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University of Zurich Zurich Open Repository and Archive Winterthurerstr. 190 CH-8057 Zurich http://www.zora.uzh.ch Year: 2009 Kohlenhydrate und Zahnkaries Imfeld, T Imfeld, T (2009). Kohlenhydrate und Zahnkaries. Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin (SZE), 7(3):28-31. Postprint available at: http://www.zora.uzh.ch Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich. http://www.zora.uzh.ch Originally published at: Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin (SZE) 2009, 7(3):28-31.

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University of ZurichZurich Open Repository and Archive

Winterthurerstr. 190

CH-8057 Zurich

http://www.zora.uzh.ch

Year: 2009

Kohlenhydrate und Zahnkaries

Imfeld, T

Imfeld, T (2009). Kohlenhydrate und Zahnkaries. Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin (SZE), 7(3):28-31.Postprint available at:http://www.zora.uzh.ch

Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich.http://www.zora.uzh.ch

Originally published at:Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin (SZE) 2009, 7(3):28-31.

Imfeld, T (2009). Kohlenhydrate und Zahnkaries. Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin (SZE), 7(3):28-31.Postprint available at:http://www.zora.uzh.ch

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Kohlenhydrate und Zahnkaries

Abstract

Die Ernährung während der Zeit der Zahnentwicklung hat auf systemischem Weg keinen klinischrelevanten Einfluss auf die spätere Kariesanfälligkeit der menschlichen Zähne nach deren Durchbruch.Karies ist somit keine Ernährungskrankheit. Karies ist die Folge lokaler chemischer und mechanischerEinwirkungen von Nahrungsmitteln auf die Zahnoberflächen nach dem Zahndurchbruch. KariöseLäsionen entstehen infolge chronischer unterminierender Demineralisation der Zähne durch organischeSäuren, welche im Mund in den bakteriellen Zahnbelägen durch Vergärung von Zuckern aus Nahrungs-und Genussmitteln entstehen. Die physikalisch-chemischen Vorgänge bei der Demineralisation undRemineralisation von Zahnhartsubstanz werden erklärt. Eine Ernährung gemäss Lebensmittelpyramideder SGE erfüllt die Anliegen der Kariesprävention.

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Einfluss der Ernährung vor demZahndurchbruch auf die Zahnhart-substanzen

Die Ernährung und ihre Folgen im ganzenKörper können Zahnhartsubstanzen nurwährend ihrer Bildung, das heisst vor demZahndurchbruch, beeinflussen. Milch-zähne brechen durchschnittlich zwischendem 8. und 27. Monat nach der Geburtdurch, die bleibenden Zähne zwischendem 6. und 19. Altersjahr. Bei der Zahn-entwicklung wird erst eine organischeMatrix gebildet, die anschliessend mine-ralisiert wird. Während der Matrixbildungkönnen extreme Ernährungsdefizite ex-terne Schmelzhypoplasien mit Form -defekten wie Grübchen oder Dellen verursachen; während der Schmelzmine-ralisation können sie zu opaken weissli-chen Flecken an Zahnkronen führen, je-doch nicht zu Formveränderungen. Man-gelernährung während der Zahnbildung– mit Ausnahme von Vitamin-D-Mangel –beeinflusst das Skelett lange vor den Zäh-nen, da der Mineralbedarf der Zahnkeimevergleichsweise sehr gering ist (1). Tier-versuche zeigten, dass – im Gegensatzzum Knochen – Zähne, die während Kalzi-um- und Phosphatmangelperioden ge-

bildet wurden, eine normale Mineralzu-sammensetzung aufweisen. Umgekehrtkönnen in Mangelperioden Kalzium undPhosphate auch nicht mehr aus Zähnenmobilisiert werden. Dies gilt für Kinderund Erwachsene. Zahnschäden beiSchwangeren können also nicht mit De-mineralisation zugunsten des Ungebore-nen («Ein Kind, ein Zahn») entschuldigtwerden. Strukturelle Unregelmässigkei-ten und Hypoplasien scheinen beim Men-schen die Kariesanfälligkeit nicht wesent-lich zu beeinflussen. Ausser bei Fluorid istvon keinem Spurenelement eine karies -resistenzerhöhende Wirkung bewiesen.Die Ernährung während der Zahnent-wicklung hat weder auf die Kariesanfällig-keit noch auf die parodontale Gesundheitder durchgebrochenen Zähne einen kli-nisch relevanten Einfluss (2).

Lokale Wirkung von Nahrungs -mitteln auf die Zahnhartsubstanzenund die Entstehung von Karies

Die äussere Schicht der durchgebroche-nen Zahnkronen besteht aus Schmelz, einem nicht vitalen Gewebe, das keinenStoffwechsel hat, keine Energie konsu-miert und keine aktive Regeneration

zeigt. Die Zahnhartsubstanzen sind je-doch lokal wirkenden chemischen undmechanischen Einflüssen von Nahrungs-und Genussmitteln ausgesetzt. Karies istalso keine systemische Folge einer Ernäh-rungsstörung, sondern ein pathologi-scher, unter einem bakteriellen Zahnbe-lag an der Zahnoberfläche beginnenderund langsam unterminierend in die Tiefefortschreitender Entkalkungs- und Auflö-sungsprozess von Schmelz und/oderDentin durch bakteriell erzeugte Säuren.Substrat für die Säureproduktion sindKohlenhydrate aus Nahrungs- und Ge-nussmitteln.Massgebend für die Entstehung von Ka-ries sind vier Elemente: Zähne, Nahrungs-mittel (Substrat), bakterieller Zahnbelag(Biofilm) und Zeit. 1950 bewiesen Kite etal. (3) die Notwendigkeit des physischenKontaktes zwischen Nahrungsmittelnund Zähnen. Versuchstiere, denen einekariesfördernde zuckerreiche Diät perMagensonde (ohne Zahnkontakt) verab-reicht wurde, entwickelten keine Karies.Die Hauptrolle der Kohlenhydrate wurde1953 von Haldi et al. (4) aufgezeigt. Ver-suchstiere, denen der Kohlenhydratanteilper os verfüttert, der Rest der Nahrung je-

Kohlenhydrate und Zahnkaries

Die Ernährung während der Zeit der Zahnentwicklung hat auf systemischem Weg keinen klinisch relevanten

Einfluss auf die spätere Kariesanfälligkeit der menschlichen Zähne nach deren Durchbruch. Karies ist somit

keine Ernährungskrankheit, sondern vielmehr die Folge lokaler chemischer und mechanischer Einwirkungen

von Nahrungsmitteln auf die Zahnoberflächen nach dem Zahndurchbruch. Kariöse Läsionen entstehen infolge

chronischer unterminierender Demineralisation der Zähne durch organische Säuren, die im Mund in den

bakteriellen Zahnbelägen durch Vergärung von Zuckern aus Nahrungs- und Genussmitteln entstehen. Im Fol-

genden werden die physikalisch-chemischen Vorgänge bei der Demineralisation und Remineralisation von

Zahnhartsubstanz erklärt. Eine Ernährung gemäss Lebensmittelpyramide der SGE erfüllt die Anliegen der

Kariesprävention.

THOMAS IMFELD

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doch per Magensonde verabreicht wur-de, entwickelten Karies. Bei umgekehr-tem Vorgehen entwickelten sie keine. Orland et al. (5) illustrierten 1954 die Not-wendigkeit von Bakterien (Zahnbelag).Ihre Versuche mit keimfreien (gnotobioti-schen) Tieren zeigten, dass diese trotzhöchst kariogener Diät keine Karies ent-wickelten, da kein bakterieller Zahnbelagentstehen konnte.

Kohlenhydrate und KariesDas kariogene Potenzial eines Nahrungs-mittels hängt von der Menge und Art derdarin enthaltenen Zucker, von seiner Tex-tur und von der Frequenz der Einnahme(Hauptmahlzeit oder Naschen) ab. Nebenbekannten zuckerhaltigen Produkten wieBonbons, Kuchen, Desserts, Süssgeträn-ken, Marmeladen, Glaces und so weiterenthalten auch eine Vielzahl industriellverarbeiteter Nahrungsmittel grosseMengen an (verstecktem) Zucker. Bei-spiele sind Milch-, Fleisch- und Fischpro-dukte, Salatsaucen, Ketchup und so wei-ter. Alle fermentierbaren Zuckerarten dermenschlichen Nahrung (quantitativ vor-herrschend sind Saccharose, Glukose,Fruktose und Laktose) werden im Zahn-belag metabolisiert, wobei Stärke zuvordurch Amylase des Speichels in Maltosegespalten werden muss. Via Embden-Meyerhof-Glykolyse entstehen Energieund organische Säuren (Milch-, Ameisen-,Brenztrauben-, Butter-, Propion-, Essig-säure). Letztere sammeln sich im Zahn be-lag an und demineralisieren die Zahn-oberfläche bei pH-Werten unter 5,5. Mono- und Disaccharide sind besondersazidogen (säurebildend) und deshalb beihäufigem Verzehr besonders kariogen(kariesauslösend). Saccharose hat eineSchlüsselrolle bei der Kariesentstehung.Nach initialer Anhaftung der oralen Bak-terien umfasst der zweite Schritt des Bio-filmwachstums eine Zellakkumula tion,die erst durch Glukane ermöglicht wird(6). Einzig Saccharose ermöglicht die Bil-dung solcher extrazellulärer Polysaccha-ride. Wasserunlösliche Glukane dienen alsstrukturelle Bestandteile der Zahnbelags-matrix. Wasserlösliche Glukane und Fruk-tane dienen als Reservepolysaccharide,die den Zahnbelägen in Zeiten der Nah-

rungsabstinenz des Wirtes einen Stoff-wechsel mit Säurebildung ermöglichen. Merkmale von Lebensmitteln mit hohemkariogenem Potenzial sind ihre Klebrig-keit und ihr meist hoher Zuckergehalt. In-dustriell gefertigte Süsswaren enthaltenzwischen etwa 20 Prozent (Kaugummi)und 90 Prozent (Bonbons) Zucker. Natur-produkte enthalten zwar verschiedeneZucker und Stärke, aber die lokal in denZahnbelägen verfügbaren Zuckerkon-zentrationen sind nicht hoch. Kariesexpe-rimente an Ratten haben gezeigt, dass die Kariogenität von Nahrungsmittelnmit zunehmender Zuckerkonzentrationsteigt. Der stärkste Kariesbefall wurde beiZuckerkonzentrationen über 20 Prozentbeobachtet. Diese Grenze wird bei natur-belassenen Nahrungsmitteln selten er-reicht. Ausnahmen bilden Honig und eini-ge getrocknete Früchte, die 60 bis 80 Pro-zent Zucker enthalten. Die Säurebildungin den Zahnbelägen ist deshalb nach Ge-nuss von Frischobst und rohem Gemüse(Zuckerkonzentration meist unter 10%)nicht stark. Dies erklärt die niedrige Kario-genität einer vegetarischen Ernährung.

Physikalisch-chemische Vorgängebei der Demineralisation und Remi-neralisation des ZahnschmelzesSchmelz besteht aus Kristallen verschie-dener Apatitarten (Hydroxyl-, Fluorhy-droxyl- oder Fluorapatit). Das Kristallgit-ter der Apatite ist aus Kalzium-, Phos -phat-, Hydroxyl-, Fluorid-, Carbonat- undanderen Ionen aufgebaut. Es ist umgebenvon einer Schicht adsorbierter Ionen undeinem Wassermantel, der Kalzium-, Phos-phat-, Karbonat-, Bikarbonat-, Fluorid-,Hydroxyl-, Magnesium- und andere Ionenenthält (Abbildung 1). Basierend auf dieser schematischen Kris-tallstruktur kann ein intakter Schmelz wiein Abbildung 2 dargestellt werden. Nachdem Zahndurchbruch finden ständigeVeränderungen in und auf der Schmelz-oberfläche statt. Diese können sich nega-tiv auswirken, wenn der Schmelz mit bak-teriellem Zahnbelag (Plaque) bedeckt ist.Es besteht ein kontinuierlicher Austauschvon Kalzium und Phosphaten zwischendem Zahnbelag und der Mundflüssigkeit.Bei Nahrungsaufnahme diffundieren ver-

Abbildung 1: Schmelzkristall

Abbildung 2: Intakter Schmelz

Abbildung 3: Säurediffusion und Demineralisation

Abbildung 4: De-, Re- und Hypermineralisation

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gärbare Kohlenhydrate in die Plaque, wosie metabolisiert werden und organischeSäuren (H+) entstehen (7). Diese Säurenkönnen zum Teil in die Mundflüssigkeitentweichen, dringen aber auch, dissozi-iert oder undissoziiert, in den Schmelzein. Dort diffundieren sie entlang derWasserschicht zwischen den Schmelzkris-tallen (8) und desorbieren Ionen aus derAdsorptionsschicht und/oder aus demKristallgitter. Die betroffenen Kristallewerden demineralisiert (Abbildung 3). Benachbarte demineralisierte und nichtdemineralisierte Kristalle können heraus-gelöste Ionen adsorbieren und damit ei-nen höheren Mineralgehalt erreichen. Siewerden als remineralisierte oder hyper-mineralisierte Kristalle bezeichnet (Abbil-dung 4). Gelöste Kalzium- und Phosphationenkönnen auch in die Plaque entweichen.

Progression und Regression einer kariösen Initialläsion Eine beginnende Oberflächenläsion (Ab-bildung 4) ist vergrössert in Abbildung 5dargestellt. Die Schmelzoberfläche unter dem Zahn-belag aus demineralisierten, hypermine-ralisierten und remineralisierten Kristal-len ist noch ohne Kavitation (Einbruch),jedoch poröser als die Oberfläche von un-geschädigtem Schmelz. Karies ist ein kontinuierlicher, dynami-scher Prozess, der durch Phasen von Säu-reangriffen (nach Zuckereinnahme) undPhasen keiner oder nur geringer Säure-produktion des Zahnbelages charakte -risiert ist. Steigt die Zahl der deminera -lisierten Kristalle an, entsteht eine kegelförmige initiale Läsion des Zahn-schmelzes (Abbildung 6). Eine solche istklinisch als weisslich opaker Fleck sicht-bar und wird deshalb auch White-Spot-Läsion genannt. In diesem Stadium der Pathogenese gibtes zwei mögliche Entwicklungen:1. Falls die Dauer der Demineralisation

diejenige der Remineralisation zeitlichüberwiegt (schlechte Mundhygiene,häufiger Zuckerkonsum), wird die unterminierte, poröse Schmelzober -fläche schliesslich einbrechen (Kavita-tion). Es entsteht ein «Loch im Zahn»,

das sofort vom bakteriellen Zahnbelagbesetzt wird (Abbildung 7). Solche ein-gebrochenen Läsionen müssen mitzahnärztlichen Füllungen repariertwerden, da eine Heilung (Remineralisa-tion) nicht mehr möglich ist.

2. Falls die Remineralisation die Demine-ralisation zeitlich überwiegt (guteMundhygiene, wenig Zuckerkonsum),kann eine initiale Läsion wieder remi-neralisiert werden, indem Kalzium-,Phosphat- und andere Ionen aus derMundflüssigkeit durch die nicht einge-brochene, poröse Schmelzoberflächein die Läsion diffundieren. Deminerali-sierte Kristalle werden remineralisiert,und die oberflächliche Schicht wirdwieder intakt (Abbildung 8).

Die Anwesenheit von Fluorid (Salzfluori-dierung, Zahnpasten, Mundwässer), be-sonders im Wassermantel der Kristalle,fördert die Wiedereinlagerung von Kalzi-um und Phosphaten in demineralisierteSchmelzkristalle.

Kohlenhydrathaltige Nahrungsmittelund KariesEs gibt unzählige epidemiologische Un-tersuchungen, aber nur wenige klinischeInterventionsstudien zum Zusammen-hang zwischen Essgewohnheiten und Ka-ries am Menschen. Die Mehrzahl dieserArbeiten hat sich mit dem Zuckerkonsumbefasst.

Epidemiologische StudienEpidemiologische Daten des 20. Jahrhun-derts attestierten sogenannt «unterent-wickelten» Bevölkerungsgruppen, diesich primär von lokalen Produkten er-nährten und wenig raffinierten Zuckerkonsumierten, eine tiefe Kariesprävalenz.Mit zunehmendem Lebensstandard unddem Konsum moderner «zivilisierter»Nahrungsmittel und Zwischenmahlzei-ten mit hohem Zuckergehalt stellte sichin solchen Populationen immer eine star-ke Karieszunahme ein. Während des Zwei-ten Weltkrieges zeigte sich ein gegenteili-ges Szenario. Infolge der Rationierung

Abbildung 5: Beginnende Oberflächenläsion Abbildung 6: White-Spot-Läsion

Abbildung 7: Eingebrochene Läsion mit Plaque Abbildung 8: Remineralisierte (geheilte) Schmelzläsion

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von Nahrungsmitteln reduzierte sich ineinigen Ländern die Verfügbarkeit vonZucker, süssen Zwischenmahlzeiten undvon ausgemahlenem Mehl, während derVerzehr von Gemüse, Kartoffeln, Reis undVollkornbrot zunahm. Dies führte ein bisdrei Jahre nach Beginn der Rationierungzu einer drastischen Kariesreduktion (bis80%) an den 6-Jahr-Molaren der Kinder.Diese tiefe Kariesprävalenz war allerdingsein bis zwei Jahre nach dem Krieg (ohneRationierung) nicht mehr zu beobachten(9). Eine kariesreduzierende Wirkung derZuckerrationierung bei 6- bis 15-jährigenKindern wurde auch anlässlich der UN-Sanktionen gegen den Irak nach dem ers-ten Golfkrieg dokumentiert. Vor den UN-Sanktionen betrug der jährliche Zucker-konsum pro Kopf und Jahr 50 Kilogramm,während der Sanktionen nur noch 12 Ki-logramm. Der Kariesbefall sank in der Fol-ge um 50 Prozent, und die Anzahl karies-freier Kinder verdoppelte sich (10). Eineinternationale Studie (11) verglich die Zuckerverfügbarkeit (FAO-Daten) mit derKariesprävalenz (WHO-Daten) von 6-Jäh-rigen in 23 Ländern und von 12-Jährigenin 47 Ländern und fand eine gute Korrela-tion. Ein geringer Kariesbefall der Kinder(weniger als drei gefüllte, fehlende oderkariöse Zähne) fand sich, wenn wenigerals 50 g Zucker pro Kopf und Tag zur Ver-fügung standen. Kinder mit kontrollier-tem Diabetes haben weniger Karies alsgesunde Kontrollgruppen (12). Patientenmit hereditärer Fruktoseintoleranz ertra-gen weder Fruktose noch Saccharose,konsumieren aber Stärke. Über die Hälftedieser Patienten sind kariesfrei, und dieandern haben höchstens geringfügigeFissurenläsionen (13).

Prospektive klinische StudienDie Erkenntnis, dass Karies ein kontinuier-licher, dynamischer Prozess ist, der, wieoben beschrieben, bei zeitlichem Über-wiegen von Demineralisationsphasenfortschreitet und bei zeitlichem Überwie-gen von Remineralisationsphasen stopptoder gar rückläufig sein kann, wurde in einer grossen klinischen Interventionsstu-die am Menschen überzeugend unter-mauert. In dieser sogenannten Vipeholm-Studie (14) wurde an 436 Anstaltsinsassen

über fünf Jahre die kariogene Wirkung ei-ner Anzahl zuckerhaltiger Kostformen un-tersucht. Das Hauptziel des Experimentslag im Vergleich der Kariogenität verschie-dener Zuckermengen und verschiedenerHäufigkeit der Zuckerauf nahme. Es zeigtesich, dass extrem hohe Zuckermengen biszu 330 g pro Tag sehr wenige Läsionenverursachten und nicht kariogener warenals Mengen von 30 oder 100 g pro Tag,wenn dieser Zucker ausschliesslich zu denMahlzeiten eingenommen wurde. Dage-gen waren selbst Zuckermengen zwi-schen 30 und 100 g pro Tag stark kariogen,wenn sie zwischen den Mahlzeiten konsu-miert wurden. Dieser Menschenversuch(der heute von keiner ethischen Kommis-sion mehr bewilligt würde) bewies klar,dass die Entstehung von Karies nicht pri-mär von der absoluten Menge, sondernvon der Häufigkeit der Kohlenhydratauf-nahme, also von der Zeitdauer, währendder Zucker in der Mundhöhle verfügbarist, abhängt. Jede einzelne Kohlenhydrat-aufnahme führt infolge Säurebildung zueinem temporären pH-Abfall an plaque-bedeckten Zahnoberflächen. Die Summeder einzelnen Zeitabschnitte, währendderen das kritische pH von 5,5 am Schmelzunterschritten wird, wächst mit der Häu-figkeit der Nahrungsaufnahme.

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Nahrungs- und Genussmittel sind dannbesonders kariogen, wenn sie reich anMono- und Disacchariden und gut löslichsind, wenn sie häufig konsumiert werden(dauerndes Naschen von Süsswaren)und/oder eine lange Verweildauer imMund haben. Es gelten folgende Empfehlungen:1. Kohlenhydrate sollten aus zahnärztli-

cher Sicht primär mit den Hauptmahl-zeiten (dreimal pro Tag) eingenommenwerden.

2. Für Zwischenmahlzeiten eignen sichProdukte mit wenig oder keinem Zu-satz von raffiniertem Zucker. Zucker-haltige Süssigkeiten (Bonbons, Prali-nen usw.) sind besonders kariogen.

3. Gezuckerte Getränke möglichst durchWasser oder zuckerfreie Lightgetränkeersetzen.

4. Eine Alternative sind zahnschonendeProdukte, die anstelle von Zucker mitZuckeraustauschstoffen (Zuckeralko-holen) hergestellt werden und die imZahnbelag nicht vergärt werden kön-nen.

5. Die Ernährungsempfehlungen der «Le-bensmittelpyramide» der Schweizeri-schen Gesellschaft für Ernährung (SGE)erfüllen die Anliegen der Kariespräven-tion.

6. Iodiertes und fluoridiertes Speisesalzverwenden.

7. Mundhygiene zwei Mal täglich, mor-gens nach dem Frühstück und abendsvor dem Schlafen mit weicher Hand-zahnbürste oder elektrischer Schall-zahnbürste und fluoridhaltiger Zahn-paste. Speiserestenentfernung nachMahlzeiten und Snacks mit Zahnbürsteoder zumindest mit zahnschonendemKaugummi.

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