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Überlegungen zu Phonologie und Morphologie der
deutschen Sprache als abstraktes Objekt
Martin Neef (TU Braunschweig) 10. Dezember 2013
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 2
1. Überblick
•Linguistische Paradigmen sind dadurch bestimmt, als Gegenstand welcher Art Sprache
konzipiert wird
•Es gibt zumindest drei unterschiedliche mögliche Paradigmen der Linguistik (vgl. Katz 1981)
•Aus grundsätzlichen Erwägungen heraus ist das realistische Paradigma zu bevorzugen
•Innerhalb des realistischen Paradigmas kann es unterschiedliche Theorienansätze geben
•Überzeugend sind letztlich weniger grundsätzliche Erwägungen als vielmehr konkrete
Analysen
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 3
2. Themen der Linguistik
Sprachgebrauch
mündliche Kommunikation
schriftliche Kommunikation
Textproduktion
Kunst
Denken
Saussure: parole
Chomsky: Performanz („der aktuelle Gebrauch der Sprache in konkreten Situationen“)
empirischer Gegenstand
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 4
2. Themen der Linguistik
Sprachwissen
Saussure: langage (allgemeine Sprachfähigkeit als Grundlage des Wissens)
Chomsky: Kompetenz („die Kenntnis des Sprecher-Hörers von seiner Sprache “)
empirischer Gegenstand
„Wer den Begriff ‚Wissen‘ akzeptiert, muss notwendigerweise auch annehmen, dass es
prinzipiell so etwas wie Wissensanwendung gibt bzw. geben kann. Umgekehrt, wer etwas
wie Wissensanwendung akzeptiert, muss logischerweise auch annehmen, dass das, was
angewendet wird, i.e. das Wissen selbst, ebenso existiert.“ (Fanselow & Felix 1987: 20).
Gisbert Fanselow & Sascha Felix (1987). Sprachtheorie: Eine Einführung in die Generative
Grammatik. Band 1: Grundlagen und Zielsetzungen. Tübingen: Francke (= UTB 1441).
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 5
2. Themen der Linguistik
Sprachsystem
Saussure: langue (System einer Einzelsprache)
Chomsky: E-Sprache (vs. I-Sprache)
„Für jeden Wissensbereich lassen sich nun rein logisch zwei Strukturebenen angeben: die
externe oder E-Struktur, die den Gegenstandsbereich des Wissens spezifiziert, also das,
worüber ein Wissen besteht […], und die interne oder I-Struktur, die angibt, wie, d.h. nach
welchen Regularitäten oder Prinzipien das Wissen in dem jeweiligen Gebiet mental
repräsentiert ist.“ (Fanselow & Felix 1987: 40)
„Die eigentliche Novität des generativen Forschungsparadigmas liegt [in der] Auffassung,
dass sprachliche E-Strukturen ein Derivat der I-Strukturen sind und dass sinnvolle Aussagen
eigentlich nur über die I-Strukturen, i.e. das mental repräsentierte Wissenssystem, gemacht
werden können.“ (Fanselow & Felix 1987: 40-41)
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 6
2. Themen der Linguistik
Sprachgebrauch Gebrauch, der von Sprache gemacht wird
Sprachwissen Wissen, das über Sprache vorliegt
Sprachsystem Sprache als System
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 7
3. Paradigmen der Linguistik KATZ, Jerrold J. (1981): Language and other
abstract objects. Totowa: Rowman & Littlefield.
„Thus, we find Platonic realism, conceptualism, and
nominalism, together with their various particular
forms. Platonic realism holds that universals are real
but distinct from physical or mental objects (i.e.,
non-spatial, non-temporal, and independent of
minds). Conceptualism holds that universals are
mental, with its particular forms arising from different
specifications of the sense of ‘mental’. Nominalism
holds that only the sensible signs of language are
real; the alleged use of them to name universals is
nothing more than reference to space-time
particulars with signs that apply generally on the
basis of resemblance.” (Katz 1981: 22)
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 8
3. Paradigmen der Linguistik
Nominalismus: Sprache als Sammlung von
Sprachdaten (Korpuslinguistik)
Kognitivismus: Sprache als biologisches
Objekt (Psycho- und Neurolinguistik)
Realismus: Sprache als abstraktes Objekt
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 9
3. Paradigmen der Linguistik
„Sprache wird nicht mehr als ein rein abstraktes und unabhängig vom Menschen
existierendes System von Regularitäten […] aufgefasst; vielmehr wird Sprache als
eine mentale Größe betrachtet“. (Fanselow & Felix 1987: 16)
„Nach traditioneller Auffassung ist der Gegenstandsbereich der Linguistik die E-
Struktur, d.h. natürliche Sprachen werden als abstrakte Objekte angesehen, deren
Existenz unabhängig von ihrer mentalen Repräsentation im menschlichen Gehirn
ist. Die Aufgabe der Linguistik ist es demnach, die diese abstrakten Objekte
charakterisierenden strukturellen Gesetzmäßigkeiten zu beschreiben und zu
spezifizieren. In jüngerer Zeit ist diese Auffassung explizit von Katz (1981, 1984)
vertreten worden. […] Selbstverständlich wird nicht in Abrede gestellt, dass man
über die Beschäftigung mit natürlichen Sprachen als abstrakten Objekten hinaus
auch nach deren mentaler Repräsentation im Gehirn fragen kann, doch handelt es
sich dabei sozusagen um eine zusätzliche Aufgabe“ (Fanselow & Felix 1987: 44).
