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1 / «… und Du sollst ein Segen sein.»
Diakon Matthias DRÖGSLER
Grundrebenstrasse 78, 8932 Mettmenstetten ZH
Tel.: 079 416 33 37 / e-mail: [email protected]
«… und Du sollst ein Segen sein.»
OFFENER BRIEF
als Gegenrede auf das Schreiben
«Bekenntnis zu den unveränderlichen Wahrheiten über die sakramentale Ehe»1
der Bischöfe Tomasz Peta, Jan Paweł Lenga und Athanasius Schneider
vom 31. Dezember 2017
Liebe Bischöfe, liebe Brüder in Christus Tomasz, Jan Paweł und Athanasius,
nachfolgende Zeilen verstehen sich als Beitrag innerhalb eines Dialogs und des
gemeinsamen Ringens. Sie sind vor allem aber auch der Verbundenheit aus der
Zeit des gemeinsamen missionarischen Wirkens im von uns allen geliebten
Kasachstan geschuldet, weshalb bei aller gegenseitigen Sicht auf Sachverhalte
immer Platz für gegenseitige persönliche Wertschätzung bleiben soll.
Dabei will ich überhaupt nicht auf einzelne vorgebrachte Argumente oder Details
mit Blick auf das Thema der Sakramentalität der christlichen Ehe und der
erneuten Heirat von Geschiedenen eingehen. In dieser theologischen Diskussion
haben sich bereits Bibelwissenschaftler, Pastoraltheologen und selbst
Kirchenrechtler aus verschiedenen Blickwinkeln qualifiziert zu Wort gemeldet.
Mir geht es vielmehr darum, auf die Dringlichkeit einer Akzentverschiebung
aufmerksam zu machen und dementsprechend weiter gezogene Linien
aufzuzeigen.
1 Ich beziehe mich auf die folgenden beiden Textquellen vom 02.01.2018: Sakramentale Ehe – Bekenntnis zu den unveränderlichen Wahrheiten (Artikel auf kath.net → http://www.kath.net/news/62249) sowie Amoris laetitia: Kasachische Bischofsgruppe widerspricht Papst (Artikel auf vaticannews.va → http://www.vaticannews.va/de/welt/news/2018-01/amoris-laetitia--kasachische-bischofsgruppe-widerspricht-papst.html).
2 / «… und Du sollst ein Segen sein.»
Zur Faktenlage: Promulgation durch Publikation in den AAS
Euer Schreiben, liebe Bischöfe, ist verfasst in der Linie und im Geist der sog.
«Correctio filialis» sowie der sog. «Dubia». Von nicht unwesentlicher Bedeutung
ist aber, dass sich dieses Schreiben zeitlich nunmehr nach der Publikation der
Orientierungshilfe zum nachsynodalen Schreiben «Amoris laetitia» der Bischöfe
aus der argentinischen Seelsorgeregion Buenos Aires vom 05.09.2016 und dem
gleichentags verfassten Antwortbrief von Papst Franziskus an Bischof Sergio
Alfredo Fenoy – versehen noch mit einem Zusatz von Kardinalsstaatsekretär
Pietro Parolin, der die Texte als «authentisches Lehramt» ausweist – in der
Online-Ausgabe der «Acta Apostolicae Sedis», dem vatikanischen Amtsblatt,
anfangs Dezember 2017 einreiht. Im genannten Brief bestätigte der Papst die
Auslegung von «Amoris laetitia» durch die Bischöfe der Region. «Der Text ist sehr
gut und erklärt genau die Bedeutung des achten Kapitels von ‘Amoris laetitia’»,
heisst es dort. Und weiter: «Es gibt keine anderen Interpretationen.» Durch die
Publikation in den AAS ist also offiziell und verbindlich, was Papst Franziskus
bis dahin mehrfach wiederholt hatte: Wiederverheiratet Geschiedene können
unter Umständen zur Feier der Sakramente von Eucharistie und Versöhnung
zugelassen werden.2
Kardinal Kurt Koch hat den betreffenden Sachverhalt in einem kurz vor
Weihnachten veröffentlichten Interview anschaulich erläutert. Er führt aus:
«Papst Franziskus hat erklärt, dass es sich bei dem genannten Schreiben um die
authentische Interpretation von «Amoris laetitia» handelt. Zum Verständnis ist
es wichtig zu sehen, dass der Papst die Lehre der Kirche nicht ändern und auch
nicht neue Regeln aufstellen will, aber einen pastoralen Weg im Blick auf die
Unterscheidung der konkreten Situationen der Menschen gesucht hat. In diese
Richtung hat übrigens bereits Papst Johannes Paul II. gedacht, indem er betonte,
man müsse die jeweiligen Situationen, in denen die Menschen leben, genau
unterscheiden und danach pastoral handeln.»3
2 Vgl. Vatikan: «Amoris laetitia» ist «authentisches Lehramt». In: Radio Vatikan. Die Stimme des Papstes und der Weltkirche (Rubrik: Vatikan \ Dokumente). Ausgabe vom 06.12.2017 → http://de.radiovaticana.va/news/2017/12/06/vatikan_„amoris_laetitia_ist_„authentisches_lehramt“/1353179. 3 Patrick GRIESSER / Michael SURBER, «Die grösste Hilfe ist der Gang zur Krippe». Kardinal Kurt Koch, höchster Schweizer im Vatikan, über Erwartungen ans Weihnachtsfest und das Heilige Land. In: Basler Zeitung 41 (2017), 22.12.2017 (Rubrik: Thema), 3 bzw. Basler Zeitung online vom 24.12.2017 → https://bazonline.ch/leben/gesellschaft/die-groesste-hilfe-ist-der-gang-zur-krippe/story/26869247.
