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Ärztliches Handeln zwischen Heilauftrag und Geschäft, zwischen Kostendruck und bürokratischem Zwang Ulrich H.J. Körtner Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht Institut für Ethik und Recht in der Medizin in der Medizin

Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

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Ärztliches Handeln zwischen Heilauftrag und Geschäft, zwischen Kostendruck und bürokratischem Zwang. Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin. Die Medizin als Teil des Gesundheitssystems. - PowerPoint PPT Presentation

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Page 1: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Ärztliches Handeln zwischen Heilauftrag und Geschäft, zwischen Kostendruck und bürokratischem Zwang

Ulrich H.J. KörtnerUlrich H.J. Körtner

Institut für Ethik und Recht in der MedizinInstitut für Ethik und Recht in der Medizin

Page 2: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Die Medizin als Teil des Gesundheitssystems

Ärztliches Handeln findet innerhalb des Ärztliches Handeln findet innerhalb des Gesundheitssystems (Health Care System) statt.Gesundheitssystems (Health Care System) statt.

Das Gesundheitssystem umfasst neben der Das Gesundheitssystem umfasst neben der Medizin und dem ärztlichen Beruf noch weitere Medizin und dem ärztlichen Beruf noch weitere „Gesundheitsanbieter“ und Professionen.„Gesundheitsanbieter“ und Professionen.

Das individuelle ärztliche Handeln und die Das individuelle ärztliche Handeln und die individuelle Interaktion zwischen Arzt, Ärztin und individuelle Interaktion zwischen Arzt, Ärztin und Patient findet in einem systemischen bzw. Patient findet in einem systemischen bzw. organisationalen Rahmen statt, der das Arzt-organisationalen Rahmen statt, der das Arzt-Patienten-Verhältnis, die Kommunikation, Patienten-Verhältnis, die Kommunikation, Diagnostik und Therapieverlauf entscheidend Diagnostik und Therapieverlauf entscheidend beeinflusst.beeinflusst.

Page 3: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Begriff des Gesundheitswesens

Gesundheitswesen (engl. Gesundheitswesen (engl. health carehealth care systemsystem): Die ): Die Gesamtheit aller Institutionen, die Güter und Gesamtheit aller Institutionen, die Güter und Dienstleistungen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Dienstleistungen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit anbieten und erbringen, sowie menschlichen Gesundheit anbieten und erbringen, sowie jener Institutionen, die dazu beitragen, dass Menschen mit jener Institutionen, die dazu beitragen, dass Menschen mit ihrer Krankheit oder Behinderung ein Leben mit ihrer Krankheit oder Behinderung ein Leben mit bestmöglicher Lebensqualität führen können.bestmöglicher Lebensqualität führen können.

(WHO 2002) (WHO 2002)

Page 4: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Gesundheitspolitik

Die auf das Gesundheitswesen oder Gesundheitssystem Die auf das Gesundheitswesen oder Gesundheitssystem bezogene Gesundheitspolitik läßt sich unterteilen in:bezogene Gesundheitspolitik läßt sich unterteilen in:

health polityhealth polity (institutionelle rechtliche Ordnung) (institutionelle rechtliche Ordnung)

health policyhealth policy (Ziele und Inhalte) (Ziele und Inhalte)

health politicshealth politics (politische Entscheidungsfindung) (politische Entscheidungsfindung)

Page 5: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Ethik im Gesundheitswesen

Ethik im Gesundheitswesen hat einen zweifachen Ethik im Gesundheitswesen hat einen zweifachen Gegenstand (vgl. J. Wallner 2004):Gegenstand (vgl. J. Wallner 2004):

1.1. das institutionelle Gefüge des Gesundheitswesens und seine das institutionelle Gefüge des Gesundheitswesens und seine unmittelbaren Interaktionspartnerunmittelbaren Interaktionspartner

2. 2. das individuelle und das gemeinschaftliche Handeln das individuelle und das gemeinschaftliche Handeln innerhalb des Gesundheitswesensinnerhalb des Gesundheitswesens

Page 6: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Grunddimensionen der Ethik

IndividualethikIndividualethik PersonalethikPersonalethik SozialethikSozialethik UmweltethikUmweltethik

Ethik im Gesundheitswesen erstreckt sich auf alle Ethik im Gesundheitswesen erstreckt sich auf alle vier Grunddimensionen der Ethik.vier Grunddimensionen der Ethik.

