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Ulla Hahn – Heller Wahnsinn (Gedichtinterpretation) Ulla Hahn (*1946): Heller Wahnsinn Die Liebe ist kein Engelchen mit Flügeln, kein dicker Säugling der mit Pfeilchen schießt; die Liebe ist ein Engel von vielen, die Gottes Rache aus dem Himmel stieß als sie wie er sein wollte: schön und grausam blind und allmächtig, nicht von dieser Welt zeigt sie seither in immer neuen Bildern das Gesicht des Würgeengels der nach seiner Peitsche die Herzen tanzen lässt bis er zuletzt die Taumelnden Gefallenen zu fällen den Fuß auf ihre armen Kehlen setzt, und dort verharrt, sich auf dem Absatz wendet sorgfältig, ohne Eile, hin und her. Mitunter soll es glücken zu entkommen der Freispruch heißt: ICH LIEBE DICH NICHT MEHR!!! Ulla Hahn – Heller Wahnsinn (Gedichtinterpretation) 1

Ulla Hahn - Heller Wahnsinn

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Ulla Hahn - Heller WahnsinnGedichtinterpretation

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Page 1: Ulla Hahn - Heller Wahnsinn

Ulla Hahn – Heller Wahnsinn (Gedichtinterpretation)

Ulla Hahn (*1946): Heller Wahnsinn

Die Liebe ist kein Engelchen mit Flügeln,kein dicker Säugling der mit Pfeilchen schießt;die Liebe ist ein Engel von vielen,die Gottes Rache aus dem Himmel stieß

als sie wie er sein wollte: schön undgrausam blind und allmächtig, nichtvon dieser Welt zeigt sie seitherin immer neuen Bildern das Gesicht

des Würgeengels der nach seiner Peitschedie Herzen tanzen lässt bis er zuletztdie Taumelnden Gefallenen zu fällenden Fuß auf ihre armen Kehlen setzt,

und dort verharrt, sich auf dem Absatzwendet sorgfältig, ohne Eile, hin und her.Mitunter soll es glücken zu entkommender Freispruch heißt: ICH LIEBE DICH NICHT MEHR!!!

Ulla Hahn ist eine der wichtigste deutsche zeitgenössische Dichterin und Erzählerin. Ihre Gedichte, für welche den Hölderlin-Preis genommen hat, drüken meistens die verschiedene Arten und Gefühle der Liebe aus. Das Gefühl des Warten auf den Geliebte, die Sehnsucht, die Traurigkeit nach einer Trennung u.a. werden aus der Perspektive einer Frau geschildert. Der größte Teil ihrer Werke basieren auf zwei Themen: grausame Liebe und die Nachkriegszeit. Auch in ihrem Gedicht Heller Wahnsinn wird dieses Thema der grausamen Liebe entwickelt. Das Gedicht schildert ein bitteres Bild – die Liebe, wie alle irdische Dinge, ist nicht vollkommen und nicht ewig.

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Die ersten zwei versen errinern uns die klassische Bilde der Liebe, die wie ein schönes Engelchen als Symbol für die Schönheit und Ewigkeit der Liebe dargestellt wurde. Der „dicker Säugling der mit Pfeilchen schießt” verwiest auf Eros, der griechische Gott. Das lyrische Ich ironisiert die beide Figuren und die klasische Meinugen über Liebe. Diminutive wie “Engelchen” und “Pfeilchen” unterstreichen die Ironie gegenüber diese kindische Vision. Aber nicht im Geringsten war Eros für die Antiken unschuldig. In sein Werk Antigona spricht Sophocles über einen bösen und rachsüchtigen Gott, der unsere Köpfen stehlt. Diese Vision stimmt mit der Perspektive aus dem Gedicht – das lyrische Ich beschreibt die Liebe als rachsüchtiger Engel (merken sie, Engel und nich Engelchen). Das biblische Bild der gefallenen Engel sugeriert noch einmal die Unreinheit. Die Liebe gehört zur Erde und nicht zum Himmel. Die Menschen erhofften immer an die himmlische Liebe aber ihre Erwartungen sind nicht realistisch.