3 / «… und Du sollst ein Segen sein.»
Somit stellt sich die Frage, was Euch als Bischöfe der Römisch-Katholischen
Kirche dazu antreibt, einen inzwischen promulgierten Text (weiter) offen
anzufechten.
Opportunismus betreffs verschiedener Pontifikate – eine kleine Papstlehre
Im Verlauf meines Studiums und in den nachfolgenden Jahren meines
seelsorgerlichen Wirkens habe ich mich immer wieder einmal mit den Titeln
eines Papstes beschäftigt. Und in schöner Erinnerung ist mir noch der
Gedenkgottesdienst anlässlich des Todes von Papst Johannes Pauls II. in der
Kathedrale in Solothurn, wo an jeden einzelnen dieser Titel erinnert worden ist.
So ist der Papst als oberster Hirte der Römisch-Katholischen Kirche Bischof
von Rom, Stellvertreter Christi, Nachfolger des Apostelfürsten, Höchster
Pontifex der Universalkirche, Primas von Italien, Souverän des Vatikanstaates
und Diener der Diener Gottes. Dabei ist gerade auch bei Papst Franziskus
unschwer zu erkennen, dass er sowohl die Rolle des «Papas» liebevoll ausübt,
als auch durch seine vermittelnde Brückenfunktion zwischen Konfessionen und
Religionen oder Völkern und Kulturen die Rolle des «obersten Brückenbauers»
mit Leben erfüllt.
Kurt Koch verweist nun im oben genannten Interview darauf, dass Spannungen
und Polarisierungen in der Kirche kein neues Phänomen seien. Bereits mein
geschätzter Professor für Alte Kirchengeschichte, P. Karl Suso Frank OFM, hatte
uns junge Studierende seinerzeit während der ersten Studiensemester
wiederholt zur «historischen Gelassenheit» ermuntert. Kurt Koch macht jedoch
auf etwas anders aufmerksam: «Nicht wenige von denen, die früher sehr
papsttreu gewesen sind, kritisieren heute Papst Franziskus öffentlich. Umgekehrt
wird Papst Franziskus heute von nicht wenigen verteidigt, die seine Vorgänger
kritisiert haben. Spannungen hat es in der Kirche immer gegeben, wichtig ist, dass
daraus keine Spaltungen gemacht werden.»4
Diesem zuletzt Gesagten gilt meine Sorge. Offenbar ist in Tat und Wahrheit das
Dienstamt des Papstes kein grundsätzlicher Orientierungspfeiler und Massstab
des Handelns und wird nicht als in vorzüglicher Weise vom Geist Gottes getragen
empfunden, sondern dessen Akzeptanz ist abhängig von der je eigenen,
subjektiven Interpretation. Wenn Teile des Klerus nun unter Inanspruchnahme
4 Ebd.
4 / «… und Du sollst ein Segen sein.»
der Medien und moderner sozialer Kommunikationsmittel in öffentlicher Form
wiederholt und gezielt gegen Entscheidungen der «höchsten Autorität der
Kirche» vorgehen und wenn auf einschlägigen Internetseiten der «Nachfolger
des Heiligen Petrus und Stellvertreter Christi auf Erden» als Bastard bezeichnet
wird und samt seines Mitarbeiterstabs in führenden Dikasterien beschimpft wird
und zum Gebet für deren möglichst schnelle Beseitigung aus ihren Ämtern
aufgerufen wird, kann ich solcherlei Vorgehensweise nur als Ausdruck einer
tiefen und offenbar nicht mehr zu überbrückenden Spaltung interpretieren.
