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Deutsche Verlags-Anstalt München Ulrich Janßen Ulla Steuernagel Die Kinder-Uni Forscher erklären die Rätsel der Welt Zweites Semester Mit Illustrationen von Klaus Ensikat

Ulrich Janßen Ulla Steuernagel DieKinder-Uni · Ulla Steuernagel, geboren 1954, und Ulrich Janßen, geboren 1959, sind Redakteure beim »Schwäbischen Tagblatt« in Tübingen und

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Page 1: Ulrich Janßen Ulla Steuernagel DieKinder-Uni · Ulla Steuernagel, geboren 1954, und Ulrich Janßen, geboren 1959, sind Redakteure beim »Schwäbischen Tagblatt« in Tübingen und

Deutsche Verlags-AnstaltMünchen

Ulrich Janßen Ulla Steuernagel

Die Kinder-UniForscher erklären die Rätsel der Welt

Zweites Semester

Mit Illustrationen von Klaus Ensikat

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Page 2: Ulrich Janßen Ulla Steuernagel DieKinder-Uni · Ulla Steuernagel, geboren 1954, und Ulrich Janßen, geboren 1959, sind Redakteure beim »Schwäbischen Tagblatt« in Tübingen und

Ulla Steuernagel,geboren 1954, undUlrich Janßen,geboren 1959,

sind Redakteure beim »Schwäbischen Tagblatt« in Tübingen und Erfinder der Kinder-Uni. Überregionale Aufmerksamkeit erregten sie

erstmals im Jahr 1995, als sie Deutschlands ersten interaktiven Leser-Krimistarteten. Ein Jahr später gründeten sie die »Gutenachtgeschichte«,

eine sommerliche Vorlesereihe von Lesern für Leser, die bis heute Liebhaber (und Nachahmer) in ganz Deutschland findet. Ihr erstes Buch »Die Kinder-Uni«

wurde ausgezeichnet als eines der »schönsten deutschen Bücher 2003«, als »Wissenschaftsbuch des Jahres 2003«, war »Buch des Monats«,

zählt zu den »besten Büchern für junge Leser« und ist nominiert für denDeutschen Bücherpreis. Mittlerweile ist »Die Kinder-Uni« in acht Sprachen

übersetzt, zweimal sogar ins Chinesische.

Klaus Ensikat,geboren 1937, gilt als »ungekrönter

König der Buchillustratoren«.Von 1995 bis 2002 unterrichtete er an

der Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg.

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Inhalt

Vorwort 7

Warum wachsen Pflanzen? 11

Warum träumen wir? 35

Warum können wir hören? 61

Warum darf man Menschen nicht klonen? 87

Warum dürfen Erwachsene mehr als Kinder? 111

Warum sind die griechischen Statuen nackt? 139

Warum bin ich Ich? 167

Warum fallen die Sterne nicht vom Himmel? 189

Anhang 212

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Vorwort

Kinder mögen Dinos, Kinder mögen Vulkane, undKinder mögen Witze. Und wenn jemand kommtund erklärt, warum Dinos ausgestorben sind oderVulkane Feuer speien und dazu noch eine MengeWitze erzählt, ist die Chance ziemlich groß, dass esKindern gut gefällt. Doch wie sieht es aus, wenn es um griechische Kunst geht, um Skulpturen undVasen? Oder um das rätselhafte »Ich«, über dassich die Philosophen den Kopf zerbrechen? Oderden Aufbau einer Pflanze? Ist das alles nicht einbisschen fremd für Kinder?

Von wegen. In Tübingen ließen sich die Kindervon den schwierigen Themen überhaupt nicht ab-schrecken. Zum zweiten Semester der Kinder-Unistürmten sie in riesiger Zahl in den Hörsaal undhörten sich höchst neugierig an, was die Professo-ren über griechische Kunst, das Ich oder die Gefah-ren des Klonens vortrugen. So blieb uns gar nichtsanderes übrig als auch aus dem zweiten Semesterder Kinder-Uni wieder ein Buch zu machen. Wirgeben zu, dass wir dabei auch ein wenig an diearmen Erwachsenen gedacht haben, die traditionellnicht in die Kinder-Uni-Vorlesungen hineindürfen.Das Buch dürfen auch Erwachsene lesen, jeden-falls dann, wenn die Kinder es erlauben.

