Upload
others
View
1
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
SWR2 Essay
Universale Stille und kosmischerKlang
Von Ariane Huml
Sendung: Montag, 01.03.2021
Redaktion: Lydia Jeschke
Produktion: SWR 2021
SWR2 Essay können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten
in der SWR2 App hören – oder als Podcast nachhören:
https://www.swr.de/~podcast/swr2/programm/swr2-essay-podcast-104.xml
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw.
des SWR.
Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2?
Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen
Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen.
Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen
Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.
Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de
Die SWR2 App für Android und iOS
Hören Sie das SWR2 Programm, wann und wo Sie wollen. Jederzeit live oder zeitversetzt, online
oder offline. Alle Sendung stehen mindestens sieben Tage lang zum Nachhören bereit. Nutzen
Sie die neuen Funktionen der SWR2 App: abonnieren, offline hören, stöbern, meistgehört,
Themenbereiche, Empfehlungen, Entdeckungen …
Kostenlos herunterladen: www.swr2.de/app
2
Sprecherin 1: Christiane Albiez
Sprecher: Martin Ruthenberg
Sprecherin 2 & Overvoice: Dorothea Gädeke
Produktion: 09./10. Februar 2021, SWR Studio Freiburg
Realisation: Nicole Jörg
Musik 1: Gustav Holst: The planets. Op 32. „Mars, the bringer of war”, track 1 [2‘47].
Dirigent: André Previn und das Royal Philharmonic Orchestra, Label: Telarc 1987. LC
05307.
…Gedicht noch im ruhigen Teil drüberlegen…
O-Ton 0: Gedicht von Ariane Huml, gelesen von Doris Wolters (Privataufnahme)
„Nichts anderes will ich wissen von der Welt als ihren Klang“ (1987)
Sprecherin:
Der Klang der Welt ist so alt wie der Mensch, der ihn hörte oder schuf. Vom Regen über den
Wolkenbruch über den Wind in den Wäldern – immer erzeugte der Klang auch eine
Vorstellung von der Erde und dem Kosmos in der Phantasie des Menschen. Von der Frühzeit
zur Postmoderne: Der Mensch durchwandert seit mittlerweile 2 bis 3 Millionen Jahren in
verschiedenen Kulturstufen die Erde. Dabei erzeugt er Klänge, um die Welt, in der er lebt, zu
erkunden, zu beschreiben und zu transzendieren. Er versucht sich seiner selbst in ihr zu
vergewissern. Der Klang als Erweiterung des Selbst – sei es in der Sprache, sei es in der
Musik – ist eine Möglichkeit, sich mental zu verorten. Mittlerweile sind wir – jedenfalls
gedanklich – in Paralleluniversen angekommen. Wir sind fähig dazu, zu hören und
aufzuzeichnen, wie die Planeten, ja, entfernte Galaxien klingen. Wir denken uns ins Weltall
hinaus – auf der Suche nach dem Ursprung der Dinge, auf der Suche nach unserem Platz im
Universum, auf der Suche nach Gott; vielleicht: um unser zukünftiges Überleben zu sichern –
vielleicht auch einfach nur, um zu träumen…
Musik 2: Titelmelodie Raumschiff Enterprise: AMS M 0336736 001 [0‘26].
Label: Edelton, LC: 07719; Bestellnummer EDL 2514-2.
Sprecherin 2:
Die heutige Astrophysik betritt akustische Räume, die der Mensch höchstwahrscheinlich
niemals mit eigenen Augen sehen wird. Aber dennoch haben Wissenschaftler sie für uns
3
Normalsterbliche hörbar gemacht. Seit geraumer Zeit ist das Universum nämlich nicht mehr
still, wie ursprünglich angenommen. Schall braucht Luft, um sich zu verbreiten – oder
stattdessen Radio- oder Gravitationswellen, die sich auch in einem Vakuum wie dem All
ausdehnen können. Und dazu höchst ausgefeilte Computertechnik. 2019 gelang es
amerikanischen Wissenschaftlern um Kip Thorne und Reiner Weiss vom MIT Boston
überraschend mit dem seit 2015 vorbereiteten, aufsehenerregenden Projekt „LIGO“ erstmals
in der Geschichte Gravitationswellen aufzuzeichnen und akustisch nachvollziehbar zu
machen. Bisher hatte man sie nur theoretisch angenommen. Das große kosmische Rauschen
hat endlich Gehör gefunden auf dem Planeten Erde:
O-Ton 1: Gravitationswellen zweier Schwarzer Löcher, die verschmelzen [0‘10]
Sprecherin:
Janna Levin, Professorin für Astrophysik am Barnard College in New York, hat sich intensiv
mit diesen Phänomenen, dem „Klang des Universums“, befasst und sagt:
O-Ton 1 weiter: Sprecherin 2: Overvoice 1 [1‘10]
Fast alles, was wir vom Universum wissen, kommt zu uns durch das Licht. Wir können auf
der Erde stehen und den Nachthimmel anschauen und mit bloßen Augen die Sterne sehen. Die
Sonne befeuert unser peripheres Sehen. Wir sehen das Licht, das vom Mond reflektiert wird.
(…) Und seit der Zeit, als Galileo sein einfaches Teleskop gen Himmel gerichtet hat, ist das
uns bekannte Universum durch das Licht zu uns gekommen und hat dabei unermessliche
Zeitalter kosmischer Geschichte durchquert. Mit all unseren modernen Teleskopen konnten
wir das studieren: diesen beeindruckenden Stummfilm des Universums. Diese Serie von
Schnappschüssen, die alle bis zum Urknall zurückreichen. Aber das Universum ist kein
Stummfilm. Es ist nicht still (…). Das Universum hat einen Soundtrack. Es kann schwingen
wie eine Trommel. Es gibt eine Tonspur, die im ganzen Universum zu hören ist.