Page 7: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

„Topische“ Ethik

Bereichsethik ist topische EthikBereichsethik ist topische Ethik

Topos Topos = griech. „Ort“, „Allgemeinplatz“= griech. „Ort“, „Allgemeinplatz“

Orte Orte der Ethik im Gesundheitswesen: Institutionen und der Ethik im Gesundheitswesen: Institutionen und Organisationen, z.B. Krankenhäuser, Pflegeheime, Hospize, Organisationen, z.B. Krankenhäuser, Pflegeheime, Hospize, extramurale Sozial- und Pflegestation, Beratungsstellen.extramurale Sozial- und Pflegestation, Beratungsstellen.

Ethik des Gesundheitswesens ist auch Ethik der Ethik des Gesundheitswesens ist auch Ethik der Organisationen und Institutionen.Organisationen und Institutionen.

Page 8: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Systemtheoretische Betrachtungsweise der Medizin I: Grundbegriffe der funktionalen Systemtheorie

Medizin ist ein Teilsystem des Gesundheitswesens, beide Medizin ist ein Teilsystem des Gesundheitswesens, beide sind wiederum Teilsysteme der Gesellschaft.sind wiederum Teilsysteme der Gesellschaft.

Soziale Systeme in Sinne der funktionalen Systemtheorie Soziale Systeme in Sinne der funktionalen Systemtheorie Niklas Luhmanns sind Formen menschlicher Niklas Luhmanns sind Formen menschlicher Kommunikation: „sinnhaft-kommunikative Operationen“.Kommunikation: „sinnhaft-kommunikative Operationen“.

Systeme entstehen durch Übernahme einer FunktionSysteme entstehen durch Übernahme einer Funktion Systeme sind selbstreferentiell. Ihre Kommunikation Systeme sind selbstreferentiell. Ihre Kommunikation

basiert auf einer binär codierten Leitdifferenz.basiert auf einer binär codierten Leitdifferenz. Differenz von System und Umwelt: „Ein System ‚ist‘ die Differenz von System und Umwelt: „Ein System ‚ist‘ die

Differenz zwischen System und Umwelt“ (Luhmann). Differenz zwischen System und Umwelt“ (Luhmann). System und Beobachtung: Beobachter 1., 2. 3. OrdnungSystem und Beobachtung: Beobachter 1., 2. 3. Ordnung KomplexitätsreduktionKomplexitätsreduktion Sinn als Medium sozialer SystemeSinn als Medium sozialer Systeme

Page 9: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Systemtheoretische Betrachtungsweise der Medizin II: Ebenen des Gesundheitssystems

Vgl. Johannes Bircher und Karl-H. Wehkamp 2006Vgl. Johannes Bircher und Karl-H. Wehkamp 2006

Page 10: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Systemtheoretische Betrachtungsweise der Medizin III: Wechselseitige Durchdringungder Systeme

Soziale Systeme wie Medizin, Ökonomie, Politik Soziale Systeme wie Medizin, Ökonomie, Politik und Wissenschaft durchdringen sich. und Wissenschaft durchdringen sich.

Über das übliche Wechselspiel zwischen System Über das übliche Wechselspiel zwischen System und Umwelt, in welchem Systeme jeweils die und Umwelt, in welchem Systeme jeweils die Umwelt anderer Systeme bilden, kommt es zu Umwelt anderer Systeme bilden, kommt es zu Hybridbildungen.Hybridbildungen.

Page 11: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Beispiel: Medizin und Ökonomie

„„Patienten sind zu Kunden geworden und Ärzte zu Dienstleistern, die Patienten sind zu Kunden geworden und Ärzte zu Dienstleistern, die durch Manager nach Bedarf eingesetzt und ausgetauscht werden durch Manager nach Bedarf eingesetzt und ausgetauscht werden können. Auf diese Weise versucht das Wirtschaftssystem, die Medizin können. Auf diese Weise versucht das Wirtschaftssystem, die Medizin immer mehr zu vereinnahmen.“ immer mehr zu vereinnahmen.“

(J. Bircher/K.-H. Wehkamp)(J. Bircher/K.-H. Wehkamp)

N.B: Solche Entwicklungen gehen jedoch nicht allein vom System N.B: Solche Entwicklungen gehen jedoch nicht allein vom System Wirtschaft aus, sondern sind politisch gewollt.Wirtschaft aus, sondern sind politisch gewollt.

