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Das Areal des ehemaligen KZ Sachsenhausen am Nordostrand von Oranienburg ist heute Gedenkstätte und Museum zugleich. Das be- deutet, verkürzt gesagt, dass an diesem Ort des Verbrechens Verstand und Gefühl der Be- sucher angesprochen werden sollen, indem so- wohl dem Erinnern der Überlebenden ein an- gemessener Rahmen als auch der Aufklärung der Nachgeborenen ausreichend Raum gebo- ten wird. Dies ist insofern eine besondere Her- ausforderung, als authentische baulich-räumli- che Substanz kaum erhalten ist. Mit dem Um- zug der Bundesregierung nach Berlin ist auf dem Gelände dieser „Nationalen Mahn- und Gedenkstätte“ der DDR aber auch das gesell- schaftlich vereinnahmte Erinnern zu neuer Be- deutung gelangt. Das der Bundeshauptstadt nächstgelegene Lager war 1936 zunächst zur Inhaftierung politischer Gegner eingerichtet worden und diente ab 1938 – dann schon KZ als Sitz der Inspektion der Konzentrationsla- ger. In dieser Funktion stellt Sachsenhausen quasi die Verwaltungszentrale des „SS-Staats“ dar und kann als eine durch und durch „ent- worfene“ Anlage als geradezu prototypische „Architektur des Terrors“ gelesen werden. Seit 2001 wird Sachsenhausen mit Bundesmitteln umgestaltet. Den 1998 zu diesem Zweck durchgeführten Wettbewerb hatte das Berliner Büro HG Merz 28 | Bauwelt 22 2005 Architekt: HG Merz, Stuttgart/Berlin Mitarbeiter: Dietmar Bauer, Uli Lechtleitner, Mara Lübbert, Sebastian Reinhardt, Johannes Schrey, Michael Weber Tragwerksplanung: Ingenieurgruppe Bauen, Berlin Technische Fassadenberatung: Werner Sobek, Stuttgart Tageslichttechnik/Bauphysik: Transolar Energietechnik, Stuttgart; Institut für Tageslichttechnik, Stuttgart Bauherr: Stiftung Brandenburgische Gedenk- stätten/Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, vertreten durch Liegenschafts- und Bauamt Bernau Ulrich Brinkmann Gedenkort „Station ZNeugestaltung des KZ-Areals Sachsenhausen Die „Station Z“ befand sich angren- zend an das Häftlingslager, war von dort aber nicht einsehbar. Der Ort, der bei der Gestaltung des Lagers als Gedenkstätte in den 50er Jahren mit Hilfe einer sich öffnenden Beton- halle, der Ehrenhalle, einbezogen worden war, wird heute wieder von einer Mauer abgeschirmt; die Halle wurde abgerissen. Rechts der Blick vom Obelisken Lageplan im Maßstab 1 : 10.000 Historisches Foto: Ansichtskarte 1971, VEB Bild und Heimat, Reichenbach gewonnen (Heft 46/1998), das bereits die 1992 durch einen Brandanschlag verwüsteten Ba- racken 38 und 39 „rekonstruiert“ hatte (Heft 43–44/1997). Ziel des Entwurfs ist eine Revision der ästhetisierenden Überformung des Areals durch das „Buchenwald-Kollektiv“ in den spä- ten fünfziger Jahren, als das Zentrum des kurz zuvor noch von der sowjetischen Besatzungs- macht als Internierungslager und dann von der KVA bzw. NVA militärisch genutzten La- gers zur Gedenkstätte umgestaltet wurde. HG Merz will die davor und dabei abgerissenen Elemente des Lagers wieder kenntlich und sei- ne verbliebenen Spuren besser wahrnehm- bar machen – ein nachvollziehbares Anliegen, wird die Zahl der Opfer und Täter, die die au- thentische Situation erinnern könnten, doch immer weniger. Ein Zwischenschritt auf die- sem Weg wurde am 17. April, zum 60. Jahres- tag der Befreiung des Lagers, begangen: die Fertigstellung des Gedenkorts „Station Z“. Die kaum zynischer zu benennende Anlage bil- det im Wortsinn das Gegenstück zum „Turm A“, dem Eingangsgebäude und Sitz der Lager- leitung. Anders als dieser war die 1942 errich- tete Tötungsmaschine baulich nicht im Lager präsent. Zwar unmittelbar angrenzend, vom Lager aber nicht einsehbar, wurde hier eine Reihe von Techniken für den großmaßstäbli- chen Gebrauch in den Vernichtungslagern ent- Bauwelt 22 2005 | 29 wickelt oder erprobt: Genickschussanlage, Gas- kammer, Krematorium. Auch deshalb gilt das KZ Sachsenhausen mit einigem Recht als Mit- telpunkt des Holocaust. Als einzigen Bereich außerhalb des dreiecki- gen Kernlagers hatte das „Buchenwald-Kollek- tiv“ um die Architekten Ludwig Deiters, Horst Kutzat und Kurt Tausendschön die Grundmau- ern der 1953 von der Kasernierten Volkspolizei gesprengten „Station Z“ durch Versetzen der Lagermauer in die Gedenkstätte einbezogen und mit einer monumentalen Betonhalle, der „Ehrenhalle“, überbaut; darunter wirkte die von Waldemar Grzimek geschaffene „Pietá“ als Gegenüber der Skulptur „Befreiung“ von René Graetz, die vor dem Obelisken, der zentralen Stätte für die Kranzniederlegungen, steht. Die Architekten wollten damals die „Überwindung der SS-Herrschaft durch Abtragen der Reste und durch eine planmäßige Gestaltung“ zum Ausdruck bringen. Heute mag ein solcher An- 1 Besucherinformation 2 SS-Truppenlager 3 „Turm A“/Eingang Lager 4 Appellplatz 5 Kleines Lager/Baracken 38 +39 6 Häftlingslager 7 Zellenbau 8 Krankenstation 9 „Station Z“ 10 Industriehof 11 Obelisk der „Nationalen Mahn- und Gedenkstätte“ 12 KZ-Sonderlager/Sowjetisches Speziallager 2 1 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Ulrich Brinkmann Gedenkort„StationZ · kung wird hier mehr gewährt. An einem Son-nentag, wenn das Weiß der PTFE-Folie den Besucher fast blendet und den Blick in den schützenden

