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Unverkäufliche Leseprobe aus: Andrew Lane, Young Sherlock eiskalter Tod Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Ver- lags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elek- tronischen Systemen. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Unverkäufl iche Leseprobe aus: eiskalter Tod · 2013. 3. 3. · The Diogenes Club war dort in eingravierten Buchstaben zu lesen. 56. Crowe klopfte mit dem Knauf seines Spazierstocks

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  • Unverkäufl iche Leseprobe aus:

    Andrew Lane,Young Sherlockeiskalter Tod

    Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Ver-lags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elek-tronischen Systemen.© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

  • Die Fahrt nach Waterloo Station kamSherlock kürzer vor, als er sie in Erinnerung hatte.Crowe war die ganze Zeit über schwer in Form. Uner-müdlich zog er Schlussfolgerungen über die unter-schiedlichsten Leute, die den Waggon bestiegen oderan den Bahnhöfen, an denen sie vorbeikamen, auf denBahnsteigen standen. Nur um Sherlock zu necken, ver-wickelte er hin und wieder manche Leute in ein Ge-spräch und brachte sie dazu, sich über die Dinge auszu-lassen, die er Sherlock bereits kurz zuvor skizzierthatte. Die vorherige unangenehme Dissonanz, die we-gen Rufus Stone zwischen ihnen aufgekommen war,schien sich in nichts aufgelöst zu haben.Nachdem der Zug sich die letzten Meter in den Bahn-hof geschleppt hatte und am Bahnsteig zum Haltengekommen war, stiegen die beiden aus und marschier-ten durch die Bahnhofshalle, um eine Droschke aufzu-treiben.Sherlock hatte das laute und bunte Treiben in Water-loo Station schon einmal erlebt. Aber als er und AmyusCrowe sich den Weg durch eine besonders dichte Men-ge von Männern mit Zylinderhüten bahnten, ertappteer sich plötzlich dabei, wie er sich vorstellte, durch

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  • eine triste Landschaft von Industrieschloten zu wan-deln, die sich über düsteren Fabriken erhoben. DerDampf der Lokomotiven, der durch den Bahnhof wa-berte, verstärkte diesen Eindruck sogar noch. Irritiertund verärgert versuchte er, das Bild zu verdrängen. Eskam nicht oft vor, dass er von solchen Phantasiebildernheimgesucht wurde. Und er mochte es ganz und garnicht, wenn das passierte. Schließlich gab es keinenlogischen Weg, der einen von Zylinderhüten zu qual-menden Industrieschloten führte. Es war ein poetischerVergleich, kein analytischer. Und natürlich keiner, denAmyus Crowe gutheißen würde.Ganz im Gegensatz vermutlich zu Rufus Stone. Der Ge-danke ließ ihn in unbehagliches Schweigen versinken.Draußen vor dem Bahnhof rief Crowe eine Droschkeherbei. Da sie nur einen Tag in London waren, hattensie kein Gepäck. Also stiegen sie einfach ein und warenzur Abfahrt bereit.Bei der Droschke handelte es sich um kaum mehr alseine in Fahrtrichtung offene Box auf zwei Rädern. EineBox, bei der der Kutscher erhöht hinter dem Verdecksaß und die von einem einzigen Pferd gezogen wurde,das durch Ledergeschirr und Zügel mit dem Gefährtverbunden war.»Zum Diogenes Club«, rief Crowe zum Kutscher hin-auf.»Wo ist das, Mister?«, rief der Mann zurück.»Fahren Sie zuerst zur Admiralität«, antwortete Crowemit lauter Stimme. »Von da an werde ich Sie lotsen.«

