GesamtschuleHumboldtring 15-17, 14473 PotsdamTel.: 0331/2897780 Fax: 0331/2897781E-Mail Schule: [email protected] Zeitung: [email protected]

Website: http://ueberflieger.qoalu.com Erscheinen: drei- viermal jährlich Auflage: 150 - 200 Stück Redaktionsschluss: 01.03.2011 Seitenzahl: 48 Ausgabedatum: 11.03.2011

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Spaß muss sein und Lachen ist gesund. Auch wenn es gerade nicht so aussieht: Wir wissen, was wir tun!

Die Faschingszeit ist vorbei, die Tage werden länger und freundlicher. Die zweite Hälfte dieses Schuljahres läuft in großen Schritten auf das Ende zu. Noch haben wir die Osterferien vor uns, aber auch die nächsten Klassenarbeiten und Klausuren stehen bald

an. Unsere 10. und 13. Klassen nähern sich ihren Abschlussprüfungen oder dem Abitur.

Wir wünschen allen Schüler/innen der Lenné-Schule gutes Gelingen für die Aufgaben, die vor euch liegen, sowie zwei erholsame Ferienwochen im April.

Mit den besten Grüßen,eure Schulleitung

SCHLUSS MIT LUSTIG ChefredakteurinNoreen Schuck 12/3LayoutRichard Schuhmann 10/1

RedakteureAnne-F. Winkler 12/2Tanja Wehling 12/3Tabea Germo 11/2Tabatha Erdmann 11/4Kalle 10/1Norah Hiepe 10/1

Evelina Demtschenko 10/1Helen Bauer 10/2Hedwig Zumpe 10/2Jule Hollerbaum 9/2Henni Zierenberg 8/1Nane Valerie Pleger 8/1Nina Damberg 8/2

IMPRESSUM

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Hans Otto Theater GmbH Potsdam Schiffbauergasse 11 // 14467 Potsdam

Karten› (0331) 98 11-8

www.hansottotheater.de

[email protected]

hot-line 0331-9811 160

Mit der Jugendclubkarte ermäßigt ins Hans Otto Theater, ins T-Werk und in die Fabrik:Für einen Beitrag von 15 Euro pro Jahr könnt Ihr alle Eintrittskarten für nur 4 Euro bekommen (Premieren und Gastspiele ausgenommen).

Zum Beispiel für unsere nächste Inszenierung:Adams Äpfel vOn AndErs THOmAs JEnsEn premiere 4. März 2011 Nach seiner Entlassung aus der Haft wird der Neonazi Adam zur Wiedereingliede- rung ausgerechnet in das abgelegene Pfarrhaus von Pastor Ivan geschickt ... Makaber, bitterböse und furchtbar komisch.

… oder im AprilHexenjagd von ArTHur mIllEr premiere 21. April 2011 Die wahre Geschichte einer politischen Massenpanik, erzählt in vielen Schicksalen und zusammengehalten durch eine spannende Kriminalhandlung. Ein Klassiker der Moderne.