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Page 1: Ulrich Brinkmann Gedenkort„StationZ · kung wird hier mehr gewährt. An einem Son-nentag, wenn das Weiß der PTFE-Folie den Besucher fast blendet und den Blick in den schützenden

Das Areal des ehemaligen KZ Sachsenhausenam Nordostrand von Oranienburg ist heute Gedenkstätte und Museum zugleich. Das be-deutet, verkürzt gesagt, dass an diesem Ortdes Verbrechens Verstand und Gefühl der Be-sucher angesprochen werden sollen, indem so-wohl dem Erinnern der Überlebenden ein an-gemessener Rahmen als auch der Aufklärungder Nachgeborenen ausreichend Raum gebo-ten wird. Dies ist insofern eine besondere Her-ausforderung, als authentische baulich-räumli-che Substanz kaum erhalten ist. Mit dem Um-zug der Bundesregierung nach Berlin ist aufdem Gelände dieser „Nationalen Mahn- undGedenkstätte“ der DDR aber auch das gesell-schaftlich vereinnahmte Erinnern zu neuer Be-deutung gelangt. Das der Bundeshauptstadtnächstgelegene Lager war 1936 zunächst zur Inhaftierung politischer Gegner eingerichtetworden und diente ab 1938 – dann schon KZ –als Sitz der Inspektion der Konzentrationsla-ger. In dieser Funktion stellt Sachsenhausenquasi die Verwaltungszentrale des „SS-Staats“dar und kann als eine durch und durch „ent-worfene“ Anlage als geradezu prototypische„Architektur des Terrors“ gelesen werden. Seit2001 wird Sachsenhausen mit Bundesmittelnumgestaltet. Den 1998 zu diesem Zweck durchgeführtenWettbewerb hatte das Berliner Büro HG Merz

28 | Bauwelt 22 2005

Architekt:

HG Merz, Stuttgart/Berlin

Mitarbeiter:

Dietmar Bauer, Uli Lechtleitner,

Mara Lübbert, Sebastian Reinhardt,

Johannes Schrey, Michael Weber

Tragwerksplanung:

Ingenieurgruppe Bauen, Berlin

Technische Fassadenberatung:

Werner Sobek, Stuttgart

Tageslichttechnik/Bauphysik:

Transolar Energietechnik, Stuttgart;

Institut für Tageslichttechnik,

Stuttgart

Bauherr:

Stiftung Brandenburgische Gedenk-

stätten/Gedenkstätte und Museum

Sachsenhausen, vertreten durch

Liegenschafts- und Bauamt Bernau

Ulrich Brinkmann

Gedenkort „Station Z“Neugestaltung des KZ-Areals Sachsenhausen

Die „Station Z“ befand sich angren-zend an das Häftlingslager, war vondort aber nicht einsehbar. Der Ort,der bei der Gestaltung des Lagers alsGedenkstätte in den 50er Jahren mit Hilfe einer sich öffnenden Beton-halle, der Ehrenhalle, einbezogenworden war, wird heute wieder voneiner Mauer abgeschirmt; die Hallewurde abgerissen. Rechts der Blickvom Obelisken

Lageplan im Maßstab 1 : 10.000Historisches Foto: Ansichtskarte 1971,VEB Bild und Heimat, Reichenbach

gewonnen (Heft 46/1998), das bereits die 1992durch einen Brandanschlag verwüsteten Ba-racken 38 und 39 „rekonstruiert“ hatte (Heft43–44/1997). Ziel des Entwurfs ist eine Revisionder ästhetisierenden Überformung des Arealsdurch das „Buchenwald-Kollektiv“ in den spä-ten fünfziger Jahren, als das Zentrum des kurzzuvor noch von der sowjetischen Besatzungs-macht als Internierungslager und dann von der KVA bzw. NVA militärisch genutzten La-gers zur Gedenkstätte umgestaltet wurde. HGMerz will die davor und dabei abgerissenenElemente des Lagers wieder kenntlich und sei-ne verbliebenen Spuren besser wahrnehm-bar machen – ein nachvollziehbares Anliegen,wird die Zahl der Opfer und Täter, die die au-thentische Situation erinnern könnten, dochimmer weniger. Ein Zwischenschritt auf die-sem Weg wurde am 17. April, zum 60. Jahres-tag der Befreiung des Lagers, begangen: dieFertigstellung des Gedenkorts „Station Z“. Die kaum zynischer zu benennende Anlage bil-det im Wortsinn das Gegenstück zum „TurmA“, dem Eingangsgebäude und Sitz der Lager-leitung. Anders als dieser war die 1942 errich-tete Tötungsmaschine baulich nicht im Lagerpräsent. Zwar unmittelbar angrenzend, vomLager aber nicht einsehbar, wurde hier eineReihe von Techniken für den großmaßstäbli-chen Gebrauch in den Vernichtungslagern ent-

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wickelt oder erprobt: Genickschussanlage, Gas-kammer, Krematorium. Auch deshalb gilt dasKZ Sachsenhausen mit einigem Recht als Mit-telpunkt des Holocaust. Als einzigen Bereich außerhalb des dreiecki-gen Kernlagers hatte das „Buchenwald-Kollek-tiv“ um die Architekten Ludwig Deiters, HorstKutzat und Kurt Tausendschön die Grundmau-ern der 1953 von der Kasernierten Volkspolizeigesprengten „Station Z“ durch Versetzen derLagermauer in die Gedenkstätte einbezogenund mit einer monumentalen Betonhalle, der„Ehrenhalle“, überbaut; darunter wirkte dievon Waldemar Grzimek geschaffene „Pietá“ alsGegenüber der Skulptur „Befreiung“ von RenéGraetz, die vor dem Obelisken, der zentralenStätte für die Kranzniederlegungen, steht. DieArchitekten wollten damals die „Überwindungder SS-Herrschaft durch Abtragen der Resteund durch eine planmäßige Gestaltung“ zumAusdruck bringen. Heute mag ein solcher An-

1 Besucherinformation2 SS-Truppenlager3 „Turm A“/Eingang Lager4 Appellplatz5 Kleines Lager/Baracken 38 +396 Häftlingslager7 Zellenbau8 Krankenstation9 „Station Z“