O-Ton 2: Gravitationswellen zweier Schwarzer Löcher, die kollidieren [0‘30]
Sprecherin:
Dieser Tonspur wollen wir nun folgen und schauen, was sie mit Musik zu tun hat. Alles
begann mit dem Urknall vor ca. 13,8 Milliarden Jahren. Damals entstand die Zeit, der sich
ausdehnende Raum und die Materie, die Ursuppe, aus der sich das uns heute bekannte
4
Universum entwickelte. So nimmt man es jedenfalls nach wie vor an. Eine Entwicklung, die
wir ohne Einsteins Entdeckung von der Kraft der Gravitation und der Relativitätstheorie nie
hätten derart genau erforschen können. Aber wo kommt auf einmal der Ton her? Das Ende
der universalen Stille…
O-Ton 3: Sprecher (Robert Gast, Spektrum.de):
Gravitationswellen sind winzige Erschütterungen der Raumzeit, die Albert Einstein 1915 in
seiner allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt hat und die Menschen erstmals 2015
nachgewiesen haben. (…) Raumzeitbeben entstehen, wenn irgendwo im Weltall riesige
Massen beschleunigt werden, beispielsweise bei der Kollision zweier Schwarzer Löcher. Die
dabei losgetretenen Schwingungen breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit in alle Richtungen
des Raumes aus – und können nahezu ungehindert das gesamte Weltall durchdringen. Auf der
Erde kann man Gravitationswellen mit Laserinterferometern nachweisen: Die Anlagen
bestehen aus zwei jeweils drei bis vier Kilometer langen Tunneln, die wie ein »L« angeordnet
sind, (…) in denen Laserstrahlen hin und her laufen. Trifft eine Gravitationswelle einen dieser
Arme, wird die Strecke minimal gestaucht, wodurch das Licht die Distanz zum Ende des
Tunnels um den Bruchteil einer Sekunde schneller zurücklegt.1
O-Ton 4 = 2 (WH): Gravitationswellen zweier Schwarzer Löcher, die kollidieren [0‘30]
Sprecherin:
Heutzutage kann man diese Wellen sicht- und vor allem hörbar machen. Mit den zunächst in
den USA und in Italien aufgestellten Laser-Interferometer Gravitationswellen-Observatorien,
kurz LIGO und VIRGO genannt, ist es möglich, trotz kleinster Ausschläge zum Beispiel noch
die Milliarden von Lichtjahren entfernten Gravitationswellen des Urknalls zu hören: Sie sind
erst jetzt bei uns angekommen. Im All sind die Gravitations- und die Radiowellen das Pendant
zu den Schallwellen auf der Erde. Es lassen sich auch sog. Pulsare, schnell rotierende
Neutronensterne, nachweisen, die gleich einem Leuchtturm regelmäßig Signale ins Weltall
aussenden; und das LIGO, das Gravitationswellen-Observatorium, ist in der Lage, die
Gravitationswellen derjenigen kosmischen Ereignisse aufzuzeichnen, die etwa aus der
Verschmelzung zweier kompakter Objekte wie Neutronensterne oder sog. Schwarzer Löcher
entstehen. Denn jede Galaxie kreist um mindestens eines dieser Masse verschlingenden
1 https://www.spektrum.de/news/gravitationswellen-hinweis-auf-kosmisches-superbrummen/1817792, vom 12.
Januar 2021
5
Löcher von enormer Energie. Ein schwarzes Loch kann die Masse von Millionen Sonnen
haben! Auch ist es diesen Observatorien möglich, das Rauschen kollabierender Sterne, sog.
Supernovae aufzunehmen, und andere bisher noch unbekannte Signalquellen aus der Weite
des Weltalls. Ein wahrlich breites Spektrum an neuen Tönen und Geräuschen, die da auf uns
zukommen. Sie ermöglichen den Wissenschaftlern Untersuchungen zu einem Zeitpunkt, der
Millionen, ja Milliarden Jahre zurückliegen kann. Die Daten geben unter anderem Aufschluss
über das Entstehen unseres Universums, das für sich allein genommen schon von ungeahnter
Größe ist. Und es dehnt sich immer weiter aus.
Sprecherin 2:
Für ihre Erfindung des LIGO und ihre Forschungen zur Aufzeichnung von Gravitationswellen
wurden die Forscher Kip Thorne, Barry Barish und Rainer Weiss 2017 mit dem Physik-
Nobelpreis ausgezeichnet. Mittlerweile beschäftigt das Projekt weltweit hunderte
Wissenschaftler in über 40 Instituten. Eine junge, aber höchst erfolgreiche Wissenschaft.
Sprecherin:
Werfen wir an dieser Stelle wieder einen akustischen Blick in den Weltraum. Hören wir den
Klang von verschmelzenden Galaxienhaufen, den erst die neueste Technik der „Daten-
Sonifikation“ möglich gemacht hat. Sie wird auch in der Klimafolgenforschung höchst
erfolgreich angewandt, um zum Beispiel das Schmelzen des antarktischen Eises über die
Jahre hörbar zu machen:
O-Ton 5: Judy R. Twedt, US-amerikanische Klimaforscherin [0‘56]
This is a field that is growing and the formal term for it is data sonification. And so there are a
growing number of practitioners spanning the range from musicians to composers to science
communicators to scientists who are all exploring and working at this intersection of data
expression and sound. And it's kind of equivalent to data visualization, which is nearly
ubiquitous right now. But it's the turning of data into an auditory display that you can listen to.
Sprecherin 2: Overvoice 2: Judy R. Twedt
Dieses Feld wächst sehr schnell – offiziell heißt es Daten-Sonifikation. Es gibt es eine
wachsende Anzahl von Praktizierenden, von Musikern über Komponisten bis hin zu
Wissenschaftsjournalisten und Wissenschaftlern, die alle in diesem Bereich von Datenskalen
und Klang experimentieren und arbeiten. Es ist vergleichbar mit der Datenvisualisierung,
6
welche gerade fast allgegenwärtig ist. Doch hier verwandelt man die Daten in eine auditive
Darstellung.
O-Ton 6: verschmelzender Galaxienhaufen2
Sprecherin:
Was Sie gerade hörten, ist 3,5 Millionen Lichtjahre entfernt! Es war der Klang zweier
verschmelzender Galaxienhaufen… aber nicht nur die Gravitationswellen, auch die
Röntgenstrahlung, die Objekte oder Ereignisse im Weltraum aussenden, wird gemessen. Um
die Vorgänge im Universum besser zu verstehen, werden sie in sog. Klangbilder umgesetzt:
Sprecher (Quelle: Nasa, Autorin: Nadja Podbregar)3:
In der Vertonung bekommen die heißen, Röntgenstrahlen aussendenden Gase die höchsten
Frequenzen, sie klingen daher wie ein Rauschen. Die Sterne und Galaxien liegen im mittleren
Tonbereich und bilden einen durchgehenden Tonteppich. Der Dunklen Materie gaben die
NASA-Forscher besonders niedrige Frequenzen. Hier verarbeitet in einer Komposition des
deutschen Soundkünstlers Jörg Dankert mit dem Titel „dark time“:
Musik 3: “dark time”4 von Jörg Dankert, Nasa Soundcloud [2’25].
… anspielen und dann drunterlegen …
Sprecherin:
Es entsteht ein Konzert der ganz eigenen Art aus den Tiefen des Weltalls. Was zuvor nur in
verschiedenen Farben sichtbar war, ist nun auch in ganz unterschiedlichen Tonlagen hörbar.