Dem Papst mit Blick auf «Amoris laetitia» oder auch andere Veröffentlichungen
oder Äusserungen Häresie vorzuhalten, scheint mir indes auch weit über eine
angemessene Streitkultur hinauszugehen und auf Spannungen in einem oberen
Level hinzudeuten. Hier würde ich mir eine Erläuterung und Klärung der
Positionierung wünschen, zumal Ihr in Eurem Schreiben nicht Papst Franziskus
anredet, was den Verdacht aufkommen lässt, dass es sich um eine
Selbstdarstellung handelt, die sich primär an gewisse Unterstützerkreise richtet.
Papst Franziskus als Kämpfer gegen dunkle Mächte und für die Erinnerung an
das schöne Antlitz der gesamten Schöpfung – zur Bedeutung von «Laudato si’»
In unserem diesjährigen Weihnachtsbrief haben meine Ehefrau Violetta –
die, wie Ihr wisst, mit mir zusammen als Fidei-Donum-Missionarin den Gläubigen
in Kasachstan gedient hat – und ich einige der Dunkelheiten beim Namen
genannt, die uns allen – über deren bereits statischen Schrecken hinaus – an die
Nieren gehen sollten: Weltweit leben 300 Millionen Kinder in Gebieten, in denen
die Luftverschmutzung den internationalen Grenzwert um das Sechsfache
übersteigt. 27 Millionen Menschen sind versklavt; nahezu die Hälfte der
Arbeitssklaven sind jünger als 18 Jahre. Menschenhandel ist der am schnellsten
wachsende kriminelle Industriezweig. Etwa 2 Millionen Kinder sind im
kommerziellen Sexgewerbe gefangen. Etwa jede dritte Frau weltweit wurde
im Verlauf ihres Lebens bereits vergewaltigt, geschlagen oder auf eine andere
Weise gewaltsam missbraucht. Der Krieg im Nahen Osten in den Jahren
2001-2016 kostete etwa 370‘000 Menschenleben und USD 4.79 Billionen. Wenn
wir also schon den Teufel mit grossen Buchstaben an die Wand malen wollen –
hier ist er am Werk und sitzt nicht auf dem Thron Petri! Gerade Papst Franziskus
wird – im besten Sinn Johannes Pauls II. und in vollem Bewusstsein dieser
Realitäten in den scheinbar dunkler und dunkler werdenden Stunden
5 / «… und Du sollst ein Segen sein.»
unseres Planeten – nicht müde, alle Menschen guten Willens dazu einzuladen,
auf die Segensworte zu hören, die uns direkt aus der Krippe entgegenkommen:
“Mut – habt keine Angst!“
Die im besten Sinn des Wortes prophetische Enzyklika «Laudato si’» aus dem
Jahr 2015 ist in ihrer ganzen Bandbreite in diesem Zusammenhang von weitaus
grösserer Bedeutung für das Überleben von Kirchen- und Weltgemeinschaft
als die von manchen so lauthals kritisierten Einzelaspekte des Apostolischen
Schreibens «Amoris laetitia». Nach meinem Ermessen ist «Laudato si’» sogar
grundsätzlich der bedeutendste globale Diskussionsbeitrag der letzten
Jahrzehnte, und zwar sowohl auf wissenschaftlicher, als auf geistlicher Ebene,
und weit mehr als einfach eine «Umwelt-Enzyklika». Papst Franziskus zeichnet
vielmehr die gesamte Schöpfung als das EINE Sakrament, in dem die Begegnung
mit Gott und die Erkenntnis Gottes (und der menschlichen Natur) letztlich
ermöglicht wird.5
Darüber hinaus: Papst Franziskus ist meines Erachtens seit Beginn seines
Pontifikates die derzeit einzige (damit meine ich: Die einzige!) Persönlichkeit
auf der Ebene der Staatsführer der Weltgemeinschaft, die sich dermassen
konsequent den satanischen Kräften der Kriegstreiber und Waffenhändler,
der Drogen- und Menschenhändler entgegenstellt. Und er brandmarkt immer
und immer wieder – um im Bild zu sprechen – diese Bereiche der tiefsten
Dunkelheit als diejenigen, denen die «Kinder des Lichts» ihre grösste
Aufmerksamkeit und ihren grössten Einsatz widmen sollten. Franziskus öffnet
uns damit übrigens zutiefst für die weite Perspektive des Gemeinsamen Hauses
und die wirklich brennenden Notwendigkeiten unserer Zeit.