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  • Crowe ließ sich auf seinen Sitz sinken, als sich die Kut-sche in Bewegung setzte. »Der Club existiert erst un-gefähr ein Jahr«, sagte er im Plauderton. »Dein Bruderist wohl so was wie einer der Gründer, wie er mir er-zählt hat. Der Club ist nach dem griechischen Philoso-phen Diogenes von Sinope benannt. Diogenes war ei-ner der Begründer der kynischen Philosophie oder desKynismus, wie die dafür gängige Bezeichnung lautet.«»Den Begriff habe ich schon mal gehört«, sagte Sher-lock. »Aber ich weiß nicht genau, was er bedeutet.«»Der Kynismus basiert darauf, dass der Sinn des Le-bens darin besteht, ein tugendhaftes Leben in Einklangmit der Natur zu führen. Was in der Praxis bedeutet,dass jedes konventionelle Verlangen nach Reichtum,Macht und Ruhm abzulehnen und ein einfaches Lebenohne jedwede Besitztümer anzustreben ist. Da ist ei-gentlich nichts Schlechtes dran, auch wenn es natürlichmehr oder weniger jeglichen industriellen Fortschrittin einer Gesellschaft ausschließt. Die Kyniker glaubtenauch, dass die Welt gleichermaßen allen Menschen ge-hört. Und dass Leid zum einen durch falsche Beurtei-lungen dessen entsteht, was wichtig und wertvoll ist,und zum anderen durch die wertlosen Sitten und Kon-ventionen, mit denen sich eine Gesellschaft umgibt.«Er schwieg einen Moment. »Ich weiß nicht genau, in-wieweit diese Prinzipien für deinen Bruder oder denClub gelten. Aber du solltest wissen, dass der DiogenesClub eine sehr strenge Regel hat: Niemand darf dortsprechen. Nicht ein Wort. Die einzige Ausnahme bil-

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  • det der Besucherraum, wo sich meiner Vermutungnach dein Bruder mit uns treffen wird. Wenn nicht,haben wir einen ungemütlichen Tag vor uns.«Die Droschke ratterte über die Westminster-Bridgeund Sherlocks Aufmerksamkeit wurde von den diver-sen Typen von Ruderbooten in Anspruch genommen,die auf dem dreckig braunen Wasser der Themse un-terwegs waren. »Haben Diogenes und Platon eigent-lich zur gleichen Zeit gelebt?«, fragte er, als ihm plötz-lich Platons Buch Der Staat einfiel, das ihm sein Brudervor seiner Fahrt nach Amerika geschenkt hatte.»Haben sie«, antwortete Crowe. »Und sie sind nichtsehr gut miteinander ausgekommen. Aber das erzähleich dir ein andermal.«Am Nordufer der Themse bog die Droschke erst nachlinks und dann gleich wieder nach rechts auf eine brei-te, dreispurige Straße ab. Vor ihnen am Ende der Stra-ße erkannte Sherlock Trafalgar Square mit dem Denk-mal von Lord Nelson, das er gesehen hatte, als er dasletzte Mal in London gewesen war.Ein paar Sekunden später kam die Droschke zum Hal-ten. Die beiden stiegen auf den Bürgersteig hinab, undCrowe entlohnte den Kutscher mit ein paar Pence.Sie befanden sich nun am Ende der breiten, dreispuri-gen Prachtstraße, wo diese eine Kurve beschrieb unddann in eine andere Straße überging. In eine Haus-wand vor ihnen war eine kleine Tür eingelassen. Nebendem Eingang hing eine Messingtafel. The Diogenes Clubwar dort in eingravierten Buchstaben zu lesen.