Sprecherin 2:
Um etwa die dunkle Materie zu erkennen und sicher zu belegen, wird noch viel Forschung
nötig sein. Auf der Suche nach ihr wird sie als Gegenwicht zur sichtbaren Materie, zum Licht,
mittlerweile fest vorausgesetzt. Man nimmt an, daß die dunkle Materie das Universum
2 NASA’s Marshall Space Flight center: Bullet cluster sonification 3 Scinexx vom 4. Januar 2021, https://www.scinexx.de/news/kosmos/wie-klingt-eine-supernova/ 4 https://soundcloud.com/joerg-dankert/dark-time
7
mithilfe der Gravitationskraft in einem energetischen Gleichgewicht hält. Neueste
Berechnungen haben ergeben, dass unser Universum zu fast 27 Prozent aus dunkler Materie
oder dunkler Energie besteht.5
Sprecher:
Der Schweizer Astronom Fritz Zwicky hatte die dunkle Energie bei seinen Forschungen an
Galaxien bereits in den 1930er Jahren entdeckt und fortan bei seinen Berechnungen
vorausgesetzt. Für das menschliche Auge ist sie, im Gegensatz zum Licht, nicht sichtbar. Bis
jetzt kann sie nur über ihre Gravitationswirkung vermutet und erkannt werden.
Musik kurz wieder hoch…
und dann wieder unterlegen…
Sprecherin:
Die NASA schreitet in ihren Untersuchungen des Klangbildes astronomischer Ereignisse und
Vorkommnisse Jahr für Jahr weiter voran. Seit ein paar Jahren macht sie sich, um eine
genauere Anschauung der Gebilde in den Tiefen des Weltalls zu erhalten, nicht mehr nur die
Farben zu Nutze. Um universale, stellare und interstellare Gebilde zu verstehen, nutzt sie
insbesondere den Klang mittels der Daten-Sonifikation.
Sprecherin 2:
Hier hören wir zum Beispiel den Klang des Krebsnebels aus dem Jahr 1054. Damals
explodierte ein massereicher Stern und hinterließ eine leuchtende Gaswolke, aufgeheizt von
der intensiven Strahlung und den Magnetfeldern eine Neutronensterns.
O-Ton 7: Klang des Krebsnebels6, Nasa Soundcloud
Sprecher:
5 Der folgende Essay ist auf dem Hintergrundwissen u.a. folgender Werke aus der Astrophysik und Literatur
aufgebaut: Christophe Galfard: Das Universum in unserer Hand, München 22020. Stephan Hawking: Eine kurze
Geschichte der Zeit. Rowohlt Verlag. Reinbek bei Hamburg. Neuauflage 2011. Ders.: Big Bang – am Anfang
von Zeit und Raum; Schwarze Löcher – Theorie für alles. Grünwald bei München. Audio book. 12004; Hans
Peter Trötscher: Zeit und Raum. Vom Urknall zur Stringtheorie. Frankfurt a.M. 2017; Rüdiger Vaas: Jenseits
von Anfang und Ewigkeit. Leinfelden-Echterdingen 2006. Michael Wehrhahn: Galileo Galilei. Ein Weltbild
gerät ins Wanken. Headroom Verlag, Köln 2017. Klaus Fischer: Galileo Galilei. Biographie seines Denkens.
Kohlhammer. Stuttgart 2015. Bertold Brecht: Leben des Galileo. Schauspiel. Suhrkamp Verlag. Frankfurt
a.M.1998. 6 Crab nebula sonification: https://soundcloud.com/
8
Um dieses Gebilde in ein Klanggebilde zu übersetzen, ordneten die NASA-Forscher den
Strahlenfrequenzen verschiedenen Instrumentengruppen zu: die Röntgenstrahlung (blau/weiß)
wird von Blechbläsern übernommen, die optischen Daten (violett) sind als Streichinstrumente
zu hören und die Infrarotdaten (rosa) werden von Holzblasinstrumenten gespielt. Je intensiver
die jeweilige Strahlung ist, desto lauter ist die Musik.7
Sprecherin:
Ein Konzert der ganz eigenen Art, das da entsteht. Aber die NASA ist nicht nur in der
musikalischen und tonalen Darstellung von Schwarzen Löchern und Galaxienhaufen führend,
es ist ihr auch gelungen, die Planeten und ihre Monde in für uns Menschen hörbare Töne zu
verwandeln. Wie klingt zum Beispiel der Jupiter, der größte Planet unseres Sonnensystems,
den und dessen Monde einst Galileo Galilei mit seinem selbstgebauten Teleskop entdeckt hat?
Der Fünfte von der Sonne aus gesehen… Er weist keine feste Oberfläche auf und besteht nur
aus Wasserstoff und Helium mit einer durchschnittlichen Außentemperatur von minus 150
Grad Celsius. Ein Gasriese…
O-Ton 8: Jupiter: Timothy Drake: Symphonies of the Planets. Complete Nasa Sound
recordings. BN Publishing 2016. Track 1.
Sprecherin:
Und wie erst klingt wohl die Aurora des Jupiters, sein Polarlicht? Noch ist es nicht geklärt, ob
sie entsteht wie die faszinierenden Polarlichter bei uns auf der Erde. Diese nämlich stoßen in
etwa 150 Kilometer Entfernung zur Erde, angeregt durch die Sonnenwinde und geladene
Elektronen auf die Moleküle der Atmosphäre, und beginnen durch den Energieaustausch zu
leuchten. Noch immer halten Urvölker sie für die Seelen der Toten oder ungeborener Kinder,
ein Zeichen der Götter… Hier auf der Erde entstehen so jedenfalls, vereinfacht gesagt, die
Polarlichter am Nord- und Südpol. Für die Auroren des Jupiters und des Saturn weiß man es
noch nicht genau: Vorerst bleibt uns ihre Entstehung verborgen. Fast klingt es ein wenig
unheimlich, das aureale Rauschen!
O-Ton 9: Juno listens to Jupiter’s Aurora: Nasa Soundcloud8
7 Scinexx vom 4. Januar 2021, https://www.scinexx.de/news/kosmos/wie-klingt-eine-supernova/ 8 Juno listens to Jupiter’s Aurora: https://soundcloud.com/
9
Sprecherin 2:
Unser Sonnensystem hat, wie wir alle wissen, acht Planeten: Von der Sonne aus gesehen sind
das Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, der Saturn mit seinen Ringen; Uranus und Neptun
sind die letzten Außenposten unseres planetaren Sonnensystems. Planeten sind
Himmelskörper, die sich in einer bestimmten Kreisbahn und Entfernung um die Sonne
bewegen. Und alle Acht hat die Nasa durch Aufnahmen ihrer Sonden und durch die
anschließende Daten-Sonifikation zum Klingen gebracht. Samt ihren Monden und den Ringen
des Saturn und des Uranus, hier zu hören.
O-Ton 10: Ringe des Saturn: Timothy Drake: Symphonies of the Planets. Complete
Nasa Sound recordings. BN Publishing 2016. Track 6.