10 Industriehof11 Obelisk der „Nationalen Mahn-

und Gedenkstätte“12 KZ-Sonderlager/Sowjetisches

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satz befremden, eine zumindest historische Be-rechtigung ist ihm freilich nicht abzusprechen,und überdies lebt diese Haltung bis heute inähnlich ästhetisierenden Gedenkstättenentwür-fen fort, wie etwa in Daniel Libeskinds Vor-schlag für die Gestaltung des im Südosten an-grenzenden SS-Kasernen-Areals (Heft 14/2001)oder Peter Zumthors Entwurf für die Topogra-phie des Terrors in Berlin. Nach der Umgestal-tung von Sachsenhausen – wenn die halbkreis-förmige Mauer um den Appellplatz abgerissenist, die Steinsockel der Baracken Vertiefungengewichen sind, der gepflegte Rasen durch eineöde Schotterfläche ersetzt ist – werden von die-ser Herangehensweise nur noch der Obeliskund die beiden dann nicht mehr in Sichtbezie-hung stehenden Skulpturen künden. HG Merz’ Schutz- und Kontemplationsbau überden Grundmauern der Öfen „will in keinerWeise ,Haus‘ sein“– und ist dies so wenig, dassdie weiße, mittels eines künstlichen Vakuumsstraff gespannte Hülle aus PTFE-beschichte-tem Glasfasergewebe samt ihrem tragendenRaumfachwerk aus Stahl über dem Boden zuschweben scheint. Auch die benachbarte Flä-che um den Erschießungsgraben scheut jedeAnmutung eines gestalteten „Platzes“, bleibteinfach gefasste Fläche. Der Architekt darf sichmit dieser auf die Spitze getriebenen Abstrak-tion aller Symbolik fern wissen; allem Pathos

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und allem billigen Gruseleffekt. Und dennoch:Hat der Besucher den niedrigen breiten Ein-gang auf der dem Lager abgewandten Seitepassiert und den offenen Hof vor der Pietá be-treten, welcher eine Wand aus Sichtbeton ei-nen neuen maßstäblichen Hintergrund gibt,stellt sich unweigerlich eine gewisse Feierlich-keit ein. Kein Blick nach außen, keine Ablen-kung wird hier mehr gewährt. An einem Son-nentag, wenn das Weiß der PTFE-Folie den Besucher fast blendet und den Blick in denschützenden Schatten über den Mauerrestenerst einmal verwehrt, wird aber auch unse-re heutige Distanz zum damaligen Geschehendeutlich – und dass der Besucher dieser Dis-tanz nur aktiv, im Sicheinlassen auf den Ortund mit dem Studieren der Informationstafeln,begegnen kann, keineswegs im Sichergebenins Sentiment. In dieser Abkehr vom Denkmalartigen liegt der zukunftsträchtige Gehalt dieser Umgestal-tung. Sollte sich diese Erkenntnis durchsetzen,wäre die Zeit reif für einen neuen Umgangauch mit der Umgebung des Kernlagers. Demunbeirrten Eigenheimbau, der inzwischen bisan die Westgrenze des Industriehofs reichtund das damalige Nebeneinander von Alltagund Schrecken so perfide fortsetzt, wäre dannebenso Einhalt zu gebieten wie dem fortschrei-tenden Verfall des SS-Kasernen-Areals.

Die neue „Hüllform“ öffnet sich dort,wo keine Bodenrelikte geschützt wer-den müssen, zu einem kontemplativenInnenhof, in dem Gedenkfeiern unterfreiem Himmel stattfinden können.Die nur 2,60 Meter hohe transluzente„Halle“ verweist dagegen auf die be-drückende und ausweglose Situationder damaligen Häftlinge.

Grundriss und Schnitt im Maßstab1 : 750Fotos: Udo Meinel, Berlin

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1 Erschießungsgraben2 Leichenkeller3 Aschefeld4 Nachbestattungsfeld5 ehem. Erschießungs-

baracke6 Relikte „Station Z“7 Gedenkwand mit Pietà8 Ausstellung „Geschichte

der Station Z“9 Glasfaserbetontafeln

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