Verrechtlichung der MedizinVerrechtlichung der Medizin

Bircher/Wehkamp: Die Medizin löst sich auf!Bircher/Wehkamp: Die Medizin löst sich auf! „„Aus Gründen der Tradition erscheint die Bezeichnung ‚Medizin‘ Aus Gründen der Tradition erscheint die Bezeichnung ‚Medizin‘

vielleicht noch als Teil des Gesundheitssystems, das aber nach vielleicht noch als Teil des Gesundheitssystems, das aber nach politischen, wirtschaftlichen wissenschaftlichen, technischen und politischen, wirtschaftlichen wissenschaftlichen, technischen und juristischen Prinzipien gemanagt wird und seinerseits im juristischen Prinzipien gemanagt wird und seinerseits im Wirtschaftssystem aufgeht.“Wirtschaftssystem aufgeht.“

(J. Bircher/K.-H. Wehkamp)(J. Bircher/K.-H. Wehkamp)

Page 12: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Der zweite Gesundheitsmarkt

Zweiter Gesundheitsmarkt: sog. Individuelle Zweiter Gesundheitsmarkt: sog. Individuelle GesundheitsleistungenGesundheitsleistungen

Nur wenige dieser Leitungen sind aus medizinischer Sicht Nur wenige dieser Leitungen sind aus medizinischer Sicht sinnvoll oder gar notwendig.sinnvoll oder gar notwendig.

Für viele individuelle Gesundheitsleistungen liegt kein Für viele individuelle Gesundheitsleistungen liegt kein überzeugender Nachweis des Nutzens vor.überzeugender Nachweis des Nutzens vor.

Manche sind geprüft und als unwirksam oder als im Mittel Manche sind geprüft und als unwirksam oder als im Mittel nutzlos erwiesen worden.nutzlos erwiesen worden.

Placeboeffekte in der Alternativ- und Placeboeffekte in der Alternativ- und KomplementärmedizinKomplementärmedizin

N.B: Es gibt aber auch Placeboeffekte in der sog. N.B: Es gibt aber auch Placeboeffekte in der sog. Schulmedizin und in der evidence based medicine!Schulmedizin und in der evidence based medicine!

Page 13: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Therapie und Enhancement

Enhancement: Verbesserung natürlicher Enhancement: Verbesserung natürlicher Eigenschaften des Menschen unter Einsatz Eigenschaften des Menschen unter Einsatz medizinischer oder pharmazeutischer Mittel und medizinischer oder pharmazeutischer Mittel und Verfahren, die medizinisch nicht indiziert ist und Verfahren, die medizinisch nicht indiziert ist und kein therapeutisches Ziel verfolgt.kein therapeutisches Ziel verfolgt.

Beispiele: Ästhetische Chirurgie, Beispiele: Ästhetische Chirurgie, NeuroenhancementNeuroenhancement

Frage: Läßt sich überhaupt anhand von Frage: Läßt sich überhaupt anhand von allgemeingültigen Kriterien die Grenzen zwischen allgemeingültigen Kriterien die Grenzen zwischen Therapie und Enhancement festlegen? Wer zieht Therapie und Enhancement festlegen? Wer zieht sie im Einzelfall?sie im Einzelfall?

Page 14: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Beispiel: Ästhetische Chirurgie

In welchen Fällen sind ästhetische Eingriffe In welchen Fällen sind ästhetische Eingriffe medizinisch gerechtfertigt? Anhand welcher medizinisch gerechtfertigt? Anhand welcher Kriterien wird dem subjektiven Leiden eines Kriterien wird dem subjektiven Leiden eines Menschen an seinem Äußeren ein Krankheitswert Menschen an seinem Äußeren ein Krankheitswert zugemessen? zugemessen?