O-Ton 11: Ringe des Uranus: Timothy Drake: Symphonies of the Planets. Complete
Nasa Sound recordings. BN Publishing 2016. Track 4.
Sprecherin:
Wie ein weit entferntes Windspiel aus dem All klingen die Ringe des Uranus, so nah und
doch so fern. Die Erforschung unseres Sonnensystems hat der menschlichen Liebe zur Musik
viel zu verdanken, denn entdeckt wurde der Planet Uranus 1781 vom deutsch-britischen
Astronomen und Musiker William Herschel aus Hannover. Musik und Astronomie sind
einander seit Anbeginn der Erforschung des Weltalls dicht auf den Fersen.
Musik 4: Wilhelm Herschel, Symphonie Nr. 14 in D-Dur, I. Allegro Assai… [1‘18]
AMS: M0029098-001
Sprecher:
Der Geiger, Oboist und Notenkopist Wilhelm Herschel aus Hannover komponierte zwischen
1759 und 1769 zahlreiche Sinfonien, Konzerte, Kammer- und Orgelmusik. Nachdem er in
England als Orchestermusiker ansässig wurde, wechselte er vom Studium der mathematischen
Musiktheorie zur Astronomie. Er entwickelte damals eines der ersten wirklich
funktionstüchtigen Spiegelteleskope: Herschel wollte damit den Fixsternhimmel studieren
und alle sichtbaren Sterne und Nebel auflisten. Dabei entdeckte er gemeinsam mit seiner
Schwester Caroline, die den Musiker und Chordirektor seinerzeit als Sopranistin und
Hausdame nach Bath und London begleitete, den Planeten Uranus und dessen Monde. In
10
Anerkennung ihrer außergewöhnlichen Leistung wurden er und seine Schwester geadelt.
Wilhelm Herschel erhielt dafür von König George III. zudem eine jährliche Pension. Von da
an konnte er als Astronom und Teleskop-Bauer sein Leben bestreiten. Er und seine Schwester
Caroline, wie später sein Sohn John wurden zu bedeutenden Astronomen, geehrt in aller Welt.
Sogar Joseph Haydn stattete Herschel im Jahr 1791 einen Besuch ab und erwies ihm die Ehre.
Auch wenn dessen Weltbild damals noch eindeutig von Gott als Schöpfer des Himmels und
der Erde geprägt war.
Musik 5: Joseph Haydn, „Vollendet ist das Werk“, aus: Die Schöpfung, The creation,
Hob XXI, Pt. II, Dirigent: Sir Neville Marriner, Chorus and Academy of St. Martin in
the Fields, NL PHILIPS 6769 047 STEREO 2LP Box, track 19 [0‘47].
Sprecherin:
In der damaligen Zeit waren die Wissenschaften, die Mathematik und Astronomie eng mit der
Musik und Literatur verwoben. Das wird auch an der Benennung der entdeckten
Himmelskörper deutlich: Alle Monde des Uranus wurden auf Wunsch von John Herschel
nach Figuren von William Shakespeare oder Alexander Pope benannt. In Shakespeares
Komödie „Der Sturm“ ist Miranda die Tochter des Magiers Prospero, dem rechtmäßigen
Herzog von Mailand. Auch die anderen Monde des Uranus haben Namen aus dem
Shakespeare’schen Universum: Darunter Puck, Ariel, Umbriel, Titania und Oberon. Selbst die
zahlreichen Krater auf Miranda sind nach Shakespeares Figuren benannt… So spiegelt sich
der Mensch seit Urzeiten im Weltall wider. Und jedes Zeitalter verknüpft seine wichtigsten
Entdeckungen aufs Neue mit den Sternen.
Sprecherin 2:
Wie aber klingt nun Miranda, der kleine Mond des Uranus?
O-Ton 12: Miranda: Timothy Drake: Symphonies of the Planets. Complete Nasa Sound
recordings. BN Publishing 2016. Track 2.
Sprecher:
11
Miranda, der kleinste und innerste der 5 großen Monde des Planeten Uranus, erscheint im
Tonbeispiel komplex, wie seine Oberfläche mit seinen kilometertiefen Canyons,
Einschlaglöchern und Schrunden.
O-Ton 12: Miranda: wieder hochziehen… darunter liegenlassen…
Sprecher:
Miranda besteht zu achtzig Prozent aus Wassereis und weist Anteile von silikatischem
Gestein und Kohlenstoffverbindungen, wie Methan, auf.
O-Ton 12 wieder hoch…
Sprecherin:
Hören Sie es? Wasser, Eis und Methan: Ein eisiger, kalter Ort, zwischen minus -186˚C und
minus -213˚C Grad herrschen auf diesem vergleichsweisen kleinen Mond. Er ist so groß wie
Frankreich, Österreich, die Schweiz und Slowenien zusammen. Kein Ort, an dem man je
leben wollte, noch könnte! Und doch, immer wieder arbeitet die Nasa in verschiedenen
Programmen daran, zum Beispiel den Mars für uns als Lebensort bewohnbar zu machen. Im
Februar 2021 sollen gleich 3 Missionen den roten Planeten erreichen, aus den USA, China
und den Vereinten Arabischen Emiraten. Trotzdem bleibt es fraglich, ob ein Leben auf dem
Mars überhaupt möglich oder erstrebenswert wäre. Noch haben wir ja unsere Erde...
O-Ton 13: „Lichtwelten“ (1992), von Ariane Huml, gesprochen von Doris Wolters
(Privataufnahme)
Sprecherin:
Doch wie klingt eigentlich unsere Erde, der blaue Planet?
O-Ton 13: Song of the Earth, Timothy Drake: Symphonies of the Planets. Complete
Nasa Sound recordings. BN Publishing 2016. Track 7.
Sprecherin:
Ein stilles, leises, beständiges Lied, was da zu hören ist… fast klingt es wie unbewohnt, wie
vor unserer Zeit … oder danach!
12
O-Ton 14: Houston, we have a problem (Quelle Nasa)9 [0’07]
Sprecherin 2:
Und sie erwärmt sich doch! Zu hören an der sog. Keeling-curve von Judy Twedt, einer
Klimaforscherin in ihrer Datensonifikation. Charles Keeling war der erste Wissenschaftler,
der durch seine Messungen auf Hawaii zeigen konnte, wie schnell sich die Erde erwärmt:
Durch übermäßige Landnutzung, durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen und den
Ausstoß von zu vielen Treibhausgasen. Der wichtigste Umweltdatensatz des 20. Jahrhunderts,
verwandelt in Klang…
Musik 6: „Keeling curve“, Datensonifikation der Erderwärmung von Judy Twedt
(Privataufnahme) [1‘12].
geht über in
Musik 7: Gustav Mahler: Das Lied von der Erde II. – Der Einsame im Herbst“
(arrangiert von Arnold Schönberg und Rainer Riehn), track 2 [1‘22].