Wie schon beim ersten Mal haben uns die Tübin-ger Professorinnen und Professoren beim Schrei-ben unterstützt. Ihre acht Vorlesungen an der Kin-der-Uni 2003 bildeten die Grundlage für unsereacht Kapitel. Zusätzlich haben uns die Professorenviele Anregungen gegeben und auf manchen Fehlerin unseren Texten aufmerksam gemacht. Dass sichdas Buch von den Vorlesungen dennoch deutlich

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unterscheidet, ist unvermeidlich. Die meisten Pro-fessoren der Kinder-Uni sprachen ohne Manu-skript, sie gingen spontan auf Fragen der Kinder einund zeigten viele Bilder vom Laptop. Das konntenwir im Buch nicht wiedergeben. Als Autoren muss-ten wir anders vorgehen, die Themen neu aufberei-ten, Schwerpunkte verändern und den Stoff durcheigene Recherchen ergänzen. Die Professoren undProfessorinnen haben uns dabei nach Kräften unter-stützt, wir danken ihnen für ihre Hilfsbereitschaftund Geduld.

Danken müssen wir auch der Eberhard Karls Uni-versität in Tübingen, ganz besonders ihrem Rek-tor Prof. Eberhard Schaich, ihrer Prorektorin Prof.Barbara Scholkmann und ihrem PressesprecherMichael Seifert. Sie haben sich mit uns zusammenauf das Experiment Kinder-Uni eingelassen und dieTübinger Universität damit zur »Mutter aller Kin-der-Unis« gemacht.

Dass aus der Tübinger Kinder-Uni einmal einerichtige Kinder-Uni-Bewegung werden würde, hat-ten wir uns natürlich nicht träumen lassen, als wirzur ersten Vorlesung für Kinder einluden. Nur einJahr nach der Tübinger Premiere öffneten schondreißig deutsche Hochschulen ihre Hörsäle fürAcht- bis Zwölfjährige, viele weitere werden folgen(Information dazu unter www.die-kinder-uni.de).In Tübingen, Berlin oder Karlsruhe kamen bis zu1000 Kinder zu einzelnen Vorträgen, selbst in Rom,Wien, Oslo, Basel, St. Gallen oder Zürich fand dieKinder-Uni Freunde und Nachahmer. Mittlerweilemüssen sich Universitäten ohne Kinder-Uni fastschon entschuldigen.

Auch viele Bedenken sind mehr als widerlegt:Das sei doch was für neunmalkluge Professoren-

8 VORWORT

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kinder oder für Kinder, die brav die Befehle ihrerehrgeizigen Eltern befolgen, oder überhaupt nurwas für Hochbegabte oder Altkluge, hieß es einmal.Sobald man jedoch gesehen hat, wie selbstver-ständlich sich die Kinder in den Hörsälen ausbrei-ten, wie hier einer sein Skateboard unter den Armklemmt, dort ein Mädchen auf rosafarbenem Blüm-chen-Papier ein Stichwort zum Klonen notiert, wievor und nach der Vorlesung die Kinder zum Red-nerpult drängen, sich Autogramme holen und nochtausend Fragen haben, sind all diese Bedenken zer-streut.

Die Kinder-Uni, daran besteht gar kein Zweifel,ist für alle da. Und all die Meckerer und Nörgler,die gewohnheitsmäßig über die Jugend schimpfen,über ihre Gameboys und Videos, und darüber, dassfrüher alles soooo viel besser war, sollten jetzt erstmal die Klappe halten.

Schon dafür hat sich die Kinder-Uni gelohnt.