Wann ist ein chirurgischer Eingriff anstelle einer Wann ist ein chirurgischer Eingriff anstelle einer Psychotherapie das medizinische Mittel der Wahl? Psychotherapie das medizinische Mittel der Wahl? Auf welcher theoretischen Grundlage glaubt man, Auf welcher theoretischen Grundlage glaubt man, ein psychisches Leiden mittels eines ästhetisch-ein psychisches Leiden mittels eines ästhetisch-chirurgischen Eingriffs heilen zu können? chirurgischen Eingriffs heilen zu können?

Page 15: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Paradigmenwechsel zur Wunschmedizin

Generell entwickelt sich das Gesundheitswesen zu einer Generell entwickelt sich das Gesundheitswesen zu einer Multioptionsgesellschaft. Wo liegen die Multioptionsgesellschaft. Wo liegen die sozialverträglichen Grenzen der Autonomie von Patienten?sozialverträglichen Grenzen der Autonomie von Patienten?

Gibt es neben dem Recht auf Heilung auch ein Recht auf Gibt es neben dem Recht auf Heilung auch ein Recht auf Optimierung der eigenen Natur, z.B. der Optimierung der eigenen Natur, z.B. der Gedächtnisleistung oder der Sehfähigkeit?Gedächtnisleistung oder der Sehfähigkeit?

Sind Reversibilität und Irreversibilität von medizinischen Sind Reversibilität und Irreversibilität von medizinischen Eingriffen, die man unter der Bezeichnung „Enhancement“ Eingriffen, die man unter der Bezeichnung „Enhancement“ diskutiert, ein ethisch relevantes Kriterium? Oder die diskutiert, ein ethisch relevantes Kriterium? Oder die Unterscheidung zwischen Eingriffen, die sich nur auf das Unterscheidung zwischen Eingriffen, die sich nur auf das betroffene Individuum auswirken, und solchen, die z.B. im betroffene Individuum auswirken, und solchen, die z.B. im Fall der genetischen Keimbahntherapie auch nachfolgende Fall der genetischen Keimbahntherapie auch nachfolgende Generationen betreffen oder gar eine grundlegende Generationen betreffen oder gar eine grundlegende Veränderung der menschlichen Gattung nach sich ziehen Veränderung der menschlichen Gattung nach sich ziehen könnten?könnten?

Page 16: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Probleme mit dem Begriff der medizinischen Indikation

Die Grenzen zwischen Therapie und nicht-Die Grenzen zwischen Therapie und nicht-therapeutischen Eingriffen werden fließend. therapeutischen Eingriffen werden fließend.

Offen ist auch, wer sie im Einzelfall festlegt. Offen ist auch, wer sie im Einzelfall festlegt. Es wird immer schwieriger zu entscheiden zu Es wird immer schwieriger zu entscheiden zu

auszuhandeln, welchen Zuständen und auszuhandeln, welchen Zuständen und Befindlichkeiten ein Krankheitswert zugemessen Befindlichkeiten ein Krankheitswert zugemessen wird und welchen nicht. wird und welchen nicht.

Definitionsprobleme bereitet nicht nur der Begriff Definitionsprobleme bereitet nicht nur der Begriff des Enhancement, sondern eben auch der Begriff des Enhancement, sondern eben auch der Begriff der medizinischen Indikation.der medizinischen Indikation.

Page 17: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Krankheit und Gesundheit

Will die Medizin als Teilsystem des Gesundheitswesens Will die Medizin als Teilsystem des Gesundheitswesens ihre Eigenständigkeit wahren oder zurückgewinnen, ist ihre Eigenständigkeit wahren oder zurückgewinnen, ist es notwendig, die das eigene Handeln leitenden es notwendig, die das eigene Handeln leitenden Grundbegriffe zu überdenken, die eine systemische Grundbegriffe zu überdenken, die eine systemische Steuerungsfunktion haben.Steuerungsfunktion haben.

