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Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin Seite 1 von 13 Prof. Dr. Gregor Bachmann WiSe 2016/2017 Examensklausurenkurs Klausur 6 im Zivilrecht Klausur vom 27.01.2017 Alexander (A) und Bernhard (B) sind zum Studium nach Berlin gezogen und bewohnen ge- meinsam eine Wohnungsgemeinschaft (WG) in Berlin-Schöneberg. In den Semesterferien fährt B für zwei Wochen in die Heimat, A bleibt in Berlin zurück. Eine Woche später geht A auf den nahen Flohmarkt, um sich vom Lernstress abzulenken. Dort sieht er die limitierte – gleichwohl vollgültige – Briefmarkensonderserie „Fußballwelt- meisterschaft 2006“ (10 Marken á 55 Cent). Er weiß, dass B als riesiger Fußballfan und Briefmarkenfreund die Serie schon lange erwerben möchte, bisher aber kein Glück hatte. A geht deshalb zum Verkäufer und sagt: „Ich würde diese Briefmarkenserie gerne im Namen meines Freundes B erwerben. Der weiß davon zwar bisher noch nichts, freut sich aber be- stimmt trotzdem und wird mir die ausgelegte Summe später auch erstatten!“ A wird sich mit dem Verkäufer einig und erwirbt die Briefmarken für B zum Preis von 20 Euro, der für diese limitierte Sonderserie marktüblich ist. Wieder in der WG angekommen, legt A die Marken in sein Zimmer, um sie dort für B aufzubewahren. Am nächsten Morgen kommt Corinna (C), die Freundin von A, in die WG. A selbst ist gerade in der Bibliothek. C sieht die Briefmarken im Zimmer des A liegen. Sie geht fälschlicher- weise davon aus, A habe diese für sich selbst erworben, denn auch er ist ein großer Fußball- fan. C teilt diese Leidenschaft gar nicht und erträgt es auch nicht mehr, dass A sein knappes Vermögen statt in sie, lieber in den Fußball investiert. Sie nimmt daher kurzerhand die Brief- marken, geht aus der Wohnung und bietet dem ersten Passanten auf der Straße – dem ihr bekannten D – die Briefmarken zum Nennwert (5,50 Euro) zum Kauf an. Dass die Briefmar- ken als Teil einer limitierten Sonderserie ein Sammlerstück sind und folglich einen höheren Wert als den bezifferten Nennwert haben, weiß C nicht. D erkennt dies sofort und schlägt ein, wobei er davon ausgeht, dass C Eigentümerin der Briefmarken ist. C übergibt ihm die Brief- marken, und D zieht erfreut von dannen. +++ BITTE WENDEN +++

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Prof. Dr. Gregor Bachmann WiSe 2016/2017

Examensklausurenkurs Klausur 6 im Zivilrecht Klausur vom 27.01.2017

Alexander (A) und Bernhard (B) sind zum Studium nach Berlin gezogen und bewohnen ge-

meinsam eine Wohnungsgemeinschaft (WG) in Berlin-Schöneberg. In den Semesterferien

fährt B für zwei Wochen in die Heimat, A bleibt in Berlin zurück.

Eine Woche später geht A auf den nahen Flohmarkt, um sich vom Lernstress abzulenken.

Dort sieht er die limitierte – gleichwohl vollgültige – Briefmarkensonderserie „Fußballwelt-

meisterschaft 2006“ (10 Marken á 55 Cent). Er weiß, dass B als riesiger Fußballfan und

Briefmarkenfreund die Serie schon lange erwerben möchte, bisher aber kein Glück hatte. A

geht deshalb zum Verkäufer und sagt: „Ich würde diese Briefmarkenserie gerne im Namen

meines Freundes B erwerben. Der weiß davon zwar bisher noch nichts, freut sich aber be-

stimmt trotzdem und wird mir die ausgelegte Summe später auch erstatten!“ A wird sich mit

dem Verkäufer einig und erwirbt die Briefmarken für B zum Preis von 20 Euro, der für diese

limitierte Sonderserie marktüblich ist. Wieder in der WG angekommen, legt A die Marken in

sein Zimmer, um sie dort für B aufzubewahren.

Am nächsten Morgen kommt Corinna (C), die Freundin von A, in die WG. A selbst ist gerade

in der Bibliothek. C sieht die Briefmarken im Zimmer des A liegen. Sie geht fälschlicher-

weise davon aus, A habe diese für sich selbst erworben, denn auch er ist ein großer Fußball-

fan. C teilt diese Leidenschaft gar nicht und erträgt es auch nicht mehr, dass A sein knappes

Vermögen statt in sie, lieber in den Fußball investiert. Sie nimmt daher kurzerhand die Brief-

marken, geht aus der Wohnung und bietet dem ersten Passanten auf der Straße – dem ihr

bekannten D – die Briefmarken zum Nennwert (5,50 Euro) zum Kauf an. Dass die Briefmar-

ken als Teil einer limitierten Sonderserie ein Sammlerstück sind und folglich einen höheren

Wert als den bezifferten Nennwert haben, weiß C nicht. D erkennt dies sofort und schlägt ein,

wobei er davon ausgeht, dass C Eigentümerin der Briefmarken ist. C übergibt ihm die Brief-

marken, und D zieht erfreut von dannen.

+++ BITTE WENDEN +++

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Am selben Nachmittag ruft B bei A an, der noch immer in der Bibliothek ist. A erzählt B,

dass er (A) für B die Briefmarkenserie gekauft habe, die dieser (B) schon immer haben woll-

te. B erwidert, dass er sich schon Tage zuvor in der Heimat exakt diese Briefmarken gekauft

habe und deshalb eigentlich keine mehr benötige. Aus Dankbarkeit für die Umsicht des A

erklärt B, dass er die – an sich für ihn überflüssigen – Briefmarken doch gerne behalten wer-

de. A solle sie noch bis abends für ihn aufbewahren, denn er (B) sei in wenigen Stunden wie-

der in Berlin, die Landluft bekomme ihm nicht. Als am selben Abend A, B und C erstmals

gemeinsam in der Wohnung sind, zeigt sich das ganze Dilemma. C ruft sofort D an und er-

klärt diesem, „der Kaufvertrag sei null und nichtig“, denn ihr sei nicht bewusst gewesen, dass

die Briefmarken wertvolle Sammlerstücke seien. Ihre Ansprüche gegen D trete sie vorsorglich

an B ab, der damit auch einverstanden sei. D wendet ein, er habe nicht wissen können, dass C

die Briefmarken eigenmächtig an sich genommen habe. Im Übrigen käme es darauf bei

Briefmarken ohnehin nicht an. Außerdem passiere, solange er von C den gezahlten Kaufpreis

von 5,50 Euro nicht wiederbekomme, „hier erst mal gar nichts“.