Eine schöne, ständig wiederkehrende Geste im aktuellen Pontifikat ist in diesem
Zusammenhang die jeweils am Ende des Angelusgebets oder einer Ansprache
bei einem öffentlichen Auftritt geäusserte Bitte, für ihn, den Papst, zu beten.
5 Vgl. dazu meine Ausführungen in: Here lives God – Pope Francis’ Encyclical Letter «Laudato si’» as key to a sacramental understanding of the entire creation as God’s original gift. Vortrag am 26. Kongress von Societas Liturgica vom 07.-12.08.17 in Leuven / Belgien zum Thema «’Ein Symbol dessen, was wir sind...’ Liturgiewissenschaftliche Perspektiven zur Frage der Sakramentalität”. – Papst Franziskus greift so etwa in Laudato si’ 5 einen Begriff von Papst Johannes Paul II. auf. Im spanischen Originaltext heisst es: «Por lo tanto, la capacidad de transformar la realidad que tiene el ser humano debe desarrollarse sobre la base de la donación originaria de las cosas por parte de Dios.» In der deutschen Übersetzung: «Daher muss sich die Fähigkeit des Menschen, die Wirklichkeit umzugestalten, auf der Grundlage der ersten Ur-Schenkung der Dinge von Seiten Gottes entwickeln.»
6 / «… und Du sollst ein Segen sein.»
Franziskus wiederholt dieses Anliegen nicht etwa in der Meinung, wissentlich
oder unwissentlich Häresien zu verbreiten, sondern in demütiger Erkenntnis
dessen, dass sein Dienst die Unterstützung des gesamten Gottesvolkes braucht,
um sich weiterhin den so oft scheinbar übermächtigen Aufgaben und anti-
göttlichen Kräften stellen zu können. Wie sehr waren auch wir in der
missionarischen Arbeit in Kasachstan immer wieder für das mittragende Gebet
anderer dankbar, weil es sich wirklich als eine wirkmächtige Kraft des
Gottesgeistes erwiesen hat…
«Kirche, Du sollst ein Segen sein.» – Die Notwendigkeit eines unverzüglichen
Paradigmenwechsels durch die längst überfällige Rückkehr zum Geist Jesu
Mit Überzeugung und Dankbarkeit habe ich im vergangenen Jahr die vom
Religionsphilosophen Tomáš Halík sowie dem Pastoraltheologen und Religions-
soziologen Paul M. Zulehner angeregte Initiative «Pro Pope Francis» mit meiner
Unterschrift unterstützt. In dem kurzen, direkt an Papst Franziskus gerichteten
Brief heisst es: «Es ist Ihnen in kurzer Zeit gelungen, die Pastoralkultur der
katholischen Kirche von ihrem jesuanischen Ursprung her zu reformieren. Die
verwundeten Menschen, die verwundete Natur gehen Ihnen zu Herzen. Sie sehen
die Kirche an den Rändern des Lebens, als Feldlazarett. Ihr Anliegen ist jeder
einzelne von Gott geliebte Mensch. Das letzte Wort im Umgang mit den
Menschen soll nicht ein legalistisch, sondern ein barmherzig interpretiertes
Gesetz haben. Gott und seine Barmherzigkeit prägen die Pastoralkultur,
die Sie der Kirche zumuten. Sie träumen von einer ‘Kirche als Mutter und Hirtin’.
Diesen Ihren Traum teilen wir.»6
Eine innere Leitlinie der Pastoral muss sein: Die Seelsorgenden müssen
die Menschen lieben. Und nicht primär sich selbst. Und nicht primär das Gesetz.
Und: Die Seelsorgenden müssen die Menschen lieben. Und diesen nicht primär
einen Spiegel ihrer wirklichen oder mutmasslichen Verfehlungen vorhalten.