Interpreten: Margriet van Reisen und André Post, Oxalys Ensemble. Label: Passacaille
2019, LC 10925.
Sprecherin:
Die Erforschung des Weltalls ist so alt wie die Menschheit und wird weitergeführt werden, so
lange es Menschen auf dieser Erde gibt. Der Mensch als Suchender bleibt aber trotz allem
Wissen immer zugleich ein Unwissender, so weit sich auch das Universum für ihn öffnet und
von ihm erschlossen werden kann. Er lauscht und fliegt ins Weltall hinaus, auf eigene Faust,
auf eigene Gefahr hin, auf der Suche nach einem Paradies, das er vielleicht gerade selbst
zerstört.
O-Ton 15: Start von Apollo, Nasa Soundcloud, Apollo 11: “We have a lift off”10,
geht über in …
9 https://www.youtube.com/watch?v=eco_xvkEQlg 10 https://soundcloud.com/nasa/popular-tracks
13
Musik 8: David Bowie, „Space oddity”, Label: Rhino 1969, Remastered Edition 2015,
LC 2982, track 1 [0’53].
…bleibt leise drunter liegen…
Sprecherin 2:
Und sie dreht sich doch!
Sprecherin:
Machen wir eine Zeitreise zurück ins 17. Jahrhundert. Im Jahr 1615 verkündete Galileo
Galilei, dass sich die Erde um die Sonne drehe: der Beginn des heliozentristischen Zeitalters.
Nicht ganz, denn diese Tatsache hatte ein Jahrhundert früher, im Jahr 1543, auch schon
Nicolaus Kopernikus erkannt: Er stellte fest, dass es sich bei den „wandernden Sternen“, die
er allabendlich am Nachthimmel beobachtete, um Planeten handelte, die alle im selben
Abstand um die Sonne kreisten. Himmelsbewegungen, die auch die alten Griechen schon
beobachtet hatten: Das geozentrische Weltbild blieb jedoch noch lange Zeit vorherrschend.
Die katholische Kirche, fest in ihrem Glauben an ein von Gott geschaffenes Universum
verankert, konnte erst im Jahr 1757 öffentlich zugestehen, dass sich eben doch nicht alles um
Gott und die Erde und den Menschen drehe, sondern in unserer Galaxie zumindest um die:
Sonne.
Musik 9: Vincenzo Galilei: Contrapunto primo e secondo; Vincenzo Galilei, 1584 [2’01].
AMS M0305954 … erst anspielen und dann unterlegen…
Sprecherin 2:
Galileos Vater, der seinen Sohn nicht nur zum Lautenspiel, sondern auch zu seinen ersten
astronomischen Berechnungen angehalten hatte, stand der Wissenschaft der Musik ganz nah,
wie zwei Jahrhunderte später der Musiker und Astronom Wilhelm Herschel. Schon im
Kindesalter hatte Vincenzo Galilei daher seinen Sohn gelehrt, nur seinen Sinnen und seinem
Verstand zu vertrauen. Er unterrichtete ihn ausführlich in Musiktheorie, bevor Galileo Galilei
in Pisa sein Studium der Medizin und Mathematik aufnahm. Sein von klein auf erworbenes
universales, vor allem auch musiktheoretisches Wissen war später entscheidend für seine
bahnbrechenden Entdeckungen, allen voran in der Physik und Astronomie.
14
Sprecherin:
Von Galileos Vater Vincenzo heißt es:
Sprecher:
„Er war so besessen von der Laute, dass er sie bei jeder Gelegenheit spielte, durch die Stadt
wandernd, zu Pferd, am Fenster oder zu Bett, wie es in seiner Sammlung von
Lautenkompositionen hieß“.11
Sprecherin:
Vincenzo Galilei, der aus einer verarmten Florentiner Adelsfamilie stammte, verdiente sein
Geld zunächst im Tuchhandel, vor allem aber trat er als Musiker, Komponist und
Musiktheoretiker hervor. Er wusste geschickt, seine hervorragenden mathematischen
Kenntnisse mit seinen musikalischen Interessen zu verbinden. Unter anderem untersuchte er
akribisch den Klang einer schwingenden Saite. Er entdeckte dabei den quadratischen
Zusammenhang zwischen der Zugspannung einer Saite und ihrer Tonhöhe.
Musik 9 wieder hoch und unterlegen…
Sprecherin:
Auf proportionalen Verhältnissen bei Intervallen und Obertönen, die sich anhand von
schwingenden Saiten beobachten ließen, basierte die Idee der Sphärenmusik: Den
Schwingungen der Gestirne schrieb man ähnliche Verhältnisse zu. Komponisten, wie zum
Beispiel der Däne Rued Langgaard, greifen bis heute gerne auf diese Ideen und
Zusammenhänge von Musik und Astronomie zurück.
Musik 10: Rued Langgaard: Sfærernes musik (BVN 128) (1916)
Komponist: Rued Langgaard; Dirigent: Thomas Dausgaard; Interpreten: Sopran: Inger
Dam Jensen; Chor: Dänisches Nationales Vokalensemble, Dänischer Nationalchor,
Dänisches Nationales Symphonieorchester; Dacapo 2010, LC 49000, track 1 [3‘42].
Sprecher:
11 Vincenzo Galilei: Fronimo, 1568, 2. erw. Ausgabe, Rom 1584. In: Musicological studies and documents 39.
American Institute of Musicology, Hänssler-Verlag, Neuhausen-Stuttgart 1985.
15
Die Vorstellung der Sphärenharmonie oder Sphärenmusik geht auf den griechischen
Philosophen Pythagoras zurück, der davon ausging, dass die Planeten in ihren Bahnen bei den
Drehungen Klänge, also eine Art Musik erzeugen. An und für sich hieß es, sei diese aber für
den Menschen nicht hörbar, allein für denjenigen im Prozess des Sterbens. Dennoch wäre sie
als Hintergrundrauschen in der Welt ständig vorhanden. Pythagoras und seine Anhänger
nahmen an, dass der Kosmos mathematisch proportional ebenso angeordnet sei wie die Töne
in der Musik. Damals ging man noch davon aus, dass die Planeten und die Gestirne sich um
eine feststehende Erde in immer gleichen Kreisbahnen drehen würden. Und dass diese
wiederum an nicht sichtbaren hohlen Kugeln, den Sphären, befestigt seien. Man glaubte, dass
die Tonhöhen vom Abstand des jeweiligen Planeten zur Mitte der Erde und von der
Geschwindigkeit seiner jeweiligen Drehungen abhängen würden. Man nahm an, dass die
Abstände der Planetenbahnen proportional zur Erde eine musikalische Harmonie erzeugen
würden, die man kurzerhand „Sphärenharmonie“ nannte.