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  • Crowe klopfte mit dem Knauf seines Spazierstocks andie Tür. Wenige Augenblicke später schwang sie nachinnen auf. Crowe ging voran und zog dabei den Kopfein, um dem niedrigen Türsturz auszuweichen. Sher-lock folgte.Sie gelangten in eine schmale, mit Eichenholz getäfelteEingangshalle, deren Fußboden aus Marmor bestand.Vor ihnen führte eine Treppe in den ersten Stock hinauf.Durch eine offene Tür an der Seite bot sich ein Blick ineinen großen Raum, der dicht mit grünen Ledersesselnmöbliert war. Die Stille war so erdrückend, dass Sher-lock fast das Gefühl überkam, als würde sich einSchraubstock um seine Ohren legen. Unterstrichen wur-de die Atmosphäre noch vom Ticken einer irgendwo imSchatten stehenden Uhr, das durch den Raum hallte.Der Mann, der ihnen die Tür geöffnet hatte, war kleinund hatte etwas Wieselhaftes an sich. Er trug eine tadel-lose blaue Dienerlivree und wirkte wie ein ehemaligerSoldat. Sherlock war kein Experte, aber der Mann hieltsich gerade wie ein Ladestock, und seine Stiefel warenso blankpoliert, dass Sherlock vermutlich sein Gesichtdarin hätte betrachten können. Crowe händigte demMann eine Visitenkarte aus. Der Diener warf einenBlick darauf, nickte und bedeutete ihnen dann, ihmdurch den großen Raum voller grüner Ledersessel zufolgen. Die Sessel waren von Zeitung lesenden Männernbelegt. Der Diener führte sie im Zickzackkurs zu einerTür an der gegenüberliegenden Seite des Raumes undklopfte.

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  • Eine paar Leute erhoben den Kopf von ihrer Zeitungs-lektüre, um den Blick auf die Quelle des Lärms zurichten.Sherlock lauschte, konnte allerdings keine Antwort hö-ren. In Gedanken versetzte er sich gleich darauf einenTritt in den Hintern: Wenn niemand im Club sprechendurfte, dann konnte er auch kaum erwarten, dass je-mand laut »Herein!« rief. Offensichtlich wartete derDiener darauf, dass die Tür geöffnet wurde.Nichts passierte. Wieder klopfte der Diener.Dann stieß plötzlich etwas mit dumpfem Geräusch ge-gen die Tür. Ein Riegel wurde zurückgeschoben, undsie ging auf.Mycroft Holmes stand im Türrahmen. Er versperrtemit seinem massigen Körper die Sicht auf den Raumdahinter und sah ziemlich verwirrt aus.Er bewegte seine Hand nach oben, wie um sich an dieStirn zu fassen, und schien ebenso wie Sherlock, Croweund der Diener von der Tatsache überrascht zu sein,dass sie ein Messer hielt.Mycroft starrte auf das Messer, als hätte er es nie zuvorgesehen. Dann wandte er den Kopf, um in den Raumzurückzublicken. Dabei machte er einen Schritt zurSeite, so dass Sherlock an ihm vorbeisehen konnte.Ebenso wie die anderen Räumlichkeiten des Clubs wa-ren die Wände mit Holz getäfelt. Allerdings gab eskeine Fenster. In der Mitte des Raumes befand sich eingroßer Tisch, um den herum gepolsterte Stühle sym-metrisch angeordnet waren.

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  • Auf einem der Stühle saß ein Mann. Dem sich ausbrei-tenden Blutfleck und der Art nach zu schließen, wieseine ausdruckslosen Augen den von der Decke hän-genden Kronleuchter anstarrten, war er tot.»Mycroft«, brachte Sherlock hervor.Überraschung breitete sich im Clubraum aus wie eineleise sich kräuselnde Welle, gefolgt von missbilligen-dem Gezische angesichts seines eklatanten Regelver-stoßes. Aber er kümmerte sich nicht darum. Er wollteeinfach nur wissen, was geschehen war.Der Diener wich mit weit aufgerissenen Augen zurück.Crowe schnalzte einmal mit den Fingern, um die Auf-merksamkeit des Mannes zu erregen, und blies in einerpantomimischen Geste in eine imaginäre Trillerpfeife.Der Diener nickte, drehte sich um und lief davon.Crowe packte Sherlock am Arm, zog ihn in das Besu-cherzimmer und schloss die Tür hinter ihnen. Sherlockregistrierte, dass die Rückseite der Tür schwer ge-polstert war, vermutlich um zu verhindern, dass Ge-sprächsgeräusche in den Clubraum drangen. Mit nochimmer verwirrtem Blick und dem Messer in der Handwich Mycroft zurück.»Ich … verstehe nicht«, sagte er zögernd.»Mister Holmes«, blaffte Crowe. »Sie müssen sich kon-zentrieren. Was ist passiert? Erzählen Sie uns alles!«»Ich … habe auf Sie gewartet«, erwiderte Mycroft. Sei-ne Stimme gewann an Kraft, während er redete. »MitHilfe der Zugfahrpläne und unter Berücksichtigungdes zu dieser Tageszeit üblichen Verkehrs zwischen