In der zweiten Strophe finden wir andere Klischees über die Liebe, die allmächtig vorgestellt wird (nach den Wörtern des Heiliges Apostel Paulus). Die Menschen lieben mit den Herzen und nicht mit den Augen, sodass Eros blind dargestellt wird. Die Blindheit, der Mangel an Licht sugeriert etwas nicht realistisch. Es gibt hier einen Gegensatz – wieso kann die Liebe allmächtig sein, ob sie blind ist? Der moderne Mensch glaubt nicht mehr in der Allmächtikgeit der Liebe. Die klassische Vision über die Liebe ist nur eine schöne Illusion, die in Wahrheit oft Schmerz, Leid und Angst bedeutet. Sie qüalt die Menschen mit ihren verschiedenen Gesichte. Sie lassen die Menschen nicht in Ruhe. Das lyrische Ich versucht eine Ähnlichkeit zwischen Gott und Liebe, nach moderner Perspektive. Friedrich Nietzsche verkündete den Tod des Gottes. Beginnend mit Renaissance, hat man über „Deus otiosus” gesprochen. Der Gott ist irgendwie blind, er hat sich aus der Welt entfernt, er interresiert sich nicht mehr für das Schicksal der Menschen. Die Liebe entäuscht ebenfalls den modernen Mensch. Es fühlt in diese Versen die Verzweiflung des lyrischen Ich, weil die Liebe so viele Gesichte hat. Vielleicht fragt sich das lyrische Ich über das wahre Gesicht der Liebe.

Die dritte Strophe betont die unglückliche Gefühle aus der zweiten Strophe. Die beiden Strophe beschreiben die Brutalität der Liebe, aber die Leiden werden jetzt physikalisch. Es wird durch Metaphern die Unruhigkeit einer unvollendeten Liebe sugeriert. Der „Würgenengel mit Peitsche“ ähnelt sich mehr mit einem Teufel, der die Herzen der Menschen nicht in Ruhe lassen. In der Bibel wurde der Würgenengel zum Töten asugesendet. Die Herzen wird personifiziert, sie tanzen unabhängig von der Personen die gehören. In die Wörter Decartes, das Herz hat seine eigene Vernunft, die der Verstand nicht kennt. Es wird eine unterdrückende Liebe ausgedruckt, eine Liebe die „den Fuß auf ihre armen Kehlen setzt“. Die Liebe nimmt den Menschen die Luft zum atmen. In der letzten Strophe sucht man die Moglichkeit zur Enfliehung. Das lyrische Ich will nur aus diesem Qual entkommen und nicht mehr lieben. Die Alliteration „hin und her“ zeigt das nicht so leicht zu verwirklichen. Hin und her wendet sich der Mensch ohne Chance zur Entkommen weil die Liebe in userer Seele aufgebaut wird. Der Mensch wird praktisch gezwungen, an eine bittere Enttäuschung jeder Liebesgeschichte zu glauben.

Die langsame, langjährige Leiden zwingen den Mensch auszugeben. Der Freispruch wäre „Ich liebe dich nicht mehr“, aber wie ist das möglich? Jedenfalls wird dieser großgeschriebene Freispruch wie einen Schrei dargestellt. Das lyrische Ich will nicht mehr lieben.

Aus der Sicht der Prosodie ist das Gedicht in vier Strophen und vier Versen geteilt. Die Strophen haben Kreuzreim. Die Sprache ist einfach und gemein (Merkmal der moderne Dichtung). Die Versen werden in einer modernen Technik getrennt (Enjambement) – mehrere

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Versen bilden einen Satz. Diese moderne Trennung bietet starke akustische Wirkungen. Fernen führen Enjambements zu Mehrdeutigkeit durch Trennung von Sinnzusammenhängen. Es wird, durch die Verwendung von mehreren Jamben, eine melancholische Atmosphäre eingesetzt.

Die Ironie und Überraschung aus dem Titel ist auch eine moderne Technik. Der Ausdruck “Heller Wahnsinn” verwirrt zunächst den Leser, der wahrscheinlichste etwas positives sich einbildete. Damit will die Verfasserin des Gedichts einen Überraschungseffekt beim Lesen erreichen.

Als Schlussfolgerung, das Gedicht “Heller Wahnsinn” erzeugt eine Entmythisierung der Liebe. Die Liebe ist schön, aber einigermaßen grausam. Die Freuden flechten mit den Enttäuschungen zusammen, als im allgemeinen in unserer Welt geschieht. Die Liebe gehört zur Erde und nicht zum Himmel, das ist die Warnmeldung dieses Gedichts.

Kritische Hinweise

1. Ulla Hahn - Heller Wahnsinn. Online unter:  http://wikis.zum.de/kas/Ulla_Hahn_-_Heller_Wahnsinn [09.05.2014]

2. Ulla Hahn – Leben und Werk. Online unter:  http://de.wikipedia.org/wiki/Ulla_Hahn [09.05.2014]

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