Sprecherin 2:
Rued Langgaard ist einer der bedeutendsten dänischen Komponisten, der sich in seinem
reichen Werk auch intensiv mit der Sphärenmusik beschäftigt hat. Geboren 1893 in
Kopenhagen, fand er erst spät in seinem Leben gebührende Anerkennung. Bis zu seinem Tod
im Jahr 1952 war er Organist in Ribe, einer der ältesten dänischen Städte gleich hinter der
deutsch-dänischen Grenze. Langgaard befasste sich schon früh mit musikalischen
Experimenten, seine Musik bewegt sich recht frei zwischen Romantik, Expressionismus und
Minimalismus; ein musikalisches Oeuvre, das u.a. György Ligeti inspirierte.
Sprecherin:
Langgaard schrieb unter anderem die Oper „Antikrist“, 16 Sinfonien, 7 Streichquartette,
Kammermusik, zahlreiche Orgel- und Klavierwerke sowie Vokalmusik mit Orchester und
Klavier. Im Jahr 1916 erschien sein Hauptwerk „Sfærernes musik“, Sphärenmusik für Sopran,
Chor, Orchester und Orchester aus der Distanz, hier dirigiert von Gennady Rozhdestvensky
mit der dänischen Sopranistin Gitta-Maria Sjöberg, dem dänischen Nationalen Radiochor und
dem Dänischen Nationalen Radiosymphonieorchester Kopenhagen.
Musik 10 wieder hoch…
Sprecher:
16
Um was dreht es sich hier überhaupt:
Dreht sie sich nun oder nicht?
Sprecherin 2: Kardinal aus Brechts „Leben des Galileo“:
„Ich höre, dieser Herr Galilei versetzt den Menschen aus dem Mittelpunkt des Weltalls
irgendwohin an den Rand. Er ist deutlich ein Feind des Menschengeschlechts! Als solcher
muss er behandelt werden. Der Mensch ist die Krone der Schöpfung, das weiß doch jedes
Kind.“
Sprecherin 1: Sagredo aus Brechts „Leben des Galileo“:
„Und ich frage dich, wo ist Gott in deinem Weltsystem?“
Sprecher: Galileo Galilei aus Brechts „Leben des Galileo“:
„In uns und nirgends! (…) Ich glaube an den Menschen und das heißt, ich glaube an seine
Vernunft.“12
Musik 11: Hanns Eisler „Ballade Nr. 9 von Galileo (Song of the Allmighty)“, CD: Hans
Eisler, Documents, Berlin Classics (Edel) 2011, LC 6203, track 17 [4‘25].
Sprecherin:
Galileo Galilei entdeckte als Erster die Krater des Mondes, die vier Monde des Jupiters und
die unzähligen Sterne der Milchstraße. Und nicht zuletzt die Fallgesetze. Er machte den
empirischen Beweis hoffähig und den Glauben an die Vernunft und an das, was man sehen,
erkennen, nachweisen konnte. Dabei verwarf er den blinden Glauben an die „Naturgesetze“
der Kirche, deren treuer Anhänger er bis zu seinem Lebensende dennoch blieb: Er war streng
katholisch erzogen worden. Ursprünglich wollte er die Kirche mit seinen Entdeckungen nur
vor einer Falschaussage, einem Missverständnis bewahren…
Sprecher:
Erstmals wurde der mittelalterliche Mensch hier frei im Denken und Erkennen jenseits eines
alles durchdringenden Christentums, das in jener Zeit teils noch mit großem Aberglauben
12 Bertold Brecht: Leben des Galileo. Schauspiel. Suhrkamp Verlag. Frankfurt a.M.1998. S. 33, 34 und S. 61.
[0‘35]
17
gemischt war. Folglich machte man Galileo Galilei den Prozess und zwang ihn, zu
widerrufen. Er widerrief.
Sprecherin 2:
Und sie dreht sich doch!
Sprecherin:
Dafür büßte er postwendend seine Stelle als Professor für Mathematik an der Universität Pisa
ein. Seine Kerkerhaft verwandelte man nach kurzer Zeit in lebenslangen Hausarrest. Ganz
sicher war sich auch die Katholische Kirche in diesem Punkt schon damals nicht.
O-Ton 16: Plasma Sounds at Jupiter, Nasa Soundcloud13
Sprecher: Papst Johannes Paul II. an die Teilnehmer der Vollversammlung der
päpstlichen Akademie der Wissenschaften. 31. Oktober 1992
„Der Fall Galilei kann uns eine bleibend aktuelle Lehre sein für ähnliche Situationen, die sich
heute bieten und in Zukunft ergeben können.“14
Sprecherin:
Mit diesen vagen Worten wurde Galileo Galilei im November 1992 vom damaligen Papst
Johannes Paul II. rehabilitiert.
O-Ton 17: Orson Welles „The war of the worlds”, CD: Der Hörverlag, LC 15447,
München 1996 / 2005.
Sprecherin:
Orson Welles hat in seinem berühmten Hörspiel „War of the worlds“ aus dem Jahr 1938 mit
der Angst der Menschheit vor außerirdischer Intelligenz gekonnt gespielt: Hörer, die erst nach
der Ankündigung des Hörspiels ihr Radio eingeschaltet hatten, dachten, es wäre eine Live-
Reportage und – es wären wirklich Marsmenschen auf der Erde gelandet! In vielen Teilen
13 https://soundcloud.com/nasa/plasma-sounds-at-jupiter 14 http://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/speeches/1992/october/documents/hf_jp-
ii_spe_19921031_accademia-scienze.html, abgerufen am 21. Januar 2021
18
Amerikas brach Panik aus… dabei hatte Orson Welles nur einen Halloweenscherz machen
wollen, wie er im Abspann des Hörspiels sagte. Aber da war das akustische Kind schon in den
Brunnen gefallen. Orson Welles schrieb damals Rundfunkgeschichte.
Sprecherin 2:
Im Jahr 1960 wurde an der amerikanischen Cornell Universität von dem Astronomen und
Astrophysiker Frank Drake ein internationales Forschungsprojekt ins Leben gerufen, das sich
noch heute abgekürzt „SETI“ nennt,
Sprecher:
„Search for extraterrestrial Intelligence “.
Sprecherin 2:
Das hochspannende Projekt wurde ab den 1980er Jahren an der kalifornischen Berkeley-
Universität fortgeführt. Seither ist man weltweit auf der Suche nach extraterrestrischem
Leben.