Genau dies ist damit gemeint, wenn ich zu Beginn meines Schreibens von der
Dringlichkeit einer Akzentverschiebung7 gesprochen habe. Weg vom Gesetz
6 Siehe: https://www.pro-pope-francis.com/site/home. 7 In eben diesem Sinn äussert sich übrigens auch Pietro Parolin, wenn er ausführt, dass «Amoris Laetitia» aus einem neuen Paradigma bzw. einem neuen Leitbild hervorgegangen sei, welches «Papst Franziskus mit Weisheit, Vorsicht und auch Geduld voranbringt.» Der Papst verlange dabei «mehr pastorale Sensibilität für Menschen in Situationen, die nicht dem katholischen Ideal entsprechen» würden. Das nachsynodale Schreiben stelle hierbei eine «Umarmung der Kirche für die Familie und ihre Schwierigkeiten in der Welt von heute» dar. – Vgl. Parolin: «Amoris Laetitia» ist Frucht eines neuen Leitbilds. In: Vatican News vom 11.01.2018 (Rubrik: Vatikan) →
7 / «… und Du sollst ein Segen sein.»
hin zum Gesicht jeder einzelnen Schwester und jedes einzelnen Bruders, in dem
das Gesicht Christi erkannt werden möchte. Weg von der Illusion einer klinisch-
reinen, selbstgerechtfertigten «una sancta ecclesia», die ohnehin nur in den
Köpfen existiert und die es so zu keinem Zeitpunkt der Geschichte gegeben hat,
hin zu einer Weggemeinschaft des Volkes Gottes, in der einer den anderen zu
stützen und mitzutragen versucht. Eine Kirche Christi, in der die Seelsorgenden
sich ihrer eigenen Unvollkommenheit und Schwachheit bewusst sind und
gemeinsam mit den ihnen anvertrauten Gläubigen die Bruchstücke des Lebens
aufsammeln und zusammentragen. Was für eine wunderbare Beschreibung der
Kirche ist dabei das Bild des Feldlazaretts! Einer Kirche, der der Segensdienst
anvertraut ist.
Kirche als Zerrbild Gottes – vom klerikalen Dünkel und der Verachtung des
Geistes
Vielleicht liegt ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis der gewachsenen
innerkirchlichen Auseinandersetzungen darin, dass Papst Franziskus immer
wieder den Finger in die Wunde legt, die das Fehlverhalten kirchlichen Personals
immer neu und anhaltend in den Leib Christi reisst.
Während unseres (ich beziehe an dieser Stelle, wo es um den gemeinsamen
pastoralen Einsatz und die fortdauernde Verbundenheit mit den
Pfarreiangehörigen geht, meine Ehefrau Violetta ausdrücklich mit ein)
vierjährigen missionarischen Dienstes in Kasachstan waren die Gläubigen
für uns immer ein kostbarer Schatz bzw. ein unverdientes Geschenk, dem es
mit grösstem Respekt und grösster Wertschätzung zu begegnen galt.
Angesichts der erst wenigen Jahre wiedergewonnener, relativer Freiheit der
Religionsausübung waren wir dabei dankbar für das «Erarbeitete» unserer
Vorgänger in der Seelsorge vor Ort, was uns wiederum auch die Gelassenheit
gab, unser Wirken vertrauensvoll in die Hände anderer zu übergeben.
Die grösste innere Erfüllung war beim Abschied dann der Eindruck, dass in der
gemeinsamen Zeit in der konkreten Pfarrgemeinde die kleine Schar der
Gläubigen als Gemeinschaft gewachsen und zusammengewachsen war. Wenn
uns nun Pfarreimitglieder berichten, dass der aktuelle Pfarrer sie von oben herab
behandle, sie anschreie und beschimpfe; wenn uns weiter erzählt wird, dass der
http://www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2018-01/parolin--_amoris-laetitia-ist-frucht-eines-paradigmenwechsels.html.
8 / «… und Du sollst ein Segen sein.»