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  • Waterloo Station und dem Club hatte ich Ihrer beidenAnkunft vorausberechnet. Dann ertönte ein Klopfen ander Tür. Der Diener – Brinnell – brachte mir eine Kar-te auf einem Tablett. Offensichtlich wollte ein Mannmich sprechen. Ich hatte keine Ahnung, wer er war,und wollte ihn schon wegschicken, als mein Blick aufein paar Worte fiel, die auf die Rückseite der Kartegekritzelt waren. Es waren Worte, die … mit denenich im Laufe meiner Tätigkeit im Außenministeriumschon einmal zu tun hatte. Worte von großer Bedeu-tung. Also habe ich Brinnell angewiesen, den Mannhierherzubringen, in den Besucherraum.«Er hielt inne und runzelte die Stirn, als würde er versu-chen, sich an eine überaus verzwickte Sache zu erin-nern.»Ich habe hier gewartet«, fuhr er schließlich fort.»Dann hörte ich ein Klopfen an der Tür. Anstatt denBesuch hereinzurufen, ging ich zur Tür, um sie persön-lich zu öffnen. Das ist hier im Diogenes Club so üb-lich. Dadurch wird unerwünschtes Reden vermieden,eine Sache, die die meisten Mitglieder als unerfreulichempfinden. Draußen stand ein Mann.«»Dieser Mann?«, hakte Crowe nach und zeigte auf denKörper, der auf dem Stuhl zusammengesunken war.»Ja«, sagte Mycroft und zuckte bei dem Anblick zu-sammen. »Das ist er. Ich habe ihm bedeutet hereinzu-kommen, was er dann auch machte. Danach schloss ichdie Tür hinter ihm und …«Seine Stimme brach ab. Seine Hand – diejenige, die

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  • nicht das Messer hielt – hob sich, als wollte er etwasan seiner Stirn betasten. »Das ist alles, woran ich micherinnere. Jedenfalls, bis ich wieder ein Klopfen an derTür hörte. Ich dachte, ich hätte es mit einem von jenenMomenten zu tun, die die Franzosen als Déjà-vu be-zeichnen und bei denen man glaubt, dass etwas pas-siert, was sich zuvor schon einmal haargenau so ereig-net hat. Ich öffnete also die Tür und sah Brinnell underneut Besucher vor mir. Nur dass Sie es waren, alsoSie und Sherlock. Ich war verwirrt und drehte michum. In der Erwartung, den ersten Besucher hinter mirzu sehen.« Mycroft wies auf die Leiche im Stuhl. »Unddas tat ich auch«, fuhr er fort. Eine Spur des trockennüchternen Tons, den Sherlock von seinem Brudersonst gewohnt war, schlich sich langsam wieder in My-crofts Stimme. »Allerdings nicht so, wie ich erwartethatte.«»Mister Holmes«, sagte Crowe. »Nur der Vollständig-keit halber und weil die Polizei zweifellos gleich die-selbe Frage stellen wird: Haben Sie den Mann umge-bracht?«»Ich kann mich nicht erinnern, den Mann umgebrachtzu haben«, antwortete Mycroft vorsichtig.»Ich würde vorschlagen, dass Sie auf diese Frage dasnächste Mal besser mit einem einfachen Nein antwor-ten. Auch wenn das wohl zunächst nicht allzu vielbringen wird.« Crowe seufzte. »Kennen Sie einen gu-ten Anwalt?«»Der Diogenes Club hat einen in seinen Diensten«,