Musik 12: Seti (Australien)15, [1‘47]
Sprecher:
Das „große Lauschen“ basiert auf der Annahme, dass außerirdische Kulturen im Weltall
existieren und ähnliche Kommunikationssysteme und Nachrichtentechnologien nutzen wie
wir auf der Erde. Bislang ist nicht bekannt, ob außerirdisches Leben existiert bzw. ob es
andere technische Zivilisationen gibt, die fähig sind, interstellare Signale zu senden und zu
empfangen. Laut dem amerikanischen Astronomen und Astrophysikers Frank Drake ergab
sich aber aus der von ihm entwickelten Drake-Gleichung:
Sprecherin 2:
…. die Möglichkeit von über 300 solch intelligenter, technisierter Zivilisationen in der
Milchstraße.
Sprecher:
15 https://soundcloud.com/x-y-z-t/000000a
19
Und das bei über einer Billion Galaxien nur in unserem Universum. Nach einer von Stephan
Dole geführten Studie aus dem Jahr 1964 und der im selben Jahr entwickelten Kardaschow-
Skala, errechnete man, dass allein unsere Galaxie, die Milchstraße, einen Durchmesser von
ungefähr 200.000 Lichtjahren besitzt und zwischen 200 und 400 Milliarden Sterne beherbergt.
Bedenkt man, dass von den 50 Milliarden Planeten laut der Kepler-Mission, die bis 2018 lief,
ungefähr 500 Millionen Planeten in habitablen Zonen liegen, wird einem die
Unermesslichkeit deutlich, aber auch die zahlreich gebotene Möglichkeit, auf außerirdisches
Leben im Weltall zu stoßen. Untersuchungen mit dem Keck-Teleskop haben ergeben, dass die
Zahl der Planeten in habitablen Zonen in unserer Galaxie noch weitaus höher liegt.
Sprecherin:
Ob intelligent oder nicht, das sei vorerst dahingestellt. In dem Science-Fiction-Film „Contact“
aus dem Jahr 1997 sagt Jodie Foster, die hier eine Astrophysikerin und Mitarbeiterin des Seti-
Projekts spielt:
Sprecherin 2:
„Es wäre eine reine Verschwendung von Raum, wenn wir die Einzigen wären“.
O-Ton 18: Kurzer Ausschnitt aus dem Trailer „Contact“ (1997)
Sprecher:
SETI@home ist heute ein an der Universität von Kalifornien, Berkeley, durchgeführtes
wissenschaftliches Projekt. Es nutzt die Leistung abertausender untereinander verbundener
Computer auf der Suche nach außerirdischer Intelligenz. Es gibt sogar ein eigenes Team in
Deutschland, „SETI.Germany“, das sich mit Tausenden von Mitgliedern täglich auf die Suche
macht nach Signalen von außerirdischen Intelligenzen aus dem Weltall. Die verschiedenen,
miteinander vernetzten Projekte reichen dabei von der Astrophysik, der Molekularbiologie,
der Chemie, Mathematik und Medizin bis hin zu Klimaforschung und der angewandten
Informatik. Sie laufen auf der gemeinsamen Plattform „Berkeley Open Infrastructure for
Network Computing“, kurz: BOINC, zusammen. Auf ihr wird die weltweite Rechenleistung
hunderttausender PCs zu einem riesigen Supercomputer für Forschung und Wissenschaft
zusammengefasst.16
16 https://www.derstandard.de/story/2000122703401/aufregendes-signal-aus-der-stellaren-nachbarschaft v. 22.
Dezember 2020.
20
O-Ton 19: Geräusch des Signals aus „Contact“ (1997)
Sprecher:
Ein terrestrischer Lauschangriff der dritten Art…
Sprecherin:
Doch bisher erwiesen sich alle Signale aus dem All als Töne aus anderer Quelle – wie etwa
das 1977 im Rahmen des SETI-Projekts aufgefangene Wow-Signal. Zunächst hielt man es für
eine außerirdische Botschaft. Weshalb der führende Astronom über seine ersten Erkenntnisse
„Wow“ schrieb:
Sprecher:
Das sog. Wow!-Signal war ein Schmalband-Radiosignal, das der Astrophysiker Jerry R.
Ehman im Rahmen eines SETI-Projekts am „Big Ear“-Radioteleskop der Ohio State
University am 15. August 1977 aus Richtung des Sternbildes Schütze aufzeichnete und
„Wow“ taufte. Die einen sagten, es entstamme der Wasserstoffwolke eines vorbeiziehenden
Kometen, die anderen, es handle sich um einen explodierender Neutronenstern. Nicht zuletzt
wurden Quellen auf der Erde zunächst nicht ausgeschlossen, wie etwa das womöglich
fälschlich aufgezeichnete Signal einer nahen Microwelle… Nach und nach konnte man jedoch
zahlreiche mögliche Ursachen ausschließen: Die tatsächliche Quelle, der Urheber des Signals
aus dem All, bleibt bis heute ein Rätsel.
Musik 13: Jörg Dankert, „BLC1“, Nasa Soundcloud17 [3‘03].
… anspielen und dann drunterlegen…
Sprecherin:
Im November 202018 „entdeckte“ man überraschend ein neues Signal aus dieser Richtung, aus
der Nähe des erdähnlichen Sternes Proxima Centauri, der nur 4,25 Lichtjahre von uns entfernt
ist.
17 https://soundcloud.com/joerg-dankert/blc1 18 Das Signal selbst wurde bereits im Mai 2019 aufgezeichnet, aber seine Entdeckung wurde erst im Winter 2020
öffentlich bekannt gegeben.
21
Sprecher:
Während einer 30-stündigen Lauschaktion mit dem australischen Parkes-Observatorium
wurden die Forscher fündig: Sie stießen auf ein Signal, das sie BLC1 tauften und das bisher
alle Kriterien eines von einer außerirdischen Intelligenz gesendeten Tonsignals aufweist:
Wieder handelt es sich um ein äußerst schmalbandiges Radiosignal in einem Frequenzbereich
von 982 Megahertz. Das SETI-Programm „Breakthrough Listen“ filtert seit 2015 unzählige
Galaxien und Sternensystem auf der Suche nach derartig artifiziellen Signalen, die nicht einer
natürlichen Quelle, sondern einer künstlichen, „intelligenten“ Quelle zugeordnet werden
können. Finanziert wird das Programm von dem aus Russland stammenden, in Kalifornien
lebenden Multimillionär Juri Milner. In Frühjahr 2021 sollen die ersten Ergebnisse der
genauen Untersuchung der Herkunftsquelle bekannt gegeben werden. Holt die Realität nun
die Fiktion aus dem Film „Contact“ ein?
Musik 13 wieder hoch…
Sprecherin:
Zumindest regen die Signale aus dem All die menschliche Phantasie und das kreative
Schaffen an. So hat der Musiker, Sounddesigner und Komponist Jörg Dankert aus dem
vermeintlichen Signal aus dem All eine ureigene Komposition gemacht, die wir seit ein paar
Minuten hören. Ein einziger Ton genügt und es entsteht eine Welt für sich: „BLC1“.