«zehnminütige» Besuch mit der Krankenkommunion nur zum Ziel hat, dem
armen Mütterchen, das in einem schlichten Zimmer haust und mit einer
kümmerlichen Rente auskommen muss, das Geld aus der Tasche zu ziehen;
wenn uns sodann mitgeteilt wird, dass der Priester geäussert habe, nur noch
selten für die sonntägliche Feier der Eucharistie in die Pfarrei zu kommen,
weil er für so wenige Leute kein Benzingeld aufbringen wolle; wenn ich in diesem
Zusammenhang aus eigener Anschauung weiss, dass es noch immer genug Geld
für Alkohol oder für die Fahrt mit dem Auto in die Hauptstadt zum Besuch der
Sauna (dann selbstverständlich ohne Soutane und Römerkragen) gegeben hat;
wenn uns dann kürzlich Pfarreiangehörige (via Skype) ihr Herz ausschütten und
sich bitterlich beklagen, dass der Pfarrer ihrem Wunsch nach Beichte
(aus Zeitgründen?) im Einzelfall nicht entsprochen habe oder, schlimmer noch,
einige gar nicht mehr bei ihm beichten möchten und dieser es selbst
an grundlegendsten Umgangsformen (Menschen begrüssen oder sich von diesen
verabschieden) fehlen lässt und das Ganze dann in eine Aussage mündet wie:
«Das diesjährige Weihnachtsfest war das schlimmste, das wir je in unserer
Pfarrei hatten» – dann läuten bei mir sämtliche Alarmglocken! Hier kann ich den
«character indelebilis», das unauslöschliche Prägemal der Weihe, beim besten
Willen nicht mehr erkennen. Und in diesem Zusammenhang in Eurem Schreiben,
liebe Bischöfe, wiederholt von Geisseln, heiligen Sakramenten und ewigen
Wahrheiten zu lesen, entbehrt nicht einer gewissen Tragik. An dieser Stelle
bin ich entsprechend gerne bereit, Eure Formulierung zu unterschreiben, die von
einer ständig wachsenden Verwirrung unter den Gläubigen und dem Klerus
spricht. Aber nicht verursacht aufgrund allfälliger unklarer oder fehlgeleiteter
Äusserungen des Papstes. Sondern durch das Auftreten sog. Priester, die der
ihnen einst übergegeben Verantwortung als Hirten längst um der Macht über
andere willen entsagt haben. Ich kann in meinen Gebeten Gott nicht genug
dafür danken, dass unsere geschätzten Gläubigen trotz solcher sog. Priester
ihren Glauben und ihr Gottvertrauen bewahrt haben. Und ich bin meinerseits
im Übrigen auch nicht bereit, dem sensus fidei fidelium keinen Raum mehr
zu geben, den die Internationale Theologische Kommission in ihrem Schreiben
«Sensus fidei im Leben der Kirche» vom 05.03.2014 als ein sicheres Kriterium
9 / «… und Du sollst ein Segen sein.»
bezeichnet, «um zu entscheiden, ob eine bestimmte Lehre oder Praxis zum
apostolischen Glauben gehört».8
Wenn man sich im Weiteren bewusst darüber wird, dass in eben der
Pfarrgemeinde, die für meine Ehefrau als Heranwachsende und Jugendliche über
viele Jahre geistliche Heimat war und ihr Christ-Sein wesentlich mitgeprägt hat,
der gegenwärtige Pfarrer in der gleichen wie der oben beschriebenen
Geisteshaltung eines Feudalherren es sich im scheinbar uneinnehmbaren
Pfarrhaus bequem gemacht hat und grundlegende kirchliche Dienste wie
Sakramente, Sakramentalien und Segnungen verkauft werden wie zu besten
Zeiten Martin Luthers9, dann wird überdeutlich, dass hier eine grosse Baustelle
vorliegt, die an erster Stelle Sorgfalt verlangt und ein veränderndes Eingreifen
dringend geboten ist. Nicht nur im «bösen, gottlosen Westeuropa», sondern
auch in einem Land wie dem einst fast «hundertprozentigen» Polen sind die
Kirchenillusionen längst der Realität gewichen. Auch dort sind nicht nur grosse
Teile der Generation Jugendlicher oder junger Familien «weggebrochen»;
selbst die Elterngeneration unserer Freunde – also Personen im Alter von etwa
60-80 Jahren, für welche die Kirche ebenfalls über Jahrzehnte hinweg Heimat
und Orientierungspunkt war – hat sich aufgrund der oben beschriebenen
Wirklichkeiten in der sog. Pastoral vom Pfarreileben verabschiedet. Und dabei
habe ich diejenigen noch nicht einmal erwähnt, von denen uns die Soziologen
sagen, dass «Kirche» gar kein Teil eines ihrer Lebenssegmente mehr ist
bzw. in ihrer Lebenswelt überhaupt in keinerlei Weise mehr vorkommt.
Fragestellungen und Sehnsüchte – Perspektiven für die weiteren Wege
Meine abschliessenden, in Frageform gestellten Gedanken sind Wünsche und
Sehnsüchte eines Christusgläubigen, welche – mit Blick auf die Gläubigen –
wegen der besonderen Verantwortung gerade auch an uns, die Seelsorgenden,
gerichtet sind.
8 Siehe: http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/cti_documents/rc_cti_20140610_sensus-fidei_ge.html - hier: Kapitel 3. 9 Ein schlimmes persönliches Erlebnis war zuletzt das Verhalten von Pfarrer und Vikar im Zusammenhang mit der Beerdigung meines Schwiegervaters im Jahr 2016.