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 10
4. Grundzüge einer Realistischen Linguistik
Für eine Modellierung von Sprache als abstraktem Objekt gilt:
•es gibt keine externe Evidenz
•Fragen des Sprachwandels sind irrelevant
•Fragen des Spracherwerbs sind irrelevant
•Ausgangspunkt der Modellierung ist das einzelne Sprachsystem
•eine Modellierung ist nicht richtig oder falsch, sondern nur mehr oder weniger überzeugend
•die Modellierung basiert auf der axiomatischen Methode
•innerhalb des Realistischen Paradigmas kann es unterschiedliche Theorien geben
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 11
5. Innerhalb der Realistischen Linguistik: Deklarative Grammatik
Annahme: Unterscheidung regelmäßiger und unregelmäßiger Daten im Sprachsystem
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 12
6. Autonome Deklarative Phonologie
Definition von Phonologie
Phonologie ist die Lehre der potentiell bedeutungsunterscheidenden Einheiten
eines bestimmten Sprachsystems. Sie untersucht die paradigmatischen und die
syntagmatischen Eigenschaften dieser Einheiten.
Leonard Bloomfield (1933): Language. New York: Holt.
Martin Neef (2005): Die phonologischen Einheiten des Deutschen aus der Sicht einer
Autonomen Deklarativen Phonologie. Linguistische Berichte 202: 207-249.
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 13
6. Autonome Deklarative Phonologie Methode zur Ermittlung phonologischer Einheiten: Minimalpaare
Ist Schwa eine phonologische Einheit?
Hafen
Schal vs. Schale
Wo ist die Grenze des deutschen Wortschatzes?
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 14
6. Autonome Deklarative Phonologie Intonation als phonologische Einheit
a. Du kommst heute.
b. Du kommst heute?
c. Du kommst heute!
Wortakzent als phonologische Einheit
Aktiv aktiv
Kaffee Café
Party Partie
Plato Plateau
Perfekt perfekt
Tenor Tenor
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 15
6. Autonome Deklarative Phonologie
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 16
6. Autonome Deklarative Phonologie
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 17
6. Autonome Deklarative Phonologie
Paradigmatische Eigenschaften: Phonologische Klassen
z.B. Elemente 1 und 2 als Vertreter der Vollvokalklassen
lang vs. kurz
gespannt vs. ungespannt
peripher vs. zentralisiert
rot vs. blau
Syntagmatische Eigenschaften: Silbenphonologie
hierarchisches Silbenmodell mit Onset und Reim, Skelettschicht, Extrasilbizität,
Ambisilbizität, Sonorität, Minimalität und Maximalität etc.
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 18
6. Autonome Deklarative Phonologie (weite) phonetische Transkriptionen sind eigentlich phonologische Repräsentationen und
mithin notwendigerweise theoriegeleitete linguistische Hypothesen
Theo Vennemann & Joachim Jacobs (1982): Sprache und Grammatik. Grundprobleme der
linguistischen Sprachbeschreibung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 19
6. Autonome Deklarative Phonologie
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 20
7. Deklarative Morphologie: Wortdesign
„Während die Phonologie die allgemeinen Laut-
gesetzmäßigkeiten einer Sprache beschreibt,
befaßt sich die Morphologie im Unterschied
hierzu mit den speziellen Lautgesetzmäßig-
keiten, die nur für bestimmte morphologische Kategorien gelten. So ist ein Wort wie *[tlo:.bn]
im Deutschen phonologisch unwohlgeformt und
infolgedessen kein legitimer Repräsentant
irgendeiner morphologischen Kategorie, ein Wort wie #[lo:.bnt] dagegen ist phonologisch
wohlgeformt und damit ein potentieller Vertreter
einer morphologischen Kategorie; die mit ‘#’
indizierte morphologische Unwohlgeformtheit ist
u.a. dann zutreffend, wenn dieses Wort als
Instanz der morphologischen Kategorie ‘Infinitiv’
gelten soll (morphologisch wohlgeformt wäre es
allerdings als Instanz der Kategorie ‘Partizip I’).“
(Neef 1996: 12)
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 21
7. Deklarative Morphologie: Wortdesign
Grundeinheiten: (grammatisches) Wort, Lexem
Analysegegenstand: Eigenschaften morphologischer Kategorien (nicht: Morpheme)
Typen morphologischer Kategorien: Flexion und Derivation
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 22
7. Deklarative Morphologie: Wortdesign
Beispiel: Infinitiv
a. sein tun
b. säen hauen
c. malen glupschen
d. begreifen verzichten
e. abperlen einkaufen
f. nacherleben hinunterbewegen
g. spionieren klassifizieren
h. steigern liebeln
i. hitchhiken zweckentfremden
j. heiraten gigampfen
k. posaunen prophezeien
l. nähern wiehern
m. atmen regnen
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 23
7. Deklarative Morphologie: Wortdesign
Stilistische Variation beim Infinitiv
a. sehen [] #[.] []
malen [] [.] []
b. leben [] []
sinken [] []
c. kämmen [] [] #[]
singen [] [] # []
d. lohnen [] [] #[]
filmen [] [] #[]
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 24
7. Deklarative Morphologie: Wortdesign
Phonologische Stilregister:
Explizitlautung
Bedingung: Jede Silbe muss einen Vokal enthalten
Standardlautung
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 25
7. Deklarative Morphologie: Wortdesign
Bedingung 1: Die segmentale
Endung des Worts muss [N] lauten.