Aufgabe: Kann B – aus eigenem Recht oder abgetretenem Recht der C - von D Heraus-

gabe der Briefmarken verlangen?

Dieser Text unterliegt dem geltenden Leistungsschutz- und Urheberrecht. Unerlaubte Ver-vielfältigung, Wiedergabe oder Einspeicherung in automatisierte Dateien außerhalb der engen Grenzen des UrhG sind verboten und werden ggf. sowohl straf- als auch zivilrechtlich ver-folgt.

HINWEIS: Klausurbearbeitungen können noch bis zum Montag, 30.01.2017, bis spätestens 11 Uhr in das Postfach des Lehrstuhls Prof. Bachmann beim Wachschutz am Eingang UL 9 eingewor-fen werden. Bitte keine lose Blattsammlung einwerfen und auf die Wertmarken achten. Eine Abgabe am Lehrstuhl ist - anders als bisher - nicht mehr möglich. Die Klausur wird am Montag, den 06.02.2017 von 12-14 Uhr in Raum UL 9, 213 besprochen. Korrigierte Klau-suren werden bei der Besprechung ausgegeben oder können nach der Besprechung im Sekre-tariat des Lehrstuhls nur zu den dort angegebenen Sprechzeiten abgeholt werden.

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Lösungshinweise Allgemeine Hinweise an die Korrekturassistenten/innen: Diese Lösungshinweise erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit! Nur weil mögliche Lösungswege hier nicht auftauchen, sind sie noch lange nicht „unvertretbar“ oder ähnliches. Sofern eine Bearbeitung von der hier gewählten Lösung abweicht, ist dies – sofern der Weg nachvollziehbar begründet wurde – nicht schlechter zu bewerten, als ein „Treffen“ der Lö-sungsskizze. Die Klausur weist einen erhöhten Schwierigkeitsgrad auf. Zwar ist sie fast ausschließlich durch saubere Gesetzesarbeit lösbar, allerdings liegt ihr thematischer Schwerpunkt im Mobi-liarsachenrecht und in den gesetzlichen Schuldverhältnissen – namentlich im Recht der Ge-schäftsführung ohne Auftrag und im Bereicherungsrecht. Dabei handelt es sich um Rechtsin-stitute, die den Studierenden erfahrungsgemäß Probleme bereiten, gleichzeitig aber eine hohe Examensrelevanz aufweisen. Für eine überdurchschnittliche Bewertung galt es zu erkennen, dass der Eigentumserwerb des abwesenden B bereits mit Aushändigung der Briefmarken an A eingetreten ist. Hier war eine saubere Prüfung gefordert, die deutlich macht, wie genau der B Eigentum erworben hat. Gute (und sehr gute) Bearbeiter diskutierten darüber hinaus im Rah-men des § 935 II 2 BGB die Rechtsnatur von Briefmarken und erläuterten zusätzlich die Möglichkeit einer analogen Anwendung des § 816 I 2 BGB. Aus didaktischen Gründen ist die „Musterlösung” um Hinweise und typische Klausurfehler ergänzt. Sie ist deshalb deutlich umfangreicher, als es in einer Klausurlösung erwartet werden kann.

A. Ansprüche aus eigenem Recht

I. Anspruch B gegen D aus § 985 BGB B könnte gegen D einen Anspruch auf Herausgabe der Briefmarken aus § 985 BGB haben.

1. Besitz des D D ist Besitzer der Briefmarken.

2. Eigentum des B B müsste Eigentümer der Briefmarken sein. Ursprünglich war der Flohmarktverkäufer (jeden-falls vermuteter, § 1006 I BGB) Eigentümer der Briefmarken. Möglicherweise hat er es aber durch Übereignung (§ 929 S. 1 BGB) wieder verloren. Hinweis: Briefmarken werden nach mittlerweile allgemeiner Meinung als (kleine) Inhaber-papiere i.S.d. § 807 BGB eingeordnet.1 Inhaberpapiere werden „ganz gewöhnlich“ durch

1 Vgl. BGHZ 164, 286; vertiefend MüKo/Habersack, 5. Aufl, § 807 Rn 12 f; vor der Privatisierung der Deutschen Post AG wurde dagegen noch vielfach vertreten, dass es sich bei Briefmarken um „Geld-surrogate“ handle, vgl. K. Schmidt JuS 1990, 62, 63; selbst wenn man dieser überkommenden Ansicht folgt, hat dies freilich keine Auswirkungen auf die Rechtstechnik der Veräußerung.

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Übergabe und Übereignung gem. §§ 929 ff. BGB veräußert (arg. e contrario § 935 II BGB; Merke: „Das Recht aus dem Papier folgt dem Recht am Papier“). Anders ist die Rechtstech-nik bei Namenspapieren, die via Abtretung der verbrieften Forderung übergehen (§§ 398 ff., 952 I BGB; Merke: „Das Recht am Papier folgt dem Recht aus dem Papier“).2 Eine Ausei-nandersetzung mit der Rechtsnatur von Briefmarken, bzw. mit der Rechtstechnik ihrer Über-tragung ist an dieser Stelle jedoch für die Bearbeitung nicht relevant und erfolgt hier nur der Vollständigkeit halber.