10 / «… und Du sollst ein Segen sein.»
□ Werden wir unsere Gläubigen als Getaufte und Gefirmte als vollwertige,
mündige Christinnen und Christen ernstnehmen und somit auch die Wirkkraft
der Sakramente in ihnen? Werden wir im Weiteren künftig darauf verzichten,
in der Ausbildung und in den Exerzitien sowie in der eigenen Rede und
Selbstdarstellung ein abgehobenes Bild der priesterlichen Existenz zu zeichnen,
das den geistlichen Hochmut zementiert und gleichermassen Gott und das
Gottesvolk ignoriert?10
□ Werden wir unsere Gläubigen, die so oft zu den Ärmsten der Armen gehören,
künftig in der persönlichen Begegnung, speziell in den Pfarrgemeinden, um Altar
und Ambo versammelt, auf den Händen tragen, anstatt mit Abschätzung auf sie
herabzuschauen?11 Werden wir dazu bereit sein – in Scham über unser eigenes,
oft so kümmerliche, geistliche Leben und in Ehrfurcht vor der Lebensleistung und
Glaubenskraft unserer Gläubigen?
□ Trauen wir den Sakramenten zu, sich selbst schützen zu können?12 Werden
wir also künftig bei der «Zulassung» zur Eucharistie (oder allgemein zu einzelnen
Sakramentenfeiern) Hürden abbauen anstatt diese zu betonen und
aufzutürmen? Konsequent zu Ende gedacht, dürfte kein Lebender die Heilige
Eucharistie empfangen! Doch gerade hier greift die letztlich für uns
unverständlich bleibende Barmherzigkeit Gottes.13
□ Sind wir bereit einzugestehen, wie weit entfernt wir in Tat und Wahrheit
vom Willen Christi sind? Und wollen wir unseren Dienst künftig wirklich
als Dienst an der Einheit14 (des Gottesvolkes) ausüben und versuchen, jegliche
Spaltung zu vermeiden?
10 Mir ist diese ideologische Formation in Kasachstan auf Schritt und Tritt begegnet; in ihrer schlimmsten Ausprägung während der Priesterexerzitien in Almaty im Mai 2011. 11 Vgl. Frühmesse: Priester mit Doppelleben sind eine Schande. In: Vatican News vom 09.01.2018 (Rubrik: Papst Franziskus) → http://www.vaticannews.va/de/papst-franziskus/santa-marta-messe/2018-01/fruehmesse--priester-mit-doppelleben-sind-eine-schande.html. 12 So hat es Heinrich Spaemann, Priester, Spitalseelsorger und Schriftsteller, mit Bezug auf den Kommunionempfang vor vielen Jahren einmal in einem Brief an mich ausgedrückt. 13 Vielleicht könnte eine Demutsübung weiterhelfen, die ich hier einmal als ein Gedankenspiel formuliere: Wie wäre es, wenn einmal reihum jeder Priester – etwa für die Dauer eines Monats oder gar für ein gesamtes Sabbatjahr der Reue in Zurückgezogenheit – auf den täglichen Dienst am Altar und den entsprechenden selbstverständlichen Empfang des Leibes und Blutes verzichten würde und stattdessen «auf Knien», in Einheit mit dem gesamten Gottesvolk, ohne Unterlass und vorbehaltlos für all die «Sünder» beten würde, von denen selbst Ihr, liebe Bischöfe, in Eurem Schreiben nicht gänzlich ausschliessen wollt, dass sie sich allenfalls trotz allem «vor Gott im Stand der Gnade befinden»? 14 Siehe Joh 17,21.
11 / «… und Du sollst ein Segen sein.»
□ Wird sich die Kasachische Bischofskonferenz in diesem Zusammenhang der
approbierten Lehrmeinung des Papstes hinsichtlich «Amoris laetitia»
anschliessen15 und die Einheit mit dem Nachfolger Petri wahren sowie den
initiierten und – zugegebenermassen nicht leichten – Weg des
Paradigmenwechsels im pastoralen Dienst mitgehen?
□ Sind wir endlich auch bereit anzuerkennen, dass der Gottesgeist in der weiten,
weiten Welt nicht nur in der Römisch-Katholischen Kirche «anzutreffen» ist und
oft gerade durch Menschen zu uns sprechen will, die wir vorderhand verachten?