Ulla SteuernagelUlrich Janßen

VORWORT 9

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Pflanzen erkennt man schon anden Ahs und Ohs der Erwachse-nen. Oh wie schön! Ah, was füreine herrliche Luft! Kinder erkenntman daran, dass sie Pflanzen oftlangweilig finden, weder ein Ahnoch ein Oh für sie übrig haben.So schön wie Legosteine sind diedoch lange nicht. Und essen willman sie auch nicht unbedingt.Schade, dass Lollis nicht aus demBoden wachsen, dann wären sieauch so gesund wie Salat.Im Grunde wissen wir ja, ohnePflanzen, Bäume, Sträucher, Obst,

Gemüse, Kräuter und Unkräutergäbe es uns auch nicht auf dieserWelt. Wir brauchen die Pflanzenzum Essen, zum Atmen, denn sieproduzieren Sauerstoff, und auchfür die Kleidung brauchen wir sie.Dass Pflanzen nützlich sind, istunbestritten, aber kaum jemandahnt, wie tüchtig sie sind, wie re-kordwütig sogar, welche Energie-Kraftwerke, wie viele Zauberfor-meln sie beherrschen. Und dasalles, ohne nachzudenken. Ohnenachzudenken gelingt ihnen einesder größten Wunder:das Wachsen.

Warum wachsen Pflanzen?

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Pflanzen sind seltsame Lebewesen. Man muss sichnur mal so eine stinknormale Wohnzimmer-Pflanzeanschauen. Sie hat keine Augen, keine Ohren undkeinen Mund, viel zu viele Arme und unten einenschweren Klumpfuß. Mit dem steht sie tagaus, tag-ein in der Gegend herum. Man behauptet, sie lebe,aber anzumerken ist ihr das wirklich nicht.

Da muss man schon selber zupacken, um derPflanze mal zu einem neuen Standort oder anderenBlickwinkel zu verhelfen. Verschieben wir also denTopf und benutzen ihn als Torpfosten für Wohn-zimmer-Fußball. Toooor! Wieder einmal wurde derBall erfolgreich zwischen Ficus und Farn im Bücher-regal versenkt. Aber kein Pflanzenkopf wird ge-dreht, kein Arm erhebt sich zu der kleinsten Bei-fallsbekundung. Nichts als Blätter haben die imKopf! Pflanzen interessieren sich also nicht dieBohne für ein gutes Fußballspiel. Sie registrierennoch nicht einmal das Gewitter, das auf Fußball-helden niedergehen kann. Selbst tobende, schimp-fende Eltern sind ihnen egal. Kann Leben so teil-nahmslos sein? Kann es so anders aussehen als dasder Menschen?

Dass die Pflanzen leben, erkennt man eigentlichnur an einem: daran, dass sie ihre Größe verändern,auch dicker werden, also dass sie wachsen. Aberselbst im Wachsen verhalten sie sich anders als dieMenschen. Wenn die Menschen so wachsen wür-den wie die Pflanzen, wären sie am Ende ihres Le-bens ja um die sieben Meter lang. Wenn sich dasLängenwachstum der Menschen nämlich nicht nurauf das erste Viertel ihres Lebens beschränkenwürde, sondern bis zum Tod anhielte.

Dass Pflanzen leben, erkennt man aber auch anetwas anderem. Daran nämlich, dass sie vertrocknen

12 WARUM WACHSEN PFLANZEN?

Für Entwicklungsbiologen

ist kein großer Unterschied

zwischen einer Pflanze, einer

Bakterie, einer Fliege oder

einem Menschen. Professor

Gerd Jürgens fing mit dem

Studium der Fliegen und der

Bakterien an, dann widmete er

sich einer unscheinbaren, aber

gut zu untersuchenden Pflanze,

einem kleinen Unkraut, der

Acker-Schmalwand. In seiner

Pflanzen-Vorlesung bekam jeder

Kinder-Uni-Student einen

Embryo in Form einer Erdnuss

zur Beobachtung. Gerd Jürgens

beriet uns bei diesem Beitrag.