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  • erwiderte Mycroft. »Brinnell kann Ihnen Namen undAdresse geben.«»Dann seien Sie, was immer auch in nächster Zukunftpassieren mag, versichert, dass wir uns um den Dioge-nes-Anwalt kümmern und alles in unserer Macht Ste-hende unternehmen werden, damit Sie wieder auf frei-en Fuß kommen.«Mycroft wandte sich um und warf einen Blick auf dieLeiche. »Das könnte schwierig werden«, sagte er mitqualvoller Stimme. »Es gibt herzlich wenig Spuren.Und das bisschen, was es gibt, scheint mich zu belas-ten.«»Du hast ihn nicht umgebracht«, sagte Sherlock inbestimmtem Ton. »Ich weiß nicht viel von dem, washier passiert ist, aber so viel weiß ich doch.«Mycroft lächelte zaghaft und klopfte ihm auf dieSchulter. »Danke«, sagte er. »Das konnte ich jetzt gutgebrauchen.«Ein Tumult draußen im Clubraum verriet ihnen, dassdie Polizei im Anmarsch war.»Ich schlage vor, Sie legen das Messer auf den Tisch«,ergriff Crowe das Wort. »Macht sich nie sehr gut, eineWaffe in der Hand zu haben, wenn die Polizei auf-kreuzt.«Mycroft trat an den Tisch und legte das Messer ab,gerade als die Tür aufflog und eine Gruppe blau uni-formierter Männer hereinstürmte. Crowe trat ihnenentgegen und verdeckte so Mycrofts letzte Bewegung.»Es hat einen Mord gegeben«, sagte er. »Die Leiche

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  • ist drüben am Tisch, ebenso wie das Messer, mit demdas Verbrechen vermutlich verübt wurde.«»Und wer sind Sie?«, fragte der leitende Constable.»Mein Name ist Amyus Crowe. Und wie heißen Sie?«»Ein ausländischer Gentleman also«, gab der Polizistnur zur Antwort und bedachte seine Begleiter mit ei-nem vielsagenden Blick. »Waren Sie hier, als die Tatbegangen wurde?«»Ich habe Sie nach Ihrem Namen gefragt«, sagteCrowe mit beherrschter Stimme.»Ich bin Sergeant Coleman«, bequemte sich der Poli-zist jetzt zu antworten und drückte demonstrativ denRücken durch. »Vielleicht könnten Sie dann jetztauch auf meine Frage eingehen.« Er hielt kurz inne.»Sir.«»Ich war draußen vor der Tür«, erwiderte Crowe. »Zu-sammen mit diesem jungen Mann hier. Der Dienerkann das bezeugen.«»Und wie heißt der junge Mann?«»Sherlock Holmes«, antwortete Sherlock.»Und wer also war in diesem Raum?«, bohrte der Ser-geant nach.Crowe zögerte und zuckte kaum merklich zusammen.»Ich glaube, dieser Gentleman hier.« Er wies mit ei-nem Nicken auf Mycroft.Der Sergeant trat auf Mycroft zu. »Stimmt das, Sir?«,fragte er ihn.Mycroft nickte. »Ich war im Raum«, erwiderte er mitfester Stimme.

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  • »Und wie ist Ihr Name?«»Mycroft Siger Holmes.«»Und haben Sie diesen Mann getötet, Sir?«»Nein, ich habe diesen Mann nicht getötet.«Sherlock bemerkte, wie sich angesichts der Bestimmt-heit in Mycrofts Stimme Crowes Lippen kaum merk-lich kräuselten. Der Sergeant sah erstaunt aus.»Ich fürchte, Sir, dass ich Sie festnehmen muss. Siewerden zu Scotland Yard gebracht, wo man Sie unterEid vernehmen wird.« Er sah zunächst noch einmalkurz zur Leiche hinüber und blickte dann einen derConstables an. »Na schön, lassen Sie nach dem Patho-logen schicken. Der alte Murdoch hat heute Dienst.Sehen Sie zu, dass er herkommt und die Leiche abholt.Und stellt das Messer sicher. Das werden wir dann demRichter präsentieren.«Die Worte dröhnten wie eine riesige, misstönende Glo-cke in Sherlocks Ohren. Mit Entsetzen sah er zu, wieMycroft an der Schulter gepackt und anschließend vomTatort quer durch den Clubraum zur Eingangshalle ge-führt wurde. Einer der Constables packte das Messerbehutsam am Griff und trug es davon.»Mister Crowe …«, begann Sherlock.»Keine Zeit!«, blaffte Crowe. »Ich verstehe, dass dujetzt aufgewühlt bist. Das ist verständlich. Das Pro-blem ist nur, dass, wenn wir den Namen deines Bru-ders wieder reinwaschen und ihn vor dem Gefängnisbewahren wollen, wir jetzt schnell handeln müssen.Schnell und mit absoluter Präzision. Emotionen wer-