Was für eine schöne Fügung ist es, dass gerade die «Gebetsmeinungen des
Heiligen Vaters für Januar 2018» (einmal mehr) die Menschen Asiens in den Blick
nehmen, und darin diejenigen, «mit denen uns der Wunsch nach Weisheit,
Wahrheit und Heiligkeit verbindet». Sprechen und beten wir also mit Papst
Franziskus: «In den uns fremden Kulturräumen Asiens sieht sich die Kirche
mit verschiedenen Gefahren konfrontiert. Ihre Aufgabe ist umso schwieriger, weil
die Kirche dort eine Minderheit bildet. Diese Gefahren und Herausforderungen
teilt sie mit anderen religiösen Minderheiten, mit denen uns der Wunsch
nach Weisheit, Wahrheit und Heiligkeit verbindet. Wenn wir an alle denken,
die für ihre Religion verfolgt werden, gehen wir über die Unterschiede der Riten
und Bekenntnisse hinaus: Wir stellen uns auf die Seite aller Männer und Frauen,
die kämpfen, um ihre religiöse Identität nicht aufzugeben. Beten wir für all diese
Menschen, damit in den asiatischen Ländern Christen wie auch alle anderen
religiösen Minderheiten ihren Glauben völlig frei leben können.»16
□ Wollen wir uns als Brüder und Schwestern Christi, welche immer wieder neu
ihren Platz im gemeinsamen Haus finden müssen, überhaupt noch Neuanfänge
schenken lassen? Wollen wir uns mit Händen und Füssen in unserer
Bequemlichkeit und Selbstgefälligkeit am Altar und Ambo der schriftgelehrten
Gesetzeslehrer festklammern? Oder wollen wir stattdessen nicht lieber
15 Kurt Koch beklagt im oben genannten Interview (a.a.O.) zurecht: «Ich sehe vor allem eine Schwierigkeit darin, dass verschiedene Bischofskonferenzen bei dieser Frage unterschiedliche Wege gehen: Während die Deutsche Bischofskonferenz den Weg der pastoralen Öffnung begrüsst hat, hat die Polnische Bischofskonferenz entschieden, dass sich in der Pastoral nichts ändern wird. Wenn man bedenkt, dass es sich beim Ausschluss von den Sakramenten um eine schwerwiegende Situation handelt, tun mir die Gläubigen bei derart unterschiedlichen Wegen in den verschiedenen Ländern leid.» – Es ist hierbei für mich von Interesse, dass sich mit Eurem Schreiben, liebe Bischöfe, (nur) zwei der vier aktiven Bischöfe Kasachstans in dieser Weise zu Wort melden. Wie verhält es sich mit den Bischöfen José Luís und Adelio? 16 Siehe: https://www.thepopevideo.org/de/video/religiöse-minderheiten-asien.html.
12 / «… und Du sollst ein Segen sein.»
hinausgehen und uns mit weit geöffneten Sinnen vor die Jurte stellen, um das
Vorbeiziehen des Geistes nicht zu verpassen?
□ Und abschliessend gefragt: Werden wir künftig darauf verzichten können,
Manifestationen zu schreiben, und stattdessen wieder an unsere eigentliche
Arbeit gehen, die uns von Christus aufgetragen worden ist?
Abschluss und Segenswünsche
Liebe Bischöfe, ich habe die Gelegenheit genutzt, mir manches «von der Seele
zu schreiben», was mich seit längerem bedrückt. Dabei halte ich gleichwohl
an der Hoffnung fest, Eure Herzen offen zu finden. Ich bin unterdessen zu alt,
um noch jemandem nach dem Mund zu reden. Dies gilt umso mehr
nach den persönlichen Erfahrungen der letzten Jahre in der Konfrontation mit
lebensbedrohenden Erkrankungen und Sterben sowie angesichts des oben
beschriebenen Tanzes der Menschheit am Abgrund. So ist bei mir das
Bewusstsein weitergewachsen, wie plötzlich und unvermittelt das irdische Leben
enden kann und auch ich vor dem HERRN des Lebens Rechenschaft ablegen
werde.
Izabelin bei Warschau, am 14. Januar 2018, dem 2. Sonntag im Jahreskreis
und Welttag des Migranten und Flüchtlings
Mit den besten Segenswünschen, in herzlicher Verbundenheit in Christus und
in sehnsüchtiger Erwartung der Wirklichkeit, in der niemand mehr einen anderen
belehrt (vgl. Jeremia 31,34 bzw. Hebräer 8,11)
Diakon Matthias, unbedeutender Diener in entlegenen Winkeln im Weinberg
des HERRN