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können oder verfaulen, dass sie Krankheiten be-kommen, dass man sie vergiften, zweiteilen odersonstwie töten kann. Eben daran, dass sie sterbenkönnen.

In der Regel machen Lebewesen mehr Aufhebenvon sich, als die Pflanzen es tun. Pflanzen sind wirk-lich keine Schreihälse. Zum Glück, denn wenn dieetwa 35 Milliarden Bäume, die es in Deutschlandgibt, schreien würden, wäre nicht nur Schluss mitder viel gepriesenen Waldesruh, es wäre sogar so

WARUM WACHSEN PFLANZEN? 13

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unerträglich laut, dass die Menschen nur noch mitKopfhörern herumlaufen und sich über Sprechan-

lagen verständigen könnten. Doch mehr als einRauschen, wenn der Wind durch ihre Blätteroder Nadeln fährt, ist von den Bäumen bishernicht zu hören. Aber wer weiß, vielleicht lernen sie das Laut-

sein ja noch. Denn eins muss man den Pflan-zen lassen: Sie sind in atemraubender Weiseanpassungsfähig. Sie machen alles mit – un-

glaubliche Kälte, irrsinnige Hitze, wochenlangeTrockenheit, ein ganzes Leben unter Wasser. DerMensch tut sich da schwerer, er ist den Pflanzenin dieser Hinsicht unterlegen. Von ihm gibt es nur

ein funktionierendes Modell. Von den Pflanzenviele verschiedene, sie passen sich ihrer Umgebung

an, Menschen passen dagegen die Umge-bung ihren Vorstellungen und Bedürfnissenan. Sie bauen sich Häuser oder fliegen nachMallorca, wenn ihnen kalt ist.

Pflanzen, eigentlich gestandene Outdoor- oderFreiluft-Fanatiker, sind in ihrem Anpassungsdrangsogar schon so weit gegangen, sich an die Häuserder Menschen zu gewöhnen. Vermutlich würde jedePflanze, wenn man ihr ein paar Millionen Jahre Zeitließe, sich jeder Umgebung anpassen.

Unter Menschen ist es ein Schimpfwort, wenn je-mand einem anderen vorwirft, er sei ein Opportu-nist. Das bedeutet, jemand ist charakterlos, redet an-deren nach dem Mund und passt sich so an, dass erdabei einen Vorteil für sich herausschlägt. Pflanzensind noch viel schamlosere Opportunisten, und mankann sie dazu nur beglückwünschen. Und uns Men-schen gleich mit, denn wir profitieren davon. Wenndie Pflanzen nicht so clever wären in ihren Überle-

14 WARUM WACHSEN PFLANZEN?

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bensstrategien und ihren Anpassungstricks, hättenauch die Menschen kaum Überlebenschancen.

Es macht vielleicht nicht viel aus, wenn man sei-nen Wohnzimmer-Ficus eingehen lässt. Ein biss-chen schlechtes Gewissen, aber damit kann manleben. Wenn außer dem Ficus jedoch auch alle an-deren Pflanzen der Erde eingehen würden, hätte dieMenschheit sehr schnell ihren letzten Atemzuggetan.

Brauche ich meinen persönlichen Sauerstoff-lieferanten?

Pflanzen fabrizieren nämlich Sauerstoff. Und ohnediesen geht es nicht, jedenfalls nicht für Menschen.Wie es ist, ohne Sauerstoff zu sein, merkt man jabeim Tauchen. Aber da weiß man zum Glück, wiees wieder zurück an die Luft geht. Vielleicht könntesich die Menschheit mit viel Konditions- und Atem-übungen antrainieren, eine Minute ohne Sauerstoffauszukommen. Aber danach ginge ihr die Luft aus,ihr würde schwarz vor Augen, und dieses Kapitelder Erdgeschichte wäre erledigt.

Wenn Pflanzen also den lebenswichtigen Sauerstoffproduzieren, dann muss man wohl darauf achten,dass immer ein Baum in der Nähe ist. Sonst würdeeinem ja die Luft zum Atmen ausgehen. Zum Glückist es nicht so. Denn sonst müsste jeder Menschständig eine Topfpflanze mit sich herumtragen. EinMordskraftakt wäre das, denn ein kleiner Zimmer-Ficus würde nicht genügen. Der Mensch brauchtzum Leben etwa die Sauerstoffmenge, die ein Baummit einer Krone von rund fünf Meter Durchmessererzeugt. Die Pflanze wäre also gar nicht zu stemmen.

WARUM WACHSEN PFLANZEN? 15

GRAS WACHSEN HÖREN

Die schnellste aller Pflanzen ist

der Bambus. Er kann pro Tag fast

zwei Meter wachsen. Die meis-

ten anderen schaffen vielleicht ge-

rade einen Zentimeter pro Tag.

Obwohl Bambus sehr hoch wer-

den kann (angeblich bis zu 50 Me-

tern), ist es kein Baum, sondern

eine Grassorte. Und da seine

Sprossen beim Wachsen rascheln,

quietschen und knarren, ist end-

lich nachgewiesen, dass man Gras

auch wachsen hören kann.

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Da sollte man lieber gleich unterm Baum sitzenbleiben und durchatmen. Schade eigentlich, dassdie Sauerstofflieferanten uns nicht auf so ange-nehme Weise zum Faulsein verdonnern. Seit Hun-derten von Millionen Jahren bereiten die Pflanzendie Erdatmosphäre für uns schon vor und gebenkräftig Sauerstoff ab. Jede noch so kleine Alge arbei-tet an unserer Atemluft. Und nun kann man über-all auf der Welt atmen, auch dort, wo überhauptkeine Pflanzen wachsen. Auf dem pflanzenlosenMond kann der Mensch dagegen nur mit Sauerstoffherumspazieren, und den muss er sich von der Erdemitbringen.

16 WARUM WACHSEN PFLANZEN?

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Damit haben wir die Frage »Warum wachsenPflanzen?« doch schon beantwortet. Sie wachsen,damit die Menschen atmen können und auch etwaszu essen haben. Die Menschen essen Pflanzen, undsie essen auch Tiere, die Pflanzen essen. Allerdingskonnte der Pflanze bisher noch niemand nachwei-sen, dass sie wächst, um uns einen Gefallen zu tun.Vielleicht wächst sie ja nur, weil sie wachsen muss.Und wie sie das tut, das versuchen Wissenschaftlerseit Jahrhunderten herauszufinden. Bis ins aller-kleinste Detail haben sie es noch nicht enthüllt,aber sie kommen der Sache immer näher.

Wie bringt man die Natur auf Tempo?

Die alte Was-wohl-zuerst-da-war-Frage, ob Huhnoder Ei, stellt sich auch bei Pflanzen. War zuerstdas Samenkorn oder die Pflanze da? Die Antwortfährt Karussell, denn überall ist der Anfang, undüberall ist das Ende. Stellen wir uns das Wachstumeiner Pflanze einmal im Zeitraffer vor und beginneneinfach mit dem Samenkorn. Es beginnt zu sprie-ßen, der Keimling entwickelt Blätter, immer mehrBlätter, schließlich auch Blüten. Die Knospen öff-nen sich, verwelken, und wenn der Blütenblätter-Vorhang abfällt, sieht man die Frucht, die wächstund reift. Ist sie ausgewachsen und ausgereift, be-ginnt sie zu faulen, und wenn sie ein Apfel ist, fälltsie vom Ast auf die Wiese, wird dort Matsche, zer-setzt sich und lässt die Apfelkerne zurück. Mit ihnengeht das Spiel von neuem los. Es macht Spaß, sichdie Anstrengungen der Pflanze im Zeitraffer anzu-schauen. Sich vorzustellen, wie der Videorekorderder Natur auf höchster Umdrehungsstufe läuft. In

WARUM WACHSEN PFLANZEN? 17

ZELLEN SIND DIE KLEINSTEN

BAUSTEINE DER LEBEWESEN

Viele Zellen zusammen bilden ein

Gewebe, und verschiedene Ge-

webe, bilden ein Organ. Auch die

Pflanzen haben Organe.Wurzeln,

Blätter, Stängel oder Blüten sind

solche Organe.Wenn wir uns im-

mer näher und näher mit einer

Supersuperkamera an sie heran-

zoomen, landen wir schließlich

wieder bei der Zelle und können

erkennen, dass die Zellen in den

verschiedenen Geweben ganz un-

terschiedlich aussehen.

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diesem Video muss es flackern wie in einem altenStummfilm, denn dauernd wechselt das Licht: malTag, mal Nacht. Mit vollem Tempo saust der Keim-ling aus der Erde, die Früchte blasen sich auf wieLuftballons. Noch schöner ist der Rücklauf, wennder Trieb sich immer kleiner macht und mit Kara-cho in die Erde fährt. Schrumpfende Früchte sehenebenfalls sehr komisch aus. Man müsste noch unterder Erde filmen können, dann würde man sehen,wie die Wurzeln durch den Boden schießen undwieder zusammensurren.

Durch den rasanten Vorwärts- und Rückwärtsgangsieht man etwas, das sonst unsichtbar passiert. Mansieht Wachsen. Dass dabei ein Lebewesen längerund stämmiger wird, ist jedem klar. Aber man er-tappt es selten auf frischer Tat. Erst hinterher sagenimmer alle: Du bist aber groß geworden! Dem Groß-gewordensein geht sowohl beim Menschen als auchbei Tieren oder Pflanzen etwas ganz Kleines voraus:die Zellteilung.

Eigentlich sehen die Zellen nach gar nicht vielaus. Sie sind einigermaßen rund, werden durch eineWand, die Membran, zusammengehalten und habeneinen Kern, der die Kommandos gibt und die Erb-informationen enthält. Wachsen könnte also be-deuten, dass dieser Kern sich aufbläht und immermehr aufbläht. So würde es mit dem Wachsen aller-dings nichts, denn die Körper von Lebewesen sindein sehr kleinteiliges Mosaik, sie bestehen aus vie-len und sehr unterschiedlichen Zellen mit verschie-denen Aufgaben. Wachsen bedeutet, wenn man esgenau nimmt, Vervielfältigung. Die Zellen verdop-peln sich. Erst verdoppelt sich die Kommandozen-trale im Zellkern, dann teilen sich die beiden neuenKerne die Zelle auf. Sie halbiert sich in der Mitte.

18 WARUM WACHSEN PFLANZEN?

DIE ZELLKUR

Die Zellteilung macht sich bei

Menschen nicht nur im Wachs-

tum bemerkbar, dann wäre es ja

bei Erwachsenen mit der Zelltei-

lung vorbei. Zellteilung hilft beim

Reparieren des Körpers. Sonst

könnten Wunden nicht heilen,

auch keine neuen Blutzellen ent-

stehen.

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So sind nun zwei kleine Zellen entstanden, die lang-sam wieder zur Größe der Ausgangszelle heran-wachsen. Beide enthalten das gleiche Erbgut, alsodie gleichen Anlagen.

Woher aber wissen Pflanzen, wie sie es anstellenmüssen, damit zum Beispiel ein Teil von ihnen nachoben und ein anderer Teil nach unten wächst?

Beginnen wir einfach wieder beim Samenkorn.Diesmal läuft die Kamera allerdings langsamer. DasSamenkorn bringt in Miniatur schon alles mit, wasdie große Pflanze später haben wird. Im Inneren desSamens ist ein Embryo, in einer Erdnuss oder einerBohne kann man ihn gut finden. Der Samen mit-samt Embryo hat sich von der Pflanze abgeseilt.Manchmal hilft ihm der Wind dabei, wie etwa beider Pusteblume. Sie hat einen kleinen Fallschirm,der vom Wind getragen wird. Manchmal plumpster auch einfach nur nach unten wie ein fauler Apfel.Manchmal benutzt er ein Tütchen, eine Einkaufs-

WARUM WACHSEN PFLANZEN? 19

DIE INNERE UHR

Woher wissen die Pflanzen,

ob Tag oder Nacht ist und in

welcher Jahreszeit sie sich

befinden? Sie haben eine innere

Uhr, die ihnen die Tageszeit

angibt. Diese Uhr ist nicht sehr

genau und wird von der Sonne

jeden Tag nachgestellt. Abends

klappen die meisten ihre Blätter

hoch und machen auch die

Blüten zu. Wenn der Tag-Nacht-

Rhythmus nur nach der Sonne

ausgerichtet wäre, dann würde

eine Pflanze sich durch künst-

liches Dunkel oder Helligkeit

durcheinander bringen lassen.

Tut sie aber nicht.

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tasche und ein Auto und wird schließlich von einemmenschlichen Daumen in die Blumentopferde ge-drückt. Andere Samen arbeiten sich erst mühsamund unter Aufgabe ihrer leckersten Teile durch einTier hindurch. So sucht sich eine Olive eine Ziege,lässt sich von ihr verspeisen, um dann mit ihremunverdaulichen Kern wieder aus dem Ziegendarmrausgedrückt zu werden. Nun liegt der Samen alsoda, wo er hingehört: auf dem Boden, womöglich ineinem frisch gemachten Bett aus Ziegendung.

20 WARUM WACHSEN PFLANZEN?

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Wer weiß, wo es langgeht?

Wenn der Samen auf gute, feuchte Erde gefallenist, genehmigt er sich in der Regel erst einmal einenkräftigen Schluck Wasser. Denn Samen sind extremdurstig. Während das Gewebe von Pflanzen zu etwazwei Dritteln aus Wasser besteht, enthalten Samenhöchstens ein Fünftel davon. Samen schreien gera-dezu nach Flüssigkeit. Das Wasser lässt den Em-bryo im Inneren der Samenschale anschwellen undkeimen. Die Schale platzt wie ein zu eng geworde-ner Konfirmationsanzug. Aus dem Riss schiebt sichnun der Keim einer Wurzel und auf der anderenSeite eine Knospe heraus. Dieser Sprössling stehtnicht etwa aufrecht wie eine Lanze da, sondern ge-krümmt, damit die zusammengefalteten Blätter ander Spitze nicht beschädigt werden.

Erst wenn der Spross, der einmal den Stängel bil-den wird, die Samenschale verlassen hat, startet erdurch zum Licht. Sein Weg durch das dunkle Erd-reich sollte nicht zu weit sein, sonst geht ihm dieKraft aus, denn er lebt von dem Proviant, der imSamen steckt. Und obwohl der Spross ja noch einvöllig ahnungsloses Pflänzchen ist und genausowenig vom Licht wissen dürfte wie ein ungeborenesKind im Bauch seiner Mutter, hat er schon eineAhnung davon oder einen Instinkt dafür. Jedenfallsweiß er, wo es langgeht, wenn man zum Licht will,und genauso gut weiß er, wo es langgeht, wenn manan die Nährstoffe im Boden will. In jeder Pflanzegibt es ein Gefühl für Helligkeit und Dunkelheit.Der Spross kennt schon im Dunkeln nur ein Ziel,das Licht. Und deshalb macht er sich schnell unddünn. Erst wenn er das Licht erreicht hat, spreizt erseine Blätter und wird endlich das, was für Pflanzen

WARUM WACHSEN PFLANZEN? 21

LANGLEBIGER STOFF

Samen ist außergewöhnlich halt-

bar. Wer irgendwo im Keller ein

Tütchen mit Blütensamen ver-

gessen hat, kann damit auch nach

Jahren noch schöne Blumen

wachsen lassen.Vielleicht ein paar

Keimlinge weniger, als es bei einer

früheren Anzucht gegeben hätte,

aber es sind immer noch genug

für einen Stadtbalkon. Der älteste

Samen, aus dem je eine Pflanze

gezogen wurde, ist übrigens 1300

Jahre alt. Auf den größten Sa-

men bringt es die Seychellen-

nusspalme. Ihre Nuss braucht bis

zu 10 Jahre, um heranzureifen,

sie ist einen halben Meter lang

und wiegt 20 Kilo.

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fast schon eine Art Personalausweis ist: Er verliertseine Blässe und wird grün.

Mittlerweile weiß man, dass Pflanzen sehen kön-nen, und man weiß auch, dass Pflanzen ein untrüg-liches Gefühl für oben und unten haben. Schließ-lich wachsen sie größtenteils in die unbequemeRichtung, nämlich gegen die Schwerkraft an. Auchdie zartesten Blumen kämpfen sich tapfer trotz derAnziehungskraft vom Erdmittelpunkt weg.

Man kann eine Topfpflanze auf die Probe stellen,einen Echtheitstest mit ihr machen. Der Test istganz einfach: Man nimmt einen Topf und legt ihnhin. Jetzt ragt der Stängel nicht mehr nach oben,sondern zur Seite. Es wird nicht lange dauern, unddie Pflanze hat den Bogen raus. Sie orientiert sichwieder nach oben, sie beschreibt eine Kurve undbegibt sich schnurstracks in die Senkrechte. Warumsie das kann? Im Inneren der Pflanze sieht es auswie unter einer Straße, eine Menge Röhren und Lei-tungen befinden sich da. In den einen Kanälen wirdder Fluss nach oben, in den anderen der nach untengeregelt, bei dem gekippten Stängel geht es jetztnach rechts und nach links. Neben vielen anderenStoffen kursiert in der Pflanze auch ein Wuchsstoff,er gibt die Wachstumsrichtung vor. Wenn er untenin den Wurzeln angekommen ist, wird er wie dasWasser in einem Springbrunnen wieder nach obengejagt. Wenn die Pflanze nun flach auf einer Seite

22 WARUM WACHSEN PFLANZEN?

PFLANZEN KÖNNEN SEHEN

Wer es nicht glaubt, mache ein

einfaches Experiment. Man

nehme einen Topf mit einem

jungen Spross und stelle ihn in

einen dunklen Raum. Daneben

zünde man eine Kerze an. Nach

einer Weile wird sich die Pflanze

zum Licht hin krümmen. Wenn

man der Pflanze jedoch ein

Papierhütchen überstülpt, also

ihre Spitze verhüllt, wird sie ganz

gerade nach oben wachsen und

das Licht nicht beachten. Sie hat

das Licht einfach nicht gesehen,

denn ihre »Augen« befinden sich

an der Spitze des Triebes.

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Ulrich Janßen, Ulla Steuernagel

Die Kinder-UniZweites SemesterForscher erklären die Rätsel der Welt

Gebundenes Buch, 224 Seiten, 16,5 x 24,0 cm158 farbige AbbildungenISBN: 978-3-421-05808-9

DVA Sachbuch

Erscheinungstermin: März 2004

Nach dem ersten Band der Kinder-Uni, dem erfolgreichsten Kindersachbuch des Jahres2003, erscheint nun der zweite. Wie der erste vermittelt er grundlegendes Wissen zu achtThemenbereichen. Fundiert, leicht verständlich und zauberhaft illustriert. So macht Lernen Spaß! Vorlesungsverzeichnis:• Warum darf man Menschen nicht klonen?• Warum sind griechische Statuen immer nackt?• Warum träumen wir?• Warum haben wir einen kleinen Mann im Ohr?• Warum dürfen Erwachsene mehr als Kinder?• Warum wachsen Pflanzen?• Warum bin ich Ich?• Warum fallen die Sterne nicht vom Himmel?