Musik 13 wieder hoch…
geht über in …
Musik 14: David Bowie: „Starman“, CD: Changes Two Bowie, Parlophone 1981, LC
0299, track 3 [1’16].
Sprecherin:
Ob der Mensch je diese Distanzen überwinden können und gesund und noch zu Lebzeiten auf
die Erde zurückkehren wird, ist fraglich. All dies erscheint momentan noch Lichtjahre
entfernt. Aber einst schien es uns genauso unmöglich, den Mond zu betreten, zum Mars zu
fliegen, die Venus zu erkunden, den Klang eines Schwarzen Loches zu hören, den tiefsten
22
bekannten Ton im All. Einst dachte man, die Erde wäre eine Scheibe – segelte man zu lange
in eine Richtung, fiele man von ihr herunter!
O-Ton 20: Mondlandung 1969 (Armstrong): Apollo 11„It’s one small step for men and
one giant leap for mankind”. Nasa Soundcloud.19
Sprecherin:
Wo also sollten die Grenzen der Astrophysik, die Grenzen unserer Erkenntnis liegen, wenn
das Universum selbst doch keine hat und sich immer weiter ausdehnt? Wo die Grenzen der
Klänge im Universum, das uns einst still erschien? Wenn, doch nur im menschlichen Denken,
in unseren sensorischen Fähigkeiten, in unserer oftmals eingeschränkten Natur. Doch diese
können wir transzendieren, nicht nur im Klang. Uns aufmachen zu den Sternen, auf der Spur
des Lichts, das sie aussenden, um uns den Weg zu weisen. Einstein hat es uns vorgemacht:
Wo Phantasie und Wissen zusammenwirken, erreicht man sie, die Sonne, den Mond, die
Sterne, selbst einzelne Planeten, und seien sie Lichtjahre entfernt.
Musik 15: Megaloschemos II (Bulgarian Orthodox Hymn); Künstler: Fathomage, CD:
Portraits of an Illustrative Mania, Label: Independent 2018, track 1 [2‘07].
… anspielen und drunterlegen…
Sprecherin 2:
Wie die Delfine unter Wasser versuchen wir seit kurzem, das Hochvakuum, den luftleeren
Raum des Universums mit Tönen zu erkunden und zu erforschen. Im Klang, in der Musik, mit
unserer ureigenen Kreativität auf der Basis von Wissen und Erkenntnis fühlen wir uns im All
der Töne und Farben zumindest ein wenig zu Hause. Und eines nahen oder fernen Tages
werden wir vielleicht doch das Raum-Zeit-Kontinuum überwinden können. Und dann werden
wir sie hören und sehen, erleben können, die Natur der Sterne, als wären wir Nachbarn.
Dabei hat die irrwitzige Reise der Töne gerade erst begonnen: Auf der Suche nach den
hörbaren Ausläufern des Urknalls reisen wir geradewegs zurück zum Ursprung unseres
Universums.
Musik 15 wieder hoch…
… geht über in …
19 https://soundcloud.com/nasa/popular-tracks
23
O-Ton 22: Klänge aus den Anfängen des Universums: Nasa Soundcloud20.
20 https://soundcloud.com/nasa/panck-sounds-of-the-ancient
24
Musikliste
„Universale Stille und kosmischer Klang“ von Ariane Huml
Musik 1: Gustav Holst: The planets. Op 32. „Mars, the bringer of war”, track 1 [2‘47].
Dirigent: André Previn und das Royal Philharmonic Orchestra, Label: Telarc 1987. LC
05307.
Musik 2: Titelmelodie Raumschiff Enterprise: AMS M 0336736 001 [0‘26].
Label: Edelton, LC 07719; Bestellnummer EDL 2514-2.
Musik 3: Jörg Dankert „dark time”, Nasa Soundcloud [2’25].
Musik 4: Wilhelm Herschel, Symphonie Nr. 14 in D-Dur, I. Allegro Assai… [1‘18]
AMS: M0029098-001
Musik 5: Joseph Haydn, „Vollendet ist das Werk“, aus: Die Schöpfung, The creation,
Hob XXI, Pt. II, Dirigent: Sir Neville Marriner, Chorus and Academy of St. Martin in
the Fields, NL PHILIPS 6769 047, 2LP Box, track 19 [0‘47].
Musik 6: „Keeling curve“, Datensonifikation der Erderwärmung von Judy Twedt
(Privataufnahme) [1‘12].
Musik 7: Gustav Mahler: Das Lied von der Erde II. – Der Einsame im Herbst“
(arrangiert von Arnold Schönberg und Rainer Riehn), Interpreten: Margriet van Reisen
und André Post, Oxalys Ensemble. Label: Passacaille 2019, LC 10925, track 2 [1‘22].
Musik 8: David Bowie, „Space oddity”, Label: Rhino 1969, Remastered Edition 2015,
LC 2982, track 1 [0’53].
Musik 9: Vincenzo Galilei: Contrapunto primo e secondo; Vincenzo Galilei, 1584 [2’01].
AMS M0305954
25
Musik 10: Rued Langgaard: Sfærernes musik (BVN 128) (1916), Komponist: Rued
Langgaard; Dirigent: Thomas Dausgaard; Interpreten: Sopran: Inger Dam Jensen;
Chor: Dänisches Nationales Vokalensemble, Dänischer Nationalchor, Dänisches
Nationales Symphonieorchester; Label: Dacapo 2010, LC 49000, track 1 [3‘42].
Musik 11: Hanns Eisler, „Ballade Nr. 9 von Galileo (Song of the Allmighty)“, CD: Hans
Eisler, Documents, Label: Berlin Classics (Edel) 2011, LC 6203, track 17 [4‘25].
Musik 12: Seti (Australien), Nasa Soundcloud [1‘47].
Musik 13: Jörg Dankert, „BLC1“, Nasa Soundcloud [3‘03].
Musik 14: David Bowie, „Starman“, CD: Changes Two Bowie, Label: Parlophone 1981,
LC 0299, track 3 [1’16].
Musik 15: Megaloschemos II (Bulgarian Orthodox Hymn); Künstler: Fathomage, CD:
Portraits of an Illustrative Mania, Label: Independent 2018, track 1 [2‘07].
Anmerkung:
Die Nasa Soundcloud ist zur Benutzung freigegeben.
link: https://cdm.link/2014/10/nasa-posts-huge-library-space-sounds-youre-free-use/
Literatur:
Bertold Brecht: Leben des Galileo. Schauspiel. Suhrkamp Verlag. Frankfurt a.M.1998. S. 33,
34 und S. 61. [ges. 0‘35].
Vincenzo Galilei: Fronimo, 1568, 2. erw. Ausgabe, Rom 1584. In: Musicological studies and
documents 39. American Institute of Musicology, Hänssler-Verlag, Neuhausen-Stuttgart
1985. [0‘05]