„„Gesundheit“: die Gesundheit“: die teleologische teleologische Kategorie der MedizinKategorie der Medizin

„„Krankheit“: die Krankheit“: die legitimatorische legitimatorische Kategorie der Medizin Kategorie der Medizin (Labisch/Paul 1998)(Labisch/Paul 1998)

Wiederherstellung oder Erhaltung der Gesundheit sind das Wiederherstellung oder Erhaltung der Gesundheit sind das Ziel medizinischen Handelns (teleologischer Aspekt), Ziel medizinischen Handelns (teleologischer Aspekt), Krankheit der Anlaß für medizinisches Handeln Krankheit der Anlaß für medizinisches Handeln (legitimatorischer Aspekt).(legitimatorischer Aspekt).

Page 18: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Illness und Disease

Illness: subjektives KrankheitserlebenIllness: subjektives Krankheitserleben

Disease: objektiver KrankheitsbegriffDisease: objektiver Krankheitsbegriff

Aus Sicht der Medizin kann jemand eine Krankheit Aus Sicht der Medizin kann jemand eine Krankheit habenhaben, , ohne sich subjektiv krank zu ohne sich subjektiv krank zu fühlenfühlen..

Die Sichtweise der Psychosomatik: Thema der Medizin Die Sichtweise der Psychosomatik: Thema der Medizin und der Pflege sind nicht von der Person abgespaltene und der Pflege sind nicht von der Person abgespaltene Krankheiten, sondern ist der kranke Mensch. Krankheiten, sondern ist der kranke Mensch.

Page 19: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Gesundheitsbegriff I

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit als Zustand vollständigen Gesundheit als Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht etwa nur als Freisein Wohlbefindens und nicht etwa nur als Freisein von Krankheit und Gebrechen.von Krankheit und Gebrechen.

Utopischer Gesundheitsbegriff. Gefahr: Utopischer Gesundheitsbegriff. Gefahr: vollständige Medikalisierung des Lebens und vollständige Medikalisierung des Lebens und Medikalisierung von Befindlichkeitsstörungen.Medikalisierung von Befindlichkeitsstörungen.

Pointiert gesagt: Ein überzogener Pointiert gesagt: Ein überzogener Gesundheitsbegriff macht krank!Gesundheitsbegriff macht krank!

Page 20: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Gesundheitsbegriff II

„„Gesundheit Gesundheit ist ein dynamischer Zustand von ist ein dynamischer Zustand von Wohlbefinden, bestehend aus einem biopsychosozialen Wohlbefinden, bestehend aus einem biopsychosozialen Potential, das genügt, um die alters- und kulturspezifischen Potential, das genügt, um die alters- und kulturspezifischen Ansprüche des Lebens in Eigenverantwortung zu Ansprüche des Lebens in Eigenverantwortung zu befriedigen. befriedigen. KrankheitKrankheit ist der Zustand, bei dem das ist der Zustand, bei dem das Potential diesen Ansprüchen nicht genügt.“Potential diesen Ansprüchen nicht genügt.“

(Johannes Bircher/Karl-H. Wehkamp)(Johannes Bircher/Karl-H. Wehkamp)

Dietrich Rössler: „Gesundheit ist nicht die Abwesenheit Dietrich Rössler: „Gesundheit ist nicht die Abwesenheit von somatischen oder psychischen Störungen, sondern die von somatischen oder psychischen Störungen, sondern die Fähigkeit, mit ihnen zu leben.“Fähigkeit, mit ihnen zu leben.“

(Dietrich Rössler)(Dietrich Rössler)

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Relativität von Krankheit und Gesundheit

Begriffliches Geviert:Begriffliches Geviert:

„„gesund“ – „nicht gesund“gesund“ – „nicht gesund“

„„krank“ – „nicht krank“krank“ – „nicht krank“

Es kann also gesunde Kranke und kranke Es kann also gesunde Kranke und kranke Gesunde geben.Gesunde geben.