a) Übereignung des Flohmarktverkäufers an A (§ 929 S. 1 BGB) Die Briefmarken wurden dem A vom Flohmarktverkäufer „in die Hände gedrückt“, dies könnte bei unbefangener Betrachtung für eine zunächst erfolgte Übereignung an A sprechen (§ 929 S. 1 BGB). Zwar ist solch eine Veräußerung „übers Eck“ (Marktverkäufer übereignet an A, dieser sodann an B, sog. Durchgangserwerb ggf. durch Geheißerwerb) zwar konstruktiv möglich, vorliegend jedoch kaum überzeugend: Denn A handelt erkennbar in fremden Na-men; jedenfalls der (an sich hier nicht interessierende; Trennungsprinzip!) Kaufvertrag kommt unzweifelhaft zwischen dem Verkäufer und B zustande (kein Fall der verdeckten Stellvertretung bzw. eines Kommissionsgeschäfts!).3 Gleiches gilt aber auch für das hier rele-vante Verfügungsgeschäft: Selbst wenn dies nur konkludent durch „stumme“ Übergabe voll-zogen wird, folgt aus der Auslegung der Erklärungen und den Interessen der Parteien (§§ 133, 157 BGB), dass der Marktverkäufer durch die Verfügung seinen Kaufvertrag mit B erfüllen, mithin direkt an diesen übereignen möchte. Auch A hat kein Interesse an einem Durchgangs-erwerb – mit der Folge, dass er kurzzeitig selbst Eigentümer wäre – da er ohne Eigeninteresse (Kommission, Schenkung etc.) direkt „für B erwerben möchte“, also ihn unmittelbar in die Eigentümerstellung einrücken lassen will, um sich so selbst aus der dinglichen Abwicklung größtmöglich herauszuhalten. Interessengerecht ist somit allein ein direkter Erwerb des B vom Marktverkäufer ohne Durchgangserwerb des A. Hinweis: Vielen Bearbeitern bereitete die dingliche Abwicklung große Probleme. Vielfach wurde ohne Umschweife eine Übereignung an A angenommen und eine Weiterübertragung auf B – mehr oder weniger stillschweigend – unterstellt. Dies ist aber bereits klausurtaktisch (B ist nie unmittelbarer Besitzer geworden!) wenig zielführend, da sonst die Prüfung schnell am Ende wäre. Andere Bearbeiter bejahten zwar eine Übereignung an B, problematisierten jedoch nicht wie die Übergabe erfolgte, bzw. folgerten aus der rechtsgeschäftlichen Vertre-tung auf eine „Vertretung im Besitz“. Darin liegt ein schwerer Fehler: Die Besitzübertragung nach § 929 S. 1 BGB („Übergabe“) ist – abgesehen vom Spezialfall des § 854 II BGB – im-mer ein Realakt, auf den die §§ 164 ff. BGB nicht anwendbar sind!4

b) Übereignung des Flohmarktverkäufers an B (§ 929 S. 1 BGB) Möglicherweise hat er aber das Eigentum durch Veräußerung an B verloren (§ 929 S. 1 BGB).

2 Vertiefend Medicus/Lorenz Schuldrecht II-2, 15. Aufl, Rn 1051 ff, 1060. 3 Dazu vertiefend Baur/Stürner Sachenrecht, 18. Aufl, § 7 Rn 37 ff. 4 Vgl. Baur/Stürner Sachenrecht, 18. Aufl, § 51 Rn 18; Bamberger/Roth/Kindl, 24. Ed, § 929 Rn 22.

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Hinweis: Hier liegt keine Übergabe nach §§ 929 S. 1, 930 BGB vor, da nicht der Veräußerer den Besitz für den Erwerber mittelt, sondern – dazu sogleich – der A, womit nur § 929 S. 1 BGB einschlägig ist.

aa) Einigung B müsste sich mit dem Verkäufer über den Eigentumsübergang geeinigt haben. B selbst hat indes keine Willenserklärung abgegeben. Möglicherweise ist ihm aber die Willenserklärung des A zuzurechnen (§§ 164 ff. BGB). B hat eine eigene Willenserklärung abgegeben – die Übermittlung einer fremden Erklärung scheidet aus, da eine solche zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht vorliegt: B weiß von dem Vorgang nichts und hat ihn auch nicht initiiert. A hat auch im fremden Namen gehandelt („im Namens meines Freundes B erwerben“), auf Grund der Interessenlage bezieht sich die Erklärung auch auf das Verfügungsgeschäft (s.o.). A hatte jedoch zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung nicht die erforderliche Vertretungsmacht. Allerdings ist dies unschädlich, denn B hat das Rechtsgeschäft – trotz Zögerns – doch noch durch Erklärung am Telefon gegenüber A genehmigt (§ 177 I BGB). Die Genehmigung wirkt auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück (§ 184 I BGB). Das Rechtsge-schäft wird so behandelt, als habe der Vertreter bei Vertragsschluss Vertretungsmacht ge-habt.5 Die Willenserklärung des A wirkt somit nur für den B; er und der Verkäufer haben sich über den Eigentumsübergang geeinigt. bb) Übergabe Die Briefmarken müssten dem B i.S.d. § 929 S. 1 BGB übergeben worden sein. Dies setzt voraus, dass der Veräußerer jede Besitzposition verliert und der Erwerber (irgend-)eine Besitzposition erlangt.6 Der Marktverkäufer hat keine Besitzposition mehr. B selbst hat indes die Briefmarken nie „in den Händen gehalten“, was zunächst gegen eine eigene Besitzposition zu sprechen scheint. Jedoch könnte B bereits durch die Übergabe der Briefmarken an A Be-sitz erlangt haben. A ist jedenfalls nicht Besitzdiener des B (§ 855 BGB), denn beide sind lediglich Freunde die in einer Wohnungsgemeinschaft (WG) zusammenwohnen, woraus kein (einseitiges) soziales Abhängigkeitsverhältnis oder eine Weisungsgebundenheit folgt. B hatte also zu keinem Zeitpunkt den unmittelbaren Besitz an den Briefmarken inne. Möglicherweise hat A jedoch mittelbaren Besitz erlangt. Dies verlangt ein (konkretes) Besitzmittlungsverhält-nis zwischen A und B (§ 868 BGB), vermöge dessen der unmittelbare Besitz des A nur vom Besitzrecht des B abgeleitet ist, A mit Fremdbesitzerwillen handelt und – zentral – B ein wirksamer und durchsetzbarer Herausgabeanspruch gegen A zusteht.7 (1) Kein Auftrags- oder Verwahrungsverhältnis. Zwischen A und B besteht zum Zeitpunkt der Übergabe der Briefmarken kein Auftragsver-hältnis (§ 662 BGB), denn B weiß zu diesem Zeitpunkt gar nichts von der Aktion des A. Hinweis: Noch vertretbar wäre die Annahme, dass A in dem Moment, als er die Briefmarken erblickt, ein Auftragsverhältnis mit sich selbst als Vertreter des B schließt. Dabei würde es 5 Vgl. Bamberger/Roth/Valenthin, 24. Ed, § 177 Rn 30. 6 Vgl. Kropholler Studienkommentar BGB, 13. Aufl, § 929 Rn 6. 7 Zu diesen Voraussetzungen Hk-BGB/Eckert, 6. Aufl, § 868 Rn 2 ff.

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sich dann um ein schwebend unwirksames Insichgeschäft i.S.d. § 181 BGB handeln. Zwar hätte dieses der B wohl telefonisch genehmigt – es wäre also rückwirkend (§ 184 I BGB!) wirksam – jedoch überzeugt diese Konstruktion im Ergebnis wegen der Wertung des § 684 S. 2 BGB nicht: Denn danach führt eine spätere Genehmigung der zunächst auftragslosen Tä-tigkeit zur Anwendung des § 683 BGB – und damit zum Entstehen des gesetzlichen Schuld-verhältnisses der „berechtigten“ GoA und nicht rückwirkend zu einem rechtsgeschäftlichen Auftragsverhältnis.8 (2) „Berechtigte“ Geschäftsführung ohne Auftrag. Möglicherweise besteht zwischen A und B ein Besitzmittlungsverhältnis in Gestalt der „be-rechtigten“ Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA), vermöge dessen der A für den B besitzt. Dass es sich dabei um ein gesetzliches Schuldverhältnis handelt ist unschädlich, da § 868 BGB – trotz seines unglücklichen Wortlauts – auch Schuldverhältnisse kraft gesetzlicher Entstehung umfasst.9 Bei dem Erwerb der Briefmarken (Gesamtvorgang!) handelt es sich um eine geschäftsbesor-gende Tätigkeit i.S.d. § 677 BGB. Dabei ist das Geschäft zunächst „neutral“ – es ist nicht aus der Tätigkeit bereits objektiv erkennbar, dass A ein Geschäft für den B führt. Allerdings gibt A durch den äußerlich erkennbaren Fremdbezug („für meinen Freund B“) zu erkennen, dass er das Geschäft für den B führen will – es handelt sich somit um ein „subjektiv“ fremdes Geschäft.10 A hat deshalb, auch weil er daneben keine eigennützigen Zwecke verfolgte (Kommission, Schenkung etc.), mit Fremdgeschäftsführungswillen gehandelt. A handelte auch auftragslos (s.o.) sowie ohne eine sonstige Berechtigung. Allerdings hat A nicht im Interesse und Willen des B gehandelt (§ 683 S. 1 BGB). Maßgeb-lich ist der Zeitpunkt der Vornahme der Geschäftsführung.11 In diesem Augenblick hatte B die Briefmarkenserie jedoch schon anderweitig selbst erworben, so dass der Erwerb auf dem Flohmarkt weder für ihn objektiv nützlich ist (er hat die Briefmarken bereits) noch subjektiv gewollt war. Zwar hatte B einen Erwerbswillen in der Vergangenheit erkennbar gebildet (gar gegenüber A geäußert), jedoch ist dieser mit dem eigenen Erwerb der Briefmarkenserie ent-fallen. Auf die Kenntnis des Geschäftsführers (A) von diesem nun abweichenden Willen kommt es nicht an, nötig ist allein, dass der Wille des Geschäftsherrn erkennbar geworden ist12 – was hier durch den vorhergehenden Eigenerwerb der Briefmarken der Fall war. Allerdings hat B die Geschäftsführung – trotz anfänglichen Zögerns – doch noch durch Erklä-rung am Telefon gegenüber A genehmigt, § 684 S. 2 BGB. Die Genehmigung verwandelt eine „unberechtigte“ rückwirkend in eine „berechtigte“ GoA und löst die Rechtsfolgen der §§ 677 ff., 683 BGB aus, ohne einen Auftragsvertrag (§ 662 BGB) zu begründen.13 Die Rück-wirkung lässt sich auch unterstützend aus § 184 I BGB herleiten. Die Norm ist jedoch nur analog anwendbar: Zwar ist die Genehmigung eine Willenserklärung, allerdings fordert § 184

8 Vgl. nur Bamberger/Roth/Gehrlein, 24. Ed, § 684 Rn 2. 9 Statt aller Hk-BGB/Eckert, 6. Aufl, § 868 Rn 2. 10 Zu den Kategorien des „subjektiv fremden“, „objektiv fremden“ und „neutralen“ Geschäfts Hk-BGB/Schulze, 6. Aufl, § 677 Rn 3. 11 Vgl. MüKo/Seiler, 5. Aufl, § 683 Rn 11. 12 Zu allem MüKo/Seiler, 5. Aufl, § 683 Rn 5, 9, 11. 13 Vgl. Bamberger/Roth/Gehrlein, 24. Ed, § 684 Rn 2.

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I BGB ein „Rechtsgeschäft“ – die GoA ist aber ein gesetzliches Schuldverhältnis. (3) Zwischenergebnis. Zwischen A und B besteht das – rückwirkend genehmigte – gesetzliche Schuldverhältnis der „berechtigten“ GoA, vermöge dessen A für den B besitzt, da er als Geschäftsführer den Inte-ressen des B unterworfen (§ 681 S. 1 BGB) und auch zur Herausgabe des erlangten Besitzes verpflichtet ist (§§ 681 S. 2, 667 BGB). Unabhängig davon, ob man überhaupt einen Besit-zerwerbswillen auf Seiten des mittelbaren Besitzers fordert,14 hat B ohnehin durch die Ge-nehmigung der zunächst „unberechtigten“ GoA einen derartigen Willen bekundet. Es ist dann nur konsequent – reziprok zu der Rechtswirkung der Genehmigung der „unberechtigten“ GoA (§ 684 S. 2 BGB) – auch den Besitzwillen des mittelbaren Besitzers in die Vergangenheit wirken zu lassen (ex tunc!).15 B hat somit im Augenblick der Übergabe an A mittelbaren Be-sitz an den Briefmarken erlangt. cc) Berechtigung Der Verkäufer war auch als (jedenfalls vermuteter, § 1006 I BGB) Eigentümer berechtigt über die Briefmarken zu verfügen.

dd) Zwischenergebnis B ist damit mit Übergabe der Briefmarken an A Eigentümer derselben geworden. Hinweis: Die Verfügung ist auch nicht wegen § 184 II BGB unwirksam. Die Norm kann man zwar mit dem folgenden Gedanken in Erwägung ziehen: Die Genehmigung der vollmachtlo-sen Einigung und der besitzvermittelnden GoA erfolgt zeitlich erst nach der Verfügung der C an den D, und § 184 II BGB normiert, dass eine an sich rückwirkende Genehmigung eine frühere Verfügung unberührt lässt. Jedoch liegt der Norm der Fall zu Grunde, dass der Be-rechtigte nach einer eigenen Verfügung eine zeitlich frühere Verfügung eines Nichtberechtig-ten i.S.d. § 185 I BGB genehmigt und so die spätere, eigene Verfügung wieder vereiteln wür-de.16 Hier verfügt ausschließlich eine Nichtberechtigte (die C) und es liegt auch keine Ge-nehmigung einer nicht berechtigten Verfügung (kein § 185 I BGB mit der Folge des Rechts-verlustes), sondern die Genehmigung zum eigenen Rechtserwerb (§ 177 I, 684 S. 2 BGB) vor, die § 184 II BGB nicht erfasst.

3. Verlust des Eigentums durch Übereignung der C an den D (§§ 929 S. 1, 932 I BGB) Möglicherweise hat B aber das Eigentum durch Veräußerung der C wieder an den D verloren (§§ 929 S. 1, 932 I BGB).

14 Dafür etwa Westermann Sachenrecht, 11. Aufl, § 19 I 2; Bamberger/Roth/Fritzsche, 24. Ed, § 868 Rn 30; ablehnend MüKo/Joost, 5. Aufl, § 868 Rn 21. 15 Ganz h.M., vgl. BGH WM 1956, 1279, 1281; RGZ 98, 131, 134 f; MüKo/Joost, 5. Aufl, § 868 Rn 5; Bamberger/Roth/Fritzsche, 24. Ed, § 868 Rn 19; Baur/Stürner Sachenrecht, 18. Aufl, § 7 Rn 49; a.A. nur Westermann Sachenrecht, 11. Aufl, § 19 I 2, der wegen der starken Fokussierung auf den Besitz-willen von einem ex nunc ab der Genehmigung der GoA entstehenden Besitzmittlungsverhältnis aus-geht. 16 Vgl. Bamberger/Roth/Bub, 24. Ed, § 184 Rn 11.

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a) Einigung, Übergabe, Berechtigung C und D haben sich geeinigt, C hat auch nicht die Einigung – sondern nur den Kaufvertrag! – angefochten („der Kaufvertrag ist null und nichtig“). Ferner hat C dem D die Briefmarken übergeben. Jedoch war sie dazu nicht berechtigt, B hat die Verfügung auch nicht i.S.d. § 185 I BGB genehmigt. Hinweis: Wenn man sich über den klar geäußerten Willen der C hinwegsetzt, und ihre Erklä-rung auch als Anfechtung der Verfügung auffasst, so muss geklärt werden, ob der Irrtum bis in die Einigung fortwirkt (Trennungs- und Abstraktionsprinzip!). Dem steht eine verbreitete Ansicht ablehnend gegenüber.17 Zwar könne die fehlerhafte Vorstellung über die Sacheigen-schaft auch für den Abschluss des Verfügungsgeschäftes kausal sein, jedoch handle es sich dabei nur um eine „mittelbare Kausalität“, die für die Durchbrechung des Abstraktionsprin-zips nicht ausreichend sei. Das unmittelbare Motiv für die Verfügung soll dagegen der Wille zur Erfüllung der schuldrechtlichen Verpflichtung darstellen. Andere sind jedoch deutlich großzügiger und bejahen gerade bei Vorliegen eines Eigenschaftsirrtums nach § 119 II BGB einen Fall der Fehleridentität.18 Ob man so weit gehen sollte, erscheint indes sehr zweifelhaft. Wird jedenfalls – wie hier – vom Klausursteller eindeutig nur eine Anfechtung des Kaufver-trages vorgegeben, sollte sich der Bearbeiter daran halten. Denn in der Regel – und so auch hier – denkt sich der Klausursteller etwas dabei.

b) Gutgläubiger Erwerb (§ 932 I BGB) D war jedoch gutgläubig i.S.d. § 932 I BGB, da er davon ausging, die C sei Eigentümerin. Einen Anlass daran zu zweifeln, gab es nicht.

c) Aber: Abhandenkommen (§ 935 I 2 BGB)? Möglicherweise steht dem Erwerb § 935 I 2 BGB entgegen, da die Briefmarken dem unmit-telbaren Besitzer A abhandengekommen sind. Der Weiterverkauf durch die C war nicht von seinem Willen gedeckt, auch ist die C nicht Besitzmittlerin des A. Er hat den unmittelbaren Besitz damit gegen bzw. ohne seinen Willen verloren. Freilich wäre die Norm wegen § 935 II BGB gar nicht anwendbar, wenn es sich bei Brief-marken um Inhaberpapiere handeln würde. Ein (kleines) Inhaberpapier i.S.d. § 807 BGB liegt vor, wenn der Aussteller des Papiers sich durch Leistung an den Inhaber befreien kann, der Inhaber die versprochene Leistung zu fordern berechtigt ist und der Besitz der Urkunde zur Geltendmachung des Rechts oder der Forderung erforderlich – aber auch ausreichend – ist.19 Dies ist bei einer gültigen Briefmarke der Fall, denn der Aussteller (Deutsche Post AG) will die Beförderungsleistung gegenüber jedem, der gültige Briefmarken in Höhe des vorgesehe-nen Leistungsentgelts auf die jeweilige Postsendung klebt, mit schuldbefreiender Wirkung erbringen, ohne dass es auf einen weiteren Berechtigungsnachweis als den Besitz an der Briefmarke ankäme.20 Folglich steht dem gutgläubigen Erwerb von Briefmarken grundsätz-lich nicht entgegen, dass diese zuvor dem Rechtsinhaber – bzw. dem unmittelbaren Besitzer –

17 So etwa Faust BGB AT, 2. Aufl, § 21 Rn 16. 18 Vgl. etwa Bork BGB AT, 3. Aufl, Rn 921. 19 So die übliche Definition, vgl. MüKo/Habersack, 5. Aufl, § 807 Rn 6. 20 Anerkannt seit BGHZ 164, 286; dazu bereits oben Fn 1.

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abhandengekommen sind, da hier das Gesetz das öffentliche Verkehrsinteresse dem privaten Integritätsinteresse des Eigentümers vorzieht.21 Allerdings handelt es sich hier um Briefmarken in limitierter Sonderedition. Diese zirkulieren in der Regel nicht wie „normale“ Briefmarken im Rechtsverkehr, sondern werden von Lieb-habern gesammelt, weshalb hier doch das Affektionsinteresse der Eigentümer überwiegen könnte. Erwägenswert ist somit eine enge Auslegung (bzw. teleologische Reduktion) des § 935 II BGB, wie sie auch bei historischen Sammlermünzen etc. üblich ist.22 Indes sprechen die besseren Argumente dagegen: Denn – so banal es klingen mag – auch „Sonderbriefmar-ken“ sind umlauffähige Briefmarken und damit zugelassene „Briefzahlungsmittel“ im Rechtsverkehr. Der entscheidende Grund für die Ausgrenzung von historischen Sammler-münzen etc. aus dem Anwendungsbereich des § 935 II BGB ist der Verlust ihrer Zahlungs-funktion und die damit einhergehende Einbuße der besonderen Umlauffähigkeit. Die hiesigen Briefmarken sind jedoch vollgültig, weshalb das Verkehrsinteresse das private Affektionsinte-resse des Eigentümers überwiegt.

d) Zwischenergebnis D ist somit Eigentümer der Briefmarken geworden.

II. Ergebnis B hat somit gegen D keinen Anspruch auf Herausgabe der Briefmarken aus § 985 BGB.

III. Anspruch des B gegen D aus §§ 869 S. 1, 861 BGB B kann auch nicht von D die Wiedereinräumung des Besitzes an den bisherigen (unmittelba-ren) Besitzer A verlangen. Denn D selbst hat nicht durch verbotene Eigenmacht (§ 858 I BGB) dem A seinen (unmittelbaren) Besitz entzogen (das war C) und muss die Fehlerhaf-tigkeit des Besitzes auch nicht gegen sich gelten lassen (§ 858 II BGB), da er bei Erwerb gutgläubig war (s.o.).

IV. Anspruch des B gegen D aus § 1007 I, II BGB Ebenso scheitert ein Anspruch aus § 1007 I, II BGB. D war gutgläubig (§ 1007 I BGB). Zwar steht der Anspruch aus § 1007 II BGB dem Grunde nach auch dem ehemals mittelbaren Be-sitzer zu und die Briefmarken sind auch dem B abhandengekommen. Jedoch ist der Anspruch – folgerichtig – bei Besitzverlust von Geld und Inhaberpapieren ausgeschlossen, § 1007 II 2 BGB.

V. Anspruch des B gegen D aus § 812 I 1 Alt. 2 BGB (Nichtleistungskondiktion) Ferner scheidet ein Anspruch aus Nichtleistungskondiktion aus. Zwar hat D Besitz und Eigen-tum an den Briefmarken erlangt und gegenüber B besteht kein Behaltensgrund. Jedoch hat D beide Rechtspostionen durch Leistung der C erlangt, folglich sperrt diese Leistungsbeziehung (Subsidiaritätsdogma, e contrario § 816 I 2 BGB)23 den direkten Durchgriff des B. 21 Vgl. Bamberger/Roth/Kindl, 24. Ed, § 935 Rn 14. 22 Dazu BGH NJW 1984, 1311; ferner MüKo/Oechsler, 5. Aufl, § 935 Rn 15. 23 Dieser Hinweis ist in der Klausur in der Regel ausreichend. Umfassende Darstellung zu Bereiche-rungsansprüchen im Mehrpersonenverhältnis bei Schwarz/Wandt Gesetzliche Schuldverhältnisse, 3. Aufl, § 13.

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Hinweis: Dieser Anspruch muss nicht zwingend geprüft werden, sondern es ist auch möglich direkt zum § 816 I 2 analog überzugehen. Denn § 816 ist nach h.M. ein Sonderfall der Nicht-leistungskondiktion und insofern – auch bei analoger Anwendung – lex specialis.24 Die Prü-fung erfolgt hier nur, um so die mögliche Gesetzeslücke deutlicher aufzuzeigen.

VI. Anspruch des B gegen D aus § 816 I 2 BGB analog Möglicherweise steht B jedoch nach § 816 I 2 BGB analog ein direkter Durchgriffsanspruch gegen D zu. Die Norm ist nicht unmittelbar anwendbar, denn die Verfügung der C an den D erfolgte nicht unentgeltlich (Gegenleistung i.H.v. 5,50 Euro). Möglicherweise ist es aber inte-ressengerecht, die Norm analog auch auf den rechtsgrundlosen Erwerb zu erstrecken. Dies kommt aber überhaupt nur dann in Betracht, wenn der Erwerb des D rechtsgrundlos erfolgte, also der Kaufvertrag zwischen C und D nichtig ist. Dass der Kaufvertrag zunächst rechtswirk-sam geschlossen wurde, ist unzweifelhaft.

1. Anfechtung des zwischen C und D geschlossenen Kaufvertrags In Betracht kommt aber eine wirksame Anfechtung des Kaufvertrags durch C. Der Rechts-grund wäre dann rückwirkend entfallen, § 142 I BGB.

a) Anfechtungserklärung Indem C den D anrief und sagte, der „Kaufertrag sei null und nichtig“, hat sie die Anfechtung erklärt (§ 143 I BGB).

b) Anfechtungsgrund Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 I Alt. 1 BGB) scheidet aus. Denn wer lediglich die mangelnde Marktkenntnis des Vertragspartners ausnutzt, handelt nicht arglistig, sofern ihn nicht in besonderen Fällen, wie etwa in besonderen Treue- oder Vertrauensverhält-nissen oder bei überragender wirtschaftlicher Bedeutung des Geschäfts für den Vertrags-partner, eine Aufklärungspflicht trifft.25 Eine derartige Situation war hier nicht gegeben. Ein Anfechtungsgrund könnte allerdings aus § 119 II BGB folgen. Danach berechtigt ein Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften zur Anfechtung. Als verkehrswesentliche Sacheigenschaft i.S.v. § 119 II BGB kommen alle wertbildenden Faktoren (also nicht der Wert selbst!) in Betracht, die die Sache unmittelbar kennzeichnen, bzw. ihr auf Dauer anhaf-ten und für die Verkehrsanschauung, Wertschätzung oder Verwendbarkeit von Bedeutung sind.26 Die Eigenschaft, dass die Briefmarken als Teil einer limitierten Sonderserie Sammler-stücke sind, bildet den entscheidenden, dauerhaften Faktor für die Preisbildung: Der Verkehr weist ihnen deshalb einen bestimmten, den Nennwert übersteigenden Marktwert zu. C ist aber gerade davon ausgegangen, es handele sich um übliche Briefmarken, was sie durch den ge-forderten Kaufpreis zum Nennwert deutlich gemacht hat. Folglich ergibt sich schon aus Inhalt und Umständen des konkreten Rechtsgeschäfts, dass die C ihrer Erklärung eine bestimmte Eigenschaft (übliche Briefmarken, keine Sammlerstücke) als wesentlich zugrunde gelegt hat, weshalb ihr Irrtum zur Anfechtung berechtigt. Auch stellt sich hier das Konkurrenzproblem

24 Eingehend Bamberger/Roth/Wendehorst, 24. Ed, § 816 Rn 2 ff. 25 Vertiefend MüKo/Armbrüster, 5. Aufl, § 123 Rn 10 ff. 26 Vgl. BGHZ 34, 41; 88, 245; ferner Hk-BGB/Dörner, 6. Aufl, § 119 Rn 16.

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zwischen den Sachmängelansprüchen und einem Anfechtungsrecht aus § 119 II BGB nicht,27 weil nicht der Käufer (D), sondern der Verkäufer (C) anficht. Ferner handelt C nicht rechts-missbräuchlich, um die Gewährleistungsrechte des D zu vereiteln. Der Irrtum über die ver-kehrswesentlichen Eigenschaften der Briefmarken berechtigt C also zur Anfechtung (§ 119 II BGB). Hinweis: Die unterschiedlichen Lehren zum Eigenschaftsirrtum sind kaum überschaubar. 28 In der (Examens-)Klausur genügt in der Regel eine saubere Darstellung, die vor allem die Unterscheidung von „wertbildenden Faktoren“ im Gegensatz zum „Wert an sich“ betont.

c) Anfechtungsfrist C hat die Anfechtung auch sofort nach Kenntnis ihres Irrtums, also ohne schuldhaftes Zögern und damit unverzüglich (§ 121 I BGB), erklärt.

d) Zwischenergebnis C hat somit erfolgreich angefochten, der Kaufvertrag ist von Anfang an nichtig, § 142 I BGB. Demnach erfolgte die Verfügung zwischen C und D rechtsgrundlos.

2. Analoge Anwendung des § 816 I 2 BGB bei rechtsgrundloser Verfügung? Fraglich ist jedoch, ob bei rechtsgrundloser Verfügung § 816 I 2 BGB überhaupt analog an-zuwenden ist (Stichwort: „rechtsgrundlos = unentgeltlich?“).

a) Argumente pro Analogie Dies wird vom BGH und einem Teil der (älteren) Lehre bejaht („Lehre von der Einheitskon-diktion“) :29 Wie die vorausgehende Prüfung gezeigt habe, werde der gutgläubige Erwerber (D) geschützt, der Erwerb ist grundsätzlich auch kondiktionsfest. Der frühere Eigentümer (B) müsse sich grundsätzlich an den Nichteigentümer halten, der über die Sache verfügt hat (C), und kann von diesem nur herausverlangen, was er durch die Verfügung an den gutgläubigen Erwerber (D) erlangt hat (§ 816 I 1 BGB). Eine Ausnahme gelte nach § 816 I 2 BGB, wenn der Nichteigentümer (C) unentgeltlich verfügt hat; dann könne der frühere Eigentümer (B) doch Herausgabe der Sache von dem gutgläubigen Erwerber (D) verlangen, nur hier sei ein direkter Durchgriff vom Gesetz zugelassen. Die Gründe für diese Regelung sind für den BGH klar: „Ein Bereicherungsanspruch gegen den verfügenden Nichteigentümer kommt hier nicht in Betracht, weil dieser durch die Verfügung nichts erlangt hat; geholfen werden kann dem früheren Eigentümer nur, wenn ihm in solchem Falle gestattet wird, gegen den Erwerber vorzugehen; was diesen angeht, so hält der Gesetzgeber es für zumutbar, dass er die Sache herausgeben muss, weil er sie unentgeltlich, ohne etwas aus seinem Vermögen aufzuopfern, erlangt hat.“30 Nach dem BGH gleicht der Fall einer rechtsgrundlosen Verfügung der Interes-senanlage der unentgeltlichen Verfügung, da der Empfänger einer rechtgrundlosen Leistung

27 Dazu ausführlich Bork BGB AT, 3. Aufl, Rn 846. 28 Wegweisend etwa die Lehre von Flume (zum „geschäftsbezogenen Eigenschaftsirrtum“) Allgemei-ner Teil des Bürgerlichen Rechts § 24 2 b. 29 Die folgende Darstellung ist angelehnt an BGHZ 37, 363; vgl. ferner Grunsky JZ 1962, 207; Rotho-eft AcP 163 (1964), 215, 247. 30 Vgl. BGHZ 37, 363, 368.

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ebenso wenig eine Gegenleistung habe entrichten müssen (da er diese ja nach Bereicherungs-recht zurückfordern kann; hier Leistungskondiktion gegenüber C!), wie bei einem von vorn-herein als unentgeltlich gedachten Geschäft. Deshalb – so diese Ansicht – müsse der ehemali-ge Eigentümer auch im Falle der rechtsgrundlosen Verfügung direkt vom gutgläubigen Er-werber Herausgabe verlangen dürfen, da der rechtsgrundlose Erwerber ebenso wie der unent-geltliche Erwerber nicht schutzwürdig sei.

b) Argumente contra Analogie Die Analogie wird von der überwiegenden Meinung zu Recht abgelehnt:31 In den Fällen des unentgeltlichen und des rechtgrundlosen Erwerbs besteht gerade keine vergleichbare Interes-senlage. Denn der Erwerber (D) hat, sofern die Gegenleistung bereits geflossen ist, sehr wohl etwas aus seinem Vermögen aufgewendet (hier den Kaufpreis). Zwar hat er einen Kondikti-onsanspruch gegen den Nichtberechtigten (C), ob dieser aber durchsetzbar oder werthaltig ist (Insolvenzrisiko!), steht auf einem anderen Blatt. Spräche man dem ursprünglichen Eigentü-mer (B) eine Direktkondiktion gegen den Erwerber (D) zu, so würden ihm zudem etwaige Einwendungen abgeschnitten, die er gegen seinen Vertragspartner, den nichtberechtigt Verfü-genden (C), hätte erheben können. Diese Gefahr besteht beim unentgeltlichen Empfang einer Leistung gerade nicht, da hier nichts zurückgewährt werden muss. Deshalb ist auch nur hier eine Durchbrechung des Prinzips des Vorrangs der Leistungsbeziehungen gerechtfertigt. Im Fall der rechtsgrundlosen Verfügung hat der frühere Eigentümer (B) deshalb nur einen An-spruch gegen den Nichtberechtigten (C) auf Abtretung des Kondiktionsanspruchs gegen den Erwerber (D). Bei dieser Kondiktion übers Eck („Kondiktion der Kondiktion“) kann sodann der Erwerber dem früheren Eigentümer (Zessionar) die Einwendungen aus dem Verhältnis zum Nichtberechtigten (Zedenten) entgegenhalten (§ 404 BGB).

V. Ergebnis B hat gegen D auch keinen Anspruch auf Herausgabe der Briefmarken aus § 816 I 2 BGB analog.

B. Ansprüche aus abgetretenem Recht der C

I. Anspruch B gegen D aus §§ 812 I 1 Alt. 1, 398 S. 1 BGB Möglicherweise steht B jedoch ein Anspruch aus abgetretenem Recht der C zu. Vorliegend kommt ein Anspruch aus Leistungskondiktion (§ 812 I 1 Alt. 1 BGB) in Betracht, denn der Kaufvertrag zwischen C und D wurde von C wirksam angefochten (s.o.). C müsste diesen Anspruch indes wirksam an D abgetreten haben (§ 398 S. 1 BGB), B also Inhaber der Forde-rung sein.

1. Einigung über die Abtretung B und C haben sich über die Abtretung der Forderungen der C gegen D aus der Veräußerung der Briefmarken geeinigt.

31 Vgl. Schwarz/Wandt Gesetzliche Schuldverhältnisse, 3. Aufl, § 11 Rn 45; MüKo/M. Schwab, 5. Aufl, § 816 Rn 59 f.

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Hinweis: Folgt man – wie hier – der überwiegenden Meinung, die die analoge Anwendung des § 816 Abs. 1 S. 2 BGB ablehnt, hat B sogar einen Anspruch aus § 816 I 1 BGB gegen C auf Abtretung ihrer Forderung aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB gegen D („Kondiktion der Kondikti-on“), ist also auf das Entgegenkommen der C gar nicht angewiesen.

2. Inhalt der Abtretung/bestehende Forderung Die Forderung der C gegen D besteht auch: Der Kaufvertrag ist von Anfang an nichtig (s.o.), C hat somit rechtsgrundlos geleistet. C hat gegen D einen Anspruch aus Leistungskondiktion (§ 812 I 1 Alt. 1 BGB).

3. Zwischenergebnis B ist Inhaber der Forderung geworden, § 398 S. 2 BGB.

4. Forderung aber nicht durchsetzbar Allerdings ist der Anspruch nicht durchsetzbar. Denn D hat eingewendet, bis C ihm den Kaufpreis erstatte, „passiere hier gar nichts“. Er verweist damit auf sein Zurückbehaltungs-recht aus § 273 I BGB, das ihm gegenüber C zustand („Ich gebe dir erst die Briefmarken heraus, wenn du mir den Kaufpreis erstattest“) und das er gemäß § 404 BGB dem Zessionar (B) entgegenhalten kann. Hinweis: Dieser Einwendungserhalt ist der entscheidende Unterschied zwischen den Lösun-gen über § 816 I 2 BGB analog bzw. der „Kondiktion der Kondiktion“. Eine gute Bearbei-tung zeichnet sich dadurch aus, dass sie auf diesen zentralen Umstand hinweist und die Inte-ressen herausarbeitet.

II. Ergebnis B hat gegen D einen Anspruch auf Herausgabe der Briefmarken aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB. Dieser ist jedoch – da der D die Einrede des § 273 I BGB erhoben hat – nicht durchsetzbar. Hinweis: Schlussendlich ist B also doch von dem Entgegenkommen der C abhängig. Solange diese dem D nicht den Kaufpreis zurückgewährt, ist B aufgeschmissen. Teilweise wird des-halb vertreten, dass der unberechtigt Verfügende (C) auch die Gegenleistung an den früheren Eigentümer (B) herausgeben müsse, damit dieser in die Lage versetzt werde, die Rückabwick-lung des gescheiterten Kausalgeschäfts zwischen dem Nichtberechtigten (C) und dem Erwer-ber (D) in eigener Regie durchzuführen.32 Derart vertiefte Kenntnisse des Bereicherungs-rechts können freilich von einem Examenskandidaten nicht verlangt werden.

32 Vgl. MüKo/M. Schwab, 5. Aufl, § 816 Rn 60.