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  • den uns daran nur hindern und unser Urteilsvermögentrüben. Verstehst du, was ich sage?«»Ja«, keuchte Sherlock.»Versuche, Kummer und Angst zu unterdrücken. Stelldir vor, du wickelst deine Gefühle in eine Decke ein,die du dann zubindest und irgendwo in einem fernenWinkel deines Geistes verstaust. Ich verlange nichtvon dir, dass du sie für immer vergisst, sondern nurjetzt für den Moment. Du kannst sie später wiederhervorholen, wenn alles vorbei ist, und dich in sie hül-len, solange du willst. Aber nicht jetzt.«»Ja, in Ordnung.« Sherlock schloss die Augen undschickte sich an, Crowes Ratschlag in die Tat umzuset-zen. Er versuchte, sich den in ihm tosenden Wirbel derGefühle als feurigen Ball vorzustellen, der in seinemKopf schwebte. Dann malte er sich einen feuerfestenStoff aus – so schwarz wie die Nacht –, der sich umden Feuerball wickelte. Im nächsten Moment tauchtenplötzlich Seile und Ketten aus der Dunkelheit auf undlegten sich um den Stoff. Wie von Geisterhand wurdensie immer straffer gezogen, bis der Ball komplett einge-wickelt und fest verschnürt war. Anschließend stellte ersich vor, wie der Ball in die schattenerfüllte Finsternishinabschwebte, bis er in einem staubigen Schrank lan-dete, der sich im hintersten Winkel seines Geistes be-fand. Dann verschloss Sherlock die Tür.Er schlug die Augen auf und machte einen tiefenAtemzug. Er fühlte sich besser. Die Panik war fast ver-schwunden. Er wusste, dass all diese Gefühle noch da

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  • waren, verborgen in diesem Schrank. Doch im Momentempfand er sie nicht mehr. Er konnte sie wieder her-vorholen, wann immer er wollte. Aber jetzt gerade warer sich gar nicht so sicher, ob er das jemals tun würde.»Alles in Ordnung mit dir?«»Ja. Was sollen wir jetzt machen?«»Wir müssen die Leiche untersuchen und den Raum.Ich übernehme das Erste, du das Zweite.«»In Ordnung.« Er dachte einen Augenblick nach.»Warum hat uns die Polizei eigentlich hier mit derLeiche allein gelassen?«Crowes Gesicht verfinsterte sich. »Das Problem mitden meisten Verbrechensbekämpfern ist, dass sie simp-le Antworten lieben. Sie haben zwei Männer in einemverschlossenen Raum vorgefunden, einer von ihnen tot,der andere am Leben. Für sie ist die Antwort einfach.Und ich muss zugeben, würde ich deinen Bruder nichtso gut kennen, würde es für mich ebenso einfach ausse-hen. Was sie anbelangt, so haben sie ihren Mann. DasMesser ist für sie nur noch so etwas wie eine Trophäe:Sie können bei der Gerichtsverhandlung damit herum-wedeln und die Geschworenen erschrecken. Tja, undwas unseren Mann hier anbelangt: Der ist tot und wirdnirgendwo mehr hingehen, bis der Pathologe kommt,um ihn abzutransportieren. Und das sollte uns genugZeit geben, um eventuell auf ein paar Dinge zu stoßen.Dinge, die ihnen aufgefallen wären, hätten sie sich dieMühe gemacht, sich umzusehen. So, jetzt aber genuggeredet. An die Arbeit!«

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    Leonie WuchererRechteck

    Leonie WuchererRechteck

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