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„Nicht-Krankheiten“

Problem: Fortschreitende Medikalisierung und Problem: Fortschreitende Medikalisierung und Pathologisierung von im Grunde natürlichen Pathologisierung von im Grunde natürlichen Vorgänge und DiversitätenVorgänge und Diversitäten

Nicht-Krankheiten: „eine menschlicher Vorgang Nicht-Krankheiten: „eine menschlicher Vorgang oder ein Problem, das von manchen als oder ein Problem, das von manchen als Erkrankung beurteilt wird, obwohl es für die Erkrankung beurteilt wird, obwohl es für die Betroffenen von Vorteil sein könnte, wenn dies Betroffenen von Vorteil sein könnte, wenn dies nicht der Fall wäre“ (Richard Smith 2002)nicht der Fall wäre“ (Richard Smith 2002)

Beispiele für Nicht-Krankheiten: Tränensäcke, Beispiele für Nicht-Krankheiten: Tränensäcke, Haarausfall, das Altern und die MenopauseHaarausfall, das Altern und die Menopause

Page 23: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Gesundheit als Gut

Welcher Gerechtigkeitsbegriff in Medizin und Welcher Gerechtigkeitsbegriff in Medizin und Pflege leitend sein soll, hängt vor allem davon ab, Pflege leitend sein soll, hängt vor allem davon ab, in welcher Weise die in welcher Weise die Gesundheit als GutGesundheit als Gut verstanden wird. verstanden wird.

Unterscheidung zwischenUnterscheidung zwischen▷ ▷ privatenprivaten▷ ▷ öffentlichenöffentlichen▷ ▷ transzendentalentranszendentalenGüternGütern

Page 24: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

PrivatPrivat sind Güter, für die der Einzelne zuständig ist. sind Güter, für die der Einzelne zuständig ist. ÖffentlichÖffentlich sind Güter, für die nur die Gemeinschaft sind Güter, für die nur die Gemeinschaft

verantwortlich sein kann. verantwortlich sein kann. Transzendental Transzendental sind Güter wie Leib und Leben, die als sind Güter wie Leib und Leben, die als

Voraussetzung öffentlicher und privater Güter gelten können. Voraussetzung öffentlicher und privater Güter gelten können. Traditionellerweise wird auch die Traditionellerweise wird auch die GesundheitGesundheit zu den zu den

transzendentalen Güterntranszendentalen Gütern gerechnet. gerechnet. Nun läßt sich aber zeigen, daß Gesundheit eine variabel zu Nun läßt sich aber zeigen, daß Gesundheit eine variabel zu

bestimmende Größe ist, die zudem keine Naturgegebenheit, bestimmende Größe ist, die zudem keine Naturgegebenheit, sondern – zumindest teilweise – das Ergebnis arbeitsteiliger sondern – zumindest teilweise – das Ergebnis arbeitsteiliger Interaktion und von Verteilungsgerechtigkeit ist. Es handelt Interaktion und von Verteilungsgerechtigkeit ist. Es handelt sich um ein der Bildung oder der Sicherheit vergleichbares sich um ein der Bildung oder der Sicherheit vergleichbares „Güterbündel“. „Güterbündel“.

Page 25: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Frage:Frage: Wie weit kann Gesundheit als transzendentales Gut, Wie weit kann Gesundheit als transzendentales Gut, Gegenstand von Tauschgerechtigkeit werden?Gegenstand von Tauschgerechtigkeit werden?

Die grundsätzlich unterstützenswerte Forderung nach Stärkung Die grundsätzlich unterstützenswerte Forderung nach Stärkung der Eigenverantwortung übersieht, daß vielen Menschen „die der Eigenverantwortung übersieht, daß vielen Menschen „die sachliche und monetäre Kompetenz fehlt, derart sachliche und monetäre Kompetenz fehlt, derart selbstverantwortlich entscheiden zu können, so daß der Staat um selbstverantwortlich entscheiden zu können, so daß der Staat um dieser Bürgerinnen und Bürger und des sozialen Friedens willen dieser Bürgerinnen und Bürger und des sozialen Friedens willen helfend und fördernd einzugreifen hat“ (P. Dabrock). helfend und fördernd einzugreifen hat“ (P. Dabrock).