Bedingung 2: Das Wort muss mit
genau einer Reduktionssilbe
enden.
Bedingung 3: Das Wort muss
sich von der phonologisch
bedingten Realisierung des
Stamms unterscheiden.
Bedingung 4: Die Segmente
vom letzten Vollvokal bis vor
das Schwa müssen einsilbig realisierbar sein.
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 26
7. Deklarative Morphologie: Wortdesign
‘heiraten ‘notlanden ‘reinigen
‘einkaufen ‘arbeiten ‘mutmaßen
‘demütigen ‘abperlen ‘antworten
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 27
7. Deklarative Morphologie: Wortdesign
Bedingung 1: Die segmentale
Endung des Worts muss [N] lauten.
Bedingung 2: Das Wort muss mit
genau einer Reduktionssilbe
enden.
Bedingung 3: Das Wort muss
sich von der phonologisch
bedingten Realisierung des
Stamms unterscheiden.
Bedingung 4: Die Segmente
vom letzten Vollvokal bis vor
das Schwa müssen einsilbig realisierbar sein.
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 28
7. Deklarative Morphologie: Wortdesign
Bedingung 1: Die segmentale
Endung des Worts muss [N] lauten.
Bedingung 2: Das Wort muss mit
genau einer Reduktionssilbe
enden.
Bedingung 3: Das Wort muss
sich von der phonologisch
bedingten Realisierung des
Stamms unterscheiden.
Bedingung 4: Die Segmente
vom letzten Vollvokal bis vor
das Schwa müssen einsilbig realisierbar sein.
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 29
7. Deklarative Morphologie: Wortdesign
XVgrn XVg•rn zögern, lagern
XVmln XVm•ln trommeln, wimmeln
Ausnahmen:
atmen zeichnen trocknen vervollkommnen
wappnen regnen eignen bewillkommnen
bewaffnen segnen öffnen verbodmen
ordnen ebnen begegnen auffädmen
(Raffelsiefen 1993, 1995)
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 30
7. Deklarative Morphologie: Wortdesign
Bedingung 1: Die segmentale
Endung des Worts muss [N] lauten.
Bedingung 2: Das Wort muss mit
genau einer Reduktionssilbe
enden.
Bedingung 3: Das Wort muss
sich von der phonologisch
bedingten Realisierung des
Stamms unterscheiden.
Bedingung 4: Die Segmente
vom letzten Vollvokal bis vor
das Schwa müssen einsilbig realisierbar sein.
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 31
7. Deklarative Morphologie: Wortdesign
Bedingung 1: Die segmentale
Endung des Worts muss [N] lauten.
Bedingung 2: Das Wort muss mit
genau einer Reduktionssilbe
enden.
Bedingung 3: Das Wort muss
sich von der phonologisch
bedingten Realisierung des
Stamms unterscheiden.
Bedingung 4: Die Segmente
vom letzten Vollvokal bis vor
das Schwa müssen einsilbig realisierbar sein.
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 32
8. Fazit 1
Die Phonologie ist die Basis für eine morphologische Analyse.
Jede morphologische Kategorie kann für sich analysiert werden.
Morphologische Kategorien können miteinander verglichen werden.
Morphologische Systeme verschiedener Sprachen können miteinander verglichen
werden.
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 33
8. Fazit 2
Eine Grammatiktheorie ist eine modellhafte Rekonstruktion des abstrakten Systems
Grammatik einer bestimmten Sprache mit bestimmten formalen Mitteln.
Da eine deklarative Grammatik eine sprachspezifische Grammatik ist, bietet sich ein
solcher theoretischer Ansatz für Einzelsprachenlinguisten an; er eignet sich aber
natürlich auch für den Sprachvergleich.
Das Sprachsystem ist mit anderen Methoden zu modellieren als der Sprachgebrauch
und das Sprachwissen (axiomatisch und nicht empirisch).
10. Dezember 2013 | Martin Neef| Realistische Linguistik in Berlin| Seite 34
Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit!