17
www.deutsch-juedische-publizistik.de 1 urn:nbn:de: 0230-20090805371 Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die Geistlichkeit und die gebildete Weltklasse des protestantischen, katho- lischen, und israelitischen Deutschlands. Neu hrsg. von Beata Mache im Auftrag des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung und des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte. Netzpublikation nach der Ausg. Frankfurt am Main, 1837. Duisburg, 2009. URN urn:nbn:de:0230- 20090410994 (gesamt) Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die Geistlichkeit und die gebildete Weltklasse des protestantischen, katholischen, und israelitischen Deutschland's. Frankfurt a. M., den 24. August 1837. Nro. 68. Inhalt: Das Stammbuch Jesu Christi. Kirchliche Nachrichten. Südamerika. Brasilien. Rio de Janeiro; Zustand der religiösen und bürgerlichen Verhältnisse. Rußland. Petersburg; Ansiedelung der Hebräer; Dünaburg; Brand und Einsturz einer Kirche; Swenciany; Brand einer Kirche. Deutschland. Preußen. Berlin; über den Uebertritt der Kronprinzessinn; über angebliche Verfolgung der Luthera- ner; Todesfall. Potsdam; Einweihung einer Kirche. Breslau; Todesfall; Ernennung. Königsberg; Denkmal für Dinter; Ehrenbürgerrecht an Dr. Gerlach zu Braunsberg; Schlesien; Unglücks- fall. Liegnitz; Jubiläum. Posen; Aufhebung von Klöstern; Verordnung wegen Wallfahrten. Erfurt; Aufhebung des Marienstifts; Hückswagen; Jubiläum. Elberfeld; Predigerwahl; Elsler's Ernennung; Coblenz; Reise eines Missionars nach Amerika; Ernennung. Theologische Akademie. Kathol. Abth. Ueber das Trennungsprinzip der Reformation in seiner heutigen Bedeu- tung. Vom k. k. Rath von Bucholtz in Wien (Schluß). Literatur. Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in Oldenburg (Forts.) Nachweise von Recensionen theol. Schriften. Anzeigen. |Sp. 1071| Das Stammbuch Jesu Christi. Ein biblisches Gemälde nach Matth. I. (A. d. Chrysostomus Juni-Heft.) Als Jesus Christus auftrat, verrichtete Er ein Werk, wovon der ganze Alte Bund Vorbild war. Wir wollen jetzt bei Seinem Stammbuche stehen bleiben. In Abraham, welcher Name so viel ist, als „Vater vieler Völker,“ sehen wir Ihn als Vater aller Gläubi- gen, die noch Niemand gezählt hat, als Gott. In Ihm rufen Millionen: Abba, Vater!In Isaac, welcher Name so viel ist, als Freude,“ sehen wir Ihn als die Freude aller Gläubigen von Bethlehem's Hirten an und jenen Weisen, die sich freuten, als sie den Stern sahen, bis auf diese Zeit, wo die Seinen in fünf Welttheilen leben. In Jacob, welcher Name so viel ist, als Untertreter,sehen wir Ihn als den im Paradiese versproche- nen Schlangentreter.

Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

www.deutsch-juedische-publizistik.de – 1 – urn:nbn:de: 0230-20090805371

Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die Geistlichkeit und die gebildete Weltklasse des protestantischen, katho-lischen, und israelitischen Deutschlands. Neu hrsg. von Beata Mache im Auftrag des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung und des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte. – Netzpublikation nach der Ausg. Frankfurt am Main, 1837. – Duisburg, 2009. – URN urn:nbn:de:0230-

20090410994 (gesamt)

Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die Geistlichkeit und die gebildete Weltklasse des protestantischen,

katholischen, und israelitischen Deutschland's.

Frankfurt a. M., den 24. August 1837. Nro. 68.

Inhalt:

Das Stammbuch Jesu Christi. —

Kirchliche Nachrichten. Südamerika. Brasilien. Rio de Janeiro; Zustand der religiösen und bürgerlichen Verhältnisse. — Rußland. Petersburg; Ansiedelung der Hebräer; Dünaburg; Brand und Einsturz einer Kirche; Swenciany; Brand einer Kirche. — Deutschland. Preußen. Berlin; über den Uebertritt der Kronprinzessinn; über angebliche Verfolgung der Luthera-ner; Todesfall. Potsdam; Einweihung einer Kirche. Breslau; Todesfall; Ernennung. Königsberg; Denkmal für Dinter; Ehrenbürgerrecht an Dr. Gerlach zu Braunsberg; Schlesien; Unglücks-fall. Liegnitz; Jubiläum. Posen; Aufhebung von Klöstern; Verordnung wegen Wallfahrten. Erfurt; Aufhebung des Marienstifts; Hückswagen; Jubiläum. Elberfeld; Predigerwahl; Elsler's Ernennung; Coblenz; Reise eines Missionars nach Amerika; Ernennung. —

Theologische Akademie.

Kathol. Abth. Ueber das Trennungsprinzip der Reformation in seiner heutigen Bedeu-tung. Vom k. k. Rath von Bucholtz in Wien (Schluß). —

Literatur.

Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in Oldenburg (Forts.) —

Nachweise von Recensionen theol. Schriften. —

Anzeigen.

|Sp. 1071| Das Stammbuch Jesu Christi.

Ein biblisches Gemälde nach Matth. I. (A. d. Chrysostomus Juni-Heft.)

Als Jesus Christus auftrat, verrichtete Er ein Werk, wovon der ganze Alte Bund Vorbild war. Wir wollen jetzt bei Seinem Stammbuche stehen bleiben.

In Abraham, welcher Name so viel ist, als „Vater vieler Völker,“ sehen wir Ihn als Vater aller Gläubi-gen, die noch Niemand gezählt hat, als Gott. In Ihm rufen Millionen: „Abba, Vater!“

In Isaac, welcher Name so viel ist, als „Freude,“ sehen wir Ihn als die Freude aller Gläubigen von Bethlehem's Hirten an und jenen Weisen, die sich freuten, als sie den Stern sahen, bis auf diese Zeit, wo die Seinen in fünf Welttheilen leben.

In Jacob, welcher Name so viel ist, als „Untertreter,“ sehen wir Ihn als den im Paradiese versproche-nen Schlangentreter.

Page 2: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

www.deutsch-juedische-publizistik.de – 2 – urn:nbn:de: 0230-20090805371

In Juda, welcher Name so viel ist, als „Bekenner," sehen wir Ihn, wie Er dasteht unter Seinen Jün-gern, und vor dem ganzen Himmel Seine Freude bekennt, daß der Vater, der Herr Himmels und der Erde, es den Großen verborgen, und den Kleinen, geoffenbaret hat.

In Phares, welcher Name so viel ist, als „Scheidung,“ sehen wir Ihn, wie Er die Schafe von den Bö-cken scheidet.

In Zaram, welcher Name so viel ist, als „Aufgang“ sehen wir Ihn als den Aufgang aus der Höhe, wie Ihn Zacharias in seinem herrlichen Benedictus nennt: „Der Aufgang aus der Höhe hat uns besucht.“

In Esron, welcher Name so viel ist, als „Pfeilsehend,“ sehen wir Sein Alles durchschauendes Auge, das die Stadt ansah, und prophetisch patriotische Thränen vergoß; das den Petrus anblickte, daß er hinausging, und bitterlich weinte.

In Aram, welcher Name so viel ist, als „Erwählter,“ sehen wir Ihn als den Erwählten, den der ewige Vater anredet: „Sieh, mein Sohn bist Du, Den Ich erwählt habe, Mein Auserwählter, über Den Ich Meinen Geist ausgoß.“

In Aminadab, welcher Name so viel ist, als „freies Volk,“ sehen wir Ihn, wie Er freiwillig Sein Leben hingab, um uns zu einem freien Volke zu machen, das vor Gott wohlgefällig ist.

In Naason, welcher Name so viel ist, als „der mächtige Prophet,“ sehen wir Ihn als solchen mächtig in Worten |Sp. 1072| und Thaten, und nach Seinen Worten wird Er in den Wolken des Himmels kom-men.

In Salmon, welcher Name so viel ist, als „der Durchschauende,“ sehen wir Ihn, wie er ihre Gedanken durchschaute.

In Booz, welcher Name so viel ist, als „stark,“ sehen wir Ihn als Den, von welchem geschrieben steht: „Der Herr ist stark und mächtig. Der Herr ist mächtig in der Schlacht.“ Und Er selbst hat gesagt: „Wann Ich werde über der Erde erhöhet seyn, werde Ich Alles an Mich ziehen.“

In Obed, welcher Name so viel ist, als „Diener,“ sehen wir Ihn wieder in Seiner Erniedrigung, und wie Er gekommen, um zu dienen.

In Jesse, welcher Name so viel ist als „brennend Feuer,“ hören wir Ihn sprechen: „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu bringen, und was will Ich anders, als daß es brenne.“

In David, welcher Name so viel ist, als „tapfer und schön,“ sehen wir Ihn als den Schönsten, und wie Er als unerdichteter Herkules den Tempel reinigte.

In Salomon, welcher Name so viel ist, als „Friedrich“ (Friedereich), sehen wir Ihn als Friedensfürsten, und wie Er selbst sagt: „Den Frieden hinterlasse Ich Euch, Meinen Frieden gebe Ich Euch.“ Er selbst hat Sich uns zum Frieden gemacht.

In Roboam, welcher Name so viel ist, als „Weite des Volkes,“ sehen wir Ihn als den großen Erweiterer des Volkes Gottes bis an die äußersten Gränzen der Erde. Vom Aufgange bis zum Niedergange ist ein Gedräng in's Reich Gottes.

In Abias, welcher Name so viel ist, als „Herr und Vater,“ sehen wir Ihn, wie Er uns anredet: „Einer ist Euer Vater: Einer der Herr.“

In Asa, welcher Name so viel ist, als „der Wegnehmer,“ sehen wir Ihn als das geheimnisvolle Lamm Gottes, das der Welt Sünden wegnimmt, ein ganzes Gebirg von Sünden.

In Josaphat, welcher Name so viel ist, als „der Herr richtet,“ sehen wir Ihn als Richter der Lebendigen und Todten. „Der Vater“, sprach Er, „richtet Niemand, Er hat alles Gericht dem Sohne übergeben.“

In Joram, welcher Name so viel ist, als „erhaben,“ sehen wir Ihn als Hocherhabenen, der hinaufstieg in den Himmel, um Alles zu erfüllen.

|Sp. 1073| In Ozias, welcher Name so viel ist, als „der Starke des Herrn,“ sehen wir Ihn als den star-ken Befreier der Menschheit aus schwerer Gefangenschaft. „Ich sah,“ sprach Er, „den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.“

Page 3: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

www.deutsch-juedische-publizistik.de – 3 – urn:nbn:de: 0230-20090805371

In Joathan, welcher Name so viel ist, als „vollkommen,“ sehen wir Ihn als den, der kommen mußte, alle Gerechtigkeit zu erfüllen, und uns zuzurufen: „Werdet vollkommen, wie Euer Vater im Himmel vollkommen ist.“

In Achaz, welcher Name so viel ist, als „umfassend,“ sehen wir Ihn als den Allesumfassenden, der den Himmel auf Seiner Hand wiegt, und die Erde mit seinen Fingern umspannt.

In Ezechias, welche Name so viel ist, als „des Herrn Kraft,“ sehen wir Ihn als Gottes Kraft und Gottes Weisheit, wie St. Paulus Ihn nennt.

In Manasses, welcher Name so viel ist, als „der Vergesser,“ sehen wir Ihn als den Vergesser der Un-gerechtigkeit, von dem geschrieben steht: „An welchem Tage sich der Sünder von seiner Ungerechtig-keit bekehrt, will Ich alle seine Ungerechtigkeit vergessen.“

In Amon, welcher Name so viel ist, als „der Getreue,“ sehen wir Ihn als den Getreuen. An Ihm sagt St. Paulus, haben wir einen mitleidigen und getreuen Hohenpriester bei Gott. Und Johannes nennt Ihn den treuen Zeugen.

In Josias, welcher Name so viel ist, als „Heil vom Herrn,“ sehen wir Ihn als Denjenigen, von wel-chem geschrieben steht: „Wer immer den Namen des Herrn anrufen wird, der wird selig werden.“

In Jechonias, welcher Name so viel ist, als „Vorbereitung des Herrn,“ sehen wir Ihn, wie Er den Sei-nen sagte: Ich gehe hin, Euch eine Stätte zu bereiten.“

In Salathiel, welcher Name so viel ist, als „Verlangen Gottes,“ sehen wir Ihn, wie Er zu Seinem Vater betete, ehe Er in Sein Leiden ging: „Heiliger Vater bewahre die, welche Du Mir gegeben hast!“

In Zorobabel, welcher Name so viel ist, als „jener Lehrer,“ sehen wir unsern Lehrer. Einer ist unser Meister, Christus.

In Aabiud, welcher Name so viel ist, als „jener unser Vater,“ sehen wir Ihn als unsern Vater, von dem alle Vaterschaft ist im Himmel und auf Erden.

In Eliachim, welcher Name so viel ist, als „Auferstehung des Herrn,“ sehen wir Ihn als die Auserste-hung und das Leben, der auch die Seinen auferweckt.

In Azor, welcher Name so viel ist, als „Beistand,“ sehen wir Ihn und den Vater, der Ihn nie allein ließ, und der auch die Seinen nie allein läßt.

In Sadok, welcher Name so viel ist, als „gerecht“ sehen wir Ihn als den Gerechten und den Gerechtmacher, wie geschrieben steht, daß Er selbst gerecht sey, und diejenigen rechtfertiget, die im Glauben Abraham's sind.

In Achim, welcher Name so viel ist, als „unser Bruder,“ sehen wir Ihn als unsern Bruder, wie Er selbst sagte: „Wer den Willen meines Vaters thut, der ist Mir Bruder und Schwester.“

In Eliud, welcher Name so viel ist, als „mein Gott" hören wir Seinen Leidensruf am Kreuze: Mein Gott, mein Gott!

In Eliazar, welcher Name so viel ist, als „Gott mein Helfer,“ sehen wir Ihn als wahre Hilfe Gottes.

In Nathan, welcher Name so viel ist, als „Geschenk,“ sehen wir Ihn in den Himmel führend Alle, die an Ihn glauben, um ihnen Geschenke zu geben, wie St. Paulus sagt: Er gibt Sich uns selbst zum Ge-schenke. Mit Ihm hat der Vater und Alles geschenkt.

In Jacob, welcher Name ist viel ist, als „Untertreter,“ sehen wir Ihn als den großen Sieger über Tod und Hölle, und wie Er auch den Seinen Macht gab, auf Schlangen und Skorpionen zu treten.

In Joseph, welcher Name so viel ist, als „Mehrer des Reichs,“ sehen wir den wahren Mehrer des Reichs, dem der Vater alle Nationen zum Erbtheile gab und zum Besitze alle |Sp. 1074| Gränzen der Erde. Er ist gekommen, damit wir das Leben haben, und überflüssig es haben.

Als Jesus ist Er unser Heiland, Hoherpriester und König; als Christus der Gesalbte des Herrn.

(Schluß folgt.)

Page 4: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

www.deutsch-juedische-publizistik.de – 4 – urn:nbn:de: 0230-20090805371

Kirchliche Nachrichten.

Südamerika.

Brasilien.

Rio de Janeiro, 18. Aprill. Von unserer Lage kann ich Ihnen keine getreue Schilderung entwerfen, als wenn ich Ihnen eine Stelle aus der Gelegenheit neuer Deputirtenwahlen in Pernambuco von einem der würdigsten Männer Brasiliens, dem Geistlichen Barreto, daselbst gehaltenen wahrhaften Mus-terpredigt übersetze. Er sagt unter Anderm: ... „die Stimme der Religion vereinigt sich mit der Bra-siliens, dieses unsers Vaterlandes, dessen Kraft in Factionen zersplittert und durch Zwietracht ge-brochen ist; das von Abentheurern getheilt, was die Listigsten unterjocht, der Ignoranz einiger Wenigen, der Habgier Vieler, der Böswilligkeit Unzähliger und der Gleichgiltigkeit Aller preis-gegeben ist; welches seine Söhne im Namen der Freiheit hingeschlachtet sieht, ohne daß sie sich je des Genusses der Freiheit erfreuen; welches erdröhnt von dem Geschützesdonner der Anarchie von einem Ende des Reichs bis zum andern; welches sich aus Strömen Blutes nur gerettet hat, um in einen unabsehbaren Abgrund von Kabalen zu stürzen; welches Undankbare und Verräther an seinem Busen hegt; welches bei so vielen Elementen der Wohlfahrt — Dank den Hirngespinnsten und eitlen Versprechungen fieberhafter und geisterseherischer Politiker! — nur Keime des Ver-derbens entwickelt — dieses armen Vaterlandes das, wenn es sein wankendes und fast sterbendes Haupt erhebt, und seinen Blick nach allen Seiten wendet, um Verbesserungen zu finden, nichts entdeckt, als neue Auflagen und Zeitungen; zu dessen Regierung sich Niemand als Ehrgeizige und Habsüchtige herbeidrängen ; dem man statt seiner Reichthümer Papier bietet und sagt, es sey Geld1; welches unter der Last eines Heeres von Beamten, von Gerichtsstellen, Prozeßordnungen, Rechtsbescheiden, Dekreten, Gesetzen und Zusatzartikeln seufzt, weder Sicherheit noch Gerech-tigkeit findet oder für die Zukunft zu finden hoffen kann — dieses Vaterlandes endlich, wo sich die schönsten Hoffnungen in reine Täuschungen verwandeln; wo Worte die Handlungen er-setzen, wo sich Zerstörung den Namen Reform anmaßt und moralische Verderbtheit sich mit dem Schein der Philosophie brüstet."

(Allg. Ztg.)

Rußland.

St. Petersburg, 26. Juli. Nach einem kaiserl. Befehle sosien die Hebräer, die Ansiedelung wünschen, nicht in Sibirien, sondern in den südlichen und neurussischen Provinzen Ländereien erhalten.

(Russ. Bl.)

Dünaburg. In Parynga einem berühmten Wallfahrtsorte, etwa drei Meilen von dem Städtchen Widsy in Litthauen in der Nachbarschaft von Dünaburg ist am 7. Juli, während des Gottesdienstes, die dasige Kirche mit mehreren Geistlichen und gegen 500 Andächtigen verbrannt. Manche Familie hat ihr gesammtes weibliches Personal und ihre Kinder verloren. Das Feuer soll durch Flachs ent-standen seyn, der in der Kirche als Opfer neben dem Altare aufgehäuft gewesen, etwa ein Schiff-pfund. Auf denselben ist ein brennendes Licht gefallen. Am nämlichen Tage ist die Oberlage der Kirche in Salock, auf der zweiten Station hinter Ilseros in Litthauen, während des Gottesdienstes eingefallen, und hat 30 Menschen erschlagen und viele verwundet.

(Frftr. Convers.-Bl.)

1 Diese Stelle hat darauf Bezug, daß man in Brasilien trotz seiner berühmten Goldminen fast nie ein Gold- oder Silberstück zu sehen bekommt. In dem Handel zirkuliren fast nur die vom Staat ausgegebenen, vielfa-chen Fälschungen unterworfenen Billete von 1000 bis 500,000 Reis aufwärts, und als Scheidemünze dienen unförmliche, unbequeme Kupfermünzen.

Page 5: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

www.deutsch-juedische-publizistik.de – 5 – urn:nbn:de: 0230-20090805371

|Sp. 1075| Swenciany, im Gouvernement Wilna, 29. Juli. In einer nicht fern von der Stadt gelegenen kathol. Wallfahrtskirche fand die Feier eines Heiligen statt, mit welcher ein großer Ablaß verbun-den ist. Dem bestehenden Gebrauche gemäß, brachten die Landleute in großen Schaaren von nahe und ferne der Kirche ihre Gaben, und zwar meistens in Naturalien. Eine Bäuerinn, die nur einige Bündel Flachs vor dem Altar-Opfer niederzulegen hatte, kam damit einer Kerze zu nahe, wodurch diese ihre Gabe, und in wenig Augenblicken auch das, wie fast alle Kirchen jener Gegend, nur aus Holz erbaute Gotteshaus in Flammen gesetzt ward. Die darin zusammengedrängte Menschenmenge hat sich um so weniger durch die einzige Kirchthür in das Freie retten können, als auf den ersten Lärmen die außen befindlichen um hilfreiche Hand zu leisten, in die Kirche zu dringen versucht haben. Es sind auf diese Weise mehr, als hundert Menschen jämmerlich zu Tode getreten, erstickt und verbrannt, eine bei weitem größere Zahl aber schwerer oder leichter beschädigt worden.

(Pr. Sts.-Z.)

Deutschland.

Preußen.

Berlin, 9. Aug. In dem 4. Bande der Gagern'schen Denkwürdigkeiten, findet sich die einzige glaubwürdige Notiz über den Uebertritt der gegenwärtigen Kronprinzessinn von Preußen zur pro-testantischen Lehre, Hiernach war — wie sich dieß auch wohl erwarten ließ — der Uebertritt der Fürstinn völlig frei von aller äußern Einwirkung und durchaus die Folge der innersten Ueber-zeugung. Ihr Entschluß war selbst der königl. Familie unbekannt. Sie legte ihr Glaubensbekenn-tniß in ihrer Privatkapelle vor dem Bischofe Eylert ab, in Gegenwart ihres Gemahls, ihrer Tante, der Prinzessinn Wilhelm, der Gräfinn Reden und versüßte sich dann zum Könige, um ihm das Ge-schehene anzuzeigen, das ihn in ein freudiges Erstaunen versetzte.

(Welthorizont)

— Wie aus Baden geschrieben wird, sucht man im südlichen Deutschland jetzt von Straßburg aus eine kleine Schrift zu verbreiten, welche den seltsamen Titel führt: „Verfolgungsgeschichte der lutherischen Kirche in Preußen.“ Wir glauben nicht zu irren, wenn wir darin das Bestreben einiger unfriedlichen Pietisten erkennen, sich als „lutherische Kirche“ geltend zu machen um dadurch die Theilnahme des protestantischen Deutschlands zu erwerben. Hier in der Hauptstadt weiß man wenigstens nichts von dergleichen Verfolgungen,“ obwohl es weder im Amte noch auf dem Lehrstuhle an Männern fehlt, die sich der kirchlichen Union nicht angeschlossen haben. Nur wenn mit solcher Weigerung das Bestreben verbunden war, nicht bloß das Separatistenwesen zu verbreiten, sondern auch einen Staat im Staate zu bilden, hat sich die Regierung veranlaßt gesehen, hier und dort einzuschreiten. Wir wissen nicht, in-wiefern vielleicht diese oder jene Provinzialbehörde in solchem Falle zu weit gegangen seyn, und die Absichten der Regierung mißverstanden haben mag; aber mit Sicherheit darf wohl angenommen wer-den, daß diese, die im Lutherthume den Grundpfeiler der evangelisch-unirten Kirche anerkennt, zu keiner „Verfolgungsgeschichte der lutherischen Kirche" Anlaß gegeben hat. Jedenfalls aber wird man wohl thun, sich gegen jede Verwechslung der Pietisterei mit dem Lutherthume sicher zu stellen, bevor man dem Titel jener Schrift Glauben schenkt, die, wie wir hören, den Prediger Diemer in Straßburg zum Verfasser haben soll.

(A. Z.)

— Der verstorbene Kriegs-Minister von Witzleben, war auch Ehrenmitglied der Gesellschaft zur Be-förderung des Christenthums unter den Juden, ein Verein, der seit längeren Jahren hier aus freiem Antriebe gebildet, einen Präsidenten, einen Vice-Präsidenten und zwölf Directoren hat. Mehrere Generale befinden sich unter demselben.

(Hamb. C.)

Page 6: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

www.deutsch-juedische-publizistik.de – 6 – urn:nbn:de: 0230-20090805371

Potsdam, den 15. Aug. Am vergangenen Sonntage, den 13ten August, fand die feierliche Einwei-hung der, durch die Gnade Sr. Maj. des Königs für die Gemeinden von Klein-Glienike, der Pfauen-Insel, Stolpe und Nikolskoe am letzteren Orte erbauten Kirche St. Petri und Pauli statt. Se. Maj. der König hatten den evangelischen Bischof Dr. Neander mit der Einweihung dieser Kirche beauftragt. Derselbe empfing, nachdem das Glockengeläute zum erstenmal die Gemeinden zusammengerufen hatte, von dem Schloß Baumeister Herrn A. Schadow, welcher |Sp. 1076| im Jahre 1834 mit diesem Bau von Sr. Maj. beauftragt worden war, die Schlüssel der Kirche auf einem Kissen; nach einer kurzen Anrede schloß der Bischof die Pforte auf und führte die Gemeinde mit ihrem künftigen Seelsorger, dem Prediger Herrn Fintelmann ein. Gegen 11 Uhr erschien Se. M. der König mit den königl. Prinzen und Hofstaaten, empfangen von der Geistlichkeit, dem Ober-Präsidenten Hrn. v. Bassewitz, und nahmen in dem, für Allerhöchstdenselben eingerichteten Chorstuhle Platz. Nach dem Gesänge hielt Hr. Bischof Neander vor dem Altar eine Rede, nach Anleitung der biblischen Worte: 2 Mose 20,24: „An welchem Orte ich meines Namens Gedächtniß stiften werde, da will ich zu Dir kommen, und Dich segnen.“ Altar, Taufstein und Kanzel wurden hierauf unter Gesang und Gebet feierlich eingeweiht, und mit der Liturgie und dem „Herr Gott Dich loben wir“ die Feier be-schlossen. Durch diese Kirche, welche mehr den Namen einer Berg- oder Wald-Kapelle verdient, hat die, ohnedieß schon so reich bedachte, Umgebung von Potsdam einen neuen Schmuck erhal-ten. Die Kirche erhebt sich auf einem Hügel, der Pfauen-Insel gegenüber, rings von Laub-und Na-delholz umschlossen, nahe bei des redlichen Ivan's freundlicher Wohnung. Zu dem geräumigen Vorplatz führen zwei Treppen, und obwohl die Façade, so wie der ganze Bau möglichst einfach, dem alt-italienischen Styl sich nähernd, gehalten ist, so gewährt doch die Kirche von hier einen überraschend schönen Anblick. Von der mit getrennten Einfassungen verzierten Eingangsthür vermittelt ein auf stylisirten Säulen ruhender Vorbau von Eichenholz die Wandfläche bis zum ro-settenartigen Uhrfenster. Die hohe Vorderwand, wie die ganze Kirche, von rothen sorgfältig ge-fügten Backsteinen, schließt oben mit zwei offenen, überwölbten Glockenhallen, zwischen denen sich, auf dem inneren Bogen ruhend, von der Gallerie aus ein achteckiger Thurm, der in einer ori-entalischen Kuppel endet, 110 Fuß hoch erhebt. Von diesem Thurme öffnen sich acht der schöns-ten Panoramen über die naheliegenden Hügel, Inseln und Seen nach Potsdam, Spandau, Berlin etc. Nicht minder erfreulich ist der Eindruck, welchen die Kirche im Innern macht, wo ebenfalls der mittelalterliche Styl in der Kanzel, welche auf vier Säulen ruht, in der von einem geschickten Künstler in Treuenbrietzen gebauten Orgel, und in dem mit einer Decke von Glienikischer Seide bedecktem Altar durchgeführt ist. Zwei Fensterreihen von buntem Glast verbreiten eine harmoni-sche Beleuchtung, und hinter dem Altar sind Felder angedeutet, welche für Bilder, oder vielleicht auch zur Aufstellung der zwölf Apostel des Sebaldusgrabes sich eignen würden. Die Decke der Kirche ist von Holz, und läßt die Construction des Hängewerkes und der Balken frei sehen, zwi-schen denen Casset-tungen eingeschoben sind. Die Brüstung der Kanzel ist mit zwei sehr kostba-ren musivischen Bildern, den ausdrucksvollen Köpfen der Apostel Petrus und Paulus geschmückt. Möge die Kirche nach dem frommen Sinne ihres hohen Stifters, den Gemeinden so zur Erbauung gedeihen, wie sie der Umgegend zur erfreulichen Zierde gereicht.

(Magdeb. Ztg.)

Breslau. Der Professor der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Breslau, Kanonikus Dr. Berg, ist am 19. d. M. zu Reinerz an der Lungen-Schwindsucht mit Tode abgegangen.

(Aachn. Ztg.)

— den 19. Juli. Gestern wurde der ernannte Domherr Hr. Elster auf die gewöhnliche feierliche Weise als Domkapitular des hiesigen hochwürdigen hohen Domstiftes in der Domkirche introducirt.

(Schlesisch. Kirchenbl.)

Page 7: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

www.deutsch-juedische-publizistik.de – 7 – urn:nbn:de: 0230-20090805371

Königsberg. Der zum Andenken des verstorbenen Consistorial-und Schulraths, Dr. Dinter, in Kö-nigsberg in Preußen gegründete Verein, hat, — lediglich durch freiwillige Geldbeiträge unter-stützt, — im Herbste v. J. die erste Klein-Kinder-Bewahrschule in Königsberg gegründet und er-öffnet, und das Institut im Monat Mai d. J. durch Anlegung einer zweiten Schule dieser Art er-weitert.

Braunsberg. Die Stadt Braunsberg hat dem Direktor des kön. kathol. Gymnasiums daselbst, Dr. Ger-lach, das Ehrenbürgerrecht, als Anerkennung seiner Verdienstlichkeit in Beförderung des Gedei-hens der städtischen Schulanstalten seit einer Reihe von Jahren als Mitglied der Stadtschul-Deputation, verliehen.

Liegnitz. In Oberau, im Lübener Kreise des Regierungsbezirks Liegnitz, feierte am 22. d. M. der dasige Superintendent, |Sp. 1077| Pastor Berndt, sein 50jähriges Amtsjubiläum in derselben Ge-meinde, in die er vor einem halben Jahrhundert als Geistlicher eingetreten war.

(Rh- u. Mos.-Z.)

— Am 11. d. M. Nachmittags schlug der Blitz in die Kirche zu Bellmannsdorf, im Laubaner Kreise des Regierungsbezirks Liegnitz, wahrend 180 Kinder zum Katechismus-Examen versammelt wa-ren, tödtete von den letzteren ein 13jähriges Mädchen und betäubte und verletzte noch 13 andere Personen; auch die Kirche erlitt dabei einen bedeutenden Schaden.

(Düss. Ztg.)

Posen, den 12. Aug. Auf Antrag des verstorbenen Erzbischofs von Wolicki geruhte Se. Maj. der Kö-nig, mittelst Cabinetsordre vom 5. Januar 1828, die Wiederherstellung des in der Domkirche zu Posen befindlichen, den beiden Königen von Polen, Miecislaus I. und seinem Sohne Boleslaus, als Verbreitern des (kath.)Christenthums in Polen und Schlesien, errichteten Denkmals zu genehmi-gen, und zugleich, zur Deckung der diesfallsigen Kosten, die Sammlung freiwilliger Gaben zu ge-statten. Die letztere begann, unter Leitung des gedachten Erzbischofs, im Jahr 1829, und es wurde gleich Anfangs von Seiten der Beitragenden der Wunsch ausgesprochen, daß nicht allein die alten Sarkophage der beiden Könige wiederhergestellt, sondern auch die Statuen derselben in Eisen oder Erz, wo möglich auf einem öffentlichen und freiliegenden Platze, aufgestellt werden möch-ten. Obgleich die Behörde sich mit diesem Wunsche einverstanden erklärte, und die vorzüglichs-ten Künstler Berlin's ihre Bereitwilligkeit zur Unterstützung des Unternehmens dadurch bekunde-ten, daß Professor Rauch das Statuen, der geheime Oberbaurath Schinkel aber die Zeichnung der Verzierungen des vor der Domkirche belegenen und für den Zweck ausersehenen Platzes liefern wollte, so zeigte sich doch beim weiteren Verfolg der Sache, daß das mit 22,000 Rthlrn. gesammelte Geld zur Ausführung eines so umfassenden Planes nicht ausreichen würde. Man beschränkte sich daher auf die Errichtung einer Kapelle in der Domkirche selbst, nach Art der Jagellonischen im Dom zu Krakau, worin auf der einen Seite des Altars die den alterthümlichen Sarkophagen nach den genauesten Beschreibungen treu nachgebildeten Särge der beiden Könige ihren Platz finden, auf der andern Seite aber die Standbilder derselben hinter einem zwischen denselben zu errich-tenden großen Kreuze, als Sinnbild des durch sie verbreiteten christlichen Glaubens, aufgestellt werden sollen. Die Wände und die Decke der Kapelle sollen reich vergoldete Verzierungen von Gyps schmücken, und man schmeichelt sich, daß das ganze Werk noch im Laufe dieses Jahres vollendet werden wird, da der kunstsinnige, thätige Graf Eduard v. Raczynski, an der Spitze eines dazu niedergesetzten Comite's, die begonnenen Arbeiten leitet.

(Berl. Ztg.)

Page 8: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

www.deutsch-juedische-publizistik.de – 8 – urn:nbn:de: 0230-20090805371

— Von den 38 Klöstern, welche bei der Besitznahme der Provinz Posen im Jahr 1815 vorgefunden wurden, sind 37 bereits aufgehoben, und es besteht nur noch das Cisterzienser-Nonnenkloster in Olobok, dessen Aufhebung auch bereits in Antrag gebracht worden ist.

(A. Z.)

— Jeder, der einen Wallfahrtszug nach weit entlegenen Orten begleiten will, muß einen Reisepaß haben. Jedoch dürfen keine solchen Züge stattfinden ohne Begleitung eines in der Seelsorge ange-stellten, von dem Bischofe mit besonderem Auftrage versehenen Geistlichen.

(A. K. Z.)

Erfurt. Die k. Regierung zu Erfurt macht in dem Regierungsamtsblatte vom 15. Aprill a. c. die Auf-hebung des Marienstifts daselbst mit folgenden Worten bekannt: „Durch die allerhöchste Kabinetsordre vom 28. Januar d. J. ist festgesetzt worden, daß das bisherige hiesige Kollegiatstift beatae Mariae Virginis aufgehoben, und dessen gesammtes Vermögen dem königlichen Ministeri-um der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten überwiesen werden soll. Indem wir hiermit bekannt machen, daß diese allerhöchste Kabinetsordre zur Ausführung gebracht, das gesammte Vermögen gedachten Stifts Namens des Staates in Besitz genommen worden, und daß dessen Verwaltung an uns übergegangen ist, fordern wir alle diejenigen, welche an das Stift beatae Mariae Virginis Pachtgelder, Erbzinsen, Kapitalien, Zinsen und sonstige Leistungen zu entrichten haben, hiermit auf, solche an den Offizial Schmidt, welcher vorläufig mit deren Vereinnahmung beauftragt ist, zu zahlen.“ So ist das letzte katholische Stift in der Provinz Sachsen aufgehoben worden! Das sämmtliche Vermögen des aufgehobenen |Sp. 1078| Stifts wird mit Vorwissen des hochw. Bischofs von Paderborn zu katholischen Zwecken für Erfurt und das Eichsfeld verwendet werden. Vor allen Dingen soll davon fundirt werden das neu zu organisirende bischöfliche Kom-missariat für das Eichsfeld und Erfurt. Das geistliche Gericht in Erfurt wird eingehen, und für Er-furt und Heiligenstadt, nur Ein Kommissariat organisirt werden. Wo dieses bischöfl. Kommissariat hinverlegt werde, ob nach Heiligenstadt oder nach Erfurt, darüber sind verschiedene Gerüchte im Umlaufe, die es bald nach Heiligenstadt bald nach Erfurt verlegen. Männer, die tief in die Sache eingeweiht sind, und vermöge ihrer Stellung zum hochw. Hrn. Bischof, wie zur Regierung, es wohl wissen können, versichern, es würde nach Heiligenstadt kommen. Und dieses läßt sich auch wohl begreifen, wenn man das Sachverhältniß genauer betrachtet. Das Eichsfeld bildet den grö-ßern katholischen Sprengel der Seelsorge, hier ist am meisten zu thun, zu besorgen, mehr, als in Erfurt, deßwegen ist es auch zweckmäßiger, wenn das bischöfliche Commissariat in Heiligenstadt bleibt, und daselbst organisirt wird. Ein Theil des Vermögens des aufgehobenen Stifts soll ver-wendet werden zur Ausbildung der katholischen Theologen vom Eichsfelde und Erfurt. Zu die-sem Behufe werden denen, welche kathol. Theologie studiren, und auf den Universitäten sind, Stipendien ertheilt werden, und ein Theil an das bischöfl. Seminar zu Paderborn abgegeben. Was dann noch übrig bleibt, wird zur Verbesserung der kathol. Schulen und Schulstellen des Eichsfeldes und Erfurt's verwendet. Nun wird wohl so manchem Geistlichen einleuchten, warum das Ministerium der geistl. Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten im Jahr 1833 ein genaues Verzeichnis des Einkommens der Schulstellen des Eichsfeldes einforderte, mit der Versicherung, es böte sich Gelegenheit dar, dieselben zu verbessern. Nunmehr wird es raschen Schrittes voran gehen, und wir werden bald die Freude erleben, an einem Orte, in dem Eichsfelde, wo eine protes-tantische Kirche, Pfarrer und Schullehrer sind, aber auch viele Katholiken wohnen, die keine Schu-le haben, aus dem Vermögen des aufgehobenen Stifts eine neue Schule errichtet und gegründet zu sehen.

(K. K.-Ztg.)

Hückeswagen, den 14. Juli. Vorgestern wurde hier das 50jährige Amtsjubiläum des hiesigen evange-lisch-reformirten Pfarrers Herrn Joh. Heinr. Schnabel mit der lebendigsten Theilnahme der drei

Page 9: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

www.deutsch-juedische-publizistik.de – 9 – urn:nbn:de: 0230-20090805371

Konfessionen feierlich begangen. Der Hr. Generalsuperintendent und Bischof Dr. Roß von Berlin überreichte unter herzlichen Glückwünschen dem Herrn Jubilarius die Insignien des ihm von Sr. Maj. dem Könige, aus Anerkennung seiner treuen 50jährigen Amtsführung, huldreichst verliehe-nen rothen Adlerordens.

(Köln. Ztg.)

Elberfeld. In dem, dem theologischen Publikum nicht allein unseres Königreiches, sondern selbst dem ganzen protestantischen Deutschland so bekannten, als ärgerlichen Streite über die Hülsmann'sche Predigerbibel — (über welche ein Aufsehen der Art gewiß nicht gemacht worden wäre, wenn der Verfasser nicht von dem achtbarsten Theile „der größten Gemeinde der Graf-schaft Mark" zum Pfarrer gewählt worden wäre, welche Wahl den Zeloteneifer einer gewissen, so-genannten evangelischen Partei in Wuth entflammt und zu den bekannten Schritten bewogen hat) — und dessen Wahl zum Pfarrer in Schwelm, der Gott weiß es, mit welchem Rechte erhoben, mit welchen Waffen ist geführt, und in welcher Weise wird beendigt werden, — traten auch 17 Pfarrer der Kreissynode Dortmund, und zwar für Pfarrer Hülsmann, in die Schranken, und empfahlen in einer durch den Druck veröffentlichten Erklärung den Pfarrer Hülsmann dem Schutze der Provin-zial-Synode, und sprachen ihre Bedenken gegen eine fort-dauernde Geltung der symbolischen Bü-cher, als Glaubens- und Gewissensfreiheit gefährdend aus, und forderten eine amtliche Untersu-chung, ob durch die Predigerbibel und durch die Berufung des Verfassers derselben zu einer an-deren Gemeinde die Reinheit der evangelischen Kirche gefährdet werde. — Gegen diese Erklä-rung standen nun auf — wie man glauben muß, innerlich dazu berufen — die Superintendenten König, Natorp, Albert, Philipps, Klingelhöller, Smend, und zwar in einem Gutachten, der hochwürdi-gen Provinzial-Synode von Westphalen ehrerbietigst gewidmet, welches aber hoffentlich die ein-sichtsvolle Synode nicht bestimmen wird. Wir heben nur Einiges aus demselben hervor: In Bezug auf die Forderung jener 17 Pfarrer, daß die Synode entscheide, ob durch die Predigerbibel und durch |Sp. 1079| die Berufung des Verfassers derselben zu einer anderen Gemeinde die Reinheit der evangelischen Kirche gefährdet werde, meynt das Gutachten, dürfe die Provinzial-Synode nicht schweigen. Die Verfasser des Gutachtens stimmen mit der Aeußerung der 17 Pfarrer überein „die Synode darf nicht schlafen, weder den Schlaf der Mattigkeit und Trägheit, noch den der Si-cherheit, und muß ihr Wächteramt im vollen Vertrauen auf Gott und unbekümmert um das Resul-tat und seine Folgen ausüben.“ Und als Mitglieder der Provinzial-Synode halten sie sich weiterhin verpflichtet und berechtigt, die Erklärung der Hrn. Pfarrer zu Dortmund offen und freimüthig zu prüfen, und denselben entgegen sich über die Geltung der symbolischen Bücher der evangelischen Kirche, über die in der Erklärung dagegen ausgesprochenen Gründe, über die durch jene Geltung bedingte Freiheit der wissenschaftlichen Forschung für den evangelischen Geistlichen und über das Verhältniß der Predigerbibel zu dem Lehrbegriffe der evangelischen Kirche auszusprechen. — Diese Sätze werden dann in vier Nummern beantwortet, welche Beantwortung wir im Allgemei-nen auf sich beruhen lassen, weil sie theils sich selbst widerlegt, theils so oft schon widerlegt wor-den ist, daß wir dagegen vor der Hand Nichts aufbringen können, was nicht schon ausgesprochen ist. Doch aber erlauben wir uns, über einiges Vorgebrachte Folgendes zu bemerken. Satz 2 heißt es: „Ueber die in der Erklärung (der 17 Pf.) gegen fortdauernde Geltung der symbolischen Bücher gemachten Einwürfe. — Viele dieser Einwendungen, daß durch solche Geltung die Glaubens- und Gewissensfreiheit aufgehoben, die symbolischen Bücher der heil. Schrift gleichgestellt, oder gar über dieselbige erhoben, eine Knechtschaft des Buchstabens, ein lichtscheuer Glaube, ein finsteres Christenthum herbeigeführt werde, würden in der Erklärung nicht aufgestellt worden seyn, wenn nicht die Geltung derselben als Lehrnorm mit ihrer Geltung als Glaubensnorm verwechselt und daraus die Folgerung abgeleitet würde, der Geistliche sey verpflichtet, jede einzelne Bestimmung derselben zu glauben und zu predigen, wenn dieselbe auch nach seiner Ueberzeugung dem göttli-chen Worte widerspreche; Ebenso wenig scheint die mit jenen Einwendungen zum Theil in Wider-spruch stehende Bemerkung, daß der Sinn der symbolischen Bücher ebenso, wie der der heil. Schrift entstellt und verdreht werden könne, einer Widerlegung zu bedürfen, da der Unterschied zwischen der Heil. Schrift und den ein dogmatisches System, dogmatische Begriffe enthaltenden symbolischen Bücher nicht entwickelt zu werden braucht. Folgende Einwendungen dürften dem-

Page 10: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

www.deutsch-juedische-publizistik.de – 10 – urn:nbn:de: 0230-20090805371

nach nur einer näheren Widerlegung bedürfen: 1) daß eine solche fortdauernde Geltung nach der Kirchenordnung und Agende, sowie nach sonstigen gesetzlichen Bestimmungen in unserer Pro-vinz nicht stattfinde. — Die Kirchenordnung sagt aber §. 78. die Predigt sey der heiligen Schrift und dem evangelischen Glaubensbekenntnisse gemäß.2 Nach §. 49. hat die Provinzial-Synode über die Erhaltung der Reinheit der evangelischen Lehre in Kirchen und Schulen zu wachen. Nach §. 145. 1. hat der Superintendent bei Kirchenvisitationen seine Aufmerksamkeit auf Lehre3 und Betra-gen der Pfarrer zu richten. Nach der durch die Kirchenordnung den hiesigen Provinzen gegebe-nen, also dieselbe erläuternden (??!!) Agende wird dem Ordinanden S. 24 und 25 vorgehalten: „erstens keine andere Lehre predigen und ausbreiten zu wollen, als die, welche gegründet ist in Gottes klarem und lauterem Worte, den prophetischen Schriften des alten und neuen Testamentes, unserer alleinigen Glaubensnorm, und verzeichnet in den drei Hauptsymbolen, dem Apostoli-schen, dem Nicänischen und Athanasianischen (hier werden herkömmlich die symbolischen Schriften genannt) und in deren Geiste die Agende unserer evangelischen Landeskirche abgefaßt ist, und derzufolgen Euch obliegt“, und ebendaselbst S. 69 „demnach ist der Prediger Amt, erstens: keine andere Lehre predigen und ausbreiten zu wollen, als die, welche begründet ist in Gottes lau-terem und klarem Worte, den Schriften des alten und neuen Testamentes, und verzeichnet in den Bekenntnißschriften unserer Kirche. Kann es denn nach solchen Stellen geläugnet werden, daß die symbolischen Bücher nach Kirchenordnung und Agende ihre fortdauernde Geltung als Lehrnorm |Sp. 1080| für den evangelischen Geistlichen haben?“ — Wohl ist es wahr, daß nach der Agende für Westphalen und die Rheinprovinz S. 24 und 25 dem Ordinanden vorgehalten wird, erstens: keine andere Lehre predigen und ausbreiten zu wollen, als die etc., wie von den Herren Superin-tendenten die Stelle citirt worden ist. Aber sie haben vergessen des anderen Formulars zu geden-ken, das in der Agende gleichfalls abgedruckt ist, und mit dem angeführten gleiche Giltigkeit hat; wenigstens den Hauptpunkt, auf den es unseres Dafürhaltens ankommt, hätten sie nicht überse-hen oder übergehen dürfen. Heißt es auch hier: „demnach ist der Prediger Amt, erstens: keine an-dere Lehre zu predigen und ausbreiten zu wollen, als die, welche gegründet ist in lauterem und klarem Worte, den Schriften des alten und neuen Testamentes, unserer alleinigen Glaubensnorm, und verzeichnet in den Bekenntnißbüchern unserer Kirche etc. etc.“, so wird doch in den eigent-lich verpflichtenden Fragen der Bekenntnißschriften nicht gedacht; die symbolischen Bücher daher als Lehrnorm anzusehen und zu beachten, werden die Geistlichen durch ihr „Ja“ auch nicht ver-pflichtet. -Der zu ordinirende Geistliche wird nämlich ausdrücklich gefragt: 1) Seyd Ihr in Euerem Herzen versichert, daß Ihr, so wie von dieser Gemeinde, so auch von dem Herrn der Kirche zu diesem heiligen Dienste berufen seyd? 2) Haltet Ihr auch die Schrift, sowohl das alte, als neue Tes-tament für das einzige Wort Gottes und für die vollkommene Lehre zur Seligkeit, so daß Ihr Alles, was dagegen streitet, ganz und gar verwerft? 3) Verheißt Ihr Euch hierbei, Euer Amt, wie es zuvor beschrieben ist, nach dieser Lehre (der heil. Schrift. Ref.) treulich zu verwalten, Euere Lehre mit einem gottseligen Leben zu zieren etc.? — Und an dieses Formular mögen sich denn Alle halten, welche nach ihrem besten Wissen und Gewissen die symbolischen Bücher als in allen ihren Sätzen wahrhaft biblisch nicht unterschreiben, daher nach ihnen auch nicht lehren können. Ja, man ist nach der zweiten Frage selbst berechtigt, das, was in den Bekenntnißschriften mit dem reinen, kla-ren Bibelworte streitet, ganz zu verwerfen. —

(Allg. K.-Ztg.)

Coblenz, 20. Juli. Vor einigen Tagen reiste Hr. Pisbach, Zögling der Propaganda in Rom, von Coblenz über Trier nach Metz, Paris und Havre de Grace, um sich in jenem Hafen nach Amerika einzuschiffen. Er ist von Rom aus dem hochw. Hrn. Bischof von Philadelphia zugewiesen. Herr Pisbach ist ein eifriger und braver junger Priester, der um die Ehre des Herrn zu verbreiten, sein Vaterland, seine Mutter und Geschwister verläßt; jedoch der liebe Gott wird ihm dort auch ein Va-

2 Wer doch wahrhaftig dieses Letztere nur, insofern die Glaubensbekenntnisse nicht spitzfindige Bestim-mungen menschlicher Philosophie, sondern das lautere, klare Bibelwort enthalten. — 3 Aber doch nur, in wie weit diese schriftmäßig sey, wenn dieses selbst. Wer ist hier Richter?? —

Page 11: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

www.deutsch-juedische-publizistik.de – 11 – urn:nbn:de: 0230-20090805371

terland, eine Mutter und Geschwister geben. Gott segne sein Unternehmen, bringe ihn glücklich an den Ort seiner Bestimmung!

(K. K.-Ztg.)

— Des Königs Maj. haben den zum Pfarrer der evangelischen Gemeinde zu Coblenz designirten bisherigen Garnisonsprediger Groß zum Konsistorialrath bei dem Konsistorium der Rheinprovinz zu ernennen Allergnädigst geruht.

(Düsseld. Ztg.)

Theologische Akademie.

Katholische Abtheilung.

Von dem Trennungsprinzip der Reformation und dessen heutiger Bedeutung.

Von F. B. von Buchholtz, k. k. Rath in Wien.

(Schluß.)

Sehr häufig wird von den Nichkatholiken die Reformation als der nothwendig gewordene Aus-bruch des sittlichen Gefühls gegen die Verderbtheit der Geistlichkeit, namentlich im 15. Jahrhun-dert geschildert. Noch öfterer wird sie als Lösung des Gewissens vom Zwang des weltlichen Straf-gesetzes, und durch diese Befreiung, so wie durch die aus ihr hervorgehende, oder den Kampf geweckte Freiheit der Untersuchung, als die Pflegerinn |Sp. 1081| anderer Freiheiten geschildert, woraus besonders die Wissenschaften und die Kräfte des Geistes neuen Aufschwung erhalten hat-ten.

— Katholischer Seits wird bekanntlich hierauf geantwortet, daß wenn ein großer Theil der Kirche schlecht war: wogegen sich das sittliche Gefühl empören und man den Ausspruch „folgt ihren Worten und nicht ihren Werken," im Ungestüm dieses Gefühls vergessen konnte, — es anderer Seits nicht an den großartigen Beispielen christlicher Tugend und ihres reichsten Segens gefehlt habe, woran jenes sittliche Gefühl sich hätte erbauen und kräftgen können. — Es wird ferner ge-antwortet, daß das Kriminalgesetz des Mittelalters zwar die Orthodoxie in seinen Schutz nahm, aber dienend, nicht aus Menschenmacht befehlend, so daß wenigstens eine bewußte Verfechtung des Gewissens unter menschliche Meynungs-Tyrannei darin nicht liegen konnte. Daß aber die Wissenschaften und die Entwickelung freier Staatsformen durch die kirchliche Lehre nicht gehin-dert werden, deßhalb berufen sie sich theils auf die Natur der Sache, theils auf so Vieles und Gro-ßes, was in dieser Beziehung, ganz unabhängig von der Kirchenspaltung die europäische Ge-schichte verherrlichet. Sie erinnern, daß die Spaltung selbst anderer Seits auch sehr gedient hat, die schon vorhandenen Bestrebungen und Gestaltungen vielfach zu hemmen, indem z. B. die Kirche manche intellektuelle Kräfte und kathol. Monarchen manche Freiheitsbestrebungen bloß aus dem Grunde mißtrauisch ansahen und beschränkten, weil dieselben Mittel für die Religionsneuerung geworden waren. Aber abgesehen von allem diesen, und gesetzt, daß auch katholischer Seits zu-gegeben werden müßte, daß die sittliche Kraft im äußern Lehrkörper, das was die Kirche selbst Reform nennt, nicht anders mehr, als durch einen so furchtbaren Abfall und Kampf zu wecken gewesen: — daß ferner darum diese Spaltung vielleicht von Gott zugelassen sey, damit nicht selbst die wahre Lehre, wegen der Vermischung mit weltlichem Gesetz, zu sehr als Menschensache auf-genommen und endlich auch durch menschliche Macht beherrscht und unheilbar verfälscht wor-den wäre: — daß endlich die Entwickelung aller menschlichen Kräfte, der Umfang ihrer Bestre-bungen, die-Erforschung aller Quellen etc. aus den spätern Wirkungen der Reformation einen eigenthümlichen Character und günstige Bedingungen erlangt habe; — gesetzt, man könnte sich in solchen geschichtlichen Ansichten über die Unvermeidlichkeit oder wichtigen Folgen der Kir-

Page 12: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

www.deutsch-juedische-publizistik.de – 12 – urn:nbn:de: 0230-20090805371

chenspaltung vereinigen, würde dadurch auch nur das mindeste an der eigentlich streitigen Frage, und an den Motiven geändert, die zu ihrer Erörterung und Beantwortung auffordern?

Die Kirchenspaltung hat außer ihrer europäisch-universellen eine nationaldeutsche Bedeutung. Vielfach und von allen Seiten ist es beklagt worden, daß sie die Einheit deutscher Nation so tief getrennt und gehindert hat. — Ganz neuerlich ist darauf aufmerksam gemacht worden, daß in ei-ner gewissen Epoche wenig gefehlt hatte, wenn man die Masse betrachtet, daß ganz Deutschland sich in der protestantischen Absicht, wenigstens in der Ausstoßung gewisser kirchlichen Lehren und Uebungen die man Mißbräuche nannte, vereinigt hätte, wenn nämlich Maximilian II., Sohn und Nachfolgers Ferdinands, in seiner anfänglichen Richtung beharret wäre. Aber kann man sich auf solche Weise eine wirkliche Einheit begründet denken? war man nicht in der Hauptsache, je-ner Verneinung des Wesens der Kirche einig, so war man es gar nicht. Wäre man das gewesen, hätte man es bleiben können? würde nie die gegenseitige Ueberzeugung wieder haben Raum ge-winnen, können? hätte man sie zwangsweise, wie in England durch sogenannt gute Gesetze, fes-seln und unterdrücken sollen? Seitdem eine Grundfrage über das Wesen der Kirche in Streit ge-bracht war, konnte eine politische Einheit Deutschland's schlechterdings nicht anders mehr beste-hen, als daß man sich über die Stellung vereinigte, worin sich die weltliche Macht, gegen die auf geistigem Gebiet zu vollziehende Wiederaussöhnung über diese Fragen, und zur Glaubensfreiheit überhaupt zu behaupten habe; wie solche Einheit in jener Toleranz, wie sie der Religionsfriede, später der westphälische Friede und neuerlich die Bundesacte (obwohl in einer allerdings mangel-haften und nicht nach gründlicher Idee durchgeführten Weise) feststellen, zum Theil auch ausge-sprochen ist.

Wenn von der Bedeutung die Rede ist, welche das seither betrachtete Trennungsprinzip zur ge-genwärtigen Zeit haben kann, so dürfte keine der bisher erwähnten Eigenschaften und |Sp. 1082| Seiten der Sache außer Acht zu lassen seyn. Wir sahen, wie ganz ohne und gegen die Absicht Je-ner, welche dieses trennende Prinzip aussprachen, dasselbe doch in späterer Entwicklung mittel-bar beitragen mußte, dem Rationalismus, der Vernunft der Ichheit, den Weg zu größerer Herr-schaft zu bahnen, und daß selbes durch Begründung der Gleichheit und gänzlichen Unabhängig-keit jedes Geistes von allen andern Dingen des Glaubens, auch jene Seite der Zeit verstärkt hat, welche in der sittlich-politischen Ordnung den Einzelnen vom Leben des Geschlechtes völlig zu trennen, und die Gesellschaft auf Gleichheit und Independenz zu gründen, das Bestreben hat. — Außerdem sahen wir, daß nicht bloß einer ungläubigen Naturansicht, sondern auch jener schwärmerischen Ueberhebung, da menschliche Phantasie und Gemüthskräfte, ja vielleicht die Sinnlichkeit und materielle Wirklichkeit selbst, Hauch und Kraft Gottes, Kultus zu seyn sich anma-ßen, — in allen den mannichfaltigen Gestalten falscher Mystik, welche sich von dem Fanatismus der Wiedertäufer und Independenten an bis zu den schwärmerischen Sekten unserer Tage, ja bis zu den St. Simonisten, und jenen vielleicht noch künftigen Bestrebungen gesteigerter Naturvergöt-terung, wozu die St, Simonisten vielleicht nur ein plumperes und allzuprosaisches Vorbild abge-ben, — durch die Verneinung der objectiven Kirche mittelbar ein weit größerer Spielraum zu Theil wurde. Es scheint also, daß alle, welche dem Unglauben sowohl, als dem geistigen Hochmuth, übersichtiger Schwärmerei und einem frechen neuen Heidenthum entgegen sind, wünschen müs-sen, daß jenes trennende Prinzip sich mildere. — Es scheint dieß nicht minder der Wunsch aller deren achtungswürdigen Stimmen in der protestantischen Welt seyn zu müssen, welche (wie neuerlich Plank in seiner Schrift gethan) nach Erwähnung aller jener einseitigen und abnormen Richtungen einer verfolgungssüchtigen, angemaßten Orthodoxie und dagegen eines düstern und willkührlichen Mystizismus, als Hoffnung aufstellen, daß unsere Zeit der reineren Harmonie der Erkenntniß- und Gemüthskräfte, des Verstandes und Willens im Christenthum sich nähere. Wird das seyn können, wenn nicht die Art und Weise der Festigkeit, deren sich die Lehre erfreuen muß, wenn nicht die Art und. Weise dessen, was der Mensch selbst zur Erlangung des Heiles thun soll, durch die Lösung jener großen Frage, welche, nicht immer Trennungsprinzip zu bleiben braucht, sondern auch die eigentlichen Elemente der Aussöhnung und Wiedervereinigung in sich enthält, in's wahre Licht gebracht ist? — Aber auch an sich selbst, welcher ernste Christ wird nicht hier den wichtigsten Gegenstand gläubigen Forschens finden? wer, der da glaubt, würde sich nicht scheu-en, den Geist willkührlich von der Leiblichkeit zu scheiden, in welcher nach einem, geistreichen

Page 13: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

www.deutsch-juedische-publizistik.de – 13 – urn:nbn:de: 0230-20090805371

Ausdruck, die Vollendung aller Wege Gottes liegt? Alles kommt darauf an, in welcher Weise der Herr Christus selbst die Wirkungen seiner Gnade an die Geheimnisse und Wunder seines Leibes knüpfen wollte. Sollten wirklich die wüthigen Schmähungen der Reformatoren auf die Messe hin-reichend seyn, den Christen, welcher sanften Gemüthes ist, über den entgegenstehenden ernsten Ausspruch so vieler Jahrhunderte, der morgen- und abendländischen Kirchen, jenes Meeres von Zeugnissen, einmal für immer zu beruhigen?

Und die Freunde der Nationaleinheit? Wer würde eine bessere Mütze und Begründung derselben im Geistigen finden, als wenn man hoffen könnte, daß die dem Glauben nicht entfremdeten Den-ker des großen Vaterlandes in den Fragen von der Kirche, von dem Zeugniß, der Fortpflanzung und Erhaltung, des Glaubens einig, von hier aus, von dieser geheiligten Mitte aus, in welcher Christus selbst die Menschheit und Natur ergreifen und in Besitz nehmen wollte, aus, die Resulta-te der sich mehr und mehr erweiternden Geschichte und Naturerforschung immer umfassender beleuchten möchten? wenn auch so die Verhältnisse des Glaubens zum Staate mit Eintracht aller derer, welche den Glauben ehren (die wahre Freilassung der Gewissen von Seiten der Staatsmacht, mit den mittelbaren Schutz des Heiligen und der Ehrfurcht vor der Offenbarung verbindend) lichtvoll und mit ruhiger Vernunft geordnet werden möchte?

Es wird also allen denen von großer Wichtigkeit seyn, denen der Schutz ehrwürdiger Wahrheiten gegen die übermüthige Vernunft der Ichheit oder gegen Schwärmerei oder Naturvergötterung et-was gilt, allen, welchen die Harmonie der erkennenden und wollenden Seelenkräfte im Glauben, allen endlich, welchen |Sp. 1083| der innere Frieden der Christen selbst, und auch die Begrün-dung echter Nationaleinheit im freien geistigen Gebiete am Herzen liegt, — daß jene Frage, deren Behandlung und Beantwortung den Streit entweder verewiget, oder heilt und sühnt, mit so ernster als bescheidener Wahrheitsliebe erforscht werde. — Man wird nicht zu fürchten haben, daß Blüthen des Ruhmes welken, wenn sie anders echt und wahrhaft sind, welche die mächtige Bewe-gung, wodurch die Verneinung Raum gewann, begleiteten oder ihr nachfolgten; nur zufällig kön-nen wahre Kränze des Ruhmes sich einem Nein zugesellen; es wäre denn, daß dasselbe die Folge eines tiefer liegenden, erhebenden Ja sey. Bis jetzt ist dieses Ja nicht angegeben, welches wirklich zur Verneinung der Kirche in ihrer sacramentalen Grundlage nöthigte: es kann weder in der Knechtschaft des Willens gegen Gott, wie sie die Reformatoren lehrten, gegeben seyn, welche in der Freiheit des Menschen gegen Welt und Natur, welche in der neueren Zeit der Kirche entgegen-gesetzt werden. Denn der allmächtige Gott setzt freie Geschöpfe sich gegenüber, schaffend so-wohl, als erlösend; und die Freiheit des Menschen kann sich keiner Schranken weigern, die aus der Leiblichkeit stießen, durch welche Gottes ewiges Wort sich beschränkt zu haben gelehrt wird. — Sollte aber jemand ein solches erhabenes Ja, ein hohes Gemeingut der Menschheit wirklich zu er-kennen glauben, womit die Kirche, ihrer reinen Idee nach, unverträglich wäre, so rede er wenigs-tens nicht so, als wenn das so schwer zu Findende, schon längst gefunden wäre.

Wenn aber anderer Seits redlichen Wahrheitsfreunden einleuchten sollte, daß nichts sie nöthige, jene wesentliche Frage zu verneinen, wenn sie vielmehr zur Bejahung derselben dringende Ana-logien, und lichte Gründe finden sollten, so ist damit gar nicht gesagt, als wenn darum aus jenem langen Kampfe nicht für die gerettete Sache selbst in allen ihren Folgen und Beziehungen we-sentliche Vortheile hervorgehen könnten. Der menschliche Ausdruck, die Fassungskraft, das Or-gan, womit die Generationen die Thaten Gottes, welche gleichbleibend wahr sind, auffassen, kön-nen erweitert und verfeinert werden; und wenn nicht der Glaube, so kann wenigstens die gläubige Wissenschaft sich bereichern und erheben, und nach Jahrhunderten zu höheren Stufen der Erkenntniß emporsteigen.

Vielleicht aber begegnen diese Zeilen auch einem oder andern Leser, der die Entzweiung an sich selbst für ein Gut hält, und sie fortzusetzen in jeder Weise, sich berufen glaubt. Oder einem gegen den Glauben Gleichgiltigen, dem die Kirche sowohl, als der Kampf dagegen, die Aussöhnung, wie die Fortführung des Streites, wie ein einer Seits interessantes, anderer Seits kindisches und beklagenswerthes Schauspiel erscheint, auf welches er selbst von vermeinter Höhe der telescopischen Beobachtung mitleidig herabsieht. — Oder einem, der sich gewöhnt hat, die Fragen, welche Gott und Ewigkeit betreffen, als an den Wechsel der Zeiten gebunden anzusehen, so daß

Page 14: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

www.deutsch-juedische-publizistik.de – 14 – urn:nbn:de: 0230-20090805371

während in einer Epoche sie die höchsten Interessen der Menschheit ausmachten, in einer andern ihrer nur zu erwähnen, Schwachheit und beschränkten Sinn verrathe. — Alle diese mögen denn gutmüthige Erwägungen, wie die vorstehenden, belächeln, als historisches Resultat aber dennoch sich gefallen lassen, daß in dem Kampf um das Ja und Nein jener ausgeführten Frage thatsächlich die Hauptsache, die Summe, das Wesen jenes Streites lag und liegt; und daß jeder, welcher umge-hend diese Frage, die Glaubensspaltung oder ihre Folgen schildert, das Dunstbild statt des Gegen-standes, den Rauch, statt der Flamme zeichnet.

Protestantische Abtheilung.

* Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu, und zur Charakte-ristik der gegenwärtigen Theologie. Von Dr. David Friederich Strauß. Erstes Heft: Herr Dr. Steudel oder die Selbsttäuschungen des verständigen Supranaturalis- |Sp. 1084| mus unse-rer Tage. 192 S. — Zweites Heft: Die Herren Eschenmayer und Menzel. 247 S. 8. Tübingen, bei Osiander. 1837.

Beurtheilt von Candidat August Boden aus Oldenburg.

(Fortsetzung.)

„Jede Erdichtung“, sagt Eschenmayer, „kann eben weil sie Erdichtung ist, nur zuerst von Einem ausgehen, und eben so ist der, der die erste Sage verändert, ihr zusetzt, sie verstümmelt oder ver-unstaltet, immer nur Einer und sofort bis in's tausendste Glied.“ S. 24 bei Eschenm., S. 58 bei Strauß. Das ist von der Sage durchaus nicht wahr, falls man sie nicht auch zu einer Erdichtung machen will, wie Hr. Eschenmayer es mit der so ungelegen gemachten Sage in den angeführten Worten fast zu thun scheint. Die Sage ist auch keine Neuigkeit, wird weder erfunden, noch verbreitet sie sich wie diese; sondern die Sage ist, poetisch gesprochen, ein Wesen,4 das seinen eigenen Charakter hat. Strauß fügt aber hinzu: „Allerdings; nur fragt es sich, ob dieser Eine bewußt und absichtlich die Erzählung macht oder erweitert. Daß das Erweitern unabsichtlich geschehen kann, daß veran-schaulichende Züge hinzugesetzt," etc. „daß auch durch Weglassung von vermittelnden Umstän-den" etc. „dem Natürlichen bei der Wiedererzählung der Schein des Wunderbaren gegeben wer-den kann, ohne daß der Wiedererzähler dabei eine unredliche Absicht" etc. „hat,“ etc. etc. „dieß kann zwar, wie Alles, geleugnet, schwerlich aber durch Gründe als unmöglich erwiesen werden.“ „Wie aber“ , fährt Strauß fort, „nicht allein die Ausschmückung oder Umgestaltung eines wirklich historischen Grundstocks, sondern selbst auch die Bildung von Grund aus ungeschichtlicher Sa-gen über Jesum ebenso bewußtlos und ohne Arges vor sich gehen konnte, dieß habe ich in Betreff solcher Züge, die in der jüdischen Messiaserwartung lebten, und die mithin, sobald Jesus als Mes-sias anerkannt war, von selbst in seine Geschichte übergetragen wurden, in der zweiten Auflage meines Lebens Jesu bewiesen, 1r Band, Einleitung.“ In diesen Worten sind zwei Ungenauigkeiten. Erstlich gibt es gar keine „ungeschichtlichen Sagen“, so wenig als geschichtliche. Die „ungeschichtlichen Sagen“, deren Strauß hier Erwähnung thut, haben grade ihr Geschichtliches in den Messiasideen der Juden, wie auch Niemand klarer gemacht hat, als grade Strauß. Ihr Ungeschichtliches erklärt sich von selbst, aber beides erklärt die Sage. Wenn Bretschneider in Nro. 105 der Allg. K.-Ztg. d. J. sagt; „Die Sage geht immer vom Geschehenen aus; sie hat immer eine ge-schichtliche Grundlage“5, so ist das ungenau; wenn er aber hinzusetzt: „Erdichtung ist ihr ihrer Natur nach gänzlich fremd“, so hat er unrecht.

Die Sage ist eine Schmarozerpflanze, die auf ihrem eigenen Boden wächst, aber sich an Geschehe-nes schlingt und nun wuchert und dichtet, was sie kann Sie ist eben ein Gewebe von Wahrheit und

4 Man muß darin den Posten folgen, die uns das Unklare veranschaulichen, während der Philosoph allen Nebel zu Wasser werden läßt. So lehrt Virgil, was die Fama sey: Monstrum horrendum, ingens etc. während philosophus non curat. Ein Dichter braucht die Mythen, der Philosoph räumt sie weg. 5 Stärker noch sagt das Bretschneider a. a. O.: Die Sage sey Geschichte, wenigstens habe sie immer etc. Er nennt die Sage, nämlich „die evangelische Sage", „das mündliche Evangelium" und verwechselt Sage und Tradition. A. a. O.

Page 15: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

www.deutsch-juedische-publizistik.de – 15 – urn:nbn:de: 0230-20090805371

Dichtung, und ihrem Wesen, obwohl nicht ihrer Bedeutung nach, dieselbe vor der Erfindung der Schreibkunst u. s. w., wie nach deren Erfindung.6 Was Strauß mit ungeschichtlicher Sage im N. T. meint, das ist geschichtlicher Mythus; der ist edler, als die Sage, weil er an sich zwar unselbständi-ger ist, als diese, der Mensch aber selbständiger in ihm. Die Sage um-gibt den Menschen von au-ßen, in der Mythe verliert und vertieft er sich in sie. Der Hauptbegriff der historischen Mythe liegt in Mythe; sie entspringt aus den Vorstellungen |Sp. 1085| der Menschen; das Historische beruht auf dem Geschichtlich-Ungeschichtlichen der Sage.7 Das eigentliche Resultat des Strauß'schen Lebens Jesu ist nun für uns, daß das Christenthum seinem Begriff, seiner innern Bildung nach, die äußere Bildung, die Bildung der Zeit seines Entstehens, so weit es von ihm abgehangen, innerhalb seines Umfangs und seiner Gränzen, gänzlich überwunden, und sich es angepaßt habe, daß also selbst das Unwesentlichste des Urchristenthums von dem Wesen des Christenthums bei dessen Erschei-nung durchdrungen und verklärt sey, und daß hierin die Gewähr liege, das Christenthum brauche den Maßstab der höchstgebildeten philosophischen Form nicht zu scheuen. Ob also Strauß es ver-diene, Repetent am Seminar . in Tübingen zu seyn, ob ferner die Verkleinerung, und nicht |Sp. 1086| vielmehr die Verherrlichung des Christenthums, sein Verdienst, und er ein christlicher Den-ker sey, das werden freilich die Hengstenberge zu entscheiden haben.

(Fortsetzung folgt.)

6 Vgl. Bretschneider. Wenn Bretschneider a. a. O. sagt: „Es gab eine Zeit, wo alle Geschichte Sage war", so ist ein sol-ches bloß etymologisches Erklären der Sage nicht sehr ernsthaft zu nehmen; und zu einer Zeit, wo alle Geschichte Sage war, war gar keine Geschichte, eine solche Zeit gibt es also gar nicht für uns, wir können also auch nichts von ihr aussagen. 7 Bretschneider sagt a. a. O.: „Ueber das öffentliche Leben Jesu konnte, die Dichtung erst später, nach dem Jahre 70, Raum gewinnen. Dieß sucht Strauß zwar zu leugnen und bemerkt, 1r Bd., S. 74 (des Lebens Jesu, 2te Aufl.): „ „es müsse den Aposteln und andern Augenzeugen des Lebens Jesu eine wahre Allgegenwart zugeschrieben werden, wenn sie an allen Orten und Enden, wo unhistorische Sagen über Jesum aufkeimten und fortwucherten, zu deren Ausjätung sollten zugegen gewesen seyn.““ Aber damit hebt er seinen eigenen Begriff der Mythe auf, der ja eine Anbewußte Dichtung aus der in der ganzen Kirche lebenden Idee seyn soll, indem sonach die Mythe ein nur hier und da entstandenes Unkraut wäre" In dem Letztem hat Bretschneider ganz recht. Das alles erledigt sich aber viel-leicht durch das, was oben in der Recension nur kurz, weil nur gelegentlich, angedeutet werden konnte. „Es ist zu bedauern“, sagt Bretschneider, „daß Hr. Dr. Strauß, statt der christlichen Urgeschichte einen durchaus mythischen Charakter aufzudringen“, (er will sie vielmehr von dem Schein dieses Charakters und von dem Nachtheiligen eines solchen Scheins befrei'n) „sein Talent nicht lieber, darauf gerichtet hat, die historische Sage in unsern Evangelien näher zu prüfen, und das Geschichtliche in ihr näher zu ermitteln.“ Dazu, sagt Strauß, habe ich deßhalb keine Lust, weil ich, wenn so Vielen auch nicht rechtgläubig genug, doch viel zu gut-gläubig bin, um von der evangelischen Geschichte Etwas als gänzlich ungehörig, als gänzlich der christli-chen Idee fremd, also von ihr auch nicht überwunden auszuscheiden. Schleierm. a. a. O. S. 491. Ich bin dazu nicht vereinzelnd, nicht rationalistisch genug, obwohl man mir vorwirft, daß mein Gemüth und Denken noch nicht von allen rationalistischen und philosophischen Voraussetzungen befreit sey. „Wollte Strauß“, sagt Bretschneider ferner, „sich selbst streng an die Consequenz, die er zu Gunsten seiner Hypo-these anspricht, binden, so mußte er auch leugnen, daß es einen Johannes den Täufer, ja daß es überhaupt einen Galiläer mit Namen. Jesus jemals gegeben habe.“ Strauß' Hypothese will grade Jesu Ansehen, die Wirkung seiner Lehre und die Geltung seiner Anstalt von demje-nigen unabhängig machen, durch dessen vernunftwidrige Auffassung und Festhaltung man die christliche Kir-che zerstörte †) und ihren Gang hemmte. Sie hat ihre ganze Kraft in dem Glauben an den geschichtlichen Chris-tus, und dieser Glaube ist um so stärker, für je stärker er sein Object, für je erhabener er es über die Zufälligkeit der Geschichte hält, die er ihm unterwirft« „Da“, beginnt Brerschneider den Beschluß der angegebenen Abhandlung in der A. K.-Z., „Strauß selbst am Ende seiner Schrift sich über die Verlegenheit, in welcher sich (bei seiner Ansicht) der Religionslehrer mit der evangeli-schen Gemeinde befindet, mit einer ihm zur großen Ehre gereichenden Redlichkeit erklärt hat; da diese Verle-genheit auch von Andern zur Sprache gebracht worden ist, und da sie auch theilweise bei einer oder der andern evange-lischen Erzählung, wo wir Zusätze und Ausschmückungen der evangelischen Sage bemerken sollten, eintreten kann, so dürfte es nicht überflüssig seyn, noch Einiges über das Verhältniß der Straußischen Kritik zum Bestande des histo-rischen „Christenthums beizufügen.“ Bretschneider, selbst von den Hauptereignissen der evangelischen Geschichte Jesu nur „die Empfängniß Jesu im Schooß der Jungfrau durch den heiligen Geist" für mythisch haltend, und sich hierfür sehr gut auf die Paulini-schen und Petrinischen Briefe stützend, a. a. O., nimmt sich in dem Obigen der bisherigen Rationalisten an, die er, ohne sich selbst zu ihnen zu rechnen, auf rühmliche Weise stets gegen die Supranaturalisten in Schutz nimmt. Man sieht aber aus dem Angeführten, daß die Rationalisten jetzt als gänzlich auf dem Trocknen zu denken sind. † Vgl. Strauß, Streitschriften, 1stes Heft, S 73.

Page 16: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

www.deutsch-juedische-publizistik.de – 16 – urn:nbn:de: 0230-20090805371

Nachweist von Rezensionen theologischer Schriften.

(Fortsetzung.)

Rheinwald's Repertorium

1837. Aprill. Rückert Commentar über den Brief an die Römer. — Biographien Savonarola's von Rudolbach und Maier. — Räß und Weis Die Feste des Herrn u. s. w. — Nickel Die heiligen Zeiten und Feste u. s. w. — Schmid Die heilige Messe. — Desselben Die Priester- und Bischofsweihe. — Die Re-ligionen der Welt. — Antony monuate devotinis cathol. — Desselben Symbolik der kathol. Kirchen-gebräuche. — Bellermann Die St. Paulsgemeinde vor Berlin. — Ullmann Ueber die Sündlosigkeit Jesu. — Fichte Ueber die Bedingungen eines spekulativen Theismus. — Hoffmann Speculative Ent-wicklung der ewigen Selbsterzeugung Gottes. — Daumer Züge zu einer neuen Philosophie der Re-ligion und Religionsge-schichte. — Stephani Die Offenbarung Gottes durch die Vernunft. — Ge-spräch über das Verhältniß der Philosophie zur Religion. — Hoffbauer Gott und das Wichtigste aus der Natur. — Rump Gametiels und seiner Freunde Abendunterhaltungen. — Schriften über die Hülsmann'sche Predigerbibel von Sander, A. W. Hülsmann, Snethlage, H. v. Hammer, Spitzbarth, J. H. Hülsmann und dem Verf. selbst. — Predigtsammlungen von Alt, Jäger, Rambach, Einzelpredigten von Alt, Arndt, Detzer, Eckert, Förster, Fuchs, Grüel, Hesekiel, Klein, Klussmann, Kraußold, Lehnus, Mänß, Nitzsch, Nitschke, Peters, Schindler, Schmidt, Sieger, Thiemann, Weber, Westermaier, de Wette. — Zeitschriften: Geiger Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie. — Philippson Israel. Pre-digt- und Schulmagazin. — Ben Usiel Neunzehn Briefe über Judenthum.

(Wird fortgesetzt.)

Anzeigen.

(59) Bei Mayer u. Comp. in Wien ist so eben erschienen und in alle soliden Buchhandlungen zu ha-ben:

Der dritte Band vom Homilienkranz für das katholische Kirchenjahr von J. G. Veith, Domprediger zu St. Stephan in Wien. Pr. 1 Thlr od. 1 fl. 48 kr. rh.

Mit Vergnügen benachrichtigen wir hiermit alle Freunde und Verehrer des hochw. Hrn. Verfas-sers, daß außer dem vierten Bande, welcher bereits unter der Presse ist, nun noch ein fünfter er-scheinen wird, so daß in den vier ersten Bänden Sonntagspredigten, und im fünften Feiertagspredig-ten enthalten sind. .

Dieser dritte Band beginnt von da an, wo die früher in vier Bänden erschienenen homilet. Vorträgen aufgehört haben. Mithin bildet der 3te und 4te Band dieses Homilienkranzes die Fortsetzung der homilet. Vorträge. Alle Abnehmer dieses Werkes wollten wir hiermit wiederholt aufmerksam ma-chen.

Berichtigung.

Univ.-K.-Ztg. No. 67, S. 1070, Z. 9 und 10: st. „bei denen der Mythus daher nicht mehr auf Sagen beruht: In denen die Sage willkührlich und fessellos waltet.“

Buchhandlung: F. Varrentrapp – Herausgeber: Dr. J. V. Hoeninghaus. – Druckerei: Heller und Rohm. Maschinendruck.

Page 17: Unparteiische Universal-Kirchenzeitung für die ... · Prot. Abth. Strauß Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu etc. Rec. vom Candidaten Boden in

www.deutsch-juedische-publizistik.de – 17 – urn:nbn:de: 0230-20090805371

Editorial Die Netzpublikation der Volltext-Wiedergabe der „Unparteiische[n] Universal-Kirchenzeitung für die Geistlichkeit und die gebildete Weltklasse des protestantischen, katholischen, und israelitischen Deutsch-lands.“ erfolgt als Teil des Editionsprojekts Deutsch-jüdische Autoren des 19. Jahrhunderts. Schrif-ten zu Staat, Nation, Gesellschaft (2007-2010), das gemeinsam vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung und vom Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen getragen wird. Die Paginierung des Originals (in | |) und die Rechtschreibung des Originals sind beibehalten. Of-fensichtliche Setzfehler wurden stillschweigend korrigiert.