Eine die Gesundheitspolitik einschließende Sozial- und Eine die Gesundheitspolitik einschließende Sozial- und Wohlfahrtspolitik muß die Zugangschancen, d.h. die Wohlfahrtspolitik muß die Zugangschancen, d.h. die kontextabhängige Befähigung zur Eigenverantwortung kontextabhängige Befähigung zur Eigenverantwortung thematisieren, statt kontextlos und im Ergebnis möglicherweise thematisieren, statt kontextlos und im Ergebnis möglicherweise zynisch auf ein abstraktes Autonomieprinzip zu setzen, das der zynisch auf ein abstraktes Autonomieprinzip zu setzen, das der konkreten Hilfsbedürftigkeit von Kranken und Pflegebedürftigen konkreten Hilfsbedürftigkeit von Kranken und Pflegebedürftigen nicht gerecht wird.nicht gerecht wird.

Page 26: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Das tabuisierte Allokationsproblem (I)

AllokationAllokation = Zuteilung von (knappen) Ressourcen an = Zuteilung von (knappen) Ressourcen an potentielle Nutzerpotentielle Nutzer

Grundlegende Kategorien der Ökonomie, die auch für die Grundlegende Kategorien der Ökonomie, die auch für die Medizin relevant ist: Medizin relevant ist: KnappheitKnappheit und und MangelMangel

Hinter der ethischen Frage der optimalen Versorgung Hinter der ethischen Frage der optimalen Versorgung stehen letztlich Allokationsfragen, die in unserem stehen letztlich Allokationsfragen, die in unserem Gesundheitssystem noch immer tabuisiert werden. Gesundheitssystem noch immer tabuisiert werden.

Das führt dazu, daß die Probleme der Das führt dazu, daß die Probleme der Ressourcenverteilung auf dem Rücken der Patienten Ressourcenverteilung auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden, weil man nicht auf höherer Ebene ausgetragen werden, weil man nicht auf höherer Ebene über Allokationskriterien entscheiden will.über Allokationskriterien entscheiden will.

Page 27: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Allokation und Gerechtigkeit im Gesundheitswesen (I)

Unterschiedliche Gerechtigkeitsbegriffe:Unterschiedliche Gerechtigkeitsbegriffe: VerteilungsgerechtigkeitVerteilungsgerechtigkeit TauschgerechtigkeitTauschgerechtigkeit GemeinwohlgerechtigkeitGemeinwohlgerechtigkeit Fairneß (John Rawls)Fairneß (John Rawls) TeilhabegerechtigkeitTeilhabegerechtigkeit BefähigungsgerechtigkeitBefähigungsgerechtigkeit

Page 28: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Allokation und Gerechtigkeit im Gesundheitswesen (II)

4 Ebenen der Allokation:4 Ebenen der Allokation:►►MikroallokationMikroallokation

a) untere Ebenea) untere Ebene

b) obere Ebeneb) obere Ebene

►► MakroallokationMakroallokation

a) untere Ebenea) untere Ebeneb) obere Ebeneb) obere Ebene

Welcher Begriff von Gerechtigkeit dient als Welcher Begriff von Gerechtigkeit dient als Maßstab der Allokation?Maßstab der Allokation?

Page 29: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Allokation und Gerechtigkeit im Gesundheitswesen (III)

Eine Form der Allokation: dieTriageEine Form der Allokation: dieTriage

Zu kritisieren sind beobachtbare Tendenzen, Zu kritisieren sind beobachtbare Tendenzen, dieses Paradigma der Nutzenmaximierung in den dieses Paradigma der Nutzenmaximierung in den medizinischen Alltag zu übertragen. medizinischen Alltag zu übertragen.

Veralltäglichung der Triage steht im Widerspruch Veralltäglichung der Triage steht im Widerspruch zu bisherigen Gerechtigkeitsvorstellungen in zu bisherigen Gerechtigkeitsvorstellungen in Health Care (Jürgen Wallner).Health Care (Jürgen Wallner).

Page 30: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Priorisierung in der Medizin

Das Konzept der Priorisierung unterscheidet ähnlich wie die Das Konzept der Priorisierung unterscheidet ähnlich wie die Triage unterschiedliche Stufen der Behandlungsdringlichkeit.Triage unterschiedliche Stufen der Behandlungsdringlichkeit.

Im Unterschied zur Triage wird aber davon ausgegangen, daß Im Unterschied zur Triage wird aber davon ausgegangen, daß allealle Patienten innerhalb einer bestimmten Zeit behandelt Patienten innerhalb einer bestimmten Zeit behandelt werden. werden.

Es gibt Priorisierungsverfahren in der Notaufnahme, die zwar Es gibt Priorisierungsverfahren in der Notaufnahme, die zwar auch als Triage bezeichnet werden – Beispiel: das Manchester-auch als Triage bezeichnet werden – Beispiel: das Manchester-Triage-System – doch werden auch hier alle eintreffenden Triage-System – doch werden auch hier alle eintreffenden Patienten in einem bestimmten Zeitraum behandelt. Es gibt also Patienten in einem bestimmten Zeitraum behandelt. Es gibt also im Unterschied zur Katastrophenmedizin keine Gruppe von im Unterschied zur Katastrophenmedizin keine Gruppe von Sterbenden, die von der Versorgung ausgeschlossen werden.Sterbenden, die von der Versorgung ausgeschlossen werden.

Während der Begriff Triage im angloamerikanischen Während der Begriff Triage im angloamerikanischen Sprachraum auch für Verfahren der Behandlungspriorisierung Sprachraum auch für Verfahren der Behandlungspriorisierung benutzt wird, unterscheidet man im Deutschen zwischen Triage benutzt wird, unterscheidet man im Deutschen zwischen Triage und Priorisierung.und Priorisierung.

Page 31: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Grundsätze von evidence based medicine aus ethischer Sicht (I)

Effektivität und Effizienz müssen Effektivität und Effizienz müssen patientenzentriertpatientenzentriert bestimmt werden. bestimmt werden.

Ökonomische Kriterien der Gewinnmaximierung Ökonomische Kriterien der Gewinnmaximierung oder der Defizitminimierung sind oder der Defizitminimierung sind keine keine hinreichenden Kriterien.hinreichenden Kriterien.

Page 32: Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin

Grundsätze von evidence based medicine aus ethischer Sicht (II)

Medizinische oder andere Leistungen sind als Medizinische oder andere Leistungen sind als ineffizientineffizient zu bewerten, wenn sie zu bewerten, wenn sie

generell oder indikationenspezifisch keine generell oder indikationenspezifisch keine nachgewiesene Wirksamkeit besitzen,nachgewiesene Wirksamkeit besitzen,

eine geringere Wirksamkeit als alternative eine geringere Wirksamkeit als alternative Maßnahmen aufweisen, die gleich hohe Kosten Maßnahmen aufweisen, die gleich hohe Kosten verursachen, oder verursachen, oder

eine kostengünstigere Alternative nicht an eine kostengünstigere Alternative nicht an Wirksamkeit übertreffen.Wirksamkeit übertreffen.

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Ethische Maßstäbe für Effektivität und Effizienz (I)

Effektivität und Effizienz dürfen nicht einseitig Effektivität und Effizienz dürfen nicht einseitig nach ökonomischen Kriterien der nach ökonomischen Kriterien der Gewinnmaximierung oder der Gewinnmaximierung oder der Defizitminimierung, sondern müssen Defizitminimierung, sondern müssen patientenzentriert bestimmt werden. patientenzentriert bestimmt werden.

Beispiel: Beispiel: orphan diseasesorphan diseases

(weniger als 5 Fälle je 10.000 Einwohner)(weniger als 5 Fälle je 10.000 Einwohner)

► ► orphan drugs

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Ethische Maßstäbe für Effektivität und Effizienz (II)

Das Das ethischeethische Problem medizinischer Problem medizinischer Rationalisiserungsmaßnahmen:Rationalisiserungsmaßnahmen:

„„Da auch der kleinste positive Grenzertrag einer Da auch der kleinste positive Grenzertrag einer medizinischen Maßnahme noch die Gesundheit medizinischen Maßnahme noch die Gesundheit fördert, sind Forderungen von Medizinern und der fördert, sind Forderungen von Medizinern und der weiteren Öffentlichkeit nicht selten, die auch den weiteren Öffentlichkeit nicht selten, die auch den Einsatz von im Vergleich weniger effizienten Einsatz von im Vergleich weniger effizienten Therapieformen fordern.“ Therapieformen fordern.“

(J.M. v. der Schulenburg u. W. Greiner).(J.M. v. der Schulenburg u. W. Greiner).

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